Verhaltensmedizin bei der Katze - Sabine Schroll - E-Book

Verhaltensmedizin bei der Katze E-Book

Sabine Schroll

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Beschreibung

Mit Katzen gelassen bleiben Hunde haben Herrchen - Katzen haben Diener. In diesem weit verbreiteten Scherz steckt viel Wahrheit und so muss die Katze von uns als spezieller Patient wahrgenommen und behandelt werden. Dieses kleintier.konkret-Praxisbuch nimmt sich daher der besonderen Bedürfnisse von Katzen an. - Reduzieren Sie den Stress Ihrer Patienten in den Praxisräumen und gehen Sie auch mit schwierigen Katzen souverän um. - Mit der speziellen Propädeutik und den detaillierten Leitsymptombeschreibungen finden Sie schon bald die Verbindung zwischen körperlichen Beschwerden und Verhaltensstörungen. - Die beschriebenen Verhaltenstherapien und die aufgeführte Psychopharmakologie bieten umfassende Lösungswege. NEU: Ein ganz eigenes Kapitel widmet sich der Ausstattung und den Arbeitsweisen in einer Katzenpraxis! Entspannen Sie sich und Ihre Patienten!

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Seitenzahl: 346

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Verhaltensmedizin bei der Katze

Leitsymptome, Diagnostik, Therapie und Prävention

Sabine Schroll, Joël Dehasse

3., aktualisierte und erweiterte Auflage

51 Abbildungen

Vorwort zur 3. Auflage

Die nunmehr dritte Auflage der Verhaltensmedizin der Katze ist um ein Kapitel über die Katzenpraxis und das Handling von Katzen sowie einige Erkenntnisse und Erfahrungen aus der Praxis erweitert worden. Bei der Arbeit in der reinen Katzenpraxis zeigt sich immer wieder, wie wichtig und ausgedehnt die Verbindung zwischen Allgemeinmedizin und Verhaltensmedizin bei der Katze ist. Viele der als Verhaltensstörung präsentierten Symptome wie Unsauberkeit, Alopezie, Textilien fressen oder Schwanzjagen sind oft auf körperliche Erkrankungen zurückzuführen und die genaue Analyse und Therapie dieser Verhaltenssymptome ist durchwegs tierärztliche Tätigkeit. Die Verhaltensmedizin bietet aber auch für die allgemeinmedizinische Behandlung von Katzen sehr viele Ansätze und Möglichkeiten – die Fragetechniken und Strategien der Verhaltenskonsultation helfen bei der Anamnese von oftmals wenig ausgeprägten Symptomen, die die Katze nur allzu oft zu Hause lässt, und das Grundwissen zur Ethologie der Katze ist die Basis für katzenfreundliches Handling. Und nicht zuletzt ist es für die Therapie einiger Erkrankungen von großem Vorteil, die Lebensbedingungen der Katze(n) zu optimieren, dem Besitzer bei der realistischen Umsetzung von Therapien zu helfen, weil Stress ein wichtiger Auslöser für Rezidive ist. Somit ist die Verhaltensmedizin der Katze kein exotisches Fachgebiet am Rande, sondern ein integraler Bestandteil in der Alltagspraxis für die Katze!

Sabine Schroll

Krems, Juni 2014

Vorwort zur 1. Auflage

Die Katze gewinnt als Patient in der Kleintierpraxis mehr und mehr Bedeutung. Damit werden dem Praktiker auch immer öfter Verhaltensprobleme und psychische Störungen präsentiert, die die Lebensqualität der Katze, die Mensch-Katze-Beziehung, aber auch die Beziehungen von Katzen untereinander beeinträchtigen.

Unser Ziel ist es, dem allgemeinmedizinisch tätigen Praktiker wie auch dem Spezialisten die Bausteine und das Werkzeug zu geben, mit denen er diese psychischen Probleme in seiner Praxis behandeln kann. Die Verhaltensmedizin liefert ein medizinisches Modell, das sich nicht nur mit der Physiologie und Pathologie von Verhaltensweisen, sondern auch mit den anderen Elementen der Psyche wie Stimmung, Emotionen, Kognition und Wahrnehmung beschäftigt. Die untrennbare Verbindung von physischer und psychischer Gesundheit, die sich immer wechselseitig beeinflusst, macht die verhaltensmedizinische Betreuung der Katze zur eindeutig tierärztlichen Aufgabe. Verhaltensstörungen sind somit auch keine Verlegenheitsdiagnosen, die erst nach Ausschluss aller organischen Erkrankungen gestellt werden können. Unser Modell für dieses tierärztliche Fachgebiet ist vor allem pragmatisch und lösungsorientiert. Wir liefern Bausteine, Werkzeuge und Pläne, die dem Tierarzt wie eine Landkarte einen Überblick verschaffen und das Verständnis erleichtern. All dies kann und wird aber erst durch die eigene individuelle Arbeit in der Praxis zur Realität werden!

