Verführung in Gold - Victoria Dahl - E-Book

Verführung in Gold E-Book

Victoria Dahl

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Beschreibung

Sie ist eine Betrügerin - doch wenn er sie berührt, fallen alle ihre Masken.

Lady Emma hat keine großen Träume: ein kleines Häuschen, ein unabhängiges Leben. Doch selbst kleine Träume kosten Geld, und so fasst sie einen riskanten Plan. Mit Hilfe einer falschen Identität und der Tricks, die ihr ihr Vater einst zeigte, will sie die feine Gesellschaft Londons am Kartentisch ausnehmen. Alles entwickelt sich bestens, bis sie den Duke of Somerhart trifft. Er ist hinreißend attraktiv - und misstrauisch. Emma lässt sich auf ein gefährliches Spiel ein, das Spiel der Verführung ...

»Sehr sinnlich und bewegend!« ROMANTIC TIMES

Originell, witzig und romantisch - zwei Romane rund um Liebe und Leidenschaft von Victoria Dahl:

Verführung in Gold
Süß wie die Sünde

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Inhalt

Cover

Grußwort des Verlags

Über dieses Buch

Titel

Widmung

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Danksagung

Über die Autorin

Weitere Titel der Autorin

Impressum

 

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Über dieses Buch

Lady Emma hat keine großen Träume: ein kleines Häuschen, ein unabhängiges Leben. Doch selbst kleine Träume kosten Geld, und so fasst sie einen riskanten Plan. Mit Hilfe einer falschen Identität und der Tricks, die ihr ihr Vater einst zeigte, will sie die feine Gesellschaft Londons am Kartentisch ausnehmen. Alles entwickelt sich bestens, bis sie den Duke of Somerhart trifft. Er ist hinreißend attraktiv – und misstrauisch. Emma lässt sich auf ein gefährliches Spiel ein, das Spiel der Verführung …

VICTORIA DAHL

Verführungin Gold

Aus dem amerikanischen Englisch vonSabine Schilasky

Meinem Ehemann Bill,der seit unserer ersten Begegnung an meine Träume glaubte.

Kapitel 1

Dezember 1844,außerhalb Londons

Der Sturm war erst vor wenigen Stunden abgeklungen und hatte die Landschaft unter beinahe zwanzig Zentimetern Schnee begraben. Mondlicht und Fackelschein brachten den vereisten Garten zum Glitzern. Der Anblick hinter dem kalten, harten Fensterglas rührte an Emma Jensens Herz. Die Natur hatte sich die elegante Laube zurückerobert, die Wege verschwinden lassen und die scharfen Kanten und Winkel der geschnittenen Hecken weich gezeichnet. Dieser Garten, so penibel von Menschenhand geformt, lag unter sanften Hügeln aus Schnee verborgen. Wie musste es sich anfühlen, so mühelos vernichtet zu werden? So lautlos.

Von ihrem Seufzen beschlug das Glas, womit ihr die Sicht auf die Szenerie draußen genommen war. Sie richtete sich auf und blickte in das helle Gewirr des Ballsaals. Langeweile hatte sich eingestellt, und langweilte Emma sich, überkam sie eine unsinnige Melancholie. Ihr Leben war schließlich nicht schlecht, oder würde es zumindest eines Tages nicht sein.

»Lady Denmore!«

Emma blickte auf, lächelte und drehte sich zu der angetrunken klingenden Stimme um.

»Lady Denmore, Ihre Anwesenheit wird dringend in der Halle verlangt.«

»Mr Jones, wie kann das sein?« Emma bemühte sich, unbekümmert und nett zu klingen.

»Matherton und Osbourne haben ein Rennen arrangiert und möchten, dass Sie den Start ausrufen.«

Eine Ablenkung, wie schön. Emmas Lächeln wurde natürlicher, und sie verließ am Arm des dünnen jungen Mannes ihren eisigen Tagtraum.

Kichern und laute Stimmen hallten durch das Deckengewölbe in der Halle von Wembley House. Alle Augen waren auf den oberen Absatz der geschwungenen Treppe gerichtet. Dort gingen die Lords Matherton und Osbourne, beide Angehörige des Hochadels, in die Hocke, um sich auf zwei große Silbertabletts zu setzen. Sobald sie saßen, rutschten sie über den Perserteppich zur Treppenkante.

»Dies soll ein Rennen sein?«, fragte Emma lachend, während sie die beiden Herren mit einem Blick einschätzte. »Ich setze fünfzig Pfund auf Osbourne.«

Plötzlich trat eine Stille ein, als hätten sämtliche Leute in der Halle aufgehört zu atmen. Gleich darauf explodierten die Rufe der Wettenden für den Einsatz. Emma trat lächelnd auf die unterste Stufe und wollte nach oben steigen, um das Rennen zu starten, als ein Brüllen sie innehalten ließ.

»Ho-ho! Der Starter darf nicht auf das Rennen wetten!«

Emma zuckte nur mit den Schultern und trat beiseite, auf dass eine der anderen Damen ihre Funktion übernahm. Sollte es doch eine tun, die nicht unter dem Fluch stand, auf den Ausgang jedes Wettbewerbs setzen zu müssen.

Ein Moment verging, dann fiel ein Taschentuch zu Boden und die Männer stießen sich von der obersten Treppenstufe ab. Gaslicht spiegelte sich in den großen Silbertabletts, als sie mit verblüffender Geschwindigkeit die Treppe hinunterschossen. Emma hielt den Atem an – jeder hielt den Atem an –, und die Menge unten teilte sich in Anbetracht der nahenden Gefahr.

Fast hätte Emma die Augen geschlossen, weil sie sich vor dem Aufprall fürchtete, der die beiden Männer ohne Frage erwartete; doch sie hatte nun mal fünfzig Pfund auf diesen Irrsinn gesetzt, und so musste sie zusehen, wie die Männer nach unten sausten. Osbournes schwere Statur geriet ihm zum Vorteil. Emma nickte zufrieden, als er dramatisch unten landete, begleitet von einer Kakophonie kreischenden und scheppernden Metalls und lautem Stöhnen.

Beinahe sofort zerstreuten sich die Zuschauer wieder, wandten sich ihren Drinks und dem Klatsch und Tratsch zu. Unterdessen bahnte Emma sich ihren Weg zwischen den Gästen hindurch zu Osbourne, um nach ihm zu sehen. Matherton, wie sie feststellte, hatte sich bereits aufgerichtet und stand lachend mit seinen Freunden zusammen.

»Osbourne«, rief sie an einer kleinen Gruppe Diener vorbei, »sind Sie verletzt?«

»Nur mein Ellbogen«, ächzte er.

»Oh, Lord Osbourne«, hauchte Emma, kaum dass sie sein hochrotes Gesicht erblickte. »Sagen Sie mir bitte, dass er nicht gebrochen ist.«

»Nein, nein, bloß ein wenig angestoßen.«

»Gott sei Dank. Lady Osbourne würde mir den Kopf abreißen, hätte ich Sie ermutigt, sich zu verletzen.«

»Mir gleichfalls.«

»Kommen Sie, Mylord, sehen wir nach, ob Eis da ist …«

»Henry!«

»Oh nein«, stöhnte der Earl leise.

»Oh nein«, stimmte Emma ein. »Nun … falls Lady Osbourne Ihnen zu Hilfe gekommen ist, überlasse ich Sie besser ihrer Fürsorge.«

»Aber …«

»Henry! Hast du den Verstand verloren?«

Emma schlich sich weg, denn sie wollte auf keinen Fall zwischen einen beschwipsten alten Mann und dessen erzürnte Frau geraten.

Mr Jones gab ihr grinsend ihren Gewinn. Siebzig Pfund. Es war nicht so viel, wie sie gehofft hatte. Ihre Reputation, ein sicheres Händchen im Glücksspiel zu besitzen, wirkte sich nachteilig auf ihre Gewinne aus. Die Leute wetteten vermehrt mit ihr statt gegen sie. Zum Glück erwiesen sich die Spieltische nach wie vor als profitabel.

