Erhalten Sie Zugang zu diesem und mehr als 300000 Büchern ab EUR 5,99 monatlich.
Mae und Romy sind Zwillingsschwestern. Äußerlich einander zum Verwechseln ähnlich, sind die Zwillingsschwestern charakterlich grundverschieden. Die bezaubernde Mae will das Leben voll auskosten, ist temperamentvoll und ehrgeizig und jagt großen Träumen nach. Romy dagegen ist schüchtern, nicht so selbstsicher wie Mae, aber jederzeit bereit, sich für die Schwester aufzuopfern. Sie ist ein modernes Aschenbrödel, das immer im Schatten seiner lebenslustigen Schwester steht. Aber soll nur im Märchen das Aschenbrödel seinen Prinzen bekommen? Oder gelingt dies auch Romy?Marie Louise Fischer wurde 1922 in Düsseldorf geboren. Nach ihrem Studium arbeitete sie als Lektorin bei der Prag-Film. Da sie die Goldene Stadt nicht rechtzeitig verlassen konnte, wurde sie 1945 interniert und musste über eineinhalb Jahre Zwangsarbeit leisten. Mit dem Kriminalroman "Zerfetzte Segel" hatte sie 1951 ihren ersten großen Erfolg. Von da an entwickelte sich Marie Louise Fischer zu einer überaus erfolgreichen Unterhaltungs- und Jugendschriftstellerin. Ihre über 100 Romane und Krimis und ihre mehr als 50 Kinder- und Jugendbücher wurden in 23 Sprachen übersetzt und erreichten allein in Deutschland eine Gesamtauflage von über 70 Millionen Exemplaren. 82-jährig verstarb die beliebte Schriftstellerin am 2. April 2005 in Prien am Chiemsee.-
Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:
Seitenzahl: 366
Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:
Marie Louise Fischer
Roman
Saga Egmont
Unruhige Mädchen
Genehmigte eBook Ausgabe für Lindhardt og RInghof A/S
Copyright © 2017 by Erbengemeinschaft Fischer-Kernmayr, (www.marielouisefischer.de)represented by AVA international GmbH, Germany (www.ava-international.de)
Originally published 1970 by Lichtenberg Verlag, Germany
All rights reserved
ISBN: 9788711719213
1. Ebook-Auflage, 2017
Format: EPUB 3.0
Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für andere als persönliche Nutzung ist nur nach Absprache mit Lindhardt og Ringhof und Autors nicht gestattet.
SAGA Egmont www.saga-books.com und Lindhardt og Ringhof www.lrforlag.dk – a part of Egmont www.egmont.com
Romy Forster stand vor dem Frisiersalon Kleemüller und wartete auf ihre Zwillingsschwester Mae. Sie wirkte sehr schmal und sehr schlank in dem durchgeknöpften blauen Leinenkleid mit dem kleinen weißen Kragen, ein nettes, aber durchaus unauffälliges junges Mädchen.
Ungeduldig blickte sie auf ihre Armbanduhr. Es war sieben Uhr vorbei, und sie mußten noch nach Hause, sich umziehen und schön machen. Heute abend durften sie den Vater, Prokurist bei ›Heinemann & Co.‹, zum Betriebsfest seiner Firma begleiten, ein Ereignis, auf das sie sich schon seit Wochen freuten.
Trotzdem sah es Mae natürlich ähnlich, daß sie das, schusselig wie sie war, vergessen hatte. Deshalb hatte Romy der Mutter versprechen müssen, Mae vom Frisiersalon, in dem sie tätig war, abzuholen.
Romy versuchte, durch die Schaufensterscheibe in das Innere des Geschäftes zu blicken. Wurde drinnen noch gearbeitet? Oder war es möglich, daß Mae sich schon früher losgeeist und sie sie verpaßt hatte?
Sie kämpfte mit sich, ob sie eintreten und sich vergewissern sollte, was los war. Sie wußte, das wäre das Vernünftigste gewesen. Aber sie konnte sich nicht dazu überwinden und verwünschte einmal mehr ihre Schüchternheit.
Sie zuckte zusammen, als sie angesprochen wurde – oder galt dieses fröhliche »Hallo« gar nicht ihr? Langsam drehte sie sich um.
Ein Porsche hatte am Straßenrand gebremst, der Fahrer winkte ihr vergnügt zu. Sie erkannte den jungen Norbert Heinemann, den Juniorchef ihres Vaters, spürte voll Entsetzen, daß sie über und über rot wurde.
»Guten Tag, Herr Heinemann«, sagte sie, ohne ihn anzublicken.
Er schwang sich aus dem Auto, kam auf sie zu.
»Fräulein Forster, fein, daß ich Sie treffe! Sie kommen doch heute abend?«
Romy wurde es warm ums Herz, »Ja«, sagte sie, »ganz bestimmt!«
Sie blickte scheu zu Norbert Heinemann auf. Sie mochte den jungen Mann, den sie nur flüchtig kannte, nicht besonders. Er war ihr zu selbstbewußt, zu sehr von sich eingenommen. Trotzdem schmeichelte ihr sein Interesse.
»Ich freu mich schon«, sagte er. »Hoffentlich spielen sie nicht lauter Walzer und Tangos für die alten Herrschaften … Sie twisten doch sicher unverschämt gut, Mae?«
Romy war es, als wenn ihr ganzes Blut mit einem einzigen Schlag zum Herzen zurückwich. Sie fühlte, wie sie blaß wurde, aber sie warf den Kopf in den Nacken und zwang sich, Norbert Heinemann gerade in die Augen zu sehen.
»Ich bin nicht Mae!« – Trotz aller Anstrengung klang ihre Stimme brüchig.
Der junge Mann hob die Augenbrauen. »Machen Sie keine Witze, Mädchen!«
Romy hörte, wie hinter ihrem Rücken die Ladentür klirrend ins Schloß geworfen wurde, und sie wußte sofort, daß nur ihre Zwillingsschwester sich so temperamentvoll anzukündigen pflegte.
»Da kommt Mae«, sagte sie, ohne sich umzusehen.
»Hei, Norbert« schrie Mae fast im gleichen Augenblick. Sie tanzte auf die beiden zu, das strahlende, lebensvolle Abbild ihrer Schwester.
Norbert Heinemann blickte sie entgeistert an. Maes Haar war um einen Ton goldener als Romys, sie trug es kunstvoll, nicht so schlicht wie die Schwester frisiert, ihre Lippen waren voller und leuchteten korallenrot, aber dennoch war die Ähnlichkeit der beiden Mädchen fast unglaublich.
»Donnerwetter!« sagte er verblüfft.
Mae verstand ihn falsch. »Gefall’ ich Ihnen?« rief sie. »Na, dann passen Sie nur gut auf, daß Ihnen heute abend nicht die Augen aus dem Kopf fallen … ich hab’ nämlich vor, mich ganz groß in Schale zu werfen!«
Norbert Heinemann lächelte und warf einen bedeutungsvollen Blick auf den tiefen spitzen Ausschnitt ihres Sommerpullovers, der den Ansatz ihres runden Busens preisgab. »Hübscher als jetzt können Sie sich gar nicht machen!«
Mae genierte sich durchaus nicht, im Gegenteil, sie schob die Brust noch einen Zentimeter mehr heraus. »Wetten, daß?«
»Mit Ihnen wette ich nicht! Sie sind mir zu gerissen!«
Mae lachte. »Ihr Glück!« Sie faßte die Schwester bei der Hand. »Komm, Romy, steh nicht rum! Wir müssen nach Hause!«
»Wenn ich die Damen vielleicht heimbringen darf?« erbot sich Norbert Heinemann.