Unseren herzlichen Dank an Frau Dr. Ulrike Arnold, die uns mit ihrer Begeisterung für dieses Buch immer wieder ermuntert hat. Auch die angenehme und anregende Zusammenarbeit mit Frau Sigrid Unterberg und Frau Dr. Christine Waage war uns eine große Hilfe.

Sabine Schroll und Dr. Joël Dehasse

Krems und Brüssel, Juli 2004

Abkürzungsverzeichnis

BZD 

Benzodiazepin(e)

DSM 

Diagnostisches und statistisches Manual psychischer Störungen

FeLV 

Felines Leukämie-Virus

FIC 

Feline Interstitielle Zystitis

FIP 

Feline Infektiöse Peritonitis

FIV 

Feline Immunodefiency Virus

FLUTD 

Feline Lower Urinary Tract Disease

HCMP 

Hypertrophe Kardiomyopathie

MAOI-B 

Monoaminooxidase-B-Hemmer

OCSD 

Obsessiv-kompulsives Störungsspektrum

P+/P– 

positive oder negative Strafe (Punishment)

R+/R– 

positive oder negative Verstärkung (Reward)

SSRI 

Selektiver Serotonin-Wiederaufnahme-Hemmer

TCA 

Trizyklische Antidepressiva

ZNS 

Zentralnervensystem

gleichbleibend

↑ 

vermehrt

↓ 

vermindert

zyklisch, wechselnd

Frequenz

männlich

mk 

männlich kastriert

weiblich

wk 

weiblich kastriert

3D 

dreidimensional

kein/e/r

kursive Schrift 

mündliche Rede im Interview mit dem Besitzer

Inhaltsverzeichnis

Vorwort zur 3. Auflage

Vorwort zur 1. Auflage

Abkürzungsverzeichnis

1 Verhaltensmedizinische Konsultation

1.1 Allgemeines

1.2 Rahmenbedingungen

1.3 Wohnungsplan oder Hausbesuch

1.4 Handling von Katzen in der Praxis

1.4.1 Geduld und Zeit

1.4.2 Fixation von Katzen

1.4.3 Medikation schwieriger Katzen

1.5 Struktur der Konsultation

1.6 Motiv, Auslöser, Auftrag und Erwartung

1.7 Ressourcen, Lösungsansätze und Motivation

1.8 Therapeutische Strategie

2 Verhaltensmedizinische Propädeutik

2.1 Allgemeines

2.2 Wann ist ein Verhalten pathologisch?

2.3 Psychobiologische Elemente

2.4 Bewertung von Symptomen

2.4.1 Verhaltenssequenz

2.4.2 Körperhaltung und Mimik

2.4.3 Kontext und Umstände, Konsequenzen

2.4.4 Frequenz, Dauer und Intensität

2.4.5 Evolution und Dynamik des Symptoms

3 Spezielle Propädeutik

3.1 Allgemeines

3.2 Entwicklung

3.3 Fressverhalten

3.4 Trinkverhalten

3.5 Jagdverhalten

3.6 Aggression

3.6.1 Definitionen

3.6.2 Spielaggression

3.6.3 Kompetitiv-soziale Aggression

3.6.4 Defensive Aggression

3.7 Elimination

3.8 Schlaf- und Ruheverhalten

3.9 Putzverhalten

3.10 Kommunikation

3.10.1 Körpersprache

3.10.2 Vokalisieren

3.11 Markierverhalten

3.11.1 Harnmarkieren

3.11.2 Kratzmarkieren

3.11.3 Gesichtsmarkieren

3.11.4 Allomarkieren

3.12 Exploration

3.13 Stimmung

3.14 Kognition

3.15 Emotionen

3.16 Neurovegetative Symptome

3.17 Soziale Beziehungen

3.18 Ökosoziales System

4 Der verhaltensmedizinische Untersuchungsgang

4.1 Allgemeines

5 Leitsymptome und lösungsorientiertes Vorgehen in der Praxis

5.1 Allgemeines

5.2 Diagnostisches Grundgerüst

5.3 Harn und/oder Kot außerhalb des Katzenklos

5.3.1 Unsauberkeit

5.3.2 Harnmarkieren

5.4 Angst

5.4.1 Phobie oder Angstzustand?

5.4.2 Phobie

5.4.3 Angstzustand

5.5 Psychogene Alopezie

5.5.1 Organische Differenzialdiagnosen abklären

5.5.2 Genaue Beschreibung des Symptoms

5.5.3 Ökosoziales System verändert?

