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Berufliches und Privates sollte man trennen - das weiß Ölmilliardär Trystan Mikkelson nur zu gut. Trotzdem kann er der sexy Imageberaterin Isabeau einfach nicht widerstehen. Bei einer Party, die sie gemeinsam besuchen, wird klar: Auch Isabeau fühlt sich zu ihm hingezogen. Sie verbringen eine heiße Nacht voller Leidenschaft, die nicht ohne Folgen bleibt. Als Trystan ihr anbietet sie zu heiraten, lehnt Isabeau ab. Eine Ehe ohne Liebe kommt für sie nicht infrage. Wie kann er sie nur davon überzeugen, dass sie längst sein Herz erobert hat?
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Seitenzahl: 202
IMPRESSUM
BACCARA erscheint in der HarperCollins Germany GmbH
© 2018 by Catherine Mann Originaltitel: „The Love Child“ erschienen bei: Harlequin Enterprises Ltd., Toronto in der Reihe: DESIRE Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.
© Deutsche Erstausgabe in der Reihe BACCARABand 2085 - 2019 by HarperCollins Germany GmbH, Hamburg Übersetzung: Maike Claußnitzer
Abbildungen: Harlequin Books S. A., alle Rechte vorbehalten
Veröffentlicht im ePub Format in 06/2019 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.
E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck
ISBN 9783733725259
Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten. CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.
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„Bitte etwas breitbeiniger, Mr. Mikkelson.“
Isabeau Waters ging in die Hocke und sah zu dem Ölbaron auf.
In ihrem Beruf als Imageberaterin – in dem es natürlich auch um die passende Kleidung ging – verbrachte sie unzählige Stunden in Gesellschaft halbnackter Männer. Aber noch nie hatte sie die Garderobe eines Mannes aufpoliert, der sie so sehr in Versuchung führte wie der Ölmagnat und Rancher Trystan Mikkelson aus Alaska.
Und nun auch noch seine Schrittlänge vermessen? Gott steh mir bei.
Sie kniete sich auf den dicken Teppich in seinem luxuriösen Büro und packte ihr Maßband fester. Dann arbeitete sie sich an seinen langen Beinen in der Jeans empor, bis ihre Augen auf einer Höhe mit seinem … Gürtel waren. So nah, dass sie die Beschriftung der Schnalle lesen konnte – sie stammte vom Iditarod-Hundeschlittenrennen.
Atme aus.
Denk nach.
Sei professionell.
Dieser Job war gut bezahlt und prestigeträchtig. Die Fusion der beiden mächtigen Familienunternehmen Mikkelson und Steele zu Alaska Oil Barons dominierte seit einer Weile die Börsennachrichten und sorgte für Schwankungen im Aktienkurs. Alles hatte sich gerade erst zu stabilisieren begonnen, als der Steele-Patriarch sich bei einem Reitunfall schwer verletzt hatte.
Jetzt machten beide Familien Überstunden, um dafür zu sorgen, dass die Führungsriege der neuen Firma eine einheitliche Front präsentierte. Da es auf beiden Seiten so viele Kinder gab, war Isabeau immer noch verblüfft, dass ausgerechnet dieser Mann, der eigentlich lieber die Ranch seiner Familie bei Juneau leitete, das neue Gesicht der Firma sein sollte. Anscheinend gab es bei den anderen Geschwistern Ehekrisen, Gesundheitsprobleme oder Scheu vor öffentlichen Auftritten, sodass nur die Wahl zwischen diesem raubeinigen Cowboy und einem Steele-Teenager bestanden hatte. Da der Junge natürlich nicht infrage kam, blieb nur Trystan Mikkelson übrig.
Zumindest vorerst.
Ihre Mission? Ihn präsentabel zu machen. Mit seiner Garderobe war das nicht allzu schwer. Komplizierter war es, ihn für die nächsten vier Wochen auf Kurs zu halten, bis die Benefiz-Gala der Wilderness Preservation Initiative stattfand, ein festliches Promi-Event. Danach musste Trystan noch bis zur Hochzeit seiner Mutter mit dem Steele-Ölbaron Jack durchhalten.
