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In einer Welt, in der es Drachen gibt und Einhörner umherstreifen, verweben sich Évelynes Reise, ihre Ängste zu überwinden, und Aidens entscheidender Moment zu einer epischen Geschichte über Mut, Selbstfindung und die tiefgreifende Macht der Wahl. Ihre miteinander verwobenen Schicksale formen das Gewebe dieser verzauberten Welt, in der der Mut, sich Ängsten zu stellen, und die Kraft, Entscheidungen zu treffen, bis in alle Ewigkeit nachhallen werden.
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WELTENBAUM VERLAG
Vollständige Taschenbuchausgabe
02/2024 1. Auflage
Einhornblut & Drachenglut
© by Isabella Benz
© by Weltenbaum Verlag
Egerten Str. 42
79400 Kandern
Umschlaggestaltung: © 2022 by Magicalcover
Lektorat: Angellika Bünzel
Korrektorat: Hanna Seiler
Buchsatz: Giusy Amé
Autorenfoto: Privat
ISBN 978-3-949640-65-0
www.weltenbaumverlag.com
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Bibliografische Informationen der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.de abrufbar.
Printed in Germany
Isabella Benz
Einhornblut
und
Drachenglut
Unicorn-Chronicles
Band 1
Dieses Buch erhebt keinen Wirklichkeitsanspruch, obwohl reale Orte und Institutionen erwähnt werden. Es ist ein Unterhaltungsroman, dessen beschriebene Figuren, Begebenheiten, Gedanken und Dialoge fiktiv sind. Sollten sich dennoch Parallelen zur Wirklichkeit auftun, ist dies reiner Zufall.
Content Notes am Ende des E-Books und auf der Website der Autorin: www.isabella-benz.de
Für Katharina und Steffi, für Nine und für meine Mama: Weil ihr Pferde genauso sehr liebt wie ich.
Prolog
Aiden
Dunkelheit hüllte ihn ein. Er fror und fühlte sich schwach. Hunger! Sein Magen krampfte vor Schmerz. Er stieß einen kläglichen Schrei aus, einen Hilferuf, den niemand hörte.
»Mist!«
Der leise Fluch und das Klappern eines Schlüssels zerrten Aiden aus seinem Traum. Kalte Luft kratzte ihn im Hals. Er schniefte, zog die Decke fester an sich und blinzelte. Gebrochen von den Lamellen fiel Sternenlicht ins Zimmer und zeichnete die Konturen der Möbel nach. Die des Schreibtisches und des davorstehenden Stuhls, des Bücherregals und des Kleiderschranks, des Nachttischs mit der Lampe.
Eine Tür fiel ins Schloss. Die Haustür unter seinem Fenster. Es stand offen. Kein Wunder, dass es hier so kalt ist, dachte er und ärgerte sich über sich selbst.Wie konnte ich das Fenster vergessen?
Aiden knipste seine Nachttischlampe an und schwang sich aus dem Bett. Auf nackten Füßen trat er zum Schreibtisch, schloss das Fenster und drehte die Heizung hoch. Als er sich umwandte, streifte sein Blick den Wäschekorb neben dem Schubladencontainer. Es war ein hoher, runder Korb aus Weide, eigentlich für seine Schmutzwäsche gedacht, doch die lagerte er mittlerweile in einem Karton unter seinem Bett.
Seit drei Jahren bestand seine Mutter darauf, dass er sich selbst um seine Kleidung kümmerte. Hätte ihm damals jemand erzählt, wie ihm das einmal nutzen würde, hätte er denjenigen ausgelacht. Doch so ahnten seine Eltern nicht, was er in Wahrheit in dem Korb verbarg. Sie dachten, es sei längst zerstört. Für ihn unvorstellbar! Aiden konnte es einfach nicht. Seit seinem siebzehnten Geburtstag zerrann die Hoffnung wie Sand zwischen seinen Fingern, doch einzelne Körnchen waren zurückgeblieben, ein kläglicher Rest, der jedes Mal schrumpfte, wenn er das Ei hervorholte.
Obwohl er es besser wusste, öffnete Aiden den Deckel des Weidenkorbes. Er schob die sauberen Handtücher und Pullover zur Seite, bis er zur batteriebetriebenen Wärmelampe vorstieß. Behutsam legte er beide Hände um das Ei, das im Inneren auf einem Kissen lagerte, holte es hervor und betrachtete es von allen Seiten.
Nichts.
Aiden schluckte schwer. Er setzte sich und fuhr im Schneidersitz die Rillen des dunkelbraunen, fast schwarzen Eis nach. Seine Finger suchten die gesamte Oberfläche ab, nach einem kleinen Riss, einer Erhebung, irgendetwas!
Doch das Ei war vollkommen unversehrt. Es gab kein Anzeichen dafür, dass demnächst etwas schlüpfen würde oder dass darin überhaupt noch etwas lebte. Da war keine Wärme, kein Pulsieren, nichts.
Einen Moment lang stellte Aiden sich vor, wie er das Ei an die Wand schleuderte, die Schale zerbarst und ihren toten Schützling ausspuckte. Der Gedanke trieb ihm einen schalen Geschmack in den Mund. Als hätte er sich verbrannt, legte er das Ei hastig fort und rutschte zurück.
Mit der flachen Hand wischte er sich über die brennenden Augen. Schluss jetzt. Genug geheult, befahl er sich. Wut, Verzweiflung und Trauer umgaben ihn schon wochenlang. Das musste endlich aufhören.
Eine Tür knallte.
Aiden zuckte zusammen.
»William, warte! Wo rennst du denn hin?«
»Zu unserem Sohn.«
Shit! Aiden griff nach dem Ei und sprang auf.
»Er schläft bestimmt längst. Weck ihn nicht auf.« Seine Mutter sprach leise, im Gegensatz zu seinem Vater.
»Warum? Weil dir vielleicht bis morgen eine bessere Ausrede einfällt?«
Er platzierte das Ei auf dem Kissen und schob die saubere Wäsche darüber.
»William ...«
»Nein, es reicht! Du willst, dass Aiden das entscheidet? Dann bitte! Frag ihn!«
Aiden griff nach dem Deckel.
»Aber benutz gefälligst nicht unseren Sohn, um Blanche Leroy zu helfen.«
Aiden erstarrte. Der Deckel rutschte ihm aus der Hand und fiel mit einem dumpfen Schlag auf den Boden. Er musste sich verhört haben. Seine Mutter half Blanche Leroy? Ausgerechnet dieser Hexe?
Keine Sekunde später wurde die Zimmertür einen Spalt breit geöffnet. Seine Mutter streckte den Kopf herein. Als sie ihn entdeckte, runzelte sie die Stirn. »Aiden? Du bist wach?«
Sie schob die Tür ganz auf.
Ihre geflochtenen, sandfarbenen Haare waren zerzaust, die rotbraune Lederjacke wies dunkle Flecken auf und an den Springerstiefeln klebte Dreck. Sie kam eindeutig von der Jagd.
Hinter ihr tauchte sein Vater auf. »Was machst du um die Uhrzeit mit deiner dreckigen Wäsche?«
Aiden zitterte. Er verbot sich jeglichen Blick zu dem Korb. Trotzdem bemerkte er, wie seine Mutter den Deckel zu seinen Füßen musterte. Mist!
Kurz war Aiden versucht, sich mit einem panischen »Gar nichts!« herauszureden. Dann überkam ihn eine Wut, die seiner Mutter am liebsten ein »Was tust du für Blanche Leroy?« ins Gesicht geschleudert hätte. Er ballte die Fäuste und rang beide Gefühle nieder.
»Ich habe das Fenster geschlossen«, flüchtete er in eine Halbwahrheit und reckte das Kinn empor. »Ihr wollt mit mir sprechen?«
Seine Mutter sah verärgert über ihre Schulter und fing sich von seinem Vater ein missmutiges Lächeln ein.
»Dürfen wir reinkommen?« Sein Vater wirkte mit der blauen Anzugshose und der Krawatte über dem blütenweißen Hemd, als käme er direkt von einem Geschäftsessen. Nur die roten Ränder um seine Augen zerstörten den Eindruck. Sie verrieten, dass er mal wieder den Alkoholvorrat verringert hatte.
Aiden nickte knapp.
Seine Mutter folgte seinem Vater ins Zimmer, wobei ihr Blick erneut zu dem offenen Wäschekorb wanderte.
»Also?«, lenkte Aiden ihre Aufmerksamkeit auf sich. »Was gibt es?«
Sie atmete tief durch. »Durand hat vorhin angerufen.«
Aidens Herz setzte einen Schlag aus. Ehe der Schock seine Gesichtszüge eroberte, kniff er die Lippen zusammen. Wenn der Vorsitzende der westeuropäischen Vereinigung sich persönlich bei ihnen meldete, konnte das nur eins bedeuten. »Dann ist das Thema durch? Ich stehe auf der Liste?«
»Nein! Es gibt keinerlei Anzeichen, die das rechtfertigen würden. Du wärst der Erste, den ich informiert hätte, das weißt du doch.«
»Das Problem ist«, mischte sich sein Vater ein, »dass Durand denkt, wir vertuschen die Zeichen, um den Konsequenzen zu entgehen.«
Aiden schauderte. Der Gedanke lag nahe, weil die Konsequenzen verdammt hart waren. Er würde ständig unter Beobachtung stehen; sein Vater müsste zurück nach Nordamerika; sie dürften sich nie wieder sehen. Und das alles nur wegen dieser Hexe Leroy.
