Venus im Pelz - Leopold Von Sacher-Masoch - E-Book

Venus im Pelz E-Book

Leopold von Sacher-Masoch

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Beschreibung

Die Geschichte einer erbarmungslosen Liebe. Venus im Pelz ist eine Novelle (1870) von Leopold von Sacher-Masoch. Er beschreibt darin die extremen Wechselbäder der Gefühle, die der »Sklave« Severin durch seine Herrin Wanda erfährt. Mit Autobiographie des Autors. Null Papier Verlag

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Leopold Von Sacher-Masoch

Venus im Pelz

Mit Autobiografie des Autors

Leopold Von Sacher-Masoch

Venus im Pelz

Mit Autobiografie des Autors

Veröffentlicht im Null Papier Verlag, 2024Klosterstr. 34 · D-40211 Düsseldorf · [email protected] 3. Auflage, ISBN 978-3-954180-72-1

null-papier.de/katalog

Inhaltsverzeichnis

I.

II.

III.

IV.

V.

VI.

VII.

VIII.

IX.

X.

XI.

Eine Au­to­bio­gra­fie

Dan­ke

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»Gott hat ihn ge­straft und hat ihn in ei­nes Wei­bes Hän­de ge­ge­ben.«

Buch Ju­dith 16. Kap. 7.

I.

Ich hat­te lie­bens­wür­di­ge Ge­sell­schaft.

Mir ge­gen­über an dem mas­si­ven Re­naissance­ka­min saß Ve­nus, aber nicht etwa eine Dame der Halb­welt, die un­ter die­sem Na­men Krieg führ­te ge­gen das feind­li­che Ge­schlecht, gleich Ma­de­moi­sel­le Cleo­pa­tra, son­dern die wahr­haf­te Lie­bes­göt­tin.

Sie saß im Fau­teuil1 und hat­te ein pras­seln­des Feu­er an­ge­facht, des­sen Wi­der­schein in ro­ten Flam­men ihr blei­ches Ant­litz mit den wei­ßen Au­gen leck­te und von Zeit zu Zeit ihre Füße, wenn sie die­sel­ben zu wär­men such­te.

Ihr Kopf war wun­der­bar trotz der to­ten Stein­au­gen, aber das war auch al­les, was ich von ihr sah. Die Heh­re hat­te ih­ren Mar­mor­leib in einen großen Pelz ge­wi­ckelt und sich zit­ternd wie eine Kat­ze zu­sam­men­ge­rollt.

»Ich be­grei­fe nicht, gnä­di­ge Frau«, rief ich, »es ist doch wahr­haf­tig nicht mehr kalt, wir ha­ben seit zwei Wo­chen das herr­lichs­te Früh­jahr. Sie sind of­fen­bar ner­vös.«

»Ich dan­ke für euer Früh­jahr«, sprach sie mit tiefer stei­ner­ner Stim­me und nies­te gleich da­nach himm­lisch, und zwar zwei­mal rasch nach­ein­an­der; »da kann ich es wahr­haf­tig nicht aus­hal­ten, und ich fan­ge an zu ver­ste­hen –«

»Was, mei­ne Gnä­di­ge?«

»Ich fan­ge an das Un­glaub­li­che zu glau­ben, das Un­be­greif­li­che zu be­grei­fen. Ich ver­ste­he auf ein­mal die ger­ma­ni­sche Frau­en­tu­gend und die deut­sche Phi­lo­so­phie, und ich er­stau­ne auch nicht mehr, dass ihr im Nor­den nicht lie­ben könnt, ja nicht ein­mal eine Ah­nung da­von habt, was Lie­be ist.«

»Er­lau­ben Sie, Ma­da­me«, er­wi­der­te ich auf­brau­send, »ich habe Ih­nen wahr­haf­tig kei­ne Ur­sa­che ge­ge­ben.«

»Nun, Sie –« die Gött­li­che nies­te zum drit­ten Male und zuck­te mit un­nach­ahm­li­cher Gra­zie die Ach­seln, »da­für bin ich auch im­mer gnä­dig ge­gen Sie ge­we­sen und be­su­che Sie so­gar von Zeit zu Zeit, ob­wohl ich mich je­des Mal trotz mei­nes vie­len Pelz­werks rasch er­käl­te. Erin­nern Sie sich noch, wie wir uns das ers­te­mal tra­fen?«

»Wie könn­te ich es ver­ges­sen«, sag­te ich, »Sie hat­ten da­mals rei­che brau­ne Lo­cken und brau­ne Au­gen und einen ro­ten Mund, aber ich er­kann­te Sie doch so­gleich an dem Schnitt Ihres Ge­sich­tes und an die­ser Mar­mor­bläs­se – Sie tru­gen stets eine veil­chen­blaue Samt­ja­cke mit Feh­pelz2 be­setzt.«

»Ja, Sie wa­ren ganz ver­liebt in die­se Toi­let­te, und wie ge­leh­rig Sie wa­ren.«

»Sie ha­ben mich ge­lehrt, was Lie­be ist, Ihr hei­te­rer Got­tes­dienst ließ mich zwei Jahr­tau­sen­de ver­ges­sen.«

»Und wie bei­spiel­los treu ich Ih­nen war!«

»Nun, was die Treue be­trifft –«

»Un­dank­ba­rer!«

»Ich will Ih­nen kei­ne Vor­wür­fe ma­chen. Sie sind zwar ein gött­li­ches Weib, aber doch ein Weib, und in der Lie­be grau­sam wie je­des Weib.«