Isabeau hatte diese erste Einschätzung schon oft und bei vielen verschiedenen Kunden vorgenommen. Aber während sie seine Maße notierte und einen Blick auf sein markantes Kinn riskierte, wurde ihr klar, dass es die schwierigste Aufgabe sein würde, sich selbst auf Kurs zu halten.
Er trat von einem gestiefelten Fuß auf den anderen. „Bei allem Respekt vor Ihrem Beruf, Ma’am … Aber ich lasse mich nicht wie ein Lackaffe herausputzen.“
„Ich behalte Ihre Vorlieben im Hinterkopf, wenn ich mit dem Schneider spreche. Sie bleiben Sie selbst, aber auf eine Art, die auch Investoren vertrauenerweckend erscheint, die keine … Naturburschen sind.“ Isabeau schob sich eine Haarsträhne hinters Ohr. Ihre Finger streiften leicht die Perlenohrringe, die ihre beste Freundin ihr geschenkt hatte, als einen der ihre Beratungsfirma gegründet hatte. Sie sollten Glück bringen, und seitdem trug Isabeau sie immer zum ersten Termin.
Trystan grummelte vor sich hin.
Sie rollte die Augen. „Sprechen Sie bitte in ganzen Sätzen.“
„Wie bitte?“ Er zog eine dunkle Augenbraue hoch. „Ich bin kein Kleinkind!“
Was das betraf, war sie hundertprozentig einer Meinung mit ihm.
„Genau. Und es steht viel auf dem Spiel. Alaska Oil Barons hat mich angeheuert, damit ich eine Aufgabe erfülle.“ Und diese Aufgabe würde offenbar auch darin bestehen, seine Ausdrucksweise genauso aufzumöbeln wie sein Äußeres.
Allerdings sah sie, dass er sich heute durchaus bemüht hatte, sich schick zu kleiden. Aber nach den Fotos zu urteilen, die sie online von ihm gesehen hatte, hieß „schick“ für ihn, statt eines ausgeblichenen Holzfällerhemds ein nagelneues anzuziehen. Sie wusste es zu schätzen, dass er sich anstrengte. Nicht dass sie je geglaubt hätte, dass dieser Job einfach werden würde.
Aus mehr als nur einem Grund.
Professionelle Distanz zu wahren, war bei diesem sexy Muskelpaket gelinde gesagt eine Herausforderung.
Schau nach oben. Das ist sicherer.
Vielleicht.
Er grinste.
Zum Teufel mit ihm!
Sein dichtes dunkelbraunes Haar wirkte ständig etwas zerzaust. Einem Teil von ihr tat es leid, dass ihm nun ein Friseurbesuch drohte. Aber seine Frisur musste etwas zahmer werden – so wie der ganze Mann.
Seine breiten Schultern und seine Brust strotzten vor Muskeln, die er harter Arbeit verdankte, nicht dem Training in einem Fitnessstudio. Sie würde extra-weite Anzugjacken bestellen müssen.
Er war ein ganzer Mann, und ihr lief vor Begehren das Wasser im Munde zusammen.
Völlig unprofessionell und fast unkontrollierbar.
Sie zügelte ihre Gedanken und konzentrierte sich darauf, ihre Notizen zu vervollständigen. Den Auftrag von Alaska Oil Barons an Land zu ziehen, war ein richtiger Coup gewesen. Die Firma war für sie ein Großkunde, und durch die Fusion war das Unternehmen ständig in den Schlagzeilen. Noch wurden die Geschäfte von zwei verschiedenen Bürohäusern aus geführt. Heute war sie in dem der Mikkelsons.
Genauer gesagt in Jeannie Mikkelsons Büro, das im Moment Trystans Büro war, weil seine Mutter ihrem Verlobten Jack Steele seit seinem Unfall nicht von der Seite wich. Das weitläufige Büro war wunderschön. Isabeau hätte selbst gern so eines gehabt, aber sie musste zugeben, dass es nicht zu Trystan passte. Vom cremefarbenen Bürostuhl über die zartgrünen Möbel bis hin zu den türkisfarbenen Akzenten war es ein femininer Raum.