»Nein, danke«, sagte Romy rasch. »Wir gehen lieber zu Fuß!« Sie versuchte die Schwester mit sich zu zerren.
»Auch recht«, sagte der junge Mann ungerührt. »Also dann … bis heute abend?«
Mae drehte sich, schon im Gehen, noch einmal um. »Tschüüs!«
»Du bist mir doch nicht böse«, fragte Romy, als sie sich ein paar Schritte entfernt hatten, »daß ich sein Angebot abgelehnt habe?«
»Woher denn!« sagte Mae. »Man muß die Männer zappeln lassen, besonders so eitle Affen wie Norbert Heinemann!«
Romy warf ihrer Schwester einen raschen Seitenblick zu. »Ich dachte, er gefällt dir?«
»Eben. Norbert ist ein Typ, der jedem Mädchen gefällt. Darum darf man es ihm nicht zeigen.«
»Ach so!«
Mae blieb stehen. »Was hast du eigentlich mit ihm gehabt?« fragte sie mißtrauisch, »bevor ich aus dem Laden kam?«
»Gar nichts. Er hat mich mit dir verwechselt.«
Mae lachte. »So ein Trottel! Der sollte sich mal eine Brille verschreiben lassen!«
Romy wußte, daß die Schwester es nicht böse meinte, dennoch empfand sie einen kleinen stechenden Schmerz in der Herzgegend.
»Hast du heute ’was Interessantes erlebt?« fragte sie, um das Thema zu wechseln.
Mae begann sofort zu erzählen, von schwierigen Kundinnen, von modernen Haartönungen, großzügigen und kleinlichen Trinkgeldern. Romy warf hin und wieder ein Wort dazwischen, aber sie war nicht bei der Sache.
Seit jeher war es ihr peinlich gewesen, sich an der Seite der Schwester sehen zu lassen, und auch jetzt berührten die erstaunten, die neugierigen, die belustigten Blicke der Passanten sie unangenehm. Mae schien gar nichts davon zu merken. Sie schritt eilig aus, schwätzte dabei ununterbrochen. Sie war es gewohnt, Aufsehen zu erregen, und sie genoß es geradezu.
Aber Romy empfand es immer noch als ein Spießrutenlaufen. Das war schon so gewesen, als die Mutter die beiden Blondköpfe im breiten Kinderwagen spazierenfuhr und als sie, Hand in Hand und immer gleich gekleidet, die ersten Schritte taten. Damals wurden sie noch Rose und Marie gerufen, wie ihre Eltern sie sinnigerweise getauft hatten. Mae war es gewesen, die diese Namen als altmodisch abgetan und die Umbenennung eigenwillig und energisch durchgeführt hatte. Romy, die ihren richtigen Namen ganz hübsch fand, hatte sich, gutmütig wie immer, der Schwester gefügt.
Aber in einem Punkt waren sie sich völlig einig: seit sie flügge geworden waren, lehnten sie es entschieden ab, die gleiche Kleidung zu tragen, und jetzt, mit siebzehn, hatte jede ihren eigenen Geschmack entwickelt. Ganz bewußt verzichteten die beiden Schwestern auf alles, was ihre Ähnlichkeit hätte unterstreichen können.
Dennoch wurden sie immer wieder miteinander verwechselt, und Romy konnte es beim besten Willen nicht einfach komisch finden, wie Mae es tat. Sie hatten beide die gleichen geraden, kleinen Nasen, glatte, leicht gewölbte Stirnen – Maes war eine Idee breiter, Romys wirkte höher – und ihre Augen zeigten das gleiche tiefe Blau. Aber Maes Augen wirkten größer und strahlender, ihr Blick war keck und selbstbewußt. Sie verstand es prächtig, die Schönheit ihrer Augen zur Geltung zu bringen, durch Wimpernflattern und Liderklappern, große Blicke und ein geschicktes Make-up.
Romy hatte oft das Gefühl, daß sie beide verschiedene Ausfertigungen des gleichen Modells waren – sie, Romy, der erste zaghafte, nicht ganz gelungene Versuch, Mae das prächtige Endprodukt. Romy war eine halbe Stunde vor Mae geboren, dennoch hielten die meisten Menschen Mae und nicht sie für die Ältere.
Während sie Mae mit halbem Ohr lauschte, versuchte Romy vergebens, nicht auf die langgezogenen Pfiffe der Bewunderung zu achten, die nicht ihr galten, nicht auf die Blicke, die immer zuerst die Schwester trafen und dann erst zu ihr hinüberglitten.
Als sie in die Prinz-Eugen-Straße einbogen, in der sie bei ihren Eltern wohnten, hielt Romy sich unwillkürlich einen Schritt zurück. Hier, wo sie alle kannten, empfand sie den ständigen Vergleich, den ihr gemeinsames Auftreten herausforderte, als noch quälender.
Sie betrachtete die Schwester, die vor ihr herging, die runden Hüften, die der gerade geschnittene Rock eng umspannte und die bei jedem Schritt hin- und herschwangen, ob sie sich wohl selber auch so herausfordernd bewegte, ohne es selber zu merken? Nein, nie im Leben! Maes Rock war so kurz, daß er die schmalen Kniekehlen und den Ansatz der Oberschenkel sehen ließ. Unwillkürlich errötete Romy für die Schwester, senkte den Blick.
So war sie völlig überrascht, als sie fast in ein Hindernis hineinlief, Erst als sie den Kopf hob, erkannte sie, was los war. Drei Jungen aus der Nachbarschaft, Freddy, Tom und Conny, hielten sich an den Händen und bildeten eine Kette, um Mae und ihr den Durchgang zu versperren.
»He, was soll das?« rief Mae ärgerlich.
»Hör mal«, sagte Freddy, der älteste der drei, »puste dich nicht gleich auf! Wir wollten nur noch einmal mit euch reden …«
»Wegen heute abend«, fügte der schmächtige, semmelblonde Conny hinzu.
»Gebt’s auf. Es hat keinen Zweck,« sagte Mae.
»Aber du weißt doch …« versuchte Tom es.
» … unsere Party war schon seit Wochen geplant!« ergänzte Conny, der davon überzeugt zu sein schien, daß die anderen ohne seine Hilfe keinen vernünftigen Satz zustande brächten.
»Ihr mit eurer blöden Party«, sagte Mae verächtlich. Sie schlug mit einer unvermutet heftigen Bewegung die Hände von Tom und Conny auseinander, schaffte sich freie Bahn.
Romy blieb, obwohl niemand sie mehr aufhielt, bei den Jungen stehen. Sie kannte die drei seit vielen Jahren, Mae und sie hatten als Kinder mit ihnen zusammen gespielt, und es schien ihr nicht richtig, die Freunde so kaltherzig abzuschütteln.
»Es geht wirklich nicht, wißt ihr«, sagte sie. »Unser Vater besteht darauf, daß wir ihn begleiten … es tut uns ja selber leid.«
»Könnt ihr nicht früher abhauen?« fragte Tom. Er war ein schlanker Junge von achtzehn Jahren, Romy mochte ihn von allen am liebsten. Er sah sehr gut aus mit seinem schwarzen Haar und den großen grauen Augen, die von dunklen, sehr dichten Wimpern umgeben waren.
