9,99 €
Niedrigster Preis in 30 Tagen: 9,99 €
Immer Ärger mit dem Teufel Psychotherapeut Jakob Jakobi bekommt ungebetenen Besuch von einem Kerl namens Anton Auerbach. Sein Anliegen: Er möchte Jakobs Seele kaufen. Der Grund: Seit Jakobs Begegnung mit Gott ist diese Seele besonders wertvoll. Für wen? Für den Teufel natürlich. Und genau der behauptet Auerbach zu sein. Jakobi ist genervt. Warum nur treffen sich ausgerechnet in seiner Praxis die Mächte des Himmels und der Finsternis - oder Leute, die sich dafür halten? Jakob denkt nicht dran, seine Seele zu verkaufen oder "Toni" für voll zu nehmen. Doch der vermeintliche Teufel hat das eine oder andere Ass im Ärmel. Mehr und mehr wird Jakobs Leben zur Hölle. Da wäre es wirklich gut, Gottes Beistand zu bekommen …
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 343
Hans Rath
Und Gott sprach: Der Teufel ist auch nur ein Mensch!
Roman
Ihr Verlagsname
Immer Ärger mit dem Teufel
Psychotherapeut Jakob Jakobi bekommt ungebetenen Besuch von einem Kerl namens Anton Auerbach. Sein Anliegen: Er möchte Jakobs Seele kaufen. Der Grund: Seit Jakobs Begegnung mit Gott ist diese Seele besonders wertvoll. Für wen? Für den Teufel natürlich. Und genau der behauptet Auerbach zu sein. Jakobi ist genervt. Warum nur treffen sich ausgerechnet in seiner Praxis die Mächte des Himmels und der Finsternis – oder Leute, die sich dafür halten? Jakob denkt nicht dran, seine Seele zu verkaufen oder «Toni» für voll zu nehmen. Doch der vermeintliche Teufel hat das eine oder andere Ass im Ärmel. Mehr und mehr wird Jakobs Leben zur Hölle. Da wäre es wirklich gut, Gottes Beistand zu bekommen …
Hans Rath, Jahrgang 1965, studierte Philosophie, Germanistik und Psychologie in Bonn. Er lebt mit seiner Familie in Berlin, wo er unter anderem als Drehbuchautor tätig ist. Mit der Romantrilogie «Man tut, was man kann», «Da muss man durch» und «Was will man mehr» hat Rath sich eine große Fangemeinde geschaffen. Zwei der Bücher wurden bereits fürs Kino verfilmt. Sein Roman «Und Gott sprach: Wir müssen reden!» ist ebenfalls ein Bestseller.
«Glauben Sie eigentlich an den Teufel, Dr. Jakobi?»
Gute Frage. Mal überlegen. An einen feuerroten Superschurken mit Hörnern und einem Dreizack glaube ich schon mal nicht. Und dass man seiner Sünden wegen über dem Fegefeuer gegrillt wird, halte ich auch für ein Ammenmärchen. Gut möglich aber, dass es eine Hölle gibt. Vielleicht habe ich sogar schon mal einen Blick reingeworfen, und zwar vor etwas mehr als drei Jahren, als mein Leben seinen vorläufigen Tiefpunkt erreichte. Daran war aber nicht der Teufel schuld, sondern meine Exfrau.
«Nein. Eigentlich nicht», antworte ich. «Warum fragen Sie?»
Moosmann überlegt einen Moment. «Das klingt, als wären Sie sich nicht ganz sicher.»
«Verraten Sie mir, was das mit Ihrer Ehe zu tun hat?», erwidere ich und werfe einen Blick zur Uhr. Unsere Sitzung neigt sich dem Ende zu.
«Ich glaube, dass der Teufel bei meiner Ehe seine Finger im Spiel hat.» Moosmann strafft sich. Scheint so, als wäre ihm die Theorie selbst nicht ganz geheuer.
«Welches Interesse sollte der Teufel daran haben, Ihre Ehe zu zerstören?»
«Er will nicht meine Ehe zerstören, er will mich zerstören», erwidert Moosmann mit verschwörerischem Unterton.
«Herr Moosmann, warum sollte der Teufel ausgerechnet Sie zerstören wollen?»
«Keine Ahnung», erwidert Moosmann. «Aber er will mir doch ganz offensichtlich das Leben versauen. Sonst hätte er mir ja nicht meine Frau geschickt.»
Erneut blicke ich zur Uhr und überlege. Eigentlich ist unsere Sitzungszeit jetzt abgelaufen, aber ich möchte Moosmann nicht mit apokalyptischen Hirngespinsten nach Hause schicken. Zumal ich ahne, was passiert ist.
«Wir kennen uns nun schon seit ein paar Monaten, Herr Moosmann. Und ich stelle fest, dass Sie immer dann geglaubt haben, ein Opfer dunkler Mächte zu sein, wenn Ihre Frau gerade ein Verhältnis begonnen hatte.»
Regungslos schaut Moosmann mich an. Dann lehnt er sich zurück und verschränkt die Arme vor der Brust. «Ach ja? Wirklich?»
Ich nicke. «Erinnern Sie sich an die Sache mit dem Tanzlehrer? Als die Affäre begann, dachten Sie, jemand hätte Ihnen einen Voodoo-Zauber angehängt.»
Moosmann schweigt. Ich sehe aber, dass es in ihm arbeitet.
«Und als Ihre Frau mit diesem Straßenkünstler anbändelte, da haben Sie mir erzählt, Sie wären von einer bösen Hexe verflucht worden. Erinnern Sie sich, dass wir eine ganze Sitzung damit verbracht haben, alle Verdachtsmomente gegen Ihre Schwiegermutter zu entkräften?»
Moosmann schweigt. Ich lasse ihm Zeit zum Nachdenken. Es klopft.
«Jetzt nicht!», rufe ich.
Die Tür wird geöffnet, und Frau Kretzer, meine Sprechstundenhilfe, schaut ins Zimmer. «Eben wollte Sie ein gewisser Auerbach sprechen. Er hat gesagt, er ruft noch mal an. Und ich soll Sie daran erinnern, dass Sie heute zum Abendessen verabredet sind.»
«Haben Sie gehört, was ich gerade gerufen habe?», frage ich konsterniert.
«Was haben Sie denn gerufen?»
«Jetzt nicht!», wiederhole ich.
«Ach so … das! Ja, hab ich gehört», sagt sie. «Aber ich bin in Eile und muss los.»
Bevor ich etwas erwidern kann, schließt sie die Tür. Damit ist das Gespräch beendet.
Moosmann schaut ihr anerkennend hinterher. «Springt die immer so mit Ihnen um?»
«Nein, nein. Ich hatte nur ganz vergessen, dass sie heute eine Familienfeier hat», lüge ich schamlos. Die Wahrheit ist, dass Frau Kretzer mich ständig behandelt, als wäre ich ihr Lakai. Da sie mit ihrer rüden Art meinen Laden jedoch im Griff hat wie keine Sprechstundenhilfe vor ihr, sehe ich großzügig darüber hinweg. Wobei ich diese Strategie wohl mal überdenken muss, wenn sie jetzt beginnt, mich vor meinen Patienten zur Schnecke zu machen.