»Sie nen­nen grau­sam«, ent­geg­ne­te die Lie­bes­göt­tin leb­haft, »was eben das Ele­ment der Sinn­lich­keit, der hei­te­ren Lie­be, die Na­tur des Wei­bes ist, sich hin­zu­ge­ben, wo es liebt, und al­les zu lie­ben, was ihm ge­fällt.«

»Gibt es für den Lie­ben­den etwa eine grö­ße­re Grau­sam­keit als die Treu­lo­sig­keit der Ge­lieb­ten?«

»Ach!« – ent­geg­ne­te sie – »wir sind treu, so lan­ge wir lie­ben, ihr aber ver­langt vom Wei­be Treue ohne Lie­be, und Hin­ge­bung ohne Ge­nuss, wer ist da grau­sam, das Weib oder der Mann? – Ihr nehmt im Nor­den die Lie­be über­haupt zu wich­tig und zu ernst. Ihr sprecht von Pf­lich­ten, wo nur vom Ver­gnü­gen die Rede sein soll­te.«

»Ja, Ma­da­me, wir ha­ben da­für auch sehr acht­ba­re und tu­gend­haf­te Ge­füh­le und dau­er­haf­te Ver­hält­nis­se.«

»Und doch die­se ewig rege, ewig un­ge­sät­tig­te Sehn­sucht nach dem nack­ten Hei­den­tum«, fiel Ma­da­me ein, »aber jene Lie­be, wel­che die höchs­te Freu­de, die gött­li­che Hei­ter­keit selbst ist, taugt nicht für euch Mo­der­nen, euch Kin­der der Re­fle­xi­on. Sie bringt euch Un­heil. So­bald ihr na­tür­lich sein wollt, wer­det ihr ge­mein. Euch er­scheint die Na­tur als et­was Feind­se­li­ges, ihr habt aus uns la­chen­den Göt­tern Grie­chen­lands Dä­mo­nen, aus mir eine Teu­fe­lin ge­macht. Ihr könnt mich nur ban­nen und ver­flu­chen oder euch selbst in bac­chan­ti­schem Wahn­sinn vor mei­nem Al­tar als Op­fer schlach­ten, und hat ein­mal ei­ner von euch den Mut ge­habt, mei­nen ro­ten Mund zu küs­sen, so pil­gert er da­für bar­fuß im Bü­ßer­hemd nach Rom und er­war­tet Blü­ten von dem dür­ren Stock, wäh­rend un­ter mei­nem Fuße zu je­der Stun­de Ro­sen, Veil­chen und Myr­ten em­por­schie­ßen, aber euch be­kommt ihr Duft nicht; bleibt nur in eu­rem nor­di­schen Ne­bel und christ­li­chem Weih­rauch; lasst uns Hei­den un­ter dem Schutt, un­ter der Lava ru­hen, grabt uns nicht aus, für euch wur­de Pom­pe­ji, für euch wur­den un­se­re Vil­len, un­se­re Bä­der, un­se­re Tem­pel nicht ge­baut. Ihr braucht kei­ne Göt­ter! Uns friert in eu­rer Welt!« Die schö­ne Mar­mordame hus­te­te und zog die dun­keln Zo­bel­fel­le um ihre Schul­tern noch fes­ter zu­sam­men.

»Wir dan­ken für die klas­si­sche Lek­ti­on«, er­wi­der­te ich, »aber Sie kön­nen doch nicht leug­nen, dass Mann und Weib in Ih­rer hei­te­ren son­ni­gen Welt eben­so gut wie in un­se­rer neb­li­gen, von Na­tur Fein­de sind, dass die Lie­be für die kur­ze Zeit zu ei­nem ein­zi­gen We­sen ver­eint, das nur ei­nes Ge­dan­kens, ei­ner Emp­fin­dung, ei­nes Wil­lens fä­hig ist, um sie dann noch mehr zu ent­zwei­en, und – nun Sie wis­sen es bes­ser als ich – wer dann nicht zu un­ter­jo­chen ver­steht, wird nur zu rasch den Fuß des an­de­ren auf sei­nem Na­cken füh­len –«

»Und zwar in der Re­gel der Mann den Fuß des Wei­bes«, rief Frau Ve­nus mit über­mü­ti­gem Hoh­ne, »was Sie wie­der bes­ser wis­sen als ich.«

»Ge­wiss, und eben des­halb ma­che ich mir kei­ne Il­lu­sio­nen.«

»Das heißt, Sie sind jetzt mein Skla­ve ohne Il­lu­sio­nen, und ich wer­de Sie da­für auch ohne Er­bar­men tre­ten.«

»Ma­da­me!«

»Ken­nen Sie mich noch nicht, ja, ich bin grau­sam – weil Sie denn schon an dem Wor­te so viel Ver­gnü­gen fin­den – und habe ich nicht recht, es zu sein? Der Mann ist der Be­geh­ren­de, das Weib das Be­gehr­te, dies ist des Wei­bes gan­zer, aber ent­schei­den­der Vor­teil, die Na­tur hat ihm den Mann durch sei­ne Lei­den­schaft preis­ge­ge­ben, und das Weib, das aus ihm nicht sei­nen Un­ter­tan, sei­nen Skla­ven, ja sein Spiel­zeug zu ma­chen und ihn zu­letzt la­chend zu ver­ra­ten ver­steht, ist nicht klug.«

»Ihre Grund­sät­ze, mei­ne Gnä­di­ge«, warf ich ent­rüs­tet ein.