»Es ist absolut lächerlich. So ein Risiko würden wir niemals eingehen.«
»Jedenfalls will unser werter Vorsitzender Durand, dass jemand Unparteiisches ein Auge auf dich hat.«
»Auf die Idee, den eigenen Sohn als unparteiisch zu bezeichnen, kommt auch nur ein Durand.«
»Welcher von denen?«
»Clément«, antwortete sein Vater. »Der Jüngste. Ihr kennt euch von den jährlichen Osterwanderungen. Erinnerst du dich?«
Aiden nickte. Clément war ein paar Jahre älter als er, drei oder vier, vielleicht auch fünf. Er hatte früher als Aiden die Lust am Jahrestreffen der Vereinigung verloren, und da die Kinder der Familie Durand sich oft abgeschottet hatten, waren sie sich nur flüchtig begegnet.
»Er studiert Medizin in Paris.«
»Und plant zufällig sowieso, nächstes Semester nach Montpellier zu wechseln«, warf seine Mutter spöttisch ein, ehe sein Vater fortfuhr:
»Er könnte vorübergehend bei uns wohnen. Deine Mutter meint, du sollst entscheiden.«
»Und dein Vater wollte deine Entscheidung unbedingt sofort hören. Tut mir leid.«
Aiden schluckte einen bissigen Kommentar. Sich deswegen auf die Seite seines Vaters zu stellen, ergab keinen Sinn. Wichtiger war ... »Was hat das mit ... mit ihr zu tun?«
Leroys Name blieb ihm am Gaumen haften. Trotzdem schien seinen Eltern sofort klar zu sein, wen er meinte. Seine Mutter wurde bleich und sein Vater biss die Zähne so fest aufeinander, dass seine Kieferknochen kantig hervortraten. Die Spannung knisterte förmlich. Wie immer, wenn sie über diese Hexe sprachen.
»Deine Mutter tendiert dazu, Clément die Einreise nach Südfrankreich zu verweigern.«
Aiden zog die Brauen zusammen. Theoretisch besaß sie die Möglichkeit dazu. Praktisch kam dies einem Bruch mit der westeuropäischen Vereinigung gleich. Vor allem, da es sich um den Sohn des Vorsitzenden handelte.
»Wegen ... ihr?«
»Ja und Nein. Es wäre auch für dich besser.«
»Mir ist es egal.« Aiden ignorierte den scharfen Stich, der die Lüge begleitete. »Soll Clément kommen. Wenn ich wirklich ein Ausgestoßener bin, werden sie das früher oder später sowieso herausfinden. Und ihm die Einreise zu verbieten, zieht genauso Konsequenzen nach sich. Denkst du ernsthaft darüber nach? Für ... für Blanche Leroy?« Nun spuckte er ihren Namen doch aus.
Seine Mutter seufzte schwer. »Ich habe ihr etwas versprochen.«
»Und was?«
»Das kann ich dir nicht sagen. Aber es hat nichts mit dir zu tun.«
Aiden schnaubte. Wegen dieser Frau bestand sein Leben aus einem Meer aus Scherben, die ihm bei jeder Bewegung die Haut aufschlitzten. »Ihr wollt mir das wirklich verschweigen?« Er sah von seinem Vater, der seinem Blick auswich, zu seiner Mutter, die hilflos die Arme hob.
»Wenn Clément hierherkommt, breche ich mein Versprechen.«
Und ihre Versprechen hielt sie immer, selbst diejenigen, die sie Monstern wie Blanche Leroy gegeben hatte.
Aiden krallte die Nägel in die Tischplatte. »In Ordnung, dann schwöre ich dir jetzt auch etwas: Wenn du Clément die Einreise verbietest, ziehe ich zu den Durands nach Paris.«
Seine Mutter schlug die Hände vor den Mund.
»Im Gegensatz zu dir habe ich kein Interesse daran, mit der Vereinigung zu brechen. Du hast die Wahl, Mum, entweder dein Versprechen oder ich!«
1 Die Banshee
Évelyne
Ein Wassertropfen löste sich aus den Baumkronen und zerrann in meinem französischen Zopf. Unter mir dampfte der sandige Boden. Die Luft roch nach dem Sommergewitter, das Montpellier am Nachmittag heimgesucht hatte. Zum Glück waren die Wolken kurz vor Sonnenuntergang weitergezogen, bei Sturm und Regen hätte ich die Jagd heute vergessen können.
Ich pirschte durch den Wald, in der einen Hand den Bogen, die andere hinter den Federn eines Pfeils, der neben weiteren in meinem Köcher steckte. Das Blätterdach dämpfte das fahle Mondlicht, aber meine Augen hatten sich längst an die Dunkelheit gewöhnt und unterschieden problemlos den Tanz der Blätter von dem der wenigen Tiere, die meinen Weg kreuzten. Die meisten witterten mich und wichen mir aus. Sollten sie nur. Sie waren ohnehin nicht mein Ziel.
Ich sah mich aufmerksam um und suchte nach einem weißen Lichtfleck. Wo steckstdu nur?
Allmählich wurde es echt knapp. Wenn mein Gefühl mich nicht täuschte, würde jeden Moment ... Die Uhr, die ich unter der Jacke trug, vibrierte. Der Timer war abgelaufen. Natürlich, ich hatte zwar einen miesen Orientierungssinn, aber mein Zeitgefühl betrog mich selten.
Ich schob eine Hand unter den Ärmel und stellte den lautlosen Alarm ab, ohne einen Blick auf die digitale Anzeige zu werfen. Es war ein Uhr nachts. Wenn ich mir keinen Ärger mit meiner Maman Madeleine einfangen wollte, musste ich die Jagd abbrechen. Allerdings blieb es mir überlassen, auf welchem Weg ich nach Vailhauquès zurückkehrte.
Durch einen kleinen Umweg nahm ich noch ein Waldstück mit. Vielleicht versteckte sich die Banshee ja dort. Ein Versuch war es allemal wert.
Ich schlug die Richtung ein und ging entschlossen voran.
Todesfeen aufzuspüren, frustrierte mich jedes Mal aufs Neue. In der Dunkelheit waren die weißen Gewänder der Banshees eigentlich ein gut sichtbarer Lichtpunkt, anders als die grauen Ghule, die stets mit ihrer Umgebung verschwammen. Allerdings veranstalteten Ghule einen Heidenlärm, weil sie die Nacht zur Futtersuche nutzten. Banshees hingegen streiften leise durchs Unterholz. Dass Rebecca die Viecher immer auf Anhieb gefunden hatte, grenzte an ein Wunder.
Der Gedanke an meine Lehrerin verpasste mir einen unangenehmen Stich in die Brust. Vergiss es! Sie ist fort, ermahnte ich mich selbst.
Da bemerkte ich den hellen Schimmer.
Ich näherte mich dem weißen Fleck vorsichtig, bis ich mir trotz der Entfernung sicher war: Die Banshee kauerte unter einer Eiche, einige Meter von mir entfernt. Allerdings erkannte ich nicht, ob sie mir den Rücken oder das Gesicht zuwandte. Dafür musste ich sie aufscheuchen.
Ich zog einen Pfeil aus dem Köcher und legte ihn auf die Sehne, bis es klickte, spannte den Bogen aber noch nicht. Mit einer Hand griff ich in meine Jackentasche und tastete nach einem Döschen, das Ohrenstöpsel beherbergte. Behutsam, um ja keinen Lärm zu veranstalten, holte ich den ersten Wachsklumpen hervor und stopfte ihn in mein linkes Ohr.
Rechts neben mir raschelten Blätter. Ich hielt inne. Am Rande meines Sichtfeldes bewegte sich ein kleines Tier durch das Gestrüpp. Ein Fuchs. Er strich verdammt nahe an der Banshee vorbei. Zu nah!
Die Untote erhob sich und prüfte ihre Umgebung. Ich erstarrte. Keine Bewegung. Sobald sie mich bemerkte, standen meine Chancen, ihr einen Pfeil ins Herz zu jagen, weitaus schlechter. Leider besaßen Todesfeen verdammt gute Augen.
Egal, wie die Verstorbenen zum Zeitpunkt ihres Todes ausgesehen hatten, die Gestalt der Banshees war stets dieselbe: ein hochgewachsenes Wesen, fast zwei Meter groß mit Haut so weiß wie die Blüten eines Apfelbaumes. Ein seidenes, luftiges Gewand schmeichelte dem schmalen Körper und floss über die Schultern bis hinab zu den Knöcheln. Silbernes Haar stand in krausen Locken vom Kopf ab und graue Pupillen fingen winzige Bewegungen ebenso mühelos ein wie die spitzen Ohren das leiseste Geräusch.
Die Todesfee drehte den Kopf und lauschte in alle Richtungen, bis sie den Fuchs entdeckte. Er hatte Glück. Bei einem Ghul wäre er jetzt zum Mitternachtssnack geworden. Doch Banshees griffen nicht aus Hunger an, sondern aus Angst, und Tiere stellten für sie keine Gefahr dar. Im Gegensatz zu Menschen.
Ein schwarzer Fleck stob aus dem Gebüsch. Ich zuckte zusammen. Mist! Während die Amsel laut schimpfte und der Fuchs ins Unterholz floh, starrte ich zu der Banshee, die meinen Blick unverwandt erwiderte. Schon teilten sich die dünnen Lippen.
Ich riss den Bogen hoch, spannte ihn und zielte auf ihre Brust, doch ihr Schrei ließ mich im selben Moment erzittern. Mein Pfeil schnellte von der Sehne, von dem Zittern aus der Bahn gebracht. Er durchbohrte die Schulter der Banshee. Verdammt!
