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Da ist ein Haus. Darin wohnen Menschen, die nicht schlafen können. Das Haus steht in einer Straße, durch die man eilig fährt, in der man aber lieber nicht verweilen will. Es ist ein Haus in unserer Nachbarschaft. Darin finden wir unsere Mütter, unsere Schwestern, unsere Kinder, einen Spiegel unserer Gesellschaft, ein Bild unserer tiefsten Nacht - und alte Lieder einer ewigen Sehnsucht. Nachtgeschichten, Abend- und Wiegenlieder im Frauenhaus
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Seitenzahl: 61
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Dieses Nachtstück dokumentiert mit Mitteln der Kunst das Leben in Frauenhäusern. Es enthält Texte über verbale, seelische und körperliche Gewalt, Not und Leid. Wenn Sie Sorgen haben, suchen Sie Rat und professionelle Hilfe.
Alle Inhalte wurden verfremdet und anonymisiert. Eine Ähnlichkeit zu realen Personen wäre rein zufällig und nicht beabsichtigt.
WIEGENLIEDER IM FRAUENHAUS
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DER SCHLAF
Vor einigen Jahren war ich zum ersten Mal in einem Frauenhaus. Als Mann ist das ein eher seltenes Privileg – und ein durchaus zweifelhaftes. Der Zweifel gilt nicht der Notwendigkeit dieser Häuser und schon gar nicht den Frauen, sondern dem Zustand von Beziehungen. Wie kann es sein, dass Menschen sich zum Schutz vor häuslicher Gewalt in ein Gebäude flüchten müssen, das es offiziell nicht gibt?
Die Adressen von Frauenhäusern bleiben zur Sicherheit der Bewohnerinnen anonym. Der Begriff »Bewohnerinnen« ist übrigens in diesem Zusammenhang falsch. Die Frauen, die hier Aufnahme finden, erhalten für die begrenzte Zeit ihres Aufenthalts keinen Mietvertrag, wie sie ihn für eine »feste« Wohnung bekämen. Man wohnt hier nicht; man ist an diesem Ort, ohne dort sein oder bleiben zu wollen. Es geht um das Überleben. Formal gesehen sind diese Frauen wohnungslos. Sie sind zu Gast in einem Safe Space.
Was viele Menschen nicht bedenken: Im Frauenhaus leben auch Kinder. Jungs ab 14 können in einigen Häusern aus Prinzip nicht aufgenommen werden. Weil Gewalt meistens männlich ist, ertragen manche Frauen, die Gewalt erfahren haben, Männer in ihrer Umgebung nicht: weder ihr Aussehen, den Klang ihrer Stimme, ihren Geruch, ihre Bewegungen, noch ihre Neigung zu Aggression, Brutalität und Paschaverhalten oder ihre Nachbarschaft. Das kann zu großen Problemen führen: Wohin mit pubertierenden Jungs? Jedenfalls war das zu der Zeit, in der ich, damals ein Mann über 40 Jahren, zum ersten Mal im Frauenhaus war, eine Herausforderung. Männer sind nicht erwünscht. Männlichkeit ist toxisch.
Wenn Handwerker ins Haus kommen mussten, – in einem Haus, das so intensiv genutzt wird, ist der Reparaturbedarf groß – herrschte Aufregung unter den Bewohnerinnen. Mann ist gleich Gefahr. »Männer reparieren nicht, sie machen kaputt«, so schrien die verletzten Seelen auf.
Als Mann im Frauenhaus fühlte ich mich unter Verdacht. Ich empfand die Scham, die den Schlägern fehlte, als sie ihre Opfer hierher prügelten, ihre Würde besudelten.
Als Schwuler ahne ich die Gefahren, die von Jungs und Männern ausgehen können. Ich kenne sie sogar: die Demütigungen, die manche Männer sich erlauben, um ihre vermeintliche Dominanz zu sichern.
Ich kam nicht als Opfer ins Haus, sondern weil ich als Öffentlichkeitsarbeiter jenes Wohlfahrtsverbands, der die Einrichtung betrieb, angestellt war. Zu meinen Aufgaben gehörte es, mit Texten nach außen zu tragen, was Frauenhäuser leisten, wie die Menschen darin leben, was sie in das Haus getrieben hat. Um davon erzählen zu können, wollte ich das Frauenhaus kennenlernen.
Das Gebäude stand in einer Durchfahrtsstraße, in der man nicht parken konnte. Verkehr donnerte über den Asphalt. Fußgänger sah man kaum. Hier spazierte man nicht herum. Hier geht es nicht um Schönheit und Gemütlichkeit. Es geht um das nackte Überleben.
Manchmal haben die Frauen, die in vielen Fällen akut von der Polizei vermittelt werden, keine eigene Kleidung dabei. Man packt nicht, wenn man sich auf die Flucht begibt. Man rennt. Also erhalten diese Frauen Spenden. Hier sucht man sich die Dinge des Lebens nicht aus. Die Umstände sortieren sich und teilen das Nötigste zu. Man hat keine andere Wahl.