Trystans Blick huschte immer wieder zu den Fenstern, als suchte er einen Fluchtweg in die Wildnis, die er angeblich bevorzugte.
Isabeau machte sich zusätzliche Notizen über kurz- und langfristige Ziele. Erster Schritt: Trystan das passende Outfit für die Hochzeit seiner Schwester Glenna mit dem ältesten Steele-Bruder Broderick an diesem Wochenende beschaffen.
Als Finanzchefs ihrer jeweiligen Firmen wären Glenna und Broderick die offensichtliche Wahl gewesen, das neue Unternehmen zu leiten, aber für sie stand ihre Beziehung an erster Stelle. Der andere Mikkelson-Sohn Charles Jr. wollte sich auf seine kriselnde Ehe konzentrieren. Isabeau fand das zwar lobenswert, aber sie hätte trotzdem am liebsten alle geschüttelt, weil ihnen offenbar nicht klar war, dass die Fusion auf tönernen Füßen stand.
Die Anteilseigner wollten beruhigt werden. Panik war ein gefährliches Gefühl.
Ihre Gedanken flogen von der anstehenden Aufgabe zu ihrem Labrador Paige. Die Hündin lag unter dem Sofa ausgestreckt. Nur Kopf und Vorderpfoten sahen hervor. Als würde Paige ihre Aufmerksamkeit spüren, hob sie den Kopf. Ihre großen braunen Augen blickten irgendwie mitfühlend und tröstlich. Paige legte den Kopf schief. Ihre Ohren schlackerten, und ihr Fell rieb sich an der roten Weste, die sie in schwarzen Großbuchstaben als Assistenzhund kennzeichnete. In kleinerer Schrift stand darunter: Bitte nicht streicheln.
Isabeau brauchte Paige wegen ihres Diabetes als Assistenzhund.
Und wegen ihrer Panikattacken.
Ihre Angststörung war einer der Hauptgründe dafür, dass sie lieber hinter den Kulissen als Imageberaterin arbeitete, statt selbst vor der Kamera zu stehen. Ihr Freund aus Collegezeiten, der sich als Stalker entpuppt hatte, saß jetzt im Gefängnis, aber die Angst war noch immer da.
Sie räusperte sich und hielt ihr Maßband hoch. „Fast fertig.“
„Freut mich zu hören.“ Trystan breitete die Arme aus, und sie vermaß seinen Brustkorb.
Sie betrachtete sich als Profi. Sie hatte noch nie im Job einen Kunden begehrt.
Diesmal würde der Monat, bis ihr Vertrag erfüllt war, allerdings sehr lange dauern.
Doch dieser Auftrag würde ihren Ruf festigen und hatte das Potentzial, ihr mehr Kunden dieses Kalibers einzubringen. Sie konnte sich auf niemanden außer sich selbst verlassen. Sie hatte keine Familie und kein üppiges Erbe. Ihr Gesundheitszustand war im Augenblick stabil, aber ihr Diabetes hatte ihr schon mehr als einmal ein Bein gestellt. Sie musste für Notfälle etwas sparen.
Sie wollte nicht so enden wie ihre Mutter – völlig pleite und allein.
„Mr. Mikkelson, Sie müssen …“
„Nenn mich doch Trystan“, bat er. Seine raue Stimme war mehr ein warmes Grollen.
