Unter fernen Himmeln - Sarah Lark - E-Book + Hörbuch

Unter fernen Himmeln Hörbuch

Sarah Lark

3,6

Beschreibung

Hamburg, Gegenwart: Die Journalistin Stephanie ist in Neuseeland geboren und aufgewachsen. Doch an ihre ersten Lebensjahre dort und an ihren Vater hat sie jede Erinnerung verloren. Nun führt sie eine Recherchereise in das Land ihrer Kindheit - und bringt Vergangenes zurück: Als Kind wurde sie Zeugin eines Verbrechens. Stephanie reist durch ganz Neuseeland, um das lang gehütete Familiengeheimnis zu lüften. Begleitet wird sie von dem charismatischen Maori-Dozenten Weru, den mehr als die Suche nach der Wahrheit antreibt ...

Eine Geschichte von Wahrheit und Verschwiegenem, von falschen und richtigen Entscheidungen, von Vertrauen und Liebe.

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Inhalt

Über das BuchÜber die AutorinKarteTitelImpressumDie HäuptlingstochterKapitel 1 Kapitel 2Kapitel 3Kapitel 4Kapitel 5Kapitel 6Kapitel 7Kapitel 8Kapitel 9Marama ClavellDer PrinzKapitel 1Kapitel 2Kapitel 3Kapitel 4Kapitel 5Marama ClavellKönigslinienKapitel 1Kapitel 2Kapitel 3Kapitel 4Kapitel 5Kapitel 6Kapitel 7Kapitel 8Kapitel 9Kapitel 10Kapitel 11Kapitel 12Kapitel 13Kapitel 14Kapitel 15Kapitel 16Marama Clavell Das VermächtnisKapitel 1Kapitel 2NachwortLeseprobe

Über das Buch

Hamburg, Gegenwart: Die Journalistin Stephanie ist in Neuseeland geboren und aufgewachsen. Doch an ihre ersten Lebensjahre dort und an ihren Vater hat sie jede Erinnerung verloren. Nun führt sie eine Recherchereise in das Land ihrer Kindheit – und bringt Vergangenes zurück: Als Kind wurde sie Zeugin eines Verbrechens. Stephanie reist durch ganz Neuseeland, um das lang gehütete Familiengeheimnis zu lüften. Begleitet wird sie von dem charismatischen Maori-Dozenten Weru, den mehr als die Suche nach der Wahrheit antreibt ... Eine Geschichte von Wahrheit und Verschwiegenem, von falschen und richtigen Entscheidungen, von Vertrauen und Liebe.

Über die Autorin

Sarah Lark, geboren 1958, studierte Psychologie und promovierte über das Thema »Tagträume«. Nebenbei arbeitete sie lange Jahre als Reiseleiterin. Schon immer war sie fasziniert von den Sehnsuchtsorten dieser Erde. Ihre fesselnden Neuseelandromane wurden allesamt Bestseller und findenauch international ein großes Lesepublikum. Ihre Karibikschmöker Die Insel der tausend Quellen und Die Insel der roten Mangroven kamen ebenfalls direkt auf die Bestsellerliste. Sarah Lark ist das Pseudonym einer erfolgreichen deutschen Schriftstellerin. Sie lebt in Spanien und arbeitet zurzeit an ihrem nächsten Roman. Unter dem Autorennamen Ricarda Jordan entführt sie ihre Leser auch ins farbenprächtige Mittelalter.

SARAH LARK

UNTER FERNEN HIMMELN

Roman

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige E-Book-Ausgabe

des in der Bastei Lübbe AG erschienenen Werkes

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

Originalausgabe

Dieses Werk wurde vermittelt durch

die Literarische Agentur Thomas Schlück GmbH, 30827 Garbsen.

Copyright © 2016 by Bastei Lübbe AG, Köln

Innenillustrationen und Landkarte: Tina Dreher, Alfeld/Leine

Umschlaggestaltung: Jeannine Schmelzer

Einband-/Umschlagmotiv: © shutterstock/Nella/ninanaina/Zhanna Smolyar/stasia_ch/Luis Boucault; © istockphoto/pamspix

E-Book-Produktion: Greiner & Reichel, Köln

ISBN 978-3-7325-2285-9

www.bastei-entertainment.de

www.lesejury.de

DIE HÄUPTLINGSTOCHTER

Hamburg, Auckland, Masterton

KAPITEL 1

»Was haltet ihr von einer kleinen Störung, hier in eurem blutrünstigen Tun?«, fragte Richard Winter mit tiefer, melodramatischer Stimme.

Er platzierte zwei überschwappende Becher Kaffee und einen Teller Donuts auf dem Tisch. Dabei schenkte er Stephanie und dem jungen Redaktionsassistenten Ben sein typisches, sympathisches Grinsen.

»Rick! Was …«

Stephanie wollte schon protestieren – schließlich tränkte der Kaffee diverse Zeitungsausschnitte und Berichte, die sie und Ben gerade sichteten. Das Material sollte Grundlage einer Reportageserie werden, die sie demnächst zu schreiben gedachte. Dann warf sie jedoch einen zweiten Blick auf die Donuts und musste lachen. Dank Zuckerguss und Schokoladenglasur grinsten ihr von den Kringeln kleine Totenköpfe, Gespenster und Henkersbeile entgegen – Halloween nahte.

»Der kleine Snack hier müsste euch doch beflügeln«, bemerkte Rick. »Oder beschäftigt ihr euch nicht gerade mit euren geheimnisvollen Morden?« Ben griff rasch nach einem der Zeitungsausschnitte, um damit den Kaffee aufzuwischen, und Rick linste auf die Schlagzeile: Moorleiche von Überlingen – ein Verbrechen aus dem Mittelalter? »Mittelalter?« Er runzelte die Stirn. »Und das wollt ihr jetzt noch aufklären? Das nenne ich ambitioniert!«

Stephanie schob eine Strähne ihres langen dunklen Haares zurück, die sich aus dem lockeren Knoten gelöst hatte, zu dem sie es hochgesteckt hatte, und verdrehte die Augen.

»Kein Mittelalter. Dem eifrigen Kollegen von der Lokalzeitung ist entgangen, dass das Handy des Opfers drei Meter neben ihm lag. Oder er wusste einfach nicht, dass die Dinger eine Erfindung der Neuzeit sind. Vielleicht ist er ja noch jung.« Sie schenkte Ben, der den Fall offenbar vorgeschlagen hatte, ein liebenswert-spöttisches Lächeln. »Jedenfalls hat die Leiche in Überlingen nichts Geheimnisvolles. Eine Prostituierte, gestorben bei Fesselspielen. Wahrscheinlich ein Unfall, meint die Polizei. Der Freier hat Panik gekriegt und die Tote im Moor entsorgt. Eine Tragödie, aber nichts für uns …«

Stephanie nahm einen Donut, biss hinein und leckte sich dann genüsslich den blutroten Guss von Lippen und Fingern.

Rick griff nach einem der Ordner auf dem Tisch. Seattle, Entführung Susan Pinozetti, Dossier, las er. Neben einer kurzen Auflistung von Fakten enthielt der Ordner Fotos eines niedlichen Babys sowie eines erschrocken wirkenden weiblichen Teenagers. An den Seitenrändern befanden sich Bemerkungen in Stephanies charakteristischer steiler Schrift: Mafia?, las Rick.

