Until Us: Knight - Melissa Williams - E-Book
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Until Us: Knight E-Book

Melissa Williams

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Beschreibung

Ein ultraheißer IT-Unternehmer. Eine flüchtende Millionärstochter. Zwei Welten, die mit einem Boom kollidieren. Das Leben als reiche Enkelin in der New Yorker Elite hat Leighton-Rose kalt und zynisch werden lassen. Der Gedanke an ihre Zukunft lässt sie frösteln. Wenn sie eines nicht möchte, dann so zu enden, wie der Rest ihrer Familie. Als sich ihr die Chance bietet, auszubrechen, ergreift sie diese und erfährt das erste Mal, was Liebe tatsächlich bedeutet. Im schummrigen Licht einer Bar in einer Kleinstadt in Tennessee sieht Knight sie zum ersten Mal. Er kann förmlich spüren, wie sich die Welt verschiebt – Boom. Nie hätte er erwartet, dass ihm eine Frau wie Leighton-Rose begegnen würde – und mit ihr die Liebe. Sie in seinen Armen zu spüren, lässt ihn erkennen, was es wirklich bedeutet, zu leben, hemmungslos und voller Leidenschaft. Gibt es Träume, die niemals enden? Until Us: Knight ist Teil der Until-Welt von Aurora Rose Reynolds. Wenn du Until You: Talon und Until Us: Cece geliebt hast, dann wirst du auch Until Us: Knight lesen wollen.

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Seitenzahl: 285

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UNTIL US:knight

MELISSA WILLIAMS

© Die Originalausgabe wurde 2021 unter dem

Titel UNTIL THAT KNIGHT von Melissa Williams in Kooperation mit Boom Factory Publishing LLC veröffentlicht.

© 2023 Romance Edition Verlagsgesellschaft mbH

8700 Leoben, Austria

Aus dem Amerikanischen von Jennifer Kager und Corinna Lerchbacher

Covergestaltung: © Sturmmöwen

Titelabbildung: © sergelee (depositphotos)

Redaktion & Korrektorat: Romance Edition

ISBN-Taschenbuch: 978-3-903413-69-6

ISBN-EPUB:978-3-903413-70-2

www.romance-edition.com

Für Ashley, die beste Freundin, die man sich wünschen kann. Danke für deine Ermutigungen, deine Unterstützung und die Liebe für mich und meine Geschichten. Ich wüsste nicht, was ich ohne dich tun würde. Lass uns ewig gemeinsam weiterjammen.

1

Leighton-Rose

Eine Champagnerflöte baumelt achtlos zwischen meinen Fingern, während ich beobachte, wie der Mann, mit dem ich angeblich zusammen bin, einer anderen Frau eine platinfarbige Hotelzimmerkarte reicht. Ich rolle mit den Augen. Mittlerweile versucht er nicht einmal mehr, seine Indiskretionen zu verbergen. Meine Lippen zucken. Ich bin mir nicht sicher, ob vor Belustigung oder vor Abscheu.

Es ist mir egal, was Nigel macht. Obwohl ich wünschte, es wäre anders. Was würde ich nicht dafür geben, irgendwelche Gefühle für diesen Mann zu empfinden. Doch das Einzige, was ich gerade verspüre, ist Erleichterung. Ich bin froh, dass er sich seine Befriedigung bei einer anderen sucht. Der Gedanke, ihn zu berühren, lässt die Galle in meiner Kehle hochsteigen. Je eher er mit dieser Frau im Hotelzimmer verschwindet, desto schneller kann ich von hier weg. Und alle werden annehmen, dass wir die Party zusammen verlassen haben.

Leider ist es nur eine Frage der Zeit, bis ich seine Berührung ertragen muss. Es könnte jeden Tag so weit sein, dass er mir einen Antrag macht. Da bin ich mir sicher. Wahrscheinlich auch noch auf eine besonders reißerische Art und Weise, die mich innerlich in Verlegenheit bringen wird. Nach außen hin werde ich mich zu einem Lächeln zwingen und seinen Antrag strahlend annehmen. Zumindest die Tränen werden echt sein, wenn ich mich von meinem Singledasein, das einzige Stück Freiheit, das ich je hatte, verabschieden muss.

Ich war so naiv anzunehmen, mein Liebesleben wäre allein meine Angelegenheit. Jeder andere Aspekt in meinem Leben wird mir diktiert. Ich wohne in einem Penthouse, weil mein Vater das für angemessen hält. Ein persönlicher Stylist kümmert sich um meine Garderobe, als könnte ich nicht selbst entscheiden, was am besten an mir aussieht. Mein Freundeskreis besteht ausschließlich aus den Kindern der engsten Geschäftspartner meiner Familie, denn das ist für alle von Vorteil. Natürlich ist das alles Jammern auf hohem Niveau. Luxusprobleme, das ist mir schon klar. Und bei all dem fremdbestimmten Irrsinn gab es diese eine Sache, an die ich mich klammern konnte. Mein Liebesleben. Doch jetzt wurde mir sogar dieses kleine Stück Unabhängigkeit genommen.

Ich lasse meinen Blick durch den sanft beleuchteten Ballsaal schweifen und betrachte die Menschen. Einige sitzen in kleinen Gruppen zusammen, andere stehen an der Bar. Sie alle befinden sich auf der Jagd, sind gierig nach dem neuesten Klatsch und Tratsch. Wer mit wem, Modefauxpas und so weiter. Das ist auch das Einzige, was diese Leute verbindet, abgesehen von finanziellem Wohlstand. Eine Veranstaltung gleicht der anderen. Extravagante Kleidung, ein falsches Lächeln und lose Zungen sind immer in Mode. Mit einem Designerkleid und einer verdrehten Version der Wahrheit fügt man sich hier gut ein.