„Trystan“, gab sie klein bei. „Du musst aufpassen, was du sagst. Weniger ist mehr, das sollte dir eigentlich gar nicht schwerfallen. Bloß keine impulsiven Ausbrüche! Es ist einfacher, eine Aussage näher zu erläutern, als einen schlechten Eindruck rückgängig zu machen.“
„Es ist doch nur eine Benefiz-Gala. Auf solche Veranstaltungen gehe ich schon mein Leben lang.“
„Diesmal gehst du aber nicht einfach nur hin. Du bist dort als Galionsfigur einer Firma, deren Chef fast gestorben wäre, als er sich mitten in der Planung einer wichtigen Fusion das Genick gebrochen hat“, rief sie ihm ins Gedächtnis. „Wenn es dir lieber ist, das nicht zu machen, kann ich mit deiner Familie darüber sprechen, ob doch eines der Steele-Geschwister diese öffentliche Rolle übernimmt. Es gibt ja weiß Gott viele von ihnen …“
„Nein, ich habe das schon im Griff.“ Er lächelte angespannt. „Die Tatsache, dass es so viele von ihnen gibt, ist der Grund dafür, dass ich es tun muss. Um sicherzustellen, dass meine Mutter weiterhin gleiche Rechte in dieser Firma genießt und die Steeles sie nicht verdrängen.“
„Ich verstehe, was du meinst. Aber du weißt ganz genau, dass du so etwas nicht in der Öffentlichkeit sagen darfst.“
„Nach außen hin müssen wir zusammenhalten, verstanden.“ Er klopfte sich gegen die Schläfe. „Wir sollen ignorieren, dass unsere Familien einander länger bekriegt haben, als ich zurückdenken kann. Ich soll vergessen, wie oft mein Vater Jack Steele einen gewissenlosen Gauner genannt hat.“
Sie maß ihn mit einem Blick. „Mr. Mikkelson …“
„Trystan.“ Seine Augen waren grünblau, ein schöner, lebhafter Farbton bei diesem sonst so schroffen Mann. „Und, ja, ich weiß, dass ich auch das nicht sagen darf.“
Diese Augen …
Dieser Mann …
Gott steh mir bei.
Es würde wirklich ein langer Monat werden.
Alles für die Familie.
Das war schon ein Leben lang Trystans Motto. Und darum stand er jetzt, wenn auch widerwillig, hier, um sich verschönern zu lassen.
Seine Kleidung hätte egal sein sollen. Er hatte einen Abschluss in Wirtschaftswissenschaften und führte eine millionenschwere Ranch. Das hatte er alles in Jeans und staubigen Stiefeln geschafft. Aber die Firma seiner Familie stand auf dem Spiel. Also würde er tun, was erforderlich war, um Alaska Oil Barons zu stabilisieren.
Selbst, wenn er dazu wie ein Dressurpferd herumtänzeln musste und jede Sekunde dieses Posierens hasste.
Allerdings machte die Zusammenarbeit mit Isabeau Waters die Sache erträglich.
Sie war erfrischend. Und äußerst ansehnlich.
Ihr rotes Haar glänzte wie Gold. Es war auf einer Seite zusammengefasst, sodass es ihr über die Schulter fiel. Die Naturwellen waren zu einer einzigen großen Locke zusammengedreht, die ihn in Versuchung führte, mit den Fingern hindurchzufahren, um festzustellen, wie ihre Haare sich anfühlten. Er war ein sinnlicher Mann, der sich draußen am wohlsten fühlte und lieber selbst etwas erlebte, als alles aus zweiter Hand am Computerbildschirm zu erfahren.
Ihre Augen waren so hellblau wie der Himmel seines Heimatstaats, funkelnd und wandelbar. Er atmete tief ihren Duft ein: wie die wilden Irisblüten im Sommer. Schöne, unglaublich zarte Pflanzen, die irgendwie den harten Winter in Alaska überlebten, um jedes Jahr aufs Neue zu sprießen …
Er verdrängte den Gedanken.
Verdammt.
Isabeau Waters ließ ihn geradezu poetisch werden.
Sein Blick fiel auf den blonden Labrador, der aus schokoladenbraunen Augen neugierig zu ihm hochsah. Er hätte dem Hund gern die Ohren gekrault, ließ es aber bleiben, weil das Tier bei der Arbeit war. Doch seine Seele sehnte sich in dieser unvertrauten Situation nach einem Hundegefährten.