»Das ist schon eher was«, kommentierte Stephanie zwischen zwei Schluck Kaffee. »Die kleine Susan ist vor einem Jahr in einem Einkaufszentrum verschwunden, als das Au-pair-Mädchen kurz nicht hinsah. Sie tauchte nie wieder auf. Die Polizei hat sich ganz auf das Au-pair konzentriert, eine junge Australierin. Niemanden hat gekümmert, dass der Vater des Babys Mafiakontakte hatte … Als die Ermittler endlich von dem Kindermädchen abließen, waren natürlich sämtliche Spuren kalt.«

»Und die wollt ihr jetzt wieder aufwärmen?«, fragte Rick skeptisch. »Von hier, von Hamburg aus? Machst du dir da irgendwelche Hoffnungen?«

Stephanie schüttelte entschieden den Kopf. »Natürlich nicht. Die Wahrscheinlichkeit, dass unsere ›Geheimnisvolle-Morde‹-Serie zur Aufklärung irgendwelcher alter Verbrechen beiträgt, ist verschwindend gering. Aber darum geht’s ja auch gar nicht.« Sie rieb sich die Schläfe. »Seien wir doch ehrlich. Im Grunde fällt die Serie ins Unterhaltungsressort. Söder startet sie nicht ohne Grund zu Halloween. Die Leser wollen und sollen sich wohlig gruseln, während sie von Verbrechen lesen, deren Motive völlig im Dunkeln liegen oder bei denen irgendwelche sonderbaren Umstände die Aufklärung und das Verständnis der Tat bislang unmöglich machten. Ben und ich recherchieren natürlich auch ein bisschen drum herum … liefern vielleicht neue Sichtweisen und Denkanstöße …«

Letzteres gehörte zu Stephanie Martens’ großen journalistischen Begabungen. Sie war bekannt für ihre aufrüttelnden Reportagen über Verbrechen und Gerichtsprozesse und ihre äußerst scharfsinnigen Interpretationen von Tatumständen und Motiven der Täter. Zudem wirkte die schlanke junge Frau mit den klaren grauen Augen sehr vertrauenerweckend. Immer wieder wandten sich Informanten direkt an sie, während sie der Polizei ihr Wissen aus verschiedenen Gründen vorenthielten. Tatsächlich hatten Stephanies Artikel in der Lupe schon zur Aufklärung von Verbrechen beitragen können.

»Willst du jetzt noch was, oder können wir weitermachen?«, wandte sie sich nun an Rick – nicht unfreundlich, doch so geschäftsmäßig, dass es ihm einen Stich versetzte. »Ich will dich nicht vertreiben, und vielen Dank für die Donuts und den Kaffee. Aber wir müssen wirklich vorankommen. Söder will die erste Folge der Serie wie gesagt zu Halloween – und in spätestens zwei Wochen einen Überblick über sämtliche Fälle, die wir vorstellen. Wir kommen mit der Sichtung kaum nach.«

Sie öffnete einen weiteren Ordner, auf dem Rick die Ortsangabe Masterton, Neuseeland erspähte, stellte die Kaffeebecher ineinander und knüllte den Pappteller zusammen, auf dem die Donuts gelegen hatten. Rick seufzte innerlich. In der letzten Zeit verhielt Stephanie sich ihm gegenüber zusehends spröder. Dabei hatten sie sich bis vor wenigen Wochen noch so gut verstanden. Zum wiederholten Mal tadelte er sich selbst: Er hätte die Sache mit dem Heiratsantrag nicht überstürzen sollen. Schließlich hatte sie oft genug angedeutet, dass sie nicht vorhatte, sich allzu bald zu binden. Doch dann hatte er wieder das Gefühl gehabt, dass sie bereit war … und sich offenbar geirrt.

»Ich will nichts weiter von dir, Steph, aber Söder …«, sagte er versöhnlich, »… Söder möchte Teresa, Fred, dich und mich um fünf in seinem Büro sehen. Dies hier«, er wies auf die leeren Kaffeebecher und die Donutkrümel, »sollte dich in eine friedfertige und ausgeglichene Stimmung versetzen.«

Florian Söder war der Verleger und Chefredakteur der Lupe, des Reportage- und Lifestylemagazins, für das Stephanie und Rick arbeiteten. Er war ein kleiner, beleibter, aber agiler Mann und in gewisser Hinsicht ein journalistisches Genie. Die Redakteure der Lupe hatten Achtung vor ihrem Chef. Söder hatte den Finger am Puls der Zeit, seine Ideen für Reportagen und Serien waren ausgefallen und aktuell. Nicht ohne Grund behauptete sich die Lupe auf einem hart umkämpften Markt gegenüber wesentlich größeren Konkurrenten. Egal, ob es um Showgeschäft oder Politik ging – Söder hatte ein Gespür für Trends und schaffte es, begabte Redakteure um sich zu scharen und zu motivieren. Rick Winter zum Beispiel gelangen oft aufsehenerregende Interviews mit Politikern, noch bevor deren Stern in ihrer Partei richtig aufging, Teresa Homberg duzte sich mit diversen Stars und Sternchen, Stephanie berichtete aus Gerichtssälen und von Mordschauplätzen in aller Welt. Die Redaktion der Lupe war deutlich kleiner als die anderer Magazine, aber erlesen besetzt. Leider war Söder im Umgang oft etwas enervierend, hektisch und laut. Die Redakteure waren daran gewöhnt, Freude kam jedoch nicht gerade auf, wenn Söder eine Besprechung ansetzte.

»Teresa, Fred, dich und mich?«, fragte Stephanie jetzt auch wenig begeistert. »Die Ressorts Lifestyle, Auto-Motorsport, Politik und Verbrechen … Das passt doch in keiner Weise zusammen. Was will er von uns?«

Rick zuckte mit den Schultern. »Um fünf werden wir’s wissen«, meinte er fatalistisch. »Und bis dahin könnt ihr ja noch ein paar Denkanstöße zu Mafiakontakten ausarbeiten. Aber passt auf, dass ihr nicht zu nah an die Täter rankommt und dann mit einem Zementblock an den Füßen im Hudson landet.«

Er winkte Stephanie noch kurz zu, bevor er ging – im Grunde mochte er den Blick kaum von ihr nehmen. Ihr schmales, leicht gebräuntes Gesicht, ihre hellen Augen unter den dichten Brauen, die vollen hellroten Lippen – wenn er Stephanie ansah, musste er stets an Schneewittchen denken. Wobei der Anblick natürlich trog. Stephanie Martens war alles andere als eine zarte Prinzessin, die Zwergen den Haushalt führte und auf betrügerische Apfelverkäuferinnen hereinfiel. Rick kannte sie als knallharte Journalistin und äußerst emanzipierte Partnerin.

Sie hatte den Kopf schon wieder über ihre Akten gesenkt, hob den Blick aber noch kurz, als er den Hudson erwähnte.

»Puget Sound«, berichtigte sie kurz. »Die Entführung war in Seattle. Nicht in New York.«

Rick nickte ergeben. Warum musste sie eigentlich immer das letzte Wort haben?

Stephanie stieß die Tür zu Florian Söders Räumlichkeiten exakt eine Minute vor fünf auf – pünktlich, wie sie aufatmend feststellte. Der Chef war noch nicht anwesend, allerdings hatten sich die drei anderen Redakteure bereits versammelt. Sie saßen, Kaffeetassen oder Wasserflaschen vor sich, an einer Seite des langen Konferenztisches. Der große, helle Versammlungsraum grenzte an Söders Büro, und die Panoramafenster boten einen sensationellen Blick auf das Sandtorhafenbecken. Beim Bau des Redaktionshauses hatte Söder wirklich keine Mühen und Kosten gescheut. Es war äußerst repräsentativ und stand anderen Verlagshäusern in nichts nach.

Die jetzt Anwesenden zeigten allerdings kein Interesse an der Aussicht. Teresa Homberg, eine stets modisch gekleidete junge Frau, perfekt geschminkt, das rote Haar zu einem akkuraten Pagenkopf geschnitten, tippte konzentriert auf ihr Smartphone ein. Sie erwiderte Stephanies Gruß, ohne aufzusehen. Fred Remagen, ein schlaksiger dunkelhaariger Mann um die vierzig, machte sich diese Mühe nicht. Er schmökerte selbstvergessen in einem Auto-Motorsport-Magazin. Stephanie wunderte das nicht. Fred nahm die Welt außerhalb der Automobilproduktion stets nur schemenhaft wahr. Abgesehen von Kraftfahrzeugen hatte er keinerlei Interessen, doch im Bereich Motorsport galt er als absoluter Experte. Die Kollegen pflegten zu witzeln, Fred könne zuverlässig jedes nach 1950 erbaute Automobil am Geschmack des darin verwendeten Schmieröls erkennen. Für Frauen hatte er überhaupt keinen Blick – wäre es allein um Fred gegangen, hätte Stephanie sich vor dem Termin bei Söder nicht die Mühe machen müssen, ihre Frisur im Bad noch einmal kurz zu überprüfen, ihren Lidstrich zu erneuern und die Nase zu pudern.

