UNGLAUBE - Eine Ermutigung - Sebastian Rink - E-Book

UNGLAUBE - Eine Ermutigung E-Book

Sebastian Rink

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Beschreibung

Christliches Leben ist ein ständiges Mit- und Gegeneinander von Glaube und Unglaube. Wie Licht und Schatten scheinen sie unweigerlich verbunden. Sebastian Rink will wissen, was es mit einem solchen Glauben auf sich hat, der den Unglauben als das eigene Gegenteil in sich trägt und akzeptiert - ihn vielleicht sogar für sich zu "nutzen" und ihn zu heiligen weiß. Dabei geht er der Frage nach, was der Unglaube mit dem Glauben zu tun hat und ergründet, warum er - entgegen gängiger Vorstellungen - sogar einen wertvollen Teil religiöser Existenz ausmacht. In jedem Kapitel beleuchtet er das Wort "Unglaube" (apistia), das in dieser Form insgesamt nur elfmal quer durch das Neue Testament auftaucht - von den Evangelien bis hin zu Paulus und den übrigen Briefen. Alle Bibelstellen erhellen ganz unterschiedliche Aspekte im eigenen UN/GLAUBEN. Dabei wird schnell klar: Es gibt keinen Glauben ohne Unglaube! Und das ist gar nicht mal so schlimm, wie wir dachten.

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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen

Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über

http://dnb.d-nb.de abrufbar.

© 2022 Neukirchener Verlagsgesellschaft mbH, Neukirchen-Vluyn

Alle Rechte vorbehalten

Umschlaggestaltung: Grafikbüro Sonnhüter, www.grafikbuero-sonnhueter.de

unter Verwendung eines Bildes von © Local_doctor (shutterstock.com)

Lektorat: Hauke Burgarth, Pohlheim

Verwendete Schriften: ScalaSans, Scala:

DTP: Breklumer Print-Service, www.breklumer-print-service.com

Gesamtherstellung: PPP Pre Print Partner GmbH & Co. KG, Köln, www.ppp.eu

Printed in Germany

ISBN 978-3-7615-6826-2 (Print)ISBN 978-3-7615-6827-9 (E-Book)

www.neukirchener-verlage.de

Vorwort

„Ich glaube, hilf meinem Unglauben!“Markus 9,24

Das denkwürdige Jahr 2020 stand auf vielfältige Weise im Zeichen dieses Ausrufs. Dass ich mich auf meine eigene Weise mit dem Thema „Unglaube“ auseinandergesetzt und meine Gedanken zusammengetragen habe, wurde durch diese „Jahreslosung“ (eine Art Mottovers) ausgelöst. In einer siebenteiligen Predigtserie in „meiner“ Freien evangelischen Gemeinde Fischbacherberg in Siegen sind wir gemeinsam dem Unglauben nachgegangen. Daraus wurde dieser eigene Zugang, ergänzt durch eine Predigt zu Luthers Großem Katechismus aus dem Jahr des 500. Reformationsjubiläums.

Ein paar Anmerkungen zur Lektüre seien vorweggeschickt: Anders als in meinen vorigen Büchern „Heiliges Leben“ über die Bergpredigt und „Wenn Gott reklamiert“ über die zwölf (Kleinen) Propheten nehme ich mir in diesem Buch keinen zusammenhängenden Text vor. Das wirkt sich unmittelbar auf die Auslegung aus. Ich habe daher nicht das vordergründige Anliegen, Bibeltexte zu erklären. Mir geht es zuerst darum, mit den Texten über das Thema zu sprechen. Dabei beanspruche ich nicht, genau das herauszufinden oder gar zu präsentieren, was die Texte an sich sagen wollen. Es gibt immer alternative Auslegungen, und mit anderen Fragen wird man andere Antworten von den Bibelstellen hören. Ich lasse mich in meinen Gedanken von den Worten der Bibel inspirieren – nicht viel mehr, aber auch keinesfalls weniger.

Das Thema steht zwar im Vordergrund, dennoch habe ich mich an eigenen Worten für die Bibeltexte versucht. Das ist immer schon Interpretation, tut der griechischen Vorlage aber im besten Fall keine Gewalt an. Ich hoffe, das ist gelungen. Ein Vergleich mit anderen Übersetzungen sei herzlich empfohlen.