»Vielleicht«, sagte sie.
»Denk dir irgendwas aus, wie du Mae loseisen kannst«, drängte Conny, »wir brauchen sie doch! Ohne sie ist die ganze Party Scheibenkleister!«
»Natürlich«, dachte Romy, »es geht ihnen um Mae, nicht um mich!« Aber sie verzog keine Miene. »Könnt ihr die Party nicht verschieben?« fragte sie.
»Ausgeschlossen«, sagte Freddy, »alle sind benachrichtigt. Außerdem … meine alten Herrschaften sind ja nur heute abend weg.«
»Ja, dann«, sagte Romy, »es tut mir leid!«
»Uns erst mal, verdammt noch mal!« rief Conny.
»Kommst du endlich?!« mahnte Mae ungeduldig von der Haustür her.
Romy nickte den dreien freundlich zu. »Ihr seht, ich muß schieben … viel Spaß für heute abend!« Sie lief Mae nach.
»Bist du wahnsinnig geworden, mit diesen Idioten noch zu verhandeln?« sagte Mae böse. »Es ist die allerhöchste Eisenbahn für uns …« Sie hatte die Haustür schon aufgeschlossen, den Fuß dazwischengestellt, jetzt schob sie sie auf.
»Es sind doch unsere Freunde, Mae«, sagte Romy versöhnlich.
Sie folgte der Schwester in das dunkle Treppenhaus.
»Schöne Freunde, pah!« rief Mae verächtlich. »Dämliche kleine Jungens sind das!«
»Mit Norbert Heinemann«, sagte Romy, »können sie sich natürlich nicht vergleichen.«
Mae lachte unbekümmert. »Du sagst es!«
Sie sprang Romy voran die ausgetretenen Stufen hinauf, und Romy überfiel eine jähe Angst, ein drückendes Verantwortungsgefühl. Es war ihr, als wenn sie die Schwester vor einer drohenden Gefahr schützen müßte.
»Mae«, sagte sie atemlos, als sie sie vor der Wohnungstür erreichte, »Mae!«
»Ja …?«
»Mae, bitte, gib auf dich acht … mach keine Dummheiten!«
Mae umarmte die Schwester zärtlich. »Keine Bange, Schätzchen, mir passiert schon nichts! Ich bin ja nicht von gestern!«
Eine halbe Stunde später drängten sich Romy, Mae und Frau Forster in dem schmalen Gang, der zwischen den Ehebetten und dem großen Schrank im Elternschlafzimmer zum Spiegel führte. Die beiden Schwestern hatten zwar ein sehr hübsches eigenes Zimmer, aber nur in diesem einen Raum gab es einen großen Spiegel, in dem man sich von Kopf bis Fuß sehen konnte.
Herr Forster war ins Bad geflüchtet, wo er sich, zum zweitenmal an diesem Tag, rasierte.
Romy kniete neben der Schwester am Boden und war damit beschäftigt, den Saum von Maes eng anliegendem, leuchtend rotem Twistkleid aufzunähen. »Bitte, paß auf, Mutti«, sagte sie undeutlich, denn sie hatte sich eine Stecknadel zwischen die Lippen geschoben, »du hättest mich beinahe getreten!«
»Wann wirst du endlich fertig?« fragte die Mutter. »Ich möchte schließlich auch mal einen Blick in den Spiegel werfen!«
Ja, beeil dich, Romy«, drängte Mae und trat von einem Fuß auf den anderen, »lange halt ich es nicht mehr aus!«
»Bleib stehen«, mahnte die Schwester, »sonst dauert es doppelt so lange … wenn du dein Kleid früher in Ordnung gebracht hättest, wäre dir das alles erspart geblieben!«
»Das stimmt wirklich«, sagte Frau Forster mit sanftem Vorwurf, »deine Schlamperei kann einem wirklich auf die Nerven gehen, Mae! Übrigens … ich finde, das Kleid macht dich zu blaß … rot ist doch keine Farbe für ein junges Mädchen!«
»Gerade, Mutti, davon verstehst du nichts! Rot ist der letzte Schrei … was sagst du, Romy?«
Romy biß den Faden ab. »Ich finde, du siehst fabelhaft aus!«
Mae musterte sich kritisch. »Mir fehlt was … oben herum!«
»Steck dir eine Blume an!«
»Nein, das ist nicht das Richtige! Ob du mir wohl deine Perlenkette leihen würdest, Romy? Bitte, sei lieb, tu mir den Gefallen!«
Romy hatte zwar vorgehabt, diese Perlenkette, ihren einzigen wirklichen Schmuck, das Geschenk ihrer Patentante, heute abend selbst anzulegen, aber sie gab nach. Sie wußte aus Erfahrung, daß Mae zum Schluß doch mit Schmollen, Bitten und Drohen ihr Ziel erreichen würde, deshalb schien es ihr besser, gleich ja zu sagen.
»Du bist wirklich süß«, sagte Mae begeistert. »Hol mir die Kette, ja? Daß ich sie gleich anprobieren kann!«
Romy stand auf und drängte sich an der Mutter und der Schwester vorbei aus dem Zimmer. Sie war noch nicht dazu gekommen, sich selber fertig anzuziehen, trug einen Büstenhalter und einen Pettycoat. Sie benutzte die Gelegenheit, um in ihrem Zimmer rasch das hellblaue Seidenkleid mit der tief gezogenen Taille und dem weiten, artgekräuselten Rock überzuziehen, das seit einer Stunde ausgebreitet auf ihrem Bett auf sie wartete. Dann nahm sie die Perlenkette aus dem Etui und eilte ins Elternschlafzimmer zurück.
Auf der Schwelle blieb sie einen Augenblick stehen. Sie war gespannt, was Mutter und Schwester zu ihrem Kleid sagen würden – sie hatte es noch nie getragen und war nicht sicher, ob es ihr so gut stand, wie es ihr beim Einkauf vorgekommen war.
Aber Mae und Frau Forster schenkten ihr keinen Blick. Sie waren beide völlig mit sich selber beschäftigt. Frau Forster hatte hektische rote Flecke auf den runden Wangen, versuchte, über Maes Schulter blickend, sich ein Löckchen tiefer in die Stirn zu ziehen.
Romy kam näher. »Hier ist die Kette!«
»Leg sie mir um, bitte«, sagte Mae, »geh zur Seite, Mutti, damit Romy durch kann!«
Erst als Romy hinter die Schwester trat, um ihr die Kette um den Hals zu legen, merkte Mae, daß sich die Schwester schon angezogen hatte.
»Bist du verrückt?!« rief sie. »Du bist ja noch gar nicht frisiert …«
»Das kommt noch«, erklärte Romy ruhig und drückte den Sicherheitsbügel fest.
»Soviel solltest du schon wissen, daß man sich das Kleid zuletzt anzieht!«
Ich lege mir einen Frisierumhang um …« erwiderte Romy, »bitte, Mutti, machst du mir den Reißverschluß zu? Und das Häkchen? Ich bin nicht ganz hinten hochgekommen!«
Während Frau Forster den Reißverschluß von Romys Kleid zuzog, betrachtete Mae sich kritisch im Spiegel, schob die Kette hin und her. Die Perlen schimmerten auf ihrer braunen, glatten Haut.