Rick dagegen wusste das zu schätzen. Er lächelte erfreut bei ihrem Anblick, und Stephanie erwiderte das Lächeln. Tatsächlich fiel es ihr schwer, sich Rick gegenüber so streng und abweisend zu zeigen, wie sie es neuerdings versuchte. Wenn sie ehrlich mit sich war, liebte sie ihn nach wie vor. Immer noch wurde ihr warm ums Herz, wenn sie in sein sympathisches, von Lachfältchen durchzogenes Gesicht blickte. Es wirkte ein bisschen runder, seit sich seine Geheimratsecken zusehends zu einem »zurückweichenden Haaransatz« gewandelt hatten. Stephanie musste bei dem Gedanken schmunzeln, dass Rick sich hartnäckig weigerte, von einer beginnenden Glatze zu reden. Er haderte mit dem Schicksal und bemühte sich mit allen möglichen Wässerchen und Shampoos um den Erhalt seines Haares – wohl wissend, dass die Versprechungen der Hersteller nicht mehr waren als Schall und Rauch. Sein Vater und seine beiden Onkel hatten ihre letzten Haare mit Anfang fünfzig verloren – Rick war jetzt siebenunddreißig und wusste, was ihm bevorstand.

Stephanie versicherte ihm immer wieder, dass sie kahlköpfige Männer sexy fand. Bei Rick ließ das zurückweichende Haar zudem seine Augen, die von klarem Grün waren und seinen Humor widerspiegelten, noch größer und freundlicher wirken. Sie schätzte an ihrem Freund ganz andere Qualitäten als dichtes Haar. Rick war witzig, aufmerksam, treu, verlässlich, und der Sex mit ihm war einfach großartig. Eigentlich gab es keinen Grund, ihn nicht zu heiraten … Stephanie wusste nicht, warum sie allein der Gedanke an eine feste Bindung mit Panik erfüllte.

»Schön, da wären wir also … Meine Damen, meine Herren, ich bin hocherfreut, dass ihr meiner Einladung so zahlreich gefolgt seid!«

Florian Söders Auftauchen unterbrach Stephanies Gedankengänge. Wie immer betrat der Chefredakteur den Konferenzraum wie ein Wirbelwind, warf ein paar Akten achtlos auf ein Vortragspult und hockte sich dann vor seinen Mitarbeitern auf den Tisch. Teresa konnte ihr Mineralwasser gerade noch in Sicherheit bringen, Rick rettete seinen Kaffee. Stephanie hatte sich in weiser Voraussicht gar kein Getränk mitgebracht, sie hasste es, wenn Florian Söder seinen voluminösen Hintern neben ihrer Kaffeetasse platzierte. Lisa, Stephanies Kollegin und Freundin vom Ressort Psychologie, mutmaßte, dass es Söder darum ging, sich in den Mittelpunkt zu stellen, dass er mit dem erhöhten Sitz von seiner Körpergröße abzulenken versuchte. Trotzdem wäre Söder überall aufgefallen. Auf seinem gedrungenen Körper saß ein überdimensioniert großer Kopf, bedeckt mit dichtem, lockigem hellbraunem Haar. Seine Augen waren eher klein, aber sein Blick scharf und blitzgescheit. Dazu verfügte er über eine durchdringende Stimme. Eigentlich brauchte er keine Tricks, um sich in Szene zu setzen.

»Wird’s lange dauern?«, fragte Fred Remagen gelangweilt, während Söder es sich gemütlich machte. »Ich wollte eigentlich noch bei Mercedes vorbei … die neuen Modelle …«

»Und ich muss auf eine Vernissage«, meldete sich Teresa. »Obwohl die Bilder nicht viel hermachen … Sie sind alle schwarz. Der Künstler übermalt sie, sobald sie fertig sind, um an das Ende allen Seins zu erinnern oder so was. Aber er hält den Schaffensprozess auf Video fest, das läuft dann so neben dem Kunstwerk in Endlosschleife … Wie auch immer, der Typ sieht umwerfend aus, und die Galerien reißen sich um ihn. Ich hoffe, ich kriege ein Interview.«

Söder winkte ab. »Die Bilder sind auch morgen noch schwarz«, beschied er Teresa. »Und über die neuen Mercedesmodelle schreibt jeder, Fred. Das kannst du vergessen. Mach lieber was anderes, frag ein paar Rennfahrer, welche Autos sie privat fahren und warum! Das spielt auch in den Lifestyle rein, interessiert größere Leserschichten. Besonders Frauen … Schreib mir da mal ein Exposé!« Fred verzog das Gesicht. Frauen gehörten in seinen Augen eindeutig nicht zu der bevorzugten Zielgruppe seiner Artikel. »Und die anderen?«, fuhr Söder fort. »Rick? Stephanie? Auch noch irgendwelche Ausflüchte, um hier schnell wieder rauszukommen?« Söder fixierte seine Mitarbeiter lauernd.

Stephanie und Rick schüttelten ergeben den Kopf.

»Wir sind nur neugierig«, bemerkte Stephanie. »Warum hast du gerade uns vier hier versammelt? Gibt’s irgendein ressortübergreifendes Projekt?«

Söder lachte. »Prominente Politiker zeigen Mode in geklauten Autos?«, zog er sie auf. »Die Idee ist gar nicht so schlecht. Ich fürchte bloß, da macht keiner mit … Nein, es geht um einen … äh … Selbstversuch. Für eine Reportage. Einer von euch soll das übernehmen. Und ich habe euch ausgesucht, weil ihr alle vier unbestechliche, fest im Leben stehende, der Wahrheit verpflichtete Vollblutjournalisten seid, grundsätzlich skeptisch gegenüber Glaubensinhalten jeglicher Couleur …«

»Das trifft auf mich nicht zu«, bekannte Fred. »Im tiefsten Herzen glaube ich immer noch, dass Herbie lebt.«

Teresa kicherte.

Söder winkte ab. »Keine dummen Witze, Leute!«, ermahnte er. »Das ist eine ernste Sache, auch wenn es auf den ersten Blick nicht so aussehen mag. Der Auftrag mag euch … äh … skurril erscheinen. Aber letztlich geht es um Manipulation, Betrügerei, Aufdeckung von Scharlatanerie!« Er blickte streng von einem zum anderen. Schließlich schien er zu dem Ergebnis zu kommen, ihre Aufmerksamkeit ausreichend geweckt zu haben.

»Hat einer von euch schon mal von Rupert Helbrich gehört?«, fragte er in die Runde.

Stephanie, Teresa und Rick mussten sich das Lachen verkneifen. Ganz abgesehen davon, dass der Name seit Monaten durch das Fernsehen und die Printmedien geisterte, war es seit etwa einem Jahr kaum möglich, irgendeine Redaktionsfeier der Lupe zu besuchen, ohne von Rupert Helbrich zu hören. Es sei denn, man setzte es gezielt darauf an, Irene Söder, Florians Frau, aus dem Weg zu gehen.

»Der … äh … Hypnotiseur?«, fragte Teresa vorsichtig.

Söder nickte. »Genau. Der Kerl mit den Rückführungen in frühere Leben.«

»Hm?« Fred Remagen sah verblüfft von der Zeitschrift auf, die er bei Söders Eintreten zwar geschlossen hatte, auf deren Titelschriftzug er jedoch weiter starrte, als böte er ihm einen gewissen Trost und Rückzugsort vor der Welt. »Der Mann macht was?« Fred hatte den Hype um Rupert Helbrich offenbar verschlafen.

