Unebene Wege - Christiane Schlenzig - E-Book

Unebene Wege E-Book

Christiane Schlenzig

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Beschreibung

Christoph hat von seiner Frau erfahren, dass er Vater werden wird. Eine Narbe, die verheilt geglaubt, bricht wieder in ihm auf, seine verzweifelte Suche nach dem Vater. Vergangenheit und Zukunft treffen aufeinander. Schließlich bringen die Aufzeichnungen der Mutter aus den Jahren 1987 bis 1989 eine bittere Wahrheit ans Licht. Eine Geschichte über Kindheit und Erwachsenwerden und die Sehnsucht nach einer harmonischen Familie.

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Seitenzahl: 132

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Um den Kopf frei zu bekommen, joggt Christoph durch den Park, Gerade hat er von seiner Frau erfahren, dass er Vater werden wird. Eine Narbe, die verheilt geglaubt, bricht wieder in ihm auf. Vergangenheit und Zukunft treffen aufeinander. Schließlich bringen die Aufzeichnungen der Mutter aus den Jahren 1987 bis 1989 eine bittere Wahrheit ans Licht. Eine Geschichte über Kindheit und Erwachsenwerden und die verzweifelte Suche nach dem Vater.

Über die Autorin:

Christiane Schlenzig, schreibt Prosa, Autobiografisches und Fiktives. Sie ist Mitglied im Berufsverband junger Autoren Bisherige Veröffentlichungen in Anthologien, u.a. in: „Mauerstücke – Erinnerungsgeschichten“, sowie im Menschenrechte-Lesebuch Amnesty International „Wer die Wahrheit spricht ...“ bei Edition Roesner, 2012 Debütroman: „Flügel zitternd im Wind“, 2014 Familienroman: „Zeit zwischen Nacht und Tag“, 2016 Erzählungen: „Kraniche im Ruderflug“, 2017 Gesellschaftsroman: „Wenn jede Stunde zählt“, 2019 überarbeitete Auflage des Roman: „Zeit zwischen Nacht und Tag“, Regionalroman „Bunter Stoff“ 2021, „Reisen, um zurückzukehren“, Roman in neun Geschichten 2024.

Inhaltsverzeichnis

Kapitel I

Kapitel II

Kapitel III

Kapitel IV

Kapitel V

Kapitel VI

Kapitel VII

Kapitel VIII

Prolog

Kapitel I

Kapitel II

Kapitel III

Kapitel IV

Kapitel V

Kapitel VI

Kapitel VII

Kapitel VIII

Kapitel IX

Kapitel X

Kapitel XI

I

»Beeil dich! Check-out war bereits vor einer Stunde«, sie rollt mit ihrem Koffer an ihm vorbei, als er aus dem Bad kommt. Er packt eilig seine Reisetasche, fünf Minuten später ist auch er an der Rezeption des Hotels. Dort wedelt Anke mit einem bunten Blatt Papier, lacht und liest ihm laut vor: »Bei Ballon-Tours können Sie ein Super-Sommer-Sonnen-Ticket für zwei nette Menschen erwerben.« Christoph schaut in ihre frohlockenden Augen, sieht auf dem Flyer einen Ballon am blauen wolkenlosen Himmel.

»Zwei nette Menschen«, sie schaut ihn an: »Sind wir doch, oder?«

Gedanklich ist er noch unter der Bettdecke im Hotelzimmer und denkt: Ich war gerade im Himmel. Seine Nasenflügel hatten gezittert, als er versuchte, Ankes verführerischen Duft zu erschnuppern. Sie hatte sich zusammengerollt, die Knie am Körper. Ihre Haare auf der Bettdecke, zwei hellblonde Flüsse. Er hatte mit seinen Lippen ihr Gesicht ertastet, den Hals, die Ohrläppchen. Alles an ihr war samtig, weich, anschmiegsam. Jetzt steht sie vor ihm, frisch geschminkt, die Haare zu einem Pferdeschwanz zusammengezurrt, wedelt mit dem Flyer durch die Luft und strahlt. Ihr ganzer Körper strahlt, als sie sagt: »Eine Ballonfahrt, das wäre doch was«, Worte wie Konfettiwirbel. »Unsere Hochzeitsreise in einem Ballon! Toll, oder …?« Ein langer Strom von Sätzen sprudelt aus ihr heraus.

Hochzeitsreise, denkt er. Er hat gerade erst angefangen, daran zu glauben, dass ihre Liebe dauerhaft sein könnte.

