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Fragen nach und Debatten u¨ber Verantwortung und Gerechtigkeit in der Gesellschaft fallen in die Phase eines andauernden Wandels von O¨ffentlichkeiten, der maßgeblich durch die Digitalisierung gepra¨gt ist. Die teilweise disruptiven Vera¨nderungen fu¨hren dazu, dass normative Anspru¨che an (mediale) Kommunikation auf unterschiedlichen Ebenen neu ausgehandelt werden müssen. Dieser Band mit ausgewählten Beiträgen zur 60. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft in Darmstadt reflektiert aktuelle Entwicklungen im Journalismus, in den traditionellen Medien und auf den neuen Medienmärkten analytisch wie kritisch aus dem Blickwinkel von Ethik und Verantwortung.
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Seitenzahl: 523
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Dieser Band geht zurück auf die Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft (DGPuK) 2015 in Darmstadt.
Dieser Band versammelt einen Querschnitt der Beiträge zur Jahrestagung 2015 der Deutschen Gesellschaft für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft (DGPuK). Unter dem Titel „Verantwortung – Gerechtigkeit – Öffentlichkeit“ diskutierten vom 13. bis 15. Mai 2015 KommunikationswissenschaftlerInnen und -praktikerInnen in Darmstadt über normative Aspekte der Produktion und Rezeption von Medieninhalten einerseits und der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit diesem Forschungsfeld andererseits.
Bei der Konzeption der Tagung war noch nicht abzusehen, welch breites Spektrum an Ereignissen des Jahres 2015 die Aktualität unseres Ansinnens untermauern würde, vermeintliche Neutralitätspostulate sowohl im Hinblick auf den Journalismus als auch auf die Kommunikationswissenschaft zu hinterfragen und den Blick auf die Verantwortung und Haltung von Medienschaffenden, (Medien-)Unternehmen, Publikum und Forschenden zu richten. Man denke an Ereignisse wie den Betrugsskandal bei Volkswagen, den Beinahe-Kollaps der griechischen Staatsfinanzen oder die alles dominierende „Flüchtlingskrise“, deren Dynamiken wesentlich von Medienhandeln und auf Medien bezogenes Handeln geprägt wurden und werden.
Gerade am Beispiel der „Flüchtlingskrise“ wird die veränderte Ausgangssituation in der Trias von Verantwortung, Gerechtigkeit und Öffentlichkeit deutlich, der wir in einer digitalisierten (Medien-)Welt gegenüberstehen. Selbstverständlich beobachten wir nach wie vor den Einfluss der großen Nachrichten-Networks, die eine aktuelle Entwicklung als „Krise“ definieren, dann die Wendungen der „Krise“ im Minutentakt protokollieren und in Reportagen und politischen Talkrunden deuten – ebenso wie die medienbezogene Symbolpolitik etwa in Form sorgfältig inszenierter Besuche von Flüchtlingsunterkünften.
Ebenso offensichtlich sind aber neue Phänomene, die diese tradierte massenmediale Dynamik ergänzen und ersetzen: Da wären Redaktionen, die vor der Flut von Hasskommentaren auf ihren Facebook-Seiten und Kommentarspalten beinahe hilflos mit Abschalten reagieren. Aber auch Medien, die „besorgte Bürger“ dezidiert in ihre Schranken weisen, und damit das alte Hajo-Friedrichs-Diktum, man mache sich als Journalist keine Sache zu eigen, auch keine gute, ad acta legen. Sie lenken damit den Blick auf die meinungsbildende Komponente von Journalismus, die es seit dessen Entstehung gegeben hat, die aber von der professionellen Norm des objective reportings überlagert wurde.
Eben jene Posts sind oft auch Ausdruck der und Beitrag zur Diskreditierung etablierter Medien zu einer sogenannten „Lügenpresse“, die sich nach dem Eindruck sogenannter besorgter Bürger der Stützung eines fragwürdigen politischen Systems verschrieben habe. Diese Logik muss man nicht teilen, um sie als Symptom eines Vertrauensverlusts bei Teilen des Publikums zu deuten und nach den Ursachen dafür aufseiten von Journalismus und Medienunternehmen zu fragen.
In diesem Zusammenhang zeigt sich auch der Bedeutungsverlust etablierter Medienunternehmen, denen es im Vergleich zu den großen Ökosystemen der digitalen Wirtschaft immer seltener zu gelingen scheint, mediale Arenen strategisch zu institutionalisieren – relevante Fragen der Meinungsbildung klärt die Kanzlerin nicht mehr beim BDZV-Kongress, sondern beim Dinner mit Mark Zuckerberg am Rande der UN-Vollversammlung. In verantwortliches Handeln schlagen diese Ausdrücke symbolischer Politik aber nicht um. Immer noch löscht Facebook sexualisierte Posts sehr viel schneller (auch wenn sie ironisch oder polemisch gemeint sind) als rassistische Posts. Da wird nicht nur die ganze Ohnmacht nationaler Medienpolitik und Regulierungsinstanzen sichtbar, die in den neuen Medienarenen mit Sprechern wie Facebook, Google und Amazon keine Meritorik mehr gestalten können. Es zeigt sich auch, wie schwierig es ist, über kulturelle und nationale Grenzen hinweg einen Konsens darüber zu erzielen, was Mindeststandards verantwortlicher Kommunikation sind.
Diese Aufzählung erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Man könnte sie wohl auch nicht ganz unbegründet als anekdotisch bezeichnen. Sie steckt aber gleichwohl das Spannungsfeld ab, in dem sich Medienakteure bewegen und das die Kommunikationswissenschaft mit Blick auf dessen gesellschaftliche Konsequenzen reflektieren muss, kann und darf. Genau dies war die Intention hinter der Jahrestagung. Es ging dabei explizit nicht um die Neuvermessung der Medienethik. Dementsprechend ist auch dieser Band nicht als einschlägiges Grundlagenwerk konzipiert, hier haben schon andere KollegInnen wertvolle Beiträge geleistet (wie etwa in dem von Marlis Prinzing, Matthias Rath, Christian Schicha und Ingrid Stapf herausgegebenen Band „Neuvermessung der Medienethik“, der 2015 bei Juventa in Weinheim erschienen ist). Für uns stand vielmehr im Mittelpunkt, Forschende aus allen Teilbereichen der Kommunikationswissenschaft zu ermuntern, Fragen der Verantwortung und Gerechtigkeit aus ihrem spezifischen Blickwinkel zu stellen und zu beantworten.
Und so spiegelt der vorliegende Band die Aspekte von Verantwortung wider, die im Fach relevant erscheinen, wofür Einreichungen und Review-Entscheidungen als sicherlich diskussionswürdige, aber gleichwohl aussagekräftige Indikatoren zu sehen sind. Das Ergebnis ist eine Mischung aus theoretischen Grundsatzbeiträgen und empirischen Arbeiten, die vor allem zeigen, wie vielfältig die gesellschaftlichen Bezüge von Medienhandeln sind, wie vielschichtig die moralischen Implikationen ausfallen und wie herausfordernd eine angemessene wissenschaftliche Auseinandersetzung sein kann. Neben interessanten Detailbefunden finden sich daher auch Debattenbeiträge, Lösungsvorschläge und Hinweise auf Desiderata, die der kommunikationswissenschaftlichen Forschung wertvolle Impulse geben können.
Als KuratorInnen dieser wissenschaftlichen Debatte haben wir uns darauf konzentriert, die Beiträge zu thematischen Clustern zu bündeln und so den LeserInnen den Zugriff auf die Ergebnisse zu erleichtern. Innerhalb dieser Cluster präsentiert der Band zunächst eher grundsätzlich orientierte Beiträge, vor deren Folie dann die Beiträge gelesen werden können, die im Anschluss daran auf spezifischere Fragen eingehen und/oder empirische Befunde diskutieren.
Die Clustergrenzen sind dabei stets unscharf, und auch die Einreichungsdynamik einer Jahrestagung ist kein unfehlbarer Gradmesser für die Vielfalt einer wissenschaftlichen Debatte. Gleichwohl zeichnet sich an Art und Umfang der Themenfelder schlaglichtartig ab, wo die Kommunikationswissenschaft gesellschaftliche Verantwortung verortet. Ebenso können aber auch die Leerstellen, die der Band enthält, Anstoß zum Nachdenken darüber geben, warum diese existieren und wie sie zu füllen sind.
Wenn von der gesellschaftlichen Verantwortung von Medien die Rede ist, dann geht es nach wie vor auch um eine der zentralen Aufgaben, die dem Mediensystem in pluralistischen Demokratien zugeschrieben wird: Was tragen Medien zu gelingenden politischen Diskursen bei, in denen Probleme definiert und verhandelt werden? Und welche Ansprüche an die Qualität journalistischer Produkte lassen sich aus dieser Aufgabe ableiten?
Dieser Frage widmen sich insgesamt fünf Beiträge im ersten Teil „Qualität und politische Diskurse“. Ralph Weiß, Melanie Magin, Uwe Hasebrink, Olaf Jandura, Josef Seethaler und Birgit Stark eröffnen diesen Teil mit ihrem Beitrag „Publizistische Qualität im medialen Wandel – eine normativ begründete Standortbestimmung“. Sie konstatieren aufgrund der Digitalisierung einen tiefgreifenden Wandel mit krisenhaften Symptomen für etablierte (Print-) Medien und plädieren für eine Vergewisserung der Aufgaben des Journalismus unter diesen Rahmenbedingungen. Dazu leiten sie zunächst einen Kernbestand von Qualitätsstandards demokratietheoretisch ab. Dann fragen sie danach, in welchem Verhältnis diese Standards zur Perspektive des Publikums stehen bzw. unter welchen Rahmenbedingungen sie erfolgreich etabliert werden können, um anschließend auf der methodischen Ebene zu diskutieren, wie all das angemessen empirisch untersucht werden kann. Ihr Fazit: Vor allem (international) vergleichende Studien und Mehrebenen-Analysen versprächen hier den größten Erkenntnisgewinn.