»Rupert Helbrich geht davon aus, dass wir nach dem Tod in einem anderen Körper wiedergeboren werden«, begann Teresa ihn aufzuklären. »Man spricht da von Wiedergeburt oder auch … hm … Seelenwanderung.«

»Wiedergeburt als … Tier?«, fragte Fred.

Stephanie fragte sich, ob er gerade über eine künftige Existenz als Automarder nachdachte.

Teresa schüttelte den Kopf, wobei ihre riesigen Ohrringe melodisch klingelten. »Nein. Das nehmen zwar Gläubige verschiedener Religionen an, aber diese Reinkarnationstherapeuten oder wie sie sich nennen, gehen davon aus, dass man Mensch bleibt …«

»Klar!«, warf Söder ein. »Schließlich würde kaum jemand viel Geld dafür hinlegen, sich an ein Leben als Meerschweinchen zu erinnern …«

»Wieso erinnern?«, erkundigte sich Fred. »Ging es eben nicht noch um Leben nach dem Tod oder so was?« Er spielte mit seiner Brille.

»Natürlich erinnern«, half ihm Rick auf die Sprünge. »Wie sagt der Formel-1-Pilot: Nach dem Rennen ist vor dem Rennen. Oder in den Worten der Reinkarnationsforscher: Wenn es ein Leben nach dem Tod geben soll, dann muss es auch eines vor der Geburt gegeben haben. Eines, an das man sich erinnern kann.«

Fred ging erkennbar in sich. »Also, mir fällt da nichts ein«, meinte er dann. »Bekloppte Idee.« Sehnsüchtig blickte er auf sein Automagazin.

»Äußerst gewinnbringende Idee«, befand dagegen Teresa. »Natürlich erinnerst du dich nicht an ein früheres Leben, Fred, genauso wenig wie wir anderen und wie die Klienten dieses Helbrich. Aber im Gegensatz zu uns sind die der Meinung, dass ihnen da etwas entgeht. Sie wollen sich erinnern. Sie sind ganz scharf darauf zu wissen, wer sie mal waren. Helbrich und ähnliche Leute versprechen, ihnen bei der Suche nach der Erinnerung zu helfen.«

»Durch Hypnose«, fügte Stephanie hinzu. »Er versetzt sie in Trance. Wobei das nicht sämtlicher wissenschaftlicher Grundlagen entbehrt. Unter Hypnose lassen sich Menschen – zum Beispiel Zeugen eines Verbrechens – sozusagen in der Zeit zurückführen. Sie durchleben das Ganze noch einmal und erinnern sich dabei vielleicht an Einzelheiten, die ihnen vorher entfallen waren. Man kann damit durchaus detaillierte Erinnerungen wecken. Wenn welche da sind.«

»Du bringst es auf den Punkt, Stephanie«, sagte Söder. »Denn hier scheiden sich die Geister. Sind das, was die Leute da unter Hypnose erzählen, wirklich Erinnerungen an frühere Leben oder schlichte Fantastereien, weil sie … hm … vielleicht zu viele Historienromane gelesen haben?«

Wieder einmal kämpften Stephanie, Teresa und Rick mit dem Grinsen. Irene Söder war seit Längerem Klientin des Hypnotiseurs und wurde seitdem nicht müde, von ihrem schillernden Leben am Hof des Sonnenkönigs zu berichten. Die Sitzungen mit Helbrich förderten immer neue Erinnerungen an Irenes mutmaßliche ehemalige Existenz als Lucienne, Marquise de Montfort zutage, die den Abenteuern von Angélique und anderen Romanheldinnen verdächtig ähnelten. Stephanie fand das recht unterhaltsam – wenn auch etwas verrückt.

»Und wir sollen nun … recherchieren, ob es … Lucienne de Montfort wirklich gegeben hat?«, wagte Rick einen wenig sensiblen Vorstoß.

Söder blitzte ihn an. »Das, mein Lieber, habe ich gerade noch selbst geschafft! Falls es euch also interessiert: Es gab eine Familie de Montfort, bekanntester Vertreter Simon, ein mittelalterlicher Heerführer, der mit Vorliebe Katharer verbrannte. Lange bevor Versailles gebaut wurde. Eine Lucienne de Montfort hat nicht von sich reden gemacht. Bekannt ist lediglich eine Lucienne de Rochefort. Selbige war die erste Frau von König Ludwig VI. von Frankreich, auch sie lebte also deutlich vor dem Sonnenkönig … Aber da ihr ja offensichtlich alle über die Angelegenheit mit meiner Frau im Bilde seid …«

»Ich erzähl’s dir später«, raunte Rick Fred Remagen zu.

»… können wir offen reden«, fuhr Söder ungehalten fort. »Tatsache ist: Irene ist davon überzeugt, dass ihre Erinnerungen real sind, alle anderen Klienten von Helbrich sind es ebenso. Und der Mann ist ausgesprochen selbstsicher. Nachdem ich letzte Woche bei ihm angerufen habe und mich … äh … zugegebenermaßen etwas ungehalten über die horrende Rechnung gezeigt habe, die er Irene zugeschickt hat …« Die Journalisten grinsten. Söders cholerische Anfälle waren in der Redaktion gefürchtet. »… hat er mir ein Angebot gemacht: Er würde uns und unseren Lesern gern beweisen, wie seriös er arbeite, und stünde insofern uneingeschränkt für Interviews und Einblicke in seine Arbeit zur Verfügung. Und falls ein Mitarbeiter der Lupe bereit sei, sich von ihm hypnotisieren zu lassen und später über die Erfahrung und die so zutage geförderten Erinnerungen zu berichten, dann würde er die Rückführung kostenlos durchführen und dokumentieren. Das lasse ich mir natürlich nicht zweimal sagen. Also Herrschaften: Freiwillige an die Front!«

In der Runde herrschte zunächst verblüfftes Schweigen.

»Was ist denn mit Lisa?«, fragte schließlich Stephanie. »Das fällt doch eigentlich in ihr Ressort. Sie ist ganz wild darauf, sich Horoskope stellen oder ihre Furunkel fernheilen zu lassen …«

Die anderen lachten. Lisa war Psychologin und betreute das entsprechende Ressort der Lupe. Sie deckte allerdings gern auch Grenzwissenschaften ab und schreckte dabei vor Selbstversuchen nicht zurück. Ihre launigen Reportagen über Schamanentreffen in Bielefeld oder telepathische Kontakte mit Haustieren in Pinneberg waren allgemein beliebt.

Söder hob unglücklich die Schultern und seufzte. »Sie will nicht oder kann nicht. Sie meint, sie lasse sich nicht hypnotisieren. Jedenfalls hat sie entschieden abgelehnt. Sie steht nicht zur Verfügung. Es hilft also nichts, Leute, es bleibt an einem von euch hängen. Also: Wer will?«

Nach drei Minuten peinlichen Schweigens war klar, dass niemand wirklich wollte.

»Ich hab keine Zeit für solchen Quatsch«, erklärte Fred schließlich. »Ich hab was anderes zu tun.«

»Und ich kann es mir nicht leisten, das als Quatsch zu entlarven«, behauptete Teresa. »Die meisten VIPs, die ich interviewe und zu denen ich ein gutes Verhältnis habe und brauche, glauben fest daran. Gerade erst hat sich Jill Irving – ihr wisst schon, das schauspielernde Model, das jetzt auch singt – mit Helbrichs Hilfe an ein Leben als Zulu-Prinzessin erinnert …«

Die anderen lachten befreit.