Wieder wird die Tür geöffnet. Frau Kretzer hat inzwischen den Mantel angezogen. «So. Ich bin dann mal weg. Denken Sie daran, die Kaffeemaschine auszuschalten?»
«Mach ich», erwidere ich. «Und Ihnen einen schönen Abend …»
«Danke. Den werde ich haben. Ich nehme ein Fußbad, bimse mir die Hühneraugen weg und sehe mir dabei den Bridget-Jones-Marathon im Fernsehen an. Kann übrigens sein, dass ich deshalb morgen ein bisschen später komme.»
Ich hüstele verlegen. Ein Lächeln huscht über Moosmanns Gesicht.
«Gut. Bis morgen, Frau Kretzer», sage ich und komplimentiere sie damit hinaus. Dann tue ich so, als würde ich mich in meine Aufzeichnungen vertiefen.
Man hört, dass die Tür zum Treppenhaus ins Schloss gezogen wird.
Moosmann räuspert sich. «Es ist bitter, wenn ein Mann nicht nur von seiner Frau, sondern obendrein noch von seinem Psychotherapeuten angelogen wird.»
«Ja. Tut mir leid», sage ich schuldbewusst. «Wäre schön, wenn das unter uns bliebe. Ich glaube, es ist nur eine Phase. Frau Kretzer ist im Grunde …»
Moosmann winkt ab. «Schon gut. Sie brauchen mir nichts zu erklären. Ich weiß, wie das ist, wenn man sich mit einer heiklen Situation arrangieren muss.»
«Apropos», hake ich nach. «Hatte ich eben mit meiner Vermutung recht? Hat Ihre Frau sich noch einmal zu einer Affäre … hinreißen lassen?»
«Oh. Das haben Sie sehr freundlich formuliert, Doktor. Es klingt, als hätte Susann irgendwelche Skrupel, mich zu betrügen. Aber wenn sie nur einen einzigen Gedanken an mich oder unsere Ehe verschwendet hätte, wäre sie doch wenigstens zu einer unserer Sitzungen gekommen, oder etwa nicht?»
«Ja. Da ist was dran», sage ich. «Andererseits hätte sie sich längst von Ihnen trennen oder die Scheidung einreichen können. Wenn es nichts gibt, was sie beide verbindet, warum zieht dann nicht einer von Ihnen den Schlussstrich?»
«Ich für meinen Teil warte nur auf den Moment, wo mir die Sache unerträglich wird. Dann bin ich weg», erwidert Moosmann. «Könnte bald so weit sein. Bisher hat sie mich ja nur mit jüngeren Männern gedemütigt. Irgendwelche Szenetypen. Musiker, Yogalehrer, Barkeeper. Das war zwar nicht nett, aber immerhin einigermaßen diskret. Diesmal …» Moosmann zögert einen kurzen Moment, dann strafft er sich. «Diesmal hat sich diese kaltherzige …» Er schluckt die Beleidigung, die ihm gerade auf der Zunge liegt, hinunter und seufzt. «Ich glaube, sie hat was mit meinem Chef angefangen.»
«Bringt das für Sie berufliche Probleme mit sich?», will ich wissen.
«Noch nicht, aber er kann mir natürlich die Karriere versauen, wenn er es darauf anlegt. Und ich befürchte, das wird auch passieren.»
«Warum?»
«Ich bin Autoverkäufer, Dr. Jakobi. Schon vergessen? In unserem Laden arbeiten fast nur Männer. Die Spielregeln sind entsprechend simpel. Es gilt das Recht des Stärkeren. Er ist der Stärkere, also wird er mich das spüren lassen. Bestimmt dauert es nicht lange, und ich verkaufe Autopolitur statt Mittelklassewagen.»
«Und wäre das sehr schlimm für Sie?»
Er zieht die Schultern hoch. «Ja und nein. Ich wollte eigentlich nie Verkäufer werden. Ich bin da reingerutscht. Aber wenn Schäfer mich feuert …»
«Er heißt Schäfer?»
«Machen Sie jetzt bitte keine Witze, in denen das Wort Schäferstündchen vorkommt», sagt Moosmann. «Die kenne ich nämlich alle schon.»
«Okay. Erzählen Sie weiter.»
«Wie gesagt, wenn Schäfer mich feuert, dann habe ich ein Problem. Ich bin ein mittelmäßiger Autoverkäufer, der keinen Spaß an seinem Beruf hat und bald seinen fünfundvierzigsten Geburtstag feiern wird. Ich werde also auf dem Arbeitsmarkt ähnlich schlecht dastehen wie in meiner Ehe.»
«Sie sehen die Dinge im Moment zu pessimistisch», behaupte ich.
«Wie soll ich sie sonst sehen? Aller Wahrscheinlichkeit nach ziehe ich in jedem Fall den Kürzeren. Wenn das Verhältnis der beiden von Dauer ist, wird er mich feuern, damit ich ihm nicht irgendwann doch noch in die Quere komme. Trennen sie sich, wird er mich feuern, damit ich ihn nicht ständig an sie erinnere.»
«Ist dieser Schäfer denn auch verheiratet?», frage ich.
Moosmann grinst. «Sie meinen, ob ich ihn erpressen könnte?»
«Nein. Ich wollte nur wissen, wie kompliziert die Situation insgesamt ist.»
«Er ist zwar verheiratet, aber seine Ehe ist genauso im Arsch wie meine. In seinem Fall haben das aber beide akzeptiert. Der Kinder wegen, glaube ich. Ihm droht jedenfalls kein Ärger von einer eifersüchtigen Ehefrau, falls Sie das meinen.»
Ich klappe meinen Notizblock zu. «Das klingt alles sehr unerfreulich, Herr Moosmann, aber dass der Teufel seine Hand im Spiel hat, kann ich beim besten Willen nicht erkennen.»
«Einen Mann, dem seine Frau und der Job flöten gehen, würde man aber auch nicht gerade als Glückspilz bezeichnen, oder?»
«Warum nicht? Es könnte doch sein, dass diese radikale Veränderung Ihrem Leben eine ganz neue, glückliche Wendung gibt.»
«Ach ja? Welche denn? Ich sitze geschieden und arbeitslos in einer billigen Pension und besaufe mich mit billigem Fusel, weil ich mir teuren nicht mehr leisten kann?»
«Keine Ahnung. Ist das denn Ihre Vorstellung von Glück?»
«Nein. Natürlich nicht», antwortet Moosmann unwirsch.
«Und was, Herr Moosmann, wäre ihre Vorstellung von Glück, wenn Sie sich ein Leben ohne ihre Frau und ohne den Job, den Sie sowieso nicht machen wollen, ausmalen würden?»
