Unkraut kommt selten allein - Hendrik Groen - E-Book

Unkraut kommt selten allein E-Book

Hendrik Groen

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Beschreibung

Meine Nachbarn und andere Unkrautvernichter Als Emma Quaadvliegh nach dem Tod ihres Mannes eine Parzelle in einem Kleingartenverein erbt, verliebt sie sich sofort in das gemütliche, etwas chaotische Gartenhaus. Zum Glück spielt es keine Rolle, dass sie keine Ahnung von Gartenarbeit hat, denn freundliche Nachbarn bieten ihr sofort ihre Hilfe an. Aber auch der Vorsitzende des Vereins kommt uneingeladen zum Tee, um sie an die exakte Heckenhöhe und die empfohlene Unkrautbekämpfung zu erinnern. Schnell stellt sich heraus, dass es im grünen Paradies nicht immer friedlich zugeht. Doch Emma und ihre neuen Freunde sind fest entschlossen, ihre blühenden Oasen zu genießen – auch wenn sie dazu den Gartenverein auf den Kopf stellen müssen.

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Übersetzung aus dem Niederländischen von Wibke Kuhn

Ggf.

© Peter de Smet und Meulenhoff Boekerij bv, Amsterdam, 2021

Herausgegeben nach besonderer Vereinbarung mit Meulenhoff Boekerij bv in Verbindung mit deren bevollmächtigter Agentur 2 Seas Literary Agency Inc.

Titel der niederländischen Originalausgabe: »Rust en Vreugd« Meulenhoff, Amsterdam 2021

© Piper Verlag GmbH, München 2024

Konvertierung auf Grundlage eines CSS-Layouts von digital publishing competence (München) mit abavo vlow (Buchloe)

Covergestaltung: Cornelia Niere, München

Covermotiv: Bilder unter Lizenzierung von Shutterstock.com genutzt

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Inhalt

Inhaltsübersicht

Cover & Impressum

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Inhaltsübersicht

Cover

Textanfang

Impressum

Für Zoë und Juul

1

»Das ist ja ein seltsamer Name.«

»Emma?«

»Nein, Ihr Nachname: Kwaadvlieg.«

»Mit Ku-u.«

»Was ist Kuhu?«

»Nein, so schreibt man ihn, mit einem Q und einem U. Und dann noch eine Fliege mit gh.«

»Na, das macht es nur noch seltsamer.«

»Tja, ich hab ihn mir nicht ausgesucht. Aber eigentlich find ich ihn schon schön: Quaadvliegh. Und wie heißen Sie?«

»Herman.«

»Auch schön.«

»Wollen Sie mich jetzt auf die Schippe nehmen?«

»Nein, das würde ich niemals wagen.«

»Und wie heißt er hier?« Herman zeigte auf den Hund.

»Das ist Wodan.«

»Wodan? So ein kleines Hündchen? Sie haben es wohl mit den verrückten Namen, was?«

»Mein Mann fand es lustig. Mit vollem Namen heißt er Wodan Herkules Mull. Wir haben ihn nämlich in einem Müllcontainer in Belgien gefunden. Er ist ein echter Abfalleimerrassehund.«

Herman machte große Augen. »In einem Abfalleimer? Dann wird er sicher schlimm gestunken haben. Oder lag er noch nicht so lange drin?«

»Das wissen wir nicht genau. Das stand nämlich nicht dabei. Aber er war tatsächlich ganz schön dreckig. Wir haben ihn gleich abgeduscht.«

»In Belgien?«

»Nein, zu Hause. Wir haben zu Hause eine Dusche.«

Emma entfuhr ein freundlicher Seufzer. Sie kannte Herman jetzt ungefähr drei Minuten und vermutete, dass er ganz höflich war, aber nicht der schlaueste Kleingärtner im Schrebergartenverein Erholung und Freude.

»Wollen Sie einen Kürbis, Frau Emma?«

Das wollte Emma gern. Aus Höflichkeit.

Herman verkündete, dass er in zehn Minuten mit einem Kürbis zurückkommen würde.

2

Emma hatte sich eine Woche zuvor, beim Kennenlernen ihres Schrebergartenhäuschens, auf den ersten Blick verliebt in die Bauerngardinen und die sieben Teekannen im Regal. Sie wusste zwar, dass Gardinen und Teekannen nicht das Wichtigste waren in einem Gartenhäuschen, aber trotzdem. Sie hätte vielleicht besser hinschauen können, ob das Dach leck war und ob der Holzboden nicht faulig war, doch der Vorsitzende der Schätzungskommission, Steef Bijl, hatte ihr bei der Besichtigung versichert, dass das Häuschen »tipptopp« war. Sein Bruder Henk, Sekretär der Schätzungskommission, hatte es bestätigt: »Wie du schon gesagt hast, Steef: tipptopp.«

»Dieses Häuschen hat sicher immer in der Garage gestanden, oder?«, hatte Emma einen kleinen Witz eingeworfen.