Die Todesfee wimmerte, was mir eine Verschnaufpause gönnte, doch die würde niemals reichen, um einen weiteren Pfeil aufzulegen. Ich stopfte mir einen Finger in das freie Ohr und sprang hinter einen breiten Stamm. Keine Sekunde zu früh. Ihr zweiter Schrei zerfetzte mir beinahe das Trommelfell, und diesmal hielt er an. Ihr Wehklagen drang durch jeden Ast, jeden Zweig und jedes Blatt des Waldes. Es war eine Frage der Zeit, bis sie ihre eiskalte Trauer auch in meine Glieder pumpte. Ohrstöpsel und Finger verlangsamten ihren Zauber, verhinderten ihn aber nicht. Und mit einem Finger im Ohr konnte ich schlecht auf sie schießen.
Ich blinzelte die ersten Tränen fort, hängte mir mit der freien Hand den Bogen um und tastete nach den Wurfmessern, dann spähte ich an dem breiten Stamm vorbei. Die Banshee schritt auf mich zu, langsam und bedächtig. Nur der Pfeil, der in ihrer Schulter steckte, störte ihren würdevollen Auftritt. Wenn ich jetzt ihr Herz durchstieß und die Untote in eine Leiche zurückverwandelte, würde diese eine deutlich sichtbare Wunde davontragen. Viel zu auffällig! Ich musste warten, bis die Wunde sich schloss, aber der Pfeil blockierte die Heilungskräfte. Am besten schlug ich sie erstmal bewusstlos und entfernte den Pfeil, doch dafür brauchte ich beide Hände.
Ich griff in die Tasche meiner schwarzen Regenjacke und klappte das Döschen auf. Während der Schrei der Banshee lauter wurde, kramte ich einen Wachsklumpen hervor.
Komm schon, Ève, reiß dich zusammen!
Den Arm zu heben, kostete unendlich viel Kraft. Ich konzentrierte mich ganz auf das Wachs. Gleich hatte ich es im Ohr. Nur noch ein kleines Stück.
Ein Bild blitzte vor meinem inneren Auge auf, das mich erschreckend schnell einfing: Mein Vater kniete vor unserem Haus, küsste meinen Bruder auf die Stirn und streichelte mir über das Haar. Dann verwandelte er sich in einen seiner Polizeikollegen, der von einer toten Frau erzählte und von meinem flüchtigen Vater – mutmaßlich ihr Mörder. Schließlich stand ich am Sarg der Frau. Am Sarg meiner leiblichen Mutter.
Dass sie meine Mutter war, hatte ich erst zwei Jahre später erfahren, zum Zeitpunkt der Beerdigung noch Madeleine für meine Maman gehalten, doch der Schrei der Banshee wirbelte sämtliche Erinnerungen durcheinander.
Deine Mutter hat dich weggegeben. Sie wollte dich nicht. Die Klage der Banshee säuselte Worte in meine Gedanken, die sich wie Dolche in mein Herz bohrten.
Der Schmerz riss mich in die Tiefe. Ich suchte nach Halt, doch da war keiner. Ohne einen Laut und ohne Tränen stürzte ich in die Verzweiflung. Die Trauer. Die Wut.
Ich schluchzte. Erst hatte meine Mutter mich verstoßen, jetzt war sie tot und mein Vater spurlos verschwunden. Ich war allein. Ungeliebt. Wertlos.
Nein! Mit aller Kraft stemmte ich mich gegen die verlogenen Gefühle. Ich gehörte zu Madeleine, meiner Maman, und mein kleiner Bruder zählte auch auf mich.
Ich bin nicht allein!, wiederholte ich wie ein Mantra.
Kälte streifte meine Wangen. Ich spähte nach rechts. Die Banshee streckte beide Hände nach mir aus. Sie jammerte ihre lähmende Klage, legte ihre Finger um meinen Hals und drückte zu.
Ich schloss die Augen. Durchhalten. Bis die Banshee Luft holt. Ich erstickte die traurigen Bilder, indem ich mich an eine gute Erinnerung klammerte: den Abend am Strand vor einigen Wochen mit Madeleine. Das leckere Eis, das die Waffeltüte heruntertropfte und meine Finger verklebte. Den Sand zwischen meinen nackten Zehen. Wie ich durch die Brandung schlenderte, Arm in Arm mit Madeleine. Ich flüchtete mich in die Szene, malte mir den Sonnenuntergang am weißen Strand von Montpellier aus. Doch sie flackerte immer wieder. Irgendetwas zupfte an mir, als ob es meinen Geist in eine schützende Umarmung lockte.
In der einen Sekunde stand ich noch im Wald. In der nächsten fand ich mich auf Stroh wieder, umgeben von Holzwänden, die auf Brusthöhe in eiserne Stäbe übergingen. Sie endeten an einer hohen Betonwand, an der ein Heunetz neben einer Tränke hing. Da bemerkte ich die Pferde auf der anderen Seite der Gitter. Mir brach der Schweiß aus.
Mon Dieu, alles, nur keine Pferde. Bitte keine Pferde.
Ich wollte zur Boxentür fliehen, doch mein Körper gehorchte mir nicht. Ein Tier schnaubte und ich zuckte zusammen. Durch meine Glieder ging ein Ruck, dicht gefolgt von einem blechernen Schlag. Mühsam zwang ich mich, einen Blick über meine Schulter zu werfen, und entdeckte einen weißen Pferderücken. Mir wurde übel.
Der Hintern des Pferdes hob sich. Hufe donnerten gegen die Stalltür. Hufe, die eindeutig zu meinem Körper gehörten.
Was zum Teufel ...?
Ich steckte in einem Pferd, war diesem Tier vollkommen ausgeliefert. Wie damals. Ein Sturz. Hufe, die mir das Bein zertrampelten. Die höllischen Schmerzen und die Panik.
»Lass mich los!«
Das Tier hörte auf, gegen die Stalltür zu hämmern.
»Ich will hier weg. Lass mich gehen.«
Das Pferd prustete.
Unvermittelt fand ich mich in meinem eigenen Körper wieder, Auge in Auge mit der Banshee. Sie schluchzte und holte Luft.
Ich reagierte instinktiv, zog den Finger aus dem Ohr und presste den Wachsklumpen hinein. Mit beiden Händen riss ich die kalten Klauen von meinem Hals und rammte der Todesfee zeitgleich mein Knie in den Unterleib. Sie ächzte. Ich verpasste ihr einen Kinnhaken, unter dem sie zurücktaumelte, und zückte zwei Wurfmesser.
Die stählernen Augen funkelten mich an. Eine steile Zornesfalte grub sich zwischen ihre Brauen. Die Banshee blähte erneut ihre Brust.
Wortfetzen aus Sätzen meines Vaters rotierten durch meinen Kopf: ›Banshee. Gefährlicher Schrei. Bring sie zum Verstummen. Im schlimmsten Fall: Sei lauter!‹
Die Todesfee öffnete den Mund und ich schrie. Mein eigener Schrei vibrierte mir in den Ohren und übertönte ihre Klage. Ich stürzte mich auf die Banshee, duckte mich unter ihrem Arm hinweg und hieb mit einem Messer nach ihrer Brust. Sie wich zurück, doch ich setzte ihr nach.
Die Faust um das zweite Messer geballt, zielte ich auf ihre Schläfe und schlug zu.
Lautlos kippte sie um.
Mir rauschte das Blut in den Ohren und ich keuchte schwer. Das war verdammt knapp. Nur etwas länger in diesem Pferd und ... Mein Puls beschleunigte und schleuderte den Gedanken aus meinem Kopf. Ein Echo der Panik vibrierte in meinem Körper. Zum Glück blieb es schwach. Ich kannte es viel heftiger. Wahrscheinlich, weil sich die Szenerie nur in meiner Fantasie abgespielt hatte. Dennoch kostete es mich Überwindung, mich wieder auf die Banshee zu konzentrieren.
Neben ihr sank ich auf die Knie und drehte sie auf den Rücken. Obwohl kein Blut floss, prangte auf ihrer Stirn eine Platzwunde, deren Ränder allerdings bereits zusammenwuchsen. Beschissener war der Pfeil in ihrer Schulter. Ich packte ihn nahe der Eintrittsstelle am Schaft und riss ihn heraus. Sofort begann sich auch dort die Wunde zu schließen. Nur langsam. Zu langsam. Erst wenn die Todesfee wieder ein heiles Gewand trug, durfte ich den Zauber zerstören, der die Leiche in eine Untote verwandelte, andernfalls würden zu deutliche Spuren die Verstorbene zeichnen. Einzig der Stoß ins Herz, dem Sitz des Zaubers, blieb ohne Auswirkung auf die Leiche.
Die Banshee stöhnte. Ihre Lider flatterten. Ich hockte mich auf ihren Bauch, klemmte ihre Arme zwischen meine Knie und presste ihr eine Hand auf den Mund. Mit der anderen setzte ich die Klinge auf ihre Brust. Die Banshee schlug die Augen auf. Sie zappelte, brüllte dumpf und wackelte mit dem Kopf. Ich folgte ihren Bewegungen und stemmte mich mit aller Kraft gegen sie. Endlich fügte sich der aufgeschlitzte Stoff an ihrer Schulter zusammen.
Ich rammte ihr die Klinge in die Brust und stieß mich gleichzeitig von ihr ab. Der Dolch drang in das falsche Herz und die Magie zersplitterte.