»Be­ru­hen auf tau­send­jäh­ri­ger Er­fah­rung«, ent­geg­ne­te Ma­da­me spöt­tisch, wäh­rend ihre wei­ßen Fin­ger in dem dun­keln Pelz spiel­ten, »je hin­ge­ben­der das Weib sich zeigt, umso schnel­ler wird der Mann nüch­tern und her­risch wer­den; je grau­sa­mer und treu­lo­ser es aber ist, je mehr es ihn miss­han­delt, je fre­vel­haf­ter es mit ihm spielt, je we­ni­ger Er­bar­men es zeigt, umso mehr wird es die Wol­lust des Man­nes er­re­gen, von ihm ge­liebt, an­ge­be­tet wer­den. So war es zu al­len Zei­ten, seit He­le­na und De­li­la, bis zur zwei­ten Ka­tha­ri­na und Lola Mon­tez3 her­auf.«

»Ich kann es nicht leug­nen«, sag­te ich, »es gibt für den Mann nichts, das ihn mehr rei­zen könn­te, als das Bild ei­ner schö­nen, wol­lüs­ti­gen und grau­sa­men Des­po­tin, wel­che ihre Günst­lin­ge über­mü­tig und rück­sichts­los nach Lau­ne wech­selt –«

»Und noch dazu einen Pelz trägt«, rief die Göt­tin.

»Wie kom­men Sie dar­auf?«

»Ich ken­ne ja Ihre Vor­lie­be.«

»Aber wis­sen Sie«, fiel ich ein, »dass Sie, seit­dem wir uns nicht ge­se­hen ha­ben, sehr ko­kett ge­wor­den sind.«

»In­wie­fern, wenn ich bit­ten darf?«

»In­so­fern es kei­ne herr­li­che­re Fo­lie für Ihren wei­ßen Leib ge­ben könn­te, als die­se dunklen Fel­le und es Ih­nen –«

Die Göt­tin lach­te.

»Sie träu­men«, rief sie, »wa­chen Sie auf!« und sie fass­te mich mit ih­rer Mar­mor­hand beim Arme, »wa­chen Sie doch auf!« dröhn­te ihre Stim­me noch­mals im tiefs­ten Brust­ton. Ich schlug müh­sam die Au­gen auf.

Ich sah die Hand, die mich rüt­tel­te, aber die­se Hand war auf ein­mal braun wie Bron­ze, und die Stim­me war die schwe­re Schnaps­s­tim­me mei­nes Ko­sa­ken, der in sei­ner vol­len Grö­ße von nahe sechs Fuß vor mir stand.

»Ste­hen Sie doch auf«, fuhr der Wa­cke­re fort, »es ist eine wahr­haf­te Schan­de.«

»Und wes­halb eine Schan­de?«

»Eine Schan­de in Klei­dern ein­zu­schla­fen und noch dazu bei ei­nem Bu­che«, er putz­te die her­un­ter­ge­brann­ten Ker­zen und hob den Band auf, der mei­ner Hand ents­un­ken war, »bei ei­nem Bu­che von – er schlug den De­ckel auf, von He­gel – da­bei ist es die höchs­te Zeit zu Herrn Se­ve­rin zu fah­ren, der uns zum Tee er­war­tet.«

»Ein Selt­sa­mer Traum«, sprach Se­ve­rin, als ich zu Ende war, stütz­te die Arme auf die Knie, das Ge­sicht in die fei­nen zart­ge­äder­ten Hän­de und ver­sank in Nach­den­ken.

Ich wuss­te, dass er sich nun lan­ge Zeit nicht re­gen, ja kaum at­men wür­de, und so war es in der Tat, für mich hat­te in­des sein Be­neh­men nichts Auf­fal­len­des, denn ich ver­kehr­te seit bei­na­he drei Jah­ren in gu­ter Freund­schaft mit ihm und hat­te mich an alle sei­ne Son­der­bar­kei­ten ge­wöhnt. Denn son­der­bar war er, das ließ sich nicht leug­nen, wenn auch lan­ge nicht der ge­fähr­li­che Narr, für den ihn nicht al­lein sei­ne Nach­bar­schaft, son­dern der gan­ze Kreis von Ko­lo­mea4 hielt. Mir war sein We­sen nicht bloß in­ter­essant, son­dern – und des­halb pas­sier­te ich auch bei vie­len als ein we­nig ver­narrt – in ho­hem Gra­de sym­pa­thisch.

Er zeig­te für einen ga­li­zi­schen Edel­mann und Guts­be­sit­zer wie für sein Al­ter – er war kaum über drei­ßig – eine auf­fal­len­de Nüch­tern­heit des We­sens, einen ge­wis­sen Ernst, ja so­gar Pe­dan­te­rie. Er leb­te nach ei­nem mi­nu­ti­ös aus­ge­führ­ten, halb phi­lo­so­phi­schen, halb prak­ti­schen Sys­te­me, gleich­sam nach der Uhr, und nicht das al­lein, zu glei­cher Zeit nach dem Ther­mo­me­ter, Baro­me­ter, Ae­ro­me­ter, Hy­dro­me­ter, Hip­po­kra­tes, Hu­fe­land, Pla­to, Kant, Knig­ge und Lord Che­s­ter­field; da­bei be­kam er aber zu Zei­ten hef­ti­ge An­fäl­le von Lei­den­schaft­lich­keit, wo er Mie­ne mach­te, mit dem Kop­fe durch die Wand zu ge­hen, und ihm ein je­der ger­ne aus dem Wege ging.