»Nein, nein, einfach nur draußen. Hier auf diesem Fleck. Es ist jetzt … na, wie alt wird dieses Häuschen jetzt sein, Henk?«

Henk hatte eine gewichtige Miene aufgesetzt, lange geschwiegen, die Augen zu Schlitzen verengt und schließlich gesagt: »Ungefähr zehn Jahre. Aber könnte auch wesentlich älter sein. Zum Beispiel zwanzig Jahre.«

»Sag ich doch«, fuhr Steef fort, »dieses Häuschen wird ungefähr zehn Jahre alt sein und ist immer gut in Schuss gehalten worden, alles perfekt gepflegt, das konnte man beruhigt Herrn Thy überlassen, Gott hab ihn selig.«

»Oh, ist der Vorbesitzer gestorben?«, hatte Emma gefragt.

»Ja, ganz traurige Geschichte. Einfach so umgefallen. Gott sei Dank nicht hier. Die Pumpe. Deswegen ist auch noch alles drin und dran. Die Kinder von Herrn Thy leben in China, glaube ich, oder irgendwo da in der Nähe, und es ist keiner gekommen, um seine Sachen abzuholen, also haben wir nach einem Jahr beschlossen, das Häuschen mitsamt den Sachen schätzen zu lassen. Darum kriegen Sie es auch so günstig, denn die Sachen dürften wir eigentlich gar nicht mitrechnen, die gehören uns ja nicht. Das Häuschen gehört nach dem Reglement dem Kleingärtnerverband.«

»Steht seine Milch vielleicht auch noch im Kühlschrank?«, hatte Emma lächelnd gefragt.

»Na, das will ich nicht hoffen«, hatte Henk erschrocken geantwortet. Ganz vorsichtig öffnete er den kleinen Kühlschrank, als könnte ihm der Schimmel ins Gesicht springen. Nichts geschah. Dann nahm Henk ganz langsam eine Dose Orangenlimonade aus dem Kühlschrank, als ob sie jeden Moment explodieren könnte, und stellte sie draußen auf die Treppe.

»Ich glaube, Sie haben mich gerettet«, sagte Emma. »War das alles, was im Kühlschrank war?«

Danach hatte sie um die Ecke der Kühlschranktür geschaut. Blitzsauber und leer.

Die weitere Inspektion das Gartenhäuschens hatte noch ein paar kleine Überraschungen zutage gefördert: einen Bücherschrank, in dem etwas stand, was so aussah wie ein chinesisches Lexikon, eine Küchenschublade voll verschiedener Teesorten, ein Delfter-Blau-Service und eine kleine Sammlung italienischer Opernplatten mit Plattenspieler.

»Herr Thy war ein echter Tausendsassa«, hatte Emma zufrieden festgestellt. Nachdem sie sich noch einmal aufmerksam umgeschaut hatte, hatte sie beschlossen: »Ich nehm es.«

»Aber Sie wissen doch noch gar nicht, wie viel es kostet«, hatte Steef überrascht gesagt.

»Nein, aber das werden Sie mir ja gleich erzählen.«

»Achttausendvierhundert Euro.«

»Das scheint mir ein hervorragender Preis zu sein.«

3

Sie stand mitten in ihrem neu erworbenen Besitztum: einem Gartenhäuschen im Schrebergartenverein Erholung und Freude. Sie schloss kurz die Augen und atmete tief durch die Nase ein: Es roch nach Gartenhäuschen, stellte sie zufrieden fest.

Da hörte sie ein Geräusch hinter sich und drehte sich um. Herman stand vor der Tür und klopfte leicht mit dem Kopf dagegen. Emma machte ihm überrascht auf.

»Ich konnte nicht normal anklopfen«, entschuldigte sich Herman und streckte vorsichtig die Arme vor. In den Händen hatte er einen Kürbis, eine Tüte voll leicht angeschrumpelter Äpfel, ein Schälchen mit drei Pralinen und einen kleinen Strauß Narzissen.

»Hier, Geschenke für Sie, als eine Art Willkommensgruß im Schrebergarten.«

»Das ist furchtbar nett von Ihnen, Herman. Ich fühl mich jetzt schon ganz willkommen.«

»Hie und da haben sie so kleine Stellen …« Er zeigte auf die Äpfel. »Vielleicht ist da ein Wurm drin.«

»Das macht nichts, ich bin keine Vegetarierin«, sagte Emma mit einem kleinen Lachen.

Herman schaute sie überrascht an. »Das heißt, Sie essen Würmer?«

»Nein, ach was, höchstens versehentlich.«

Herman nickte, er verstand es.

»Wir fallen der neuen Dame doch nicht lästig, oder, Herman?«

Es klang nicht so, als wäre es witzig gemeint. Auf der Schwelle stand ein kleiner, kräftiger Mann mit einem Baseballkäppi. Emma konnte sein Gesicht im Gegenlicht nicht gut sehen.