Wie konnte ich nur zulassen, dass sich mein Leben in diese Richtung entwickelt? Mittlerweile bin ich kurz davor, den Verstand zu verlieren. Jede sogenannte Bitte, Verpflichtung und jedes gesellschaftliche Ereignis, das zu besuchen mir aufgedrängt wird, bringt mich einen Schritt näher an den Rand des Wahnsinns. Wenn es so weitergeht, breche ich bald zusammen. In einem Monat, einer Woche, vielleicht schon morgen. Und es ist zum Teil meine Schuld, denn ich habe es zugelassen. Meine Familie hat mich so lange unterdrückt, dass ich stumm geblieben bin, als es an der Zeit war, für mich selbst zu sprechen. Ich fürchte mich davor, sie zu verärgern. So schwer es auch ist, ich will den Kontakt zu ihnen nicht gänzlich verlieren. Wir stehen uns ohnehin nicht sehr nahe.

Es scheint albern zu sein, doch ich versuche, ihnen zu gefallen. Gerade auf Veranstaltungen wie dieser. Immerhin sind es die einzigen Gelegenheiten, um wirklich Zeit in einem Raum mit ihnen zu verbringen. Ich kann mich nicht erinnern, wann wir uns zuletzt privat getroffen haben. Oder eine richtige Unterhaltung geführt haben. Meist interessieren sie sich erst für mich, wenn es etwas gibt, das ich für die Familie tun kann. Dann rufen sie mich an. So war es auch, als sie mir erklärten, dass ich mit Nigel ausgehen werde. Meine Eltern haben diese Beziehung eingefädelt, denn eine Verbindung mit den Blackhorns festigt unseren Platz in der New Yorker Elite. Ich habe nie zugestimmt ... aber ich habe auch nicht Nein gesagt.

Jetzt bin ich hier und blicke auf eine lieblose Zukunft mit einem Mann, der nicht weiß, was Diskretion heißt. Es gibt nicht genug Erdnussbuttertörtchen auf der Welt, um mir zu helfen, meine Gefühle angesichts dieser Zwangsehe hinunterzuschlucken.

Den Rest meines Champagners schütte ich regelrecht in meine Kehle und tausche die Flöte gegen eine neue aus, da ein weiß gekleideter Kellner wie aus dem Nichts auftaucht und mir ein ganzes Tablett voll anbietet. Meine Mutter wäre entsetzt, wenn sie mich so schnell trinken sehen würde. Eine Dame sollte ihr Getränk immer in kleinen Schlucken genießen. Ich presse die Lippen zusammen und unterdrücke einen Seufzer.

Wie sonst soll ich den heutigen Abend überstehen, wenn nicht mit einer großzügigen Menge Alkohol? Die ich auch brauchte, nachdem mein Vater vor seinen sogenannten Freunden damit geprahlt hatte, dass seine Tochter ein Auge auf den begehrtesten Junggesellen New Yorks geworfen habe. Er brüstete sich damit, dass er, wenn Nigel und ich heiraten, über ungeahnten Reichtum und Beziehungen verfügen würde. Dieser Mann kann nur an Geld denken. Offenbar hat er sich kein einziges Mal Gedanken darüber gemacht, warum die Blackhorns so begierig darauf sind, unsere Familien zu vereinen. Dabei liegt es auf der Hand. Nigel ist ein ekelhafter Perverser, der sein Ding nicht in der Hose behalten kann. Doch alles, was mein Vater sieht, wenn er Nigel anschaut, sind Dollarzeichen.

»Ich nehme an, die nächste Verlobungsparty, für die ich in die Staaten reise, wird deine sein. Wenn ich bis dahin nicht vor Langeweile gestorben bin.«

Mein Körper bewegt sich nicht, aber mein Blick wandert zu meiner Großmutter.

»Grandmère, darüber macht man keine Witze.«

»Über welchen Teil?«, entgegnet sie, hebt ihre Champagnerflöte und nimmt einen Schluck. Ihre hellblauen Augen, die den meinen so ähnlich sind, funkeln vor Humor.

Ich führe mein eigenes Glas an die Lippen und halte inne, bevor ich antworte, damit die glitzernde Flüssigkeit meinen verzogenen Mund verdecken kann.

»Beides. Ich kann den Gedanken kaum ertragen, dass du mich in ein paar Wochen verlässt und wieder nach Paris fliegst. Ganz zu schweigen von der anderen Sache«, erkläre ich kopfschüttelnd.

Dass sie den Sommer in New York verbringt, ist das Einzige, was mich bei Verstand hält, seit ich mit Nigel ausgehe. Ohne ihre trockenen Witze und ihre humorvolle Lebenseinstellung wäre ich schon längst zu einer Hülle von mir selbst geworden. Außerdem ist es schön, nicht in ein leeres Penthouse zurückkehren zu müssen, wie es sonst der Fall ist. Das allein hat mich durch die schlimmsten Zeiten gebracht. Ich liebe meine Grandmère mehr als alles andere auf der Welt. Der Gedanke an ihre Rückkehr nach Paris, die Stadt, in der sie geboren wurde und meinen Großvater kennengelernt hat, erfüllt mich mit Traurigkeit. Ich werde sie wahrscheinlich erst wiedersehen, wenn ... wenn die Hochzeit stattfindet.