Wäh­rend er also stumm blieb, sang da­für das Feu­er im Ka­min, sang der große ehr­wür­di­ge Sa­mo­war, und der Ahn­herrn­stuhl, in dem ich, mich schau­kelnd, mei­ne Zi­gar­re rauch­te, und das Heim­chen im al­ten Ge­mäu­er sang auch, und ich ließ mei­nen Blick über das ab­son­der­li­che Gerä­te, die Tier­ge­rip­pe, aus­ge­stopf­ten Vö­gel, Glo­ben, Gips­ab­güs­se schwei­fen, wel­che in sei­nem Zim­mer an­ge­häuft wa­ren, bis er zu­fäl­lig auf ei­nem Bil­de haf­ten blieb, das ich oft ge­nug ge­se­hen hat­te, das mir aber ge­ra­de heu­te im ro­ten Wi­der­schein des Ka­min­feu­ers einen un­be­schreib­li­chen Ein­druck mach­te.

Es war ein großes Öl­ge­mäl­de in der kräf­ti­gen far­ben­sat­ten Ma­nier der bel­gi­schen Schu­le ge­malt, sein Ge­gen­stand selt­sam ge­nug.

Ein schö­nes Weib, ein son­ni­ges La­chen auf dem fei­nen Ant­litz, mit rei­chem, in einen an­ti­ken Kno­ten ge­schlun­ge­nem Haa­re, auf dem der wei­ße Pu­der wie leich­ter Reif lag, ruh­te, auf den lin­ken Arm ge­stützt, nackt in ei­nem dun­keln Pelz auf ei­ner Ot­to­ma­ne; ihre rech­te Hand spiel­te mit ei­ner Peit­sche, wäh­rend ihr blo­ßer Fuß sich nach­läs­sig auf den Mann stütz­te, der vor ihr lag wie ein Skla­ve, wie ein Hund, und die­ser Mann, mit den schar­fen, aber wohl­ge­bil­de­ten Zü­gen, auf de­nen brü­ten­de Schwer­mut und hin­ge­ben­de Lei­den­schaft lag, wel­cher mit dem schwär­me­ri­schen bren­nen­den Auge ei­nes Mär­ty­rers zu ihr em­por­sah, die­ser Mann, der den Sche­mel ih­rer Füße bil­de­te, war Se­ve­rin, aber ohne Bart, wie es schi­en um zehn Jah­re jün­ger.

»Ve­nus im Pelz!« rief ich, auf das Bild deu­tend, »so habe ich sie im Trau­me ge­se­hen.« – »Ich auch«, sag­te Se­ve­rin, »nur habe ich mei­nen Traum mit of­fe­nen Au­gen ge­träumt.«

»Wie?«

»Ach! Das ist eine dum­me Ge­schich­te.«

»Dein Bild hat of­fen­bar An­lass zu mei­nem Traum ge­ge­ben«, fuhr ich fort, »aber sage mir end­lich ein­mal, was da­mit ist, dass es eine Rol­le ge­spielt hat in dei­nem Le­ben, und viel­leicht eine sehr ent­schei­den­de, kann ich mir den­ken, aber das wei­te­re er­war­te ich von dir.«

»Sieh dir ein­mal das Ge­gen­stück an«, ent­geg­ne­te mein selt­sa­mer Freund, ohne auf mei­ne Fra­ge ein­zu­ge­hen.

Das Ge­gen­stück bil­de­te eine treff­li­che Ko­pie der be­kann­ten »Ve­nus mit dem Spie­gel« von Ti­ti­an in der Dres­de­ner Ga­le­rie.

»Nun, was willst du da­mit?«

Se­ve­rin stand auf und wies mit dem Fin­ger auf den Pelz, mit dem Ti­ti­an sei­ne Lie­bes­göt­tin be­klei­det hat.

»Auch hier ›Ve­nus im Pelz‹«, sprach er fein lä­chelnd, »ich glau­be nicht, dass der alte Ve­ne­tia­ner da­mit eine Ab­sicht ver­bun­den hat. Er hat ein­fach das Por­trät ir­gend­ei­ner vor­neh­men Mes­sa­li­ne ge­macht und die Ar­tig­keit ge­habt, ihr den Spie­gel, in wel­chem sie ihre ma­je­stä­ti­schen Rei­ze mit kal­tem Be­ha­gen prüft, durch Amor hal­ten zu las­sen, dem die Ar­beit sau­er ge­nug zu wer­den scheint. Das Bild ist eine ge­mal­te Schmei­che­lei. Spä­ter hat ir­gend­ein ›Ken­ner‹ der Ro­ko­ko­zeit die Dame auf den Na­men Ve­nus ge­tauft, und der Pelz der Des­po­tin, in den sich Ti­tians schö­nes Mo­dell wohl mehr aus Furcht vor dem Schnup­fen als Keusch­heit gehüllt hat, ist zu ei­nem Sym­bol der Ty­ran­nei und Grau­sam­keit ge­wor­den, wel­che im Wei­be und sei­ner Schön­heit liegt.

Aber ge­nug, so wie das Bild jetzt ist, er­scheint es uns als die pi­kan­tes­te Sa­ti­re auf un­se­re Lie­be. Ve­nus, die im ab­strak­ten Nor­den, in der ei­si­gen christ­li­chen Welt in einen großen schwe­ren Pelz schlüp­fen muss, um sich nicht zu er­käl­ten. –«

Se­ve­rin lach­te und zün­de­te eine neue Zi­ga­ret­te an.