Nach diesem breit angelegten Einstieg gehen Sven Engesser und Michael Brüggemann ins Detail: Sie stellen mit der Ausgewogenheit eine Berufsnorm auf den Prüfstand, die sich über Jahrzehnte fest im Kanon journalistischer Qualitätsansprüche etabliert hat. Zunächst bündeln sie die Kritik an dieser Berufsnorm, wie etwa die starke Fokussierung auf eine Demokratie, die von zwei ähnlich großen Lagern dominiert wird. Entlang von Fallbeispielen (Politik, Klimawandel sowie Impfungen und Autismus) zeichnen sie anschließend nach, wie unzureichend das auf Proportionalität angelegte Fairness-Verständnis in gesellschaftlichen Debatten ist, die von einer heterogenen Akteurskonstellation mit unterschiedlichen Thematisierungsstrategien und -möglichkeiten geprägt werden. Mit der proportionalen Gewichtung, Evidenzbasierung und transparenten Begründung stellen sie schließlich Alternativen zur Gleichgewichtung vor, die je nach Themenfeld die Rahmenbedingungen für gelingende gesellschaftliche Diskurse besser abbilden als der Anspruch nach Ausgewogenheit.
Theoretische und methodische Überlegungen kombinieren Dennis Frieß und Christiane Eilders. Sie widmen sich dem Spezialfall von Debatten auf digitalen Plattformen. In ihrem forschungsleitenden Modell zur Analyse von Online-Diskussionen verbinden sie normative Theorie und empirische Diskursanalyse. Angesichts der Hoffnungen, die in das Web als Treiber deliberativer Prozesse gesteckt wurden, rücken sie dabei zunächst den Begriff der Deliberation und der deliberativen Demokratietheorie in den Mittelpunkt ihrer Überlegungen – mit dem Argument, die normativen Annahmen nicht von vornherein als kontrafaktisch zu deklarieren, sondern als empirisch zu überprüfende Bedingungen zu definieren. Daraus entwickeln sie anschließend ein Modell für empirische Analysen, das an die Trias von institutionellem Input, kommunikativem Throughput und produktivem Outcome anknüpft und diese mit einer Reihe spezifischer und theoretisch begründeter Designelemente unterfüttert.
Betonen die ersten Beiträge dieses Clusters mehr oder weniger explizit die bedeutsame Rolle der Medien im Allgemeinen und des Journalismus im Besonderen als Garanten für einen möglichst unvermachteten Diskurs, dreht Philipp Weichselbaum in seinem Gedankenexperiment den Spieß um: Er setzt sich mit Durchsetzungsformen politikjournalistischer Macht auseinander, genauer gesagt damit, unter welchen Rahmenbedingungen politische JournalistInnen Macht auf PolitikerInnen ausüben und so politische Entscheidungen beeinflussen können. Weichselbaum verortet diese Frage explizit auf der Akteursebene und diskutiert anknüpfend an Heinrich Popitz’ Machttheorie, inwieweit und in welcher Weise JournalistInnen Macht in den Dimensionen Gewalt, Drohung, Autorität und technisches Handeln ausüben könnten. Damit gehört der Text sicher zu den Beiträgen, die Debatten anstoßen werden, aber genau dies ist ein Ziel dieses Bandes.
Während Weichselbaums Gedankenexperiment eher auf die Alpha-Tiere in den Teppichetagen etablierter Medienunternehmen zielt, beschäftigt sich Michael Hallermayer mit dem anderen Ende der Karriereleiter, nämlich den Schülerzeitungen, aus denen der professionelle Journalismus einen Teil seines Nachwuchses rekrutiert. In seinem historischen Aufriss zur Entwicklung der Schülerpresse zeichnet er zunächst nach, wie stark Selbstverständnis, Arbeitsweisen und normative Konflikte der Schülerpresse seit jeher von den politischen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen geprägt wurden. Aus den Befunden einer qualitativen Studie zum aktuellen Stand in den Schülerredaktionen wird aber gleichzeitig deutlich, dass das redaktionelle Selbstverständnis als kritischer Begleiter schulischer Ereignisse nach wie vor eine hohe Bedeutung zu haben scheint, es aber selten gelingt, dieses Selbstverständnis so zu institutionalisieren, dass es die redaktionelle Arbeit nachhaltig prägt – zumal für manche/n DirektorIn die Pressefreiheit schnell an Wert zu verlieren scheint, sobald es um Missstände an der eigenen Schule geht.
Während es im ersten Teil vor allem um den grundsätzlichen Beitrag des Journalismus zum Gelingen von Diskursen geht und um professionelle Normen, die sich aus dieser Funktion ableiten lassen, bündelt der zweite Teil des Bandes unter dem Titel „Verantwortungsvolle Berichterstattung“ Texte, die sich mit verantwortungsvoller Berichterstattung entlang unterschiedlicher Fallbeispiele auseinandersetzen: Inwieweit sind, salopp formuliert, Redaktionen in der Lage, die Kraft professioneller Normen auch tatsächlich auf die Straße zu bringen?
Christian Strippel geht dabei am Beispiel der Diskussion über die sogenannte Rettungsfolter den Interdependenzen zwischen der allgemeinen Öffentlichkeit und Fachöffentlichkeiten nach. Werden in der allgemeinen Öffentlichkeit Streitfragen wie das Recht von Ermittlern, möglicherweise lebensrettende Informationen von Verdächtigen mit Gewaltandrohungen zu bekommen, verhandelt, befassen sich Fachöffentlichkeiten – in diesem Fall die juristische – mit der Entscheidung im Einzelfall. Hier ist ebenso relevant, welche Argumente von den Massenmedien für öffentliche Rechtsdiskussionen bereitgestellt, welche Norm- und Moralvorstellungen dadurch aktualisiert werden und welche Besonderheiten die journalistische Bearbeitung von Rechtsfragen aufweist. Ein zentraler Befund seiner Analyse ist, dass in Medien- und Fachöffentlichkeit ähnliche Argumente verwendet, aber sehr unterschiedlich bewertet werden.
Lars Guenther und Georg Ruhrmann lenken ihren Blick auf normative Aspekte der Wissenschaft und verorten diese vor allem in der transparenten Berichterstattung über wissenschaftliche Ergebnisse, die sich vor allem am Grad der Gesichertheit bzw. Ungesichertheit empirischer Befunde festmacht. In ihrer Inhaltsanalyse wissenschaftsjournalistischer Berichterstattung über beispielhafte Themenfelder wie etwa die Nanotechnologie gehen sie auf die Gründe dafür ein, in welchem Umfang und in welcher Richtung wissenschaftliche Evidenz in der Berichterstattung eine Rolle spielt. Hier zeichnet sich einerseits ab, dass die Thematisierung von (Un-)Gesichertheit davon abhängt, ob Redaktionen chancen- oder risikoorientiert über neue Technologien berichten, vor allem aber auch vom Publikumsbild der Medienschaffenden: Wer Laien nicht überfordern will, setzt Ergebnisse implizit als gesichert voraus. Wer dagegen seinen NutzerInnen zutraut, wissenschaftliche Befunde zu bewerten, scheint auch eher die Evidenz der Ergebnisse zu thematisieren.
Nicht um normative Ansprüche an journalistische Medien, sondern um Wertevermittlung durch Medien geht es Martin Krieg, Franziska Pröll und Melanie Magin. Den AutorInnen bot sich die seltene Gelegenheit, am Beispiel der Gedenktagsberichterstattung über das Hitler-Attentat vom 20. Juli 1944 die Auswirkungen der Medienberichterstattung auf Wertvorstellungen aus einer diachronen Perspektive nachzuzeichnen. Sie haben für den Zeitraum zwischen 1954 und 2014 alle zehn Jahre den Tenor der Berichterstattung rund um die Gedenktage an Stauffenbergs gescheiterten Bombenanschlag mit den Einstellungen der Bevölkerung zum Thema verglichen. Die Erkenntnisse solch einer Analyse müssen fast zwangsläufig schlaglichtartig bleiben, aber dennoch deutet sich an, dass es einen erkennbaren Einfluss der Berichterstattung auf die Wahrnehmung historischer Ereignisse zu geben scheint: Zumindest folgt die Wahrnehmung und Bewertung der Attentäter in Medien und Bevölkerung einem ähnlichen Wandel, wobei es Medien vor allem zu gelingen scheint, kurzfristig den allgemeinen Wissenstand über ein historisches Ereignis zu verbessern.
Um den Einfluss von Medien auf Normen und Moralvorstellungen geht es auch im Beitrag von Christiana Schallhorn und Anne Hempel. Sie haben das Medienecho auf eines der spektakulären Coming-Outs der vergangenen Jahre untersucht, nämlich das des ehemaligen Fußball-Profis und Nationalspielers Thomas Hitzlsperger. Sie konstatieren einen hohen Einfluss von Profisportlern als besondere Vorbilder auf gesellschaftliche Vorstellungen und zeichnen entlang des prominenten Beispiels vor dem Hintergrund des Konzepts der Hegemonic Masculinity nach, inwieweit heteronormative Sichtweisen nicht nur den deutschen Fußball als mit Abstand öffentlichkeitswirksamste Sportart in Deutschland prägen, sondern auch die Reflexion des Ereignisses in etablierten Medien wie etwa der ZEIT, der F.A.Z. oder der Süddeutschen Zeitung. Ihre qualitative Inhaltsanalyse gibt Einblicke darin, wie schwer sich auf den zweiten Blick auch kritische SportjournalistInnen mit einem angemessenen Umgang mit Homosexualität tun.
In ihrem Beitrag zur Anerkennung durch Bilder fokussieren Elke Grittmann und Tanja Maier schließlich auf ethische Aspekte der visuellen Berichterstattung. Sie analysieren Geschlechterrepräsentationen explizit bezogen auf Geschlechterbilder und versuchen damit, eine theoretische und konzeptionelle Lücke in der Geschlechterforschung zu schließen. Ihr Vorschlag zielt darauf ab, visuelle Geschlechterrepräsentationen theoretisch zu begründen und systematisch zu analysieren. Sie greifen dabei auf den Begriff der Anerkennung zurück, um eine medienethische Perspektive auf Geschlechterbilder zu eröffnen. Aus dieser Perspektive lehnen sie es ab, einen Normkatalog ethisch guter Bilder zu entwickeln, sondern regen stattdessen an, entlang des Anerkennungsbegriffs professionelle Normen zu reflektieren.
