Vampires Dawn: Reign of Blood - Cairiel Ari - E-Book

Vampires Dawn: Reign of Blood E-Book

Cairiel Ari

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Beschreibung

Nachdem seine Frau auf bestialische Art von einem Vampir ermordet wird, stellt sich Valnars Leben komplett auf den Kopf. Plötzlich taucht auch noch Asgar auf: narzisstisch, machthungrig und vollkommen verrückt. Um seine Geliebte von den Toten zurückzuholen, braucht er Valnars Blut. Nach dem Ritual erwacht Valnar als Vampir und findet sich in einer Welt wieder, die eigentlich schon vor 400 Jahren dem Untergang geweiht war. Auf der Flucht vor einem Verrätervampir, dessen Aufgabe es ist, alle Blutsauger zu vernichten, versucht Valnar mehr über den Tod seiner Frau herauszufinden – und weckt dabei finstere Mächte.

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Table of Contents

Title Page

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Epilog

Ancient Blood

 

Vampires Dawn

Reign of Blood

 

Nach dem Spiel Alexander Koch

 

Geschrieben von Cairiel Ari

 

 

 

 

 

Impressum

© Traumtänzer-Verlag www.traumtaenzer-verlag.de

Ostenweg 5

93358 Train

© Alexander Koch

© Cairiel Ari

Cover: Antonio Kuklik

 

1. Neuauflage

ISBN 978-3-947031-41-2

 

Vorwort

 

 

 

Unglaublich, wie schnell doch die Zeit vergeht. Für einen Vampir sind zwölf Jahre sicherlich nur ein Wimpernschlag, aber für einen Menschen ist das eine Zeitspanne, in der sich das Leben sehr stark ändern kann. So ging es jedenfalls mir.

Vor zwölf Jahren habe ich den ersten Teil von Vampires Dawn begonnen. Ein Retro-RPG, das ich am Anfang meines Studiums nebenbei innerhalb eines Jahres entworfen habe. Wobei »nebenbei« zugegebenermaßen etwas untertrieben ist, denn in dem Spiel stecken viele hundert Arbeitsstunden, die ich aber zum größten Teil nie als Arbeit empfunden habe. Vielmehr war es für mich ein Mittel, um mich kreativ auszutoben. Damals gab es zwar Filme über Vampire – Spiele aber weniger. Und RPGs, in denen man selbst einen Vampir spielen konnte, waren noch seltener.

Daran wollte ich etwas ändern, und nachdem ich während der Arbeit an meinem ersten Spiel (»Dunkle Schatten«) ein wenig Erfahrung sammeln konnte, fing ich an, mir eine Geschichte auszudenken, die meine Vorstellung von Vampiren und ihren Konflikten widerspiegelt. Das dazugehörige Spiel sollte so designt sein, wie ich es selbst immer gern gespielt hätte. Eine offene Welt, viel schwarzer Humor und Hauptcharaktere, deren Handlungen nachvollziehbar sind. Dem Spiel gab ich den Namen »Vampires Dawn«, und wie sich herausstellte, fanden eine Menge Leute Gefallen an dem Spiel. Weit mehr als ich je erwartet hätte.

Zeitschriften wurden auf das Spiel aufmerksam und veröffentlichten es auf ihren Beilage-CDs. Fans schrieben mir mehr Mails als ich beantworten konnte. Ich war sehr glücklich über das viele Feedback.

Der Bedarf an Vampirgeschichten war offenbar nicht erschöpft. Wobei die Situation damals natürlich auch noch eine andere war. Vampire waren noch blutrünstig und sie umgab eine Aura von Gothic und Dunkelheit. Wie ihr alle wisst, hat sich das typische Bild eines Vampires inzwischen durchaus geändert. Mich stört das nicht, ganz im Gegenteil. Es ist gut, dass jeder das lesen, spielen und sehen kann, was er am meisten mag.

Mir persönlich gefällt aber ein anderer Typ von Vampir. Umso besser, dass Cairiel Ari das ähnlich sieht und mich vor einigen Monaten darauf ansprach, ob ich Interesse daran hätte, mit ihm ein Buch zu Vampires Dawn zu veröffentlichen. Auch wenn ich in den letzten zwölf Jahren öfters über ein Vampires Dawn Buchprojekt nachgedacht habe, sah ich mich doch eher im Spielebereich. Also folgten nach »Vampires Dawn – Reign of Blood« noch ein zweiter Teil und einige Spin-Offs und ich verlor das zunächst angedachte Buchprojekt schnell wieder aus den Augen. Umso begeisterter war ich über Cairiels Anfrage und ich bin mehr als froh, mit ihm einen tollen und versierteren Autor gefunden zu haben, der die Geschichte des Spiels in fesselnder Art und Weise ergänzt und in romantauglicher Form adaptiert hat. Wobei, genau genommen hat er ja mich gefunden.

Ich hoffe euch gefällt das Buch genauso sehr wie mir, und vielleicht ist das der Auftakt zu weiteren Geschichten in der Welt von Vampires Dawn. Jedenfalls freue ich mich auf die weitere Zusammenarbeit mit Cairiel und möchte mich genauso sehr bei unserer Verlegerin Toni Kuklik vom Weltenschmiede Verlag bedanken, die an das Buch glaubt und uns mehr als nur tatenkräftig unterstützt. Am wichtigsten ist letztlich aber, dass das Buch dir gefällt, lieber Leser. Daher wünsche ich dir viel Spaß beim ersten Buchabenteuer von Valnar, Asgar und Alaine.

 

Euer Alexander »Marlex« Koch

 

Kapitel 1

Blut und Rauch

 

Seine Hände schlossen sich um die rostigen Gitterstäbe. Asgars Augenlider senkten sich halb, während er sich konzentrierte. Zunehmend verlor sein Körper an Substanz. Aus den Augenwinkeln sah er, wie seine Hände verschwammen, zu undeutlichen Sche­men wurden. Nachdem die Verwandlung weit genug fortgeschritten war, machte er einen Schritt nach vorne, direkt durch die Gitter­stäbe hindurch. Kaum, dass er sie passiert hatte, nahm er wieder eine feste Form an.

Ein Mann stolperte auf ihn zu, die Augen weit aufgerissen. Speichel tropfte ihm aus dem Mundwinkel. »Mbwawa«, würgte er undeutlich hervor und streckte die Arme nach ihm aus.