Emma stopfte die Geldscheine in ihren Handschuh und sah sich, an dem süßlich lächelnden Mr Jones vorbei, nach Matherton um. Sie entdeckte ihn weiter vorn, wie er auf dem Weg in den Kartensalon allen Leuten freundlich zuwinkte, an denen er vorbeiging. Emma folgte ihm, wurde jedoch von der aufgeregten Lady Matherton aufgehalten, die schwor, dass ihr Perserteppich beschädigt worden war. Nach ausgiebigem Händetätscheln und mitfühlendem Gemurmel konnte Emma sich von ihrer Gastgeberin loseisen und begab sich zügig in den Kartensalon.

Unweigerlich musste sie schmunzeln, als sie den vertrauten weißen Haarschopf im dämmerigen Licht am Ende des Korridors erblickte. Lord Matherton würde sich sehr überzeugend gekränkt geben. Zweifellos hatte er vor, ihr Verrat und Treulosigkeit vorzuwerfen, weil sie auf Osbourne gewettet hatte. Vielleicht müsste sie ihn eine runde Piquet gewinnen lassen, um seinen verletzten Stolz zu kurieren.

Emma holte tief Luft und wollte nach ihm rufen, doch kaum öffnete sie den Mund, trat Matherton beiseite und gab den Blick auf den Mann frei, mit dem er sich unterhielt. Emma erstarrte. Jemand stieß gegen sie.

»Oh, Verzeihung, meine Gute. Es tut mir schrecklich leid.«

Emma stützte sich mit einer Hand an der Wand ab, während der Mann ihren anderen Arm hielt. Sie würdigte ihn keines Blickes, denn ihre Augen waren wie gebannt auf den schwarzhaarigen Fremden weiter vorn gerichtet. »Sie müssen sich nicht entschuldigen, Sir. Es war schließlich allein meine Schuld.«

»Dennoch hätte ich achtgeben müssen.«

»Nein, mir tut es leid. Ich hätte nicht plötzlich stehen bleiben dürfen.« Erst jetzt sah sie ihn an. »Admiral Hartford, dieser Herr dort bei Matherton kommt mir bekannt vor, nur kann ich nicht mehr sagen, woher ich ihn kenne.«

»Ah.« Der Admiral machte große Augen, bevor er sich mit einem mitfühlenden Lächeln wieder zu ihr wandte. »Das, meine Gute, ist der Duke of Somerhart. Ein überzeugter Junggeselle, fürchte ich.«

»Somerhart«, murmelte Emma, als müsste sie den Namen kosten. »Ach ja, natürlich! Somerhart. Ich danke Ihnen, Admiral.«

Emma machte auf dem Absatz kehrt und eilte zurück in die Diele. Von dort lief sie um die Ecke in den Ruheraum der Damen, stürmte in eine von Vorhängen abgeteilte Ecke und setzte sich auf den gepolsterten Stuhl.

Ein Duke? Das hätte sie nie gedacht.

Hatte er sie gesehen? Und falls ja, würde er sie erkennen?

»Selbstverständlich nicht«, hauchte Emma. Es war lächerlich, das auch bloß anzunehmen. Sie war dem Mann ein einziges Mal begegnet, und das war … wann? Vor zehn Jahren? Ja, sie war zu jener Zeit neun Jahre alt gewesen. Er konnte sie unmöglich wiedererkennen. Wahrscheinlich hatte er jenen Abend längst vergessen.

Trotzdem gründete ihr Plan vollends auf dieser Scharade, dieser Lüge, sie wäre die Witwe des zehnten Baron Denmore, und falls Duke Somerhart sich an sie erinnerte, wäre ihr Spiel aus. Sie konnte wohl schlecht mit ihrem eigenen Großonkel vermählt gewesen sein.

Sie hatte noch mindestens zwei Monate geplant, ehe sich erste Zweifel einstellen würden. Aus ihrer Grafschaft kamen nur wenige Mitglieder der feinen Gesellschaft hierher, und vor der Saison erst recht nicht. Sie brauchte nur noch wenige Wochen …

Emma setzte sich aufrecht hin und schaute in den Wandspiegel. Nein, der Duke würde sie nicht wiedererkennen. Ihr braunes Haar war seinerzeit dunkelblond gewesen, und die entscheidenden Stellen ihres Körpers hatten sich deutlich verändert. Außerdem trug sie kein weißes Nachthemd und Zöpfe. Sie war ganz gewiss nicht wiederzuerkennen.

Er hingegen hatte sich in dem Augenblick in ihr Gedächtnis eingebrannt, in dem er aus der schattigen Wandnische getreten war.

»Hallo, Kleines«, hatte er gerufen, als sie sich durch den breiten Korridor schlich, weil sie unbedingt einen Blick auf die neuen Freunde ihres Vaters erheischen wollte.

Bei Gott, er hatte sie zu Tode erschreckt! Seine Stimme war geistergleich aus der Dunkelheit gekommen. Dann tauchte er im Licht auf, und Emma hatte der Atem gestockt.

»Was bist du so spät noch auf?«, fragte er leise. Emma dachte, dass er ein Engel sein musste. Er war so viel hübscher als die anderen Freunde ihres Vaters. Aber trugen Engel rote Westen und rauchten Zigarillos? »Du gehörst ins Bett, Kindchen.«

»Ich … ich wollte den Tanz sehen. Ich kann die Musik von meinem Bett aus hören.«

Seine eisblauen Augen musterten sie, von ihrem geflochtenen Haar bis zu den nackten Füßen, und sein schönes Gesicht nahm einen traurigen Ausdruck an. »Dies ist kein Ort für dich. Du solltest nicht hinunter zu den Feiern deines Papas gehen, hörst du? Bleib lieber in deinem Zimmer.«

»Oh«, hauchte sie, erstaunt über den freundlichen Klang seiner tiefen Stimme. Ja, ganz sicher war er ein Engel, denn er war das schönste Geschöpf, das sie jemals gesehen hatte. Emma trat zurück, um zur Bedienstetentreppe zu eilen, doch sein Blick hielt sie fest. Hoffnung regte sich in ihr und machte ihr zugleich die Kehle eng.

Sie rang nach Luft. »Aber …« Als sie sich ein wenig vorneigte, bogen sich seine Lippen zu einem Lächeln, das jedoch gleich verschwamm, weil Tränen in Emmas Augen brannten. »Aber jemand ist in mein Zimmer gekommen.«

»Wie bitte?« Er war ihr ohnedies schon riesengroß erschienen, doch nun richtete er sich noch höher auf. Sein hübscher Mund wurde streng und schmal. »Was meinst du?«

Emma wich einen Schritt zurück. »Ich möchte … mein … mein Zimmer. Jemand ist gestern Abend reingekommen, als ich schlief. Ich möchte da nicht bleiben.« Ihre Wangen glühten. »Er hat mich geküsst.«

Etwas Hartes, Schreckliches huschte über seine Züge. Emma bekam Angst und wollte weglaufen, aber schnell wurde sein Ausdruck wieder sanfter, und er ergriff ihre Hand.

»Das tut mir leid.« Er hockte sich hin und lächelte. »Du bist gewiss hübsch genug, dass man dich küssen möchte, doch sollte das niemand tun außer deinem Ehemann und auch erst dann, wenn du groß bist, verstehst du mich?«

»Ja, Sir.«

»Es hat dir aber niemand wehgetan, oder?«

Emma schüttelte den Kopf.

»Gut. Gibt es ein Schloss an deiner Tür? Ja? Dann geh jetzt zurück in dein Zimmer und verriegel die Tür. Wenn sie verriegelt ist, stellst du einen Stuhl so davor, dass die Lehne unter dem Knauf ist. Weißt du, was ich meine?«

Sie nickte.

»Mach es jedes Mal so, wenn dein Papa mit Gästen feiert, Kleines, einverstanden?«

»Ja.« Und dann war sie geflohen. Zwar hatte sie nicht aufgehört, gelegentlich zu spionieren, allerdings hielt sich ihre heimliche Schwärmerei für den Namenlosen über vier Jahre. Danach hatte sie ihn vergessen. Bis heute.

Ein Duke. Ein berüchtigter Duke überdies, der nicht für seine Freundlichkeit bekannt war. Und trotzdem war er nach wie vor der schönste Mann, den sie je gesehen hatte.