»Nein, natürlich nicht. Ich bin nur rübergekommen, um ihr ein paar Geschenke zu bringen. Ich wollte gerade schon wieder gehen.« Herman stotterte ein bisschen.

Emma versuchte einzugreifen. »Sie brauchen nicht gleich wieder zu gehen, Herman. Wollen Sie vielleicht eine Tasse Tee? Dann kann ich gleich eine von den sieben Teekannen von Herrn Thy ausprobieren.«

Herman schielte zu dem Mann auf der Schwelle. Der trat einen Schritt beiseite, damit er durchgehen konnte.

»Nein, äh, ich kann nicht bleiben. Ich muss noch, äh … ein paar Sachen erledigen.«

Emma schaute ihn fragend an.

»Sachen, die nicht warten können«, murmelte Herman und glitt nach draußen. »Also dann, auf Wiedersehen, Frau Emma.«

»Sie haben eine Tasse Tee bei mir gut, Herman, mit einem Stück Kuchen!«, rief Emma ihm nach.

»Wenn ich Sie wäre, würde ich ein bisschen Abstand wahren zu Herman, sonst sitzt er Ihnen den ganzen Tag auf der Pelle.«

»Und von wem kommt dieser ungebetene Ratschlag, wenn ich fragen darf?« Emma war auf der Hut.

»Oh, entschuldigen Sie, ich hab ganz vergessen, mich vorzustellen. Ja, so wird man, wenn die Leute einen hier alle schon kennen. Ich bin van Velsen, Harm van Velsen, du kannst gern Harm zu mir sagen. Ich bin der Vorsitzende von Erholung und Freude.«

»Emma Quaadvliegh, ich bin die neue Besitzerin dieses Häuschens. Und das ist Wodan, mein Hund.«

»Ja, das wusste ich schon. Ich hab es von meinem Sekretär gehört. Darum bin ich gekommen, um mich kurz vorzustellen. Das mach ich immer so bei neuen Gartenbesitzern. Kurz mal schauen, woran wir bei Ihnen sind sozusagen, gell?« Er lachte gekünstelt. Es wurde still, und er schaute Emma an. Emma schaute zurück.

Van Velsen brach das Schweigen. »Die Einrichtung ist natürlich nicht so toll, aber das Häuschen ist schon in Ordnung, und der Garten auch. Thy war ein seltsamer Chinese, aber er hat seinen Garten gut gepflegt. Und wenn hier mal Unkraut gejätet werden …«

»Ich finde die Einrichtung eigentlich ganz charmant«, unterbrach ihn Emma.

»Ach so …? Tja, die Geschmäcker sind verschieden, nicht wahr. Die Leute müssen selbst wissen, was sie in ihrem Häuschen tun wollen.«

»Ja, Gott sei Dank«, antwortete Emma, »ich bin auch immer eher fürs Freie.«

»Für die Schrebergärten gelten natürlich schon gewissen Regeln, klar, sonst wird das Ganze ja ein Urwald, durch den man nicht mal mehr mit einer Axt durchkommt.«

Van Velsen zog sich einen Stuhl unter dem Tisch heraus, setzte sich hin und legte sein Käppi auf den Tisch. »Ich nehm die Tasse Tee von Herman gern, wenn es nicht zu viel Mühe bereitet.«

Emma hatte schon den Mund aufgemacht, um etwas zu sagen, zögerte dann aber und schien es sich anders zu überlegen. »Was für einen Tee hätten Sie denn gern, Herr van Velsen?«

»Einfach einen holländischen Tee, bitte. Nicht diesen Kräuterunfug oder so einen Gemüsestrunk in einem Glas. Und sagen Sie doch einfach Harm.«

»Holländischen Tee gibt es nicht, aber Sie meinen wahrscheinlich schwarzen Tee. Ich hätte Ceylon da. Das ist wohl einfach genug, denk ich mal.«

Van Velsen nickte, und als Emma sich umgedreht hatte, um Wasser aufzusetzen, musterte er sie langsam von oben bis unten. Unter dem Tisch saß Wodan und schaute den Vorsitzenden argwöhnisch an. Er wedelte nicht.

4

Emma war mehr oder weniger zufällig Besitzerin eines Schrebergartenhäuschens geworden. Das kam indirekt durch den Tod ihres Mannes. Vor drei Monaten hatte sie Thomas, ihre große Liebe, mit dem sie siebenunddreißig schöne Jahre geteilt hatte, begraben. Nachdem sie ihn nach seinem Schlaganfall fast ein Jahr gepflegt hatte. Thomas hatte sich mit aller Kraft auf die Rehamaßnahmen gestürzt: endlos geübt, um wieder verständlich sprechen zu können, einen kleinen Spaziergang machen, ein Buch lesen, ohne Kleckern essen, seine Frau küssen. Es war langsam und erbarmungslos misslungen. Er konnte die Worte »unerträgliches Leiden« nicht aussprechen, aber man konnte sie in seinen Augen lesen.