Aus den Augenwinkeln nehme ich eine Bewegung wahr und drehe mich leicht in die Richtung. Nigel lehnt sich viel zu auffällig an eine andere Frau –anscheinend ist er zu seinem nächsten Opfer weitergezogen. Er wirkt betrunken und seine lauten Worte schallen durch den Ballsaal, als er Fawn Vanderhout – einer Frau, die mein ganzes Leben lang versucht hat, mit mir zu konkurrieren – erzählt, was für tolle Brüste sie hat. In meiner Kehle steigt Galle hoch und meine Wangen werden heiß, als mich die umstehenden Partygäste mitleidig anstarren.

So weiterzumachen, ist kaum auszuhalten. Ich bin gefangen in einem goldenen Käfig und dazu gezwungen, für die Schaulustigen aufzutreten.

»Ich kann das nicht«, flüstere ich mir zu, um die Worte laut auszusprechen, die mir seit langem auf der Zunge brennen. Irgendetwas muss ich mir einfallen lassen. Mein Herzschlag beschleunigt sich und Panik setzt ein. Nach außen hin wirke ich vielleicht cool, ruhig und gefasst, aber innerlich zerreißt es mich gerade. Ich bin mir fast sicher, dass ich gleich meine Seele in Fetzen vor mir liegen sehe.

»Nein, das kannst du nicht«, stimmt Grandmère mir zu, und mein Kopf ruckt vor Schreck in ihre Richtung.

»W-Was?«

»Ich werde ganz gewiss nicht zulassen, dass du dich an so einen furchtbaren Mann bindest.« Sie blickt in Nigels Richtung. »Ich habe lange genug geschwiegen, weil ich dachte, dass du ihn willst. Oder zumindest das Leben, das du durch die Heirat mit ihm bekommen würdest. Aber in dir steckt zu viel Temperament, chère. Du musst gehen.«

Ihre Worte treffen mich wie ein Schlag ins Gesicht. Was zum Teufel?

»Was sagst du da? Ich kann doch nicht einfach ... gehen.« Ich versuche, unser Gespräch leise zu halten, aber mein Gesichtsausdruck muss die Aufmerksamkeit der einzigen anderen Person erregt haben, die mich wirklich kennt – die meines älteren Bruders, der überhaupt nur wegen mir diese lächerliche Veranstaltung besucht.

»Leighton? Geht es dir gut? Du wirkst, als wäre dir heiß.«

Ich drehe mich zu Thorston um, mein Mund öffnet sich, aber es kommen keine Worte heraus. Keine Ahnung, was ich sagen oder wie ich antworten soll. Mein Gehirn versucht, all die Informationen zu verarbeiten, die Grandmère gerade auf mich losgelassen hat.

»Ich habe deiner Schwester gerade gesagt, dass sie aus der Stadt verschwinden muss. Weg von diesen Leuten.«

Eine schwere Stille legt sich über uns.

»Gott sei Dank.«

Ich glaube nicht, dass ich meine Augen noch weiter aufreißen könnte. Was ist hier los? Ich bin mir der Gesellschaft, in der wir uns befinden, und der Geier, die uns umkreisen, immer noch sehr bewusst. Daher lehne ich mich vor, um den Unterarm meines Bruders zu umklammern. Für jeden im Ballsaal, der in unsere Richtung schaut, wird es so aussehen, als würden wir uns einen kleinen Scherz erlauben. Vielleicht tun wir das auch. Ich bin mir nicht sicher, welches Spiel Grandmère und Thorston hier spielen. Ich richte meinen Körper so aus, dass niemand das Gefühlsgewitter auf meinem Gesicht sehen kann – wie könnte ich es auch wagen, in der Öffentlichkeit Gefühle zu zeigen? – und schenke den beiden Menschen, die ich am meisten auf dieser Welt liebe, einen harten Blick.

»Erklärt mir, was hier los ist. Wenn das ein Scherz sein soll, ist er nicht lustig.«

»Das ist kein Scherz, Leighton. Du kannst hier nicht länger bleiben. Nicht, wenn Vater dir mit einer Heirat droht. Jeden Tag kann es so weit sein, dass Nigel, dieses Ekelpaket, dir einen Heiratsantrag macht. Ich werde nicht zusehen, wie du dein Leben wegwirfst.«

»Thorston, du weißt, dass ich ...«

»Sag mir nicht, dass du keine Wahl hast. Verdammt noch mal, Leighton, natürlich hast du die. Keine Ahnung, warum du dich immer noch an die Vorstellung klammerst, dass du alles tun musst, was unsere Eltern verlangen. Sie geben dir nichts zurück, außer Spott.«

Mein Blick richtet sich auf ihn, und in seinen Augen erkenne ich die Wahrheit. Er hat recht. Und sobald ich mir das eingestehe, spüre ich, wie sich die Tränen einen Weg nach oben bahnen, und kämpfe dagegen an. Schnell nutze ich die Tatsache, dass ich mit dem Rücken zum Raum stehe, um einen kräftigen Schluck von meinem Getränk zu nehmen. Ich trinke, bis das Glas leer ist.