Nun, sie hatte keine andere Wahl. Wenn sie ihr Ziel erreichen wollte, konnte sie die nächsten Wochen nicht nervös herumschleichen. Und waren ihre Pläne tatsächlich in Gefahr, musste sie es umgehend wissen. Also zwang Emma sich, aufzustehen und zu ihrem alten Beschützer zu gehen.

»Ah, die treulose Lady Denmore!«, donnerte Lord Matherton, womit er einer Dame irgendwo hinter Hart ein rauchiges Lachen entlockte.

Hart drehte sich zu ihr um und zog verwundert die Brauen hoch, als er sie musterte. Es kam nicht oft vor, dass man bei den Zusammenkünften der feinen Kreise ein neues Gesicht erblickte, und noch seltener das einer liebreizenden jungen Dame.

»Ich weiß beim besten Willen nicht, was Sie meinen, Sir.« Emma lachte. Ihre haselnussbraunen Augen blitzten, sahen kurz zu Hart und gleich wieder weg.

»Wie konnten Sie, Lady Denmore? Sie setzen Ihr Geld auf einen anderen Mann?«

Sie streckte eine behandschuhte Hand aus und berührte Mathertons Ärmel. »Ich bin zutiefst gekränkt, Mylord. Sie wissen doch, dass ich vollends auf Sie vertraue. Es war lediglich meine Absicht, Osbournes Stolz zu retten, denn ich war mir sicher, dass Sie ihn vernichtend schlagen.«

Matherton grunzte. »Sie, Madam, könnten in der Diplomatie Großes für unser Land leisten. Ihnen kommen die Worte so hübsch über die Lippen, dass es niemanden auch nur im Geringsten kümmert, ob sie wahr sind.«

Wieder lachte sie, und Hart fand Gefallen an dem Klang. Was für eine Schlafzimmerstimme, weich und voll. Sie passte nicht recht zu dem Rest von ihr, denn sie war auf eine zarte Art hübsch, keineswegs auf eine exotische.

»Lady Denmore, darf ich Ihnen den Duke of Somerhart vorstellen? Durchlaucht, diese bezaubernde Dame ist Baroness Denmore.«

Er beobachtete, wie sie einen Knicks machte, sodass sich ihr dunkelvioletter Rock ein wenig bauschte. Ihre haselnussbraunen Augen leuchteten auf, als er ihre Hand nahm.

»Lady Denmore, es ist mir ein Vergnügen. Und bitte nennen Sie mich nicht ›Durchlaucht‹. Somerhart genügt vollends.«

»Nutzen Sie Ihren Titel nicht, Sir?«, fragte sie neckisch.

»Oh, ich nutze ihn weidlich, sogar bis zu dem Grade, dass ich anderen vorschreibe, wie sie mich anreden.«

»Aha. Ein Mann, dem die eigene Macht zu Kopfe gestiegen ist.«

Hart grinste und sah, wie sich ihre vollen Lippen zu einem Lächeln bogen. Prompt fragte er sich, ob ihr Gemahl anwesend war. Falls nicht …

»Madam«, unterbrach Matherton sie, dessen Blick zur offenen Tür links schweifte, »ich glaube, mein Tisch wartet auf mich. Darf ich Sie in Somerharts Obhut lassen?«

»Gewiss. Allerdings werde ich mich bald zu Ihnen gesellen, um Ihnen Ihr Geld abzunehmen.«

Hart schmunzelte, als Matherton stöhnte. Er war froh, mit dieser reizvollen Frau allein zu sein. »Darf ich Sie zu Ihrem Gemahl eskortieren?«

»Oh, ich bin verwitwet, Somerhart. Die Dowager Baroness Denmore.«

Hart blinzelte, gleichermaßen schockiert von dieser Information wie von seinem Fauxpas. »Ich bitte um Verzeihung.« Diese blutjunge Frau war eine Witwe? Sie sah nicht älter aus als seine kleine Schwester. »Und mein Beileid zu Ihrem Verlust.« Im Geiste ging er die Geschichte der Denmore-Linie durch.

Baron Denmore. Er hatte den neunten Baron Denmore gekannt, einen schmierigen, perversen Trunkenbold, der vor Jahren gestorben war. Wer seinen Titel geerbt hatte, wusste Hart nicht. Niemand aus seinen Kreisen jedenfalls. Ein Diener kam vorbei, und Hart nahm zwei Gläser Champagner von dem Tablett.

»Sind Sie schon lange in London?«

Sie schürzte lächelnd ihre rosigen Lippen, als er ihr das Glas reichte. »Nein, noch nicht lange.«

»Und werden Sie uns über die Saison erhalten bleiben?«

Bei dem Wort »uns« merkte sie sichtlich überrascht auf. Sie begriff folglich, dass er mit ihr flirtete. Sehr gut. Er mochte keine allzu ungenierten Damen. Er war ein Mann subtiler Gesten und Taten, zumindest heutzutage.

»Eine Weile sicherlich«, antwortete sie murmelnd und hob das Glas an ihre Lippen.

Hart machte große Augen, als er zusah, wie diese zurückhaltende junge Dame ein ganzes Glas Champagner auf einen Zug leerte und ihm zurückgab.

»Danke, es hat mich gefreut.«

Mit diesen Worten drehte sie sich um und verschwand im Kartensalon. Zurück blieben eine zarte Zitrusnote und ein erstaunter Duke.

Kapitel 2

Das flackernde Gaslicht brachte die Kristalle in ihrem Haar zum Glitzern, als sie ihre Karten betrachtete. Hart sah ebenfalls hin. »Split«, murmelte sie und machte einen neuen Einsatz.

Sie war gut in dem Spiel – Vingt-et-un. Seit sie sich vor einer Viertelstunde an den Tisch gesetzt hatte, hatte sie ausnahmslos gewonnen, doch jetzt schien sie abgelenkt zu sein. Gelangweilt blickte sie die Spieler an dem runden Tisch an, während sie ihr Blatt spielte.

»Was wissen Sie über diese Lady Denmore?«, fragte Hart den Mann neben sich.

Lord Marsh lachte leise. »Ah, sie ist ein reizendes Ding, nicht? War ein Jahr mit einem alten Mann verheiratet, und jetzt ist sie frei, unterhaltsameren Interessen nachzugehen.«

»Einem alten Mann?«

»Ja, Baron Denmore muss mindestens siebzig Jahre alt gewesen sein, ein Einsiedler, und sie nicht älter als achtzehn, als sie heirateten. Sie wurde nie offiziell in die Gesellschaft eingeführt.«

Hart überlegte. »Und wer hat sie in London vorgestellt?«

»Ha-ha! Keiner! Sie traf im Oktober ein, glaubt man das? Und in Trauer. Die Mathertons waren quasi die Einzigen, die noch in der Stadt waren. Und natürlich die Osbournes. Sie haben die junge Witwe sozusagen unter ihre Fittiche genommen.«

Hart beobachtete, wie sie ihre Gewinne zusammenraffte und aufstand. Sie ging direkt zu dem runden Spieltisch, was bei den bereits spielenden Herren ein merkliches Zusammenzucken hervorrief.

»Sie ist eine begabte Spielerin, nehme ich an?«

»Hm. Dieser Feigling Brasher flieht schon vom Tisch. Gucken Sie sich an, wie die Herren vor ihr erzittern!«

Hart erlaubte sich ein kleines Schmunzeln. Die Herren waren fürwahr wenig erfreut, sie zu sehen. Lady Denmore hingegen gab sich vornehm guter Dinge. »Sie scheint mir eine Dame, die es genießt, Risiken einzugehen.«

»Oh ja.« Marsh grinste. »Und ich hoffe, es gilt auch für andere Gewohnheiten. Haben Sie sich mal diesen Mund richtig angesehen?«

Hart presste die Lippen zusammen. Er wusste um seinen Ruf bei den Damen, doch er war gleichzeitig dafür bekannt, Diskretion über alles zu schätzen. Es widerstrebte ihm, über Damen zu sprechen, als wären sie Freudenmädchen, die zur Versteigerung angeboten wurden. Schließlich wollte er selbst auch nicht als Zuchthengst auf einem Viehmarkt angesehen werden.