5.5.4 Respekt für die ethologischen Bedürfnisse der Katze?

5.5.5 Weitere Verhaltenssymptome?

5.5.6 Mögliche Diagnosen

5.5.7 Therapeutische Strategien

5.6 Kratzmarkieren

5.6.1 Genaue Beschreibung des Symptoms

5.6.2 Ökosoziales System verändert?

5.6.3 Respekt für die ethologischen Bedürfnisse der Katze?

5.6.4 Welche bisherigen Maßnahmen?

5.6.5 Weitere Verhaltenssymptome?

5.6.6 Mögliche Diagnosen

5.6.7 Therapeutische Strategien

5.7 Vokalisieren

5.7.1 Organische Differenzialdiagnosen abklären

5.7.2 Genaue Beschreibung des Symptoms

5.7.3 Reaktionen des Besitzers und Konsequenzen?

5.7.4 Welche bisherigen Maßnahmen?

5.7.5 Weitere Verhaltenssymptome?

5.7.6 Mögliche Diagnosen

5.7.7 Therapeutische Strategien

5.8 Textilien und andere unverdauliche Substanzen fressen (Pica)

5.8.1 Welches Material wird gefressen?

5.8.2 Genaue Beschreibung des Symptoms

5.8.3 Welche bisherigen Maßnahmen?

5.8.4 Entwicklung und Genetik der Katze

5.8.5 Weitere Verhaltenssymptome?

5.8.6 Mögliche Diagnosen

5.8.7 Therapeutische Strategien

5.9 Schwanzjagen oder -beißen, Kreislaufen

5.9.1 Organische Differenzialdiagnosen abklären

5.9.2 Sofortmaßnahmen

5.9.3 Genaue Beschreibung des Symptoms

5.9.4 Weitere Verhaltenssymptome?

5.9.5 Mögliche Diagnosen

5.9.6 Therapeutische Strategien

5.10 Aggression

5.10.1 Aggressives Verhalten gegen Menschen

5.10.2 Aggressives Verhalten gegen Katzen

5.11 Probleme im Mehrkatzen-Haushalt

5.11.1 Wie lange besteht das Problem?

5.11.2 Genaue Beschreibung der Symptome

5.11.3 Verhalten in der Konsultation

5.11.4 Respekt für die ethologischen Bedürfnisse der Katzen?

5.11.5 Soziale Beziehungen der Katzen analysieren

5.11.6 Ökosoziales System

5.11.7 Organische Differenzialdiagnosen

5.11.8 Mögliche Diagnosen

5.11.9 Therapeutische Strategien

5.12 Hyperaktivität

5.12.1 Alter der Katze?

5.12.2 Organische Differenzialdiagnosen abklären

5.12.3 Genaue Beschreibung des Symptoms

5.12.4 Schlafverhalten

5.12.5 Reaktion der Katze auf Fixation?

5.12.6 Respekt für die ethologischen Bedürfnisse der Katze?

5.12.7 Entwicklung der Katze

5.12.8 Weitere Verhaltenssymptome?

5.12.9 Mögliche Diagnosen

5.12.10 Therapeutische Strategien

5.13 Depression

5.13.1 Organische Differenzialdiagnosen abklären

5.13.2 Genaue Beschreibung des Symptoms

5.13.3 Ökosoziales System verändert?