Er sieht mich erstaunt an. Dann zuckt er ratlos mit den Schultern. «Ich glaube, da müsste ich mal drüber nachdenken.»
«Sehr gut. Tun Sie das. Dann machen wir mal für heute Schluss.»
Er nickt. «Okay … Kann ich Sie vielleicht irgendwo absetzen? Ich möchte nicht, dass Sie zu spät zu Ihrer Verabredung kommen, nur weil wir überzogen haben. Außerdem soll es heute Abend schneien.»
Ich schaue zum Fenster. Ein diesiger Berliner Wintertag. Sieht in der Tat frostig aus, und Moosmanns Angebot ist verlockend. Ein Taxi wird bei diesem Wetter erfahrungsgemäß auf sich warten lassen. Andererseits muss ich mich bemühen, professionelle Distanz zu meinen Patienten zu wahren. Wenn man es genau nimmt, dann war bereits die Verlängerung der vereinbarten Sitzungszeit ein kleiner Regelverstoß. Ich sollte mich deshalb nicht obendrein auch noch von Moosmann durch die Stadt chauffieren lassen.
«Danke», sage ich. «Aber es ist wohl besser, wenn ich …»
Ich sehe, dass in diesem Moment die ersten Schneeflocken gegen die Fensterscheibe wehen, und verstumme. Moosmann wartet geduldig auf den zweiten Teil des Satzes.
«Ach, nicht so wichtig», sage ich. «Ja. Wäre in der Tat schön, wenn Sie mich mitnehmen könnten.»
Ellen hat ein Restaurant ausgesucht, das den hochtrabenden Namen Grandezza trägt. Meine Exfrau ist durch eine Erbschaft immens reich geworden und kann sich nun praktisch jeden Luxus leisten. Das Grandezza ist ein Gourmettempel ganz nach ihrem Geschmack. Man speist an einfachen Bistrotischen, aber die dicken Stoffservietten, das schwere Silberbesteck und ein Kronleuchter in der Größe eines Karussells lassen keinen Zweifel darüber aufkommen, dass hier ein buntgemischtes, aber eben auch ein gehobenes Publikum erwünscht ist.
«Die Küche ist übrigens phantastisch», schwärmt Ellen, während wir in unseren Speisekarten blättern.
«Aha. Was ist denn … Wagyū?», will ich wissen.
«Ein Kobe-Rind, das nicht aus der Region Kobe kommt», antwortet Ellen.
Als sie mein fragendes Gesicht sieht, fügt sie hinzu: «Das ist so ähnlich wie beim Champagner. Der darf sich auch nur so nennen, wenn er aus der Champagne kommt. Sonst ist er eben nur ein Cremant. Oder ein Cava. Oder ein Sekt.»
«Verstehe. Und warum kostet ein Wagyū-Steak achtundsiebzig Euro, wenn es nicht mal aus Kobe kommt?», hake ich nach.
«Das habe ich dir doch gerade erklärt», erwidert Ellen ungehalten. «Weil es trotzdem ein Kobe-Rind ist. Es stammt eben nur nicht aus Japan.»
Während sich meine leicht genervte Exfrau wieder der Karte zuwendet, amüsiere ich mich im Stillen darüber, dass es sie immer noch aufregt, wenn ich mal nicht ganz so schnell schalte, wie sie es sich wünscht. Das war schon in unserer Ehe so. Ich kenne das Phänomen aus meiner psychologischen Praxis. Nach spätestens drei Jahren kennen Lebenspartner die wichtigsten neuralgischen Punkte des anderen. Man könnte auch sagen, sie wissen dann, welche Knöpfe man drücken muss, um ihn von jetzt auf gleich auf die Palme zu bringen.
«Was kann denn so ein sündhaft teures Kobe-Rind, was andere Rinder nicht können?», frage ich mit Unschuldsmiene.
«Gedichte schreiben und La Paloma pfeifen», erwidert Ellen ungerührt und winkt einen Kellner an unseren Tisch.
«Kann man die Gedichte lesen, bevor man sich für ein Tier entscheidet?», frage ich.
Sie muss grinsen.
Der Kellner deutet eine Verbeugung an. «Was kann ich für Sie tun?»
«Bringen Sie uns bitte ein Châteaubriand mit Sauce béarnaise und einer Auswahl an Beilagen.» Sie wirft mir einen Blick zu. «Salat?»
«Nein. Nicht unbedingt.»
«Gut. Dann also Broccoli, Blattspinat, Kartoffelgratin und …» Sie überlegt einen kurzen Moment. «… getrüffeltes Risotto.» Ein erneuter Blick zu mir. «Wein?»
«Ja. Unbedingt.»
«99er Château Margaux. Und eine Flasche Mineralwasser ohne Kohlensäure, bitte.»
Der Kellner scheint angetan von ihrer Geradlinigkeit und Geschmackssicherheit.
«Sehr gern», haucht er und zieht sich mit einer tiefen Verbeugung zurück.
«Falls du weiter an den Preisen herumnörgeln möchtest, dann kannst du jetzt mit dem Wein weitermachen», sagt Ellen. «Die Pulle, die ich gerade bestellt habe, kostet knapp fünfhundert Euro.»
«Na ja. Mit irgendwas müssen wir das Essen ja runterkriegen», erwidere ich sonnig. Im Geiste stelle ich mich aber schon mal darauf ein, in den nächsten Wochen deutlich kürzerzutreten.
«Du bist übrigens eingeladen», erklärt meine Exfrau mit gönnerhaftem Lächeln.
«Oh. Haben wir was zu feiern?»
«Nein. Eher im Gegenteil. Ich möchte dich um einen Gefallen bitten.»
«Klar. Worum geht’s denn?»
«Pardon … Dr. Jakobi?» Der Empfangschef ist unbemerkt an unseren Tisch getreten.
«Ja. Das bin ich.»
«Ein Telefonat für Sie.» Er wartet darauf, dass ich aufstehe, um ihm zu folgen.
«Sind Sie sicher, dass das keine Verwechslung ist?», frage ich.
«Der Herr hat gesagt, er wolle Sie sprechen und es sei dringend.»
Verblüfft schaue ich zu Ellen, die nicht minder ratlos mit den Schultern zuckt. «Dann geh doch einfach kurz mit. Vielleicht ist es wichtig.»
«Hat er gesagt, wie er heißt?», frage ich.
«Auerbach. Anton Auerbach.»
Ich entsinne mich, dass Frau Kretzer den Namen erwähnt hat. Der Mann hat heute bereits versucht, mich in der Praxis zu erreichen. Wahrscheinlich hat er meiner Sprechstundenhilfe entlocken können, dass ich heute Abend hier verabredet bin.
«Sagen Sie Herrn Auerbach bitte, dass ich ihn morgen zurückrufe. Danke.» Der Empfangschef nickt dezent, wendet sich ab und huscht routiniert an unserem Kellner vorbei, der gerade im Begriff ist, die Getränke zu bringen.