»Nun, mein Alter«, fuhr Marsh fort, der Harts Verärgerung nicht bemerkte, »ich denke, ich werde mich ins Spiel wagen. Vielleicht kann ich ihr einige Münzen abnehmen und anschließend zu einem anderen Handel wechseln.«

Lord Marsh näherte sich dem Tisch, und als Lady Denmore aufblickte, begegneten sich ihre und Harts Blicke. Ihre Augen weiteten sich, als wäre sie überrascht, ihn zu sehen. Was sonderbar war, bedachte man, dass er ihr in den Salon gefolgt war. Sie blinzelte seltsam nervös und sah verdrossen auf die Karten, die ihr ausgeteilt wurden.

So, wie sie auf ihn reagierte, sollte man beinahe meinen, sie würde ihn kennen. Vielleicht war es bloß sein Ruf, der sie nervös machte. Letztlich war sie eine junge Dame vom Land, ganz gleich, wie sehr ihre Stimme an zerwühlte Laken und schweißfeuchtes Haar erinnerte.

Ein siebzigjähriger Ehemann. Hart schüttelte den Kopf und löste sich von dem Bücherregal, an dem er gelehnt hatte. Lady Denmore nahm eine deutlich starrere Haltung an, als er auf dem Weg zur Tür ihren Tisch passierte. Dass sie seine Nähe so merklich wahrnahm, verlockte ihn, stehen zu bleiben und über ihre Schulter zu sehen … doch er ging weiter.

Sie war wohl auch ein bisschen zu jung für ihn. Andererseits bevorzugte er Witwen, und er war gegenwärtig frei. Sei’s drum. Wohlerzogene und wahrhaft unschuldige Damen versprachen selten aufregende Zweisamkeit, es sei denn, man wollte ihre Liebesschwüre als erregend bezeichnen. Für Hart waren sie es nicht, wenngleich er zugeben musste, dass er wenig Erfahrung mit unschuldigen Damen hatte. Man hörte eben dies und jenes.

Eilig ging er zum Ballsaal und ignorierte all die Menschen, die ihn auf sich aufmerksam machen wollten. Als Duke war man einem preisgekrönten Hengst schon recht ähnlich, und war man ein ungebundener Duke, erst recht. Er achtete darauf, keine angewiderte Miene zu ziehen, als er den Mann am Rand der Tanzfläche erblickte, zu dem er wollte.

»Osbourne«, begann er und stellte sich neben den älteren Gentleman.

»Ah, Somerhart! Unterwegs in die Stadt?«

»Ja. Lady Matherton war so freundlich, mir Unterkunft anzubieten, damit ich nicht gegen diesen verdammten Schnee ankämpfen muss.«

»Na, Gott sei Dank, dass bislang keine junge Brut eingetroffen ist. Andernfalls sähen Sie sich jetzt Unmengen geschäftiger Mütter ausgeliefert.«

»Sie sagen es. Übrigens machte ich die Bekanntschaft Ihrer Freundin, Lady Denmore.«

»Ach ja, wo ist Emma? Ich vermute mal, sie ist im Kartensalon.«

Emma. »Ja, und alle Herren ducken sich vor Angst.«

»Daran tun sie gut. Bei Gott, sie sorgt dafür, dass unsere Gesellschaften in diesem Winter ungleich lebhafter sind. Und sie hat mir das eine oder andere über Whist beigebracht, versichere ich Ihnen. Spielen Sie Brag? Verwetten Sie ja nicht Ihren Besitz bei einem Spiel mit ihr. Sie wird Ihnen mehr nehmen als nur Ihren Stolz.«

Hart lächelte, als der Mann herzlich lachte. »Mit ihrem verstorbenen Ehemann war ich nicht bekannt.«

»Mit dem Denmore war ich es auch nicht! Als ich ihn kannte, war er noch der schlichte alte Mr Jensen. Er hat nie damit gerechnet, den Titel zu erben, müssen Sie wissen. Wir haben vor langer Zeit gemeinsam die Stadt unsicher gemacht. Danach sah ich ihn lange nicht mehr, über« – Osbourne zuckte mit den Schultern – »muss wohl an die fünfzehn Jahre her sein.«

»Aha? Dann sind Sie Lady Denmore zuvor nie begegnet?«

»Nein, nein. Denmore wurde auf seine alten Tage ja komplett gartenverrückt. Er hatte weder Zeit für die Jagd noch für Bälle. Nicht mal mehr Briefe schrieb er.« Osbourne zog die buschigen Augenbrauen zusammen. »Mich wundert, dass er sich für ein junges Mädchen wie Emma interessierte, aber der Titel verpflichtet nun mal, nicht? Und sie müssen gut miteinander ausgekommen sein, denn sie kennt alle die alten Geschichten über mich – von denen mir bei mancher lieber wäre, sie wäre in Vergessenheit geraten.« Sein Kichern ging in ein Seufzen über. »Sie spricht mit großer Zuneigung von ihm.«

»Natürlich.«

Man musste ihm seine Zweifel angehört haben, denn Osbourne erwiderte mürrisch: »Ich würde sagen, dass sie ihn sogar besser kannte als ich, und sie hat lediglich ein Jahr in seinem Haus verbracht. Sie ist eine famose Dame und war ohne Frage eine famose Gemahlin. Ein bisschen wild im Glücksspiel, aber das ist auch alles. Ein feines Mädchen.«

»Es lag mir fern, Gegenteiliges zu behaupten. Sie scheint recht reizend.«

»Hm.«

»Wie geht es Ihrem Arm?«

»Das vermaledeite Ding schmerzt teuflisch, was ich mir indes nicht anmerken lassen darf. Lady Osbourne ist ohnehin schon verärgert.«

»Nun, Sie sind offensichtlich gut darin, ihren Zorn mittels Charme zu bändigen.« Osbourne grinste schelmisch. »Das bin ich, junger Mann. Teufel auch, das bin ich.«

Zum Erstaunen der anderen Spieler verließ Emma abrupt den Tisch. Immerhin hatte sie noch zwanzig Pfund im Topf. Aber lieber zwanzig drangeben als zweihundert, und die Gefahr bestand durchaus, denn ihre Gedanken schweiften beständig zu einem gewissen schwarzhaarigen Gentleman ab.

Nachdem sie sich auf dem Korridor umgeschaut und vergewissert hatte, dass er fort war, eilte sie ins Musikzimmer. Sie war nicht auf sein Erscheinen gefasst gewesen – nicht einmal annähernd. Nun wusste sie jedenfalls, warum sie ihn in jener Nacht für einen Engel gehalten hatte. Er verkörperte Schönheit, Macht und Mysterium. Die eisblauen, von schwarzen Wimpern umrahmten Augen, der sinnliche und doch so strenge Mund. Und er war groß, genau wie sie sich erinnerte, groß und unglaublich elegant.

Er hatte sie eindeutig nicht erkannt, also sollte sie erleichtert sein, nicht nervös. Aber er hatte mit ihr geflirtet, und sie spielte mit.

Dumm und unvernünftig wie eh und je. Dabei hatte sie geglaubt, sie hätte ihre Lektion gelernt.

Das Musikzimmer war voller Frauen, und Emma musste sich durch die Tür drängen. Doch die stickige Hitze drinnen wurde um einiges erträglicher, als sie den Namen hörte, auf den sie gehofft hatte.

Somerhart. Sie wollte dringend mehr über den Mann erfahren. Das Glück war ihr hold, denn zufällig schienen alle Damen ganz aufgeregt, dass er hier war.

Emma hatte schon von dem berühmten Duke gehört. Winterhart nannten sie ihn oder Hartless. Nur hatte Emma es nie beachtet, weil sie nicht ahnte, dass sie ihn kannte. Und jetzt … jetzt warfen die Dinge, die sie gehört hatte, einen Trauerschleier über ihre Kindheitsfantasie.

Ja, nach der kurzen Begegnung damals hatte sie ihn zu einem wahren Helden stilisiert. Zwar war er im Haus ihres Vaters gewesen, das berüchtigt war für seine fragwürdigen Gesellschaften, doch er hatte es gleich nach ihrer Begegnung verlassen. Emma hatte die Haushälterin ausgefragt und leider wenig erfahren – nur dass ein Mann Denmore noch in der Nacht nach einer Auseinandersetzung mit ihrem Vater verließ. Deshalb verzieh sie ihm, dass er dort gewesen war. Wahrscheinlich hatte er nicht geahnt, was für Menschen er antreffen würde, und hatte ihren Vater zur Rede gestellt, sowie er es gewahr wurde. Vielleicht hatte er sogar Gewalt angedroht, bevor er schockiert aufbrach.