5.13.4 Weitere Verhaltenssymptome

5.13.5 Mögliche Diagnosen

5.13.6 Therapeutische Strategien

6 Psychopharmakologie

6.1 Allgemeines

6.2 Psychopharmaka – ja oder nein?

6.3 Neurotransmission

6.4 Auswahl von Psychopharmaka

6.5 Einteilung von Psychopharmaka

6.6 Beschreibung der wichtigsten Gruppen

6.6.1 Benzodiazepine

6.6.2 Azapirone

6.6.3 Trizyklische Antidepressiva

6.6.4 Selektive Serotonin-Wiederaufnahme-Hemmer

6.6.5 Tetrazyklische Antidepressiva

6.6.6 Monoaminooxidase-Hemmer

6.6.7 Weitere psychotrope Medikamente

6.7 Dauer und Ende der medikamentösen Therapie

6.8 Transdermale Applikation

6.9 Entscheidungshilfen

7 Die therapeutische Toolbox

7.1 Allgemeines

7.2 Pheromontherapie

7.2.1 Allgemeines

7.2.2 Therapeutischer Einsatz

7.2.3 Grenzen der Pheromontherapie

7.2.4 F3-Analog Feliway®

7.2.5 F4-Analog Felifriend®

7.3 Ökoethologische Therapien

7.3.1 Elimination und Harnmarkieren

7.3.2 Fütterungsmanagement

7.3.3 Kratzmarkieren

7.3.4 Weitere ökoethologische Therapien

7.3.5 Raumrestriktion

7.4 Kognitive Therapie und ethologisches Reframing

7.4.1 Kognitive Therapien für den Besitzer

7.4.2 Kognitive Therapie für die Katze

7.5 Verhaltenstherapien

7.5.1 Allgemeines

7.5.2 Gezielte Habituation

7.5.3 Kontrollierte Reizüberflutung

7.5.4 Systematische Desensibilisierung

7.5.5 Gegenkonditionierung

7.5.6 Clickertraining

7.5.7 Extinktion

7.5.8 Strafe

7.5.9 Lernen durch Beobachtung

7.6 Spieltherapie

7.6.1 Individuelles, Objekt- oder Jagdspiel

7.6.2 Futterspiele

7.6.3 Soziales Spiel

7.6.4 Spezielle Situationen zur Anwendung von Spieltherapie

7.7 Chirurgische Maßnahmen

7.8 Komplementäre und sonstige Therapien

7.8.1 Homöopathie

7.8.2 Bachblüten

7.8.3 Traditionelle Chinesische Medizin

7.8.4 TellingtonTTouch® und Massage

7.8.5 Weitere Methoden

7.9 Sonstige Maßnahmen

7.9.1 Soft Paws®

7.9.2 Ausschneiden der Haare an den Pfoten

7.9.3 Spröde Pfotenballen einschmieren

7.9.4 Glöckchen oder Klangkugeln

7.9.5 Nahrungszusätze

7.10 Platzwechsel

7.11 Euthanasie

8 Diagnostische Kriterien der wichtigsten psychischen Störungen

8.1 Allgemeines

8.2 Entwicklungsbedingte Störungen

8.2.1 Hyperaktivitätsstörung

8.2.2 Deprivationssyndrom

8.3 Angststörungen

8.3.1 Einfache Phobie

8.3.2 Multiple Phobien

8.3.3 Generalisierte Angststörung

8.3.4 Angststörung aufgrund von Deritualisation (Katze)

8.3.5 Angststörung aufgrund restriktiver Lebensbedingungen

8.3.6 Angststörung bei zusammenlebenden Katzen

8.4 Affektive Störungen

8.4.1 Akutes posttraumatisches Stress-Syndrom

8.4.2 Depressive Störung

8.4.3 Unipolare Störung

8.4.4 Feline Hyperästhesie

8.5 Repetitive Verhaltensweisen

8.5.1 Diagnostische Kriterien

8.5.2 Ätiologie

8.5.3 Evolution

8.6 Kognitive Störungen

8.6.1 Kognitive Dysfunktion

8.7 Persönlichkeitsstörungen

8.7.1 Abhängige Persönlichkeitsstörung

8.7.2 Dyssoziale Persönlichkeitsstörung

8.7.3 Impulsive Persönlichkeitsstörung

9 Prävention von Verhaltensstörungen

9.1 Allgemeines

9.2 Auswahl einer Katze

9.3 Auswahl einer Zweitkatze

9.4 Verlust einer Partnerkatze

9.5 Aneinandergewöhnen von Katzen

9.6 Beschäftigung, Erziehung und Wohnungsgestaltung für Katzen

9.7 Rückkehr nach Tierarztbesuch, Narkose oder Hospitalisierung

10 Die Katzenpraxis

10.1 Allgemeines

10.2 Ethologie ist Teil der Propädeutik

10.2.1 Beobachten des Fressverhaltens

10.2.2 Beobachten des allgemeinen Verhaltens

10.3 Katzenfreundliche Praxisgestaltung

10.3.1 Räumliche Gestaltung

10.3.2 Unterweisung des Besitzers

10.4 Eckpunkte der Katzenpraxis

Lexikon

Referenzen und weiterführende Literatur

Anschriften

Sachverzeichnis

Impressum

1 Verhaltensmedizinische Konsultation

1.1 Allgemeines

Eine verhaltensmedizinische Konsultation kann den praktischen Tierarzt anfänglich vor einige Schwierigkeiten stellen:

Der Tierbesitzer fragt nach Abschluss einer allgemeinmedizinischen Untersuchung und nach deren Bezahlung noch im Hinausgehen nach einem ganz schnellen Rat für seine unsaubere Katze.