»Nein«, sagte sie, »das ist doch nicht das Richtige! Zu mickrig für mich!«
Romy war alles andere als beleidigt. »Kann ich sie selber haben?« fragte sie erfreut.
»Von mir aus! Bitte, mach sie mir wieder los … rasch!«
Romy beeilte sich, der Schwester zu helfen, aber sie war nicht schnell genug für Maes Ungeduld. Mae zerrte an der Kette … sie zerriß, fiel zu Boden.
Unwillkürlich stieß Romy einen kleinen Schrei aus.
»Oh, tut mir leid«, sagte Mae reuevoll, »das wollte ich nicht!«
Romy beugte sich nieder, hob die Kette und die einzelne Perle, die sich gelöst hatte, auf. »Macht ja nichts«, sagte sie gefaßt, »man kann sie wieder reparieren, die Perlen sind einzeln verknotet … aber du zahlst mir das, Mae!«
»Na klar«, sagte Mae friedfertig, »am nächsten Ersten! Die Frage ist jetzt nur …« Sie stockte mitten im Satz, rief: »Mutti!«
Beide Schwestern starrten auf Frau Forster, die sich auf die Bettkante hatte sinken lassen, die Hand gegen das Herz gepreßt. Ihr Gesicht, das sich gefährlich gerötet hatte, wurde von einer Sekunde zur anderen leichenblaß, die Augen sanken in die Höhlen.
Romy kniete sich, ohne Rücksicht auf ihr schönes neues Kleid, neben die Mutter, umschlang sie mit beiden Armen. »Mutti … was ist dir?«
»Meine Tropfen, rasch«, stöhnte Frau Forster.
Mae stürzte zum Toilettentisch, auf dem Frau Forsters Medizin stand, gleichzeitig rannte Romy ins Bad, um dem Vater Bescheid zu sagen und ein Glas Wasser zu holen. In Sekundenschnelle waren beide wieder bei der Mutter. Mae tröpfelte ihr die Medizin in einen Löffel, Romy reichte ihr das Glas Wasser zum Nachtrinken.
»Geht es dir besser?« fragten die Schwestern gleichzeitig, als Frau Forster ihre Medizin geschluckt hatte.
»Ich glaube«, murmelte Frau Forster mit geschlossenen Augen, »ich muß mich hinlegen. Die Aufregung … es war zuviel für mein Herz!«
Mae riß die großen blauen Augen auf. »Was für eine Aufregung?« fragte sie verdutzt.
»Halt die Klappe«, sagte Romy schärfer, als es sonst ihre Art war, »hilf lieber Mutti langlegen!«
Sie betteten die Mutter, stopften ihr das Kopfkissen unter die Füße.
Herr Forster polterte ins Zimmer. Er hatte sich beim Rasieren geschnitten und preßte sich einen mit Alaun getränkten Wattebausch gegen das Kinn. »Also, was ist?« fragte er, »seid ihr endlich soweit?«
»Aber du weißt doch«, sagte Romy, »Mutti ist es nicht gut!«
»Verdammte Weiberwirtschaft! Habt ihr also wieder einmal eure Mutter so lange aufgeregt, bis sie …«
»Stimmt ja gar nicht, Väterchen«, unterbrach ihn Mae, »das schafft sie ganz allein!«
Herr Forster schob die beiden Mädchen beiseite, beugte sich über seine Frau. »Sehr schlimm, Anna?« fragte er, und seine Stimme klang besorgt.
»Ziemlich.«
»Du kannst also nicht mit?«
Mae und Romy starrten gebannt auf die Mutter. Sie wußten, wieviel für sie alle von der Antwort abhing, die Frau Forster nun geben würde.
Die Mutter öffnete die Augen. »Es tut mir so leid«, flüsterte sie, »ich wollte euch wirklich nicht den Spaß verderben …«
»Unnsinn, Anna, Spaß oder nicht Spaß, das ist doch nicht wichtig! Es geht hier nur um dich und deine Gesundheit.«
Frau Forster tastete nach seiner Hand. »Lieb von dir, Bernhard!«
»Können wir dich denn allein lassen?« Herr Forster richtete sich auf, sah seine beiden Töchter an.
Mae drehte sich flink zur Seite, wich dem Blick ihres Vaters aus.
»Also?« fragte Herr Forster, die Augen auf Romy gerichtet.
Romy sah in das verfallene Gesicht ihrer Mutter.
Es kostete sie ungeheure Überwindung, aber sie begriff, sie hatte keine Wahl – unmöglich konnte sie sich in dieser Situation gegen den Wunsch des Vaters auflehnen oder mit der Schwester streiten. »Ich bleibe«, sagte sie tonlos.
Mae wirbelte auf sie zu, drückte ihre frisch bemalten Lippen auf ihre Wangen. »Wenn wir dich nicht hätten, Romy, du bist wirklich ein Schatz!«
Dann ging plötzlich alles sehr schnell. Mae schien völlig vergessen zu haben, daß sie eben noch eifrig nach einem passenden Halsschmuck gesucht hatte. Sie drängte nur noch fort, als wenn sie befürchtete, doch noch im letzten Augenblick zurückgehalten zu werden. Es gab noch ein letztes hektisches Suchen nach Schlüsseln, Handschuhen, Portemonnaie und Halstuch. Herr Forster tätschelte Romy leicht verlegen zum Abschied den Kopf. Es war, als wenn er noch etwas sagen wollte, aber er unterließ es dann doch, weil er nicht die richtigen Worte fand.
Mit einem Knall schlug die Tür hinter Vater und Tochter ins Schloß. Romy blieb allein mit der kranken Mutter in der Wohnung, die plötzlich sehr still und sehr leer geworden war.
Langsam zog sie sich das schöne neue Kleid aus, hängte es sorgfältig über einen Bügel in den Schrank. – »Ob ich wohl je Gelegenheit haben werde, es zu tragen?« schoß es ihr durch den Kopf.
Sie ging zu Frau Forster zurück, die immer noch mit geschlossenen Augen dalag. »Kann ich etwas für dich tun, Mutti?« fragte sie.
»Ja. Setz dich zu mir. Ich … ich habe solche Angst!«
Romy zog sich einen Stuhl zum Bett, nahm die Hand der Mutter. »Es wird gleich besser werden, Mutti, bestimmt! Du hast doch schon oft solche Anfälle gehabt …«
»Es ist jedesmal wieder … so schrecklich!«
Romy schwieg, denn sie wußte, daß ihre Worte weder Hilfe noch Trost sein konnten. Sanft und beruhigend streichelte sie die Hand der Mutter.
»Romy …« sagte Frau Forster nach einer Weile.
»Ja, Mutti?«
»Glaubst du, daß Mae heute abend Erfolg haben wird?«
»Ganz bestimmt«, sagte Romy mühsam – sie fühlte sich sehr elend, und ihr Herz lag schwer wie ein Stein in ihrer Brust.
Für Mae Forster begann das Betriebsfest mit einer gewissen Enttäuschung.
Die Firma Heinemann hatte für diesen Abend ein Gartenlokal draußen vor der Stadt gemietet. Auf den kleinen, weiß gedeckten Tischen in dem großen Park flackerten Windlichter, bunte Lampions schaukelten in den Bäumen, eine gute Band spielte zum Tanz, und festlich gekleidete Paare bewegten sich auf der runden Tanzfläche. Es war alles wunderschön – es hätte wunderschön sein können, wenn Norbert Heinemann sich um Mae gekümmert hätte, wie sie es erwartet hatte.