Als sie es sich vor zehn Jahren ausmalte, hatte es nicht wie eine Fantasie angemutet. Vielmehr war sie damals überzeugt davon, dass es nur so gewesen sein konnte. Womöglich dachte er daran, wiederzukommen und nach ihr zu sehen, sie vor ihrem Leben zu retten.

Aber nein. Nein, natürlich nicht. Der Mann war hübsch, doch er war kein Engel und nie einer gewesen. So viel verriet ihr der Klatsch über ihn. Emma schnappte Satzfetzen auf, während sie durch die Menge schlenderte.

Und flüsternd wurden Geschichten aus seiner Vergangenheit ausgetauscht, die nicht zur Gegenwart passen wollten: dekadent und verrucht, schamlos und unersättlich, grausam und skrupellos.

Er war keine moralische Stütze der Gesellschaft, kein anständiger Gentleman. Anscheinend war er in seiner Jugend bei vielen skandalösen Zusammenkünften zugegen gewesen, auch wenn er heute vorsichtiger war. Er schwieg, was seine Vergnügungen betraf, ging ihnen jedoch immer noch nach. Der Duke war genauso ein Schurke wie ihr Vater, also warum hatte er sich die Mühe gemacht, ein kleines Mädchen zu schützen?

»Er muss derzeit sans Geliebte sein«, hörte Emma Lady Sherbourne tuscheln. »Er lässt sich nur blicken, wenn er eine neue Bettgespielin sucht.« Die Frau sprach abfällig und bemerkte offensichtlich nicht, dass die andere Dame aufmerkte. »Zweifelsohne missfiel ihm Caroline Whites Indiskretion. Sie wissen ja, warum ihm Indiskretion überaus zuwider ist.«

Die andere nickte nachdenklich, ehe sie Lady Sherbourne neugierig fragte: »Haben Sie die Briefe jemals gesehen?«

Emma beugte sich ein wenig vor, um die Antwort mitzuhören, konnte aber leider nur das Wort »schamlos« aufschnappen.

Suchte er nach einer Dame, die ihm sein herzögliches Bett wärmte? Er hatte mit Emma geflirtet und sie beobachtet. Hitze loderte in ihrem Bauch auf, wärmte ihr die Brust und machte sie leicht schwindlig.

Der Gedanke an sein Bett erregte sie, obwohl sie sich bemühte, nichts als Abscheu zu empfinden. Sie hasste es, dass Gefahr und Risiko eine solch verlockende Wirkung auf sie hatten. Es war das Erbe ihres Vaters, und gab sie dieser Regung nach, würde sie denselben Weg einschlagen wie er: stets dem nächsten Abenteuer, der nächsten Eroberung nachjagen, bis ihre Seele unter einem klebrigen Film von Ausschweifungen erstickte.

Nein, sie nahm das Erbe ihres Vaters nicht an. Sie würde nicht zur Hure der Abenteuerlust werden.

Entschlossen bahnte sie sich ihren Weg zurück durch das Gedränge und zum Kartensalon, ohne auf das Gerede über Somerhart und dessen skandalöse Schwester zu achten.

Sie durfte sich nicht ablenken lassen, denn ihr blieben nur noch wenige Wochen, ihre Arbeit zu beenden und die Stadt zu verlassen. Im Moment riskierte sie wenig. Die Osbournes hatten sie unerwartet freundlich aufgenommen, und ihre Zustimmung ebnete ihr den Weg in die feine Gesellschaft. Aber bald kam der Landadel wieder in die Stadt.

Jemand aus Cheshire könnte sie erkennen, und sobald die richtigen Fragen gestellt wurden, flog ihre Scharade auf.

Statt direkt in den Kartensalon zu gehen, blieb Emma abermals an dem Fenster stehen, von dem aus man in den Garten blickte. Sie betrachtete die stille Winterlandschaft und sagte sich, dass sie froh sein sollte, weil Somerhart sie nicht erkannte und er niemandes Engel war.

Ihre Täuschung konnte noch bis zum Saisonbeginn weitergehen. Danach würde sie sich mit ihren Gewinnen zurückziehen und nie wieder einen Fuß in diese unfreundliche Welt der vornehmen Gesellschaft setzen.

Vor allem war Emma besser dran, falls es stimmte, dass der Duke of Somerhart ein ebenso herzloser Schurke war wie ihr Vater. Ihr blieb noch ein einziger Traum, eine Fantasie, und die hatte nichts mit einem Mann zu tun, der zu ihrer Rettung herbeigeeilt kam.

Hart war von einer untypischen Vorfreude erfüllt, als er zum Frühstücksraum schritt. Für gewöhnlich schätzte er es nicht, in großer Gesellschaft zu speisen. Vielmehr nahm er sein Frühstück grundsätzlich allein in seinem Zimmer ein, wenn er in fremden Häusern zu Gast war. Heute Morgen jedoch wollte er unbedingt einen anderen Gast treffen, auch wenn die Chance eher gering war. Sie hatte sich gestern um Mitternacht zurückgezogen, noch bevor das Nachtmahl serviert wurde. Jetzt war es später Vormittag, beinahe elf Uhr, und sie war sicherlich schon vor Stunden aufgestanden.

Er warf einen kurzen Blick zu einer Fensterreihe links von ihm. Sonnenlicht strömte herein und ließ das Eis an den Fensterscheiben glitzern. Dort hatte er sie gestern Abend gesehen, die Fingerspitzen sehnsüchtig an das Glas gepresst. Der Anblick hatte ihn bezaubert, und fasziniert beobachtete er sie, statt sich ihr zu nähern. Dann war Lady Denmore auf das Fest zurückgekehrt. Als eine Gruppe anderer Gäste seinen Blick auf sie versperrte, war er ihr nicht nachgeeilt. Ihre Augen hatten ihn davon abgehalten, denn sie wirkten erschreckend distanziert. Er bezweifelte, dass sie ihn wahrgenommen hätte, selbst wenn er ihr nachgelaufen wäre.

Sie war die Treppe hinaufgeschwebt und hatte sich nicht wieder sehen lassen. Vielleicht war sie nur angetrunken gewesen, nicht einsam und verloren.

Hart schüttelte den Kopf bei der Erinnerung. Was für ein Unsinn! Der Kaffeeduft zerstreute seine Gedanken und führte ihn in den Frühstückssalon. An einem der Tische saßen Leute, mit denen Hart schon seit Jahren Belanglosigkeiten austauschte. Es waren Männer, die seinen Titel bewunderten oder ihn ihm neideten; Frauen, die seine Reputation verabscheuten oder sie aufregend fanden; Idioten, die seine skandalöse Schwester ignorieren würden, sollte sie unter ihnen sein. Fremde, Bekannte, falsche Freunde. Und keine Emma.

»Der Schnee schmilzt«, sagte ein Gentleman mit bauschigem Backenbart, als Hart sich neben ihn setzte.

»Admiral Hartford«, begrüßte er ihn.

»Da werden die Straßen furchtbar matschig sein. Wollen Sie heute weiter?«

Hart zuckte mit den Schultern und überlegte. London war nur eine halbe Stunde Ritt entfernt – bei schlechtem Wetter höchstens eine oder anderthalb Stunden. Mithin könnte er dieser unerwünschten Gesellschaft recht mühelos entfliehen. Eigenartig, dass er nicht gleich bei Sonnenaufgang davongestürmt war.

»Meine Gattin wird sich ärgern, dass sie nicht mitgekommen ist. Meine kleine Lizbeth wird in diesem Jahr in die Gesellschaft eingeführt, müssen Sie wissen. Ich nehme nicht an, dass Sie endlich auf Brautschau sind?« Der Admiral nickte, als Hart ihn entgeistert anstarrte. »Dachte ich mir. Na, man kann’s ja mal versuchen, nicht?«

»Kann man wohl. Doch ich bezweifle, dass ich der ideale Ehemann für Ihre kleine Lizbeth wäre, Admiral.«

Der Mann nickte, während sein schuldbewusstes Blinzeln deutlich machte, dass ein Duke ein noch so schlechter Gemahl sein durfte – die Familie der jungen Dame wäre trotzdem glücklich. Wie es dem Mädchen damit ging, war nicht von Bedeutung.