Wie von Weiß et al. im ersten Beitrag dieses Bandes eingefordert, nehmen die AutorInnen des dritten Teils „Nutzung politischer Inhalte“ bei der Diskussion über politische und gesellschaftliche Diskurse das Publikum in den Blick und untersuchen spezifisch die Nutzung politischer Inhalte. So geht Josephine B. Schmitt dem Zusammenspiel von subjektiv empfundener Medienqualität, Selbstwirksamkeit und dem Lernerfolg aus der Nutzung politischer Inhalte nach. Sie entwickelt aus Ergebnissen der einschlägigen medien- und lernpsychologischen Forschung ein empirisches Modell, das die Zusammenhänge von objektiver Medienqualität, subjektiver Medienqualität, Selbstwirksamkeit und politischem Wissen spezifiziert. Dabei unterstreicht sie die bedeutende Rolle des Publikums für das Gelingen medial vermittelter Diskurse und bekräftigt den Anspruch an die Medienpädagogik, junge Menschen zu selbstbewussten NutzerInnen zu entwickeln.
Dass allerdings zwischen diesem Anspruch und dem realen Rezeptionshandeln mitunter deutliche Lücken klaffen, daran erinnert Patricia Müller in ihrer Analyse zu den Unterschieden zwischen dem tatsächlichen und wahrgenommenen politischen Wissen von NutzerInnen. Just feeling being informed? Diese eher rhetorische Frage leitet einen Beitrag ein, in dem sie auf der Basis einer Online-Umfrage unter jungen Erwachsenen recht klar herausarbeitet, dass gerade Menschen, die politische Informationen vermittelt über soziale Online-Netzwerke rezipieren, ihr tatsächliches politisches Wissen mitunter deutlich überschätzen. Dieser Befund ist umso bemerkenswerter, als soziale Netzwerke gerade in jüngeren Kohorten als Nachrichtenkanal eine zunehmend wichtige Rolle spielen – selbst wenn nicht die hohe Messlatte eines „Informed Citizen“ an das Publikum angelegt wird, sondern nur die etwas mildere Variante des „Monitorial Citizen“.
Die neuen sozialen Dynamiken der Nachrichtennutzung in einer digitalisierten Medienumgebung greifen auch Ines Engelmann und Manuel Wendelin in einer Untersuchung auf, deren Kernergebnisse sie in diesem Band vorstellen. Sie stellen sich die Frage, wie sich Relevanzzuschreibungen von Nachrichten durch das Publikum ändern, wenn zu den professionellen Auswahlkriterien der Redaktionen, die sich in Umfang und Platzierung von Nachrichten niederschlagen, die Koorientierung an Selektionsentscheidungen anderer NutzerInnen hinzutritt, die auf Nachrichten-Websites durch unterschiedliche Web-Metriken sichtbar wird. In einem Experiment variieren die AutorInnen die Intensität bestimmter Nachrichtenfaktoren, das Thema und die Zahl der Kommentare. Ihr Fazit ist Balsam auf die geschundenen Seelen von Newsroom-Besatzungen: Von einer Koorientierung der Nutzer auf News-Websites sollte auf Basis dieser Befunde nur sehr eingeschränkt gesprochen werden.
Wenn man nach der gesellschaftlich wünschbaren Ausgestaltung einer Medienlandschaft fragt, fällt der Fokus zunächst völlig plausibel auf die Medienschaffenden und die NutzerInnen, die medial vermittelte Diskurse wesentlich mitgestalten. Ebenso berechtigt ist aber die Frage nach der Verantwortung von Medienunternehmen, deren Infrastruktur moderne Medienöffentlichkeiten erst ermöglicht, und den Möglichkeiten demokratischer Staaten, ein Mediensystem mit Blick auf das Gelingen öffentlicher Kommunikation durch Regulierung zu gestalten. Diesem Thema widmen sich die drei Beiträge des vierten Teils dieses Bandes unter dem Titel „Gerechtigkeit in einer mediatisierten Gesellschaft“.
Dabei geht Isabel Winkler zunächst den Diskrepanzen im Selbstbild von Medienunternehmen als Corporate Citizens und der Fremdwahrnehmung ihrer CSR-Aktivitäten in der öffentlichen Diskussion nach. Dazu analysiert sie die auf den Websites der fünf größten deutschen Medienunternehmen dokumentierten CSR-Aktivitäten vergleichend mit der Medienresonanz auf diese Aktivitäten. Als empirisches Modell greift sie dabei auf Verantwortungsrelationen zwischen Subjekt, Objekt und Adressaten von Verantwortung zurück. Ein bedenkenswertes Ergebnis dieser Analyse ist, dass die Unternehmen im Schwerpunkt die publizistische Leistung ihrer Redaktionen als Instrument ihrer CSR herausstellen und damit letztlich eine Selbstverständlichkeit betonen, die ihnen – wie etwa beim Tendenzschutz – besondere Freiheiten in ihrem unternehmerischen Handeln sichert. Inwieweit diese Betonung der journalistischen Aufgaben mit Investitionen in Redaktionen korrespondiert, steht auf einem anderen Blatt.
Inwieweit ist aber staatliche Regulierung in der Lage, politische Zielvorstellung in der Medienlandschaft umzusetzen? Die akribische Recherche von Marlen Bartsch zur Gleichberechtigung kultureller Werte durch EU-Rundfunkquoten in Deutschland und Frankreich dürfte eher Regulierungsskeptikern Auftrieb geben. Sie untersucht in umfangreichen Dokumentenanalysen und ExpertInneninterviews, inwieweit das Konzept fester Quoten für europäische Produktionen in TV-Programmen tatsächlich geeignet ist, kulturelle Werte zu sichern und zu fördern. Aufschlussreich ist hier nicht nur, wie unterschiedlich Frankreich und Deutschland die einschlägige EU-Richtlinie umsetzen, sondern auch, wie viel Spielraum den Sendern gerade in Deutschland bleibt, die Vorgaben zu erfüllen.
Wer dem Staat wenig zutraut bei der Gestaltung von Medienunternehmen, dessen Hoffnung ruht gerade in Bezug auf digitale Kanäle wie soziale Online-Netzwerke auf der Selbstorganisation der NutzerInnen. Ob es die Crowd dann aber wirklich richtet, hat Teresa Naab in ihrem theoretischen Beitrag zu Einflüssen auf die Bereitschaft zur Regulierung von Medieninhalten bei Facebook-NutzerInnen untersucht. Sie lenkt damit den Blick auf neue Felder medialer (Selbst-)Kontrolle, die sich aus der Rollenerweiterung von NutzerInnen zu ProduserInnen ergeben. Auf diesen Feldern müssen Normen und Instrumente zu ihrer Durchsetzung neu ausgehandelt werden. Offen bleibe dabei, so ihr Fazit, welche Wertmaßstäbe LaienkommunikatorInnen bei der Beurteilung der Inhalte anderer heranzögen und welchen Stellenwert sie dem Grundrecht auf Meinungsfreiheit zubilligten.
Kreisen die Beiträge der ersten Teile vor allem um Fragen nach verantwortungsvollem Handeln professioneller KommunikatorInnen und ProduserInnen, setzen sich die Texte im fünften Teil „Medienregulierung und Medienverantwortung“ mit der Frage auseinander, wie Gerechtigkeit in einer mediatisierten Gesellschaft thematisiert, verhandelt oder gar durch Medien realisiert wird. Den Einstieg macht Caroline Roth-Ebner, die in einer breit angelegten qualitativen Studie mithilfe von Tagebüchern und Leitfadeninterviews untersucht hat, wie Beschäftigte aus der Wissensindustrie ein zentrales Element der Moderne, die Effizienz, in ihren mediatisierten Arbeitsumgebungen neu interpretieren. Sie stößt dabei auf sehr viele individuelle Praktiken, effizient zu arbeiten, aber auch auf Menschen, die mit den Herausforderungen, die dies mit sich bringt, weitgehend auf sich gestellt sind. Davon ausgehend spricht sie sich für eine Akzentuierung von Effizienz im Sinne einer responsible efficiency aus, die menschliches Wohlbefinden und die Schonung natürlicher Ressourcen miteinbezieht. Dies müsse eine gesellschaftliche Aufgabe sein.
Was aber können und müssen Menschen füreinander tun, um eine gerechtere Gesellschaft zu schaffen? Dies wird in modernen Gesellschaften seit langem unter dem Begriff der Solidarität verhandelt. Nina Köberer und Marc Sehr machen sich an die Aktualisierung des Solidaritätsbegriffs unter den Rahmenbedingungen einer mediatisierten Gesellschaft und gehen am Fallbeispiel US-amerikanischer Truppen im Kampfeinsatz der Frage nach, ob und wie man in sozialen Online-Netzwerken solidarisch sein kann bzw. welchen Stellenwert diese neuen Formen solidarischen Handelns haben. Sie haben dafür Nutzerkommentare zu YouTube-Videos des Militärs hermeneutisch analysiert und arbeiten heraus, dass durch die Netzkommunikation geprägte Formen von Solidarität meist zeitlich begrenzte und punktuelle Phänomene bleiben.
Auch Thilo Hagendorff greift solidarisches Handeln im Internet auf, thematisiert dabei aber vor allem Vertrauensbeziehungen als notwendige Bedingung für solidarisches Handeln und soziale Kohäsion. Er differenziert zwischen interpersonalen Vertrauensbeziehungen zwischen NutzerInnen einerseits und andererseits dem Systemvertrauen in die technische Infrastruktur des Webs bzw. in die Institutionen, die diese Infrastruktur bereitstellen und überwachen. Insbesondere auf der systemischen Ebene verortet er dabei Vertrauensdefizite, die durch Sicherheitsmaßen ebenso ausgeglichen wie verstärkt werden. Seine Konsequenz daraus ist, über einen Paradigmenwechsel zumindest nachzudenken, der intelligentes Vertrauensmanagement durch intelligentes Misstrauensmanagement im Netz ersetzt.
Mit der Herstellung von Gerechtigkeit durch Kommunikation beschäftigt sich der Beitrag von Peter Schumacher, der als teilnehmender Beobachter am Beispiel indigener Gemeinschaften in Kolumbien zeigt, in welchem normativen Rahmen dort eigene Formen der Kommunikation (comunicación propia) tradiert und weiterentwickelt werden. Er geht dabei davon aus, dass die Aneignung von kommunikativen Ausdrucksmitteln eine zentrale Rolle für die Selbstbehauptung und Identitätsstiftung dieser Gemeinschaften spielt. In seinem Beispiel stützt er sich auf den Ansatz von Christians et al., monitorial, facilitative, radical und collaborative journalism zu unterscheiden. So kann er zeigen, dass sich die indigenen Kommunikatoren vor allem an gemeinschaftlichen Prozessen und traditionellen indigenen Autoritäten orientieren und sich westlich geprägte Ansätze des Community Journalism darauf nur eingeschränkt übertragen lassen. Damit stellt er noch einmal die Kulturgebundenheit normativer Ansprüche an Mediensysteme heraus.