»Er hat recht, chère. Diese Stadt, deine Eltern, sie haben deine Loyalität nicht verdient. Ich werde meinen Sohn lieben bis zu dem Tag, an dem der liebe Gott mich zu sich holt, aber er ist nicht mehr der Mann, den ich einst kannte. Die Gier hat sein Herz fest im Griff. Er kümmert sich weder um dich, noch um deinen Bruder. Deine Halbschwester passt aber gut zu ihm«, murmelt sie den letzten Teil, dann schüttelt sie den Kopf. »Wie auch immer, genau aus diesem Grund bin ich hier.«

»Deswegen bist du hier? Aber ihr kommt doch immer um diese Jahreszeit nach New York.«

»Wegen deinem Grandpa. Er liebte die Stadt zu dieser Jahreszeit. Mir ...« Sie wedelt mit der Hand herum und zieht die Mundwinkel nach unten. »... ist es zu grell und zu laut. Dieses Jahr bin ich nur wegen dir gekommen.«

»Ich tue mal so, als wäre ich nicht auch dein Enkelkind«, scherzt Thorston und gluckst.

»Sei still, Junge. Du weißt, dass ich euch beide gemeint habe.« Sie greift nach meiner Hand und verschränkt entschlossen ihre Finger mit meinen. »Es ist Zeit für dich, aufzublühen. Wenn du jetzt nicht gehst, fürchte ich, wirst du es nie tun. Und ich weigere mich zuzulassen, dass dein Leben und dein Herz dieser Schlangengrube zum Opfer fallen.«

Es ist seltsam, eine Bestandsaufnahme für das eigene Leben zu machen, während man in sanftes Licht getaucht – obwohl ich mir gerade wie unter grellen Scheinwerfern vorkomme – und von viel zu vielen Menschen umgeben ist. Doch je länger ich meiner Grandmère zuhöre und dabei in das Gesicht meines Bruders blicke, der jedes ihrer Worte mit einem zustimmenden Nicken quittiert, desto mehr ändert sich meine Haltung. Sie haben recht. Ich habe eine Wahl. Ich muss dieses Leben nicht führen. Und ich muss meine Zukunft nicht für den finanziellen Vorteil meiner Familie opfern. Wenn ein Ja zu Nigel bedeuten würde, Thorston zu unterstützen, würde ich es sofort tun. Doch mein Bruder hat schon seit Jahren nichts mehr mit unserem Vater zu tun. Er hat das Familienunternehmen verlassen und sich seinen Erfolg selbst erarbeitet. Und selbst wenn es nicht so wäre, würde er mich nie um ein solches Opfer bitten.

Thorston hat den Absprung geschafft, und jetzt bin ich an der Reihe.

»Du hast recht«, flüstere ich und hasse, wie schwach meine Stimme klingt. »Du hast recht«, wiederhole ich lauter und mit Überzeugung. »Aber ich brauche Zeit, um mir meine nächsten Schritte zu überlegen.«

»Dafür ist keine Zeit«, antwortet Thorston. »Es muss heute Abend sein.«

»Heute Abend? Wie stellst du dir das vor? Ich kann mich doch nicht mitten in der Nacht einfach so davonmachen, ohne Plan, ohne Geld und ohne zu wissen, wohin.«

»Dann ist es ja gut, dass ich zwei dieser drei Dinge bereits für dich vorbereitet habe«, fährt Thorston fort, und Grandmère zwinkert mir grinsend zu.

»Was in aller Welt?«

»Auf dich wartet ein Auto in der Tiefgarage. Das Nummernschild lässt sich weder zu dir noch zu mir zurückverfolgen. Im Handschuhfach liegt ein Umschlag mit Bargeld. Damit kannst du die nächsten zwei Wochen überstehen, ohne entdeckt zu werden. Wenn du glaubst, weit genug weg zu sein, habe ich auch neue Kreditkarten und so einen Kram dabei. Du fährst heute Abend drei Stunden nach Süden in die Wohnung eines Freundes und ruhst dich dort aus. Wohin du danach gehst, liegt ganz bei dir«, erklärt mein Bruder.

Zu sagen, dass ich schockiert bin, wäre eine Untertreibung. Das Ganze ist nicht bloß eine Idee; sie haben es durchdacht und ausgeklügelte Pläne für mich entworfen.

»Neue Kreditkarten, ein Auto, das nicht zu mir zurückverfolgt werden kann? Ist das wirklich notwendig? Mir kommt das sehr geheimnisvoll vor.«

»Es ist definitiv notwendig. Vater würde dich niemals freiwillig gehen lassen. Er braucht dich für seinen nächsten Schachzug und würde nicht zulassen, dass dem etwas im Wege steht.«

Meine Lippen verziehen sich bei dem schmerzhaften Gedanken daran, wie wahr diese Worte klingen. Aber kann ich das tun? Kann ich alles und jeden, den ich kenne, hinter mir lassen?

Ich führe das Glas an meine Lippen, obwohl es schon leer ist, aber ich brauche diese Sekunde für meinen Entschluss. Dann ziehe ich die Schultern zurück und spreche die Worte aus, von denen ich nie dachte, dass ich sie sagen würde.

»Wie komme ich hier raus?«

Gerade habe ich, mit einem Lächeln auf dem Gesicht, meine letzte Runde durch den Saal gedreht. Die Hände sittsam gefaltet, bin ich nahezu durch den Ballsaal geschwebt, als wäre ich eine verdammte Fee. Ich habe alles gemacht, was von mir erwartet wurde. Bin genau dem Plan gefolgt.

Jeden Moment beginnen die Reden. Was leicht zu erkennen ist, da die Kellner eifrig die Getränke nachschenken, während das Essen abgetragen wird. Der perfekte Zeitpunkt, um zu entkommen.