Tiere zu verstehen, fiel ihm leicht. Bei Menschen war das anders.
Er wollte auf der Ranch sein, reiten oder sogar Inventartabellen überprüfen. Öffentliche Auftritte waren nicht seine Stärke, anders als bei seinem älteren Bruder Chuck. Aber Chucks Ehe steckte in einer tiefen Krise und war das Einzige, was seinem Bruder wichtiger war als das Unternehmen.
Das hatte Chuck von ihren Eltern Charles Senior und Jeannie gelernt, die bis zu Charles’ Tod ein glückliches Paar gewesen waren. Alle hatten sich große Sorgen um Jeannie gemacht, als ihr Mann vor zwei Jahren an einem Herzinfarkt gestorben war. Sie hatten gebetet, dass sie einen Grund finden würde, weiterzuleben.
Allerdings hatten sie nicht geahnt, dass dieser Grund Jack Steele sein würde – der größte Konkurrent ihrer Familie.
Trystan hatte seine Jugend damit verbracht, sich anzuhören, wie sein Vater Jacks unzählige Fehler aufgelistet hatte. Jetzt sollten seine Geschwister und er das alles plötzlich vergessen.
Isabeaus schlanker Körper und die Art, wie sie ihr Haar zur Seite schwang, lenkten ihn vorerst von seinen familiären Problemen ab. Sie griff zu einigen Ordnern, schlug unterschiedliche Abschnitte auf, schrieb etwas und klebte Haftzettel hinein. Als sie sich verstohlen nach ihm umsah, bekam er Herzklopfen.
Warum war die attraktivste Frau, die ihm seit Ewigkeiten begegnet war, ausgerechnet die Person, mit der er zusammenarbeiten musste? Er wollte lieber mit ihr flirten und Essen gehen.
Aber er musste über die Folgen nachdenken, bevor er Beruf und Vergnügen miteinander vermischte. Die Familie stand immer an erster Stelle.
Jeannie und Charles hatten ihn adoptiert, als seine leiblichen Eltern sich getrennt hatten. Die beiden hatten als Teenager geheiratet, weil er unterwegs gewesen war. Ihre Ehe war von Anfang an schwierig gewesen. Trystan war bei der Scheidung zehn Jahre alt gewesen, und seine Mutter, Jeannies Schwester, hatte ihn ins Heim geben wollen. Seine andere Tante hatte angeboten, sich abwechselnd mit Jeannie um ihn zu kümmern. Aber Jeannie hatte darauf bestanden, dass Trystan ein stabiles Zuhause brauchte. Sie und Charles hatten ihn mit offenen Armen in ihre Kinderschar aufgenommen.
Er wusste, dass Jeannie ihn liebte – aber auch, dass sie eigentlich keine Wahl gehabt hatte. Seine andere Tante war selbst alleinerziehend gewesen. Jeannie und Charles hatten Trystan aus Anstand aufgenommen.
Er schuldete den Mikkelsons mehr, als er je zurückzahlen konnte. Sie hatten ihn davor gerettet, im Heim zu landen, und ihn genauso behandelt wie ihre drei leiblichen Kinder. Heute erinnerten sich die meisten Leute gar nicht mehr daran, dass er adoptiert war. An manchen Tagen konnte er selbst fast glauben, dass er einer von ihnen war und nicht bloß ein verstoßener Cousin.
Manchmal erinnerte er sich allerdings auch daran, was er ihnen schuldete. Wie jetzt.
Als spürte sie seinen Blick, sah Isabeau ihn an. „Wenn du nicht Rancher sein könntest, was würdest du dann mit deinem Leben anfangen?“
„Ist das wichtig?“ Er zuckte die Schultern. Die Zukunft spielte keine Rolle, nur die Gegenwart. Das war sein Leben. Er ging zur Minibar, holte eine Bierflasche heraus und öffnete sie. Fragend neigte er den Flaschenhals und sah Isabeau an.