»Verschwinde.« Angewidert stieß Asgar ihn beiseite. Der Mann verlor das Gleichgewicht und stürzte auf den mit Unrat übersäten Boden. Asgar kümmerte sich nicht weiter um ihn. Sein Blick wanderte über die Insassen der Zelle, die zusammenge­kauert auf dem Boden saßen. Trotz des dämmrigen Lichts konnte er sehen, als wäre es taghell. Da, die flammendrote Locken­pracht! Überall hätte er sie erkannt, selbst verfilzt und dreckstarr. Schnellen Schrittes trat er zu der Frau. Sie hatte die Arme um ihre angezogenen Beine geschlungen und ihren Kopf auf ihre Knie gebettet.

»Alaine«, sagte er leise, streichelte sie sanft. Die Frau hob den Kopf und betrachtete ihn aus großen, grünen Augen. Hätte er noch ein schlagendes Herz besessen, dann hätte es bei ihrem An­blick höher geschlagen. Sie war so wunderschön, dass sie nicht von dieser Welt stammen konnte, unmöglich einer dieser dreckigen, stinkenden Menschen sein konnte. Er schloss sie in die Arme. Sie schmiegte ihren warmen Körper an ihn, ihr lieb­reizender Duft stieg ihm noch intensiver in die Nase.

»Verzeih mir, dass ich die letzten Tage nicht vorbeigesehen habe. Ich hatte viel zu tun.« Asgar löste sich von ihr und musterte sie mit aufeinander gepressten Lippen. Seine Liebste war kaum mehr als Haut und Knochen. Ihre Wangen waren eingefallen und ihr wunderschönes rotes Haar dreckig und verfilzt. Sie sah ihm tief in die Augen, sagte jedoch nichts. Natürlich nicht. Sie hatte noch nie ein Wort gesprochen; der Grund, weshalb man sie über­haupt ins Irrenhaus gesteckt hatte. Bei dem Gedanken daran ballte Asgar die Hände zu Fäusten. Menschen! Anstatt ihre Schönheit, ihren Liebreiz und ihren wundervollen Duft ge­bührend zu würdigen, sperrten sie Alaine in dieses herunterge­kommene Drecksloch zwischen lauter Verrückte! Stinkende Fettwänste wie der Bürgermeister Shannars hingegen bekamen Prachtvillen und lebten in Saus und Braus. Sie hatten keine Ahnung, welch einen Schatz sie hier fortsperrten.

»Ich werde dich hier rausholen. Bald, schon bald …«, flüsterte er seiner geliebten Alaine zu und strich ihr durchs Haar.

»Viel zu lange schon hast du hier unten ausharren müssen, aber heute werde ich diesen Schwachkopf davon überzeugen, dich gehen zu lassen. Wenn nicht, wird er es bitter bereuen.«

Türknallen ließ Asgar herumfahren. Kettenrasseln, gefolgt von schweren Schritten. Er hatte nicht genug auf seine Umgebung geachtet.

»Na, ihr dreckigen Ratten, habt ihr Hunger?«, hallte eine Stimme durchs Irrenhaus. Ein Mann in einer schäbigen Rüstung trat an die Gitterstäbe. Der Wärter. Asgar hielt sich im Schatten, wo Menschenaugen ihn nicht sehen konnten. Mit einem unheil­vollen Funkeln in den Augen betrachtete der Mann die Gefan­genen.

»Heute gibt es zur Abwechslung Schimmelbrot von vorletzter Woche. Ein Festmahl für euch Drecksschweine!« Er warf ein paar Brotkanten durch die Gitterstäbe. Sie landeten zwischen all dem Unrat auf dem Boden. Eine Frau stürzte sich darauf und biss gierig auf einem Brotstück herum wie ein Hund. Der Wärter lachte abfällig.

»Nachher werden wir ein schönes Spiel miteinander spielen. Ihr freut euch bestimmt schon darauf, nicht wahr?«

Asgar biss die Zähne zusammen. Es brauchte seine ganze Selbstbeherrschung, damit er sein Versteck nicht verließ und dem Bastard an die Kehle ging. Gedanklich setzte er den Mannganz nach oben auf seine Speiseliste. Der Mistkerl würde es noch bereuen, wie er mit seiner Alaine umging! Aber die Rache musste warten. Würde der Wächter blutleer und tot hier unten im Morast liegen, würde das viel Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Am Ende würde man die Irren dafür verantwortlich machen, was seinen Erfolg, Alaine hier herauszubekommen, mit Sicherheit schmälern würde. Außerdem könnte einer der etwas helleren Idioten auf den Gedanken kommen, es könne sich dabei um das Werk eines Vampirs handeln … Asgar schüttelte sich, als unge­betene Erinnerungen an den Heiligen Kreuzzug gegen die Vampire in ihm aufstiegen. Die Menschen wiegten sich in Sicher­heit, glaubten, alle seiner seien Art tot. Und das war gut so.

Asgar wartete ab, bis sich der Wärter entfernt hatte, um seine Spielchen vorzubereiten. Er gab Alaine einen letzten, liebevollen Kuss. Sie erwiderte ihn innig, saugte begierig an seinen Lippen, hielt ihn mit den Armen umschlungen. Asgar spürte ihre Ver­zweiflung, ihr stummes Flehen, und es zerriss ihn schier. Lange schon hatte sein kalter Körper keine solche Empfindung mehr verspürt. Doch er musste gehen, musste sie hier herausholen, ohne viel Aufsehen zu provozieren.

»Bald, mein Mond, bald …«, flüsterte er ihr zu. Heute würde es das letzte Mal sein, das nahm sich Asgar fest vor. Sein Körper wurde eins mit den Schatten, verlor seine Konturen, seine Festigkeit. Alaines Blick folgte ihm, bis sie ihren Fokus verloren. Sie hatte lange genug hier unten gelitten. Mit Mühe widerstand Asgar dem Drang, ihr in seiner Nebelform noch einmal über die Wange zu streichen. Einmal noch gab er dem Menschenpack die Gelegenheit, die richtige Entscheidung zu treffen. Dann wäre er handeln, und koste es, was es wollte. Alaine zu befreien wäre tausend Kreuzzüge wert.