Ein paar Jahre zuvor hatte er zu ihr gesagt: »Wenn ich hilflos am Rande des Todes bin, dann gib mir einen letzten Kuss und einen liebevollen kleinen Schubs, damit ich runterfalle.«

Sie hatte ihn geküsst und festgehalten, als der Hausarzt ihm diesen letzten Stoß gab.

Erst als er tot war, hatte sie geweint.

In den Wochen nach seiner Beerdigung war sie seine ganzen Sachen durchgegangen. Was aufbewahrt werden musste, was aufbewahrt oder weggeworfen werden konnte, was weggeworfen oder in den Secondhandladen gebracht werden konnte. Und zwischen seinen Papieren hatte sie etwas gefunden, was ihre Aufmerksamkeit erregte: das Anmeldeformular für den Schrebergartenverein Erholung und Freude.

5

Vor Jahren hatten Emma und Thomas sich an einem Samstagmorgen im April in der Cafeteria von Erholung und Freude gemeldet, in der Liergouw, am Stadtrand von Zaandam. Thomas hatte sich schon seit Jahren einen Schrebergarten gewünscht, und obwohl es Emma schon Mühe kostete, die Begonien auf dem Balkon am Leben zu halten, hatte sie zugestimmt, wenn auch nur unter einer Bedingung: »Okay, aber du kümmerst dich dann um den Garten, und ich sitz nur darin.« Das schien ihr eine gute Verteilung der Pflichten zu sein, und so saßen sie am nächsten Samstag an einem Holztisch und füllten das Anmeldeformular aus. Zusammen mit fünf anderen Beitrittskandidaten.

»Ja, im April wollen die Leute natürlich«, hatte der damalige Sekretär gesagt, »da hat jeder den Frühling im Kopf, und jeder will einen Garten.«

Thomas hatte das Unheil schon gewittert und sich nach dem Ausfüllen des Formulars vorsichtig erkundigt, wie lange die Wartezeit für so einen Schrebergarten ausfallen könnte.

»Vor Ihnen stehen noch achtzig auf der Warteliste, dann können Sie es sich ja so ungefähr ausrechnen.«

Emma fragte: »Und wie?«

»Wie? Was meinen Sie mit ›wie‹?«, fragte der Sekretär zurück.

»Na ja, wie soll man sich das ausrechnen?«

Der Sekretär erklärte, dass jedes Jahr zwischen fünf und zehn Schrebergärten frei wurden und es auf diese Art durchaus zwölf Jahre dauern könnte.

»Nur theoretisch natürlich, denn es sind auch immer viele Wackelkandidaten darunter. So nennen wir die. Das sind Menschen, die am Ende doch nicht wollen oder können oder sterben. Es kann alles Mögliche sein.«

Thomas fragte, was eine realistische Erwartung wäre.

»Das kann ich Ihnen nicht beantworten, aber rechnen Sie mit mindestens sieben Jahren.«

»Das ist aber enttäuschend«, sagte Thomas.

»Wollen Sie noch ein Tässchen Kaffee?« Als sie ins Büro kamen, hatte der Sekretär ihnen auch ein Tässchen Kaffee angeboten. Emma und Thomas schlugen das Angebot einer zweiten Tasse höflich aus. Es war gut gemeint, aber der Kaffee schmeckte grässlich, und dazu gab es Milchpulver.

6

Emma wollte das Anmeldeformular nach dem Wiederfinden schon in den Abfalleimer werfen, als sie ins Zögern geriet und es doch wieder vor sich auf den Tisch legte. Es war auf den 12. April 2008 datiert, vor zehn Jahren. Damals waren sie enttäuscht von der jahrelangen Warteliste nach Hause gegangen und hatten sich die ganze Sache aus dem Kopf geschlagen. Sie erinnerte sich jetzt an die Worte des Sekretärs: »Rechnen Sie mit mindestens sieben Jahren.«

Am nächsten Tag hatte sich Emma aufs Fahrrad geschwungen und war zu Erholung und Freude gefahren. Ob es nun Zufall war oder nicht – es war wieder ein Samstagmorgen im April. Die Sonne schien herrlich, und man konnte den Frühling schon riechen, sehen und hören.

In der Cafeteria war ziemlich viel los – fast alle Tische waren besetzt. Viele Kleingärtner waren an diesem ersten schönen Frühlingstag offenbar aus dem Winterschlaf erwacht.

Emma musste kurz schlucken. An diesem Tisch dort in der Ecke hatte Thomas das Bewerbungsformular ausgefüllt, das sie jetzt aus der Tasche zog. Sie ging damit an die Theke. Hinter der Theke, mit dem Rücken zu Emma, war eine kleine, dünne Frau mit rosa Gummihandschuhen gerade dabei, einen Schrank auszuwischen.

Emma räusperte sich. Die Bedienung wischte weiter.

Emma räusperte sich erneut. Keine Reaktion.