Aber gerade das tat er nicht. Er beachtete sie überhaupt nicht, weder als sie an der Seite ihres Vaters den sommerlichen Garten betrat, noch später, als sie an einem Tisch in der Nähe der Tanzfläche Platz gefunden hatten. Norbert Heinemann tanzte unentwegt, aber nicht ein einziges Mal mit Mae.
Doch sie war nicht das Mädchen, das sich durch so etwas deprimieren ließ. – ›Na warte, du Schuft‹, dachte sie, ›du kannst was erleben! Wenn du glaubst, daß du mich mit dieser Taktik weich machen kannst, hast du dich geirrt. Dir werde ich es schon zeigen!‹
Sie lächelte, flirtete, kokettierte nach allen Seiten, ohne nun ihrerseits Norbert Heinemann auch nur einen einzigen Blick zu schenken. Selbst als sie auf der Tanzfläche einmal mit ihm und seiner Partnerin – einer Sekretärin seines Vaters – beinahe zusammengestoßen wäre, sah sie durch ihn hindurch, als wenn er Luft wäre. Sie war sich ihres Erfolges ganz sicher, und sie hatte Erfolg.
Als die Band eine Pause einlegte, kam er an ihren Tisch. Herr Forster hatte sich mit zwei Kollegen zu einem gemütlichen Skat zurückgezogen. Fritz, Lehrling bei der Firma Heinemann und Herr Scheurer, ein gutaussehender junger Angestellter, dessen Frau ein Baby erwartete und die deshalb nicht mitgekommen war, leisteten ihr Gesellschaft.
Norbert Heinemann beugte sich lächelnd zu ihr herunter. »Guten Abend, Fräulein Forster!«
Mae tat erstaunt. »Oh, Herr Heinemann, Sie sind auch hier?«
Norbert Heinemann war irritiert. »Aber das wußten Sie doch!«
»Daß Sie kommen wollten ja, … aber ich habe Sie den ganzen Abend noch nicht gesehen!«
Das war eine faustdicke Lüge, aber Norbert Heinemann mußte sie schlucken. Er geriet aus dem Konzept.
»Ihre Schwester ist nicht hier?« fragte er.
»Wie Sie sehen«, entgegnete Mae schnippisch.
»Darf ich sicherheitshalber fragen, wen ich vor mir habe … Mae oder Romy?«
»Dreimal dürfen Sie raten!«
Fritz und Herr Scheurer lachten, verstummten aber sofort wieder unter dem Blick des Juniorchefs.
»Sie sind ganz schön frech«, sagte Norbert Heinemann gereizt.
»Dann wissen Sie ja auch, wer ich bin … jedenfalls nicht Romy, das Lämmchen!«
Wenn Mae in ihrem leuchtendroten Kleid nicht so zauberhaft und aufreizend gewirkt hätte, hätte sich Norbert Heinemann bestimmt zurückgezogen, wie er es am liebsten getan hätte. So brachte er es einfach nicht über sich.
Die Band hatte ihre Pause beendet, intonierte einen Letkiss.
Norbert Heinemann machte eine Kopfbewegung zur Tanzfläche. »Wollen wir?«
»Leider«, behauptete Mae, »diesen Tanz habe ich schon Fritz versprochen!«
Fritz, ein schlaksiger, unsicherer Junge, wurde über und über rot. »Aber, Mae!« sagte er.
Sie sprang auf, reichte ihm die Hand. »Kommen Sie, Fritz?«
»Ich … ich möchte mich nicht aufdrängen«, stotterte der Junge.
»Na also!« Norbert Heinemann packte Mae beim Handgelenk und zog sie mit sich.
Sie folgte ihm mit wiegenden Hüften. »Hanni, Fanni, ralala … letkiss, kiss, kiss, kiss!« trällerte sie unbekümmert vor sich hin.
Auf der Tanzfläche blieb er stehen, legte ihr die Hände auf die Schultern. »Hören Sie, Mae …«
Sie schaute aus großen Augen auf, fragte im sanftmütigen Ton einer braven Schülerin. »Ja, Herr Heinemann?«
»Mit mir können Sie solche Witze nicht machen!«
Ihre Füße bewegten sich im Rhythmus der Musik. »Sie haben keinen Humor?« erkundigte sie sich interessiert.
»Doch! Aber ich hasse Tricks!«
»Ich nicht«, erwiderte sie vergnügt, »aber ich falle nicht darauf rein … Sie können sie sich also in Zukunft bei mir sparen!«
Sie hopsten gerade aufeinander zu, und er packte ihren Kopf, drückte ihr einen festen Kuß auf die Lippen. »Kanaille!« sagte er.
»Gleichfalls«, erwiderte sie ungerührt.
Er lachte. »Mir scheint, wir passen ganz gut zueinander!«
Sie genoß die faszinierten Blicke Norbert Heinemanns, die Musik, die bunten Lichter, den ganzen wunderbaren Abend … es war herrlich, jung, begehrenswert und erfolgreich zu sein und zu wissen, daß das Leben voller Verheißungen vor einem lag.
Romy Forster hatte eine gute Stunde am Bett der Mutter gesessen. Dann, als sie merkte, daß der Anfall vorüber war, hatte sie sich auf Zehenspitzen aus dem Zimmer geschlichen.
Es war jetzt halb zehn Uhr. Sie hätte eigentlich ins Bett gehen können, aber sie wußte, daß sie keinen Schlaf finden würde. Sie hatte auch keine Lust, zu lesen, zu handarbeiten oder Schallplatten zu hören. Tatsächlich hatte sie zu überhaupt nichts Lust. Zwar hatte sie den Schock der Enttäuschung schon überwunden, aber sie kam sich furchtbar überflüssig vor.
Mit müden Schritten ging sie in die Küche und begann, um sich zu beschäftigen und abzulenken, das Geschirr vom Abend zu spülen. Sie erwartete kein Lob dafür, aber vielleicht würde sich die Mutter doch ein wenig freuen.
Sie hatte einen blauen Kittel angezogen und steckte bis zu den Ellenbogen im Spülwasser, als sie ein seltsames Geräusch, fast wie einen Sprung, vom Balkon her hörte. Sie fuhr herum.
Die Balkontür wurde von außen aufgestoßen, beinahe hätte sie laut aufgeschrien, aber dann erkannte sie Tom.
Er grinste sie ein wenig schuldbewußt an. »Hei, Romy!«
»Wie kommst du denn hierher?«
»Über den Balkon gestiegen, wie denn sonst!«
»Also hör mal«, sagte Romy, »das ist doch wirklich ein tolles Stück! Außerdem, ich dachte, du wärst auf der Party …«
»War ich auch. Ein ganz trüber Laden.«
Endlich glaubte sie zu begreifen. »Mae ist nicht hier«, sagte sie rasch.
»Weiß ich doch!« Er trat dicht auf sie zu, seine klaren grauen Augen mit den dichten schwarzen Wimpern waren dicht vor ihrem Gesicht. »Laß Mae aus dem Spiel, Romy … deinetwegen bin ich gekommen!«
Romy Forster wich unwillkürlich zurück, bis sie mit dem Rücken gegen die Kante des Spülsteins stieß. Wie immer, wenn sie mit einem Jungen allein war – selbst wenn sie ihn so gut kannte wie Tom – überfiel sie eine lähmende Unsicherheit, die sie vergebens zu bekämpfen suchte.