Er schritt durch die Gitterstäbe, als wären sie nicht vorhanden, und ging an dem Wärter vorbei, ohne ihn eines Blickes zu würdigen – zu groß war die Gefahr, die Beherrschung zu verlieren.

Vor den Türen der Anstalt traf Asgar gleißendes Sonnenlicht. Wie tausend Nadeln stach es in seine bleiche Haut. Selbst nach beinahe vierhundert Jahren, die er nun sein untotes Dasein fristete, hatte er sich noch nicht daran gewöhnt. Doch wenigstens verbrannte sie ihn nicht wie die niederen Vampire.

Nach einem Moment ließ das Gefühl nach, wurde dumpfer und auch seine Augen gewöhnten sich an die Helligkeit. Asgar schüttelte sich und folgte dem Weg nach Shannar, dem Dorf, zu dem das Irrenhaus gehörte. Mehrere Felder lagen zwischen der eigentlichen Siedlung und dem Haus, in dem die Verrückten weggesperrt wurden. Man konnte es von Shannar aus nicht einmalsehen. Es war ein Schandfleck, den die Leute nicht ständig vor Augen haben wollten.

Asgar erreichte das Dorf und ging zielstrebig auf das größte Gebäude in der Mitte zu, ignorierte die Leute, die ihn misstrauisch musterten. Es war ein wunderschönes Doppelhaus mit einem großen Balkon. Ein umzäunter Blumengarten befand sich außen herum. Asgar schritt über den gepflasterten Weg zur Eingangstür und riss sie auf.

Eine Frau, die gerade die Pflanzen in der Empfangshalle goss, fuhr herum. Die Gießkanne entglitt ihr und verteilte scheppernd ihren Inhalt auf dem Boden. Die Frau roch frisch, jung, mit einem Aroma von Angst, das Asgar besonders mochte.

»Mein Herr?«, fragte sie, nachdem sie sich vom größten Schrecken erholt hatte. »Kann ich Euch helfen?«

»Ich helfe mir selbst. Weitermachen.« Asgar machte sich auf den Weg zu der ausladenden Treppe gegenüber der Tür. Der penetrante Gestank nach Bratenfett, der durchs ganze Haus waberte, verriet Asgar genug.

»Der Bürgermeister ist gerade beschäftigt.« Die Frau eilte ihm hinterher und stellte sich ihm in den Weg. »Bitte kommt später noch einmal vorbei.«

Asgar packte die Frau und stellte sie zur Seite. Sie stieß einen überraschten Schrei aus und wich vor ihm zurück. Dämliches Weib! Es gab nur eines, mit dem der Bürgermeister von Shannar beschäftigt sein konnte. Mit aufeinander gepressten Lippen stampfte Asgar die Treppe hinauf und wandte sich nach rechts. Dort befand sich der Speisesaal, wie er aus seinen zahlreichen Besuchen wusste. Die Wahrscheinlichkeit, dass sich der fette Sack darin aufhielt, war hoch. Im Speisesaal oder in seinem Bett.

Asgar stieß die Flügeltür so schwungvoll auf, dass sie gegen die Wand krachte. Hier war der Gestank am stärksten. Angewidert rümpfte er die Nase. Wie erwartet saß der Bürgermeister in seinem prächtigsten, bereits fettverschmierten Anzug an einer reichlich gedeckten Tafel und starrte ihm mit vollen Backen entgegen.

»Wer haf Euf erlauf einfufefen?«, schnauzte er Asgar an und schluckte den Bissen hinunter, auf dem er gerade kaute. Fett triefte von seinen mit Juwelenringen besetzten Wurstfingern.

»Ich«, erwiderte Asgar kalt und baute sich vor der Tafel auf. Der Gestank von gebratenen, toten Tieren drang so penetrant in seine Nase, dass es ihm nichts brachte, nicht zu atmen. Menschen wussten ja nicht, was gut war. Sie waren voll mit dem einzig Leckeren, was diese Welt zu bieten hatte. Bei der Vorstellung von dem süßen roten Lebenssaft leckte sich Asgar begierig über die Lippen. Er sah das Blut an der Halsschlagader des fetten Mannes pulsieren und hatte Mühe, den Impuls zu kontrollieren, sich direkt auf ihn zu stürzen.

Der Bürgermeister warf ihm einen empörten Blick zu. »Das hier ist nicht die Armenspeisung! Besorgt Euch selbst etwas zu essen!«

»Das werde ich noch früh genug, macht Euch keine Sorge«, grollte Asgar und riss bedauernd den Blick von der pulsierenden Ader los. »Weshalb ich hier bin … Habt Ihr die Entscheidung gefällt, Alaine aus dem Irrenhaus zu entlassen?«

Der Bürgermeister schnaubte abfällig. »Da gibt es nichts zu entscheiden! Diese Hexe ist genauso verrückt wie alle anderen! Mit ihrer seltsamen Krankheit würde sie uns alle anstecken und ebenso den Verstand verlieren lassen! Nie und nimmer werde ich zulassen, dass sie einen Fuß aus dem Irrenhaus setzt!«

Asgars Auge zuckte. Falsche Antwort. Ruhig bleiben. An die Schrecken des Kreuzzugs denken. Nicht auf ihn stürzen. Fettleibige Menschen schmeckten sowieso nicht so gut.

»Ihr sagtet, das nächste Mal …«

»Es gibt kein nächstes Mal! Verschwindet! Sonst komme ich noch auf die Idee, Ihr könntet gleich zu Eurer rothaarigen Schlampe ins Irrenhaus einziehen!«

Asgar starrte ihn an. Da war er also. Der Punkt, an dem er seine Deckung zum ersten Mal aufgeben würde. Die Erkenntnis fühlte sich gut an, ließ ihn eigenartig ruhig werden.

»Ist das Euer letztes Wort?« Er war zu gutmütig. Immer schon gewesen. Bereits vor Wochen hätte er diesem Pack den Garaus machen sollen für das, was sie Alaine antaten. Und dennoch gab er dem Menschen die allerletzte Gelegenheit, sich zu retten.

»Ja! Jetzt verschwindet und lasst mich in Ruhe meinen Pflichten als Bürgermeister nachgehen!«

Asgar lächelte und drehte sich herum. Der Bürgermeister hattesoeben Shannars Todesurteil unterzeichnet.