Eben ging die Türe auf und eine hüb­sche vol­le Blon­di­ne mit klu­gen freund­li­chen Au­gen, in ei­ner schwar­zen Sei­den­ro­be, kam her­ein und brach­te uns kal­tes Fleisch und Eier zum Tee. Se­ve­rin nahm ei­nes der letz­te­ren und schlug es mit dem Mes­ser auf. »Habe ich dir nicht ge­sagt, dass ich sie weich ge­kocht ha­ben will?« rief er mit ei­ner Hef­tig­keit, wel­che die jun­ge Frau zit­tern mach­te.

»Aber lie­ber Sew­t­schu –« sprach sie ängst­lich.

»Was Sew­t­schu«, schrie er, »ge­hor­chen sollst du, ge­hor­chen, ver­stehst du«, und er riss den Kant­schuk, wel­cher ne­ben sei­nen Waf­fen hing, vom Na­gel.

Die hüb­sche Frau floh wie ein Reh rasch und furcht­sam aus dem Ge­ma­che.

»War­te nur, ich er­wi­sche dich noch«, rief er ihr nach.

»Aber Se­ve­rin«, sag­te ich, mei­ne Hand auf sei­nen Arm le­gend, »wie kannst du die hüb­sche klei­ne Frau so trak­tie­ren!«

»Sieh dir das Weib nur an«, er­wi­der­te er, in­dem er hu­mo­ris­tisch mit den Au­gen zwin­ker­te, »hät­te ich ihr ge­schmei­chelt, so hät­te sie mir die Sch­lin­ge um den Hals ge­wor­fen, so aber, weil ich sie mit dem Kant­schuk er­zie­he, be­tet sie mich an.«

»Geh’ mir!«

»Geh’ du mir, so muss man die Wei­ber dres­sie­ren.«

»Leb’ mei­net­we­gen wie ein Pa­scha in dei­nem Ha­rem, aber stel­le mir nicht Theo­ri­en auf –«

»Wa­rum nicht«, rief er leb­haft, »nir­gends passt Goe­thes ›Du musst Ham­mer oder Am­boß sein‹ so vor­treff­lich hin wie auf das Ver­hält­nis von Mann und Weib, das hat dir bei­läu­fig Frau Ve­nus im Trau­me auch ein­ge­räumt. In der Lei­den­schaft des Man­nes ruht die Macht des Wei­bes, und es ver­steht sie zu be­nüt­zen, wenn der Mann sich nicht vor­sieht. Er hat nur die Wahl, der Ty­rann oder der Skla­ve des Wei­bes zu sein. Wie er sich hin­gibt, hat er auch schon den Kopf im Jo­che und wird die Peit­sche füh­len.«

»Selt­sa­me Ma­xi­men!«

»Kei­ne Ma­xi­men, son­dern Er­fah­run­gen«, ent­geg­ne­te er mit dem Kop­fe ni­ckend, »ich bin im Erns­te ge­peitscht wor­den, ich bin ku­riert, willst du le­sen wie?«

Er er­hob sich und hol­te aus sei­nem mas­si­ven Schreib­tisch eine klei­ne Hand­schrift, wel­che er vor mir auf den Tisch leg­te.

»Du hast frü­her nach je­nem Bil­de ge­fragt. Ich bin dir schon lan­ge eine Er­klä­rung schul­dig. Da – lies!«

Se­ve­rin setz­te sich zum Ka­min, den Rücken ge­gen mich, und schi­en mit of­fe­nen Au­gen zu träu­men. Wie­der war es still ge­wor­den, und wie­der sang das Feu­er im Ka­min, und der Sa­mo­war und das Heim­chen im al­ten Ge­mäu­er und ich schlug die Hand­schrift auf und las:

»Be­kennt­nis­se ei­nes Über­sinn­li­chen«, an dem Ran­de des Ma­nu­skrip­tes stan­den als Mo­tiv die be­kann­ten Ver­se aus dem Faust va­ri­iert:

»Du über­sinn­li­cher sinn­li­cher Frei­er, Ein Weib nas­füh­ret dich!«

Me­phi­sto­phe­les.

Ich schlug das Ti­tel­blatt um und las: »Das Fol­gen­de habe ich aus mei­nem da­ma­li­gen Ta­ge­bu­che zu­sam­men­ge­stellt, weil man sei­ne Ver­gan­gen­heit nie un­be­fan­gen dar­stel­len kann, so aber hat al­les sei­ne fri­schen Far­ben, die Far­ben der Ge­gen­wart.«

Go­gol,5 der rus­si­sche Mo­liè­re, sagt – ja wo? – nun ir­gend­wo – »die ech­te ko­mi­sche Muse ist jene, wel­cher un­ter der la­chen­den Lar­ve die Trä­nen her­ab­rin­nen«.

Ein wun­der­ba­rer Auss­pruch!

So ist es mir recht selt­sam zu­mu­te, wäh­rend ich dies nie­der­schrei­be. Die Luft scheint mir mit ei­nem auf­re­gen­den Blu­men­duft ge­füllt, der mich be­täubt und mir Kopf­weh macht, der Rauch des Ka­mi­nes kräu­selt und ballt sich mir zu Ge­stal­ten, klei­nen grau­bär­ti­gen Ko­bol­den zu­sam­men, die spöt­tisch mit dem Fin­ger auf mich deu­ten, paus­bä­cki­ge Amo­ret­ten rei­ten auf den Leh­nen mei­nes Stuh­les und auf mei­nen Kni­en, und ich muss un­will­kür­lich lä­cheln, ja laut la­chen, in­dem ich mei­ne Aben­teu­er nie­der­schrei­be, und doch schrei­be ich nicht mit ge­wöhn­li­cher Tin­te, son­dern mit dem ro­ten Blu­te, das aus mei­nem Her­zen träu­felt, denn alle sei­ne längst ver­narb­ten Wun­den ha­ben sich ge­öff­net und es zuckt und schmerzt, und hie und da fällt eine Trä­ne auf das Pa­pier.