Ein schwaches Lächeln huschte über ihre Lippen, aber sie schüttelte den Kopf. „Nein danke. Und was die Frage angeht: Ich versuche einfach nur, dich besser kennenzulernen. Je besser ich dich verstehe, desto authentischer wird das neue Image, das ich dir verpasse. Wenn alles nur vorgetäuscht ist, merkt man das an deinem Verhalten. Dann spüren die Leute, dass es eine Fassade ist.“
„Dann sind wir angeschmiert, denn aus mir wird nie ein wortgewandter Smokingträger.“ Er nippte am Bier – seiner Lieblingssorte: Sommerale aus der familieneigenen Brauerei Icecap Brews. Das frische vollmundige Aroma beruhigte ihn, und der Nachgeschmack von Weizen weckte Erinnerungen an die abendliche Arbeit auf der Ranch. An seinen Zufluchtsort.
„Vertrau mir. Ich weiß, was ich tue.“ Sie zeigte auf die Ordner – die durchorganisierten Checklisten und Diagramme, die einen eigenbrötlerischen Naturburschen in das Gesicht von Alaska Oil Barons verwandeln sollten.
„Was würdest du tun, wenn dir jemand eine Rolle aufzwingen würde, die nicht zu dir passt?“ Er trank noch einen Schluck und lehnte sich gegen die Wand. Ihm fiel auf, wie selbstbewusst Isabeau angesichts seiner herausfordernden Frage wirkte, als sie die Augenbrauen hochzog.
Ihr freches Lächeln drang bis in ihre leuchtend blauen Augen vor. „Hier geht es nicht um mich.“
„Das ist eine ausweichende Antwort.“
„Na gut. Dann würde ich mir Hilfe suchen. So wie ich meinen Hund dabeihabe, um mir zu helfen, mit den Knüppeln umzugehen, die mir das Leben zwischen die Beine wirft.“
Er ging auf den Schreibtisch zu, an dem sie lehnte. Jeder Schritt näher ließ die Luft zwischen ihnen stärker knistern. Er blieb neben ihr stehen, lehnte sich links von ihr gegen den Tisch und roch das Fliederparfüm auf ihrer Haut. „Was würdest du machen, wenn dieser Beruf für dich nicht funktionieren würde?“
„Ich antworte dir, wenn du es auch tust.“ Ihre Hand bewegte sich zu seinem Stetson auf dem Tisch und berührte den Filz leicht.
Fühlt sie sich davon angezogen?
Er war sich ihrer sehr bewusst, als er ihr schönes Gesicht auf sich wirken ließ, ihre Stupsnase, ihr Selbstvertrauen.
Er nickte. „Du zuerst.“
Sie schnalzte mit der Zunge. „So viel zum Thema Vertrauen! Na gut: Ich würde noch einmal studieren, und zwar Modedesign. Jetzt bist du dran.“
„Archäologie. Ich kann mir gut vorstellen, an einer Ausgrabungsstätte Erde zu sieben.“ Er setzte die Flasche an die Lippen und malte sich aus, wie es sein würde, an einem abgelegenen Ort zu forschen. Keine Presse. Kaum Menschen. Ja, so könnte ich leben.
„Also bist du ein geduldiger Mann mit einem Blick für Details.“
Er zog die Augenbrauen hoch und neigte die Flasche, sodass das Bier leicht schwappte. Eine gezähmte Welle. „Ich schätze, so könnte man es ausdrücken.“
„Gut zu wissen. Mir kommen schon jede Menge Ideen.“
Sie fand bestimmt noch einiges mehr über ihn heraus, aber er wusste nichts Wichtiges über sie.
Er stellte sein Bier ab und ging auf den Labrador zu. „Erzähl mir von deinem Hund.“
Isabeau straffte sich und schlug ihr Notizbuch zu. „Paige ist ein Labrador. Sie ist dreieinhalb Jahre alt.“
Offensichtlich. Aber wenn Isabeau nicht darauf eingehen wollte, dass Paige eine Assistenzhundweste trug, würde er nicht unhöflich sein. Er hatte ja nur ein Gespräch führen wollen.