Mit schnellen Schritten verließ er das Anwesen und Shannar. Als er sich weit genug vom Dorf entfernt hatte, ließ er erneut die Konturen seines Körpers verschwinden. Doch statt zu einem formlosen Nebel zu werden, schrumpfte seine Gestalt in sich zusammen, bildete kleine, lederne Schwingen. Nach seinem Tod erlernte jeder Vampir diese Fähigkeit wie ein Menschenkind das Gehen: Ein paar Male dabei hingefallen, einmal gelernt und nie wieder vergessen.

Den Rest des Tages würde er sich in seiner Burg erholen und bei Einbruch der Dunkelheit nach Shannar zurückkehren. Dieses verfluchte Dorf würde dafür büßen, was es ihm und seiner Liebsten angetan hatte. Er würde keine Zeugen zurücklassen. Ein paar Tage später würden alle umliegenden Dörfer glauben, Shannar wäre einem hungrigen Rudel Wölfe zum Opfer gefallen.

Die Zeit der Rache war endlich gekommen.

Asgar schlug die Augen auf. Um ihn herum war so tiefe Dunkelheit, dass selbst er nichts erkennen konnte. Bedächtig öffnete er den Deckel seines Sarges und streckte sich. Die paar Stunden Schlaf hatten ihm gut getan. Nun war es Zeit für etwas Bewegung.

Er stieg aus seinem Sarg, woraufhin sich die Fackeln an den Wänden seiner Gruft wie von Geisterhand entzündeten. Umziehen brauchte er sich nicht, warum auch? Da sein toter Organismuskeinen Schweiß absonderte, fing er nicht an zu stinken wie die dreckigen Menschenratten. Lediglich seinen Säbel schnallte er sich um, auch wenn er bezweifelte, dass er ihn brauchen würde. Es gab andere Mittel und Wege, um Menschen zu töten. Bessere Mittel und Wege.

Auf dem Weg zu seinem Frühstück grübelte Asgar unablässig über die vielen verschiedenen Foltermethoden, die er schon immer hatte ausprobieren wollen. Wie lange war es her, seit er zuletzt so richtig ausgiebig gefoltert und gemordet hatte? Wie lange war es her, seit er das letzte Mal den Angstschrei eines Menschen vernommen hatte? Er wusste es nicht, und das alleine war schlimm genug. Es war viel zu lange her. Seine Angst vor einem weiteren Kreuzzug gegen die Vampire hatte ihn vorsichtig werden lassen. Er hatte seine Aussaugetechniken perfektioniert, sodass seine Opfer nicht einmal merkten, dass ihnen Blut abgezapft worden war. Mithilfe seines Bisses konnte er sie betäuben und wenn sie ein paar Stunden später wieder erwachten, deutete nichts darauf hin, dass er jemals da gewesen war.

Diese Methode, an Blut zu kommen, war effizient, weil er die Menschen nicht töten musste. Er konnte sie anzapfen wie ein Bauer, der seine Kühe melkt. So blieb er zwar unbemerkt, aber auf Dauer war es höchst unbefriedigend. Seine schwarze Seele brauchte Schmerzensschreie, wollte die Panik in den Augen seiner Opfer sehen, wollte verletzen, verstümmeln und langsam und qualvoll töten. Jetzt war es endlich Zeit, der Bestie in ihm wieder freie Hand zu lassen und seinem Trieb ungehindert nachzugeben.

Mit einem Lächeln betrat er seine Speisekammer, in der zahlreiche Karaffen und Phiolen voller dunklem Lebenssaft lagerten. Viel zu viele davon waren bereits leer, was sich heute ändern würde. Asgar griff sich nur eine kleine Phiole aus seinem verbliebenen Vorrat, damit er nicht mit leeren Adern zu seinem Rachefeldzug aufbrechen musste. Heute Nacht würde er noch genug zu trinken bekommen. Grinsend setzte er an und ließ das köstliche Blut seineZunge benetzen. Er kostete jeden einzelnen Tropfen genießerisch aus. Die Phiole leerte sich viel zu schnell. Achtlos warf er sie beiseite und wischte sich über den Mund. Wirklich nicht viel, aber er widerstand dem Verlangen nach mehr. Ein bisschen Hunger würde seinen Tötungstrieb später nur noch weiter anstacheln. Ein paar der leeren Phiolen steckte er sich in seine Tasche.

Asgar verließ seine Gruft und machte sich durch den von Bäumen gesäumten Weg zum Hauptgebäude seiner Burg. Die letzten Sonnenstrahlen verblassten am Horizont und färbten bei ihrem Tod den sich rasch abdunkelnden Himmel in sattem Rot. Welch passende Einstimmung für die heutige Nacht.

Krachend ließ er das Tor hinter sich ins Schloss fallen. Das Hauptgebäude war immer noch so wohnlich eingerichtet, wie er es übernommen hatte. Hier störte es ihn nicht, weil er sich meist nur in seiner Gruft oder seinem Magiezimmer aufhielt. Dicke Teppiche dämpften Asgars Schritte, an den Wänden standen Rüstungen und zahlreiche Bücherregale. Fackeln spendeten Licht und etwas Wärme, Wandteppiche sorgten dafür, dass sie sich nicht sogleich von den kalten Steinwänden gefressen wurde. Asgar kümmerte es nicht, er brauchte keine Wärme. Im Gegenteil: Da er nicht schwitzen konnte, störte sie ihn eher. Aber seine tölpelhaften Untergebenen benötigten das Licht zum Arbeiten. Er schnaubte abfällig. Irgendwann würde er sich seinen Traum von einer Regentschaft der Vampire erfüllen, dann konnte er darauf verzichten, sich von niederen Skeletten und seinem Höllenbullen bedienen zu lassen.

Unterwegs traf er auf mehrere seiner Skelettdiener, die emsig damit beschäftigt waren, zu säubern und nach dem Rechten zu sehen. Wenn Asgar sie passierte, verbeugten sie sich so tief, dass ihre ewig grinsenden Schädel fast auf dem Boden aufschlugen. Gelenkig wie ein Skelett musste man sein …

Im Zimmer vor seinem Lieblingsbalkon stand Ronak. Die furchterregenden roten Augen des Höllenbullen starrten ins Leere. In seinen beiden an Menschenhände erinnernden Pranken hielt ereinen Besen. Langsam bahnte sich ein Spuckefaden seinen Weg von Ronaks Schnauze zum Boden.