Neben einer alten Frau landete ich auf dem Hintern. Sie war kleiner als ich und trug dunkle Kleider. Eindeutig keine Banshee mehr. Ich stieß erleichtert Luft aus, steckte die Messer ins Holster zurück und rappelte mich auf. Dann holte ich mein Handy aus der Jacke und betätigte das Symbol mit der Taschenlampe.
Schütteres graues Haar umgab eine hohe, runzelige Stirn. Die Greisin, die sich nach ihrem Tod in die Todesfee verwandelt hatte, wirkte ausgemergelt. Ihr Lebenswillen schien längst gebrochen. Weshalb sich manche Menschen nach dem Tod in Untote verwandelten, blieb mir ein Rätsel, doch ich bezweifelte, dass sie die Verwandlung absichtlich herbeigeführt hatte.
Ich beugte mich zu ihr herab und suchte die Schläfe nach Verletzungen ab, fand dort jedoch nichts. Anschließend zog ich das Nachthemd am Kragen ein Stück zur Seite, leuchtete die Schulter ab und biss mir erschrocken auf die Zunge.
Da war eine winzige Einbuchtung. Hoffentlich veranlasste das den zuständigen Gerichtsmediziner nicht, eine genauere Obduktion durchzuführen. Dabei würde sicher herauskommen, dass die Leiche im Wald umhergestreift war, was wiederum Fragen aufwerfen würde, wer eine auf natürliche Weise verstorbene, ältere Frau über Steine und Reisig schleifte.
Die Vorgesetzten des Krankenhauses im nördlichen Stadtteil Montpelliers hatten ihr Personal vor einigen Tagen erst in Alarmbereitschaft versetzt, weil dort in den letzten Wochen vermehrt Menschen verschwunden waren. Auf einen zusätzlichen Skandal im Altenheim des Nachbardorfes von Vailhauqès, das die Frau und einstige Todesfee seit vergangener Nacht vermisste, konnte ich gut verzichten.
Ich rappelte mich auf und checkte die digitale Anzeige auf meinem Display. Zwei Uhr vorbei. Bis ich den Bollerwagen hierher gekarrt, die Verstorbene in die Nähe des Altenheimes gebracht und alle Spuren beseitigt hatte, war es definitiv nach fünf. Zumal die Pferdevision an meinen Kraftreserven kratzte. Normalerweise halfen mir Madeleine und ihre Freundin Tereza, aber Letztere arbeitete heute in der Nachtschicht und Madeleine brauchte mal eine Auszeit, was dafürsprach, dass ich die Verstorbene selbst zum Altenheim brachte.
Andererseits ging vormittags der Karatekurs weiter, den ich mir mit weniger als vier Stunden Schlaf und möglichen Nachwehen einer Pferdebegegnung abschminken konnte. Nur würde Aiden an meiner statt garantiert seine Exfreundin Olive um Hilfe bitten. Der Gedanke erinnerte mich an Aidens Worte kurz vor Beginn der Sommerferien: ›Was hältst du von einem Selbstverteidigungskurs in der letzten Ferienwoche? Von Schülern für Schüler. Unser Schulleiter meint, es soll auch eine Schülerin dabei sein. Ich würde lieber mit dir als mit Olive unterrichten. Wir wären ein gutes Team.‹
Mein Bauch kribbelte und ein Lächeln stahl sich auf meine Lippen. Im nächsten Moment drängte ich das wohlige Gefühl zurück und rief mir die eigentliche Frage ins Gedächtnis: Sage ich Aiden ab? Oder wecke ich Madeleine?
Ich fuhr mir mit den Fingern durchs Haar und warf einen Blick auf die Tote, die sich kaum vom trockenen Boden abhob. Mit einem Seufzen steckte ich das Handy in meine Jackentasche und machte mich auf den Weg zum Bollerwagen.
2 Der zweite Brief
Évelyne
»Évelyne. He, wach auf!« Jemand rüttelte an meiner Schulter.
Ich murrte und drückte die Hand beiseite. Sie roch nach Kakao. Léon, begriff ich schläfrig.
Ruckartig riss mein Bruder mir die Decke weg.
Ich blinzelte. »Was?«
»Steh endlich auf. Wir verpassen den Bus und kommen zu spät.« Mein Bruder funkelte mich mit grasgrünen Augen an, die gerade so unter dichten dunkelbraunen Locken hervorlugten.
Er muss echt dringend zum Friseur.
»Halloho Évelyne, aufstehen!« Er schnipste mit den Fingern vor meinem Gesicht.
Ich stöhnte. »Hast du meinen Zettel nicht gesehen? Ich habe echt beschissen geschlafen und bleibe heute zuhause. Jetzt gib mir meine Decke zurück!« Ich zerrte an dem Stoff, doch Léon umklammerte ihn fest. Obwohl er zwei Köpfe kleiner und definitiv weniger durchtrainiert war als ich, bekam ich den Stoff nicht frei.
»Gegen wenig Schlaf hilft Terezas Kaffee. Das ist kein Grund, Karate zu schwänzen.«
Ich ächzte leise. Möglich, dass ich durch das Gebräu die nächsten zwei Stunden überlebte, aber danach fühlte ich mich garantiert noch mehr wie eine wandelnde Leiche. »Ich brauche Schlaf.«
»Schlaf doch nach der Stunde.« Etwas Flehendes lag in Léons Stimme das meinem müden Hirn entglitt.
Ich runzelte die Stirn und setzte zum Sprechen an, wurde aber von einem Klopfen an der Tür unterbrochen.
Madeleine steckte ihren Kopf herein. »Wie sieht’s aus? Soll ich euch fahren?«
Ich verzog das Gesicht. Klar, kommt ruhig alle ungefragt in mein Zimmer. Wer braucht schon Privatsphäre?
»Wir kommen gleich«, antwortete Léon.
Ich versuchte erneut, mich unter die Decke zu kuscheln, und widersprach: »Fahr Léon! Ich komm heute nicht mit.«
»Alles in Ordnung? Bist du krank?« Madeleine betrachtete mich besorgt.
»Sie ist nur müde und will deshalb schwänzen.«
Madeleine hob beide Brauen. »Was ist mit Aiden?«
»Er weiß Bescheid.« Ich verlor den Kampf gegen ein weiteres Gähnen und kleine Tränen zwickten mir in den Augenwinkeln. »Wie Léon eigentlich auch.«
»Na, Léon, in dem Fall kannst du doch allein zum Karate gehen, oder?« Madeleine ahnte garantiert, warum ich ›schlecht geschlafen‹ hatte, dennoch nahm sie mich in Schutz.
»An sich schon«, murmelte er, schob allerdings trotzig seine schmale Unterlippe vor.
»Aber?«
»Ich mag lieber, dass sie mitgeht.«
Allmählich dämmerte mir, warum Léon mich geweckt hatte. Mir gegenüber zeigte er selten, dass er stolz auf mich war, aber im Training merkte ich, wie gerne er mit mir angab. Seine große Schwester, die seiner Ansicht nach unbesiegte Meisterin, ging keinem Kampf aus dem Weg, nur weil sie schlecht geschlafen hatte.
»Bitte, bitte Ève, es sind doch nur zwei Stunden.«
Ich seufzte. Leider war ich furchtbar schlecht darin, meinem kleinen Bruder etwas abzuschlagen. Irgendwann musste ich das dringend lernen. »Na schön.«
Léon jauchzte. »Ich mach dir einen Kaffee«, flötete er und rannte ins Erdgeschoss.
Ich schwang die Beine aus dem Bett und spürte sofort ein unangenehmes Ziehen hinter meiner Stirn. Der wenige Schlaf machte sich durch Kopfschmerzen bemerkbar. Doch es war vermutlich das geringere Übel, die paar Stunden durchzustehen, als mit Léon auszukommen, wenn er die nächsten Tage schmollte.
Ich sah zu Madeleine, die noch immer mitten im Raum stand. Sie stützte eine Hand in ihre Taille auf Höhe des schmalen Gürtels, der ihrem kurzärmeligen, dunklen Kleid einen kleinen Farbklecks verpasste. An ihren Ohren baumelten silberne Creolen. Ein bordeauxroter Lippenstift machte ihren Mund voller und harmonierte gut mit ihrem gebräunten Teint. Ihr Parfum, eine Mischung aus Himbeere und Zitrone, kitzelte mich in der Nase.
»Gibt’s noch was?« Ich zog mir das Schlafshirt vom Kopf und griff nach dem Sport-BH, der erst seit wenigen Stunden an meinem Bettpfosten hing.
»Wann bist du gestern Nacht nach Hause gekommen?« In Madeleines Worten schwang die Ankündigung eines Donnerwetters mit. Sie reckte ihr spitzes Kinn empor und entblößte ihren langen Hals.
Ich schloss den Sport-BH, trat zu meinem Kleiderschrank und schob unterwegs die CD-Hülle meines Lieblingscomputerspiels mit dem Fuß zur Seite. Kurz verspürte ich einen leichten Stich. Wie schön wären ein paar Tage frei von den Untoten, in denen ich mal wieder zum Spielen kam. Ich schob den Frust beiseite und öffnete meinen Kleiderschrank. Abgesehen von mehreren Schulblusen, ein paar ordentlichen Jeans und drei Kleidern, die ich nie trug, beherbergte er nur legere Sportklamotten.
»Antwortest du mir oder muss ich vor unserer Garage eine Webcam installieren?«
Ich blieb unbeeindruckt. Madeleine hätte mir die Kamera verheimlicht, wenn sie ihre Drohung ernsthaft in Erwägung gezogen hätte.
»Kurz nach fünf.« Ich kramte eine Unterhose und frische Socken hervor.