Frauenhäuser, so wie ich sie kennenlernte, führen ein Schattendasein. Während Hospize, Obdachlosentreffs oder Altenheime auf ehrenamtliche Helferinnen und Helfer zählen können, sind fremde Menschen im Frauenhaus meistens nicht willkommen. Sie würden zu viel Wissen mit hinausnehmen und vielleicht ohne böse Absicht die Anschrift verraten. Dann Gnade Gott den Bewohnerinnen und auch den Frauen, die dort arbeiten. Immer wieder sind auch Männer in diesem Bereich tätig. Und das ist aus meiner Sicht gut so. Es gibt keine Welt ohne Männer. Es braucht positive Erfahrungen, die durch Sozialarbeiter in Frauenhäusern vermittelt werden können. Männliche Role-Models sind für die Kinder im Haus aus meiner Sicht bedeutsam und heilsam.
Manche Frauen und Kinder kommen aus Regionen, die hunderte Kilometer entfernt liegen. Um sie zu schützen, müssen sie rasch Abstand gewinnen, eilig die Stadt wechseln. Weit weg. Das ist durchaus eine Belastung für diese Frauen, denn plötzlich ist nicht einmal mehr der Supermarkt vertraut. Aber hätte der Mensch, dessentwegen sie die Stadt verlassen mussten, den Aufenthaltsort der Frauen ausgemacht, wäre ihr Leben in Gefahr gewesen. Manchmal sind Familienbanden hinter den flüchtenden Frauen her. Nicht immer sind es Männer, die Gewalt ausüben. Es können ganze Clans und kranke, weit verwurzelte Verwandtschaftsbeziehungen dahinterstecken. Auch Frauen können Täter sein. Täterinnen.
Weil es für viele Frauen, die zu Gewaltopfern gemacht wurden, oft um blanke Not geht, ist manche Zumutung hinzunehmen. Und nichts anderes erleben Frauen, die sich vor Gewalt in Sicherheit bringen müssen: Zumutungen. Mut braucht es ebenso wie Durchhaltevermögen.
Viele Frauen warten, bis es gar nicht mehr anders geht, ehe sie die Polizei verständigen, zum Hörer greifen, eine Beratungsstelle anwählen, oder direkt losrennen und sich verstecken. Manche obdachlose Frau bevorzugt den staubigen Asphalt, anstatt sich in eine Hilfseinrichtung zu begeben. Im Frauenhaus will man gegen den sozialen Abstieg ankämpfen. Meist mit Erfolg. Viele Frauen haben Verletzungen erlitten: sichtbare wie unsichtbare. Große Hämatome, blaue Arme, ein violetter Oberschenkel, psychische Deformation, offene Wunden, ausgeschlagene Zähne, ein kaputter Rücken, ein gebrochenes Rückgrat, Ekel, Scham, Trauer, Angst, Depression, Todeswünsche.
Aber vor allem spüren diese Frauen den gesunden Drang nach einem besseren Leben und einem Alltag ohne Gewalt.
Das Haus, das ich zuerst besuchte, hatte 15 Schlafplätze. Ein Notzimmer hielt man vorsorglich für Akutfälle frei. Das heißt nicht, dass jede Frau ein eigenes Zimmer erhalten konnte. Das villenhafte Gebäude hatte sichtlich zu viel erlebt, bewahrte sich aber Charme und Würde einer mondänen, alten Dame.
Manche Räume waren notdürftig mit gestrichenen Spanplatten oder tapezierten Rigipsplatten abgetrennt. Hochbetten stapelte man übereinander, damit sich Frauen mit Kindern eine Art Kammer teilen konnten. Geballtes Schicksal im dreidimensionalen Raum.
Das bekam den alten Zimmern, die für solche engen Einteilungen nicht gebaut wurden, nicht besonders gut.
Wie fühlten sich die Frauen darin? Wer weinte, wurde von den anderen gehört. Also weinte man besser nicht oder nur leise. Aber die Gefahr für Leib und Leben ist hier gebannt. Und das zählt. Die Nummer der Polizei belegt auf dem Diensttelefon die Kurzwahltaste 1.
Im Frauenhaus hört man alle möglichen Sprachen. Liebe spricht angeblich alle Sprachen – Gewalt auch; sie spricht Deutsch, Türkisch, Twi, Arabisch, Englisch, Französisch, Mandarin, Hindi, Polnisch, Russisch, Hessisch, Sächsisch – Häusliche Gewalt beherrscht alles; und immer will sie stumm machen. Die Hand spricht immer lauter als der Mund.
Gewalt ist von Familienkultur, Gesellschaft und Herkunft beeinflusst; davon, wie Frauen von klein auf behandelt werden und wie sie bereit sind, sich behandeln zu lassen. Es liegt auch in ihrer Verantwortung, sich zu befreien. Das zu erahnen, verursacht große Angst und lässt manche Frau qualvoll lange in der häuslichen Bedrängnis verharren.