Asgar schnippte vor dem Gesicht des Bullen, wozu er seinen Arm ganz ausstrecken musste. Ronak überragte ihn um drei Haupteslängen, selbst wenn man die beiden gewaltigen Hörner auf seinem Kopf nicht mitzählte.

Der Höllenbulle blinzelte irritiert. Als er erkannte, wer vor ihm stand, machte er einen Satz zurück und krachte gegen die Burgmauer hinter sich. Die Wand erzitterte unter seinem massigen Gewicht. Staub rieselte von der Decke, mehrere Fackeln fielen aus ihren Halterungen und ein Regal kippte laut krachend um. Die Gefäße darin gingen zu Bruch und der Inhalt verteilte sich auf dem purpurroten Teppich.

»Oh nein, oh nein, oh nein!« Ronak sah mit schreckensgeweiteten Augen zu Asgar. »Oh Meister, bitte verzeiht mir! Das wollte ich nicht, das war keine Absicht! Verzeiht mir!«

Asgar blinzelte sich den Staub aus den Augen und fuhr sich durch sein graues Haar, das er im Nacken locker zu einem Zopf gebunden trug. Er fühlte Staub, Spinnweben und allerlei Ungeziefer. In seinem Inneren kochte die Wut hoch. Dieses unfähige Rindvieh! Konnte Ronak nicht ein einziges Mal etwas richtig machen?

»Meister, wartet, ich helfe Euch!« Ronak hob seinen Besen und schlug damit nach Asgar, der sich nur durch einen beherzten Hechtsprung vor seinem Diener in Sicherheit bringen konnte.

»Ronak! Lass den Unsinn!«, keifte er den Höllenbullen an, dessen furchterregend rote Augen gefährlich feucht wurden.

»Bitte bestraft mich, Meister! Ich bin so ein unnützer Diener, ich …«

»Halt die Schnauze!«, fuhr Asgar dazwischen und klopfte sich den Staub vom Leib. Ronak konnte stundenlang um Vergebung oder Bestrafung betteln, zumindest sofern er mittendrin nicht vergaß, was er gerade sagen wollte. Genervt deutete Asgar auf die Flammen der Fackeln, die bereits an einem Wandteppich emporzüngelten.

»Lösch das Feuer. Zur Feier des Tages werde ich dich verschonen, aber wenn ich zurückkomme, will ich, dass von meiner Burg mehr als ein Häuflein Asche übrig ist. Hast du mich verstanden?«

»Ja, Meister, ja, natürlich!« Ronak verbeugte sich tief, schien dabei aber vergessen zu haben, dass er einen Besen in der Hand hielt. Er rammte sich den Stiel ins Auge und jaulte gepeinigt auf. Asgar vergrub das Gesicht in den Händen und widerstand dem Verlangen, seinem Untergebenen den Besenstiel woandershin zu rammen. Mühsam beherrscht beschwor er mit einem Wort der Macht ein paar Eiskristalle herauf, die gegen die Flammen ankämpften und sie langsam zurückdrängten. Seine ausgestreckte Hand zitterte. Asgar biss die Zähne zusammen. Gegen Feuer anzukämpfen kostete ihn viel zu viel Energie. Ein Grund mehr, Ronak später von den Burgzinnen zu werfen.

»Mach hier sauber«, zischte er dem Höllenbullen zu, der sich mit schmerzverzerrtem Gesicht das Auge hielt. »Wehe dir, hier liegt noch ein Staubkrümel herum, wenn ich zurückkomme!«

»Jawohl, Meister! Ich werde mich sofort darum kümmern!«

Wenig überzeugt wandte sich Asgar von seinem Diener ab. Später konnte er sich immer noch mit Ronak herumärgern. Jetzt war es erst einmal an Shannar, seine gerechte Strafe zu empfangen.

Er warf die Tür auf, die zum Balkon hinausführte. Der Wind erfasste seine Haare und seinen Umhang. Asgar genoss die Brise und den Ausblick von seinem Berg. In der Ferne konnte er zwischen den Wäldern und Wiesen Shannar als einzigen Schandfleck in dem nächtlichen Panorama erkennen. In ein paar Jahrzehnten würde es von der Natur verschlungen worden sein. Zumindest, sofern sich nicht wieder dreckige Menschenbrut dort ansammelte, nachdem er mit denjetzigen Dorfbewohnern abgerechnet hatte.

Asgar verwandelte sich in eine Fledermaus und ließ sich vom Wind in höhere Luftströme tragen, immerzu in Richtung des Dorfes. Er war noch nicht allzu weit gekommen, als der Wind ihm einen Geruch an die feine Nase trug, der ihm nicht gefallen wollte. Es war der unangenehm würzige Gestank nach Feuer, aber viel zu scharf und intensiv, um aus ein paar Schornsteinen oder Feuerstellen zu stammen. Nein, es war … Es war … Sein runzeliges Fledermausnäschen zuckte.

Es war der Gestank von brennendem Öl und Menschenfleisch.

Was zum …? Auch wenn es seinen kleinen Fledermauskörper anstrengte, flatterte er schneller. Je näher er dem Dorf kam, desto intensiver wurde der Gestank. In der Dorfmitte sah er Flammen emporzüngeln, eine schwarze Rauchwolke hob sich vom Sternenhimmel ab. Fraßen sich die Dorfbewohner nun schon gegenseitig? In Anbetracht dessen, dass Asgar sich so sehr auf sein Massaker freute, wäre es reichlich schade, wenn sie es ihm vermiesten. Auch wenn es diesen dummen Geschöpfen durchaus zuzutrauen war.

Am Rande des Dorfes verwandelte sich Asgar im Schatten einiger Bäume zurück, ehe er in die Siedlung eilte. Hinter den Fenstern der Häuser brannte kein Licht, dafür sah er eine Menschenmenge auf dem Dorfplatz versammelt. Unauffällig mischte er sich darunter. Alle starrten mit glücklichen Gesichtern und eifrig tratschend auf das große Feuer und das Holzgestell in ihrer Mitte.

»… schon längst überfällig«, schnappte Asgar auf, während er sich nach vorne drängte.

»… Gefahr für die Allgemeinheit. Aber jetzt ist es ja …«

»Aus dem Weg«, knurrte er und stieß eine Frau beiseite, die ihm noch im Weg stand. Was er sah, ließ ihn überrascht die Augen weiten.