Dieses Buch ist keine systematische Abhandlung, die logisch von einem Aspekt zum nächsten geht. Es ist vielmehr eine Art „Theologie am Wühltisch“. So darf es gern gelesen werden. Manches liegt womöglich unsortiert herum, einiges ist „ausverkauft“, manches gar nicht im Angebot. Heißt so viel wie: Dieses Buch ist eine Auswahl an Gedanken zum Weiterdenken, keine fertige Theorie. Ich mache einen Aufschlag, aber dann liegt der Ball auch schon bei den Leser:innen. Die Fragen am Ende jedes Kapitels dienen dazu, das Gedankenspiel in Gang zu halten.

Zu danken habe ich wieder vielfältig: Zuerst Ruth Atkinson und dem Neukirchener Verlag für die Anregung, Möglichkeit und Unterstützung, dieses Buch zu schreiben. Hauke Burgarth danke ich für eine erneut äußerst angenehme Zusammenarbeit im Lektorat. Barbara Daub bin ich sehr dankbar für mehr als wertvolle Rückmeldungen beim Testlesen. Julia danke ich von Herzen für ihre Geduld mit mir und meinen Büchern.

PS: Alle Anmerkungen können online bequem auf dem Smartphone parallel gelesen werden, ohne umzublättern:

www.sebastianrink.de/unglaube/anmerkungen

Inhalt

Vorwort

Ein Spiel von Licht und Schatten

Vom Licht des Glaubens

Die Konfrontation mit dem Leben aushalten

Die Normalität des Lebens wertschätzen

Eine Hommage an das Leben erleben

Den Glauben eines Gottes entdecken

Auf Schultern von anderen stehen

Das Ziel des Wissens anpeilen

Das Heute des Glaubens erkennen

Was bleibt vom Unglauben?

Ein Spiel von Licht und Schatten

Das Leben gleicht einem Spiel aus Licht und Schatten. Die biblische Weltgeschichte erzählt sogar, dass Gott selbst es ganz am Anfang spielt: Gott fügt Licht und Schatten in einen täglichen Wechsel von Mit- und Gegeneinander. Das Leben lebt vom Spiel mit seinen Gegensätzen.

Das gilt genauso für den Glauben. Er ist ein Spiel der Kontraste, lebt von Licht und Schatten. Denn jeder Glaube bringt immer seinen Schatten des Unglaubens mit; jeder Glaube enthält in sich etwas, das ihn zugleich infrage stellt. Wir sind glaubende Ungläubige und ungläubige Glaubende.1 Das beschreibt in wunderbar verstörender Klarheit, wie ich Glauben erlebe: Das mehr oder weniger fromme Leben ist ein ständiges Mit- und Ineinander, ein Zu-, Mit- und Gegeneinander von Glaube und Unglaube. Gerade in dieser Mischung ist der Glaube eine faszinierende Bereicherung für das Leben.

In der Tradition, in der mein eigener Glaube entstanden ist, wird Unglaube gemeinhin als etwas wahrgenommen, das es zu überwinden gilt. Wenn nicht gar als etwas Bedrohliches. Und da ist durchaus etwas dran. Wer als Glaubende:r den eigenen Unglauben entdeckt, muss akzeptieren, sich verletzlich zu machen. Ihn als Teil des eigenen Glaubens zu akzeptieren, fällt deshalb oftmals schwer.

Die verständliche Reaktion wäre, den Glauben so gut es geht abzusichern, sich in seinem Licht zu sonnen und die Schatten höchstens zähneknirschend zur Kenntnis zu nehmen, zähneklappernd zu ignorieren oder zähnezeigend zu bekämpfen. Mehr und mehr aber finde ich diese Art zu glauben weder ehrlich noch gesund. Jedenfalls nicht für mich.

Denn auch wenn es mir anders lieber wäre, steht mein Glaube auf wackligen oder wenigstens sehr ungleichen Beinen. Auf einem, das glaubt, und auf einem, das sich da manchmal nicht so sicher ist. Doch erst in dieser Einsicht in den eigenen Unglauben beginnt für mich das Verstehen des Glaubens oder wie der katholische Theologe Johann Baptist Metz (1928–2019) es schreibt:

„Erst wo der Glaube sich so dem Unglauben stellt, erfährt er sich selbst als den Ort, an dem in der Tat immer die absolute Sinnfrage des konkreten Daseins gestellt wird, an dem nichts und keines von vornherein sicher und auf jeden Fall klar und fraglos ist.“2

Unglaube beschreibt nicht nur andere Menschen, sondern da geht es um mich selbst und meinen Glauben in seiner tiefsten Verletzlichkeit. Glaube ist nämlich alles andere als selbstverständlich. Wäre ich nur ein paar Hundert Kilometer weiter rechts oder links auf der Landkarte ins Dasein hineingeboren, dann wäre mir womöglich nie ein religiöser Glaube geschenkt worden. Nimmt man all die anderen Zufälligkeiten des Lebens hinzu, wird man sagen können: Glaube ist recht unwahrscheinlich, er hängt an den seidenen Fäden eines Mobiles aus Biografie und Geografie, Prägung und Bildung, Sehnsucht und Erfahrung.