»Das hilft ihr dann hoffentlich demnächst im Dschungelcamp!«, witzelte Stephanie. »Aber du hast recht, wenn du den Kerl als Schwindler entlarvst, wären die sauer.« Sie seufzte. »Also ich würd’s ja machen, wenn ich nicht jetzt schon so im Verzug wäre mit meiner Serie. Es geht nur eins, Florian: die Hypnosereportage oder die geheimnisvollen Morde …«

»Vielleicht lässt sich das ja verbinden«, neckte Teresa. »Wer weiß, ob du nicht einst eine Serienmörderin warst … Oder gar Miss Marple höchstpersönlich?«

Rick schüttelte den Kopf. »So wird das nichts, Leute«, mahnte er. »Tatsächlich haben wir alle keine Zeit für solchen Unsinn, da lohnt es sich gar nicht, drüber zu reden. Aber wir können das auch keinen Praktikanten machen lassen. Dieser Helbrich ist zweifellos mit allen Wassern gewaschen. Um sich demgegenüber zu behaupten, muss ein gestandener Journalist ran. Mit einem … wie nennst du das noch, Stephanie, mit einem ausgeprägten Detektor für Scheiß.«

Stephanie grinste. »Ist nicht meine Wortschöpfung«, stellte sie richtig. »Das stammt von Marilyn French. Ich persönlich hätte es nicht ganz so drastisch ausgedrückt. Es trifft allerdings den Kern. Dem einen ist es gegeben, der andere fällt auf jeden Mist herein. Nimm’s nicht persönlich, Florian. Deine Frau … Irene … sie ist einfach … äh … sehr spirituell …«

Erneut verkniffen sich alle das Lachen.

»So ist es«, bestätigte Rick. »Wenn es also einer von uns machen muss …« Er griff nach dem Strohhalm in Teresas Wasserflasche, zog theatralisch ein Schweizer Messer aus seiner Hosentasche und zertrennte den Halm mit der dazugehörenden kleinen Schere in drei gleich lange und einen kürzeren Teil. Dann mischte er die Halme hinter seinem Rücken und nahm sie so in die Faust, dass gleich lange Stücke hervorschauten. »Einmal ziehen, bitte, Teresa!«, forderte er die Lifestylejournalistin auf. Teresa zog und hielt frohlockend eine Niete in der Hand. »Fred …«, fuhr Rick fort. Fred Remagen zog aufatmend die zweite Niete. Er griff sofort nach seinem Automagazin und rüstete sich zum Gehen. »Also du oder ich, Stephanie«, folgerte Rick und streckte seiner Freundin die Halmstücke entgegen.

Einer der Strohhalme schaute etwas vorwitziger daraus hervor als der andere. Stephanie griff trotzig nach dem versteckten.

»O nein!«, stöhnte sie, als sie anschließend die Länge mit Teresas Halm verglich.

»Glückwunsch!«, strahlte Söder. »Ganz ehrlich, Steph, du warst meine Wunschkandidatin!«

Rick dagegen musterte seine Freundin eher besorgt.

»Stephanie, ich …« Er setzte zu einem Einwand an.

Stephanie warf ihm einen warnenden Blick zu und gebot ihm mit einer Handbewegung Schweigen.

»Komm jetzt ja nicht auf die Idee, dich für mich opfern zu wollen!«, zischte sie ihm zu. »Das war ein faires Spiel. Ich hab im wahrsten Sinne des Wortes den Kürzeren gezogen, und nun gehe ich natürlich zu diesem Helbrich. Geheimnisvolle Morde hin oder her.« Sie bemühte sich um ein Lächeln und wandte sich dann betont optimistisch an ihren Chefredakteur. »Mach dir keine Sorgen, Florian. Was immer der Typ macht, ich lasse mich zuverlässig nicht nach Versailles beamen. Muss ich mich da jetzt anmelden, oder machst du das?«

KAPITEL 2

Rick folgte Stephanie in ihr Büro. Sobald sie die Tür hinter sich geschlossen hatte, kam er mit seinen Bedenken heraus. »Ich weiß nicht, Stephanie. Hältst du das mit der Hypnose wirklich für eine gute Idee? Bei deiner Vorgeschichte?«

»Bei meiner was?«, fragte Stephanie entrüstet und ordnete desinteressiert die Zeitungsausschnitte, die sie vor ihrem raschen Aufbruch zu Söder auf dem Schreibtisch hatte liegen lassen. »Ich hab keine Vorgeschichte. Soweit ich weiß, bin ich noch nie hypnotisiert worden.«

»Aber du hast deine Probleme mit Erinnerungen«, gab Rick zu bedenken.

Dabei rückte er geistesabwesend eine Maske aus dem Amazonasgebiet gerade, die bei Stephanie die Wand schmückte. Das ganze Büro zierten Artefakte aus fernen Ländern, die Stephanies Mutter, eine Anthropologin, auf ihren Forschungsreisen besucht hatte. Rick fragte sich oft, warum Stephanie diese Mitbringsel nicht bei sich zu Hause aufbewahrte. Oder wenigstens jemanden darum bat, sie fachkundig an der Wand zu befestigen. Ob sie sich vor den martialisch bemalten Fetischen gruselte? Er selbst hätte sie jedenfalls nicht im Wohnzimmer haben mögen.

Stephanie stieß scharf die Luft aus. »Und diese Probleme hättest du eben beinahe vor der halben Redaktion ausgebreitet!«, warf sie ihm vor. »Woraufhin mich alle angestarrt hätten, als wäre ich nicht ganz dicht! Rick, die Sache mit Neuseeland hat überhaupt nichts mit dieser Reportage zu tun! Hier geht es nicht um Erinnerungen, hier geht es um ein paar Spinner und einen Scharlatan, der ihre Fantasien bedient …«

»Vorhin hast du selbst gesagt, dass Hypnose Erinnerungen wecken kann«, wandte Rick ein.

Stephanie verdrehte die Augen. »Medizinische Hypnose«, schränkte sie ein. »Die sich auf ein bestimmtes Ereignis konzentriert. Ein Ereignis in diesem Leben – nicht in dem danach und nicht in dem davor. Bei Helbrich geht’s um Reinkarnation. Neuseeland ist da gar kein Thema. Und jetzt lass mich in Ruhe mit dem Quatsch. Ich will Lisa anrufen. Vielleicht kann ich das Ganze ja noch abwenden. Esoterik ist schließlich eindeutig ihr Ressort. Sie wird mir sehr gute Gründe nennen müssen, weshalb ich da an ihrer Stelle hinsoll!«

Rick ließ sich allerdings nicht so schnell abwimmeln. »Hat mir auch zu denken gegeben, dass sie abgelehnt hat«, meinte er besorgt. »Stephanie, wenn selbst Lisa bei der Sache kalte Füße kriegt … So was kann doch Traumata auslösen. Gerade wenn man … wenn man vorbelastet ist …«

Stephanie verzog die Mundwinkel und schob ihn nun entschieden aus dem Büro. »Ich bin mit überhaupt nichts vorbelastet außer einem angeborenen Detektor für Scheiß«, beschied sie ihn. »Und der sagt mir, dass ich es bei diesem Helbrich mit einem Gauner zu tun habe, dessen Tricks ich sehr schnell aufdecken werde. Ich danke dir für deine Besorgnis. Lässt du mich jetzt bitte allein?«

Stephanie traf Lisa Grünwald im Coast by East, einem äußerst angesagten Sushirestaurant mit Cocktailbar in der Hafencity. Die verglaste Terrasse bot einen freien Blick auf die noch im Bau befindliche Elbphilharmonie und den Kreuzfahrthafen. Stephanie entwickelte beim Anblick der riesigen Schiffe sofort Fernweh. Der Gedanke, dem regnerischen Hamburger Winter auf einem dieser Luxusliner entkommen zu können, hatte etwas Verlockendes.

Auch Lisa schien einer kleinen Flucht aus dem Alltag gegenüber nicht abgeneigt. Sie wartete an der Bar, hatte bereits einen Prosecco vor sich stehen und schaute verträumt durch die Panoramascheiben, als Stephanie auf sie zukam. Natürlich erkannte sie sofort, dass ihre Freundin nicht gerade fröhlich gestimmt war.

»Was ist los, Steph? Krach mit Rick?«, fragte sie freiheraus.