»Fräulein …«, begann sie dann, vielleicht ein kleines bisschen zu laut.

Die Frau hinter der Theke erschrak und stieß ein Glas um, und als sie versuchte, es aufzufangen, stieß sie den Eimer mit Seifenwasser vom Regalbrett. Unter großem Lärm polterte der Eimer auf den Boden. Zuerst schaute sie mit angstgeweiteten Augen auf das Chaos zu ihren Füßen und danach zu Emma. »Mein Gott, ich bin so ein Trampel.«

»Tut mir leid, dass ich so laut gerufen habe, aber ich hatte mich schon zweimal geräuspert«, entschuldigte sich Emma. »Soll ich Ihnen schnell beim Aufräumen helfen?«

»Also, äh …«

»Ich helf Ihnen schnell. Zu zweit ist das gleich passiert.«

Inzwischen war die Aufmerksamkeit der anwesenden Gäste schon wieder ein bisschen verflogen.

»Fietje, Mädchen, was veranstaltest du da wieder für ein Riesenchaos beim Putzen?«, rief eine Frau im Hosenanzug. Es wurde gelacht.

»Pass bloß auf, dass Harm nichts davon erfährt, sonst kriegst du noch ein Bußgeld.« Erneut Gelächter.

Fietje tauchte ängstlich wieder unter die Theke und begann, das Seifenwasser aufzuwischen.

»Vorsichtig, ja? … Fietje, da liegen doch lauter Glasscherben dazwischen. Lass mich mal schnell hin da.«

Emma fegte schnell und zielstrebig die Scherben zusammen und benutzte anschließend den Wischlappen von Fietje, um das Seifenwasser in den Eimer zurückzubefördern. Fietje stand hilflos daneben und schaute zu.

Fünf Minuten später war alles wieder sauber. Als Emma den Kopf über die Theke hob, schauten sie ungefähr dreißig neugierige Augen an. Das machte sie ein bisschen nervös.

»Ist hier vielleicht auch jemand vom Vorstand dieser Anlage?«, fragte sie, um die unbehagliche Situation aufzulockern.

»Ja, hier, ich bin der Sekretär.« Es klang ein bisschen schüchtern, und der Mann, der zu der Stimme gehörte, kam langsam nach vorn und trat an die Theke. Er hatte einen brandneuen blauen Overall an, bei dem man noch die Spuren vom Zusammenfalten im Stoff sah.

Emma, die auch immer noch hinter der Theke stand, streckte die Hand aus. »Emma Quaadvliegh, angenehm.«

Der Overall-Mann zögerte und schaute skeptisch, als ob er zum ersten Mal in seinem Leben jemandem die Hand geben würde. Dann ergriff er sie und schüttelte sie eine Spur zu kräftig. »Bert Zijlstra.«

Fietje streckte ihr jetzt auch die Hand hin. »Fietje van Velsen. Ich bin die Frau des Vorsitzenden.«

»Gut, ich bin also Emma.«

Fietje zog erschrocken ihre Hand zurück. »Oh, wie dumm von mir, ich hab ja immer noch meine Gummihandschuhe an.«

»Macht doch nichts.« Emma schaute sich in der Cafeteria um. »Guten Tag zusammen, ich heiße Emma, bin achtundsechzig Jahre alt, und ich würde gern dem Schrebergartenverein Erholung und Freude beitreten.«

Die Reaktionen waren lau. Vereinzeltes freundliches Nicken und ein bisschen Gemurmel.

»Wollen wir uns kurz mal irgendwo hinsetzen, Bert?«, schlug Emma vor. »Da in der Ecke wär noch ein kleiner Tisch frei.«

Als sie sich dort hingesetzt hatten, kam Fietje an den Tisch und fragte, ob sie vielleicht eine Tasse Kaffee wollten. Bert erklärte, dass er schon sechs Tassen intus habe und ein bisschen warten wolle. Emma hatte aus dem Augenwinkel die Pumpkanne gesehen, die sie von vor zehn Jahren wiederzuerkennen meinte, aber es schien ihr jetzt nicht der richtige Moment zu sein, über die Qualität des Kaffees zu diskutieren. »Ja, Fietje, ich hätte gern eine Tasse.«

Dann erklärte sie Bert, dass sie sich vor zehn Jahren angemeldet hatte, zusammen mit ihrem unlängst verstorbenen Mann, und dass sie sich fragte, ob sie nicht langsam an der Reihe war mit einem Gartenhäuschen.

Bert studierte ausgiebig das Formular, das Emma ihm gegeben hatte.