Nicht meine Stärke.
Sie schenkte ihm ein viel zu strahlendes Lächeln. „Ich habe mir nur einen Spaß mit dir erlaubt, indem ich diese nichtssagenden Antworten gegeben habe. Sieh es als Tipp, wie du mit Fragen umgehen kannst, die du nicht beantworten willst.“
„Treffer, versenkt. Es tut mir leid. Ich hätte nicht nach deinem Assistenzhund fragen sollen. Ich wollte nur irgendwie das peinliche Schweigen durchbrechen. Ich hätte dich nach deinem liebsten Urlaubsort fragen sollen oder danach, warum du dich für diesen Beruf entschieden hast.“
„Das wäre jeweils ein guter Gesprächseinstieg gewesen. Aber es macht mir nichts aus, mit dir über Paige zu reden. Es stört mich eher, wenn Leute behaupten, sie wäre kein echter Assistenzhund, weil ich nicht behindert aussehe.“ Sie schüttelte den Kopf. Die dicke Locke aus rotem Haar glitt ihr über die Schulter. „Paige achtet auf meinen Diabetes.“
„Warum wusste ich das noch nicht über dich?“
Sie stapelte ihre Ordner. „Es ist ja nicht so, als ob wir beste Freunde wären.“
Er trat noch einen Schritt näher an sie heran und stellte das Bier auf den Tisch. Der verlockende Duft ihres Parfüms tränkte die Luft. „Aber ich kenne dich. Oder besser gesagt: Ich habe dich bemerkt, aber aus irgendeinem Grund habe ich zuerst deinen Hund übersehen.“
„Das ist auch gut so. Wenn sie Aufmerksamkeit erregt, macht sie etwas falsch – es sei denn, ich hätte gerade einen Anfall, und sie müsste Hilfe holen. Aber sie macht ihre Sache sehr gut. Seit Paige ein Teil meines Lebens ist, verhindert sie, dass ich mich so sehr ablenken lasse, dass ich gar nicht bemerke, wenn ich über- oder unterzuckert bin.“
„Ich darf sie also nicht streicheln.“
„Nicht solange sie ihre Weste anhat. Sie weiß, dass sie arbeitet, wenn sie sie trägt. Sobald ich sie ihr ausziehe, darf sie spielen wie jeder andere Hund.“
„Aha. Stört es dich, dass ich diese Fragen stelle?“ Ein solches Eindringen in seine Privatsphäre hätte Widerstand bei ihm ausgelöst, wenn ihre Rollen vertauscht gewesen wären. Und das Letzte, was er wollte, war, dass Isabeau sich ausgeliefert fühlte.
„Nein, eigentlich nicht. Es ist gut, bei der Arbeit über etwas reden zu können.“
„Wie stellt Paige fest, wie es mit deinem Blutzucker aussieht?“
„Sie riecht es.“
„Wie ein Drogenspürhund?“
„Oder ein Jagdhund oder ein Rettungshund. Es ist dasselbe Prinzip, aber besonders fein abgestimmt. Nicht alle Assistenzhunde sind dazu in der Lage. Manche holen nur Hilfe, wenn es Probleme gibt. Aber Paige ist etwas Besonderes.“ Isabeau streckte sich und zog seinen Blick magisch an, als sie sich wieder gegen den Schreibtisch lehnte. „So. Jetzt habe ich alles, was ich brauche, um deine neue Kleidung zu bestellen. Einiges davon muss speziell angefertigt werden, aber das, was du für die Hochzeit deiner Schwester brauchst, kann ich einfach abholen.“
„Danke. Das weiß ich zu schätzen. Aber ich hoffe, du weißt, dass Kleidung nichts daran ändert, wer ich im Herzen bin oder was ich sage.“
So. Nun habe ich den Fehdehandschuh in den Ring geworfen.