»Fünf Uhr? Wir hatten uns doch darauf geeinigt, dass du die Suche spätestens um ein Uhr abbrichst.«
Wahllos nahm ich die erste Jeans und zwei T-Shirts vom Stapel und suchte eine kurze Sporthose im obersten Regal. »Daran halte ich mich. Ich bin ihr auf dem Rückweg begegnet.«
Madeleine sog scharf die Luft durch die Zähne ein. »Du hast gar nicht angerufen.« Ihre Stimme schwankte.
Ich musterte sie verwundert. Ihre rostbraunen Augen schimmerten. Sie verschränkte die Arme vor der Brust. Trotzdem bemerkte ich ihre zitternden Hände.
Ich surrte den Reißverschluss der Jeans zu. Tatsache war, dass ich mich seit einer Weile mies fühlte, weil ich Madeleine ständig den Schlaf raubte. Sie beschwerte sich nie, aber im Gegensatz zu mir arbeitete sie auch während der Schulferien. Und nachts Verstorbene durch Wälder zu schleppen, gehörte sicher nicht zu ihrem Job.
»Die Frau war ein Fliegengewicht. Ich habe sie auf den Bollerwagen gehievt und in die Nähe des Altenheims gebracht. Die Pflegekräfte werden sie mittlerweile gefunden haben.«
Madeleine schloss die Lider und atmete schwer durch. »Ich dachte, du kommst jeden Moment nach Hause. Ich war so müde, deshalb bin ich ins Bett gegangen.«
Ich runzelte die Stirn. Machte sie sich Vorwürfe? »Das ist schon okay.«
»Ich soll also in Ruhe schlafen, während du in Lebensgefahr schwebst?« Madeleine verzog das Gesicht. »Ich würde mich wohler fühlen, wenn wenigstens jemand bei dir wäre.«
»Und wen soll ich deiner Meinung nach mitnehmen? Dich? Das Thema hatten wir schon!« Ich hätte Madeleine vor ein paar Wochen beinahe an einen Ghul verloren. Ohne Kampftraining diente sie im Kampf höchstens als Ablenkung, und das war viel zu riskant.
»Was ist mit Rebecca? Hat sie sich mal wieder gemeldet?«
Ich schüttelte den Kopf und zerschlug damit Madeleines leise Hoffnung. Bis vor ein paar Monaten hatte Rebecca mich alle paar Wochen tagsüber per Messenger über die neuesten Untotenverwandlungen informiert und abends am Waldrand auf mich gewartet, immer an derselben Stelle, immer zur gleichen Zeit. Bis vergangenen März.
›Es ist besser, wenn wir uns in Zukunft voneinander fernhalten.‹ Nach dieser Nachricht war ihre Nummer nicht mehr vergeben gewesen und ich ärgerte mich, weil ich nicht einmal ihr Gesicht kannte. So sehr mich Rebeccas rotbraune Drachenmaske mit den dünnen Hörnern auch beeindruckt hatte, sie raubte mir jegliche Möglichkeit, meine Lehrmeisterin wiederzufinden.
»Es werden mehr. Wie damals. Dein Vater war oft unterwegs, kurz bevor ...« Madeleine brach den Satz ab.
»Kurz bevor meine Mutter ermordet wurde und mein Vater verschwunden ist? Vielleicht hat Rebecca in den letzten Jahren die meisten Untoten ohne mich vernichtet und es kommt uns nur so vor, als wären es mehr.«
»Laut Studien sterben gut achtzig Prozent der Franzosen in Krankenhäusern oder Altenheimen. Ich habe die Einrichtungen in Montpellier im Blick. In den letzten drei Jahren gab es an die zwanzig Vermisste. Keine acht pro Jahr. Und jetzt waren es allein im August vier Untote aus dem Krankenhaus und eine aus dem Altenheim. Irgendetwas stimmt hier nicht, Évelyne. Das muss dir doch auch auffallen. Es ist genau wie damals. Du endest noch wie deine Mutter.« Madeleines rostbraune Augen flehten mich förmlich an.
»Ich passe auf mich auf, versprochen.« Ich langte nach der Türklinke.
Madeleine packte mein Handgelenk. »Bitte, leg eine Pause ein. Wenigstens, bis die Untoten wieder weniger sind.«
»Wie stellst du dir das vor? Dass die Untoten von selbst weniger werden, oder was?«
»Selbst, wenn Rebecca in den Ruhestand gegangen ist: du glaubst auch, dass es noch andere Personen gibt, die Ghule und Banshees bekämpfen.«
Meine Schläfe zwickte unangenehm. Laut Rebecca verwandelten sich Menschen an bestimmten Orten aus einem Grund in Untote, den sie mir verschwiegen hatte. Aber dort mussten ebenfalls Personen die Untoten aufhalten und ihre Existenz vertuschen. Nur erreichte ich keine davon. Auf die zugegeben verschwurbelten Posts auf meinen Social-Media-Accounts reagierten nur Gamer. Solange ich niemanden kannte, der mich hier wenigstens vorübergehend ablöste, blieb eine Pause viel zu riskant.
»Ich bin gut auf die Jagd vorbereitet und Papa verlässt sich auf mich. Ich werde ihn ganz sicher nicht enttäuschen!« Nicht einmal für dich, fügte ich innerlich hinzu und realisierte im nächsten Moment, wie deutlich mein Gedanke in den Worten mitschwang.
Madeleine musterte mich betroffen. Ich sah ihr an, wie sie nach Argumenten rang, die mich vom Gegenteil überzeugen sollten. Doch Banshees davon abzuhalten, Menschen in den Selbstmord zu treiben, und Ghule daran zu hindern, ihnen das Genick zu brechen, war mehr als ein Erbe, das mein Vater mir in einem Brief hinterlassen hatte. Es war meinen Eltern wichtig gewesen. Madeleine würde das nie verstehen, doch im Kampf gegen Banshees und Ghule fühlte ich mich meiner Mutter, die ich zu ihren Lebzeiten nur als unnahbare Bogentrainerin gekannt hatte, näher als an ihrem Grab.
»Du bleibst dabei?« Ein gequältes Lächeln huschte über Madeleines Lippen. »Du zückst die Mutter-Karte, wenn ich versuche, dich umzustimmen.«
Ich senkte ertappt den Blick.
»Es gibt da etwas, das du wissen solltest.«
Verwirrt über den Themenwechsel sah ich zu ihr auf.
»Es gibt noch einen ...« Sie räusperte sich und zupfte nervös am Saum ihrer Bluse. »Noch einen Brief. Von deinem Vater. Ich sollte ihn dir einen Tag vor deinem siebzehnten Geburtstag geben. Auf keinen Fall früher. Aber nach dem, was gerade los ist ... Ob ich ihn dir heute oder morgen gebe, macht keinen großen Unterschied.«
Mir wurde abwechselnd heiß und kalt. Ein zweiter Brief? Seit meinem vierzehnten Geburtstag glaubte ich, sämtliche Geheimnisse meiner Eltern lägen offen. »Wieso sagst du mir das erst jetzt?«
»Es war der Wunsch deines Vaters. Ich wollte ihn nicht enttäuschen. Das müsstest gerade du verstehen.«
Ich schluckte. Da drehte sie mein Argument ja schön um! Ich setzte zu einer Erwiderung an, doch in dem Moment brüllte Léon von unten: »Kaffee ist fertig!«
Ich unterdrückte eine pampige Antwort, öffnete die Tür und rief stattdessen: »Danke, komme gleich!« Dann wandte ich mich wieder Madeleine zu. »Um was geht es in diesem Brief?«
Madeleine zuckte mit den Schultern. »Keine Ahnung.«
»Du hast ihn nicht gelesen?«
Madeleine schüttelte den Kopf.
Ich runzelte die Stirn. Madeleine zeigte sich selten neugierig, aber nach den Offenbarungen im letzten Brief hätte ich an ihrer Stelle sofort alle Versprechen gebrochen und nachgesehen, was für Geheimnisse im zweiten Brief schlummerten. »Warum?«
»Ich hielt ihn ein paar Mal in der Hand, aber ich habe es nie über mich gebracht, ihn zu öffnen. Es fühlte sich falsch an.« Sie lachte freudlos. »Manchmal habe ich mir vorgestellt, dein Vater würde hinter mir stehen und meine Hände führen, bis der Brief wieder sicher im Schließfach lag.«
Das klang tatsächlich absurd. Fast als hätten meine Eltern den Brief ... ja, was? Magisch gesichert? »Wo ist der Brief jetzt?«
»In einem Bankschließfach. Ich nehme mir heute frei und hole ihn, während ihr beim Karate seid. Nun geh schon.« Madeleine schob mich aus dem Zimmer Richtung Bad. »Mach dich schnell fertig. Ich pack dir deine Sportsachen ein.«
3 Alte Bekannte
Évelyne
Als unser Kombi aus der Dreißiger-Zone schoss, war ich froh, den viel zu starken Kaffee vor dem Einsteigen hinuntergekippt zu haben. Meist zügelte Madeleine ihr Temperament, doch hinter dem Lenkrad fuhr sie stets ruckartig an, bremste spät, hupte wegen jeder Kleinigkeit und kratzte am Tempolimit.
Nur dank jahrelanger Übung schaffte ich es, trotz ihres Fahrstils meine schwarzen Haare zu bürsten und zu zwei eng am Kopf anliegenden Zöpfen zu flechten. Während sie über die Route Nationale brauste, verdrückte ich eine Brioche und spülte mit Wasser nach. In der Innenstadt passierten wir zahlreiche Restaurants und Boutiquen, bevor Madeleine an meinem Lycée stoppte.