»Ja, das ist schon eine hohe Zahl. Vorige Woche hat jemand mit einer viel niedrigeren Zahl ein Häuschen bekommen. Und diese Woche ist das Häuschen von Thy endlich freigegeben worden, der ist nämlich schon ein Jahr weg, also könnte es sein, dass Sie da die erste Kandidatin auf der Warteliste sind.«

»Könnten Sie mir das Häuschen mal zeigen?«

»Nein, das darf ich nicht. Dafür haben wir die Schätzungskommission. Das sind die Gebrüder Bijl.«

»Und sind die gerade da?«

Der Sekretär schaute gequält. »Eigentlich …« Er wartete kurz. »Eigentlich müssen Sie einen Besichtigungstermin vereinbaren, aber ich geh mal schnell nachfragen, ob ich für Sie eine Ausnahme machen kann. Schließlich sind die Regeln ja für die Menschen da, nicht wahr?«

»Das ist sehr nett von Ihnen«, lächelte Emma.

Bert bat sie, kurz zu warten, und verschwand aus der Cafeteria. Zehn Minuten später kam er wieder zurück mit zwei Männern im Schlepptau, die sich als Henk und Steef Bijl vorstellten.

»Emma Quaadvliegh, angenehm. Sie sind von der Schätzungskommission, nehme ich an. Ich hoffe, dass ich auch ohne Termin ein Häuschen besichtigen darf?«

»Für Sie machen wir das gern«, sagte Steef, »schließlich sind die Regeln ja für die Menschen da, nicht wahr? Und nicht umgekehrt.«

Sein Bruder nickte.

»Aber die definitive Genehmigung bekommen Sie nur von Harm«, warnte Steef.

»Wer ist Harm?«

»Das ist der Vorsitzende.«

»Oh, aber das ist ja der Mann von Fietje. So ein Schatz, oder?«

»Wer – Harm?«, fragte Henk verblüfft.

»Nein, Fietje«, erklärte Emma. »Sie scheint mir eine sehr nette Frau zu sein.«

»Oh, ich dachte schon. Man kann ja viel über Harm sagen, aber ein Schatz … ist er sicher nicht. Wollen wir gehen?«

Kurz darauf standen sie im Häuschen des seligen Herrn Thy.

7

Der Vorsitzende von Erholung und Freude schien nicht die Absicht zu haben, jemals wieder aufzustehen. Er nippte an seiner zweiten Tasse Tee und schaute Emma an, die angefangen hatte, ihre drei Kartons mit Hausrat auszupacken und den Inhalt in die Küchenschränke zu räumen.

»Was ist das für ein Hund?« Harm van Velsen zeigte auf Wodan, der noch nicht wieder unter dem Tisch hervorgekommen war.

»Wodan ist ein reinrassiger Abfalleimerhund. Wir haben ihn buchstäblich aus einer Mülltonne gezogen.«

»Ich habe einen Mastino Napoletano«, prahlte van Velsen.

»Das klingt ein bisschen wie der Al Capone unter den Hunden. Ist er auch genauso gefährlich?«, fragte Emma.

»Na ja, was heißt schon gefährlich … Ich will’s mal so formulieren: Er passt gut auf meine Sachen auf. Wenn jemand jetzt einfach so in mein Haus marschiert kommt, hat er ein Problem.«

Emma schaute gerührt auf ihren eigenen Hund. »Dann geh du mal schön dem Herrn Mastino aus dem Weg, okay, mein Kleiner?« Wodan winselte leise.

Es trat ein kurzes Schweigen ein. Emma fuhr fort mit dem Einräumen ihrer Schränke.

»Was für eine Art Gärtnerin sind Sie eigentlich?«, wollte van Velsen nach einer Weile wissen.

Emma drehte sich zu ihm um. »Tja, äh … ich weiß nicht. Ich war noch nie Gärtnerin. Heute ist mein erster Tag. Was für Arten gibt es denn so?«

»Nun, eigentlich gibt es nur drei Arten. Erstens: Menschen, die ihre Gärten ordentlich pflegen, also null Unkraut und alles an seinem Platz. Zweitens: Menschen, die nur versuchen, so viel wie möglich zu ernten. Die kümmert es nicht, wie ihr Garten aussieht. Eigentlich genauso wie die dritte Gruppe: Das sind die Menschen, die alles einfach nur wachsen lassen, bis es ein einziger Dschungel ist. Und die auf diese Weise die ganze Unkrautsaat aus ihrem Garten hinüberwehen lassen zu ihren Nachbarn. Manche von denen haben nicht mal eine Hacke oder eine Baumschere in ihrem Geräteschuppen. Aber Gott sei Dank haben wir hier Regeln. Wenn die Gartenbesichtigung gewesen ist und ein negativer Bericht geschrieben wurde, dann müssen sie ran. Dann sagt die Kommission: Bis dann und dann muss alles ordentlich sein. Und sie können sich nicht darauf rausreden, dass sie keine Geräte hätten, denn die kann man sich hier alle ausleihen. Für wenig Geld.«

»Okay, gut zu wissen. Ich komme schon ein bisschen aus der freiheitlichen Richtung, muss ich zugeben. In Bezug aufs Gärtnern, meine ich. Ich muss es nicht immer so ordentlich haben.«

Van Velsen betrachtete sie mit einer Mischung aus Geringschätzung und Überraschung.