Der Bürgermeister stand neben einem ganz in schwarz gehüllten Mann auf einem Podest. Neben ihnen zappelte ein weiterer Mann unter einem Schafott, wand sich in seinen Fesseln. Er war schmutzig unddürr, seine Kleidung hing in Fetzen von seinem Leib. Asgar hob die Augenbrauen. Was sollte das hier?

»Nun, meine lieben Mitbürger, hat es endlich ein Ende«, verkündete der Bürgermeister mit wohlwollender Miene. »Die Gefahr der ansteckenden Krankheit, die in unserem schönen Shannar lauerte, wird mit diesem letzten Irren aus unserer Mitte verbannt. Auf dass die Bewohner Shannars in Frieden und Sicherheit schlafen können, ohne die Keime aus dem verseuchten Irrenhaus fürchten zu müssen!« Mit diesen Worten hackte der schwarzgekleidete Mann das Seil durch und die Klinge des Schafotts sauste hinab. Ehe der Verurteilte wusste, wie ihm geschah, fiel ihm der Kopf von seinen Schultern in einen Weidekorb. Blut spritzte. Der süße Geruch stieg in Asgars Nase, aber es war nicht stark genug, um die Leere in ihm zu überwinden. Nur langsam sickerte die Information zu ihm durch. Gefahr der Krankheit gebannt … Aus dem Irrenhaus … Der Letzte.

Der Letzte.

Der Letzte aus dem Irrenhaus.

Er trat einen Schritt nach vorne und zog damit die Aufmerksamkeit des Bürgermeisters auf sich. Der fette Mann lächelte selbstgefällig.

»Es tut mir leid, aber sie war eine Gefahr für die Allgemeinheit. Und als Bürgermeister …«

Die Wut traf Asgar wie ein Taifun. Feine Härchen stellten sich in seinem Nacken auf. Sein Kopf schnellte nach vorne und er fauchte, wie er noch nie in seinem Leben gefaucht hatte. Die Fangzähne weit ausgefahren spürte er, wie sein ganzer Körper erbebte.

Sie hatten Alaine getötet. Nein, schlimmer noch. Sie hatten sie geköpft. Wenn sie ihr die Kehle durchgeschnitten oder sie vergiftet hätten, hätte er sie noch zu einem Vampir machen und retten können. So aber … Ohne einen Kopf konnte er nichts mehr tun.

Verzweiflung überkam ihn. Heftig schnaufend funkelte er den Bürgermeister an, entließ all seinen Hass, den er schon viel zu lange tief in sich verschlossen hatte.Mit einem Satz war er auf dem Holzgestell. Der Bürgermeister stolperte mit weit aufgerissenen Augen zurück.

»Helft mir doch!«, brüllte er voller Verzweiflung und sah zum Henker mit dem Hackbeil. »Halt ihn auf! Bring ihn um! Er ist ein Monster!« Asgar war ihm schon so nah, dass er den Urin riechen konnte, der die feinen Beinkleider des fetten Mannes durchnässte.

»Keinen Schritt weiter.« Bedrohlich sein Beil schwingend verstellte der Henker Asgar den Weg. Sein Fehler. So starb er ein paar Sekunden früher. Asgar grub ihm seine Finger in die Gedärme, schlitzte seinen Oberkörper von oben nach unten auf. Noch ehe der Mann mit geweiteten Augen an sich hinabblicken konnte, hatte Asgar ihn schon gepackt und von der Bühne geworfen. Nun, da er selbst mit Blut bespritzt war und es warm auf seiner kalten Wange spürte, wurde sein Blutdurst unermesslich. Hinter sich hörte er Schreie und panisches Getrappel. Sie flohen wie herrenlose Schafe vor einem ausgehungerten Wolf – und im Grunde genommen war es genau so.

Asgar sah auf den fetten Mann hinab, der mittlerweile rücklings umgestürzt war und unbeholfen auf allen Vieren vor ihm davonzukriechen versuchte.

»Du mieses Drecksschwein hättest noch viel Schlimmeres verdient, als kurz und schmerzlos getötet zu werden.« Die Haare schossen Asgar aus der Haut und sein Mund verformte sich zu einer Schnauze. Raubtierzähne gruben sich aus seinen Kiefern und er leckte sich mit der Zunge darüber. Mehr und mehr nahm er die Gestalt eines Wolfes an, blieb jedoch aufrecht wie ein Mensch.

»Ich sollte dich foltern und quälen, bis du den letzten Rest deines jämmerlichen Lebens ausgehaucht hast.« Seine Schnauze kräuselte sich. »Am liebsten würde ich dich …« Mit einem wilden Fauchen zerfetzte er den Leib des Bürgermeisters. Blut benetzte das Fell, das seine Haut überzog, und spritzte über seine aufgerissene Kleidung. Er kümmerte sich nicht darum, sondern genoss es voll und ganz, diesen widerlichen Bastard zu zerlegen. Als er fertig war, trat erkeuchend einen Schritt zurück und spuckte aus. Selbst das Blut dieses Mistkerls schmeckte abartig.

Bebend wandte er sich dem Feuer zu. Es blendete seine empfindlichen Augen und die Hitze machte seinem kalten, toten Leib zu schaffen. Er hasste Feuer. So sehr.

Schnellen Schrittes trat er zu dem Graben, aus dem die Flammen emporzüngelten. Ungeachtet der schrecklichen Hitze sprang er hinein. Es versengte sein Haar und leckte züngelnd über die Überreste seiner Kleidung, doch Asgar achtete nicht darauf. Brüllend warf er kopflose Leiber beiseite, bis er ein Stück blaues Kleid zwischen den Leichen entdeckte. Er fegte den störenden Körper weg und fand, wen er suchte: Alaine! Noch hatten die Flammen ihr nichts angetan, doch ihr Kopf lag ein paar Fingerbreit von ihrem Hals entfernt.

Asgar spürte, wie ihm Tränen in die Augen schossen. Sein Sichtfeld trübte sich rot. Am ganzen Körper zitternd vor unermesslicher Trauer, hob er ihren Körper und ihren Kopf auf und kletterte damit aus der Grube.