Wir waren über eine halbe Stunde zu spät, und ich wappnete mich schon einmal gegen die Sprüche von Olive. Den zweiten Brief meines Vaters versuchte ich aus meinem Kopf zu verbannen. Ich konnte ohnehin nur abwarten. Ein paar Stunden. Das hielt ich aus!
Madeleine verabschiedete sich mit einem knappen »Bis später«, winkte uns aus dem offenen Fenster zu und brauste davon. Ich schulterte meinen Jutebeutel und folgte Léon quer über den Pausenhof zur Sporthalle. Der Hof war mit Grünflächen gespickt. Auf manchen spendeten hohe Bäume etwas Schatten, doch selbst darunter staute sich bereits die Wärme. Das Thermometer kletterte allmählich über die Fünfundzwanzig-Grad-Marke und das vor zehn Uhr.
Léon lief schnell und verfiel jedes Mal kurz ins Rennen, wenn ich ihn dank meiner längeren Beine einholte. »Geh heute Abend unbedingt früher ins Bett. Und wenn du nicht einschlafen kannst, frag doch Maman nach diesem pflanzlichen Zeug! Warum hast du das gestern eigentlich nicht gemacht? Habt ihr Streit?«
Ich hob die Brauen. »Nein. Wie kommst du darauf?«
»Maman wirkte angespannt und du warst so still.« Er betrachtete mich aus grasgrünen Augen, das rundliche Gesicht leicht zur Schulter geneigt.
Ich biss mir auf die Zunge. Natürlich hatte er das mitbekommen. »Ich bin müde, aber keine Ahnung, was mit Maman los ist.«
»Dann frag ich sie nachher einfach«, entschied Léon.
Ich betrachtete ihn von der Seite. Manchmal beneidete ich ihn darum, wie unbeschwert er Madeleine als Maman bezeichnete. Ich nannte sie nur noch so, um zu verhindern, dass Léon misstrauisch wurde, obwohl sie die Bezeichnung Maman vielmehr verdiente als unsere leibliche Mutter.
Laut dem ersten Brief unseres Vaters hatte Blanche Leroy erst mich und sieben Jahre später Léon weggegeben, um uns zu beschützen. Erst dadurch hatte ich erfahren, dass Léons Mutter keine heimliche Affäre meines Vaters, Léon selbst nicht mein Halbbruder und mein Vater und Madeleine nie ein Paar gewesen waren. Anfangs wollte ich davon nichts hören, bis Rebecca meine Wut auf ein Ventil lenkte: Ich lernte die Kampfkunst, die meine Eltern mich von klein auf gelehrt hatten, gegen Untote einzusetzen. Es brachte mich meiner verstorbenen Mutter so nah, dass für mich die Kämpfe seit diesem Tag an oberster Stelle standen. Alles andere in meinem Leben ordnete ich ihnen unter.
Auch Léon sollte den Brief erst an seinem vierzehnten Geburtstag erhalten, aber ich spielte mit dem Gedanken, ihn früher einzuweihen. Er war für seine zehn Jahre recht aufgeweckt, und es half zu wissen, wofür das harte Training diente. Allerdings hatte Rebecca mir eingeschärft, mindestens meinen siebzehnten Geburtstag abzuwarten.
›Wer weiß‹, erinnerte ich mich an ihre Worte. ›Vielleicht geschieht an diesem Tag noch etwas, das dein Leben verändert.‹
Wir steuerten die Sporthalle an, die sich oberhalb des Stadions befand. Léon zog die Tür auf und ich rümpfte die Nase, weil es furchtbar nach Kunststoff stank.
In der Mädchenumkleide zog ich mich schnell um und wartete an der Treppe, die zur Halle führte. Ohne mich zu beachten, stürmte Léon in einem grauen Trainingsanzug an mir vorbei. Ich schmunzelte. Er war zwar nicht mit Madeleine blutsverwandt, aber sein Temperament kam definitiv von ihr.
Aus der Halle drang Keuchen, gepaart mit leisen Kampfschreien. Léon und ich betraten den Raum und hockten uns im Fersensitz neben die Tür. Ich ließ meinen Blick über die Klasse schweifen. Die Schülerinnen und Schüler übten in Zweierpaaren Stöße auf Kinnhöhe. Seltsam. Heute standen eigentlich Tritte auf dem Programm.
Ich suchte nach Aiden, der hervorstach, weil er als einziger einen echten Karateanzug trug und die meisten Kinder um einen Kopf überragte. Gerade führte er Léons Freund Thomas die Technik vor. Zwei Paare weiter korrigierte Olive die Haltung meiner besten Freundin. Toine zwinkerte mir zu und lenkte damit Olives Aufmerksamkeit auf mich. Sofort sprang ihre linke Braue hoch.
»Sieh mal einer an! Da ist ja ein Vögelchen aus dem Nest gepurzelt«, rief im gleichen Moment jemand hinter mir, dessen Stimme mir wage vertraut war.
Ich drehte mich um. Clément saß auf einem Mattenwagen im offenen Geräteraum. Der Medizinstudent wohnte seit dem vergangenen Sommersemester bei Aidens Familie und begleitete uns, um im Notfall erste Hilfe zu leisten. Meist lernte er jedoch. Auch jetzt schob er ein dickes Anatomiebuch von seinen Oberschenkeln, ehe er von den Matten rutschte und zu uns kam.
Ich spähte zu Aiden. Er fing meinen Blick auf, schien mein Dilemma zu bemerken und nickte mir kaum merklich zu – die unausgesprochene Erlaubnis, sich zu erheben. Ich bedeutete Léon, mit mir aufzustehen.
Clément begrüßte uns mit den drei obligatorischen Küsschen. Seine dunkelbraunen vollen Haare streiften meine Wangen. »Aiden meinte, du kommst heute nicht. Deinen Augenringen nach zu urteilen, wäre das vielleicht klüger gewesen.«
»Na herzlichen Dank für das Kompliment.«
Clément hob die Hände. »Sorry, aber aus medizinischer Perspektive ...«
»... wärst du besser zuhause geblieben«, mischte sich eine kühle Stimme ein, bei der sich die Härchen auf meinen Unterarmen sträubten. Olive trat zu uns, die Arme vor dem schwarzen Spaghetti-Träger-Top verschränkt. Mit dem Kinn deutete sie zu den Trainingspaaren. »Clément, übernimmst du eben für mich und korrigierst die Klasse?«
Clément runzelte die schmale Stirn. Als er den Mund öffnete, erwartete ich einen Kommentar wie: »Kratzt euch aber bitte nicht die Augen aus.« Stattdessen zuckte er mit den Achseln und wandte sich an Léon. »Kommst du mit?«
Mein kleiner Bruder sah zwischen Olive und mir hin und her, unsicher, ob er mich mit ihr allein lassen konnte. Manchmal war er echt zu knuffig.
Ich nickte ihm aufmunternd zu. »Geh schon!«
Léon schenkte mir ein erleichtertes Lächeln und eilte zu Thomas. Während sein bester Freund ihm den Stoß vorführte, Clément durch die Klasse streifte und Aiden einem Schüler half, musterte Olive mich von Kopf bis Fuß. Mein blasser Teint entging ihr garantiert ebenso wenig wie die verwaschenen Klamotten und die Nähte, die sich an meinen Turnschuhen lösten. Ihre Mundwinkel zuckten geringschätzig.
Ja, verdammt, ich weiß selber, dass ich heute aussehe wie eine wandelnde Leiche, dachte ich und rang mühsam um Beherrschung.
Im Gegensatz zu mir glänzte ihre Haut olivbraun, womit sie ihrem Namen alle Ehre machte. Lange Wimpern rahmten ihre bernsteinfarbenen Iriden ein. Aus dem lässig zusammengebundenen Dutt löste sich keine einzelne der glatten schwarzen Haarsträhnen.
»Ist lange her, dass wir uns gesehen haben.«
Ich nickte nur. Begegnungen zwischen Olive und mir verliefen selten gut. Dass wir uns beschimpften, war noch das Harmloseste. Sie ging mittlerweile im Gegensatz zu mir auf ein technisches Lycée, aber wir kannten uns aus dem Collège. Zum »Abschied« hatte sie mir am Ende unseres letzten Schuljahres einen vergammelten Fisch in meine Sporttasche gesteckt. Ausgerechnet in die Tasche, die ich mit meinem Vater ausgesucht hatte, kurz bevor er verschwunden war. Aber davon ahnte Olive vermutlich nichts.
»Bonjour Ève, schön dich zu sehen«, riss Aiden mich aus meinen düsteren Gedanken.
Er schlenderte zu uns herüber. Als er sich zu mir vorbeugte, stieg mir der Duft seines Aftershaves in die Nase. Es roch nach verbrannten Tannennadeln und salziger Meeresgischt. Aidens Nähe sandte mir ein Prickeln in den Unterleib, obwohl er mich nur zur Begrüßung auf die Wangen küsste.
In seinen eisblauen Augen lag ein liebevolles Funkeln. »Hast du dich spontan umentschieden oder habe ich eine Nachricht von dir verpasst?«
»Ersteres. Léon hat mich überredet.« Ich schenkte Olive ein erzwungenes Lächeln. »Danke, dass du eingesprungen bist. Ich wärme mich schnell auf und übernehme das restliche Training.«
»Das bezweifle ich. Du hast fast die komplette erste Hälfte verpasst. Mal abgesehen davon, dass du echt zu fertig aussiehst, um heute zu unterrichten: Es ist Quatsch, mitten in einer Einheit die Lehrerin zu wechseln.«
»Das kriege ich schon hin«, behauptete ich.»Habt ihr nur Stöße durchgenommen oder auch schon Tritte?«
»Heute gibt es keine Tritte.«
Irritiert hob ich die Brauen.