Als in meinem Fall die Sache mit dem „Hineingeborenwerden“ erledigt war, verflüchtigten sich jedoch schnell die Unwahrscheinlichkeiten. Die evangelische und zudem freikirchliche Tradition meiner Eltern und Großeltern wurde schnell zu meiner eigenen. Und mit dem Unwahrscheinlichen der Geburt verschwand allmählich alles Zweifelhafte des Glaubens. Irgendwann gab es dazu keine ernst zu nehmende Alternative mehr. Es war klar: Ich glaube. Und das tat ich lange Zeit mit zunehmender Überzeugung.

Heute glaube ich immer noch, tue das (meist) sehr gerne und in der Überzeugung, dass es sinnvoll ist zu glauben. Doch aus dem Standpunkt wurde mir ein Weg, aus der Überzeugung eine Überlegung. Der katholische Theologe Walter Kasper (*1933) bringt das gut auf den Punkt:

„Die Glaubensgewißheit ist Hoffnungsgewißheit. Das bedeutet, daß der Glaube in der Geschichte immer strittig sein wird und daß auch der Glaubende seinen Glauben nie einfach hinter sich, sondern stets vor sich hat. Hier gilt: ‚Herr, ich glaube, hilf meinem Unglauben‘ (Mk 9, 23). […] Der Glaube des Gläubigen steht immer wieder auf dem Spiel. So ist der Glaube kein geschlossenes, sondern ein offenes System. […] Er darf nicht nur ein Asyl der Geborgenheit sein, sondern er muß auch ein Herd heiliger Unruhe sein.“3

Dieser „Herd heiliger Unruhe“ macht mich neugierig – weil ich das kenne. Deshalb will ich wissen, was es mit einem solchen Glauben auf sich hat, der den Unglauben als das eigene Gegenteil in sich trägt und akzeptiert, ihn vielleicht sogar zu „nutzen“ und seine Unruhe zu heiligen weiß. Beim Verfolgen dieses gewagten Anliegens balanciere ich auf einem schmalen Grat: Ich will den Unglauben in meinem Glauben wahrnehmen, ohne dass er zum Eigentlichen wird. Er soll in seiner Eigenschaft als Unglaube den Glauben fördern und ihn nicht zerstören.

Ein Bild von einem Schatten

Vielleicht gelingt solch eine heilsame Wahrnehmung, wenn wir nicht direkt sachlich in das theologische Thema einsteigen, sondern uns zunächst einer tragenden Metapher dieses Buches nähern: dem Schatten. Denn wir wollen versuchen, den Unglauben als den Schatten des Glaubens verstehen zu lernen.

Was hat es mit diesem Bild auf sich? Schatten haben auf den ersten Blick einen eher schlechten Ruf, gerade im Vergleich mit dem Licht. Schatten ist Dunkelheit, Kälte, Ungewisses. Die „Schatten der Vergangenheit“ sind nicht unbedingt die allerschönsten Erinnerungen, kaum jemand möchte nur noch ein Schatten seiner oder ihrer selbst sein, und wer will schon gern von anderen „in den Schatten gestellt“ werden? Schatten sind das zu Vermeidende, stehen sprichwörtlich für die dunkleren Seiten des Lebens. So kann die Bibel den Schatten als Bild für die Vergänglichkeit benutzen, wie es Psalm 144,4 ausdrückt:

Der Mensch ähnelt dem Hauch,seine Tage sind wie ein vorbeiziehender Schatten.

Noch bedrohlicher, wenigstens auf der Schattenseite, wirkt das Bild in Matthäus 4,16 (ein Zitat aus Jesaja 9,1), wo Schatten und Tod Hand in Hand gehen:

Das Volk, das sich im Dunkeln befindet, hat ein helles Licht gesehen!Und denen, die im Land und Schatten des Todes wohnen, ist ein Licht aufgegangen!