Hart trank seinen Kaffee aus, schob seinen Teller von sich, ohne etwas gegessen zu haben, und stand auf. Nachdem er der Runde einen guten Morgen gewünscht hatte, ergriff er die Flucht.

Er sollte verschwinden. Auf ihn wartete die herrliche Einsamkeit der Somerhart-Stadtresidenz, fernab von diesem närrischen Interesse an einem Mädchen, das zu jung war, um seine bevorzugte Art von Witwe zu sein. Nachdem das entschieden war, bog er in Richtung Treppe. Er würde abreisen. Sein Kammerdiener sollte packen, dann wären sie binnen einer Stunde weg. Oder, noch besser, er lieh sich ein Pferd von Matherton, und sein Diener folgte mit der Kutsche.

Ein dröhnendes Lachen drang durch eines der Fenster hinter ihm und ließ Hart auf der dritten Stufen stehen bleiben. Er wandte sich zu dem Erker um, in dem Lady Denmore letzte Nacht gestanden hatte. Erneut erklang Lachen, gefolgt von Rufen. Junge Kerle, ohne Frage, uninteressant für ihn. Doch es hörte sich an, als hätte sich draußen eine Menge versammelt, und Hart hatte Lady Denmore immer noch nicht entdeckt. Er weigerte sich, darüber nachzudenken, weshalb es ihm wichtig war, drehte sich um, trat zu dem Fenster und beugte sich so weit vor, dass er die Kälte fühlte, die durch das Glas hereindrang.

Die Sonne blendete ihn. Sie wurde so stark vom Schnee und Eis reflektiert, dass zunächst nur Schatten auszumachen waren, die nach und nach klarere Konturen annahmen. Hart entdeckte die Quelle des Gelächters, das gerade abermals anhob.

Mehrere Damen standen mit den jungen Männern zusammen. Hart blinzelte und kam sich überaus närrisch vor, weil er seine Stirn an die eiskalte Scheibe drückte. Die drei Frauen waren durch mehrere Schichten Wolle und Pelz gegen den beißenden Wind geschützt. Trotzdem erkannte man, dass eine zu klein war, um Lady Denmore zu sein, und bei einer anderen lugte blondes Haar unter dem blauen Umhang hervor. Die dritte indes … die könnte sie sein.

Die ganze Gruppe blickte, die Rücken ihm zugewandt, auf einen großen Teich am Ende des verschneiten Gartens. Am Ufer standen die jungen Männer, stupsten einander an und traten hier und da vorsichtig vor, um die Tragfähigkeit der Eisfläche zu prüfen, indem sie mit einem Fuß aufstampften.

Noch während Hart hinsah, wandte die dritte Frau den Kopf, lachte und verdrehte die Augen. Hart zuckte heftig zusammen. Es war Lady Denmore. Umhüllt von der Kapuze ihres schlichten schwarzen Umhangs, leuchtete ihr Gesicht.

»Hm.« Hart zog seine Uhr aus der Tasche und wog seinen Plan einer raschen Flucht gegen den Wunsch ab, sich von Emma zu verabschieden. Als er wieder zu ihr hinsah, hatte sie ihre Kapuze zurückgeschoben, und die Sonne ließ ihr Haar wie ein Herbstblatt schimmern.

Ein rasches Lebewohl also … falls er sie einholte. Sie war bereits unterwegs zum gegenüberliegenden Teichufer. Die Männer auf der anderen Seite schienen froh über ihr Kommen. Hart lief zum Eingang und suchte nach dem Diener, der ihm gestern Abend den Mantel abgenommen hatte.

»Lady Denmore!«

Emma lachte über die ernste Pose des gut aussehenden, jungen Mannes.

»Mr Cantry, Sie sollten mich wahrlich nicht als eine Matrone sehen, die Ihr Spiel stört. Ich wage zu behaupten, dass Sie zwei oder drei Jahre älter sind als ich, oder irre ich mich?«

»Ähm, das stimmt wohl.« Seine schlammgrünen Augen musterten sie, als könnte er durch den Umhang das blaue Kleid und sogar durch das Kleid hindurch ihre nackte Haut sehen. Sein Blick hellte sich auf. »Nein, Sie irren nicht.« Das Lächeln, das er ihr jetzt schenkte, bekundete mehr als einen Anflug von Interesse.

»Glauben Sie, dieser Teich ist fest genug zugefroren, dass man darauf gehen kann?«

»Ja, das glaube ich.« Cantry sah sich, hämisch grinsend, zu den anderen um. »Die Feiglinge wagen nicht, aufs Eis zu gehen.«

»Ach nein? Ich finde, es sieht recht fest aus.«

»Aber, Lady Denmore, sehen Sie doch, wie dunkel es in der Mitte ist«, beharrte Jones.

»Oh, das liegt gewiss nur an der Wassertiefe, dass es dort dunkler aussieht. Meinen Sie nicht auch, Mr Cantry?«

»Ja, ich stimme Ihnen zu.«

Emma lächelte den blonden jungen Mann an, sodass sich Grübchen auf ihren Wangen zeigten, die ihn vollends gefangennahmen. »Was sagen Sie, wollen wir diesen Herren zeigen, wie sehr sie sich irren? Ein Wettlauf vielleicht?«

»Ein Wettlauf?«

Sie grinste. Der letzte Herr, der älter als die anderen zu sein schien, überspielte sein Lachen mit einem Hüsteln. Dabei blitzten seine Augen, denn er durchschaute ihr Spiel. Emma nickte ihm verstohlen zu.

»Mein Bruder«, murmelte Cantry. »Viscount Lancaster.«

»Viscount. Welche Ehre.«

»Das Vergnügen ist ganz meinerseits, Madam, seien Sie’s versichert.« So wie er ihren Mund ansah, war es nicht gelogen. Männer waren fürwahr schlichte Geschöpfe.

»Nun, dann erteilen wir diesem Lord eine Lektion in Sachen Selbstgewissheit, was, Mr Cantry?«

»Oh ja«, raunte der jüngere Bruder.

»Und eine Wette, um es spannender zu machen? Wer als Letzter das andere Ufer erreicht, verliert … hm, sagen wir, fünfzig Pfund?«

»Ah … Lady Denmore, Sie meinen doch wohl nicht, dass ich gegen Sie laufen soll? Eine Dame?«

»Tja, Ihr Stolz ist nicht in Gefahr, Sir, denn ich schlug den Wettlauf vor. Ausgenommen natürlich, Sie fürchten, dass ich Sie besiege.«

Cantry konnte sich ein Lachen nicht verkneifen.

»Und Sie leisten eine gute Tat, indem Sie mich unterhalten.«

»Stimmt.« Offenbar freundete er sich mit der Idee an, denn sie sah, wie er verschlagen schmunzelte. »Selbstverständlich könnte ich Ihr Geld nicht annehmen. Aber falls Sie mir einen symbolischen Preis anbieten …«

»Aha, ein Kuss anstelle von fünfzig Pfund?« Sie schlug die Augen nieder und gab sich Mühe, schüchtern auszusehen. »Ein Kuss, na schön. Die Wette gilt, Mr Cantry. Ein Kuss, wenn Sie gewinnen, und fünfzig Pfund, falls ich siege.«

Der junge Mann war begeistert, denn er rechnete sich eine reelle Chance auf einen Kuss aus. Sein Bruder hingegen, der offenbar der Klügere von beiden war, schüttelte den Kopf angesichts Cantrys Leichtgläubigkeit. Derweil schien Jones sehr unglücklich.

»Es ist zu gefährlich«, warnte er.

»Stimmt«, pflichtete ihm Viscount Lancaster ernst bei.