Ein letztes Mal lasse ich meinen Blick durch den Raum schweifen. Tatsächlich bin ich mit jeder einzelnen Person hier vertraut. Ich kenne ihren finanziellen Status, ihre dunkelsten Geheimnisse und ihre größten Ängste – aber keine dieser Informationen wurde mir im Vertrauen erzählt. Nicht eine Person in diesem Raum ist ein wahrer Freund. Alles, was ich über diese Menschen weiß, wurde mir in dunklen Ecken zugeflüstert. Informationen sind in diesen Kreisen nichts als Munition. Die Art und Weise, wie sich alle gegenseitig benutzen, ist wirklich krank. Ich hasse es, dass das meine Normalität ist.

Oder vielmehr war.

Von der anderen Seite des Raumes schenke ich meinem Bruder ein letztes kleines Lächeln. Er erhebt sein Glas auf mich. Grandmère nickt und schickt mir durch ihren Blick Liebe und Kraft. Beides Dinge, die ich dringend brauche.

Mit einem tiefen Atemzug drehe ich mich um und gehe in Richtung der am weitesten entfernten Toilette.

»Was glaubst du, wo du hingehst?«, fragt eine raue Stimme neben mir. Mein Arm wird gepackt, nicht schmerzhaft, aber fest genug, um mich zu stoppen. Einer meiner Absätze rutscht auf dem gefliesten Boden weg, und ich falle auf meine Halbschwester Eleanor zu.

Während ich mein Gleichgewicht zurückerlange und wieder aufrichte, versuche ich, mein Kleid lässig zu glätten und grinse sie an.

»Ich gehe auf die Damentoilette, um mich frisch zu machen, bevor die Reden beginnen.« Ich hasse es, wie sanftmütig und leise meine Stimme klingt.

Sie starrt mich mit zusammengekniffenen Augen an, als könnte sie mich durchschauen. Da ich sie aber noch nie offen angelogen habe, hat sie keinen Grund, mir nicht zu glauben. Ich strecke mein Kinn vor und halte ihrem kritischen Blick stand. Eine kleine Demonstration von Rückgrat vor der ultimativen Trotzreaktion.

»Gut«, murrt sie und streichelt mit dem Finger eine der losen Locken, die ihr Gesicht rahmen, während der Rest ihrer Haare zu einer kunstvollen Hochsteckfrisur drapiert wurde. »Aber beeil dich damit. Du bringst die Familie in Verlegenheit, wenn du zu spät kommst und einen der Redner unterbrichst. Und um Himmels willen, kümmere dich um Nigel. Zeig ihm etwas Zuneigung. Er ist jetzt schon gelangweilt von dir.« Mit diesen Worten lässt sie mich stehen.

Ihrer Meinung nach ist es natürlich meine Schuld, dass Nigel mich betrügt. Und es ist eine Schande für meine Familie, wenn ich es wage, nicht mit einem Mann zu schlafen, der jede Nacht eine andere Frau beglückt. Ich sollte mich wirklich schämen.

Arme Eleanor, äffe ich in Gedanken. Die Worte meiner Halbschwester heizen den Wunsch, hier rauszukommen, weiter an und machen deutlich, dass ich nur durch Flucht die Freiheit erlangen kann, nach der ich mich sehne.

Einen Fuß vor den anderen setzen. Ruhig atmen. Ich schaffe das. Keiner wird Verdacht schöpfen.

Der Flur ist leer, während ich weiter in Richtung der Damentoilette gehe. Als die Tür in Sichtweite kommt, neige ich meinen Körper so, als wollte ich hineinschlüpfen. Doch in letzter Sekunde ändere ich meinen Weg und haste zu der offenen Tür, die zum Treppenhaus führt, das direkt dahinter liegt. Meine Schritte hallen wie Kanonenschüsse von den Stufen; jeder einzelne lässt mich zusammenzucken, doch ich bleibe nicht stehen und laufe die zwei Stockwerke hinunter, wie es mir mein Bruder aufgetragen hat. Als ich die gewünschte Etage erreiche, verlasse ich das Treppenhaus und gehe zu den Aufzügen.

Ein Pärchen in Abendgarderobe wartet im Flur. Meine Schritte stocken für einen Moment, aber ich rede mir ein, dass alles in Ordnung ist. Sie kennen mich nicht, und ich kenne sie nicht. Genauso wie sie könnte ich auf einen schönen Abend zusteuern. Ich schenke ihnen ein höfliches Lächeln, bevor ich meine Aufmerksamkeit auf die absteigenden Zahlen über den Türen richte. Sie bewegen sich wie in Zeitlupe.

Als schließlich ein Klingeln die Ankunft eines Aufzugs ankündigt, muss ich mich beherrschen, um nicht hineinzurennen. In Gedanken gehe ich die Anweisungen meines Bruders durch und drücke mit zitternder Hand auf P9. Kaum haben sich die Türen geschlossen, nehme ich einen tiefen Atemzug, um meinen Herzschlag zu beruhigen. Die Fahrt in die Tiefgarage dauert nur Sekunden. Niemand sonst steigt ein – was mir wie ein kleines Wunder vorkommt. Ich habe nur ein winziges Zeitfenster, um zu verschwinden, bevor jemand merkt, dass ich weg bin.

Als ich die Garage betrete, schlägt mir der intensive Geruch von Motoröl und Abgasen entgegen. Es ist ein überwältigender, aber süchtig machender Geruch. Mein ganzer Körper beginnt zu zittern, als ich nach der nummerierten Stelle suche, an der ich mein unverschlossenes Fluchtauto finden soll. Ich brauche mich nur einmal umzudrehen. Ein Schluchzen entweicht meinem Mund, als ich das Auto sehe. Es ist ein dunkelgrüner Jeep. Woher zum Teufel wusste mein Bruder, dass ich insgeheim schon immer ein Faible für dieses Modell hatte?