Bisher war seine Zukunft ein großes weißes Blatt, auf dem er versucht hatte, verschwommen ein paar Linien einzuzeichnen. Jetzt soll er mal eben so, ganz spontan auf diesem Blatt eine sehr bedeutsame Linie ziehen?

Hochzeit ..., puh. Christoph stellt den Koffer ab, kramt in seiner Umhängetasche nach der Visa Karte. Die Rechnung liegt schon auf dem Tresen.

Die Rezeptionistin schaut wartend. Er gönnt sich den Zeitaufschub, sucht bewusst langsam in allen Taschen. Beim Verlassen des Hotels wedelt Anke erneut mit der Ballonwerbung. Er holt tief Luft, als wolle er tauchen: »Na ja, warum nicht. Die einen machen monströse Hochzeitsfeste am Gardasee oder auf den Kanaren, wir feiern in einem Heißluftballon«, ungewollt schießen ihm die Worte aus dem Mund.

Seine unternehmungslustige Frau hat die Worte sofort eingefangen und ist gleich an einem der nächsten Tage mit ihm zum Reisebüro gefahren. »Fürs Ballonfliegen braucht man neben gutem Wetter passende Windverhältnisse und eine gute Thermik«, erklärt man ihnen. »Manchmal ist es, trotz scheinbar geeigneter Verhältnisse, über mehrere Wochen nicht möglich zu starten.«

Für Christoph beruhigende Worte. So kann er den Gedanken Standesamt und Hochzeit noch etwas vor sich herschieben. Anke lächelt die Dame am Computer an, unterschreibt den Vertrag und flüstert ihm zu:

»Dann werden es halt unsere Flitterwochen.«

»Tag…«, flüstert er zurück. »Oder willst du im Ballon übernachten?«

Das Wetter hat mitgespielt. In aller Frühe wird das Brautpaar in einem weißen Mercedes an den vereinbarten Ort gebracht. Die bunten Bänder flattern im Morgenwind. Etwas nachtmüde noch, lehnen beide Schulter an Schulter im weichen Polster des Wagens. Als das Auto vorfährt, ist der Pilot noch beim Aufbau des Ballons. Ein Korb und ein riesiger Stoffsack werden aus einem Jeep befördert. Christoph schaut jetzt hellwach zu Anke: »In diesen Korb sollen wir steigen? Gruselig.« Dann sieht er, wie der Pilot zwei kleine rote Luftballons in die Höhe schickt. Schnurgerade steigen sie auf und verschwinden bei zirka hundertfünfzig Metern in der Luft.

Der Fahrer erklärt: »Das ist ein Test für den Ballonpiloten. Jetzt weiß er, in welche Richtung er den Ballon samt Korb auf der Wiese ausrichten muss«, und zeigt lächelnd zum goldfarbenen Horizont: »Den Sonnenaufgang haben wir extra für Sie bestellt.« Ankes Augen leuchten:

»Die Musik auch?«, sie hat die Autoscheibe heruntergelassen und zeigt nach draußen. Man hört das Säuseln der Pappeln und ein erstes Vogelgezwitscher.

Das Paar zuckt zusammen, als sich lautstark ein Feuer entzündet. »Die Brennerprobe«, erklärt der Mercedesfahrer und verlässt mit seinem Beifahrer das Auto, er bedeutet dem Paar, noch sitzen zu bleiben. Der Pilot legt an Tempo zu, Gasflaschen werden in der Korbkabine verstaut, das Funkgerät und das GPS-Navigationsgerät befestigt.

Die drei Männer ziehen den Ballon auseinander. Am Brennerrahmen klacken Karabiner in die Halterungen – das Ende von Stahlseilen, die den Korb tragen. Dann winkt man dem Paar, auszusteigen, der Pilot kommt mit einer roten Rose, die er mit einem Lächeln aus dem Stoff des Ballons gezaubert hat, auf die Braut zu: »Ich bin Sebastian, der Pilot, und werde jetzt mit Ihnen in den blauen Morgenhimmel fahren.« Mit spitzbübischem Tonfall fügt er hinzu: »Na, im siebten Himmel waren Sie ja wohl schon.« Dann nimmt sein Gesicht einen konzentrierten Ausdruck an, und er erklärt:

»Zuerst muss kalte Luft in den Ballon. Wenn die Hülle mit fünfundachtzig Prozent Luft gefüllt ist, kommt warme Luft hinzu.«

Die knatternden Rotatoren werden abgeschaltet, zur Seite geschafft, und der Brenner gezündet. Wie durch Geisterhand richtet sich der Heißluftballon auf. Noch hindert ihn ein Stahlseil, das den Ballonkorb mit dem Jeep verbindet, am Davonschweben. Pilot Sebastian winkt, Christoph nimmt Ankes Hand und führt sie zum Korb. Sie steigen ein. Ein Klicken der Kamera, ein leichtes angespanntes Lächeln. Dann löst der Pilot die Schnellkupplung und sanft schwebt der Heißluftballon auf.