«Vielleicht ein neuer Patient», sage ich zu Ellen. «Oder einfach nur jemand, der mir was verkaufen will. Jedenfalls hat das Zeit bis morgen.»
«Wie läuft eigentlich deine Praxis?», fragt sie, während der Kellner den Korken in Zeitlupe aus der Flasche hebelt. Es sieht aus, als wollte er den Wein nicht erschrecken.
«Gut. Ich kann nicht klagen. Ich bin froh, dass ich einen Neuanfang gewagt habe. Aber wolltest du mir nicht gerade was von dir erzählen?»
Ellen wirft einen unbehaglichen Seitenblick zum Kellner. Leise plätschert der Margaux in den Dekanter. Ich verstehe. Sie möchte ungestört sein. Schweigend warten wir, bis der Kellner seine Arbeit erledigt und sich entfernt hat.
«Niklas und ich haben große Probleme», fällt Ellen mit der Tür ins Haus. «Ich hätte gern ein Baby, aber …» Ich sehe, dass ihr Tränen in die Augen treten. Sie schluckt, nippt an ihrem Wasser und strafft sich. «Entschuldige.»
«Kein Problem. Lass dir Zeit.»
Sie atmet tief durch und sammelt sich. «Die Sache ist die, Jakob: Meine Beziehung mit Niklas steht auf Messers Schneide. Ich glaube, wir schaffen das nicht ohne die Hilfe eines Therapeuten. Das ist auch der Grund, weshalb ich mit dir reden wollte.»
«Kein Problem. Es gibt einige Kollegen, die ich dir wärmstens empfehlen kann.»
Sie wirkt erstaunt. «Ich dachte eigentlich, dass du uns persönlich helfen könntest.»
«Oh. Das halte ich für keine gute Idee, Ellen. Ein Therapeut braucht professionelle Distanz zu seinen Patienten.»
«Hey! Wir beide sind geschieden. Mehr Distanz geht ja wohl nicht, oder?»
«Trotzdem kenne dich so gut, dass ich deine Beziehung mit Niklas nicht unvoreingenommen beurteilen könnte. Außerdem müssen bei einer Paartherapie manchmal intime Details angesprochen werden. Findest du es wirklich eine gute Idee, dein Sexleben vor deinem Exmann auszubreiten?»
«Ach. Sex ist nicht das Problem», erwidert Ellen. «Und ich brauche eigentlich auch keine Paartherapie. Ich will nur, dass Niklas von seiner Entscheidungsschwäche kuriert wird. Mehr nicht.»
Jetzt bin ich es, der erstaunt ist. «Was soll das heißen, kuriert?»
«Was ist daran so schwer zu verstehen? Jemand muss Niklas dabei helfen, eine wichtige Entscheidung für unsere Beziehung zu treffen. Das ist schon alles.»
«Das ist schon alles?», wiederhole ich argwöhnisch. «Kann es sein, dass du keinen Therapeuten suchst, sondern einen Hypnotiseur, der dir deinen Lover so zurechtbiegt, wie du es dir vorstellst?»
«Du übertreibst mal wieder maßlos», wischt Ellen meinen Einwand weg.
«Du streitest es also nicht ab.»
Sie stützt die Arme auf den Tisch und beugt sich vor. «Jakob, ich bin einundvierzig. Falls ich überhaupt schwanger werde, dann bestimmt nicht, weil meine fruchtbaren Tage ständig mit fruchtlosen Diskussionen verplempert werden. Niklas muss sich entscheiden. Entweder er engagiert sich ab sofort hundertprozentig bei der Familienplanung, oder wir müssen einen Schlussstrich ziehen. Meine Zeit in dieser Hinsicht ist leider begrenzt.»
Der Kellner bringt eine Silberplatte mit unserem Châteaubriand und beginnt damit, das Fleisch zu tranchieren. Ellen ist innerlich so aufgewühlt, dass sie diesmal keine Notiz von ihm nimmt.
«Und wie habe ich mir dieses … Engagement bei der Familienplanung vorzustellen?», frage ich.
«Ganz einfach. Wenn meine Eisprung-App mich ansimst, dann müssen wir vögeln.»
Der Kellner hält kurz inne und scheint zu überlegen, ob er sich verhört hat.
«Und zwar sofort, und das eine Woche lang», fügt Ellen hinzu.
Ein metallisches Klackern verrät, dass dem Kellner nun das Messer aus der Hand gerutscht ist.
«Ich meine, wir reden hier von vier- oder fünfmal Sex in sieben Tagen. Das ist doch nun wirklich nicht zu viel verlangt, oder?»
«Du hast eine Eisprung-App, die dich ansimsen kann?», frage ich beeindruckt.
Sie nickt. «Klar. Zu irgendwas müssen diese Smartphones ja gut sein.»
Der Kellner serviert das Fleisch, stellt die Beilagen auf den Tisch und schenkt uns Wein ein. Dann setzt er ein gekünstelt wirkendes Lächeln auf und wünscht uns einen guten Appetit. Sein Gesichtsausdruck sagt: Ihr Reichen habt ja nicht mehr alle Tassen im Schrank. Mit einer tiefen Verbeugung und leiser Verachtung verlässt er unseren Tisch.
«Und was wirst du tun, wenn Niklas sich gegen dich entscheidet?», frage ich.
Ellen, die gerade mit dem Essen beginnen wollte, hält inne.
«Das steht nicht zur Debatte», sagt sie nach einer Schrecksekunde.
«Warum nicht? Er ist zehn Jahre jünger als du, und er hat …»
«Zwölf. Er ist zwölf Jahre jünger.»
«Gut. Dann eben zwölf. Jedenfalls ist er ein junger Mann, was nebenbei seine Unentschlossenheit erklärt …»
«Ein junger Mann? Er wird in ein paar Monaten dreißig», unterbricht Ellen. «Mit dreißig war James Dean schon mehrere Jahre tot.»
«Das ist jetzt ein komisches Beispiel», sage ich.
«Du weißt genau, was ich meine. Dass Männer heute erst mit Mitte vierzig erwachsen werden, dafür kann ich ja nichts. Ich bin eine attraktive Frau, die nicht auf den Kopf gefallen ist und so viel Geld hat, dass sie einem Mann auch seine großen Wünsche erfüllen kann. Es besteht also überhaupt kein Grund, mich zu verlassen.»
Sie lächelt siegesgewiss, lässt ein großes Stück Fleisch zwischen ihren blutroten Lippen verschwinden und beißt herzhaft zu.
Ich nippe an meinem Wein und muss zugeben, dass die geschätzten zwanzig Mäuse, die für den kleinen Schluck zu Buche schlagen, wirklich gut angelegt sind.
«Glaub mir, Jakob, ich liebe Niklas. Ich wünsche mir einfach nur, dass wir eine ganz normale Familie sind. Und ich wünsche mir, dass wir das auf natürlichem Wege werden. Sonst hätte ich längst andere Möglichkeiten in Erwägung gezogen.»