Mir bleibt jedoch keine Zeit, um mich vom Gedankenlesetalent meines Bruders mitreißen zu lassen; ich muss mich beeilen. Daher renne ich zum Auto, reiße die Tür auf und steige ein. Da man mit Absätzen bekanntlich nicht Auto fährt, ziehe ich die Schuhe aus und werfe sie auf den Rücksitz. Diese kleine Unordnung verleiht mir den nötigen Schwung, um ins Handschuhfach zu greifen und die Schlüssel herauszuholen.

Mit zitternden Fingern betätige ich die Zündung und lasse die Schlüssel dabei klimpern. Jetzt ist es nicht mehr die Angst, die mich im Griff hat. Jetzt ist es Hoffnung.

Ich bin kurz davor, frei zu sein. Kurz davor, auszubrechen und eine Aufgabe zu finden, die mich erfüllt. Meine Tage als Begleitung eines reichen Mannes sind vorbei. Ich bin auf dem Weg in ein Leben, das wirklich mir gehört.

Heiliger Bimbam.

Erst als sich das große Garagentor öffnet und ich langsam auf die Straße hinausfahre, spüre ich, wie ich ruhiger werde. Ein Lächeln huscht über mein Gesicht.

Bis zu diesem Abend hätte ich mir nie vorstellen können, einen anderen Weg zu gehen als den, der für mich bestimmt wurde. Etwas anderes stand nie zur Debatte. Aber jetzt ... jetzt bin ich frei.

Frei zu gehen, wohin ich will.

Frei zu tun, was ich möchte.

Frei, die Frau zu sein, die ich immer schon sein wollte.

Ich bin ... frei.

2

Leighton-Rose

»Oh mein Gott«, stöhne ich mit vollem Mund. Dabei landen einige Krümmel auf meiner Hose. Ich nehme noch einen Bissen. »Oh mein Gott.« Es ist mir egal, ob ich daran ersticken werde; ich will nicht, dass dieser Moment endet. Wieso habe ich nicht gleich zwei bestellt? Und warum in aller Welt esse ich dieses kulinarische Wunderwerk heute zum ersten Mal?

Burritos sind einfach bombastisch. Das Beste, was ich je in meinen Mund gesteckt habe. Am liebsten würde ich mich für den Rest meines Lebens nur noch davon ernähren. Mir ist klar, dass das nicht möglich ist, doch es ist ein schöner Traum.

Mittlerweile bin ich seit drei Tagen unterwegs. Während dieser Zeit habe ich viel nachgedacht. Mit jedem Kilometer, den ich zwischen mich und New York brachte, habe ich mehr geträumt. Im Geiste machte ich eine Liste mit all den Dingen, die ich in meiner neu gewonnenen Freiheit tun und erleben möchte. Punkt Nummer eins ist, jedes Fast Food auf dem Markt zu probieren. Dieser köstliche Burrito ist nur der Anfang.

Ein vielversprechender Start in meine kulinarische Selbstfindung.

Wenn ich gewusst hätte, wie gut die Freiheit schmeckt – und nicht solche Angst davor gehabt hätte, meine Familie vor den Kopf zu stoßen –, hätte ich schon viel eher rebelliert und einen Burrito ins Penthouse geschmuggelt. Oder einen Burger. Mit Pommes. Und Ketchup.

Mir ist klar, dass ich nicht alles auf einmal essen kann und es langsam angehen lassen muss, aber dieser Burrito, dessen Geschmack mir auf der Zunge zergeht, verlangt mir meine gesamte Willenskraft ab, damit ich nicht zurück zum Laden laufe und mir noch einen hole. Doch das Letzte, was ich jetzt brauche, ist, dass mir unterwegs schlecht wird – so ganz allein. Ich habe mir ein schattiges Plätzchen auf einem belebten Parkplatz gesucht und verschlinge genüsslich mein Essen, während ich die Leute beobachte. Die Sonne steht hoch am Himmel und knallt auf den Asphalt, sodass sich niemand in der Hitze aufhält. Jede Familie, die ich aus dem Fastfood-Restaurant kommen sehe, macht sich sofort auf den Weg zu ihrem Auto.

Eigentlich machen mir diese hohen Temperaturen nichts aus. Sie sind viel besser als der stickige Smog in der Stadt. Jedoch herrscht hier eine eher schwüle Hitze. Deshalb werde ich noch weiter nach Süden fahren. Vielleicht in Richtung Tennessee. Bis zur Staatsgrenze sind es nur noch ein paar Kilometer, zumindest stand es so auf dem Schild, das mich auch zu dieser Raststätte führte. Und weil mein Magen lauter knurrte, als das Autoradio Musik spielte, habe ich mich erstmal darum gekümmert. Trotzdem ist mir das Schild im Gedächtnis geblieben.

Als ich auf mein Mittagessen hinunterschaue, bemerke ich, dass nur noch zwei Bissen übrig sind. Die Leighton-Rose von vor drei Tagen hätte einen Weg gefunden, die letzten Reste anmutig zu verspeisen. Wenn sie sich überhaupt getraut hätte, etwas mit den Händen zu essen. Direkt aus der Verpackung – der blanke Wahnsinn! Aber die Leighton-Rose von heute will sich nicht mehr damenhaft benehmen. Daher werfe ich meinem Burrito einen herausfordernden Blick zu und schiebe mir den letzten Rest in den Mund. Alles auf einmal.