»Unsinn, meine Herren. Ich bin ein Mädchen vom Land und mit derlei Gefahren wohlvertraut. Dieser Teich ist in der Mitte nicht mehr als vier Fuß tief, also keine Sorge.« Sie stieg das steile Ufer hinunter, ehe die anderen weiter protestieren konnten, als sie plötzlich eine starke Hand an ihrem Ellbogen fühlte und aufsah. »Danke, Lord Lancaster. Würden Sie meinen Umhang nehmen?«

»Gewiss doch.« Er beugte sich vor, um die Schleife zu lösen, und flüsterte ihr ins Ohr: »Vielleicht ist das keine so grandiose Idee. Ich hörte, dass Sie einer Wette nie abgeneigt sind, doch wenn das Eis bricht …«

»Ach was.« Emma ließ sich von ihm den Umhang abnehmen und bemühte sich, nicht vor Kälte zu zittern. Ehe er noch weitere Bedenken äußern konnte, erschien sein rotgesichtiger und siegesgewisser Bruder.

»Lady Denmore, soll ich Ihnen einen Vorsprung geben? Sagen wir, zehn Fuß?«

»Wohl kaum, Mr Cantry.«

Jones wurde überredet, das Rennen zu starten, und sie liefen los. Emmas Halbstiefel glitten gut über das Eis, doch Cantry war mit seinen langen Schritten bald schon voraus. Die große Gruppe beim Haus fing an, ihn auszubuhen, sodass Emma lachen musste, obwohl sie ein wenig außer Atem war.

Cantry hatte ein Drittel des Teichs überquert, bevor er langsamer wurde. Sogar gute fünf Meter hinter ihm konnte sie das Eis unter ihm bedrohlich ächzen hören. Sie glitt schneller dahin.

»Warten Sie!«, rief er, rührte sich so gut wie nicht mehr und hatte den Mund zu einem erschrocken »O« aufgerissen, als sie an ihm vorbeieilte. Er war stehen geblieben, weil er sich nicht weiter traute. Ein scharfes Knacken ertönte unter Emma. Nun wurde sie ebenfalls langsamer, glitt vorsichtiger weiter und hielt sich etwas mehr am Teichrand. Gleichzeitig versuchte sie, ihr Gewicht möglichst ausgewogen auf beide Beine zu verlagern.

Cantry musste sich gerührt oder einen weiteren Schritt gewagt haben, denn man hörte deutlich, wie sich eine Reihe neuer Risse bildete. Das erschreckte sogar Emma, sodass sie sich umblickte, ob Cantry eingebrochen war. Aber er stand noch sicher auf dem Eis – obgleich er nicht weiterkam –, und auf ihr Lächeln hin machte er große Augen.

»Laufen Sie nicht weiter«, rief er, als sie sich wieder nach vorn wandte und sich vorwärtsbewegte.

»Sie sind sehr viel größer als ich, Mr Cantry. Ich glaube, das Eis hält mein Gewicht aus.«

Sie hatte die Teichmitte passiert, und vor Erleichterung wurde sie ein wenig entspannter. Ihr nächster Schritt jedoch bewies, dass sie sich falsche Hoffnungen gemacht hatte. Unter ihrem linken Stiefel gab das Eis nach und zog ihr Bein in klirrend kaltes Wasser. Emma verlor den Halt und kippte nach vorn, sodass ihr rechtes Knie mit einem dumpfen Knall auf dem Eis aufschlug. Hinter ihr wurde wild gerufen.

Ein stechender Schmerz fuhr durch ihren Fuß und die Wade, und strahlte über ihr Knie bis in ihre Hüfte aus. Emma biss die Zähne zusammen, um all die Flüche zu unterdrücken, die ihr über die Lippen wollten, und wandte sich zum nächsten Rufenden um. Es war Lord Lancaster, der ein Dutzend Schritte entfernt stand, die Schuhe im tiefen Uferschnee vergraben.

»Bleiben Sie dort, Lord Lancaster. Das Eis würde Sie nicht tragen, und wenn Sie mich retten, bringen Sie mich um meinen Gewinn.«

»Zum Teufel mit der dämlichen Wette«, murmelte er, kam aber nicht näher, da er sofort einbrechen würde.

»Mir geht es gut«, log sie, verlagerte ihr Gewicht auf die Hände und strengte sich an, ihr gefühlloses Bein zu befreien.

»Was geht hier vor?«

Im ersten Moment erstarrte Emma, dann wandte sie sich zu der Stimme um. Der Duke of Somerhart näherte sich, ein deutliches Stirnrunzeln auf seinem auffallend schönen Gesicht. Emma stöhnte.

»Verdammter Mist«, flüsterte sie. Mit aller Kraft zog sie ihr Bein heraus. Zwar bekam sie es frei, doch bei der ruckartigen Bewegung fiel sie noch weiter nach vorn und schlug mit dem Gesicht auf dem nassen Eis auf. »Verdammt, verdammt, verdammt!«

Eis knackte und verschob sich unter ihr ähnlich einem wilden Tier, das aus seinem Schlummer erwachte. Sie konnte Somerhart nicht sehen, allerdings seinen derben Fluch rechts von sich hören. Vermutlich war er bei Lancaster.

»Worauf, zur Hölle, haben Sie sich eingelassen?«, knurrte er, als käme es ihm zu, sie zu schelten. Emmas Wut verlieh ihr die Kraft, sich auf alle viere aufzurichten.

»Halten Sie still. Ich komme.«

»Nein!«, rief sie und warf ihm einen zornigen Blick zu, ohne auf ihr wild pochendes Herz zu achten. »Ich will nicht aufgeben!«

Somerhart murmelte etwas, das selbst Lancaster zu schockieren schien.

»Ich erkenne Ihren Sieg an!«, rief Cantry hinter ihr.

Der Duke trat aufs Eis.

Emma rutschte behutsam auf das festere weiße Eis weiter vorn zu. Ein Knacken und Platschen verriet ihr, dass der Duke bereits eingebrochen war, und sie hatte Mühe, nicht schadenfroh zu grinsen, als sie sein Knurren hörte.

»Ich mag eine Frau sein, Gentlemen, aber ich besitze ein gewisses Maß an Ehrgefühl. Und ich gebe nicht auf, auch wenn ich nun weiß, dass das Eis zu dünn war, um Mr Cantry zu tragen.« Sie erreichte die festere Eisdecke und richtete sich auf. Dabei hoffte sie inständig, dass ihr kribbelndes Bein sie nicht im Stich lassen würde. Ein neuer Schmerz gesellte sich zu dem bisherigen, schärfer und beängstigender. Emma machte vorsichtig einen Schritt, dann noch einen. Innerhalb von zwei Minuten hatte sie das andere Ufer und die gaffenden Zuschauer dort erreicht.

Mehrere Hände klopften ihr anerkennend auf den Rücken; einzig die beiden anderen jungen Damen standen ein Stück weiter weg und beäugten sie missmutig. Sollen sie ruhig empört sein, sagte Emma sich. Ich bin fünfzig Pfund reicher. Ein plötzliches Verstummen machte sie auf die Ankunft der anderen Männer aufmerksam und verschaffte ihr Zeit, ein überzeugendes Lächeln zustande zu bringen.

»Durchlaucht«, murmelte sie, als er fast bei ihr war.

»Sind Sie verletzt?«

»Mir geht es gut, danke.«

»Lady Denmore«, unterbrach Lancaster, »Ihr Umhang.«

»Ich hätte nicht gedacht, dass Sie dies hier gutheißen, Lancaster.«

Der Viscount legte ihr den Umhang um und zog heimlich eine Grimasse wegen des Tadels. Sie hatte Mühe, nicht zu kichern, als sie seine belustigt funkelnden, braunen Augen sah. »Ich würde nicht von ›gutheißen‹ sprechen. Die Dame schien mir entschlossen.«

»Entschlossen«, knurrte Somerhart. »Entschlossen, sich für ein paar Pfund zum Narren zu machen.«

Lancaster trat beiseite, und Emmas Blick begegnete dem des Duke. Alle anderen verstummten und starrten Somerhart an.

Leider bemerkte Emma, dass sie errötete, doch sie rang sich ein Lächeln ab. Zugleich schien er sich seiner unmöglichen Äußerung gewahr zu werden und errötete seinerseits.

»Und wo ist mein Gewinn, Gentlemen?«

Cantry kam herbeigelaufen und gab ihr die Münzen. »Ich bewundere Ihre Courage, Madam«, sagte er mit einer Verneigung, auch wenn er sichtlich beschämt war.