Ich stehe wieder mal auf der Leitung. «Welche, zum Beispiel?»
«Ich könnte in die Staaten fliegen und mich dort künstlich befruchten lassen. Bei den Amerikanern wird das Thema Reproduktionsmedizin viel lockerer gehandhabt als hier. Vor allem, wenn man das nötige Kleingeld hat.»
Ich überlege, warum sie sich bei diesem Thema so gut auskennt.
«Was ist? Warum guckst du mich so an?»
«Ich traue dir zu, dass du das längst einkalkuliert hast», sage ich. «Sollte die Beziehung zu Niklas endgültig zerbrechen, bleibt dir immer noch die Option, in die Staaten zu fliegen. Und ich vermute, du machst ihm Druck, verschweigst ihm aber, dass du dieses Ass im Ärmel hast.»
Sie sieht mich an und nippt nun ebenfalls an ihrem Wein. Dann nickt sie.
«Ich glaube, du kennst mich wirklich ganz gut», sagt sie mit einem dezenten Lächeln. «Aber wie dem auch sei, du hast mir gerade sehr geholfen. Danke.»
Ich bin erstaunt. «Womit habe ich dir geholfen?»
«Ich habe jetzt begriffen, dass es überhaupt nicht nötig ist, einen Therapeuten einzuschalten. Niklas muss eine simple Entscheidung treffen. Es geht also lediglich darum, ihm die Pistole auf die Brust zu setzen.»
«Verstehe, und darin bist du ziemlich gut», sage ich.
Sie lächelt. «Darin, Männern die Pistole auf die Brust zu setzen, bin ich sogar Weltklasse, Jakob.»
In der Küche brennt Licht. Es ist fast Mitternacht. Ellen wollte mich zu Hause absetzen, aber ich habe mich vom Neuschnee zu einem nächtlichen Winterspaziergang verführen lassen. Jetzt bin ich durchgefroren und freue mich aufs Bett. Reden möchte ich eigentlich nicht, aber ich ahne, dass Valerie mir einen Strich durch die Rechnung machen wird, sonst würde sie wohl nicht in der Küche auf mich warten.
«Wo warst du so lange?» Sie legt ihre Illustrierte zur Seite und streicht sich ihr blondes Haar aus dem Gesicht.
«Ellen und ich waren heute zum Essen verabredet. Das hatte ich dir doch gesagt.»
«Stimmt», erwidert sie und nickt langsam. «Und? Habt ihr euch gut verstanden? Ich meine, es ist ja nicht selbstverständlich, dass Paare, die geschieden sind, sich zu romantischen Abendessen treffen.»
Ich seufze. «Könntest du mit deinen Eifersüchteleien vielleicht bis morgen warten, Valerie? Es war ein langer Tag, und ich bin wirklich sehr müde.»
«Ist ja jetzt auch egal», sagt sie und schiebt meinen Wohnungszweitschlüssel über den Tisch. «Wir werden uns nämlich nicht wiedersehen, Jakob.»
Ich atme tief durch. «Bitte nicht, Valerie. Nicht schon wieder.»
«Willst du wissen, warum ich dich verlasse?», fragt sie unbeirrt.
«Ich vermute, aus den gleichen Gründen, aus denen du mich alle zwei Wochen verlässt: Du glaubst, unsere Affäre nicht länger vor deinem Mann verheimlichen zu können. Du willst das Glück eurer Kinder nicht aufs Spiel setzen. Und du hast Angst, dass eine Scheidung dich finanziell ruinieren würde.»
Sie sieht mich regungslos an.
«Aber du weißt selbst, dass der eigentliche Grund ein anderer ist.»
«Diesmal meine ich es ernst», sagt sie mit leichtem Beben in der Stimme.
Wäre ich nicht hundemüde, würde ich jetzt versuchen, mit ihr ein ernstes Gespräch zu führen. Ich bin inzwischen sicher, Valerie hat große Probleme mit Nähe und Distanz. Einerseits will sie nicht allein sein, andererseits fühlt sie sich in einer Beziehung rasch eingeengt.
Sie steht auf. Ihre Augen füllen sich mit Tränen. Im Vorbeigehen haucht sie mir einen feuchten Kuss auf die Wange. «Ich danke dir für alles, Jakob. Hab ein gutes Leben.»
Sie geht an mir vorbei, ich höre, dass sie sich rasch den Mantel überzieht und meine Wohnung verlässt. Ein letztes, leises Schluchzen, dann wird die Tür ins Schloss gezogen.
Sie tut mir leid, aber im Moment kann ich ihr leider nicht helfen.
Beim Zähneputzen überlege ich, ob ich noch rasch eine heiße Dusche nehmen soll. Gerade habe ich mich dazu entschlossen, da klopft es an der Tür.
Das habe ich befürchtet. Valerie hat nicht einmal das Haus verlassen, sondern sich noch auf der Treppe überlegt, dass sie jetzt gerne sofort hemmungslosen Sex mit mir hätte, weil das Leben nämlich zu kurz ist, um es als Hausfrau und Mutter an der Seite eines Langweilers zu verplempern. Normalerweise braucht sie länger für diese Erkenntnis, aber Ausnahmen bestätigen eben die Regel. Leider bin ich sehr müde.
Ich öffne und sage dabei: «Wir werden heute keinen Sex haben, nur damit das klar ist.»
Vor mir steht ein Mann in einer feuerroten Livree.
«Da bin ich aber froh», sagt er und reicht mir einen Umschlag. «Eine Nachricht für Sie.»
«Entschuldigung. Ich dachte, sie wären jemand anders», erkläre ich und nehme den Brief an mich.
«… die Dame, die mich freundlicherweise reingelassen hat», rät er.
Ich nicke geistesabwesend und frage mich, wer mir mitten in der Nacht Briefe durch livrierte Boten zukommen lässt.
Er scheint meine Frage zu erraten. «Der Herr ist Gast unseres Hotels. Er hat mich gebeten, auf Ihre Antwort zu warten.»
Ich öffne den Umschlag und finde eine handgeschriebene Karte:
Lieber Dr. Jakobi,
es wäre mir eine große Freude, Sie morgen zum Frühstück im Ritz-Carlton begrüßen zu dürfen. Ich möchte Ihnen einen wichtigen Vorschlag unterbreiten. Sagen wir so gegen neun?
Es grüßt Sie herzlichst
Anton Auerbach.
Der Hotelportier wartet geduldig auf meine Antwort.
Langsam bin ich dann doch neugierig, wer dieser Mann ist, der so hartnäckig ein Gespräch mit mir einfordert. «Sagen Sie Herrn Auerbach bitte, dass ich da sein werde.»