Wer zu Beginn des 21. Jahrhunderts nach dem Verhältnis von Öffentlichkeit und Verantwortung fragt, kann Unternehmen und andere institutionelle Akteure kaum ausblenden. Mit Verantwortung in Public Relations und Organisationskommunikation beschäftigten sich denn auch drei Beiträge dieses Bandes im Teil „Verantwortung in PR und Organisationskommunikation“ aus sehr unterschiedlichen Perspektiven.
Zunächst werben Anne Linke und Stefan Jarolimek dafür, in der Wissenschaft nicht nur operative Fragen verantwortungsvoller Kommunikation mit Stakeholdern zu untersuchen, sondern stattdessen den Begriff der Verantwortung als Referenzrahmen dieser Forschung selbst stärker zu reflektieren. In ihrem Beitrag beschäftigen sie sich explizit mit unterschiedlichen Verantwortungsebenen von Individuum, Organisation und Gesellschaft, und damit, wie diese interagieren. Sie entwickeln auf dieser Basis einen medienethisch begründeten Referenzrahmen für die Verantwortungskommunikation von Unternehmen. In ihrem als heuristische Annäherung an Verantwortungskommunikation verstandenen Konzept interdependenter Moralen setzen sie sich vor allem mit den Überschneidungszonen zwischen den Normen- und Wertegefügen von Organisation, Individuum und Gesellschaft auseinander.
Auch Ulrike Röttger erkennt in der deutschsprachigen Forschung zu strategischer Kommunikation eine fehlende Auseinandersetzung mit einem ethischen Grundbegriff. Ihr geht es aber nicht um Verantwortung, sondern um Gerechtigkeit, und sie diskutiert, ob der vom Wirtschaftsnobelpreisträger Amartya Sen formulierte Capability Approach geeignet sein könnte, diese Lücke zumindest in Teilen zu schließen. Im Zentrum dieses Ansatzes steht die Befähigung der Menschen, ein in ihrem Sinne gut begründbares, „gutes Leben“ führen zu können. Inwieweit Kommunikationsmanagement Agent dieser Befähigung sein kann, hängt generell von der gesellschaftlichen Institutionalisierung des Befähigungsansatzes ab, konstatiert Röttger. Selbst wenn man diese als gegeben ansieht, bleiben Spannungsfelder bestehen. Diese werden im Beitrag diskutiert als Spannung zwischen radikal individualisierten Vorstellungen von guter Arbeit und Effizienzansprüchen, zwischen nötiger Beständigkeit der grundlegenden Werteordnung und erforderlicher Veränderung sowie zwischen Wohl und Willen der Individuen.
Die Bedeutung öffentlichen Vertrauens als Mechanismus zur Beobachtung von Vertrauenswürdigkeit steht im Zentrum der Überlegungen von Jens Seiffert-Brockmann. Er rüttelt dabei an den Grundfesten der von Günther Bentele und anderen entwickelten Theorie des öffentlichen Vertrauens, die, so Seiffert-Brockmann, der empirischen Überprüfung nicht in jedem Falle standhalte. Vor allem Vertrauenskrisen führten weit seltener zu existenziellen Krisen der betroffenen Organisationen als das im Rahmen der Theorie zu erwarten wäre, denn, so seine zentrale These, öffentliches Vertrauen ist nur unter ganz spezifischen Bedingungen soziales Vertrauen. Zwischen öffentlichem Vertrauen als der Beobachtung von Vertrauenswürdigkeit und Vertrauen als sozialem Mechanismus zur Reduktion von Komplexität verortet Seiffert-Brockmann eine erhebliche Operationalisierungsdiskrepanz. Diese theoretischen Überlegungen werden mit Daten aus dem Corporate Trust Index der Universität Leipzig unterlegt.
Es war ein Wunsch des Veranstalterteams der Jahrestagung in Darmstadt, normative Aspekte nicht nur auf der Gegenstandsebene medial vermittelter Kommunikation zu diskutieren, sondern auch bezogen auf die Kommunikationswissenschaft selbst. Dieser Wunsch ist in Erfüllung gegangen in Form zweier einschlägiger Panels, deren Kernergebnisse wir im letzten Teil des Tagungsbands unter dem Titel „Verantwortung in der Kommunikationswissenschaft“ dokumentieren.
Theoretische und methodische Herausforderungen der Analyse von Normen und Werten verhandelt der Beitrag von Claudia Riesmeyer, Arne Freya Zillich, Stephanie Geise, Ulrike Klinger, Kathrin Friedrike Müller, Cordula Nitsch, Liane Rothenberger und Annika Sehl. Dabei betonen die Autorinnen zunächst, wie wichtig es sei, das Missverständnis aufzulösen, nach dem empirische Kommunikationsforschung und Normativität ein Gegensatz seien. Vielmehr seien beide eng miteinander verwoben. Vor diesem Hintergrund diskutieren sie drei Herausforderungen, die die empirische Auseinandersetzung mit Normen und Werten prägten: erstens die vermeintlich einfache Abgrenzung von Normen und Werten als theoretischen Konstrukten. Diese Abgrenzung stelle sich vor allem deshalb als deutlich schwieriger heraus, weil Normen kulturgebunden und die Konstrukte daher erst in ihren konkreten Ausprägungen analysierbar seien. Zweitens die Definition entsprechender empirische Konstrukte als Bestandteile von Sollensvorstellungen, in denen eine Erwartung an eine Handlung zu Ansprüchen zusammengeführt wird. Drittens schließlich den Anspruch der Wissenschaft an sich selbst, den Theorie-Praxis-Transfer auch einzulösen, was am Beispiel des Journalismus und der Medienpädagogik veranschaulicht wird.
Herausforderungen kommunikationswissenschaftlicher Forschungsethik problematisieren schließlich Katrin Döveling, Denise Sommer, Nicole Podschuweit, Stephanie Geise und Thomas Roessing in ihrem Beitrag. Dabei diskutieren sie einerseits Defizite in der ethischen Reflexion etablierter kommunikationswissenschaftlicher Methoden und verweisen andererseits auf neue Felder kommunikationswissenschaftlicher Forschung. Diese seien im Zuge der Digitalisierung entstanden und erforderten neue empirische Zugriffe, deren normative Grenzen und Voraussetzungen neu verhandelt werden müssten. Entlang forschungsethisch besonders relevanter Methoden wie dem Experiment und der verdeckten Beobachtung umreißen die AutorInnen das Problemfeld, um dann im nationalen und internationalen Vergleich nach angemessenen Lösungen zu suchen. Sie plädieren nicht nur dafür, den fachinternen Diskurs über forschungsethische Fragen zu intensivieren, sondern ethische Ansprüche in Handlungsempfehlungen zu institutionalisieren, die gerade denjenigen ForscherInnen helfen könnten, die ethisch voraussetzungsvolle Methoden anwenden wollen oder müssen, um aussagekräftige Daten erheben zu können.
Die Beiträge der AutorInnen stringent in einem Tagungsband zu bündeln, bedarf umfangreicher redaktioneller Arbeit und eines sorgfältigen Lektorats. Das artet schnell in schlafraubende Arbeit aus. Die hat Birgit Pieplow übernommen, deren Beitrag zum Band die HerausgeberInnen mehr als zu schätzen wissen und für den wir ganz herzlich danken.
Insgesamt spiegelt der Tagungsband eine Debatte wider, die in dieser Form ohne die Unterstützung der Schader-Stiftung in Darmstadt nicht zustande gekommen wäre. Sie hat ihre Räume für uns geöffnet, für eine hervorragende Diskussionsatmosphäre gesorgt und vor allem mit hochkarätigen ReferentInnen aus der Praxis und innovativen Formaten die Tagung bereichert. Dafür gilt ihr ein besonderer Dank.
Köln, Stuttgart,
Darmstadt und Eichstätt
im Januar 2016
Petra Werner, Lars Rinsdorf,
Thomas Pleil und Klaus-Dieter Altmeppen
Einer geläufigen Formel zufolge lässt sich auf die folgende Weise beschreiben, was die Gesellschaft vom Journalismus erwarten darf: Journalismus stellt Themen für die gesellschaftliche Anschlusskommunikation bereit. Er informiert dabei über das für alle relevante Geschehen in Politik und Gesellschaft. Damit schafft er Grundlagen für die freie Auseinandersetzung von Meinungen und Positionen und ist auf diese Weise für die Demokratie konstituierend. So in etwa sieht das Bild aus, das Kommunikationswissenschaft, Medienrecht und -politik und die Profession selbst annähernd übereinstimmend von den Leistungen des Journalismus zeichnen. Aber kann er sie noch erbringen, wie es das klassische Verständnis seiner öffentlichen Aufgabe meint?
Durch die Digitalisierung erwächst den traditionellen Medien neue, massive Konkurrenz im Kampf um Publikumsaufmerksamkeit und Werbegelder. Weil beide zunehmend ins Internet abwandern, schwinden die ökonomischen Ressourcen für klassischen, hochwertigen Journalismus, für den die Rezipienten aufgrund der Gratismentalität im Netz zudem immer weniger zu zahlen bereit sind. Der durchs Internet steigende Aktualitätsdruck beschneidet zugleich die Zeit für sorgfältige, umfassende Recherchen. Diese Entwicklungen schlagen sich in einigen Ländern, beispielsweise der Schweiz, bereits jetzt in einer sinkenden Qualität publizistischer Medienangebote nieder (fög 2014). Journalismus scheint sich in einer Umbruch- oder gar Krisenphase zu befinden (Jarren et al. 2012).