»Sie sind mir eher wie der ordentliche Typ vorgekommen.«

»Der bin ich ja auch. Aber manchmal gehen die Meinungen darüber, was ordentlich ist, eben auseinander.«

»Ordentlich ist ordentlich«, entschied der Vorsitzende, »und Unkraut ist nicht ordentlich.«

»Ich hab mir sagen lassen, dass manche Menschen finden, es gebe gar kein Unkraut«, wandte Emma vorsichtig ein.

»Mit so einem Unfug geben wir uns hier gar nicht ab. Wenn die Garteninspektoren sagen, dass Unkraut gejätet werden muss, dann sagen sie das nicht zum Spaß. Dann muss das Unkraut weg.«

Emma kam zu dem Schluss, dass es klüger war, erst mal den Mund zu halten. Sie nahm die Teetasse, die vor van Velsen auf dem Tisch stand, und ging damit in die Küche.

»Da war noch ein Schluck drin«, protestierte er.

»Oh, tut mir leid«, sagte sie, brachte die Tasse aber nicht zurück.

Er schien zu zögern, ob er noch etwas sagen sollte, aber dann nahm er sein Käppi vom Tisch und stand auf. Als er an der Tür war, sagte er: »Ich wünsche Ihnen eine schöne Zeit bei Erholung und Freude, und ich hoffe, dass Sie einen schönen, sauberen Garten draus machen.«

»Das wollen wir ganz bestimmt probieren«, antwortete Emma, »und herzlichen Dank für Ihren Besuch. Ich hoffe, dass wir gut miteinander auskommen werden.«

Der Vorsitzende schaute ihr direkt in die Augen. »Das hoffe ich auch. Auf Wiedersehen.«

Er drehte sich um und ging mit großen Schritten über den Gartenweg.

Emma fragte sich kurz, ob sie gut daran getan hatte, sich ein Gartenhäuschen in der Anlage Erholung und Freude zu kaufen. Sie warf einen Blick in den Wandspiegel. Sie sah ein freundliches Gesicht, mit charmanten Fältchen und leicht nachlässig hochgestecktem weißem Haar. »Ach, Em, denk dir doch einfach, dass es dich auf jeden Fall gut ablenken wird«, sagte sie zu ihrem Spiegelbild.

8

»Huhu! Hättest du vielleicht Lust auf einen Kaffee?«

Emma schaute sich um, von wo dieses Angebot gekommen war.

»Ich bin hier, in der Hecke.«

Jetzt sah Emma es: Auf halber Höhe in ihrem Garten, auf der rechten Seite, hatte jemand seinen roten Kopf mit grauen Haaren durch eine Lücke in der Hecke gesteckt. Sie ging darauf zu.

Eine Frau von ungefähr siebzig schob ihre Hand durch die Buchenhecke. »Ich bin Roos.«

»Das ist ein schöner Name für jemanden, der gern gärtnert. Ich heiße Emma.«

»Ich bin deine Nachbarin«, sagte Roos, »und ich dachte mir, es wäre vielleicht eine gute Idee, wenn wir uns bei einem Tässchen Kaffee kennenlernen würden.«

»Also, ich hab durchaus Lust auf einen Kaffee«, antwortete Emma. »Muss ich durch die Lücke in der Hecke?«

»Nein, ich hab auch einen offiziellen Eingang. Dieses Loch hat Herr Thy gemacht, um Dinge durchgeben zu können. Als eine Art Durchreiche. Insbesondere für Teetassen. Magst du einfach außenrum laufen?«

Kurz darauf saßen Emma und Roos nebeneinander auf zwei Gartenstühlen mit einem kleinen Tisch zwischen sich, auf dem zwei Tassen Kaffee und zwei ziemlich dicke Kuchenstücke mit Schlagsahne standen.

»Du hast nicht viel übrig für kleine Portionen, was, Roos?«

»Stimmt, aber das ist ja auch gleichzeitig mein Mittagessen. Mein Brot ist schon eine Woche alt, also hab ich das gerade an die Vögel verfüttert. Die Sahne kommt aber aus der Sprühflasche.«

»Ach, macht doch nichts.«

Es war eher ein Klotz als ein Stück Kuchen, und Emma wusste nicht so recht, wo sie anfangen sollte. Sie hätte es blöd gefunden, um Messer und Gabel zu bitten.

Sie wartete kurz, um zu sehen, wie Roos das Problem löste. Die packte den Kuchenklotz einfach mit beiden Händen, brach sich ein stattliches Stück ab, tunkte es in die Sahne und steckte es auf einmal in den Mund. Danach sagte sie irgendetwas Unverständliches mit einem Mund voller Kuchen.

»Howusstuasachn.«

»Wie bitte?«, fragte Emma.