Das Abenteuer beginnt.

Ein Rascheln am Korb, als der Ballon über die Pappelkronen streicht. Sebastian dosiert mit einem Hebel über seinem Kopf das Gas. Man steigt in den Himmel auf, über das Blau des Stausees, über Wälder und Wiesen. Der Pilot meint, es seien seine schönsten Augenblicke, wenn er sich im Morgenlicht in den Himmel schwingen kann. Ankes Bluse flattert im Wind wie der Flügel eines Schwanes.

Sebastian scherzt viel, erzählt kleine Episoden aus seinem Pilotenleben. Zu Christoph gewandt, erklärt er fachmännisch:

»Durch das Aufsuchen verschiedener Höhen in denen oft die unterschiedlichsten Windrichtungen vorherrschen können, versuche ich auch die Fahrtrichtung zu beeinflussen.«

Er schaut nach oben, überprüft den Brenner. Plötzlich und unvermittelt ist der Pilot still, sein Lachen wie ausgeknipst.

Eine gewisse Gehetztheit bestimmt seine Gesichtszüge, seine Bewegungen.

Christoph fühlt wie Anke sich an ihn krallt: »Stimmt was nicht?«, flüstert sie.

Er legt den Arm um seine Braut, mit der linken Hand sucht er instinktiv in seiner Jackentasche nach dem Handy, wendet sich nach einigen Minuten an den Piloten:

»Ist alles okay?«

»Zwischen Himmel und Erde sollte man vielleicht einfach mal die Stille genießen«, sagt Sebastian mit belegter Stimme.

Der Ballon schwebt über Ortschaften, Seen, eingebettet in grüne Hügel, Felder im Schachbrettmuster. Von Horizont zu Horizont grün wie Jade ist das Land.

Als der Pilot wieder zu sprechen beginnt, hat seine Stimme einen schwermütigen Klang:

»Heute, genau an diesem Tag – das heißt, in der Nacht – vor neununddreißig Jahren sind meine Eltern mit einem selbstgebauten Heißluftballon aus dem damaligen Osten Deutschlands über die Grenze in den Westen gelangt. Es muss eine sehr aufregende Nacht gewesen sein.«

Sebastian erzählt, der Ballon habe die Grenze in zweieinhalbtausend Metern Höhe überquert und eine Strecke von zirka 18 km zurückgelegt. Den Ballon hätte sein Vater gelenkt. Ein gefährliches Unternehmen. Doch Wohlbehalten wären die vier Insassen mit ihren Kindern nach achtundzwanzig Minuten auf der anderen Seite Deutschlands gelandet. Am nächsten Tag hätte man in allen westlichen Medien von der spektakulären Flucht in den Westen berichtet. »Und …«, sein Lachen kehrt zurück, als er weiterredet, »meine Eltern waren ein junges Paar damals – wie Sie beide. Meine Mutter war mit mir schwanger, wie sie mir später erzählte. Ich habe – so könnte man sagen – den Hang zum Ballonfahren schon im Mutterleib aufgesogen. Auf jeden Fall bin ich durch meinen Vater zum Ballonfahren motiviert worden.«

Als sich unter ihm ein Rapsfeld wie ein Spannbettlaken ausbreitet, hat der Pilot seine Fröhlichkeit wiedererlangt, er lächelt verschmitzt und flüstert Christoph etwas zu, worauf dieser zustimmend mit dem Daumen nach oben zeigt.

Der Ballon senkt sich, fährt schwungvoll über das leuchtende Rapsfeld, beide Männer lachen und die Braut hat ein hellgelbes Kleid.

Hat sich der Ballonfahrer zu sehr auf die Braut konzentriert? Seinen Blick statt auf den Brenner auf ihrem Dekolleté ruhen lassen?