Aiden seufzte. »Entschuldige. Wir mussten das Programm umstellen. Die Tritte sind deine Stärke. Deshalb habe ich mit Olive eine Einheit zum Schlagen und Blocken ausgearbeitet. Ich fürchte, ich gebe ihr recht. Sie hat das Konzept für heute mitgestaltet und nachdem sie jetzt extra eingesprungen ist ...« Er fuhr sich durch die aschblonden Haare. Die Situation war ihm sichtlich unangenehm, dennoch versetzte es mir einen herben Stich, dass er sich auf ihre Seite stellte.
»Du könntest mit Léon trainieren, quasi als Einzelunterricht, und morgen holen wir die Einheit mit den Tritten nach. Einverstanden?« In Aidens Frage lag ein flehender Unterton, der mich davon abhielt, ihm zu widersprechen. Ich ärgerte mich vor allem über mich selbst. Was sagte ich ihm auch erst ab und ließ mich dann von Léons Kulleraugen erweichen?
»In Ordnung.«
Aiden lächelte entschuldigend, doch von Olive fing ich mir ein genervtes Stöhnen ein. »Mon Dieu, ein wenig mehr Dankbarkeit würde dir echt guttun.«
»Olive.«
»Ist doch wahr«, zischte sie Aiden an, ehe sie auf dem Absatz herumwirbelte und zu Clément stolzierte.
»Irgendwann musst du mir mal erklären, warum ihr euch so sehr hasst.« Er schüttelte den Kopf. »Wir sollten weitermachen. Du kommst klar?«
»Ich denke schon, sonst melde ich mich.«
Ich bedeutete Léon, mir zu folgen, und mein Bruder löste sich von der Gruppe. Gemeinsam joggten wir am Rand der Halle entlang. Aiden klatschte unterdessen in die Hände und befahl der Klasse, ihm zuzusehen. Mit Olive als Assistentin führte er einige Stöße in Brusthöhe vor, die sie gekonnt blockte.
Ich musterte sie mit. Trotz den leicht geröteten Wangen und ihrer eher knochig-kantigen Statur wirkte sie hübsch. Sie passte an Aidens Seite, vielleicht auch, weil sie fast gleich groß waren. Dass sie ihre Beziehung Anfang des Jahres beendet hatten, schien ihrer Freundschaft kein bisschen zu schaden.
Wir kamen an ihnen vorbei und in dem Moment erwiderte Aiden meinen Blick. Wärme durchflutete meinen Körper, gefolgt von einem angenehmen Kribbeln. Ich drehte hastig den Kopf weg.
In letzter Zeit passierte mir das immer öfter. Mein Körper reagierte auf Aiden. Er spülte mir Wunschbilder in die Gedanken, wie Aiden die Arme um mich schlang und mich an seine Brust zog. Er sah aber auch verdammt gut aus mit den wuschigen aschblonden Haaren, die er meist mit ein wenig Gel aus der schmalen Stirn hielt, den weichen Gesichtszügen, dem runden Kinn und vor allem den Grübchen, die sich so gerne in seine Mundwinkel stahlen.
Als ich letztes Schuljahr mit ihm in einer Klasse gelandet war, hatte ich erst befürchtet, Olives Freund würde die Schikanen in ihrem Auftrag fortführen. Stattdessen hatte er sich Anfang Februar meinen nachschulischen Trainingseinheiten angeschlossen und mir gezeigt, dass er Olive, von der er sich im Januar getrennt hatte, kaum ähnelte. Er war hilfsbereit, offen und warmherzig, und das gefiel mir. Vielleicht zu gut.
Erneut erlaubte ich mir einen flüchtigen Blick und bereute es sofort. Olive stützte sich mit einer Hand auf Aidens Schulter ab. Bahnte sich da wieder etwas zwischen ihnen an? Oder wollte sie mich schlicht ärgern?
Ich ballte die Hände zu Fäusten. Unwichtig. Ich schwärmte für Aiden, aber ich würde mich nicht in ihn verlieben. Mein Vater hatte mir im ersten Brief eingebläut, nur Menschen an mich heranzulassen, die sich gegen Untote wehren konnten. Deshalb erlaubte ich mir nur belanglose Flirts oder wie Toine sie gerne nannte: ‚Disco-Dates‘.
Ein fester Freund hingegen würde entweder von der Jagd erfahren oder ihm würde stets ein wichtiger Part meines Lebens verborgen bleiben. Beides bot laut meinem Vater Tücken, doch ich hielt Letzteres für unmöglich. Ich brauchte jemanden, der mich begleitete, ohne von einer Banshee erdrosselt oder von einem Ghul verspeist zu werden. Und Aiden hatte ich bislang bei jedem Kampf spielerisch besiegt, womit er sich leider disqualifizierte.
4 Eine neue Herausforderung
Évelyne
Am Ende der Stunde klebte mir das Sportshirt an der Haut und zig gewellte Haarsträhnen im Gesicht. In der Halle stank es nach Schweiß. Aiden hatte von der Klasse Höchstleistungen verlangt. Auch ich rang nach Atem, was mich angesichts der gestrigen Nacht wenig verwunderte.
»Narande!« Er winkte uns zu sich.
Wie befohlen stellte sich die Klasse in einer Reihe auf. Léon und ich gesellten uns dazu, um wenigstens den Abschluss mit den anderen zu zelebrieren.
»Seiza!«
Wir knieten uns hin und legten die Hände auf den kühlen Hallenboden. Ich beugte mich vor, bis meine Stirn den Boden fast berührte. Eine Sekunde lang wollte ich die Augen schließen und an Ort und Stelle einschlafen.
»Ritsu!«
Die Schülerinnen und Schüler rappelten sich zeitgleich wieder auf. Verspätet kam auch ich auf die Beine und unterdrückte ein Gähnen. Ich brauchte definitiv einen gediegenen Mittagsschlaf.
»Genug für heute. Habt noch einen schönen Tag und bis morgen«, verabschiedete Aiden sich.
Konzentration und Anspannung verflogen mit einem Mal. Die gut zwanzig Kinder fanden sich zu kleinen Gruppen zusammen. Ihre leisen Gespräche füllten die Halle, während sie zum Ausgang strömten. Zwei Schülerinnen traten zu Aiden. Er hörte ihnen geduldig zu, bis er unvermittelt aufsah. Unsere Blicke kreuzten sich und er deutete mit einem Kopfnicken Richtung Ausgang.
›Hau schon ab!‹, hieß das vermutlich. Er würde die Halle ohne meine Hilfe aufräumen.
Ich grinste schief und wandte mich der Tür zu. Mein Herz setzte einen Schlag aus, um gleich darauf in der doppelten Geschwindigkeit weiter zu schlagen. Am Ausgang stand Olive und unterhielt sich mit Léon. Während Toine auf ihn wartete, zielte mein Bruder mit einem geraden Schlag auf Olives Bauch. Sie sprang lachend einen Schritt zurück. Ich trat zu Léon und zog damit unweigerlich ihre Aufmerksamkeit auf mich.
»Dein Bruder behauptet, du hast Aiden letzte Woche im Karate besiegt. Ist das wahr?«
»Ich habe es doch gesehen.«
»Also, ich glaube ja, dass deine Schwester sich mit Aiden abgesprochen und er absichtlich verloren hat. Oder irre ich mich?« Provozierend hob Olive eine ihrer perfekt gezupften Brauen.
Ich kniff die Lippen zusammen. Typisch!
»Meine Schwester ist besser als Aiden, und das kann sie dir jederzeit beweisen.«
»Tatsächlich? Wie wäre es mit jetzt gleich?«
»Komm, Léon«, bat Toine. »Lass gut sein.«
Léon spähte unter seinem dunklen Schopf zu mir. Was für eine beschissene Situation. Ich wäre am liebsten sofort ins Bett gefallen, aber ich hasste es, Olive gegenüber kleinbeizugeben.
»Was ist, Rocard? Bereit für einen kleinen Kampf? Oder kneifst du?«
»Darauf kannst du lange warten, Moreau«, äffte ich die Betonung nach, mit der sie meinen Nachnamen ausgesprochen hatte. »Aiden besiege ich sogar im Schlaf.«
»Sicherlich.« Olive wandte sich an die Jungs. »Hey, Aiden, Clément! Legt mal ein paar Matten auf den Boden. Hier wird nach einem Kampf verlangt.«
Toine kam zurück in die Halle. Sie schnaufte schwer. An ihrer verschwitzten Stirn klebten honigblonde Korkenzieherlocken, weil sie es nie schaffte, die schulterlangen Haare alle in einem Zopf zu bündeln. »Sicher, dass das eine gute Idee ist?« Die Sorge, die in der Frage mitschwang, spiegelte sich auch in ihren rehbraunen Augen.
Ich zuckte mit den Schultern. Die zwei Minuten würde ich schon überleben.
»Wer gegen wen?«, fragte Aiden.
»Du gegen Évelyne. Mal sehen, wer von euch beiden besser ist.«
Aiden musterte mich verwirrt. »Ist das dein Ernst?«
»Klar. Ich wiederhole einfach die letzten Kämpfe.« Ich zwinkerte ihm zu und hoffte, meine Müdigkeit so vor ihm zu verstecken.
»Meine Theorie ist ja, dass du absichtlich verloren hast.«
Aidens große Ohren wurden eine Spur rot.