Als sie wieder einen leeren Mund hatte, lachte ihr Roos zu. »So musst du das machen, meine Liebe. Ich hab schon gesehen, wie du mich angeschaut hast.«

»Darf ich den Kuchen auch in den Kaffee stippen?«, lachte Emma zurück.

»Klar.«

Als sich die Damen eine Stunde später verabschiedeten, hatten sie beide das angenehme Gefühl, eine neue Freundin gefunden zu haben. Oder zumindest eine gute Nachbarin.

9

Es war ein sommerlicher Samstag mitten im Frühling. Emma war mit ihrem kleinen Auto in das Gartencenter Vliet en Vermeulen gefahren und ging jetzt schon eine halbe Stunde unentschlossen durch ein Meer von Pflanzen und Sträuchern.

Es war viel los. Die Hälfte der Niederlande hatte beschlossen, heute im Garten zu arbeiten oder den Balkon zu verschönern. Einkaufswagen, in denen sich die Pflanzen türmten, wurden Richtung Kasse geschoben.

Emmas Wagen war noch leer.

»Ich hab wirklich keine Ahnung«, murmelte sie, »was soll ich bloß kaufen in Gottes Namen?«

»Was?«, fragte ein dicker Mann Mitte fünfzig in einer etwas zu engen, hippen Jeans.

»Ach, nichts, ich hab mit mir selbst geredet«, entschuldigte sich Emma.

»Na, dann geben Sie sich auch selbst die Antwort«, riet ihr der Mann grob.

Emma schaute sich verzweifelt um auf der Suche nach einem Mitarbeiter. Die waren dünn gesät. Schließlich fand sie ein Mädchen, das mit einem Gartenschlauch die Pflanzen wässerte.

»Guten Tag, kannst du mir vielleicht helfen? Ich kenn mich mit Pflanzen nicht so gut aus und würde gern …«, begann sie.

Das Mädchen schaute sie hilflos an und sagte: »Ich kenn mich mit Pflanzen auch nicht aus. Ich darf sie nur gießen.«

»Oh, das ist aber auch eine ganz wichtige Aufgabe, weißt du«, tröstete Emma sie. »Kannst du mir vielleicht einen Kollegen schicken, der sich gut auskennt und der richtig geduldig ist?«

Das Mädchen nickte. »Kommen Sie mal mit.« Emma lief hinter ihr her. Das war gar nicht so leicht, denn sie hatte einen Wagen mit einem blockierenden Rädchen, das sich ständig nach rechts drehte. Nach zwei Beinahezusammenstößen mit dem Gegenverkehr und einem kleinen Rempler an einen riesigen Gartenzwerg kamen sie zu einer rotwangigen Frau in einem Overall, auf dem der Name des Geschäfts stand.

»Das ist meine Tante, die ist ganz geduldig und weiß alles«, sagte das Mädchen stolz.

»Danke schön, das ist genau das, was ich suche«, sagte Emma.

»Wie kann ich Ihnen helfen?«, fragte die Tante.

»Also, ich habe seit ein paar Wochen einen Schrebergarten, aber ich versteh überhaupt nichts von Gartenarbeit. An dem Garten, den ich bekommen habe, ist ein Jahr lang nichts gemacht worden. Überall Unkraut. Zumindest glaube ich, dass es Unkraut ist, das muss ich auch noch mal in Erfahrung bringen. Und ziemlich viele leere Stellen. Also: Hilfe!« Emma breitete hilflos die Arme aus.

Die Mitarbeiterin des Gartencenters musste lachen.

Eine Dreiviertelstunde später stand Emma an der Kasse und kaufte für 187 Euro Pflanzen, Sträucher und Tüten mit Samen. Einen ganzen Einkaufswagen voll.

10

Herman hatte einen großen Klecks Sahne auf dem Kinn. Emma schaute verwundert zu, wie er versuchte, mit einer Kuchengabel ordentlich ein Stück Torte zu essen, und wie ihm das gründlich misslang.

»Nimm es doch einfach in die Hand, Herman. Die Kuchengabel hab ich eher zur Zierde danebengelegt.«

Er stieß einen erleichterten Seufzer aus, nahm das Stück Sahnetorte in die rechte Hand, schob sich die Spitze in den Mund bis zum Anschlag und klappte dann den Kiefer zu. Jetzt saß ihm die Sahne auch in den Nasenlöchern, aber das schien ihn nicht zu stören. Langsam und glückselig zermalmte er das Gebäck und brachte dabei einzelne unverständliche Geräusche hervor. Emma meinte, das Wort »lecker« herauszuhören.

Sein Tee stand unangetastet auf dem Beistelltischchen. »Also, das hast du dir jetzt echt verdient, du hast mir wirklich unglaublich geholfen. Möchtest du vielleicht noch ein Bierchen zum Tee?«

»Nein, ich trink nicht mehr«, sagte Herman.

Emma überlegte kurz, ob sie weiter nachfragen sollte, beschloss aber, dass sie gerade keine Lust auf Lebensgeschichten hatte.