Die Anprobe hatte ihm viel mehr Spaß gemacht, als er erwartet hatte. Und er wusste, dass diese Frau ihm den Tag sehr versüßt hatte. Er freute sich schon auf ihr nächstes Wortgefecht.
Warum sollte er nicht das Beste aus diesem Monat voller Eiertänze auf gesellschaftlichem Parkett machen?
Seine Hand streifte ihre unglaublich weiche Haut. Die Anspannung stieg, als sie sich in die Augen sahen.
„Die beste Art, mich unter Kontrolle zu halten, ist, an meiner Seite zu bleiben“, sagte er leise. „Mehr als meine Imageberaterin zu sein. Begleite mich als Date zur Hochzeit meiner Schwester.“
Als sie noch ein Kind gewesen war, hatte Isabeau wie jedes kleine Mädchen von einer eigenen Märchenhochzeit geträumt. Ihre Mutter hatte sie darin unterstützt. Allerdings hatte deren Märchenprinz sie verlassen. Obwohl ihre Mutter ihr die Geschichten weiterhin erzählte, glaubte Isabeau irgendwann nicht mehr daran. Sie war sich nicht einmal sicher, ob sie nach ihren eigenen Erfahrungen überhaupt wusste, wie eine gesunde Beziehung aussah.
Warum hatte sie sich nur überreden lassen, Trystan zur Hochzeit seiner Schwester zu begleiten? Sie hatte bereits Ja gesagt, bevor sie überhaupt darüber nachdenken konnte. Irgendwie setzte ihr Verstand bei diesem Mann aus.
In den letzten zwei Tagen hatte sie ihm schon ein Dutzend Mal sagen wollen, dass es eine dumme Idee war.
Und dann hatte sie es doch nicht getan. Jetzt waren sie zusammen auf der Mikkelson-Steele-Hochzeit.
Es war eine kleine Zeremonie auf dem Familienanwesen der Steeles am Wasser, aber dennoch … Klein hieß bei diesen Leuten, dass trotzdem viel Geld ausgegeben wurde und ein Sicherheitsdienst anwesend war.
Isabeau war nicht im romantischen Sinne Trystans Date. Allerdings tat er so und legte ihr den Arm um die Schultern, als Braut und Bräutigam ihr Ehegelöbnis sprachen.
Trystan beugte sich zu ihr und flüsterte ihr ins Ohr: „Fühlst du dich gut?“
„Ja, absolut“, versicherte Isabeau. „Warum fragst du?“
„Dein Gesicht ist ganz verkniffen.“
„Das ist unhöflich“, murmelte sie, die Lippen weiter zu einem Lächeln verzerrt. Doch sie fühlte sich tatsächlich angespannt.
„Tut mir leid.“ Seine Stimme war leise, aber sein Ton blieb heiter. Er zieht mich auf. „Dein wunderschönes Gesicht ist ganz verkniffen?“
„Schon besser.“
„Wir sind auf einer Hochzeit. Tu wenigstens so, als würdest du nicht ständig auf die Uhr sehen, um festzustellen, wie lange es noch dauert.“
„Das stimmt nicht. Ich musste nur eben die Augen wegen der Sonne zusammenkneifen“, log sie.
„Ja, klar.“ Er lachte leise.
Sie musste gestehen, dass eine Sommerhochzeit an der Küste vor der Bergkulisse Alaskas absolut atemberaubend war. Sie hätte Spaß daran gehabt, wenn der Mann neben ihr sie nicht so nervös gemacht hätte, dass ihr flau im Magen wurde.
Er lenkt mich ab.
Hinter ihnen ragte das Steele-Anwesen auf. Von der Bauweise her ähnelte es einer Blockhütte, hatte aber die Größe eines Herrenhauses. Es lag zwischen hohen Kiefern in einer wildromantischen Landschaft. Die ungezähmte Natur schenkte Isabeau ein Gefühl von Frieden – und das trotz des riesigen Gebäudes. Alle Geschwister hatten luxuriöse Wohnungen hier. Seit Monaten lebte Glenna Mikkelson mit Broderick hier in seiner Suite zusammen.