Ich blinzelte. Behielt Olive am Ende recht? »Aiden?«
»Das ist Quatsch!«, beharrte er, doch etwas an seinem Tonfall machte es mir schwer, ihm zu glauben.
Ich schüttelte fassungslos den Kopf. »Dann beweis es.«
»Verschieben wir das auf morgen. Du siehst aus, als ob du jeden Moment im Stehen einschläfst.«
Er nahm Rücksicht auf mich. Aber ich brauchte weder sein Mitleid noch einen geschenkten Sieg.
»Évelyne meint, sie schlägt dich sogar im Schlaf.«
Aiden seufzte. Allmählich schien er zu begreifen, dass wir nicht aus der Nummer herauskamen. Nicht ohne einen Kampf. Er drehte sich um und holte den Mattenwagen aus der Garage. Clément ging ihm zur Hand. Zu zweit platzierten sie einige Matten so aneinander, dass sie ein rechteckiges Karatefeld ergaben.
Mein Herz hämmerte hart und laut. Wenn Aiden wirklich so gut ist wie Olive behauptet ... Ich verbot mir, den Gedanken zu beenden. Davon musste ich mich selbst überzeugen. Immerhin pumpte die Aufregung so viel Adrenalin in meinen Körper, dass ich mich fitter fühlte als nach zehn Kaffees von Tereza.
»Das ist absurd«, murmelte Toine.
Ich sah über meine Schulter. Meine beste Freundin und mein Bruder standen hinter mir, er mit glänzenden Augen, sie die Arme vor dem weißen T-Shirt verschränkt und die dichten Brauen besorgt zusammengezogen.
Ich schenkte ihr ein Lächeln, ehe ich die provisorische Arena musterte, von der Clément eben den Wagen wegschob. Olive flüsterte Aiden etwas zu, woraufhin er das Gesicht verzog. Sie klopfte ihm auf die Schulter und lehnte sich anschließend neben Clément gegen die auf dem Wagen aufgetürmten Matten. Aiden schüttelte die Hände aus und betrat die Arena von links. Ich stellte mich ihm gegenüber. Er nahm Haltung an. Den rechten Fuß nach vorne verlagert und die Arme erhoben, hüpfte er an Ort und Stelle.
»Für einen richtigen Karatekampf brauchen wir einen Ansager.«
Aiden knurrte leise. »Seit wann bist du so perfektionistisch?«
Ich schmunzelte leicht. Wenn er mich perfektionistisch fand, wie würde er dann Rebecca nennen? »Clément? Übernimmst du?«
»Gerne doch.« Clément stieß sich von den Matten ab und deutete einen Diener an, was Olive ein Kopfschütteln entlockte. »Sensei ni Rei!«
Synchron drehten Aiden und ich uns zu ihm. Schnelle Reaktion.
Ich presste die Arme an meinen Oberkörper. Körperspannung.
Wie gefordert verbeugte ich mich in Cléments Richtung und begrüßte ihn auf diese Weise als Lehrer. Respekt.
Die Grundlagen eines guten Karatestils, laut Rebecca. Deshalb hatte sie auf Karate besonders viel Wert gelegt. Ich durfte nie vergessen, dass die Untoten verwandelte Menschen waren. Ihnen gebührte mein Respekt.
»Otagai ni Rei!«
Ich wandte mich Aiden zu. Wir verbeugten uns voreinander und begrüßten uns damit als Gegner, doch bei ihm fiel es mir schwer, den Blick zu senken. Stattdessen verlor ich mich in seinem hübschen Gesicht. Vereinzelte Strähnen des blonden Haares streiften weiche, gerötete Wangen, und ein Lächeln umspielte seine Lippen. Vorfreude, vermutete ich.
»Hajime!«
Der Befehl riss mich aus meiner Starre. Los geht’s!
Ich machte einen Ausfallschritt nach vorne und ging in die Hocke. Aiden agierte, als wäre er mein Spiegelbild. Mit lockeren Sprüngen tänzelten wir aufeinander zu.
Ich schlug die Faust in Aidens Richtung. Er wich zurück und griff seinerseits an, blitzschnell. Ich entkam ihm gerade so. Meinen zweiten Schlag blockte er mit dem rechten Arm.
Keine Sekunde später fuhr seine Linke über meinen Kopf hinweg. Ich duckte mich und stemmte mich gegen ihn. Er fing mich ab. Ich versuchte, mein Knie emporzuziehen, doch er hielt mich mit den Ellenbogen erfolgreich unten.
Sein Aftershave kitzelte mich in der Nase. Der angenehme Duft nach verbrannten Tannennadeln am Strand lud dazu ein, sich zu entspannen. Trügerisch. Aiden war kein bisschen entspannt. Sein durchtrainierter Oberkörper drückte gegen meine Brust. Er war stark. Aber darauf kam es im Karate nicht an.
»Yame!«, rief Clément und wir stoben auseinander. »Moto no ichi!«
Wie befohlen, kehrten wir auf unsere Anfangspositionen zurück. Ich atmete schwer. Aiden war gut. Sogar sehr gut. Deutlich besser als bei allen Kämpfen der letzten Monate.
Erneut verbeugten wir uns vor Clément und voreinander. Clément brüllte sein »Hajime!«, und wir tänzelten wieder aufeinander zu.
Aiden griff mich mit einem tiefen Schlag an. Ich blockte mit geschlossenen Armen, lenkte seine Hand nach links und wagte einen seitlichen Tritt, mit dem ich ihn am Schienbein erwischte.
Aiden humpelte zurück. »Nicht schlecht!« Er nahm Kampfeshaltung ein. »Aber bist du auch schnell genug hierfür?«
Er sprang vor. Seine Fäuste zuckten in meine Richtung. Rechts. Ich wich aus. Links. Ich blockte. Rechts. Ich duckte mich. Sein Knie schoss hoch und ich fing es mit meinen Ellenbogen ab.
»Du wirst langsamer«, wisperte Aiden und für einen Wimpernschlag sah ich direkt in seine blauen Augen, die mich an einen gefrorenen Bergsee erinnerten; im nächsten griff er mich wieder an.
Mühsam fing ich seine Fäuste und Tritte ab, bis er sich unvermittelt gegen mich stemmte. Meine dünnen Sohlen rutschten über die Matten. Aiden drängte mich rückwärts von der Arena. Vergiss es, dachte ich und erwiderte den Druck für eine Sekunde, bevor ich nachgab. Aiden taumelte. Ich riss das Bein hoch, stieß es in Aidens Richtung und kurz schwebte mein Fuß über seiner Schulter.
»Yame!«
Zufrieden zog ich mein Bein zurück. Dank des hohen Fußtritts ging die erste Runde an mich.
Aiden blinzelte überrascht, nickte mir dann jedoch anerkennend zu. »Wow! Das hätte ich dir heute nicht zugetraut.«
»Hör auf, mit ihr zu spielen, und fang an zu kämpfen!«, rief Olive von der Seite.
Ich warf ihr einen giftigen Blick zu, doch der prallte unbeachtet an ihr ab. Ihre Aufmerksamkeit galt Clément, der ihr etwas zuflüsterte, ohne mich aus den Augen zu lassen. Ein unangenehmes Gefühl ziepte in meiner Brust. Olive quittierte Cléments Aussage mit einem Schulterzucken, woraufhin er den Mund verzog.
»Geht das hier jetzt mal weiter? Oder erklären wir den Kampf für beendet?«
Olive schnaubte. »Das hättest du wohl gerne.«
»Moto no ichi«, führte Clément endlich die Ansagen fort und eröffnete mit einem »Hajime!« die nächste Runde.
Diesmal hielt ich mich nicht lange mit Traktieren auf. Wenn mir ein zweiter hoher Fußtritt wie eben gelang, erhielt ich auch den Punkt für diese Runde und besiegte Aiden ohne Runde drei. Ich ließ ihn zwei Schläge blocken und griff erneut mit einem Tritt an. Doch Aiden wich nach unten aus, packte mich an der Hüfte und warf mich über seine Schulter. Umgeben vom Duft nach Lagerfeuer und Meer prallte ich auf die Matten.
Mir blieb die Luft weg. Der Schmerz zog sich meine Wirbelsäule hinauf bis in meinen Kopf. Ich blinzelte und atmete flach.
»Alles in Ordnung?« Aiden reichte mir seine Hand und zog mich auf die Beine.
Ich streckte probehalber den Rücken durch und es knackste.
»Bist du verletzt?«
Ich winkte ab. »Mein Stolz ist angekratzt, sonst geht’s mir gut. Wir haben jetzt Gleichstand, oder?«
Aiden nickte. »Wir könnten es dabei belassen.«
Ich schüttelte den Kopf. »Eine letzte Runde. Und wag es ja nicht, mich zu schonen!« Herausfordernd reckte ich das Kinn empor.
Ein Lächeln umspielte Aidens Mundwinkel und seine eisblauen Iriden funkelten vergnügt. »Wie du willst!«
Ein letztes Mal kehrten wir auf Cléments Befehl hin an den Ausgangspunkt zurück. Wir machten einen Ausfallschritt nach vorne, reckten die Fäuste und tänzelten aufeinander zu. Zeig’s mir!, dachte ich und als hätte Aiden meine Gedanken gehört, sprang er blitzartig vor.
Ich blockte seine Fäuste und wehrte sein Knie mit den Ellenbogen ab. Er wich einen Schritt zurück, aber nur, um mit der rechten Faust auszuholen. Ich setzte zu einem Block an.
Grelles Licht biss mir in die Augen.
Geblendet drehte ich den Kopf und der Schmerz explodierte.