Mit dicken Wangen, gefüllt mit Essen wie bei einem Eichhörnchen, kaue ich sorgfältig und schlucke noch zaghafter. Dabei grinse ich wie eine Verrückte. Ein breites, verrücktes, glückliches Lächeln.

Nachdem ich mit dem Mittagessen fertig bin, mache ich noch einen letzten Abstecher zur Damentoilette. Dann starte ich meinen Jeep und fahre los. Während ich an der nächsten Ampel darauf warte, wieder auf die Hauptstraße abzubiegen, entdecke ich erneut ein Schild nach Tennessee. Mein Magen flattert vor Aufregung.

Auf mein Bauchgefühl zu hören, war noch nie eine Option für mich. Immer zweifle ich an mir selbst oder folge der Meinung von anderen.

Nun, scheiß drauf.

Mit einem Blick über die Schulter, um mich zu vergewissern, dass der Weg frei ist, wechsle ich die Fahrspur, um meinem Bauchgefühl geradewegs nach Tennessee zu folgen.

Zwei Stunden später verfluche ich mein schlechtes Urteilsvermögen, denn es hat mich erst in die Irre und dann auf einen verlassenen Parkplatz geführt. Das muss ich erstmal alles sacken lassen.

Einem plötzlichen Impuls folgend, hatte ich auf meiner Fahrt nach Tennessee einen kleinen Umweg eingeschlagen, um eine weltberühmte Eisdiele zu besuchen. Dafür musste ich die Hauptstraße verlassen, was mich schließlich mitten ins Nirgendwo brachte. Irgendwie hatte ich die weltberühmte Eisdiele übersehen. Also bin ich, einem weiteren Bauchgefühl vertrauend, umgekehrt, in der Hoffnung, das Eis auf dem Rückweg zu schlecken.

Genau zu diesem Zeitpunkt gab mein Fluchthandy den Geist auf. Ich versuchte, ruhig zu bleiben, weil ich immer noch annahm, dass ich es irgendwie zu der Eisdiele schaffen und den Akku dort aufladen könnte. Doch dann nahm mein neues Leben eine weitere Wendung.

Als ich die Eisdiele vor ein paar Minuten endlich erreichte, war sie geschlossen. Und nicht nur das. Mein Auto steht ein paar Meter entfernt auf dem verlassenen Parkplatz, während ich auf das alte Gebäude starre. Wenn mir die Bretter an den zerbrochenen Fenstern etwas mitteilen wollen, dann das, dass dieser Laden schon sehr lange geschlossen ist.

Verdammt noch mal. Warum hängt das Schild noch, wenn der Ort längst zu einer Geisterstadt verkommen ist?

Ich werde nicht in Panik geraten. Oh nein, eine McMillian gerät nie in Panik.

Nach einem tiefen Atemzug rede ich mir ein, dass das alles Teil des Abenteuers ist. Der Weg ist das Ziel, wie man so schön sagt. Also steige ich wieder in den Jeep, wende und fahre zurück auf die Straße, von der ich mittlerweile weiß, dass sie zum Highway führt. Zehn Minuten später habe ich diesen noch immer nicht erreicht, ein weiteres Ankündigungsschild habe ich auch nicht entdeckt, bemerke aber endlich, dass ich einen weiteren fatalen Fehler gemacht habe.

Ich bin in die falsche Richtung abgebogen.

Jetzt ist der Himmel in zauberhafte Violett- und Rosatöne getaucht und kündigt die hereinbrechende Nacht an. Die schöne Landschaft beruhigt meine Nerven und ich überlege, wie ich vorgehen soll: weiterfahren oder einen Platz zum Schlafen finden, bevor es stockdunkel wird. Während ich mit der Zunge an meiner Unterlippe entlangfahre, versuche ich, mich zu entscheiden. Da ich heute so viel Mist gebaut habe, glaube ich nichts mehr von dem, was mein Körper mir sagt.

»Triff einfach eine Entscheidung, Dummkopf.«

Okay, dass ich mit mir selbst rede, sollte mir eine Warnung sein. Es ist Zeit, für heute Schluss zu machen. Für einen einzigen Tag habe ich viel erlebt. Nicht alles davon war gut, aber der Gedanke, es mir bequem zu machen, vielleicht einen kurzen Spaziergang zu unternehmen, um etwas zu essen, klingt verlockend. Daher nehme ich einfach die nächste Ausfahrt, ohne darauf zu achten, was auf dem Schild steht.

»Das kann doch nicht wahr sein?«, rufe ich Minuten später, als die Ausfahrt mich auf eine weitere lange Straße führt, die von Bäumen gesäumt ist. »Fahr einfach weiter. Fahr einfach weiter«, sage ich mir immer wieder. Es wird schon gut gehen. Alle Wege führen ins Abenteuer. Dies ist nur die landschaftlich reizvollere Route.

Nach einer weiteren Stunde unterwegs sind noch immer keine Anzeichen von einer Stadt zu sehen. Nicht mal einer kleinen, oder einem winzigen dorfähnlichen Fleckchen Erde mit Häusern. Jetzt gerate ich doch in Panik. Verdammt, warum habe ich geglaubt, ich schaffe das allein? Habe ich tatsächlich angenommen, ich könnte mich einfach so auf den Weg machen und mich in ein glorreiches Abenteuer stürzen? Jetzt werde ich am Straßenrand sterben. Ohne Handy, ohne Benzin, wie mir gerade auffällt, und ohne einen Funken Hoffnung.

