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»Das ist die sonderbarste Inspektionsreise, die mir vorgekommen.« Und doch war sie von größtem Nutzen, denn Thomas Mann hatte gerade ein neues Projekt begonnen: den vierbändigen biblischen Roman ›Joseph und seine Brüder‹. Die Einladung zu einer Mittelmeer-Kreuzfahrt kam folglich zur rechten Zeit, um eine Recherche vor Ort zu ermöglichen, und so bereiste Mann zwischen dem 2. und dem 25. März unter anderem Kairo, die alte Hauptstadt Theben nahe des heutigen Luxor, Konstantinopel und Athen. Das Erlebte brachte er noch auf dem Schiff in diesem launigen Erfahrungsbericht für die Vossische Zeitung zu Papier, der Text erschien dort am 12. April 1925 im ›Unterhaltungsblatt‹.
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Seitenzahl: 20
Thomas Mann
Unterwegs
Essay/s
Fischer e-books
In der Textfassung derGroßen kommentierten Frankfurter Ausgabe(GKFA)Mit Daten zu Leben und Werk
Ich bin unterwegs seit Wochen, die mich wie Jahre dünken. Es treibt mich auf den Meeren um, ich bin der Fliegende Holländer. Ich habe in den Ohren die beiden Motive, mit deren Hilfe Wagner die Gestalt des Unseligen so eindrucksvoll dargestellt hat: das stille, öde, das die einförmige Horizontweite des unbewegten Meeres malt, und das balladeske Hoiho und Hoihe, womit die Ouvertüre beginnt. Ich habe das ewige Meer auf beide Arten erlebt, in Schläfrigkeit und Gebraus, ich habe die Sonne auf seiner Bläue, den Mond auf seiner schlummernden Finsternis spielen sehen und habe stundenlang beim Sausen des Windes und Knallen der Leinwand in seinen Aufruhr geblickt, wenn der Bug des stampfenden und sich bäumenden Dampfers auf seine vom Sturm ihm entgegengewälzten Wogen niederwuchtete und das ganze Vorderschiff von weißem Gischt übersprüht wurde. Des Morgens bekomme ich es heiß in die Wanne geliefert, das Meer, und esse danach Hafergrütze, Eier und gute Marmeladen zum Tee. Zuweilen gehe ich an Land, um berühmte Baulichkeiten auf mich wirken zu lassen, die Sitten fremder Völker zu beobachten und so den engen Bezirk meiner Bildung zu erweitern. Doch bald heißt es wieder, wie für Sentas bleichen Liebhaber: Aufs Meer! Aufs Meer!
Es handelt sich um eine Lustfahrt des Hamburger Dampfers »General San Martin« durch das Mittelmeer, die zweite schon, die er dies Jahr unternimmt. Noch eine dritte wird folgen, und alle sind ausverkauft. Das wundert mich nicht: der General ist ein ausgezeichnetes, gepflegtes und höchst behagliches Schiff, nicht ganz so groß wie der öfter genannte »Peer Gynt«, 6500 Tonnen, wenn ich nicht irre, aber geräumig genug, mit seinem Speisesaal und Wintergarten, seinen wohnlichen Gesellschafts{953}