Das Grandezza kommt mir im Rückblick vergleichsweise mickrig vor, als ich das Ritz-Carlton betrete. Ich schwebe auf einem schweren Teppich in eine prunkvolle Lobby aus Marmor und Blattgold. Zuvorkommend begrüßt mich der Portier, dessen Bekanntschaft ich letzte Nacht gemacht habe. In der menschenleeren Tea Lounge erwartet mich ein kleines, aber feines Frühstück. Zwei duftende Croissants, etwas Lachs und ein gekochtes Ei, dazu ein doppelter Espresso mit einem Schuss Milch. Ich bin erstaunt, denn ohne mich zu kennen, hat mein Gastgeber exakt meinen Geschmack getroffen.
«Herr Auerbach hat mich gebeten, Ihnen auszurichten, dass er auf dem Weg ist», erklärt der Portier. «Ich wünsche einen guten Appetit.»
«Danke.» Ich setze mich. Kaum ist der Portier verschwunden, da sind erneut Schritte auf der Treppe zu hören, und mein geheimnisvoller Gastgeber erscheint.
«Ich bin wirklich sehr froh, dass Sie es einrichten konnten, Dr. Jakobi.»
Anton Auerbach ist ein Endvierziger mit schütterem Haar, einem leichten Silberblick und einem Lächeln, das breiter zu sein scheint als sein Gesicht. Er trägt einen dunkelgrauen Anzug, darunter ein blütenweißes Hemd. Ich tippe auf Maßkonfektion, denn auch seine Lederschuhe sehen aus, als könnte man sie selbst in gebrauchtem Zustand problemlos gegen eine Pulle Margaux im Grandezza eintauschen.
Er setzt sich, stellt dabei seine mitgebrachte Tasse Kaffee auf den Tisch und sieht, dass ich das Frühstück noch nicht angerührt habe. «Aber bitte, greifen Sie doch zu.»
«Gern, aber möchten Sie mir nicht Gesellschaft leisten?», frage ich.
Er hebt abwehrend die Hände. «Vielen Dank, aber ich habe ein kleines Problem mit der Galle. Mein Frühstück besteht aus ein wenig Obst und Kaffee. Während Sie essen, kann ich Ihnen erzählen, warum wir hier sind.»
«Gute Idee», sage ich und nehme mir ein Croissant.
«Vorab hätte ich aber noch ein, zwei kurze Fragen.»
«Bitte. Fragen Sie.»
«Glauben Sie eigentlich an Gott, Dr. Jakobi?»
Seltsam. Ich scheine gerade verstärkt Leuten zu begegnen, die sich für meine spirituelle Orientierung interessieren. Gestern Abend hat Moosmann mich gefragt, ob ich an den Teufel glaube. Heute Morgen soll ich schon vor dem Frühstück sagen, wie ich zu Gott stehe.
«Ja, aber nicht im Sinne einer Konfession», antworte ich.
«Ha! Hab ich es doch gewusst», freut sich Auerbach.
«Was soll das heißen, gewusst?»
«Ich habe da so meine Quellen», erklärt er.
«Spionieren Sie mir etwa nach?»
Er zeigt mir ein extrabreites Raubtierlächeln. «Spionieren ist zu viel gesagt. Ich gebe zu, ich habe ein paar Erkundigungen über Sie eingezogen. Aber das mache ich bei jedem potenziellen Geschäftspartner so. Reine Routine.»
«Und da interessiert Sie mein Glaube? Was hat der denn mit diesem Treffen zu tun?»
«Haben Sie bitte noch ein wenig Geduld, Dr. Jakobi. Ich werde Ihnen gleich alles erklären. Sagen Sie mir zuvor nur noch, ob Ihr Glaube mit einer schicksalhaften Begegnung zusammenhängt. Einer Begegnung vor ungefähr …» In seinen Augen ist ein Blitzen zu sehen. «… drei Jahren.»
Ich will gerade in mein Croissant beißen, halte jedoch erstaunt inne.
«Danke. Ihre Reaktion ist mir Antwort genug», sagt Auerbach. «Abel Baumann hat Sie also …», er malt mit den Fingern Gänsefüßchen in die Luft, «… bekehrt.»
Ohne hineingebissen zu haben, lege ich das Croissant wieder auf den Teller. Jetzt bin ich nicht nur erstaunt, sondern baff.
Abel Baumann war mein Patient. Vor etwa drei Jahren kam er bei einem tragischen Unfall ums Leben. Baumann litt unter der Wahnvorstellung, nicht nur irgendein Auserwählter zu sein, sondern Gott höchstpersönlich. Und als solcher bat er mich, ihn zu therapieren. Gott befinde sich nämlich in einer schweren Krise und verliere zunehmend an Kraft und Einfluss, erzählte Baumann mir damals. Leider nahm unsere Therapie durch Baumanns Tod ein jähes Ende. Was ich noch nie jemandem erzählt habe, ist, dass Baumann Dinge gesagt und getan hat, die mich zeitweise an seine Geschichte glauben ließen. Insgeheim frage ich mich sogar manchmal, ob ich vor drei Jahren nicht tatsächlich auf irgendeine Weise Gott begegnet bin. Sicher ist, dass Abel Baumann mich und meinen Blick auf die Dinge verändert hat. Durch ihn ist mir ein tiefes Gefühl der Spiritualität gegeben worden. Und ich habe jetzt eine Ahnung von jener unsichtbaren Welt, deren Existenz man manchmal zu spüren glaubt wie einen plötzlichen Lufthauch. Das hat mir geholfen, eine Lebenskrise zu überwinden. Wäre Baumann nicht gewesen, würde ich wohl jetzt nicht mehr als Psychotherapeut arbeiten. Wer weiß, ob ich überhaupt arbeiten würde.
Aber all das kann Anton Auerbach nicht wissen. Mir ist unbehaglich zumute.
Auerbach registriert das. «Sie fragen sich, warum ich so gut im Bilde bin, nicht wahr?»
«Allerdings. Verraten Sie es mir?»
Auerbach nickt. «Auch ich kenne Abel Baumann.» Wieder das Raubtierlächeln. «Oder sagen wir besser: Ich kenne den, der sich als Abel Baumann ausgegeben hat.»
«Mir hat er gesagt, dass er Gott ist.»
«Ja. Eben.»
«Was soll das heißen? Sie kannten Abel Baumann zwar nicht, stattdessen kennen Sie aber … Gott?»
«Na ja. Kennen ist zu viel gesagt», erwidert Auerbach. «Wir haben uns seit einer Ewigkeit nicht gesehen. Ich könnte Ihnen jetzt nicht sagen, wo Gott gerade steckt und was er so treibt, falls Sie das meinen.»
Ich greife nach meiner Espressotasse, führe sie bedächtig zum Mund und nehme einen winzigen Schluck. Dann noch einen. Und dann noch einen. Es ist ein Ritual, um Zeit zu gewinnen. Immer wenn ich in Gesprächen eine Denkpause brauche, trinke ich ein paar winzige Schlückchen Kaffee in Zeitlupe.
«Sie wirken erstaunt», stellt Auerbach fest. «Sogar ein bisschen … verunsichert»
«Ist das ein Wunder?», frage ich.