Gerade noch unter ihnen eine Seenlandschaft, ein Fluss, eine grüne Wiese, Wochenendhäuschen, plötzlich die Schlangenlinie einer Fahrstraße und der Ballon strandet unsanft am Straßenrand. Abrupt stoppt der Verkehr, Bremsspuren zeichnen sich auf dem Asphalt ab.

Zwischen hupenden Autos und einer Baustelle muss sich das Paar aus ihrem Luftschloss herausrappeln. Anke hält sich krampfhaft an Christophs Hemdkragen und Krawatte fest. Keine Sekunde scheint vergangen, da versammeln sich Schaulustige. Die beiden kommen sich vor wie hochrangige Politiker, die man vor den Blicken der Autofahrer schützen muss. Als hätte Ballon-Tours diesen Zwischenfall geplant, rollt binnen Kurzem das weißbeflaggte Auto des Unternehmens zur Notlandestelle. Der Fahrer hält die Autotüren auf, jongliert das Brautpaar schützend wie ein Bodygard, aus der Auto- und Menschenansammlung heraus und sorgt für ein ungehindertes Einsteigen in den Wagen.

Im Auto legt Christoph den Arm um seine Braut. Als er ihr über das zerzauste Haar streicht, ist alle Aufregung verschwunden und sein Herz macht einen kleinen Flügelschlag:

»Alles noch einmal gut gegangen. Ich hatte ein leichtes Grummeln im Bauch, als der Ballon in den Himmel schwebte. Doch als wir jetzt unsanft landeten, war ich irgendwie froh, wieder den Erdboden erreicht zu haben.«

Der Fahrer schaut zu ihm in den Rückspiegel: »Na, da haben Sie sich ja eine abenteuerliche Fahrt ausgesucht. Hoffen wir einmal, dass es weiterhin viel Glück bringt.«

Die Nachmittagssonne leuchtet. Am Horizont Federwolken, orangefarbene Flecken wie ausgegossener Wein.

Eine Woche später steht Christoph an der Küchentür der gemeinsamen Wohnung. Die Hände in den Hosentaschen, schaut er zu seiner jungen Frau. Anke sitzt am Küchentisch, er sieht die silbrigen Spitzen ihrer Pumps unter dem Tisch. Sie hält den Teepott mit beiden Händen umschlossen, schaut ihn mit großen Augen an. Sein Herz fliegt ihr zu, aber seine Worte bleiben ihm im Hals stecken, als er sie anschaut. Er hat den Eindruck, sie will ihm etwas Wichtiges mitteilen, sonst hätte sie ihn nicht gebeten, seinen Schreibtisch zu verlassen, um zu ihr in die Küche zu kommen. Sie trinkt einen Schluck, dann zieht sie die aufgeschlagene Zeitung zu sich heran und liest ihm laut vor: Ein Heißluftballon musste gestern wegen eines technischen Defektes am Brenner des Ballons auf der A13 Richtung Berlin notlanden. Bei dem Zwischenfall am Autobahndreieck Radeburg wurde niemand verletzt. Autofahrer konnten rechtzeitig bremsen. Beide Fahrbahnen mussten kurzzeitig gesperrt werden. Die Bergung und der Abtransport des Ballons verliefen reibungslos.

Sie zupft Strähnchen aus ihrem hochgesteckten Haar, dreht sie um die Finger: »Von einem Brautpaar steht hier nichts, das war doch aber unser Heißluftballon, oder?« Sie schaut zu ihm, und als sie die Zeitung zur Seite legt, scheint das Thema abgehakt. Ihre Augen nehmen einen anderen, ganz eigenartigen Glanz an. Ihre Stimme wird langsam und leicht: »Heute habe ich eine Überraschung für dich. Ich könnte dich raten lassen …« Sie blickt in ihren Tee, als habe sich dort des Rätsels Lösung versteckt. Er spürt eine plötzliche Hitze im Kopf, wie ein Glimmen, ein kleines sich entzündendes Feuer. Überraschungen hat er noch nie besonders gemocht. Anke malt mit ihren Fingern unsichtbare Figuren auf das Tischtuch, dann lehnt sie sich zurück, schaut ihn an: »Ich bin schwanger, zweiter Monat.«