Toms Grinsen wurde noch breiter. »Du bist wirklich süß, Baby!«
»Besonders, wenn man dran knabbert!« Sie gab sich alle Mühe, sich ihre Verlegenheit nicht anmerken zu lassen. »Sag, was du willst, und dann hau ab!«
Er trat noch dichter auf sie zu, so daß sie zwischen ihm und dem Spülbecken geradezu eingekeilt war. »Hast du etwa Angst vor mir?«
»Quatsch. Du gehst mir nur auf die Nerven.«
»Dann leg die Waffen nieder!«
»Die … was!?« Sie blickte auf ihre Hände, entdeckte, daß sie den feuchten Spüllappen krampfhaft festhielt. »Ach so! Ich glaube, du hast Angst, daß ich ihn dir um die Ohren haue!«
»Es wäre mir immerhin nicht angenehm«, gab er zu.
»Also bleib mir vom Leibe!«
Er zog sich zurück, schwang sich rittlings auf einen Küchenstuhl, legte das Kinn auf die Hände und sah sie an. »Kein sehr liebenswürdiger Empfang, wenn man bedenkt, daß ich mein Leben für dich riskiert habe! Diese Kletterpartie über die Balkone war gar nicht so ungefährlich.«
»Niemand hat dich dazu aufgefordert.«
»Stimmt auffallend. Dann kann ich ja gehen.« Er stand auf, schwang das Bein über die Stuhllehne, schlenderte zum Fenster.
»Gute Nacht«, sagte sie ungerührt, »und brich dir nicht den Hals!«
Er stieß die Balkontür auf, schien darauf zu warten, daß sie ihn doch noch zurückrief, aber als nichts dergleichen geschah, wandte er sich wieder um.
»Lassen wir doch mal den Quatsch beiseite, Romy«, sagte er friedfertig, »interessiert es dich gar nicht, warum ich wirklich gekommen bin?«
»Wahrscheinlich, weil du einen in der Krone hast«, erklärte sie, »man riecht deine Fahne kilometerweit.«
»War bloß ein kleiner Whisky zum Anwärmen. Freddys Vetter hat ihn gestiftet.«
»Hochinteressant.«
»Damit die Party in Schwung kommt! Nun sei mal nicht so, Romy … warum willst du zu Hause sitzen und die Wände anstarren? Komm doch noch auf einen Sprung mit rüber.«
»Wenn die Party so öde ist?«
»Sie wird schon zünftig werden, wenn du erst da bist!«
»Ich bin nicht Mae!« sagte Romy und ärgerte sich selber über die ungewollte Bitterkeit, die aus ihren Worten klang.
»Wem sagst du das?« erwiderte Tom. »Also los, hab dich nicht und komm mit!«
Romy zögerte noch. Bestimmt war es verlockender auf die Party der Jungen zu gehen, als herumzusitzen und auf die Heimkehr der anderen zu warten, dennoch fiel es ihr schwer, zu einem Entschluß zu kommen.
»Meine Mutter ist krank«, erklärte sie, »sie hat einen Herzanfall gehabt.«
»Verdammtes Pech. Aber schließlich, es kommt doch aufs gleiche heraus, ob du hier in der Küche herumfuhrwerkst oder dich ein paar Häuser weiter amüsierst.«
Romy trocknete sich die Hände ab. »Ich könnte nachschauen, wie es ihr geht!«
»Na endlich! Tu das … ich warte hier so lange!«
Romy verließ die Küche, ging über den Flur und öffnete sehr leise und vorsichtig die Schlafzimmertür. Aber Frau Forster hatte sie doch gehört.
»Bist du es, Romy?« fragte sie verschlafen.
»Ja, Mutti. Ich wollte nur mal sehen, wie es dir geht!«
Romy trat an das Bett der Mutter, strich ihr die Decke zurecht. Frau Forsters Gesicht war rosig und gesund im Schein der Nachttischlampe.
»Danke, Kind. Ich glaub’ ich hab’s wieder mal überstanden.«
Romy bückte sich und gab der Mutter einen leichten Kuß auf die Stirn. »Fein, Mutti …«
»Es war sehr lieb von dir, daß du bei mir geblieben bist … war es ein großes Opfer?«
»Aber nein, Mutti, halb so wild.«
»Dann geh jetzt schön schlafen, Romy … ich bin auch sehr müde!«
Es fiel Romy sehr schwer, mit ihrer Bitte herauszurücken. »Mutti«, sagte sie, »du weißt doch, die Jungens geben heute abend eine Party …«
»Aber ihr habt doch abgesagt?«
»Ja, aber … wo ich doch nicht zum Betriebsfest konnte, da habe ich mir gedacht … ich meine natürlich nur, wenn du nichts dagegen hast … vielleicht könnte ich doch noch auf einen Sprung rüber gehen!«
»Jetzt noch?«
»Ich bleibe bestimmt nicht lange, Mutti!«
Frau Forster seufzte. »Na schön, ich sehe schon, du und Mae, ihr seid eine wie die andere …«
Romy preßte die Lippen zusammen, mühsam unterdrückte sie einen Widerspruch.
»Also lauf schon«, sagte Frau Forster, »ich bin zu müde, um mich mit dir zu streiten …«
»Danke, Mutti … schlaf gut!« Romy drehte sich um und eilte aus dem Zimmer. Als sie die Tür erreicht hatte, knipste Frau Forster die Nachttischlampe aus.
Im Flur blieb Romy stehen, atmete tief durch. Die Bemerkung der Mutter hatte ihr die Freude an der Party schon verdorben, am liebsten hätte sie Tom fortgeschickt.
Aber dann straffte sie die Schultern. – »Meine blödsinnige Empfindlichkeit«, dachte sie, »Mae wäre es ganz egal, was Mutti von ihr denkt! Es hat wirklich keinen Sinn, das Aschenbrödel zu spielen.«
Sie ging nicht in die Küche zurück, sondern erst auf ihr Zimmer, öffnete den Kleiderschrank. Nein, das schöne blaue Tanzkleid paßte bestimmt nicht für die Party der Jungens! Was sollte sie also anziehen?
Romy wählte eine enge blaue Hose und ihren weißen, selbstgehäkelten Sommerpullover, wusch sich die Hände, kremte sie ein, bürstete sich vor dem kleinen Spiegel ihr blondes Haar, fuhr sich sorgfältig mit einem hellen Stift über die Lippen.
Dann lief sie in die Küche zurück. »Ich bin fertig, Tom«, sagte sie, »wir können!«
»Na endlich«, sagte Tom ungalant, »ich dachte schon, du wolltest mich am ausgestreckten Arm verhungern lassen!«
Romy öffnete die Tür, legte den Finger auf die Lippen – leise huschten sie aus der Wohnung.
Als sie nebeneinander die Treppe hinunterliefen, spürte Romy, daß sie sich trotz allem freute, daß Tom gekommen war und sie aus ihrer Einsamkeit erlöst hatte.
»Danke, Tom«, sagte sie.
Er blieb stehen, lächelte auf sie herab. »Keine Ursache, Mädchen!«
Er öffnete die Haustür, faßte sie bei der Hand, und Hand in Hand liefen sie über die nächtliche Straße.
Das Betriebsfest hatte seinen Höhepunkt erreicht. Lachen, Gläserklirren und die reinen Klänge des ›Il Silenzio‹ drangen in die laue Sommernacht. In dem dunklen Grün der Bäume leuchteten die bunten Lampions und schaukelten sachte im leichten Wind.