Seine Alaine. Seine geliebte Alaine. Das einzige Wesen, das ihn in seinem unendlichen verdammten Dasein als Monster noch Freude bereitet hatte. Den letzten Rest an Menschlichkeit in ihm hatte sie angesprochen mit ihrem Lächeln, das nur ihm galt, ihrer Schönheit, ihrem Duft.

Ein paar Schritte neben der Grube bettete Asgar sie ins feuchte Gras und wippte haltlos mit dem Oberkörper vor und zurück. Blutrote Tränen sprenkelten ihr dreckerstarrtes Kleid. Asgar vergoss Tränen aus Trauer um seine Liebe, aus Trauer um seine Menschlichkeit.

Erst als sie schon eine ganze Weile versiegt waren, erhob er sich. Innerlich fühlte er sich leer und ausgebrannt. All seine Gedanken kreisten nur noch um ein einziges Verlangen: Rache! Jeder einzelne Dorfbewohner würde heute Nacht sterben. Er würde nicht eher ruhen, bis er sie alle gefunden und jeden einzelnen von ihnen getötet hatte.

 

Er huschte mit leisen Pfoten durch die Nacht. Die Menschen waren in alle Richtungen verstreut in den Wald geflüchtet, aber es war ein großer Wald. Hier flüchtete nichts und niemand – nicht vor ihm. Jedem, dem er begegnete, riss er die Kehle auf. Keiner wurde verschont, nicht die Männer, nicht die Frauen, nicht die Kinder. Jeder von ihnen trug Schuld an Alaines Tod. Er labte sich an ihrem Blut, zerriss sie, bis ihnen die Gedärme hervorquollen und zerfetzte sie bis aufs Haar.

Der Morgen graute bereits, als sich Asgar von einer jungen Frau erhob, die jetzt nicht mehr war als eine Blutlache, ein paar Innereien und verteilte Gliedmaßen. Das musste die letzte gewesen sein. Und falls doch noch mehr herumirrten, würden sich seine Wölfe ihrer annehmen. Für heute Nacht hatte er genug getan.

Langsam kehrte er zu Alaine zurück und betrachtete ihren blutverschmierten Körper. Ihr Kleid hatte Brandlöcher und bei ihrem abgetrennten Kopf war das Haar teilweise versengt. Seine Alaine. Asgar ging in die Knie und vergrub das Gesicht in seinen wieder unbehaarten Händen. Sie war verloren. Der Schmerz, den diese Erkenntnis bei ihm verursachte, war unbeschreiblich. So etwas hatte er noch nie verspürt, weder in seinem menschlichen noch in seinem untoten Leben. Mit ihr hatte er den Rest der Ewigkeit verbringen wollen. Nun konnte er nichts mehr für sie tun, außer eine gute Ruhestätte für ihre sterblichen Überreste zu finden. Er kannte einen guten Ort dafür.

Ohne sich zu verwandeln, machte er sich mit ihr auf den Weg zu der kleinen Grotte, die sich abgelegen in einem der vielen Wälder um seine Burg herum befand. Er war lange unterwegs, doch das war ihm egal. Die Sonne neigte sich bereits wieder dem Horizont zu, als er sein Ziel erreichte. In der Grotte grub er mit bloßen Wolfsklauen ein Grab für sie und bettete sie vorsichtig hinein. Stundenlang saß er davor, darauf wartend, dass die Trauer zurückkehrte, aber es passierte nichts. Er war leer. So leer, als wäre seine Seele mit ihr gestorben. Asgar fühltenichts mehr.

Die Schatten vor der Grotte wurden bereits länger. Mit steifen Gliedern kämpfte er sich auf die Beine und machte sich daran, das Grab zu verschließen.

Hier also lag der letzte Rest seiner Menschlichkeit begraben.

 

Kapitel 2

Der rettende Zauber

Ein paar Monate später … Tip. Tap. Tip. Tap.

Asgar blätterte eine Seite in seinem Buch um. Neben ihm tropfte das Kerzenwachs zu Boden. Er bemerkte es nur am Rande, ebenso wie das allgegenwärtige Heulen der ruhelosen Seelen. Sofort wurde sein Blick wieder von den kryptischen Buchstaben des Zauberbuchs gefesselt. Auf der rastlosen Suche nach alten, verborgenen Zaubern hatte er es in den Archiven seines Magiezimmers entdeckt. Asgar konnte sich nicht daran erinnern, wie es in seine Hände gelangt war. Es kümmerte ihn im Moment auch reichlich wenig. Hierin standen Zauber, so schwarz wie die Nacht. In erster Linie befassten sie sich mit der Schöpfung von Vampiren in außergewöhnlichen Umständen, außerdem gab es zahlreiche Fluchzauber, für die man Seelen benötigte. Wenn dieses Buch ihm nicht weiterhalf, wusste er …

Asgar stockte und fuhr mit dem Finger über die Zeile, die er gerade las.

Kopflos. Geköpft.

Genau was er brauchte. Er blätterte so hastig um, dass er beinahe die Seite herausriss. Seine Finger zitterten. Konnte es möglich sein, dass ein derartiger Zauber existierte? Ein Zauber, der ihm seine Alaine zurückbringen würde? Nicht als willenloses Skelett, sondern als richtigen Vampir?

Sein Blick huschte über die Seite. Hier wurde tatsächlich ein Ritual beschrieben, das dafür sorgte, einen geköpften Menschen zu einem Vampir zu machen. Und nicht nur zu irgendeinem Vampir – einem der ersten Generation! Asgars Blick klebte regelrecht an den Seiten, während er die Worte in sich aufsaugte. Ein Vampir der ersten Generation hätte unermessliche Macht … Normalerweise waren Vampire immer eine Generation schwächer als ihre Schöpfer. Aber nicht seine Alaine! Sie würde der stärkste Vampir dieser Zeit werden.

Alles, was er dafür brauchte, war neben den vollständigen Körperteilen der Zielperson … Asgar ließ sich auf seinem Stuhl zurücksinken. Ungläubig starrte er auf den Wandteppich vor sich, der das Wappen der Vorbesitzer seiner Burg zeigte.

Er brauchte das Blut eines Menschen, der schon einmal mit einem Vampir das Bett geteilt hatte.