Lehn­stuhl, Lehn­ses­sel oder Arm­ses­sel  <<<

Der Be­griff Feh be­zeich­net das graue Fell des rus­si­schen Eich­hörn­chens.  <<<

Eli­z­abeth Ro­san­na Gil­bert auch be­kannt als Lola Mon­tez (✳ 17. Fe­bru­ar 1821 in Gran­ge, Ve­rei­nig­tes Kö­nig­reich von Groß­bri­tan­ni­en und Ir­land; † 17. Ja­nu­ar 1861 in New York) war eine iri­sche Tän­ze­rin und eine Ge­lieb­te Kö­nig Lud­wigs I. von Bay­ern, der sie 1847 zur Grä­fin Ma­rie von Lands­feld er­hob.  <<<

Ko­lo­mea oder Ko­lo­my­ja ist eine Stadt in der westu­krai­ni­schen Oblast Iwa­no-Fran­kiwsk am lin­ken Ufer des Flus­ses Pruth.  <<<

rus­si­scher Schrift­stel­ler (1809–1852)  <<<

II.

Trä­ge schlei­chen die Tage in dem klei­nen Kar­pa­ten­ba­de da­hin. Man sieht nie­mand und wird von nie­mand ge­se­hen. Es ist lang­wei­lig zum Idyl­len­schrei­ben. Ich hät­te hier Muße, eine Ga­le­rie von Ge­mäl­den zu lie­fern, ein Thea­ter für eine gan­ze Sai­son mit neu­en Stücken, ein Dut­zend Vir­tuo­sen mit Kon­zer­ten, Tri­os und Duos zu ver­sor­gen, aber – was spre­che ich da – ich tue am Ende doch nicht viel mehr, als die Lein­wand auf­span­nen, die Bo­gen zu­recht­glät­ten, die No­ten­blät­ter li­ni­ie­ren, denn ich bin – ach! nur kei­ne falsche Scham, Freund Se­ve­rin, lüge an­de­re an; aber es ge­lingt dir nicht mehr recht, dich selbst an­zulü­gen – also ich bin nichts wei­ter, als ein Di­let­tant; ein Di­let­tant in der Ma­le­rei, in der Poe­sie, der Mu­sik und noch in ei­ni­gen an­de­ren je­ner so­ge­nann­ten brot­lo­sen Küns­te, wel­che ih­ren Meis­tern heut­zu­ta­ge das Ein­kom­men ei­nes Mi­nis­ters, ja ei­nes klei­nen Po­ten­ta­ten si­chern, und vor al­lem bin ich ein Di­let­tant im Le­ben.

Ich habe bis jetzt ge­lebt, wie ich ge­malt und ge­dich­tet habe, das heißt, ich bin nie weit über die Grun­die­rung, den Plan, den ers­ten Akt, die ers­te Stro­phe ge­kom­men. Es gibt ein­mal sol­che Men­schen, die al­les an­fan­gen und doch nie mit et­was zu Ende kom­men, und ein sol­cher Mensch bin ich.

Aber was schwat­ze ich da.

Zur Sa­che.

Ich lie­ge in mei­nem Fens­ter und fin­de das Nest, in dem ich ver­zweifle, ei­gent­lich un­end­lich poe­tisch, wel­cher Blick auf die blaue, von gol­de­nem Son­nen­duft um­wo­be­ne hohe Wand des Ge­bir­ges, durch wel­che sich Sturz­bä­che wie Sil­ber­bän­der schlin­gen, und wie klar und blau der Him­mel, in den die be­schnei­ten Kup­pen ra­gen, und wie grün und frisch die wal­di­gen Ab­hän­ge, die Wie­sen, auf de­nen klei­ne Her­den wei­den, bis zu den gel­ben Wo­gen des Ge­trei­des hin­ab, in de­nen die Schnit­ter ste­hen und sich bücken und wie­der em­portau­chen.

Das Haus, in dem ich woh­ne, steht in ei­ner Art Park, oder Wald, oder Wild­nis, wie man es nen­nen will, und ist sehr ein­sam.

Es wohnt nie­mand dar­in als ich, eine Wit­we aus Lwow, die Haus­frau Ma­da­me Tar­ta­kow­ska, eine klei­ne alte Frau, die täg­lich äl­ter und klei­ner wird, ein al­ter Hund, der auf ei­nem Bei­ne hin­kt, und eine jun­ge Kat­ze, wel­che stets mit ei­nem Zwirn­knäu­el spielt, und der Zwirn­knäu­el ge­hört, glau­be ich, der schö­nen Wit­we.

Sie soll wirk­lich schön sein, die Wit­we, und noch sehr jung, höchs­tens vier­und­zwan­zig, und sehr reich. Sie wohnt im ers­ten Stock und ich woh­ne ebe­ner Erde. Sie hat im­mer die grü­nen Ja­lou­si­en ge­schlos­sen und hat einen Bal­kon, der ganz mit grü­nen Sch­ling­pflan­zen über­wach­sen ist; ich aber habe da­für un­ten mei­ne lie­be, trau­li­che Gais­blatt­lau­be, in der ich lese und schrei­be und male und sin­ge, wie ein Vo­gel in den Zwei­gen. Ich kann auf den Bal­kon hin­auf­se­hen. Manch­mal sehe ich auch wirk­lich hin­auf und dann schim­mert von Zeit zu Zeit ein wei­ßes Ge­wand zwi­schen dem dich­ten, grü­nen Netz.