Aber auf dem Parkplatz war es so still, daß man das Zirpen der Grillen hören konnte.
Mae Forster lag mit geschlossenen! Augen in den Armen Norbert Heinemanns. Leidenschaftlich erwiderte sie seine Küsse. Er hatte die rechte Hand in ihren Nacken geschoben, mit der linken streichelte er ihre Brust, und Mae genoß das seltsame Prickeln, das ihren Körper durchschauerte. Unwillkürlich seufzte sie tief auf, drängte sich näher zu ihm hin.
Aber dann, als seine Hand tiefer rutschte, versuchte sie sie wegzustoßen. Doch er verfolgte hartnäckig sein Ziel.
Mit einem Ruck riß sie sich los. »Laß das!« rief sie mit brüchiger Stimme.
Er versuchte, ihre beiden Hände festzuhalten, preßte seinen Körper gegen sie. Seine Augen, grünlich schimmernd im Mondlicht, waren dicht vor ihr.
Aber jetzt fauchte sie wie eine Katze. »Hör auf damit … oder …«
Seine Augen hatten einen Ausdruck, der sie erschreckte. »Oder was?«
»Ich zerkratz’ dir das Gesicht!«
»Versuch′s doch!« Es gelang ihm, ihre beiden Handgelenke zu packen, er preßte sie gegen das Polster seines Wagens.
»Ich schreie um Hilfe! Lach nur … ich tu′s wirklich!«
Schritte näherten sich, er ließ sie los.
»Warum?« fragte er. »Was ist auf einmal los mit dir?«
Sie rieb sich die schmerzenden Handgelenke. »Blöde Frage!«
Eine Autotür, ganz in der Nähe, wurde geöffnet, klappte zu. Norbert Heinemann zündete sich eine Zigarette an, rauchte mit tiefen Zügen, um sich zu beruhigen.
»Warum bist du denn überhaupt mit raus gekommen, wenn du dich jetzt so anstellst?« fragte er böse.
»Ich konnte doch nicht ahnen, daß du gleich so unverschämt werden würdest!« Sie zog sich den Rock herunter.
»Was hattest du denn erwartet?«
»Jedenfalls nicht, daß du gleich aufs Ganze gehen würdest!« Sie suchte ihr Handtäschchen, nahm den Spiegel heraus und versuchte, im ungewissen Mondlicht ihre Haare zu ordnen und ihr Make-up zu erneuern.
»Ich bin kein grüner Junge mehr, mit dem man spielen kann«, sagte er böse.
»Du bist es wohl gewohnt, daß alle Mädchen sich gleich hinlegen, wenn du nur mit dem kleinen Finger winkst?« fragte sie, und tupfte ihre Lippen mit einem Papiertüchlein ab.
»So ungefähr.«
»Da bist du bei mir eben ausnahmsweise mal an die falsche Adresse geraten.«
Er drückte ihr die Hand, die den Spiegel hielt, nieder. »Sag mal … bist du etwa noch Jungfrau?«
Sie erwiderte seinen Blick, ohne die Wimpern zu senken. Ihre Augen waren unergründlich blau. »Stört es dich?«
»Und ob!« Er rückte wieder näher, legte seinen Arm um ihre Schultern. »Aber immerhin … das läßt sich ja leicht ändern!«
Sie begann, scheinbar ungerührt, ihre Lippen nachzuziehen. »Dazu gehören immer zwei«, sagte sie.
»Soll das heißen … du willst nicht?«
»Genau.«
»Hör mal, Mae, da machst du aber einen großen Fehler. Du scheinst noch an Märchen zu glauben.«
Sie warf ihm einen spöttischen Blick zu. »Meinst du?«
»Unbedingt. Du hast dir einreden lassen, die Unschuld eines Mädchens wäre etwas sehr Kostbares und so weiter und so fort. Das alte dumme Geschwätz. Aber in Wirklichkeit …« Er stockte.
»Sprich dich nur aus!«
»Solange ein Mädchen noch keine wirklichen Erfahrungen hat, ist sie nichts weiter als eine dumme Gans!«
»Danke.«
»Du wirst schon selber darauf kommen, wenn du erst so weit bist. Sag mal ganz ehrlich, ist dir dieser unnatürliche Zustand nicht selbser schon manchmal lästig gewesen?«
»Danke der Nachfrage«, erwiderte Mae, »bisher noch nicht.«
»Du wirst schon sehen, wie weit du damit kommst! Ich habe Jungfrauen gekannt«, behauptete Norbert Heinemann, »die haben mich auf den Knien gebeten, sie doch endlich zu erlösen!«
»Und?« fragte Mae. »Hast du ihnen den Gefallen getan?«
»Nein. Sie waren mir zu abgestanden.«
Mae warf einen letzten, befriedigten Blick in ihren Spiegel. »Nun, das ist etwas, was man von mir wirklich nicht behaupten kann!« Sie steckte den Spiegel fort, klappte ihr Handtäschchen zu.
»Warte es nur ab«, sagte er, »so jung bist du auch nicht mehr …«
»Siebzehn!«
»Na eben. Ehe du es merkst, hast du die zwanzig erreicht, und dann … also wirklich, glaub mir, ich meine es nur gut mit dir.«
»Wie rührend!« sagte sie spöttisch.
Verärgert stieß er die Autotür auf, stieg aus.
»He, warte auf mich!« Sie sprang auf der anderen Seite heraus.
Norbert Heinemann warf seine Zigarette zu Boden, trat sie aus. Ohne sie anzusehen, ging er auf das Tor zum Gartenlokal zu. Mae konnte ihm auf ihren hohen Absätzen kaum folgen.
»Du bist doch nicht etwa böse auf mich?« fragte sie, als sie ihn erreicht hatte.
»Nicht die Spur. Es war ein unvergeßliches Erlebnis.«
Sie lachte unsicher. »Mal was anderes, wie?«
Aber er hielt es nicht einmal mehr für nötig, ihr zu antworten. Schweigend gingen sie nebeneinander her bis zum Rand der Tanzfläche. Er blieb stehen.
»Entschuldige«, sagte er und blickte über sie hinweg, »wenn ich dich nicht zu deinem Tisch zurückbringe. Aber ich sehe da hinten gerade eine Dame, um die ich mich unbedingt kümmern muß.«
»Viel Spaß!« sagte sie, Es sollte überlegen klingen, aber es geriet daneben.
Er drehte sich um und ließ sie stehen.
Sie wollte ihm nicht nachblicken, aber sie tat es doch. Sie sah, wie er sich vor einem Mädchen mit schwarzem, glatt gescheiteltem Haar verbeugte, das aus großen braunen Augen zu ihm aufstrahlte.
Mit einem Ruck wandte sie sich ab. »Zu blöd«, murmelte sie.
Sie versuchte sich klarzumachen, daß auch dies nichts weiter als eine altbewährte Taktik war, die Norbert Heinemann jetzt ihr gegenüber anwandte. Sie wußte, er bildete sich ein, sie würde weich werden, wenn er sie durch Nichtachtung strafte.