Ein Worst-Case-Szenario, das ich hoffentlich nicht tatsächlich erleben werden. Aber verdammt, diesmal habe ich es wirklich vermasselt.

Plötzlich flackert in meinem Rückspiegel ein einzelnes Licht auf.

»Was zum ...«

Der Satz erstirbt auf meinen Lippen, als ein weiteres einzelnes Licht neben dem ersten erscheint. Verwirrt über das, was ich sehe, beschleunigt sich mein Puls. Höre ich da etwa Donner?

Nein. Oh mein Gott! Neben mir tauchen Motorräder auf. Und zwar schnell!

»Bleib ruhig. Es ist alles in Ordnung. Niemand wird dich von der Straße drängen. Das bildest du dir nur ein. Du hast einfach zu viele Biker-Serien gesehen.« Meine eigenen, laut ausgesprochenen Worte, halten mich nicht davon ab, mir auf die Unterlippe zu beißen, während mein Blick immer wieder von der Straße zum Spiegel wandert. Sie bewegen sich schnell.

Als mich der erste Motorradfahrer überholt, packe ich das Lenkrad fester und halte die Luft an. Er sieht nicht in meine Richtung. Für mich ist das in Ordnung. Trotzdem kämpfe ich verzweifelt gegen den Drang an, ihn nicht anzuschauen, während ich versuche, das Auto in einer halbwegs geraden Linie auf der Straße zu halten. Ich beobachte, wie er vor mir beschleunigt und schließlich wieder auf die richtige Spur wechselt.

Dann taucht hinter mir der nächste Biker auf. Sein Auspuff dröhnt nicht so laut wie der des ersten, aber sein Motorrad ist nicht weniger beeindruckend. Ich rechne damit, dass er seinem Kollegen folgen will und mich daher überholen wird. Statt genau das zu tun, bleibt er mit mir auf gleicher Höhe, schaut zu mir und mustert mich. Einen Moment lang mache ich mir Sorgen, dass er mich angrinst, um mich abzulenken. Aber als ich meine Aufmerksamkeit schnell wieder auf ihn richte, kann ich keine Bösartigkeit erkennen. Nein. Vielmehr ... schenkt er mir ein freundliches Lächeln.

Keine Ahnung, ob ich nach diesem langen Tag hinterm Steuer einfach zu erschöpft, wegen meiner Flucht aus New York immer noch nervlich überstrapaziert bin oder mein folgender Gedanke doch von der Hitze kommt. Aber ich glaube, sein Lächeln gibt mir zu verstehen, dass ich auf dem richtigen Weg bin. Dass alles gut wird. Ich muss nur den Kurs beibehalten.

Obwohl es verrückt klingt, klammere ich mich an dieses Gefühl.

Unsere Blicke bleiben nur ein paar Sekunden lang verbunden, dann neigt er seinen Kopf zu einem kleinen Nicken, bevor er mich überholt.

Irgendwann sind alle Lichter der Motorräder verschwunden und ich befinde mich wieder allein auf der Straße. Doch diesmal genieße ich die Ruhe und den Frieden. Ich erfreue mich an der von Bäumen gesäumten Straße und dem dunkelvioletten Himmel, der sich vor mir auftut.

Erst als ein Schild vor mir auf eine bevorstehende Weggabelung hinweist, merke ich, wie ich wieder unruhig werde. So schnell ich kann, lese ich was darauf steht. Entweder kann ich auf dieser Spur bleiben und in eine Kleinstadt fahren oder ich wechsle auf die andere Spur und fahre nach Murfreesboro, eine größere Stadt nahe Nashville, die mir mehr Anonymität bietet. Dort kann ich mich in den Menschenmassen verlieren und hoffentlich ganz schnell einen Job finden, für den man überhaupt keine Berufserfahrung braucht – sobald mein Handy aufgeladen ist, werde ich dazu recherchieren. Außerdem wäre die Vertrautheit des Stadtlebens ein gewisser Trost.

Aber will ich das überhaupt?

Eine Kleinstadt wäre ein weiterer Zwischenstopp für eine Nacht. Ein Punkt auf meiner Abenteuerkarte.

Ich wechsle die Fahrspur und wähle die sichere Option.

Mein Magen fängt erneut an, seltsam zu flattern. Was zum Teufel ist los mit mir? Habe ich meine Lektion noch nicht gelernt, keinesfalls auf diesen verlogenen Bastard zu hören?

»Ich habe dir Burritos gegeben, und so dankst du es mir? Indem du uns zu einer nicht mehr existierenden Eisdiele führst und schließlich auch noch in eine Kleinstadt leiten willst? Was zur Hölle stimmt nicht mit mir?«

Oh gut, jetzt rede ich schon mit meinen Körperteilen.

»Schön. Dann eben in die Kleinstadt«, sage ich zu dem leeren Auto und wechsle, meinem dummen Bauchgefühl vertrauend, wieder die Spur. Es ist ja nur für eine Nacht.

Sofern mein neues Leben nicht wieder eine Wendung macht.

3

Leighton-Rose

Zu meiner großen Schande habe ich alles, was ich über Motels weiß, aus der Serie Schitt’s Creek. Es stört mich nicht, preiswert in einem Motel zu übernachten, und mir ist bewusst, dass es nicht glamourös sein wird. Die Chance, dass ich eine Zimtschnecke oder überhaupt ein Frühstück bekomme, ist sehr gering. Obwohl ich im Moment für eine kleine Mahlzeit vor dem Zubettgehen glatt töten könnte.