Mit einiger Anstrengung brachte Emma ein freundliches Nicken zustande und drehte sich halb weg, um den funkelnden blauen Augen Somerharts zu entkommen. »Eine überaus unterhaltsame Zerstreuung, und das noch vor dem Mittagessen. Ich danke Ihnen, Mr Cantry, dass Sie meinen albernen Vorschlag annahmen. Es war mir ein Vergnügen, Sie kennenzulernen, Lord Lancaster.«

Somerhart trat näher und legte eine Hand an ihren Ellbogen. »Erlauben Sie, dass ich Sie nach drinnen begleite.«

Emma biss die Zähne zusammen. Ihre aufgesetzte Fröhlichkeit schwand, und sie konnte nicht umhin, streng zu seiner Hand zu blicken, die ihren Arm zu fest umklammerte. Sofort ließ er sie los. Ein Raunen ging durch die Gruppe der Zuschauer.

»Viscount? Ich glaube, meine Röcke sind ein bisschen nass. Würden Sie mich zum Haus geleiten?«

»Es ist mir eine Ehre«, sagte Lancaster und bot ihr seinen Arm an.

Hart erlebte, dass Lady Denmore ihn wieder einmal stehenließ – zum zweiten Mal innerhalb von zwei Tagen. Das erste Mal jedoch war es nicht mit ihrer Hand an Lancasters Arm gewesen. Und Hart hatte sie damals auch nicht vor einer Gruppe ihrer Bekannten beleidigt.

»Meiner Treu, Durchlaucht, die hat’s Ihnen heimgezahlt, was?«

Er wandte sich zu dem jungen Burschen um. »Wie bitte?«

»Ähm …« Der Junge guckte in den Schnee vor Harts Füßen. »Nichts, Sir.«

Hart sah, wie die jungen Männer Blicke wechselten und die Damen tuschelten. Na herrlich! Er hatte ihnen eine sensationelle Geschichte geliefert, die sie beim Mittagessen erzählen konnten. Und er war unabsichtlich schroff zu Emma gewesen. Sie hatte es gekonnt überspielt, doch ihr Erröten verriet, dass sie gekränkt war.

Letztlich hatte er mit seinem unmöglichen Betragen Lancaster in die Rolle des Helden geschubst – diesen charmanten, goldgelockten Mitgiftjäger.

Hart verbarg seinen Ärger und bedachte die jungen Burschen mit einem kalten, tadelnden Blick. Als er die Arme vor der Brust verschränkte, begriffen die jungen Leute und eilten zurück zum Haus. Die Damen waren bereits vorausgegangen, denn sie konnten es sicher nicht erwarten, sämtliche Einzelheiten über Lady Denmores unwürdiges Verhalten und Somerharts verächtliche Bemerkungen zu selbigem weiterzuerzählen. Hart stand in der Kälte und sah zu, wie sein Atem Wolken im hellen Sonnenlicht bildete.

Bei Gott, er hatte das Gefühl gehabt, ihm würde mit einer Axt auf den Kopf geschlagen, als er in den Garten kam und Lady Denmore wie eine Irrsinnige über den Teich flitzen sah. Und als sie hinfiel, als ihre Miene von Entschlossenheit zu Schmerz wechselte, hatte ihn ein solcher Zorn gepackt, dass er ins Stolpern geriet. Weshalb er sich überhaupt um diese tollkühne und verantwortungslose Dame sorgte, war ihm ein Rätsel.

Er schüttelte energisch den Kopf, um seine Gedanken zu bändigen, denn er wollte zurück zum Haus und schleunigst aufbrechen. Da wurde sein Blick auf etwas gelenkt … einen seltsamen Farbtupfer, der nicht hierher passen wollte. Er blinzelte und sah genauer auf den platt getretenen Schnee einen halben Meter vor ihm. Vier rote Flecken leuchteten im strahlenden Weiß, die zu einem hellen Rosa verblassten, während er hinschaute.

Blut. Kein Zweifel. Hart suchte den Boden ab und fand zwei weitere Tropfen auf dem Weg, den Lady Denmore zum Haus gegangen war. Sie war verletzt, hatte sich wahrscheinlich am Eis das Bein aufgeschnitten. Grundgütiger!

Hart betrat die Eingangsdiele und entdeckte Lancaster, der gerade ging. Ohne auf dessen Verärgerung zu achten, sprang er die Treppe hinauf und lief den Korridor mit den Gästezimmern hinunter. Als er an einer offenen Zimmertür vorbeikam, lugte er hinein und erschreckte ein junges Dienstmädchen.

»Wären Sie so freundlich, mir zu sagen, wo sich Lady Denmores Zimmer befindet?«

»Äh …« Sie blinzelte hektisch, zitternd vor Angst. »Zwei Türen weiter, Sir. Links.«

»Bringen Sie bitte heißes Wasser und Seife in ihr Zimmer.«

Das Mädchen machte einen ungelenken Knicks, während Hart weitereilte und an die entsprechende Tür klopfte.

»Herein«, rief sie, noch ehe er seine Hand wieder heruntergenommen hatte. Hart stieß die Tür auf. »Falls Sie …« Weiter kam er nicht, denn ihm stockte der Atem, als er ihr entblößtes Bein erblickte. Zwar schob sie eilig ihre Röcke nach unten, doch zuvor hatte Hart den Schnitt gesehen, der von der Mitte ihres Schienbeins bis zum Knie verlief.

Dann fiel sein Blick auf ihren rotgefleckten Stiefel und den zerrissenen Seidenstrumpf auf dem Fußboden. »Ein Mädchen bringt Wasser und Seife.«

»Was tun Sie hier?«, fragte sie verdrossen.

»Ich sah das Blut und wollte mich vergewissern, dass es Ihnen gut geht.« Unaufgefordert trat er ins Zimmer, schloss die Tür hinter sich und ging zu ihr. Er kniete sich neben sie.

Sogleich wich Lady Denmore zurück. »Es geht mir gut.«

»Ganz im Gegenteil. Der Schnitt sieht ziemlich übel aus.«

»Es ist bloß ein Kratzer. Und Ihre Meinung ist nicht von Belang.«

Beinahe hätte er gelacht. Er war sich sicher, dass noch nie jemand diese Worte zu ihm gesagt hatte – ausgenommen sein Vater natürlich, doch der war seit Langem tot. »Für mich sah es nach mehr als nach einem Kratzer aus. Womöglich muss es genäht werden.«

»Unwahrscheinlich. Bitte gehen Sie.«

Ihre scharfen Worte bewirkten tatsächlich, dass Hart ein Stück zurückwich. Sie sah ihn mit unverhohlener Verachtung an. »Ich bitte um Verzeihung für meine Worte vorhin, Lady Denmore.«

»Gut. Jetzt gehen Sie.«

»Ich war erschrocken, als ich Sie in Gefahr sah …«

»Ich weiß nicht, was Sie meinen, Durchlaucht. Wir kennen einander nicht, und ich hege nicht den geringsten Wunsch, als eine Ihrer zahllosen Affären bezeichnet zu werden, also verlassen Sie bitte mein Zimmer.«

»Verstehe.« Hart stand auf, angespornt von neuer Wut. »Es tut mir leid.«

»Tut es Ihnen leid, dass Sie sich nach meinem Befinden erkundigt haben? Oder weil ich Sie deshalb nicht gleich in mein Bett bitte?«

Ihre Schlussfolgerung machte ihn sprachlos. »Nein, ich …«, stammelte er und verstummte angesichts ihres spöttischen Schmunzelns. »Guten Tag, Lady Denmore.« Sie nickte nur kurz.

Hart starrte sie an. Sie saß kerzengerade auf ihrer Bettkante, eine Hand in die Überdecke, die andere in ihren Rock gekrallt. Die Fingerknöchel waren weiß. Und ihr Kinn bewegte sich kaum merklich, während sie die Zähne zusammenbiss.

Er seufzte. Sie mochte ihn empörend finden, doch die Wut, die sie so offen zeigte, hatte weniger mit ihm zu tun als mit den Schmerzen, die sie litt. Ein Türklopfen ersparte ihnen weitere Wortgefechte.