Aber das ist nur der erste Blick und die eine Seite. Diese Schattenmetapher ist äußerst schillernd, sie hat unscharfe Ränder und viele Facetten, schon in der Bibel.4 Schatten ist nicht bloß ein Phänomen der Lebensbedrohung, sondern er kann zum genauen Gegenteil werden und etwa Schutz bedeuten, wie in Psalm 121,5:

Gott ist dein Schutz, Gott ist dein Schatten an deiner Seite.

Wir merken schon, dass sich das Spiel von Licht und Schatten nicht einseitig spielen lässt. Grenzen verschwimmen, Eindeutigkeiten gehen uns verloren und ebenso wird es uns mit Glauben und Unglauben gehen, wenn es gut geht. Aber bleiben wir noch bei dieser positiven Tendenz des Schattens und bei dem Gedanken, wie Schatten das Leben bewahren, befördern, bereichern können.

Leonardo da Vinci (1452–1519) schrieb einmal: „Der Schatten ist das Mittel, durch das die Körper ihre Form offenbaren.“5 Erst im Spiel von Licht und Schatten sehen wir die Dinge, wie sie (in etwa) sind. Und nur mit Schatten können wir uns zeigen, wie wir sind. Eine technische Zeichnung zum Beispiel ist zwar hilfreich, aber einen realistischen Eindruck vom Charakter des Gegenstandes vermittelt erst eine gelungene Schattierung. Ähnlich kann uns der Unglaube zeigen, wie unser Glaube geformt ist, was ihn auszeichnet, woraus er besteht, welche Kanten und Ecken ihn prägen und zu dem machen, was er ist. Durch einen aufmerksam und ehrlich beobachteten Unglauben offenbart sich die Form des Glaubens. Er wird plastischer, realistischer, bekommt mit dem Schatten mehr Tiefe und neue Dimensionen. Meine Schatten zeigen im Licht, wer ich eigentlich bin.

Der Schatten hat grundsätzlich einen unermesslichen Wert. Davon erzählt sehr anschaulich und eindrücklich das Kunstmärchen Peter Schlemihls wundersame Geschichte von Adelbert von Chamisso (1781–1838; ausgesprochen: Schamisso) aus dem Jahr 1813.6Es lohnt sich, diese sonderbare Geschichte kurz nachzuerzählen:

Eines Tages verkauft Peter Schlemihl seinen Schatten einem Mann in grauem Mantel. Damit erwirbt er sich immerhin einen Lederbeutel, der unentwegt Goldtaler hervorbringt. Die Sache entpuppt sich jedoch als buchstäblicher Pakt mit dem Teufel: Ohne seinen Schatten wird Schlemihl den Menschen schnell suspekt, sie fürchten sich vor ihm und wenden sich von ihm ab. Geradezu unmenschlich wirkt Schlemihl nun auf seine Umwelt, er gehört nicht mehr zur Welt der Menschen. Und so muss er sich seine eigene kleine Welt im Dunkeln schaffen, um mit dem Leben und den Leuten klarzukommen. Nur um den Preis seiner Seele hätte er seinen Schatten zurückkaufen können, verrät ihm später der graue, diabolische Mann. Für weniger ist ein Schatten nämlich nicht zu haben. Schlemihl jedoch entscheidet sich gegen den allzu teuren Handel, zieht daraufhin mit Siebenmeilenstiefeln als rastloser Naturforscher in alle Himmelsrichtungen, ehe er dem geneigten Leser die Moral aus seiner wundersamen Geschichte verrät: „Du aber, mein Freund, willst Du unter den Menschen leben, so lerne verehren zuvörderst den Schatten, sodann das Geld.“7

Darum geht es: den Schatten lieben zu lernen, oder wenigstens seinen Wert zu entdecken. Denn Unglaube ist der Schatten, der zum Glauben dazugehört und seinen ganz eigenen Wert hat. Ich sehne mich nach einem Glauben, der sich nicht vor den Menschen zurückziehen muss, weil er keinen Schatten hat. Es ist wie in der Geschichte von Peter Schlemihl: Ein Glaube ohne Schatten muss letztlich im Schatten leben, weil er die Menschen ringsum mit einem (nur scheinbar) schattenlosen Dasein irritiert. Die Illusion eines Glaubens ohne Schatten wirkt nicht selten unmenschlich. Ich suche nach einem Glauben, der gerade mit seinem Schatten, wenn nicht gar wegen seines Schattens, als menschlicher Glaube wahrgenommen wird.