Ei­gent­lich in­ter­es­siert mich die schö­ne Frau dort oben sehr we­nig, denn ich bin in eine an­de­re ver­liebt, und zwar höchst un­glück­lich ver­liebt, noch weit un­glück­li­cher, als Rit­ter Tog­gen­burg und der Che­va­lier in Ma­non l’Es­cault, denn mei­ne Ge­lieb­te ist von Stein.

Im Gar­ten, in der klei­nen Wild­nis, be­fin­det sich eine gra­zi­öse klei­ne Wie­se, auf der fried­lich ein paar zah­me Rehe wei­den. Auf die­ser Wie­se steht ein Ve­nus­bild von Stein, das Ori­gi­nal, glau­be ich, ist in Flo­renz; die­se Ve­nus ist das schöns­te Weib, das ich in mei­nem Le­ben ge­se­hen habe.

Das will frei­lich nicht viel sa­gen, denn ich habe we­nig schö­ne Frau­en, ja über­haupt we­nig Frau­en ge­se­hen und bin auch in der Lie­be nur ein Di­let­tant, der nie über die Grun­die­rung, über den ers­ten Akt hin­aus­ge­kom­men ist.

Wozu auch in Su­per­la­ti­ven spre­chen, als wenn et­was, was schön ist, noch über­trof­fen wer­den könn­te.

Ge­nug, die­se Ve­nus ist schön und ich lie­be sie, so lei­den­schaft­lich, so krank­haft in­nig, so wahn­sin­nig, wie man nur ein Weib lie­ben kann, das un­se­re Lie­be mit ei­nem ewig glei­chen, ewig ru­hi­gen, stei­ner­nen Lä­cheln er­wi­dert. Ja, ich bete sie förm­lich an.

Oft lie­ge ich, wenn die Son­ne im Ge­höl­ze brü­tet, un­ter dem Laub­dach ei­ner jun­gen Bu­che und lese, oft be­su­che ich mei­ne kal­te, grau­sa­me Ge­lieb­te auch bei Nacht und lie­ge dann vor ihr auf den Kni­en, das Ant­litz ge­gen die kal­ten Stei­ne ge­presst, auf de­nen ihre Füße ru­hen, und bete zu ihr.

Es ist un­be­schreib­lich, wenn dann der Mond her­auf­steigt – er ist eben im Zu­neh­men – und zwi­schen den Bäu­men schwimmt und die Wie­se in sil­ber­nen Glanz taucht, und die Göt­tin steht dann wie ver­klärt und scheint sich in sei­nem wei­chen Lich­te zu ba­den.

Ein­mal, wie ich von mei­ner An­dacht zu­rück­kehr­te, durch eine der Al­leen, die zum Hau­se füh­ren, sah ich plötz­lich, nur durch die grü­ne Ga­le­rie von mir ge­trennt, eine weib­li­che Ge­stalt, weiß wie Stein, vom Mond­licht be­glänzt; da war mir’s, als hät­te sich das schö­ne Mar­mor­weib mei­ner er­barmt und sei le­ben­dig ge­wor­den und mir ge­folgt – mich aber fass­te eine na­men­lo­se Angst, das Herz droh­te mir zu sprin­gen, und statt –

Nun, ich bin ja ein Di­let­tant. Ich blieb, wie im­mer, beim zwei­ten Ver­se ste­cken, nein, im Ge­gen­teil, ich blieb nicht ste­cken, ich lief, so rasch ich lau­fen konn­te.

Wel­cher Zu­fall! Ein Jude, der mit Fo­to­gra­fi­en han­delt, spielt mir das Bild mei­nes Ideals in die Hän­de; es ist ein klei­nes Blatt, die »Ve­nus mit dem Spie­gel« von Ti­ti­an, welch ein Weib! Ich will ein Ge­dicht ma­chen. Nein! Ich neh­me das Blatt und schrei­be dar­auf: »Ve­nus im Pelz«.

Du frierst, wäh­rend du selbst Flam­men er­regst. Hül­le dich nur in dei­nen De­spo­ten­pelz, wem ge­bührt er, wenn nicht dir, grau­sa­me Göt­tin der Schön­heit und Lie­be! –

Und nach ei­ner Wei­le füg­te ich ei­ni­ge Ver­se von Goe­the hin­zu, die ich vor kur­z­em in sei­nen Pa­ra­li­po­me­na1 zum Faust ge­fun­den hat­te.

An Amor!

»Er­lo­gen ist das Flü­gel­paar, Die Pfei­le, die sind Kral­len, Die Hör­ner­chen ver­birgt der Kranz, Er ist ohn’ al­len Zwei­fel, Wie alle Göt­ter Grie­chen­lands, Auch ein ver­kapp­ter Teu­fel.«

Dann stell­te ich das Bild vor mich auf den Tisch, in­dem ich es mit ei­nem Bu­che stütz­te und be­trach­te­te es.

Die kal­te Ko­ket­te­rie, mit der das herr­li­che Weib sei­ne Rei­ze mit den dunklen Zo­bel­fel­len dra­piert, die Stren­ge, Här­te, wel­che in dem Mar­mo­rant­litz liegt, ent­zücken mich und flö­ßen mir zu­gleich Grau­en ein.