«Eigentlich schon. Für jemanden, der an den Allmächtigen glaubt, dürfte es keine Überraschung sein, dass ein anderer ebenfalls von Gottes Existenz überzeugt ist.»
«Viele Menschen glauben an Gott. Aber die wenigsten behaupten, dass sie mit ihm per Du sind», wende ich ein.
«Wenn ich richtigliege, dann sind Sie sich nicht sicher, dass Abel Baumann nur ein Wahnsinniger war. In stillen Momenten denken Sie, dass Sie damals vielleicht einen kurzen Blick in Gottes Antlitz erhascht haben.» Auerbach nimmt einen Schluck Kaffee und zeigt mir die Zähne. «Ist es nicht so, Dr. Jakobi?»
Ich mustere mein Gegenüber. «Okay. Ich denke, es ist an der Zeit, dass ich Ihnen mal ein paar Fragen stelle. Meine erste lautet: Wer, zum Teufel, sind Sie eigentlich?»
Auerbach lacht lauthals. «Gute Frage! Sehr gute Frage! Sagen wir, ich bin ein Unterhändler. Ich komme, um Ihnen ein Angebot zu machen. Und ich dachte, es wäre für uns einfacher, in die Verhandlungen einzusteigen, wenn wir uns darüber einig sind, dass es einen Gott gibt.»
Wieder mal stehe ich auf der Leitung. «Weil?»
«Weil dann meistens auch über die Existenz des Teufels Einigkeit herrscht. Die Menschen lieben es, in Dualismen zu denken: Gott und Teufel, Gut und Böse, Himmel und Hölle, schwarz und weiß. Aber als Psychologe wissen Sie das ja selbst.»
Er sieht mir offenbar an, dass ich immer noch nicht verstehe, wovon er spricht, denn erklärend fügt er hinzu: «Wenn ich meinen ungläubigen Klienten sage, dass der Teufel mich schickt, dann führt das fast immer zu Nachfragen und langen Erklärungen. Menschen hingegen, die an Gott glauben, sind meistens auch von der Existenz des Teufels überzeugt. Ich denke, für die meisten von Gottes Schäfchen gehört er einfach dazu.»
Ich versuche zu verarbeiten, was mein Gastgeber gerade gesagt hat.
«Sie … schickt also der Teufel?», fasse ich perplex zusammen.
Auerbach nickt freundlich und zupft sein blütenweißes Hemd zurecht. «Richtig. Und ich bin autorisiert, Ihnen ein Angebot zu machen, das Ihre kühnsten Erwartungen übertreffen wird.»
«Ein Angebot», wiederhole ich tonlos.
«Ja. Wie Sie manchen Volkssagen, Theaterstücken, Büchern, Filmen oder Redewendungen entnehmen können, ist der Teufel meistens hinter der armen Seele her. Und diesmal geht es dem Höllenfürsten um Ihre arme Seele, Dr. Jakobi.»
Ich frage mich, ob Anton Auerbach und Abel Baumann sich vielleicht doch gekannt haben. Das würde nicht nur erklären, warum mein Gegenüber so gut informiert ist, es könnte auch auf eine gemeinsame psychotische Störung von Baumann und Auerbach hinweisen. In diesem Fall hätte einer der beiden das wahnhafte Weltbild des anderen übernommen. So etwas kann bei bestimmten psychologischen Gemengelagen durchaus vorkommen.
Um Licht ins Dunkel zu bringen, bleibt mir wohl nichts anderes übrig, als Auerbachs Spielchen mitzuspielen.
«Okay. Dann legen Sie mal los!», sage ich und präsentiere dem vermeintlichen Unterhändler des Teufels das breiteste Lächeln, das ich zustande bringe. «Was hat Ihr Boss mir denn anzubieten?» Mit Appetit beiße ich in mein Lachscroissant.
Auerbach lehnt sich in seinem Sessel zurück und bedeutet mir mit geöffneten Armen, dass ich ihm einfach sagen soll, was er für meine Seele hinblättern muss.
«Warum sind Sie eigentlich ausgerechnet an meiner Seele interessiert?», will ich wissen. «Ich glaube, da gibt es wesentlich attraktivere Exemplare.»
«Ganz einfach. Sie haben Gott getroffen. Und offensichtlich mochte er sie. Also wird es ihn ärgern, wenn Sie Ihre Seele an die Hölle verkaufen.»
«Wie? Das ist schon alles?», frage ich ungläubig. «Sie wollen Gott lediglich … ärgern?»
«Ja. Das ist alles», bestätigt Auerbach. «Der Teufel betreibt die Politik der kleinen Nadelstiche. Wenn Gott sich ärgert, dann ist die Weltherrschaft des Bösen wieder einen kleinen Schritt näher gerückt.»
«Ich habe mal gehört, dass jemand seine Seele bei eBay versteigert hat», sage ich. «Waren Sie da auch zur Stelle?»
«Allerdings. Der Kerl hat die ganze Sache nur als Witz gemeint», erklärt Auerbach. Lächelnd fügt er hinzu: «Inzwischen ist seine Seele übrigens vertragsgemäß bei uns eingegangen. Und ich bin sicher, er findet die Idee jetzt überhaupt nicht mehr witzig.»
«Wie viel haben Sie ihm bezahlt?»
«Ich glaube, so um die vierhundert Euro.»
«Oh. Das fände ich für meine Seele aber ein bisschen wenig», sage ich.
«Das verstehe ich. Wollen wir die Summe einfach verzehnfachen? Oder besser gleich verhundertfachen?», lockt Auerbach.
«Verhundertfachen? Das wären dann …» Ich war noch nie gut im Kopfrechnen.
«Vierzigtausend», springt Auerbach mir bei.
«Oh. Das ist eine hübsche Summe Geld», sage ich. «Aber was würden Sie sagen, wenn ich auch die noch einmal verzehnfachen würde?»
«Sie wollen vierhunderttausend Euro?» Auerbach nickt. «Okay. Einverstanden.»
Ich bin erstaunt. Und ein bisschen amüsiert. «Ziemlich viel Kohle.»
Wieder nickt Auerbach. «Das sehe ich auch so. Heißt das, wir sind im Geschäft?»
«Ich weiß nicht so recht», sage ich und tue, als würde ich mit mir hadern. «Wenn ich vierhunderttausend bekommen kann, dann wären Sie vielleicht auch damit einverstanden, mir … sagen wir mal … eine Million zu zahlen.»
Auerbach zögert keine Sekunde. «Sie haben recht. Auch damit bin ich einverstanden.»
Ich stutze. «Sie wollen mir eine Million Euro für meine Seele überweisen?»
«Ja. Warum nicht?»
«Ähm. Weil das absurd ist?»
«Warum denn das? Der Markt regelt den Preis. Wir wollen Ihre Seele, Sie bekommen dafür ein kleines Vermögen. Das ist doch fair.»
«So wie ich das sehe, gibt es keinen Mitbewerber. Also gibt es auch keinen Markt. Der Preis ist also völlig aus der Luft gegriffen.»