Einen Schatten werfen

Aber gehen wir noch einen Schritt zurück, um endgültig und von vornherein jegliche Eindeutigkeit zu zerstreuen, denn weder die Metapher ist eindeutig, noch ist es der Unglaube.

Was wir bisher noch ausgeblendet haben: Der Schatten ist zunächst einmal schlicht ein physikalisches Phänomen. In dieser Hinsicht und in einem sehr einfachen Schema lassen sich wenigstens drei Arten von Schatten denken, die jeweils eigene Nuancen der Metapher aufgreifen und die Bedeutung unseres Bildes noch mehr erweitern. Man könnte das ungefähr so darstellen wie in der folgenden Grafik und darin zusammenfassen, was wir bisher über den Schatten zusammengetragen haben.

Da wäre erstens die „Schattenseite“ (1), also die Rückseite eines Objekts, die dem Licht abgewandt ist, und auf die deshalb kein direktes Licht fällt. Unglaube als Schattenseite ist also eine Facette, die unmittelbar zum Glauben dazugehört. Es gibt keinen Glauben ohne die Rückseite des Unglaubens. Auf diese Seite fällt jedoch selten ein Licht, je nach Prägung möchte man sie ungern ans Licht bringen, und häufig sieht man sie gar nicht, weil es die eigene Rückseite ist. Trotzdem gehört sie wesentlich dazu. Den eigenen Unglauben so zu entdecken, nimmt zunächst einmal einfach wahr, dass er da ist und unauflöslich zum Phänomen des Glaubens dazugehört.

Die zweite Art ist der „Schlagschatten“ (2), den ein angeleuchteter Gegenstand auf seinen Hintergrund wirft. Hier hätten wir es dem Bild nach mit all dem zu tun, was mein Glaube als Unglaube bewirkt, was der Glaube gelegentlich verdunkelt und worauf er „ein schlechtes Licht“ wirft. Das ist eine etwas andere Art von Unglauben, den andere von mir sehen können, und den ich selbst zu Gesicht bekomme, wenn ich mich ihm ehrlich zuwende. Auch er offenbart die Form meines Glaubens, wirft einen Umriss an die Wand – und zwar für alle sichtbar.

Als dritter Schatten (3) kann der Raum zwischen Schattenseite und Schlagschatten gelten. Hier kann man sich vor gleißendem Licht und sengender Hitze schützen, und in diesem Sinne verstanden, kann Unglaube zu einem Ort des Schutzes und der Geborgenheit werden. Das ist mein Rückzugsort, wenn mir der Glaube „zu hell“ wird: Wenn er mehr von sich hält, als er sollte; wenn er sich in seiner Überzeugung größer macht, als es angemessen wäre; wenn der Glaube in all seinem Strahlen die Dunkelheiten des Lebens vergisst. Hier, irgendwo zwischen den Schattenseiten und dem Schlagschatten, ist ein Versteck, in das ich mich vor den Konsequenzen, Anforderungen und Herausforderungen des Glaubens zurückziehe, wenn sie mir zu viel werden.

Gerade in diesem letzten Aspekt scheint eine wichtige Eigenschaft des Schattens durch, denn neben der bedrohlichen, lichtlosen Finsternis hat Schatten eine positive Funktion. Wenigstens kann er sie bekommen, kann sich schützend über einen verletzlichen oder gar verletzten Glauben legen.

All das ist nicht eindeutig, weil weder Glaube noch Unglaube immer ganz eindeutig sind. Sie sind im Spiel miteinander. Wir können Licht und Schatten in diesem Spiel nicht immer genau zuordnen. Manchmal weiß ich nicht, mit welcher Art von Schatten wir es gerade zu tun haben. Denn das hängt ganz wesentlich davon ab, wo du dich selbst mit deinem Glauben und Unglauben verortest, wie viel Unglauben du dir gestatten kannst, und welche „Form“ dein Glaube mitbringt. Für den Moment reicht uns das Bild, um zu zeigen, dass Unglaube viele Facetten haben kann.