Krisenphasen nötigen zur Vergewisserung. Machen wir uns von den Leistungen des Journalismus noch einen angemessenen Begriff? Der folgende Beitrag will in mehreren Schritten zu einer solchen Vergewisserung beitragen: Den Anfang macht der Versuch, den Kernbestand an Standards für die Qualität journalistischer Leistungen demokratietheoretisch abzuleiten, auf deren Einlösung eine demokratische Gesellschaft angewiesen ist und die daher bei der Analyse der Performanz journalistischer Systeme nicht aufgegeben werden können. Abschnitt 2 diskutiert, in welchem Verhältnis ein solches Verständnis journalistischer Qualität zur Perspektive des Publikums steht. Abschnitt 3 setzt sich mit dem methodischen Problem auseinander, wie operationale Maßstäbe bestimmt werden können, anhand derer vermessen werden kann, wie gut die journalistischen Leistungen zu den maßgeblichen Prinzipien der Legitimierung, der Pluralität und der Partizipation beitragen. Abschnitt 4 diskutiert, wie die Rolle von Rahmenbedingungen für die Ausprägung journalistischer Qualität ermittelt werden kann, und plädiert für eine Verbindung der Qualitätsforschung mit der international vergleichenden Kommunikationsforschung. Auf diese Weise entstehen die Umrisse eines Forschungsprogramms, das einer empirischen Standortbestimmung zur publizistischen Qualität zugrunde gelegt werden könnte.
Mit dem Begriff der Öffentlichkeit verbindet sich die „wirkmächtigste Utopie der Menschheit: Die Idee, dass die freie öffentliche Kommunikation dem Menschen den ‚logos‘, also Vernunft, Sinn und eine entsprechende Gesellschaft ermöglicht“ (Imhof 2013: 9).
Welche Standards für publizistische Leistungen lassen sich aus den Wesensmerkmalen der Demokratie zwingend herleiten? Es gibt an solchen Ableitungen keinen Mangel, im Gegenteil. Strömbäck spricht gar von einer „Plethora“ (Strömbäck 2005: 333), einer geradezu verwirrenden Überfülle an Ansätzen und Modellen, die normative Standards demokratietheoretisch begründen. Unterdessen liegt eine Reihe sehr lehrreicher Übersichten über öffentlichkeitstheoretische Modelle und die aus ihnen abgeleiteten Qualitätsdimensionen vor (Glasser 2009, Ferree et al. 2002, Jandura/Friedrich 2014, Strömbäck 2005). Demgegenüber geht es im Folgenden um den Versuch, aus der Vielfalt der Konzepte zu Kernbestimmungen zurückzufinden, für die sich zeigen lässt, dass sie für Demokratien notwendig und nicht nur wünschenswert sind.
Zu diesem Zweck machen wir uns eine Idee von Scott Althaus zu eigen. Er fordert eine geschlossene Begründungskette, die lückenlos erklärt, warum und wie Prinzipien der Demokratie durch empirische Befunde zu Medienleistungen berührt sind (Althaus 2012: 109). Einen geeigneten Ausgangspunkt bildet das Elementarprinzip der Demokratie, die Legitimierung. Denn in der Kategorie Legitimierung fließen alle wesentlichen Bestimmungen zusammen, die eine Demokratie ausmachen:
die Repräsentation der politischen Bestrebungen im Volk für das Volk,
die Grundrechte als Bezugspunkt und Maßstab für Legitimität,
das Rechtsstaatsprinzip und damit die Gewaltenteilung als Voraussetzungen für Legitimität (Thränhardt 1992).
Das Prinzip der Legitimierung hat Sarcinelli auf eine kompakte Formel gebracht: „Politische Herrschaft in einer Demokratie ist zustimmungsabhängig und daher begründungspflichtig“ (Sarcinelli 1998: 253). Daraus lässt sich ein erster Schluss auf die Substanz öffentlicher Kommunikationsprozesse ziehen, die für eine Demokratie nötig ist: Der Grundsatz der Begründungspflicht verlangt, dass alles politische Entscheiden wahrnehmbar ist; am Journalismus liegt es, für die Sichtbarkeit der Macht zu sorgen. Mehr noch: Er muss durchsichtig machen, was politische Entscheidungen – bzw. umstrittene Entscheidungsoptionen – bedeuten, und zwar in zweierlei Hinsicht: für die heterogenen Interessen der Gesellschaftsmitglieder sowie für die pluralen politischen Grundhaltungen. Diese – in einem weiten Sinne verstandene – Transparenz der Politik bildet ein erstes Kriterium dafür, was im Raum öffentlicher Kommunikation Relevanz hat. Wie vollständig oder selektiv in der medienvermittelten öffentlichen Kommunikation für die Durchsichtigkeit politischen Handelns gesorgt wird, entscheidet über das Gelingen der Legitimierung.
Das Kriterium der Relevanz bezieht sich zunächst darauf, was durch Medien und ihre Journalisten zur thematischen Substanz öffentlicher Kommunikation gemacht wird. Untrennbar fließt aber auch mit ein, auf welche Weise über die Praxis der politischen Herrschaft berichtet wird. Das Kriterium der Transparenz ruft auch Standards für die Qualität der Berichterstattung auf, wie sie in den Überlegungen von Schatz und Schulz (1992) der Kategorie „Professionalität“ zugeordnet sind; in den Arbeiten von Wessler und Rinke (2014) finden sie sich in der Throughput-Dimension der Deliberation. Es geht um Dimensionen wie „analytische Qualität“ und als ihre Grundlage die „Sachgerechtigkeit“ bzw. „Objektivität“ (Donsbach 2007: 198). Denn es muss für Bürger auf sachgerechte Weise erkennbar sein, inwieweit sie in ihren Interessen und Grundhaltungen betroffen sind. Sie brauchen verlässliche Grundlagen für ein verständiges Urteil, ob und inwiefern eine politische Entscheidung sie etwas angeht. Eine bloß episodische Darstellung erfüllt das Kriterium nicht (vgl. auch Strömbäck 2005: 353).
Aus dem Prinzip der Legitimierung ergibt sich noch ein zweites Kriterium für die Substanz öffentlicher Kommunikation: Es muss zum Vorschein kommen, welche Problemwahrnehmungen und daraus folgenden Politikerwartungen in der Gesellschaft umlaufen. Denn diese Problemwahrnehmungen bilden den Bezugspunkt für die Legitimierung. Sie müssen sich öffentlich artikulieren können. Erst dadurch gerät Politik unter den Druck, mit Blick auf diese mehr oder weniger autochthon ausgebildeten Themen- und Problemwahrnehmungen zu erläutern, warum sie Zustimmung verdient. Das setzt voraus, dass der Eigensinn lebensweltlich grundierter politischer Weltanschauungen im öffentlichen Raum zum Vorschein kommt. Der Gedanke leitet über zum Prinzip der Pluralität. Die Heterogenität von politischen Anschauungen und Positionen ist eine gesellschaftliche Tatsache. Das politische Prinzip der Pluralität meint demgegenüber die verbürgte Freiheit, solche unterschiedlichen politischen Positionen auszubilden und geltend zu machen, d. h. in der Konkurrenz zu anderen durchsetzen zu wollen. Grundlagen der Legitimierung werden nur dort entfaltet, wo öffentliche Kommunikation den Raum dafür bietet, solche konkurrierenden politischen Bestrebungen zu artikulieren.
Liberale Demokratietheorien weisen der Öffentlichkeit daher die Aufgabe zu, als ‚Marktplatz der Ideen’ zu fungieren, der von den unterschiedlichen Protagonisten frei betreten werden kann. Sie halten sich dabei an die Überzeugung, die von John Stuart Mill ausgedrückt worden ist: Jeder ist selbst der einzig verlässliche Wächter über seine eigenen Rechte und Interessen (zitiert nach Dahl 1989: 296). In Massengesellschaften, so ergänzt Robert Dahl, sind es freie Assoziationen, also organisierte kollektive Akteure, die diese Rolle spielen können (Dahl 1989: 295). Dem fügt Habermas den Gedanken hinzu, dass die Quelle für die ‚Ideen‘ nicht allein in Organisationsöffentlichkeiten besteht, sondern darüber hinaus in einer Vielzahl von miteinander verschränkten Kommunikationsarenen und -räumen, in denen Meinungen ausgebildet werden (Habermas 2006). Das fügt sich widerspruchslos zueinander.
Zum politischen Prinzip der Pluralität gehört neben der Freiheit, partikulare Interessen zu verfolgen, auch der Meta-Konsens der Konkurrenten, dass der Prozess der Entscheidungsfindung das Ergebnis legitim macht – und zwar auch für den ‚Verlierer‘. Die Demokratieforschung diskutiert die Voraussetzungen, die erfüllt sein müssen, damit Akteure auch als Verlierer den Meta-Konsens nicht kündigen, mit anderen Worten: die Voraussetzungen für prozedural erzeugte Legitimität. Dazu zählen das Vertrauen auf die prinzipielle Revidierbarkeit des Ergebnisses und die Einsicht in die Fairness der Entscheidung, also in eine gewisse Berücksichtigung des eigenen Standpunktes, auch wenn er sich nicht vollends durchgesetzt hat (Schmidt 2010: 424, 502 f.).
Daraus lassen sich weitere Kriterien für die Qualitäten öffentlicher Diskurse ableiten. Wo gegnerische Positionen ausgegrenzt werden – durch schlichtes Ignorieren, Kriminalisieren oder moralische Vernichtung – werden die kommunikativen Grundlagen der Verfahrenslegitimität gekündigt. Positiv ausgedrückt: Für das Gelingen von Legitimierung ist ein Modus öffentlicher Kommunikation nötig, der Positionen mit den legitimen Geltungsgründen, die sie für sich in Anspruch nehmen, wahrnehmbar macht und der diese Positionen aufeinander bezieht. Das sind Maßstäbe für die moderierenden Leistungen der Journalisten. Rationalisierung als Modus und Produkt politischer Auseinandersetzung ist ein Desiderat, das insbesondere von deliberativen Konzepten formuliert wird. Dieses Desiderat drückt aber eben nicht – wie manchmal unterstellt wird – bloß die geschmackliche Präferenz einer intellektuellen Elite für ihren eigenen Kommunikationsstil aus; vielmehr reflektiert es eine Bestandsbedingung der Demokratie in modernen Konkurrenzgesellschaften. Daher kann es allgemeine Geltung beanspruchen.