Sein Magen drehte sich ihm um und er hätte sich übergeben, läge seine letzte Mahlzeit nicht über vierhundert Jahre zurück. Was für eine abartige Vorstellung! Nie und nimmer würde er Geschlechtsverkehr mit einem Angehörigen dieser abartigen, minderwertigen Rasse praktizieren! Da konnte er gleich das Bett mit einem Schwein teilen, die Viecher folgten wenigstens noch ihren Instinkten, statt wie die Menschen einen Verstand benutzen zu wollen, den sie nicht besaßen. Bloß mit Alaine war es etwas anderes gewesen. Er hatte sie nie als potentielles Nahrungsmittel angesehen, nicht einmal als einen Menschen. An ihr haftete etwas, das sie zu etwas Besonderem machte. Zumindest darin stimmte er mit dem fetten Bürgermeister überein: Alaine war kein normaler Mensch gewesen. Sie war zu Höherem bestimmt, dessen war sich Asgar sicher.

Aber mit einem Menschen schlafen … Er wollte gar nicht wissen, wie der Autor des Buches auf dieses Ritual gestoßen war. Vielleicht hatte er sich in einer ähnlichen Situation befunden. Zur Zeit des Kreuzzugs gut möglich.

Asgar schüttelte den Kopf. Er musste sich auf das Wesentliche konzentrieren. Es stand außer Frage, dass er Alaine zurückholen würde. Kostete es, was es wollte. Auch wenn er dafür … Er ballte so fest seine Hände zusammen, dass sich seine Fingernägel tief ins Fleisch der Handballen gruben. Was hatte er erwartet? Er musste sich glücklich schätzen, überhaupt einen Weg gefunden zu haben. Am besten machte er sich auf den Weg, sich eine halbwegs annehmbare Menschenfrau zu suchen. Besser, als den Rest seiner Unendlichkeit als einsamer Wolf in dieser schrecklichen Welt zu verbringen, die von Menschen dominiert wurde.

Seufzend erhob er sich und machte sich auf den Weg. Alaine war das Opfer wert. Als Belohnung winkte eine Ewigkeit mit ihr, dem wundervollsten Wesen, das je einen Fuß auf diese Welt gesetzt hatte.

 

Acht Dörfer und zwei Tage später war Asgar anderer Meinung. Nicht, dass es nicht die ein oder andere optisch schöne Frau gegeben hätte. Aber sie lösten in ihm den bloßen Drang aus, sie sich einverleiben zu wollen – indem er ihr Blut trank. Er biss die Zähne zusammen, während er gedankenverloren durch den Wald zum nächsten Dorf wanderte. Nicht ein einziges Mal hatte sich zwischen seinen Beinen etwas gerührt! Das hatte es nicht mehr, seit er zu einem Vampir geworden war. Jetzt erfreute er sich einer anderen Art von Rausch, einer viel, viel besseren … Vielleicht lag es nicht nur an der mangelnden Attraktivität. Sein Organismus war schlichtweg tot und ein toter Körper konnte sich eben nicht fortpflanzen – mit allem, was dazugehörte. Wut kam in ihm hoch, als er eine steinerne Treppe hinabstieg, die auf seinem Weg lag. So ein verdammter Mist! Wie sollte er einen Menschen finden, der schon einmal mit einem Vampir geschlafen

hatte, wenn Vampire gar keinen Sex haben konnten?!

»Keinen Schritt weiter.«

Asgar hielt reflexartig inne und ärgerte sich sogleich darüber. Seit wann ließ er sich etwas befehlen? Suchend ließ er seinen Blick zwischen den Bäumen hindurch schweifen und erstarrte, als er sie sah.

Ebenso blutrote Augen wie die seinen funkelten ihn an. Die vollen, roten Lippen aufeinander gepresst, machte die Vampirfrau keinen glücklichen Eindruck.

Ein Vampir. Mehrere Schritte vor ihm zwischen den Bäumen stand tatsächlich ein Vampir. Fassungslos starrte er sie an. Sie hatte blonde Locken, die ihr fast bis zu den Hüften reichten, aber Asgar erkannte auf den ersten Blick, dass sie falsch waren. Für einen Menschen musste sie jedoch wie eine bildhübsche junge Frau aussehen.

»Was starrst du so?« Mit erhobenem Kinn trat sie auf ihn zu und baute sich vor ihm auf. Obwohl er am Hang eines Hügels und somit ein paar Schritte über ihr stand, strahlte sie so viel Autorität aus, dass Asgar es fürs Erste besser hielt, sich ihrem Willen zu fügen.

Er kniff die Augen zusammen. Das Sonnenlicht schien ihrer blassen Haut nichts anhaben zu können, weshalb sie mindestens ein Vampir der vierten, wenn nicht gar dritten Generation sein musste. Alles darunter wäre zu schwach, um bedenkenlos in die Sonne treten zu können. Ihr harsches Auftreten ihm gegenüber zeugte außerdem davon, dass sie sich ihm ebenbürtig fühlte, ihm, einem Vampir der zweiten Generation. Oder ihm zumindest ebendiesen Eindruck vermitteln wollte. Es war zum Verrücktwerden! Viel zu lange schon hatte Asgar keinen seiner Art mehr gesehen, weshalb er sie überhaupt nicht einschätzen konnte.

»Lange ist es her, seit ich zuletzt einen anderen Vampir gesehen habe«, sprach er seinen Gedanken aus, mehr um irgendetwas zu sagen.

»Am besten gehst du dorthin zurück, wo auch immer du dich die letzten vierhundert Jahre verkrochen hast, und bleibst dort«, erwiderte sie kalt. »Für die nächsten Jahre ist das hier mein Revier. Die Welt sollte mittlerweile groß genug für uns sein, damit wir uns nicht mehr gegenseitig auf die Füße treten.«

Asgar runzelte die Stirn ob ihrer Unfreundlichkeit. »Jetzt sehe ich zum ersten Mal seit dem Ende des Kreuzzuges ein intelligenteres Wesen als einen Menschen und du hast nichts Besseres zu tun, alsmir zu drohen?«

Ihre Augen verengten sich zu Schlitzen. »Verschwinde! Und lass dich hier nicht mehr blicken, wenn dir dein Leben lieb ist!«

»Immer schön ruhig bleiben.« Asgar hob lässig die Hände. Er wusste ja, dass Vampire keine Rudeltiere waren, aber mit derartigen Aggressionen hatte er nicht gerechnet. Ganz davon abgesehen, dass Vampire normalerweise kein Revier hatten.

---ENDE DER LESEPROBE---