Aber dieses Wissen half nicht, ihr Herz leichter zu machen. Die Stimmung war ihr restlos verdorben. Sie hätte zu gern den reichen, gut aussehenden Norbert Heinemann zum Freund gehabt. Es wäre herrlich gewesen, wenn er mit seinem Porsche vor dem Frisiersalon Kleemüller vorgefahren wäre, um sie abzuholen – es war schon ein Genuß, sich nur die Gesichter der Chefin und der Kolleginnen dabei vorzustellen!
Doch jetzt war wohl nicht mehr daran zu denken. Sie hatte alles verpatzt. »Verdammtes Pech«, sagte sie halblaut vor sich hin.
»Na, wo hast du denn die ganze Zeit gesteckt?« fragte Herr Forster, als sie zum Tisch zurückkam.
»Hast du mich gesucht?« fragte sie unschuldsvoll. »Ich habe mich nur ein wenig frisch gemacht!«
»Es wird Zeit, daß wir nach Hause fahren!«
»Schon?« sagte sie.
Aber im Grunde war sie froh, aus einer unerquicklichen Situation erlöst zu sein. Es wäre ihr doch sehr schwer gefallen, mit anderen, völlig uninteressanten Männern zu tanzen und dabei noch vorzugeben, daß sie sich amüsierte, während Norbert Heinemann so tat, als wenn sie Luft für ihn wäre.
»Na schön«, sagte Herr Forster, der nicht ahnte, was vorgefallen war, »ein paar Tänze will ich dir noch zugestehen.«
»Ach weißt du, lieber doch nicht«, erklärte Mae rasch, »ich mache mir Sorgen um Mutti … und um die arme Romy, die zu Hause bleiben mußte.«
Herr Forster stand auf, tätschelte ihren Arm. »Du bist schon ein liebes Mädchen, Mae«, sagte er, »also komm, gehen wir!«
Mae genoß jedes Lob, auch wenn es unverdient war. Dennoch hellte sich ihr Gesicht nicht auf. Während sie sich verabschiedete und dem Vater zum Ausgang folgte, grübelte sie darüber nach, was sie falsch gemacht hatte.
Hätte sie Norbert Heinemann nachgeben sollen? Nein, bestimmt nicht, was fiel diesem eingebildeten Kerl nur ein! Sie hatte sich völlig richtig benommen. Oder vielleicht doch nicht?
Sie hätte alles darum gegeben, wenn dieser Abend ein Erfolg für sie geworden wäre.
Freddys Party war wirklich öde. Romy spürte es, kaum daß sie die Wohnung betreten hatte. Sie begriff auch, warum Tom sie geholt hatte. Es gab zu wenig Mädchen. Außer ihr war nur die schwarze Olga da – in schwarzen Jeans, schwarzem Rollkragenpullover, mit schwarzer, wehender Mähne – und die rothaarige kleine Molly, die eigentlich gar nicht dazu gehörte, weil sie erst fünfzehn war. Molly war übrigens die einzige, die die Party wirklich zu genießen schien – sie tanzte wie wild, ihr rundes Gesichtchen glühte, ihre roten Ponyfransen klebten an der verschwitzten Stirn.
Zwei Mädchen also und drei Jungens, wenn man Freddys Vetter, der mit gekreuzten Beinen auf der Couch saß, Pfeife rauchte und den Plattenspieler bediente, nicht mitrechnen wollte, das war ein schlechtes Verhältnis. Kein Wunder also, daß die Stimmung flau war.
Außerdem hatten sich die Jungen die Vorbereitungen für die Party sehr einfach gemacht. Sie hatten die Teppiche zusammengerollt und auf den Flur geschleift, den großen Tisch in die Ecke geschoben, um Platz zum Tanzen zu schaffen. Ein paar Flaschen mit Cola und Limonade, die schon lau geworden waren, standen zur allgemeinen Verfügung auf dem modernen Anbauschrank. Das war aber auch schon alles.
Die Luft war stickig und verbraucht, denn die Jungens hielten, um die Nachbarn durch den Lärm und die Beatle-Klänge nicht zu stören, sämtliche Fenster hermetisch verschlossen.
Aber Romy war gekommen, um sich zu amüsieren, und sie tat es auch. Immerhin war es lustig, wieder einmal nach Herzenslust zu tanzen, und es machte Spaß, wirklich willkommen zu sein – einmal ohne Mae, die ihr bestimmt die Schau gestohlen hätte.
Sie tanzte mit Tom, mit Freddy, mit Conny, einmal auch mit Olga, sie genoß die rasche Bewegung, den zündenden Rhythmus der Musik, schrie: »Yeah, yeah, yeah!« mit den anderen und lachte über nichts und wieder nichts.
Mit Genugtuung wurde ihr bewußt, daß sich die Stimmung seit ihrer Ankunft gebessert hatte. Ihre eigene gute Laune hatte die anderen angesteckt.
Erst nach einer Weile fiel ihr auf, daß die Jungen in immer kürzeren Abständen einer nach dem anderen verschwanden, um bald darauf wieder aufzutauchen.
»He, hiergeblieben!« schrie Olga und packte Conny beim Arm, der sich gerade zurückziehen wollte. »Was ist los mit dir? Mußt du etwa schon wieder?«
Alle lachten.
Molly rief: »Ach laß ihn doch! Er hat eben ein Sextanerbläschen!«
Conny wurde rot. »Halt die Klappe«, sagte er grob, »das ist Männersache!«
»Was?« fragte Molly.
Und wieder lachten alle.
Conny und Freddy verdrückten sich.
Olga stemmte die Hände in die Hüften. »Also wirklich«, sagte sie, »langsam gehen mir die Boys auf die Nerven! Ich möchte wirklich wissen, was sie da draußen treiben!«
»Sehen wir doch nach«, schlug Molly vor und war schon bei der Tür. Olga folgte ihr sofort.
»Hiergeblieben!« schrie Tom.
Er ließ Romy stehen und wollte die beiden Mädchen zurückhalten, aber die waren flinker als er, und er konnte nur noch hinterhersausen.
Romy wußte nicht recht, was sie jetzt tun sollte. Es hätte sie auch interessiert, was die Jungen immer wieder aus dem Zimmer lockte, aber es kam ihr albern vor, sich als Letzte nachzudrängen.
Freddys Vetter nahm die Nadel von der Platte. Es war plötzlich sehr still im Zimmer.
»Du kannst dir den Weg sparen«, sagte er, »ich kann dir erzählen, was draußen los ist!«
Romy sah ihn überrascht an. Es war das erste Mal an diesem Abend, daß Freddys Vetter überhaupt etwas sagte. Bisher hatte er nur immer mit wohlwollend amüsiertem Lächeln die anderen beobachtet.
»Ja, was denn?« fragte sie.
»Sie tanken auf!«
Romy ärgerte sich plötzlich über die überlegene Art des jungen Mannes. Er war älter als die anderen, sie schätzte ihn auf Anfang zwanzig, sah gut aus mit seinen breiten Schultern, dem braungebrannten Gesicht, den ruhigen, klugen Augen, aber das gab ihm doch kein Recht, auf seinen Vetter und dessen Freunde herabzublicken.
»Das ist Ihre Schuld«, sagte sie heftig, »Sie haben den Whisky doch mitgebracht!«
Freddys Vetter lachte. »Wer hat dir denn diesen Bären aufgebunden?« sagte er. »Whisky … ausgerechnet für diese grünen Jungen! Nein, sie trinken Schnaps, ganz gewöhnlichen Schnaps, und der stammt nicht von mir.«
»Sie sollten Ihnen das verbieten!«