Christoph spürt, wie das Blut aus seinem Gesicht weicht, wie der Unterkiefer nach unten kippt. »Ich wollte es dir erst nach der ärztlichen Untersuchung sagen, weil«, sie stockt. »Der Aufprall mit dem Ballon hatte keine ernstlichen Auswirkungen. Der Arzt sagte, es sei alles in Ordnung.« Christoph geht zum Küchenschrank, gießt sich ein Glas Whisky ein. »Was ist? Freust du dich nicht? Du schaust so ernst.« Er leert in einem Zug das Glas, stellt es auf dem Küchentisch ab. »Das geht mir alles zu schnell.« Ein schwerer Nebel legt sich auf seine Brust. Ein Kind? In ihm ist plötzlich eine Narbe, die verheilt geglaubt, wieder aufgeplatzt. Er spürt schmerzhaft eine Wunde. Es rauscht in seinem Kopf und brodelt in der Magengegend.

»Ich weiß«, sagt Anke mit weicher Stimme:

»Dein Phantomschmerz. Ach komm, freu dich! Du wirst ein guter Vater, da bin ich sicher. Und außerdem hast du noch sieben Monate Zeit, dich darauf vorzubereiten«, ein Lächeln, das in den Augenwinkeln beginnt und dann ihre Lippen erreicht.

Sie steht auf, stupst mit dem Zeigefinger auf seine Nasenspitze, lacht: »Wenn es ein Junge wird, dann wird er bestimmt einmal Pilot.«

Er kann jetzt unmöglich an seinen Schreibtisch zurückkehren, geht ins Schlafzimmer, holt seine Jogginghosen hervor, die Sneakers, schaut durch die offenstehende Küchentür. Anke sitzt immer noch vor dem Teepott und der Zeitung.

»Ich geh mal eine Runde joggen«, und verlässt die Wohnung.

Draußen empfängt ihn ein vorwurfsvoll strahlender Sonnenschein. Er läuft Richtung Stadtpark.

Die Sonne blendet. Es ist, als stünden seine Augen einen Moment lang in Flammen.

Sonntagsvormittagsstimmung.

Wer noch nicht seine Runden gelaufen ist, begegnet ihm jetzt. Sportlich junge Jogger. Werdende Väter?

Seine Gedanken laufen wirr durcheinander.

Er muss den Sandweg überqueren, um im Park auf seine Joggingstrecke zu kommen. Dunkler Sand, von Furchen gezeichnet.

Aufgewühlt von Fahrrädern und Kinderwagen, Sportschuhen, Kinderschuhen. Fußabdrücke.

Hundespuren. Diesen Weg gab es schon zu seiner Kinderzeit.

Er spürt die Sandkörner in den Schuhen.

Fußspuren im Sand.

II

Es begann im Zimmer seiner Mutter …

Die Mutter hatte Spätdienst im Krankenhaus, Christoph war allein in der Wohnung. Iris, die Nachbarin, hatte kurz nach ihm geschaut.

Sie wolle die Fernsehserie nicht verpassen, – ein Blick auf ihre Armbanduhr: »Bei dir alles okay? Hausaufgaben fertig? Deine Mutter hat angerufen, sie kommt in zirka einer Stunde«, dann war sie verschwunden.

Vom Fußballcamp mit der Schulklasse zurückgekehrt, die motivierenden Worte des Trainers noch im Ohr, hatte er seinen Fußball vom Schuhschrank geangelt und sich, da es draußen regnete, mit dem Ball zum Zimmer der Mutter jongliert.

Das Zimmer war der größte Raum in der kleinen Wohnung. Mutters Schreibtisch samt Stuhl und Papierkorb hatte er zur Seite geräumt, so dass sich für ihn zwischen Fensterfront und Kleiderschrank ein idealer Platz zum Kicken bot. Da er unter ihm und über sich die Schlafzimmer der Nachbarwohnungen wusste, konnte er sicher sein, dass sich zu dieser Nachmittagsstunde keiner über den Lärmpegel beschweren würde. Die Worte des Trainers: Ball mit dem Fuß nach oben kicken, nicht auf den Boden fallen lassen, immer unter Kontrolle halten, übte er erst mit dem rechten Fuß, dann mit dem linken. Doch links war er ungeschickt. Ärgerlich stieß er den Ball mit voller Wucht in Richtung Kleiderschrank. Das war jetzt weit über das Tor hinausgeschossen, würde der Trainer sagen. Einem kleinen Erdbeben gleich, landete der Fußball auf dem Schrank, ein Schuhkarton sauste krachend von oben herunter, dicht an seinem Kopf vorbei.



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