Auerbach muss grinsen. «Sie sind ganz schön spitzfindig. Haben Sie keine Angst, dass ich mein Angebot zurückziehen könnte? Wie Sie wissen, gibt es Leute, die ihre Seele für ein paar hundert Euro verkaufen. Vielleicht glaube ich, dass Sie bei vierhunderttausend einschlagen werden, wenn ich Sie noch ein bisschen schmoren lasse.»
Ich lehne mich zurück und beschließe, Auerbachs Verhandlungsgrenzen auszuloten. Mal sehen, wann er aussteigt. «Und Sie? Haben Sie keine Angst, dass ich den Preis noch weiter in die Höhe treiben könnte?»
Er lacht. «Nur zu! Tun Sie das! Wie viel wollen Sie? Zwei Millionen? Fünf Millionen? Acht Millionen?»
Während er selbst sein Angebot nach oben treibt, mustert er mich aufmerksam. «Zehn Millionen?» Wieder das Blitzen in seinen Augen. «Oh! Ich glaube, ich habe da gerade ein leichtes Zucken in Ihrem Mundwinkel gesehen. Zehn Millionen also.» Er denkt kurz nach. «Gut. Sagen wir, zehn Millionen.»
Ich muss lachen. Auerbach lacht mit.
«Was ist?», fragt er lachend. «Sind Sie dabei?»
«Nein!», lache ich.
«Wie viel wollen Sie dann?», fragt er, immer noch lachend.
Abrupt mache ich ein ernstes Gesicht. «Hundert Millionen.»
Sein Lachen erstirbt ebenfalls. Er pfeift anerkennend. «Wow. Hundert Millionen. Das ist jetzt aber mal richtig viel Kohle.»
«Ich weiß. Aber es ist mein Preis. Ich will hundert Millionen Euro für meine Seele.»
«Und dann wären wir im Geschäft?», fragt er lauernd.
«Dann wären wir im Geschäft.»
Auerbach zögert nur einen Moment, dann hebt er fröhlich seine Kaffeetasse und prostet mir zu. «Also abgemacht. Hundert Millionen Euro. Ich setze den Vertrag auf. Sobald Sie unterschrieben haben, können Sie über das Geld verfügen. Wenn Sie möchten, dann gebe ich Ihnen bei der Unterzeichnung eine Million in bar, damit Sie flüssig sind, während die anderen neunundneunzig Millionen auf Ihr Konto geschaufelt werden.»
Er leert seinen Kaffee in einem Zug, erhebt sich und reicht mir die Hand. «Es hat mich gefreut, mit Ihnen Geschäfte zu machen, Dr. Jakobi.»
Ich muss zugeben, dass Auerbachs Vorstellung mich schwer beeindruckt. Man könnte nicht nur glauben, dass er tatsächlich als erfolgreicher Seelenhändler tätig ist, sondern darüber hinaus auch täglich Millionen verschiebt. Vielleicht hat er mit den hundert Millionen ein bisschen übertrieben, aber insgesamt überzeugt mich die Inszenierung unseres Treffens. Wobei ich nicht einmal darauf wetten würde, dass Auerbach wirklich Gast dieses Hotels ist. Wenn er den Portier mit fünfzig Mäusen bestochen hat, dann kostet ihn die Vorstellung hier keine hundert Euro. Abel Baumann war ebenfalls ein Meister solch geschickter und überzeugender Inszenierungen.
Auch das spricht für meinen Verdacht, dass die beiden sich gekannt haben könnten.
«Einen Moment», sage ich und bedeute Auerbach mit einer einladenden Handbewegung, sich wieder zu setzen.
Zögernd lässt er sich zurück in den Sessel gleiten.
«Ehrlich gesagt, hatte ich nie vor, Ihnen meine Seele zu verkaufen», sage ich. «Ich wollte nur wissen, wie weit Sie gehen.»
Enttäuscht verzieht er das Gesicht. Er tut mir jetzt ein bisschen leid. Das ändert sich aber schlagartig, weil ich sehe, dass sich seine Enttäuschung in einen Hauch von Hinterlist verwandelt.
«Eigentlich haben wir beide ja gerade einen wirksamen mündlichen Vertrag geschlossen», sagt er mit drohendem Unterton.
«Ach ja?» Ich lächele entspannt. «Verklagen Sie mich einfach auf Vertragserfüllung.»
Er winkt ab, als würde ihm eine solche Unhöflichkeit nie in den Sinn kommen.
«Schade», sagt er. «Wirklich schade. Aber ich hatte das schon befürchtet. Es hätte mich gewundert, wenn die Verhandlungen mit Ihnen so leicht gewesen wären.»
«Warum?»
«Weil er sich meistens Leute aussucht, die man nicht so leicht verführen kann.»
«Sie meinen … Gott?»
Auerbach nickt geistesabwesend. «Nur mal so aus Interesse: Sie machen sich überhaupt nichts aus Geld, oder?»
«Das stimmt», antworte ich. «Aber auch nur mal so aus Interesse: Verfügt die Hölle eigentlich über unerschöpfliche finanzielle Mittel? Ich meine, wo holen Sie all die Milliarden her, wenn Sie schon beim Frühstück hundert Millionen Euro verballern?»
«Ach. Es ist doch nur Geld», erwidert Auerbach lässig. «Und diese Welt ist voll davon. Aber um Ihre Frage zu beantworten: Selbstverständlich verfügt die Hölle über unerschöpfliche finanzielle Mittel. Wenn sogar Pleitebanken sich ständig frisches Kapital besorgen können, dann kann das auch der Teufel. Außerdem haben wir die größere Erfahrung als Lügner und Betrüger.
«Heißt das, ich hätte auch eine Milliarde verlangen können?»
«Was wollen Sie denn mit einer Milliarde?», fragt Auerbach. «Selbst wenn Sie eine Milliarde richtig mies anlegen, müssten Sie jeden Tag hunderttausend Euro Zinsen unter die Leute bringen. Das ist anstrengend. So viel Geld braucht kein Mensch.»
«Wer weiß?», sage ich. «Vielleicht will ich mir ja was beiseitelegen.»
Auerbach muss grinsen. Im nächsten Moment wird sein Gesicht jedoch wieder ernst. «Sie glauben mir nicht, dass der Teufel mich schickt», stellt er fest. «Und Sie glauben auch nicht, dass ich hundert Millionen Euro besorgen kann, um meinen Teil des Vertrags zu erfüllen. Richtig?»
Ich ziehe eine Visitenkarte aus der Tasche und schiebe sie über den Tisch. «Ich glaube Ihnen, dass Sie zutiefst von alldem überzeugt sind, was Sie mir heute erzählt haben. Inwiefern es der Realität entspricht, darüber können wir uns gerne unterhalten. Ich lade Sie ein, zu mir in die Praxis zu kommen.»
Er lächelt schmal. «Sie wollen mich … therapieren?»