Das Gesamtbild (siehe Tabelle 1) will sagen: Relevanz, Pluralität und Deliberation sind untrennbar miteinander verwoben. Gemeinsam und in ihrem Zusammenspiel bezeichnen sie die Standards für die Leistungen, die das Kommunikationssystem einer Gesellschaft erbringen muss, wenn der Prozess der Legitimierung gelingen soll.1 Das Ergebnis deckt sich weitgehend mit dem Schluss, zu dem der liberale Demokratietheoretiker Robert Dahl seine Überlegungen hinsichtlich der Frage führt, welche epistemischen Voraussetzungen erfüllt sein müssen, damit individuelle Freiheitsrechte wahrgemacht werden können. Er formuliert dazu das Kriterium des „aufgeklärten Verständnisses“ – „enlightened understanding“:
„In order to express his or her preferences accurately, each citizen ought to have adequate and equal opportunities for discovering and validating [...] the choice on the matter decided that would best serve the citizen’s interests. […] A person’s good or interest is whatever that person would choose with the fullest attainable understanding of the experience resulting from that choice and its most relevant alternatives“. (Dahl 1989: 307)
„Enlightened understanding“ – exakt denselben Begriff und dasselbe Argument nutzt John Gastil, wenn er erläutert, warum Deliberation für eine Demokratie konstitutiv ist (Gastil 2008: 7). Ein „aufgeklärtes Verständnis“ der eigenen Interessen in voller Kenntnis der Alternativen, die im politischen Raum existieren, das könnte eine Formel sein, auf die man sich jenseits der Differenzen unterschiedlicher Demokratie- und Öffentlichkeitstheorien verständigen kann, um einen allgemein anerkannten Bezugspunkt für Standards publizistischer Qualität zu bestimmen. Das „aufgeklärte Verständnis“ ist das Betriebsmittel der Legitimierung. Es entsteht als Produkt eines gesellschaftlichen Kommunikationssystems, dessen Leistungen die Standards der Relevanz, der Pluralität und Deliberativität einlösen.
Tab. 1: Überblick über ein Gesamtkonzept für die Analyse publizistischer Qualität
Ein qualitativ noch so hochwertiges publizistisches Angebot kann jedoch nicht zum Gelingen von Demokratie beitragen, solange es nicht genutzt wird: Zur öffentlichen Kommunikation gehören auch diejenigen, die an ihr überwiegend in einer Publikumsrolle teilnehmen. Bei dem Versuch, in die Bestimmung der Qualität von Medienangeboten auch die Nutzerperspektive einzubeziehen, ergibt sich allerdings das Problem, dass das Publikum in der Debatte um die Qualität und den publizistischen Beitrag von Medienangeboten eine zwiespältige Rolle spielt: Das Ausmaß der tatsächlichen Nutzung einzelner Angebote, wie es von der Reichweitenforschung ausgewiesen wird, gilt zwar als wichtiges Erfolgskriterium, aber keineswegs als Qualitätskriterium. Der Qualitätsdiskurs ist vielmehr nach wie vor geprägt von einer tiefen Skepsis gegenüber dem Qualitätsbewusstsein des Publikums (Hasebrink/Herzog 2009: 7). Basis dieser Skepsis ist die vermeintliche Beobachtung, dass implizit als qualitativ hochwertiger betrachtete Angebote (z. B. ‚überregionale Qualitätszeitungen’) in der Regel niedrigere Reichweiten erzielen als qualitativ geringer geachtete Angebote (z. B. ‚Boulevardzeitungen‘).
Für eine Medienqualitätsforschung, die sich an dem oben erläuterten Ziel des „aufgeklärten Verständnisses“ (Dahl 1989) orientiert, ist das Auseinanderklaffen der aus Expertensicht vorgenommenen Qualitätsurteile und des tatsächlichen Nutzungsverhaltens misslich: Entweder werden die normativ abgeleiteten Qualitätskriterien unter Verweis auf das geringe Publikumsinteresse als realitätsfremd disqualifiziert oder das Publikum wird wegen seines geringen Interesses an qualitätsvollen Angeboten als ignorant diskreditiert. Um dieses konzeptionelle Problem zu vermeiden bzw. konstruktiv zu lösen, sollte Medienqualitätsforschung von folgenden Grundüberlegungen ausgehen:
Zum einen ist Medienqualität nicht als ein objektiv zuschreibbares Merkmal von Medienangeboten, sondern als relationales Konstrukt anzusehen, mit dem der Umstand bezeichnet wird, dass ein Angebot eine bestimmte kommunikative Funktion erfüllt, also z. B. in der Gesellschaft zu einer Diskussion über relevante und vielfältige Themen beiträgt. Dabei stehen die beobachtbaren Merkmale des Angebots für das in ihnen angelegte
kommunikative Potenzial
, welches erst durch eine entsprechende Verwendung durch Nutzer realisiert wird.
Zum anderen ist zu berücksichtigen, dass sich verschiedene Medienangebote hinsichtlich ihrer intendierten Funktionen unterscheiden können. Entsprechend ist zu reflektieren, inwieweit sie auch an unterschiedlichen Qualitätsmaßstäben zu messen sind – nach dem Motto, dass Medienangebote auf unterschiedliche Art und Weise „gut“ sein können.
Diese Überlegungen führen oft zu dem Vorwurf einer Relativierung von Qualität, die es letztlich unmöglich mache, verbindliche Maßstäbe für Medienqualität zu definieren. Diesem Vorwurf kann einerseits entgegengehalten werden, dass ein Festhalten an einem normativen Qualitätsbegriff, der allein an objektiv bestimmbaren Angebotsmerkmalen festgemacht wird, zu den oben skizzierten Widersprüchen führt, die dem Qualitätsdiskurs nicht dienlich sind. Andererseits kann die Gefahr einer möglichen Relativierung dadurch eingeschränkt werden, dass die Perspektive der Nutzer differenzierter berücksichtigt wird, als dies mit der normalen Reichweitenforschung geschieht. Diese Überlegung soll im Folgenden näher erläutert werden.
Zu den Charakteristika der Massenkommunikation gehört es, dass die Rollen zwischen Sendern und Empfängern eindeutig verteilt sind und dass die Empfänger insgesamt ein schwer fassbares Phänomen darstellen, das Maletzke (1963) als disperses Publikum beschrieb. Zwar wird der Begriff der Massenkommunikation mittlerweile angesichts zunehmend individualisierter Angebote und Nutzungsformen sowie der durch technische Konvergenz zerfließenden Grenzen zwischen Individual- und Massenkommunikation nur noch mit Vorbehalten benutzt und oft durch den Begriff der öffentlichen Kommunikation ersetzt. Dies ändert aber nichts daran, dass jegliche Form der öffentlichen Kommunikation mit dem Problem verbunden ist, dass ein zentraler Bestandteil des Kommunikationsprozesses, nämlich die Empfänger journalistischer Botschaften, mehr oder weniger unbekannt bleibt. Da sich auf einer so prekären Grundlage nicht kommunizieren lässt, sind immer wieder mit großem Aufwand Versuche unternommen worden, die Empfänger ‚dingfest‘ zu machen und so unter die den jeweiligen institutionellen Interessen entsprechende Kontrolle zu bringen. Den für die Medienveranstalter entscheidenden Versuch stellt die in industrialisiertem Maßstab betriebene Publikumsforschung dar. Daneben haben aber in öffentlichen Diskursen über Medienqualität auch andere Konstruktionen des Medienpublikums eine gewichtige Rolle gewonnen.
Webster und Phalen (1994) unterschieden im Hinblick auf die Rolle der Mediennutzer drei Konzeptionen: Opfer (victim), Konsument (consumer) und Ware (commodity). Die Opfer-Konzeption basiert auf der Vorstellung, dass die Medien starke Wirkungen auf die Nutzer ausüben, weshalb die Nutzer vor den Medien geschützt werden müssen. Das Publikum wird nach dieser Konzeption als „Objekt staatlicher Fürsorge [...], als Gesamtheit der Staatsbürger verstanden, in der es schutzwürdige Interessen und schutzbedürftige Gruppen gibt“ (Kiefer 1999: 702 f.). Die Konsumenten-Konzeption betrachtet die Mediennutzer als Marktteilnehmer, die sich bei ihrer Mediennutzung an rationalen Selektionsentscheidungen mit dem Ziel der individuellen Bedürfnisbefriedigung orientieren. Die Konzeption des Publikums als Ware fokussiert auf die messbare Medialeistung, auf den Wert, den die Werbewirtschaft für ein Publikum einer bestimmten Größe und Zusammensetzung zu zahlen bereit ist.
Für die hier interessierenden Überlegungen über die Perspektive der Mediennutzer auf die Qualität von Medienangeboten erscheinen die von Webster und Phalen beschriebenen Konzeptionen von Nutzern als Konsumenten und als Ware weniger relevant; beide basieren auf dem konkreten individuellen Nutzungsverhalten. Wichtiger erscheint demgegenüber eine Konzeption, die bei Webster und Phalen nicht vorkommt: die der Mediennutzer als Bürger. Damit lassen sich dann folgende für eine Qualitätsbestimmung aus Publikumsperspektive maßgeblichen idealtypischen Nutzerrollen unterscheiden:
Die Nutzer als
Konsumenten
haben ein Interesse an Medienangeboten, die ihren individuellen Bedürfnissen und Präferenzen entsprechen, die dann, etwa im Sinne des Uses-and-Gratifications-Ansatzes zu einer entsprechenden Mediennutzung führen.
Die Nutzer treten den Medien aber auch als Inhaber von Rechten bzw. als
schutzbedürftige Individuen
gegenüber. So gilt es etwa ihre Rechte zu schützen, wenn sie zum Objekt der Berichterstattung werden (z. B. Recht auf Gegendarstellung).
Die Nutzer als
Bürger
, als Mitglieder einer demokratischen Gesellschaft, haben ein Interesse an öffentlicher Kommunikation, die die Grundlagen für die freie und individuelle Meinungsbildung bereitstellt, für alle Mitglieder der Gesellschaft zugangsoffen ist und Partizipationsmöglichkeiten bereithält.
Aus den vorangegangenen Überlegungen folgt für die Frage nach den Kriterien der Nutzer für die Beurteilung der Qualitäten von Medienangeboten, dass diese in Abhängigkeit von der jeweils relevanten Nutzerrolle unterschiedlich ausfallen. Abbildung 1 dokumentiert im schematischen Überblick, dass die drei Nutzerrollen mit je spezifischen Perspektiven verbunden sind, aus denen sich für die Qualitätsbeurteilung spezifische Kriterien ergeben.
Abb. 1: Nutzerrollen und die mit ihnen verbundenen Qualitätskriterien und Qualitätsurteile (eigene Darstellung)
Für die Konsumentenrolle ist die Perspektive durch die gesuchten Gratifikationen, also die konkreten Bedürfnisbefriedigungen geprägt, die die Medienangebote den Zuschauern bieten. Die relevanten Kriterien entsprechen den aus der Uses-and-Gratifications-Forschung bekannten Bedürfniskatalogen; so suchen die Zuschauer in den Medien z. B. nach Information, Unterhaltung und Möglichkeiten zur sozialen Teilhabe. Die Beurteilung der Qualität von Angeboten ergibt sich entsprechend aus den jeweils zugeschriebenen Gratifikationen, also aus der Einschätzung, wie gut das Angebot die eigenen Bedürfnisse erfüllt. Diese Qualitätsurteile erfassen somit den individuellen Wert des jeweiligen Angebots.