Zwischen Lisa und Stephanie gab es keine Geheimnisse. Die Frauen kannten einander seit der gemeinsamen Schulzeit. Im Studium waren sie dann getrennte Wege gegangen, um sich einige Jahre später durch Zufall in derselben Zeitschriftenredaktion wiederzufinden.

»Nicht direkt Krach …« Stephanie schälte sich aus ihrem Mantel und bestellte einen Wein, um dann gleich mit ihrer Geschichte herauszuplatzen. Söder, die Reportage, Ricks Bedenken …

»Es wäre alles so viel einfacher, wenn du da hingingest!«, meinte sie schließlich. Ihre Stimme klang unglücklich. »Wieso um Himmels willen willst du nicht? Hältst du das wirklich für gefährlich?«

»Gefährlich?« Lisa schüttelte den Kopf. »Aber nein! Wie kommst du denn darauf? Und es gibt auch gar kein Geheimnis. Wahrscheinlich hat sich Söder nur unklar ausgedrückt.«

Lisa strich ihr blondes, stufig geschnittenes Haar zurück. Sie war eine große, sportliche Frau mit offenem, meist ungeschminktem Gesicht, strahlend blauen Augen und einem breiten Mund, der oft lachte. Stephanies Freundin gab sich gern leger, war zugewandt und unkompliziert – ein Mensch, bei dem man sich gern aussprach. Und der alles andere als furchtsam wirkte.

»Es ist absolut nicht so, dass ich nicht über diesen Helbrich schreiben möchte oder dass mir der Job gar Angst macht«, erklärte sie weiter. »Im Gegenteil, es würde mich brennend interessieren, was er macht. Und wer möchte nicht mehr über sein früheres Leben erfahren?« Sie zwinkerte amüsiert.

»Du glaubst das doch nicht etwa?«, fragte Stephanie verwirrt.

Lisa legte ihrer Freundin beruhigend die Hand auf den Arm. »Entspann dich mal, Steph!«, mahnte sie sanft, bevor sie die Frage beantwortete. »Nein. Eigentlich glaube ich nicht an Reinkarnation. Aber ich hab ein paar von diesen Protokollen gelesen, und einige sind tatsächlich … faszinierend. Jedenfalls hätte ich überhaupt nichts gegen einen Selbstversuch. Es gibt da nur einen Haken: Ich, Lisa Grünwald, bin nicht hypnotisierbar. Es geht nicht, so gern ich es wollte. Und glaub mir, ich hab’s versucht. Eine Studienkollegin von mir ist Hypnosetherapeutin. Die hat während der Ausbildung an allen Kommilitonen geübt, und sie ist richtig gut. Nur bei mir funktionierte es nicht. Dabei hat sie alle Register gezogen. Schließlich hat sogar ihren Professor der Ehrgeiz gepackt. Er hat eine Sitzung mit mir angesetzt, weil sie derart frustriert war. Ich bin hingegangen, weil mich die Sache interessierte. Der Mann ist eine internationale Kapazität auf seinem Gebiet. Trotzdem war selbst er nicht fähig, mich in Trance zu versetzen. Wahrscheinlich fürchte ich den Kontrollverlust – oder ich neige zu sehr dazu, den Hypnotiseur zu beobachten. Es gibt verschiedene Theorien darüber, warum es bei manchen Menschen einfach nicht geht. Aber wie man es auch dreht und wendet: Für den Bericht über diesen Helbrich komme ich aus diesem Grund nicht infrage.«

»Sieht Söder das auch so?«, erkundigte sich Stephanie, dankte dem Barkeeper für den Wein, den er eben vor sie hinstellte, und nahm einen großen Schluck. »Ich meine, das wäre doch Wasser auf seine Mühlen: Der große Meister schafft es nicht, die kritische Lupe-Redakteurin in Trance zu versetzen. Ist das nicht genau die Schlagzeile, die er haben möchte?«

»Nur nicht besonders fair, oder?« Lisa verzog den Mund und hob ihrerseits ihr Glas. »Tatsächlich kam Söder mir natürlich auch gleich mit so einer … hm … Falle. Und es würde klappen. Helbrich würde zweifellos darauf reinfallen. Bis jetzt war jeder Hypnotiseur davon überzeugt, es bei mir hinzukriegen. Egal, was ich ihnen vorher erzählt hatte. Solche Extremfälle wie ich sind wohl selten. Aber ganz abgesehen davon, dass es gemein wäre, den Mann ins offene Messer laufen zu lassen – ich fände es auch kontraproduktiv. Bei der Reportage geht es letztlich um Rückführung. Nicht um die Frage, ob es mehr oder weniger gute Medien gibt und ob Helbrich auch Problemfälle knackt.«

»Und was habe ich bei dieser Rückführung zu erwarten?«, erkundigte sich Stephanie. Sie gab die Idee, Lisa doch noch vorzuschieben, jetzt endgültig auf. »Du scheinst dich da ja auszukennen. Kann … kann Rick womöglich recht haben? Mit … Neuseeland?« Sie spielte mit ihrem Weinglas. So ungern sie es zugab, ein bisschen hatten Ricks Bedenken sie doch verunsichert.

Lisa verneinte dann auch nicht sofort. Stattdessen kaute sie auf ihren Lippen. »Das kommt darauf an«, führte sie schließlich aus. »Also darauf, wie Helbrich arbeitet. Bei den meisten dieser Reinkarnationstherapeuten wären keine Überraschungen zu erwarten. Die große Mehrzahl hypnotisiert gar nicht wirklich. Die lässt die Leute nur Entspannungsübungen machen und dann frei assoziieren. Natürlich ist das alles Mumpitz, darüber brauchen wir gar nicht zu reden. Wenn dieser Helbrich allerdings wirklich hypnotisieren kann und eine richtige Hypermnesie durchführt – dann holt er dir vielleicht die Erinnerungen an Neuseeland zurück.«

Stephanie runzelte die Stirn. »Eine was?«, fragte sie und trank erneut. Ihr Glas war bereits fast leer.

Lisa winkte dem Barkeeper und bestellte noch einen Prosecco und einen Wein. »Hypermnesie«, erläuterte sie dann, »ist eine anerkannte Technik. Der Hypnotiseur versetzt seine Patienten dazu in tiefe Trance und führt sie dann in der Zeit zurück bis hin zu frühkindlichen Erinnerungen, die ihnen gar nicht mehr bewusst sind. Angeblich erinnert man sich sogar an seine eigene Geburt und die dabei entstandenen Traumata. Das kann in der folgenden Gesprächstherapie aufgearbeitet werden. Es gibt sogar Leute, die nach vorgeburtlichen Erinnerungen fragen. Auch das ist einigermaßen unumstritten …« Die Getränke kamen, und sie nahmen ihre Gläser dankend entgegen. Ein Tisch, so erklärte ein Kellner, sei jetzt auch frei. Stephanie machte allerdings keine Anstalten aufzustehen. Sie wollte erst hören, was Lisa weiter zu sagen hatte. »Ein heißes Eisen wird es erst, wenn Hypnotiseure – oft Hobbyhypnotiseure wie Morey Bernstein – auf die Idee kommen, mittels Rückführung die These von der Wiedergeburt zu überprüfen. Wenn es ein Leben nach dem Tod gebe, so ihre nicht gänzlich unlogische Überlegung, dann müsse es auch eins vor dem Leben gegeben haben. Und das lasse sich vielleicht mittels Hypermnesie rekonstruieren. Komm, Steph, davon musst du doch schon mal gehört haben! Wiedergeburt, Reinkarnation – wichtiger Bestandteil diverser Religionen. Hinduismus, Buddhismus …«

Stephanie nickte. »Wir sind alle gebunden an das Rad des Schicksals«, zitierte sie mit salbungsvoller Stimme. »Klar hab ich schon mal von Reinkarnation gehört! Und von diesen Rückführungen. Helbrich ist ja in aller Munde. Aber dass es dafür wissenschaftliche Beweise geben soll, das … das erscheint mir doch ein bisschen weit hergeholt.«