Bei all den Schattenspielen sollte eines allerdings auf keinen Fall in Vergessenheit geraten: Was den Schatten in allen seinen Erscheinungsweisen auszeichnet, ist die Begegnung mit dem Licht! Vom Schatten zu reden, ergibt erst vom Licht her einen Sinn. Dass dieses Licht wiederum nah am göttlichen Geheimnis steht, damit beginnt schon die Bibel. Sie beschreibt es als allererstes Schöpfungswerk und gipfelt in dem Spitzensatz, dass Gott selbst Licht ist.8

Die Schattenmetapher hinkt sicher an mancher Stelle. Dennoch: Übertragen meint das Bild von Licht und Schatten, dass kein Schatten ohne Licht sein kann, dass weder Glaube noch Unglaube ohne Gott auskommen. Der Unglaube ist eine Eigenschaft des Glaubens und kann zu einer wertvollen Weise werden, das göttliche Licht spielen zu lassen und die fallenden Schatten zu beobachten. Denn wie es einen Glauben nicht ohne Licht gibt, gibt es auch keinen Glauben ohne den Schatten des Unglaubens. Ein Glaube, der seinen eigenen Schatten verleugnet, zeichnet bloß eine Karikatur von sich selbst.

„Unglaube“ und Neues Testament

Allmählich nähern wir uns der Sache. Das metaphorische Schattenspiel des Unglaubens soll sich nicht selbst auslegen. Es dient vielmehr als erster Zugang und hoffentlich hilfreiche Möglichkeit, die einzelnen Kapitel dort einzuordnen. Es soll jedoch nicht bei diesem Bild bleiben, denn über den Glauben nachzudenken, bedeutet in christlicher Tradition immer, sich mit den biblischen Texten auseinanderzusetzen. Mal zustimmend, mal kritisch, gelegentlich respektvoll ablehnend, häufig auf kreative Weise, immer im Versuch, aus dieser vielstimmigen Literatur über die Zeiten hinweg etwas Heiliges zu lesen, das unser eigenes Leben in ein neues Licht taucht.

Nur, wo fängt man an? Wir machen es uns leicht und suchen einfach nach dem Wort: „Unglaube“. Wir werden es quer durchs Neue Testament verfolgen. Auf Griechisch heißt es απιστία [apistía] und taucht als Substantiv insgesamt nur elf Mal auf. Nimmt man andere Wortformen hinzu, nämlich die achtmalige Verbform „nicht glauben“, oder wörtlich übersetzt: „unglauben“ (apistéo) und die 23 Adjektivformen „ungläubig“ (ápistos), sind es auch nur 42. Wer weiß, ob nicht im Unglauben tatsächlich die Antwort auf die Frage nach dem Leben, dem Universum und dem ganzen Rest verborgen liegt.9

Aber wir bleiben bei den elf Substantiven. Da ist von den ältesten Texten bis zu den jüngsten fast alles vertreten. Wir machen also in gewisser Hinsicht eine neutestamentliche Zeitreise. Legt man die derzeit weithin vertretene Ansicht zur Entstehung der biblischen Schriften zugrunde, ergibt sich eine Reise vom Jahr 56 (Römerbrief) bis zum Anfang des 2. Jahrhunderts (1. Timotheusbrief).

Vieles wird uns nach und nach beschäftigen, allerdings wandeln wir die Reihenfolge ein wenig ab und springen durch die Zeit. Wir beginnen zunächst jedoch bei einem sehr berühmten Stückchen aus der evangelischen Tradition. Danach steigen wir bei dem so prägnanten Ausruf aus Markus 9 ein („Ich glaube! Hilf meinem Unglauben!“), denn damit bekommen wir einen guten Einstieg ins Thema. Anschließend nehmen wir uns die Bibelstellen vor, wie sie uns bei einer durchgängigen Lektüre des Neuen Testaments begegnen würden. Am Ende jedes Kapitels findest du ein paar Fragen, die deine Eindrücke vertiefen können.

Zum Weiterglauben und Selberdenken

Welche Gefühle löst das Bild vom Schatten bei dir aus?

Was bedeutet Unglaube für dich und welche Rolle spielt er für deinen Glauben?

Was denkst und fühlst du bei der Aussage, dass Glaube und Unglaube zusammengehören?

1 Der katholische Theologe Johann Baptist Metz formulierte den Gedanken lateinisch als simul fidelis et infidelis („zugleich Gläubiger und Ungläubiger“), in Anspielung auf das reformatorische „simul iustus et peccator“ („zugleich Gerechtfertigter und Sünder“). Vgl. Johann Baptist Metz, Der Unglaube als theologisches Problem,