Für die Rolle der Nutzer als Bürger ist maßgeblich, ob Medienangebote bestimmte als gesellschaftlich und kulturell relevant erachtete Merkmale aufweisen. Die hier angelegten Qualitätskriterien sind auf allgemeiner Ebene mitgeprägt von den verfassungsrechtlich verankerten Aufgaben des Rundfunks, wie etwa den oben herausgearbeiteten grundlegenden Kriterien Relevanz, Pluralität und Deliberation. Je nach den politischen, gesellschaftlichen und kulturellen Wertvorstellungen können aber auch andere Kriterien eine Rolle spielen, so etwa die Erwartung, dass die Medien kulturelle Innovationen hervorbringen oder sich an Leitlinien des investigativen Journalismus orientieren. Die entsprechenden Qualitätsurteile der Nutzer spiegeln wider, wie diese die Leistungen der Medien für Kultur und Gesellschaft einschätzen.
Für die Rolle der Nutzer als potenzielle Opfer des Mediums bzw. als schutzbedürftige Individuen stellt sich die Frage, welche Merkmale von Medienangeboten als potenzielle Verletzungen von Schutzbedürfnissen angesehen werden. Auch in dieser Hinsicht entsprechen die Kriterien für die Qualitätsbeurteilung zum Teil den bestehenden rechtlichen Vorgaben für Medienangebote, etwa im Zusammenhang mit Fragen des Jugendmedienschutzes, der Trennung von Werbung und redaktionellen Angeboten oder des Persönlichkeitsschutzes. Es ist aber denkbar, dass einzelne Nutzer und Nutzergruppen durchaus abweichende Schutzinteressen in den Vordergrund stellen. Die Urteile, die aus dieser Perspektive gefällt werden, zeigen an, inwieweit die Medien aus Sicht der Nutzer Schaden anrichten, sie erfassen die sozialen Kosten von Medienangeboten – ein Aspekt, der bei der Qualitätsdiskussion bisher nicht im Vordergrund steht, aber durchaus nicht von vornherein ausgeblendet werden sollte.
Da Qualität hier nicht nur als in den Angeboten angelegtes Potenzial, sondern auch als Reichweite und letztlich erzielte Wirkung dieser Angebote reflektiert und untersucht werden soll, kommt der Publikumsperspektive im Zuge der Erforschung von Medienqualität eine zentrale Rolle zu. Die analytische Unterscheidung zwischen verschiedenen Nutzerrollen ergibt erstens, dass die Nutzer in ihrer Rolle als Konsumenten für die Qualitätsforschung von Belang sind: Angebote, denen eine hohe Qualität bescheinigt werden kann, können erst dann eine demokratieförderliche kommunikative Wirkung erzielen, wenn sie eine gewisse Reichweite haben – wenn also eine maßgebliche Zahl von Nutzern den Eindruck hat, damit ihre individuellen Informationsbedürfnisse erfüllen zu können. Zweitens zeigt sich, dass die Nutzer in ihrer Bürgerrolle Maßgebliches zur Qualitätsbestimmung von Medienangeboten zu sagen haben: Das Ausmaß, in dem sie einem Medienangebot – auch wenn sie es nicht oder nur selten nutzen – bescheinigen, dass dieses demokratische, soziale und kulturelle Bedürfnisse erfüllt, kann als wesentliches Kriterium für das Vorliegen von Qualität angesehen werden. Drittens bleibt im Hinblick auf die Nutzerrolle als Rechteinhaber noch zu diskutieren, inwieweit der Qualitätsbegriff auch durch den Aspekt der „Vermeidung sozialer Kosten“ erweitert werden sollte. Darunter wären etwa Darstellungen zu verstehen, die Persönlichkeitsrechte verletzen oder eine bestimmte gesellschaftliche Perspektive in grob stereotyper und verzerrender Weise darstellen.
Um den in Tabelle 1 genannten Anforderungen gerecht zu werden, steht die Medienberichterstattung vor der Herausforderung, Politik in verschiedenen Gattungen und Genres so darzustellen, dass für jeden einzelnen Nutzer ein „enlightened understanding“ möglich wird, unabhängig von seinem individuellen Medienrepertoire. Die Auseinandersetzung mit der Frage, wie dies gewährleistet werden kann, führte in den vergangenen Jahrzehnten zur bereits erwähnten „Plethora“ (Strömbäck 2005: 333) an Katalogen von Qualitätskriterien für Medieninhalte. Dabei orientieren sich die Kataloge
an der Übertragung von normativ-rechtlichen Ansprüchen auf die Medieninhalte (Schatz/Schulz 1992, jüngst Lischer 2014),
an Ansprüchen an die Qualität der Medienberichterstattung, die aus verschiedenen öffentlichkeitstheoretischen Ansätzen abgeleitet werden (Ferree et al. 2002, Jandura/Friedrich 2014, Kamber/Imhof 2014, Seethaler 2015, Wessler/Rinke 2014) und
an empirischen Differenzierungen nach unterschiedlichen Typen von Nachrichten (z. B. Hard News vs. Soft News) (Reinemann et al. 2011).
Diese verschiedenen Benchmarks für eine qualitative Medienberichterstattung führten zu einer Auseinandersetzung, welcher Katalog die Qualität der Berichterstattung am treffendsten erfasst. In diese Diskussion wollen wir an dieser Stelle nicht einsteigen. Uns interessiert vielmehr, wie die Kernbestimmungen für das Funktionieren eines demokratischen Systems – Relevanz, Pluralität und Deliberation – in auf unterschiedlichen theoretischen Annahmen basierenden Qualitätskatalogen aufgegriffen werden, um im zweiten Schritt die Frage zu klären, wie über die Kombination dieser Merkmale der politische Prozess valide abgebildet werden kann.
Das Kriterium der Relevanz wird – wenn auch in unterschiedlicher Form – in allen Katalogen angesprochen, jedoch unterschiedlich operationalisiert. Übereinstimmend wird Relevanz über den Fokus auf gesellschaftlich relevante Themen gemessen. Die Bewertung der Relevanz kann dabei intern, über medieninterne Vergleichsmaßstäbe, oder extern, z. B. über den Vergleich mit Informationen aus extramedialen Quellen, etwa anhand von PR-Materialien von Akteuren, erfolgen. In der Literatur wird der interne Weg am häufigsten beschritten (z. B. Reinemann et al. 2011). Ergänzend finden sich weitere Relevanzattributoren in den Katalogen. Hierzu zählen auf einer Aggregatebene die Themenvielfalt (z. B. Wessler/Rinke 2014), aber auch Indikatoren, die auf Beitragsebene die Bezugsebene der Relevanz eines Themas, z. B. über die Reichweite eines Themas (Schatz/Schulz 1992: 696) bzw. einer rollennahen oder -fernen Darstellung der Zentralakteure, mit aufgreifen (z. B. Kamber/Imhof 2014). Zudem müssen zum Relevanzaspekt alle Kategorien gezählt werden, welche die Thematisierungsvielfalt ansprechen. Dieses Maß auf Themenebene gibt an, wie plural ein Thema in der Medienberichterstattung präsentiert wird. Die Extremausprägungen liegen hier zwischen einer monoperspektivischen Darstellung und einer überzeichneten Thematisierungsvielfalt (Kepplinger 1995: 48).
Das Kriterium der Pluralität wird über die Indikatoren Vielfalt und Ausgewogenheit abgebildet. Über das Maß der Akteursvielfalt wird erfasst, welche Personen und Personengruppen in der Berichterstattung repräsentiert sind. Je nach demokratietheoretischer Ausrichtung wird das Vorkommen von politischen Akteuren, Experten sowie Akteuren aus der Zivilgesellschaft bzw. Privatpersonen gemessen und anschließend bewertet. Zum Aspekt der Pluralität zählt jedoch nicht nur die Präsenz der Akteure, sondern auch die Frage, inwieweit diese gemeinsam mit den von ihnen vertretenen Positionen in der Berichterstattung identifizierbar sind. Erst diese Kombination aus Thematisierungsvielfalt und Akteurspräsenz bildet das Kriterium der Pluralität von Werteperspektiven und Frames vollständig ab.
Die größten Unterschiede finden sich beim Kriterium der Deliberation, d. h. bei der Art und Weise der Darstellung relevanter Themen. Dies ist auch nicht verwunderlich, da die oben aufgeführten verschiedenen Quellen, aus denen Qualitätskriterien abgeleitet werden, hier sehr unterschiedliche Ansprüche an die Vermittlungsqualität stellen. Qualitätskataloge, die sich auf die diskursive Öffentlichkeitstheorie beziehen, gehen hier mit ihren Forderungen nach der Offenlegung, Verknüpfung und Reflektion der Evaluationskriterien am weitesten (z. B. Wessler/Rinke 2014). Ziel ist es, über die Zeit den Aushandlungsprozess dialogisch und zivilisiert unter Bezugnahme auf die Argumente der jeweiligen Gegenseite abzubilden. Vertreter des liberalen Modells sehen in der Einhaltung professioneller journalistischer Standards wie Neutralität, Ausgewogenheit und Unparteilichkeit Kriterien, an denen sich der Stil der Berichterstattung messen lassen muss (z. B. Schatz/Schulz 1992). Arbeiten hingegen, die auf dem partizipatorischen Modell beruhen, heißen durchaus Formen einer emotionalisierten und personalisierten Darstellung gut, wenn diese das Ziel verfolgen, Rezipienten auf zentrale Themen hinzuweisen (z. B. Jandura/Friedrich 2014).
Der Überblick über verschiedene Kriterienkataloge zeigt, dass die Kernbestimmungen demokratischer Öffentlichkeit – Relevanz, Pluralität und Deliberation – in der bisherigen Qualitätsforschung aufgegriffen wurden. Für unseren Anspruch, eine normativ begründete, aber empirisch messbare Standortbestimmung der publizistischen Qualität abzugeben, können wir zunächst auf dem Fundament dieser Arbeiten aufbauen. Wir wollen aber die empirische Erhebung um zwei zentrale Punkte erweitern, die mit den Begriffen externe Vergleichsmaßstäbe und interne Bezugssysteme charakterisiert werden sollen.