»Ob die Ergebnisse wissenschaftlich haltbar sind, ist natürlich umstritten«, dozierte Lisa. »Erzählen können die Probanden schließlich viel.«

»Und wenn man versucht, das zu recherchieren?«, überlegte Stephanie. »Wenn die Leute Namen und Daten nennen … dann sollte sich doch zumindest herausfinden lassen, ob diese oder jene Person wirklich gelebt hat.«

Lisa nickte und machte jetzt doch Anstalten, dem geduldig wartenden Kellner zu folgen. Sie und Stephanie nahmen ihre Gläser mit an einen Zweiertisch, nah der Panoramascheibe. Die Aussicht auf die Lichter der Stadt war wirklich atemberaubend. »Es wird natürlich immer wieder versucht, die genannten Fakten nachzuprüfen. Darauf zielt ja die ganze Sache ab. Zumindest war das ursprünglich so. Lies Morey Bernsteins Protokoll einer Wiedergeburt. Bernstein war ein amerikanischer Amateurpsychologe, der in den Fünfzigerjahren mit allen möglichen Hypnosetechniken herumexperimentiert hat. Als er von Reinkarnation hörte, war er Feuer und Flamme, und tatsächlich ist er gleich beim ersten Versuch mit einer ziemlich einfältigen Vorstadthausfrau auf ein früheres Leben gestoßen. In Irland, ich glaube, im 18. Jahrhundert. Sie hieß angeblich Bridey Murphy, und sie konnte sich an Straßennamen erinnern, an Tänze und an ein paar Worte Gälisch. Bernstein hatte durchaus einen wissenschaftlichen Anspruch und hat sich ein Bein ausgerissen, um die Story verifiziert zu bekommen. Das klingt bloß einfacher, als es ist, denn die Erinnerungen sind selten wirklich konkret – also mit Aussagen wie ›Ich hieß Barbara Wagner, wurde 1720 in der Kirchgasse zu Mainz geboren und heiratete 1740 Friedrich Schuster …‹ kann man nicht rechnen, was die Sache in meinen Augen fragwürdig macht. Zudem wird das Leben ganz normaler Menschen erst seit höchstens hundert Jahren dokumentiert. Davor gab es allenfalls mal Eintragungen in Kirchenbüchern: schwer aufzufinden, oft zerstört, häufig unvollständig. Und falls sich ausnahmsweise mal etwas leicht bestätigen lässt, kann das auch wieder gegen die Theorie ausgelegt werden. Denn wenn ein Rechercheur leicht an bestätigende Daten für eine Geschichte herankommt, dann kann sich die auch der Klient oder der Hypnotiseur auf ganz einfachem Wege besorgt haben. Tja, und sofern sich jemand an ein weniger triviales Leben erinnert als das von Barbara Wagner oder Bridey Murphy … Vielleicht hat Marquise de Montfort gelebt, aber ob sie wirklich die Seele von Irene Söder in sich trug?«

»Ganz sicher nicht!« Stephanie kicherte.

»Jedenfalls durchläuft man bei einer korrekten Hypermnesie als Erstes noch einmal das Leben, das man tatsächlich gelebt hat und noch lebt«, kam Lisa auf die Ausgangsfrage zurück. »Du würdest dich also auch in deinen ersten sechs Lebensjahren sehen. Und vielleicht käme dabei sogar heraus, warum du dich daran nicht mehr erinnerst. Das muss schließlich einen Grund haben. Du hast diese Jahre und ein ganzes Land, dein Geburtsland, vollständig aus deinem Gedächtnis verloren. Das passiert nicht einfach so! Ich an deiner Stelle hätte da schon längst nachgeforscht …«

»Ach …« Stephanie seufzte und griff demonstrativ nach der Speisekarte, um das Thema wechseln zu können.

Manchmal bereute sie, der Freundin und Rick von den fehlenden Erinnerungen an die Jahre ihrer Kindheit erzählt zu haben. Rick machte sich deswegen Sorgen. Und Lisa bewies eine Neugier, die Stephanie selbst fehlte – was die Freundin ebenfalls befremdlich fand. Jeder normale Mensch, so argumentierte Lisa, würde Fragen stellen, vielleicht eine Therapie machen, auf jeden Fall Anstrengungen unternehmen, um der Sache auf den Grund zu gehen. Und erst recht eine investigative Journalistin wie Stephanie, die jeder Information nachspürte wie ein Suchhund. Lediglich bei ihrer eigenen Geschichte begnügte sie sich mit den Auskünften ihrer Mutter: Helma Martens war 1980 nach Neuseeland gegangen, um dort als Anthropologin an der Erforschung der Maori-Kultur mitzuarbeiten. Dabei hatte sie den neuseeländischen Sozialarbeiter Simon Cook kennengelernt und geheiratet. Stephanie, ihre gemeinsame Tochter, wurde bald darauf in Neuseeland geboren. Als sie sechs Jahre alt war, hatte es in der Ehe der Cooks gekriselt. Helma war für vier Wochen nach Deutschland geflogen, um sich über ihre Zukunft klar zu werden. Simon hatte sich in dieser Zeit allein um Stephanie kümmern sollen, doch er war eine Woche vor Helmas geplanter Rückkehr bei einem Unfall ums Leben gekommen. Stephanie hatte unverletzt überlebt. Helma war umgehend zurückgeflogen, um ihre völlig verstörte Tochter zu holen, und beide lebten seitdem in Deutschland. An den Unfall und ihr Leben davor hatte Stephanie keinerlei Erinnerungen mehr.

»Dass du dich nicht einmal fragst, was für ein Unfall das überhaupt war«, erregte sich Lisa jetzt schon wieder.

»Ein Autounfall«, sagte Stephanie unwillig und nicht zum ersten Mal. »Nehme ich zumindest an …«

»Nun, vielleicht bringt dieser Helbrich ja Licht in die Sache«, hoffte Lisa. »Ganz ehrlich, an frühere Leben glaube ich nicht wirklich. Aber die Erinnerung an deine ersten sechs Lebensjahre, die muss noch irgendwo schlummern!«

Florian Söder passte Stephanie gleich am nächsten Morgen ab, als sie in die Redaktion kam.

»Übernächste Woche!«, erklärte er vergnügt. »Am 2. November, gleich nach Halloween. Helbrich erwartet dich um elf Uhr in seiner Praxis. Wahrscheinlich ist der Termin besonders günstig. An Allerseelen ist die Tür zur Geisterwelt nicht gänzlich geschlossen …« Er grinste.

»Dann hab ich ja wenigstens noch ein paar Tage Zeit, um den ersten Teil der Serie zu schreiben«, sagte Stephanie mürrisch, ohne auf die Anspielung einzugehen. »Und den zweiten. Der geht dann ja gleich in der Woche drauf in Druck …«

Söder nickte, jetzt wieder ganz ernst und geschäftsmäßig. »Im ersten Teil geht es um den Mord an dieser Polizistin, nicht?«, fragte er. Hier lag ihm eine Kurzfassung des Artikels bereits vor. Es ging um eine junge Frau, die offenbar in Ausübung ihres Dienstes erschossen worden war – allerdings konnte auch eine Beziehungstat dahinterstecken … Stephanie hatte über den Fall vor einigen Jahren berichtet und von Anfang an Zweifel gehegt. »Und im zweiten? Das Kind in Seattle?«

Stephanie zuckte mit den Schultern. »Ich weiß noch nicht. Es wird ein bisschen knapp mit den Polizeiberichten und den nötigen Kontakten in den Staaten. Vielleicht nehme ich doch einfach diesen Amoklauf in Bayern …«

»Du behältst aber den internationalen Charakter der Serie im Auge, ja?«, mahnte Söder. »Das gibt der Angelegenheit mehr Flair …«

Stephanie lachte. »Und erinnert an die Gefährlichkeit von Fernreisen«, witzelte sie. »Gut, unser Leser kann sich die Kreuzfahrt nicht leisten, doch so läuft er wenigstens nicht Gefahr, dass ihn ein genervter indonesischer Kellner über Bord wirft …«

Söder stutzte. »Haben wir so einen Fall? Hört sich gut an …« Seine Augen leuchteten.