Ich neh­me noch ein­mal die Fe­der; da steht es nun:

»Lie­ben, ge­liebt wer­den, welch ein Glück! Und doch wie ver­blasst der Glanz des­sel­ben ge­gen die qual­vol­le Se­lig­keit, ein Weib an­zu­be­ten, das uns zu sei­nem Spiel­zeug macht, der Skla­ve ei­ner schö­nen Ty­ran­nin zu sein, die uns um­barm­her­zig mit Fü­ßen tritt. Auch Sim­son, der Held, der Rie­se, gab sich De­li­la, die ihn ver­ra­ten hat­te, noch ein­mal in die Hand, und sie ver­riet ihn noch ein­mal und die Phi­lis­ter ban­den ihn vor ihr und sta­chen ihm die Au­gen aus, die er bis zum letz­ten Au­gen­bli­cke von Wut und Lie­be trun­ken auf die schö­ne Ver­rä­te­rin hef­te­te.«

Ich nahm das Früh­stück in mei­ner Gais­blatt­lau­be und las im Bu­che Ju­dith und be­nei­de­te den grim­men Hei­den Ho­lo­fer­nes um das kö­nig­li­che Weib, das ihm den Kopf her­un­ter­hieb, und um sein blu­tig schö­nes Ende.

»Gott hat ihn ge­straft und hat ihn in ei­nes Wei­bes Hän­de ge­ge­ben.« Der Satz frap­pier­te mich.

Wie un­ga­lant die­se Ju­den sind, dach­te ich, und ihr Gott, er könn­te auch an­stän­di­ge­re Aus­drücke wäh­len, wenn er von dem schö­nen Ge­schlech­te spricht.

»Gott hat ihn ge­straft und hat ihn in ei­nes Wei­bes Hän­de ge­ge­ben«, wie­der­hol­te ich für mich. Nun, was soll ich etwa an­stel­len, da­mit er mich straft?

Um Got­tes wil­len! Da kommt un­se­re Haus­frau, sie ist über Nacht wie­der et­was klei­ner ge­wor­den. Und dort oben zwi­schen den grü­nen Ran­ken und Ket­ten wie­der das wei­ße Ge­wand. Ist es Ve­nus oder die Wit­we?

Dies­mal ist es die Wit­we, denn Ma­da­me Tar­ta­kow­ska knickst und er­sucht mich in ih­rem Na­men um Lek­tü­re. Ich eile in mein Zim­mer und raf­fe ein paar Bän­de zu­sam­men.

Zu spät er­in­ne­re ich mich, dass mein Ve­nus­bild in ei­nem der­sel­ben liegt, nun hat es die wei­ße Frau dort oben, samt mei­nen Er­güs­sen. Was wird sie dazu sa­gen?

Ich höre sie la­chen.

Lacht sie über mich?

Voll­mond! da blickt er schon über die Wip­fel der nie­de­ren Tan­nen, wel­che den Park ein­säu­men, und sil­ber­ner Duft er­füllt die Ter­ras­se, die Baum­grup­pen, die gan­ze Land­schaft, so weit das Auge reicht, in der Fer­ne sanft ver­schwim­mend, gleich zit­tern­den Ge­wäs­sern.

Ich kann nicht wi­der­ste­hen, es mahnt und ruft mich so selt­sam, ich klei­de mich wie­der an und tre­te in den Gar­ten.

Es zieht mich hin zur Wie­se, zu ihr, mei­ner Göt­tin, mei­ner Ge­lieb­ten.

Die Nacht ist kühl. Mich frös­telt. Die Luft ist schwer von Blu­men- und Wald­ge­ruch, sie be­rauscht.

Wel­che Fei­er! Wel­che Mu­sik rings­um. Eine Nach­ti­gall schluchzt. Die Ster­ne zu­cken nur lei­se in blass­blau­em Schim­mer. Die Wie­se scheint glatt, wie ein Spie­gel, wie die Eis­de­cke ei­nes Tei­ches.

Hehr und leuch­tend ragt das Ve­nus­bild.

Doch – was ist das?

Von den mar­mor­nen Schul­tern der Göt­tin fließt bis zu ih­ren Soh­len ein großer dunk­ler Pelz her­ab – ich ste­he starr und stau­ne sie an, und wie­der fasst mich je­nes un­be­schreib­li­che Ban­gen und ich er­grei­fe die Flucht.

Ich be­schleu­ni­ge mei­ne Schrit­te; da sehe ich, dass ich die Al­lee ver­fehlt habe, und wie ich seit­wärts in einen der grü­nen Gän­ge ein­bie­gen will, sitzt Ve­nus, das schö­ne, stei­ner­ne Weib, nein, die wirk­li­che Lie­bes­göt­tin, mit war­mem Blu­te und po­chen­den Pul­sen, vor mir auf ei­ner stei­ner­nen Bank. Ja, sie ist mir le­ben­dig ge­wor­den, wie jene Sta­tue, die für ih­ren Meis­ter zu at­men be­gann; zwar ist das Wun­der erst halb voll­bracht. Ihr wei­ßes Haar scheint noch von Stein und ihr wei­ßes Ge­wand schim­mert wie Mond­licht, oder ist es At­las? Und von ih­ren Schul­tern fließt der dunkle Pelz – aber ihre Lip­pen sind schon rot und ihre Wan­gen fär­ben sich, und aus ih­ren Au­gen tref­fen mich zwei dia­bo­li­sche, grü­ne Strah­len und jetzt lacht sie.