Externe Vergleichsmaßstäbe: Vergleiche sind zentral, um die Qualität der Berichterstattung einzelner Medien bewerten zu können. Viele Qualitätsstudien argumentieren dabei mit inter- und/oder intramedialen Vergleichsmaßstäben, d. h. die Berichterstattung wird mit Selektions- und Präsentationsentscheidungen anderer Redaktionen abgeglichen. Je mehr Medienangebote über das gleiche Thema berichten, desto geringer ist die Wahrscheinlichkeit, dass das Thema nicht relevant ist. Eine Aussage zur Frage, ob über alle relevanten Themen berichtet wurde, kann dieses relative Maß nicht treffen. Hierzu bedarf es weiterführender Vergleichsmaßstäbe, die sich entweder auf medienexterne Maße oder auf normative, aus der Demokratietheorie begründete Maße berufen (Kepplinger 1995). Hierbei wäre bei der Relevanz- und Pluralitätsdimension ein Vergleich der Ergebnisse der Medieninhaltsanalysen mit Statistiken (z. B. Funkhouser 1973), parlamentarischen Handlungen, Selbstdarstellungen politischer und zivilgesellschaftlicher Akteure (z. B. Jandura 2007) oder Politikfeldanalysen, die Blickwinkel und Akteure offenlegen, denkbar. Für die Bewertung der Pluralitätsdimension können zudem als medienexterner Maßstab Kriterien aus dem Pluralismusgebot einer Demokratie herangezogen werden: Politischer Wettbewerb setzt die Chancengleichheit der Akteure voraus, ihre Ideen und Lösungsvorschläge in der Öffentlichkeit zu präsentieren, damit sich aus den konkurrierenden Sichtweisen je nach Demokratiemodell die mehrheitsfähige bzw. die vernünftigste herauskristallisieren kann. Im politischen System gefundene Maßstäbe für einen solchen Pluralismus ließen sich hierfür gut auf das Medienangebot übertragen (Jandura 2011).
Interne Bezugssysteme: Die zweite Modifikation betrifft die Art und Weise der Codierung. Häufig werden die Kategorien auf der Beitragsebene erfasst, was eine Zuordnung von Akteuren und Berichterstattungsgegenständen bei Beiträgen, die mehrere Themen oder Perspektiven auf die Themen enthalten, nicht erlaubt. Hier müssen über unterschiedliche Analyseeinheiten Strukturen in den Datensätzen geschaffen werden, aus denen erkennbar ist, bei welchem Argument welcher Akteur mit welcher Valenz zu Wort kam. Nur über diese feinere Erfassung über verschiedene Analyseeinheiten hinweg lassen sich Kriterien, die zu den Dimensionen Pluralität und Deliberation zählen, so messen, dass die Qualität der Darstellung des politischen Prozess eindeutig abbildbar ist.
Darüber hinaus sollten Studien zur Medienqualität einen weiteren Aspekt berücksichtigen: Medienqualität hängt in hohem Maße von den Rahmenbedingungen ab, unter denen sie entsteht. Ob und wie gut die Medien mit einer qualitativ hochwertigen Berichterstattung zum Gelingen der Demokratie beitragen können, wird also durch ihren strukturellen Kontext mitbestimmt, etwa die Strukturen des Medien- und des politischen Systems (Makroebene), die Bedingungen in Medienorganisationen und politischen Institutionen (Mesoebene) und die individuellen Rollenvorstellungen der Journalisten (Mikroebene). Mit den systematischen Zusammenhängen zwischen Strukturen und Medieninhalten befasst sich die komparative Kommunikationswissenschaft: Der systematische Vergleich von Medieninhalten aus verschiedenen Ländern zeigt, wie sich unterschiedliche Rahmenbedingungen auf die Inhalte auswirken können (Mancini/Hallin 2012, Esser/Strömbäck 2012).
Im Zentrum steht dabei die Frage, inwieweit unterschiedliche Kontexte auf den einzelnen Analyseebenen relevante Untersuchungsphänomene – hier die Qualität der Berichterstattung – in unterschiedlicher Weise prägen und in Wechselwirkung zu ihnen stehen. Das übergeordnete Ziel komparativer Forschung ist also die Erklärung von Unterschieden zwischen den Untersuchungseinheiten durch die Kontexte, innerhalb derer sie entstanden sind (Esser/Hanitzsch 2012: 6, Mancini/Hallin 2012: 515). Im Idealfall erfüllt der Vergleich sechs Funktionen, die zum Teil eng miteinander korrespondieren: Er erweitert den Blick über Einzelfälle hinaus (Entgrenzung), erlaubt die kontextabhängig unterschiedliche Wahrnehmung von Beobachtungen (Kontrastierung), macht unterschiedliche Verhältnisse bewusst (Relativierung), zeigt alternative Handlungsmöglichkeiten auf (Alternativen) und ermöglicht gesetzmäßige Aussagen (Verallgemeinerung) sowie die Identifikation kausaler Randbedingungen (Erklärung) (Melischek et al. 2008: 10-11).
Der häufig durchgeführte räumliche Vergleich zwischen Ländern oder geografischen Regionen kann problemlos um weitere Dimensionen ergänzt werden, etwa den funktionalen Vergleich zwischen Organisationen oder Institutionen (z. B. öffentlich-rechtlichem und privatem Rundfunk oder Print- und Online-Redaktionen) (Esser/Hanitzsch 2012: 5-6). Mit dieser kombinierten Analyselogik lassen sich über die Faktoren, die Medienqualität begünstigen oder behindern, wesentliche Erkenntnisse gewinnen und demzufolge auch Handlungsempfehlungen zur Sicherung der Medienqualität formulieren. Komparative Studien zur Medienqualität sind also nicht zuletzt deshalb wichtig, weil in Zeiten des Medienwandels gravierende strukturelle Veränderungen die Befürchtungen um den Verlust der publizistischen Qualität weiter wachsen lassen. Gleichwohl gibt es hierzu – abgesehen von einigen wenigen Ausnahmen (z. B. Magin 2012, Lucht/Udris 2013, Wessler/Rinke 2014) – bislang kaum international vergleichende Studien. Um zu klären, unter welchen Voraussetzungen Medienqualität dauerhaft sichergestellt werden kann, plädieren wir explizit für eine (bisher kaum vorhandene) Verbindung von Qualitätsforschung und Komparatistik. Darüber hinaus ermöglicht die komparative Betrachtungsweise auch zu untersuchen, inwieweit sich globale Entwicklungstrends im Zuge der Digitalisierung in verschiedenen Ländern ähnlich auswirken oder länderspezifische – häufig historisch bedingte – Eigenheiten weiterhin aufrechterhalten bleiben.
Deutschland, Österreich und die Schweiz etwa eignen sich hervorragend für einen derartigen Vergleich. Sie weisen große Gemeinsamkeiten auf und gewährleisten damit – ähnlich wie in sozialwissenschaftlichen Experimenten – weitgehend konstante Rahmenbedingungen: Alle drei Länder sind förderalistische Staaten, die als Konsensdemokratien (Lijphart 2012) auch demokratisch-korporatistische Mediensysteme (Hallin/Mancini 2004) besitzen. Zudem sind die journalistischen Rollenselbstbilder (Hanitzsch 2011) und Wertevorstellungen (Inglehart/Welzel 2005) ähnlich gelagert. Dadurch kann der zweifellos vorhandene Einfluss der wenigen Unterschiede zwischen den Ländern auf die Medienqualität systematisch untersucht werden. Zu nennen sind beispielsweise die Wettbewerbssituation des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, der Grad der Pressekonzentration und die Marktdominanz einzelner Anbieter (z. B. der „Kronen Zeitung“ in Österreich) sowie die starke Marktposition von Gratiszeitungen in der Schweiz. Insgesamt ist ein solches Most Similar Systems Design hervorragend geeignet für einen internationalen Vergleich der Medienqualität, denn mit seiner Hilfe kann der strukturelle Einfluss auf unterschiedliche Berichterstattungsmuster bestimmt werden (Esser/Strömbäck 2012, Esser/Hanitzsch 2012). Dazu können systematisch forschungsleitende Hypothesen abgeleitet werden.
Dies soll im Folgenden am Beispiel eines zentralen Strukturfaktors gezeigt werden. Der Kausallogik einer variablenorientierten Komparatistik folgend, gehen wir von der Annahme aus, dass unterschiedliche mediale und politische Kontextbedingungen in einer Wechselbeziehung mit der Ausgestaltung von Medieninhalten stehen. Als komparativer Forscher kann man allerdings nicht auf einen fest ausgearbeiteten Katalog an Einflussfaktoren zurückgreifen, sondern in Anlehnung an etablierte Mehrebenen-Heuristiken gilt es für das jeweilige Untersuchungsdesign die relevanten zu identifizieren (Esser/ Hanitzsch 2011). Einer der auffälligsten Unterschiede in den hier betrachteten Untersuchungsländern ist die Verbreitung von Gratistageszeitungen. Die Diffusion ist in der Schweiz bereits 1999, in Österreich dauerhaft erfolgreich im Jahr 2004 angestoßen worden, während sie in Deutschland komplett ausgeblieben ist (Hagenah et al. 2015). Der steigende Anteil von Gratistageszeitungen wird im Allgemeinen sehr negativ bewertet, denn sie gelten als Existenzbedrohung bestehender Printprodukte und ihre Inhalte sind stark von Soft News bzw. boulevardjournalistischen Elementen geprägt, d. h. sie werden in der Regel als qualitätsschwache Medienangebote eingestuft. Kleinstaaten wie Österreich und die Schweiz sind bislang viel stärker von der Gratiskultur betroffen als Deutschland. Anzunehmen ist, dass die Medienqualität in diesen Ländern daher auch insgesamt stärker leidet. Denn durch den zunehmenden Konkurrenzdruck wächst die Gefahr, dass andere Tageszeitungen Elemente der Gratiszeitungen übernehmen und sich dadurch die Inhalte – vor allem bei den Boulevardformaten aller Mediengattungen – angleichen. Davon betroffen ist nicht nur die Nachrichtenauswahl, sondern auch die Art und Weise der Berichterstattung, beispielsweise in der Thematisierung spezifischer Aspekte wie etwa des Privaten.