Stephanie schüttelte den Kopf. »Du hast eine morbide Ader, Chef!«, zog sie ihn auf. »Wahrscheinlich warst du in deinem früheren Leben ein Bluthund. Nein, wir haben keinen Mord auf dem Traumschiff, da muss ich dich enttäuschen. Allerdings eine Familientragödie in Neuseeland, das Verschwinden eines Touristenehepaars in Thailand, einen möglichen Ritualmord auf Hawaii, einen verschollenen Motorradfahrer auf der Route 66 … da fantasieren die Angehörigen von Entführung durch Außerirdische. Eine Brandstiftung in einem Zoo in Australien …«

»Bloß keine verkohlten Tierbabys, Stephanie«, warnte Söder. »Das verursacht den Leuten Albträume …«

Stephanie verdrehte die Augen. »Die Tat galt wohl mehr einem Pfleger. Alle Kängurus sind wohlauf. Wie auch immer, die Auswahl ist groß. Ben und ich haben da noch einiges auf der Liste. Also lass uns jetzt arbeiten. Du kriegst die weiteren Vorschläge nächste Woche.«

Damit verzog sie sich, nicht ohne auf den Fluren unauffällig nach Rick Ausschau zu halten. Sie musste sich unbedingt mit ihm versöhnen. Am besten schickte sie Ben irgendwann im Laufe des Vormittags raus, um Kaffee und Donuts zu besorgen. Bestimmt gab es auch welche mit Herzchen …

Sie machte sich in Gedanken eine Notiz, um die Angelegenheit dann sehr schnell wieder zu vergessen. Die Auswahl der Fälle für ihre geheimnisvollen Morde nahm sie zu sehr in Anspruch und bestärkte sie in ihren Überzeugungen: Bei mehr als der Hälfte der Fälle war der Partner des Opfers zumindest verdächtig. Liebe währte also meist nicht ewig!

Auch in den nächsten Tagen ruhte Stephanies Beziehung zu Rick, obwohl sie sich um einen möglichst freundlichen Umgangston bemühte und sich sogar eine Entschuldigung für ihr aufbrausendes Verhalten am Tag des Strohhalmziehens abrang. Das Versöhnungsabendessen, auf das beide sich einigten, wurde allerdings immer wieder verschoben. Zunächst musste Rick zu einem außerplanmäßigen Parteitag einer linken Splitterpartei – man betrieb dort Krisenmanagement, nachdem der Parteichef mit der Pressesprecherin der CSU in inniger Umarmung fotografiert worden war –, und dann steckte Stephanie intensiv in den Recherchen für den nun doch in Amerika spielenden zweiten Teil ihrer Serie. Wegen der Zeitverschiebung hing sie die halbe Nacht am Telefon, um Zeugen zu befragen. Außerdem sichtete sie gemeinsam mit Ben weitere ungeklärte Kriminalfälle und versuchte nebenbei, sich wenigstens ein bisschen über Hypnose und Reinkarnation kundig zu machen. Interessiert las sie über Bridey Murphy und andere berühmte Fälle von Wiedergeburt, ließ sich davon jedoch nicht allzu sehr beeindrucken.

Das sagte sie auch Lisa. Die beiden waren am Abend des 1. November in einem Irish Pub verabredet. Die überbordende Halloween-Dekoration war noch nicht abgehängt. »Dabei möchte man doch meinen … Ich will ja nicht morbid klingen, aber wenn die Theorie stimmt, müssten sich inzwischen all die Toten aus dem Zweiten Weltkrieg wiederverkörpert haben. In den Protokollen müsste von … von Konzentrationslagern die Rede sein oder von Hiroshima. Und die Namen müssten sich in irgendwelchen Listen finden. Doch wenn man die Mitschriften so liest: Die Seelen scheinen aus dem Mittelalter nicht rauszukommen.«

Lisa lachte. »Ein offensichtliches Problem, das nur hoffnungslose Ignoranten auf den Boom einschlägiger Romanproduktionen zurückführen würden … Zudem ist Nachprüfen ziemlich aus der Mode gekommen. Das Ganze rutscht aus dem Bereich der Grenzwissenschaft immer mehr in den von Religion und Esoterik. Die Jünger von Helbrich und seinesgleichen sind an Recherchen nicht mehr interessiert, die glauben viel zu gern an ihre ›Erinnerungen‹. Und die Hypnotiseure betonen inzwischen eher den therapeutischen Effekt. Im Klartext: ›Ist doch egal, ob an der Sache was dran ist, Hauptsache, alle haben Spaß.‹«

»›Wer heilt, hat recht‹«, wiederholte Stephanie den stereotypen Spruch alternativer Mediziner. »Reinkarnation als Placebo?«

Lisa nickte. »Geniale Formulierung«, sagte sie anerkennend. »Merk’s dir für deinen Artikel. Jedenfalls tun diese Sitzungen vielen Patienten gut. Sie heben das Selbstbewusstsein: Frau fühlt sich doch gleich besser, wenn sie von Ludwig XIV. umschwärmt wurde! Und sie nehmen die Angst vor dem Tod. Der ist schließlich nicht das Ende …«

»… sondern nur ein Übergang von einer Existenz in eine andere Existenz«, zitierte Stephanie den Autor eines der einschlägigen Bücher. »Ich sehe es ein: Die Rückführung in frühere Leben ist das, was uns allen gerade noch gefehlt hat. Eigentlich sollte sie von den Krankenkassen bezahlt werden. Gibt es irgendwas, das ich morgen beachten muss, abgesehen davon, vor Freude über mein ewiges Leben nicht überzuschnappen?« Stephanie hob ihr Guinnessglas, um mit dem Plastiktotenkopf anzustoßen, der über ihrem Tisch baumelte.

Lisa zuckte mit den Schultern. »Versuch, dich vorurteilsfrei darauf einzulassen«, riet sie. »Gib diesem Helbrich zumindest eine Chance! Vielleicht bringt es dir doch etwas.«

»Ommm …«, sagte Stephanie.

Der Totenkopf schien zu grinsen.

KAPITEL 3

Die Praxis des Hypnosetherapeuten Helbrich befand sich in einem aufwendig restaurierten Altbau in Hamburg-Winterhude. Das weitläufige Stadthaus musste früher einem reichen Bankier oder Kaufmann gehört haben. Heute war es in mehrere gewerblich genutzte Mietobjekte aufgeteilt. Neben zwei Consultingfirmen residierten hier vor allem Arztpraxen. Diskret angebrachte Namensschilder wiesen auf einen Schönheitschirurgen und einen Gynäkologen hin. Außerdem gab es eine Psychologin und einen Zahnarzt. Stephanie ertappte sich bei dem Gedanken, dass sie an diesem Tag selbst bei Letzterem lieber geklingelt hätte als bei Helbrich. Dann gab sie sich jedoch einen Ruck und meldete sich an. Eine junge, sorgfältig geschminkte Sprechstundenhilfe öffnete ihr.

»Herr Helbrich ist gleich für Sie da!«, erklärte sie freundlich und wies Stephanie den Weg in ein helles, in warmen Farben gehaltenes Wartezimmer.

An den Wänden hing moderne Kunst. Stephanie sah, dass es sich bei den Bildern um Originale handelte. Spektakulär waren sie allerdings nicht – die Farben und Fantasielandschaften wirkten eher beruhigend. Die Einrichtung des Zimmers war modern, sehr geschmackvoll – und zweifellos kostspielig gewesen. Zurückhaltende Eleganz, konstatierte Stephanie und bemerkte gleich darauf, dass die Gestaltung der Praxisräume Diskretion gewährleistete. Sie hörte, wie Helbrich einen Klienten verabschiedete und hinausbegleitete, sah ihren Vorgänger jedoch nicht. Die Praxis hatte einen separaten Ausgang. Die Klienten des Therapeuten mussten einander nicht begegnen.

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