Eine verhaltensmedizinische Konsultation ist zeitaufwendig.

Es gibt praktisch keine manuellen Tätigkeiten, die der Tierbesitzer (und eventuell auch der Tierarzt) als Leistung erkennt, da die tierärztliche Leistung während der Konsultation hauptsächlich aus Kommunikation und intellektueller Analyse besteht – Eigentlich haben wir ja nur geredet ...

Es gibt nur wenig Literatur darüber, wie aus einer Unterhaltung über ein Verhaltensproblem eine strukturierte veterinärmedizinische Leistung wird, die als solche anerkannt und auch entsprechend honoriert wird.

Mit definierten Rahmenbedingungen für die Konsultation und einem strukturierten verhaltensmedizinischen Untersuchungsgang sind diese Schwierigkeiten relativ leicht zu überwinden.

Es ist im Allgemeinen günstiger, verhaltensmedizinische Konsultationen außerhalb der üblichen Sprechzeiten durchzuführen. Für Tierbesitzer ist es schon selbstverständlich, einen gesonderten OP-Termin für chirurgische Eingriffe an ihrem Tier zu erhalten. Dieser Vergleich kann ohne Weiteres auf die spezielle Leistung „Verhaltensmedizinische Konsultation“ angewendet werden.

1.2 Rahmenbedingungen

Da sowohl Zeit und Energie des Tierarztes wie auch die Auffassungsgabe des Besitzers limitiert sind, ist es sinnvoll, die Konsultation nach festen Regeln, auf die wesentlichen Informationen konzentriert und kurz zu gestalten.

Praxis

Rahmenbedingungen der Konsultation:

Ort

Zeit

Dauer

Honorar

Abstände und Frequenz von Evaluationsterminen

Ende der Behandlung

Ort, Zeitpunkt und vor allem Dauer sowie der finanzielle Rahmen sollten dem Besitzer bereits bei der Terminvereinbarung und vor der eigentlichen Konsultation bekannt sein.Weitere Rahmenbedingungen sind die voraussichtliche Dauer der Behandlung, Möglichkeiten der Kontaktaufnahme mit dem Tierarzt, die Anzahl beziehungsweise Frequenz von Evaluationsterminen und ein Übereinkommen, wann und wie die Behandlung endet.Diese Rahmenbedingungen gibt der Tierarzt nach seinen persönlichen Erfahrungen, Vorlieben und Möglichkeiten vor.In der Praxis der Autoren haben sich verhaltensmedizinische Erstkonsultationen von maximal 1 Stunde bewährt. Folgekonsultationen im monatlichen Abstand dauern eine halbe ½ Stunde bis 1 Stunde. Honorare werden nach Zeitaufwand berechnet und betragen in der jeweiligen Praxis der Autoren derzeit 100 beziehungsweise 110 Euro pro Stunde.

Können Sie mir vielleicht einen kleinen Rat geben ...Mit dem Angebot eines Termins für eine Konsultation und der Information zum Honorar hat sich diese Anfrage zwischen Tür und Angel in der Regel bereits erledigt. Um Enttäuschungen vorzubeugen: Nur rund 10 % der Tierbesitzer werden dieses Angebot annehmen. Bereits vereinbarte Termine werden oft wieder abgesagt oder nicht eingehalten.Mit zunehmender Erfahrung können einfache und kurze Verhaltenskonsultationen auch an eine allgemeinmedizinische Untersuchung angehängt werden. Es empfiehlt sich aber, diese dem Tierbesitzer, am besten direkt, als neue und weitere Leistung – verhaltensmedizinische Beratung – erkennbar zu machen.

Und wissen Sie, meine vorige Katze, der Leo, hatte da auch immer so eine Angewohnheit – das muss ich Ihnen noch erzählen ...Mit dem Hinweis auf die zur Verfügung stehende begrenzte Konsultationszeit von einer halben Stunde oder Stunde und, wenn nötig, das Honorar dafür kann auch dieser Redefluss eingedämmt und zielführende Arbeit möglich werden.

Merke

Zeit- und energieraubende, frustrierende und desorganisierte Konsultationen werden mit klaren Rahmenbedingungen verhindert.

1.3 Wohnungsplan oder Hausbesuch

Hausbesuche werden manchmal als unverzichtbarer Bestandteil der verhaltensmedizinischen Konsultation für Katzen angesehen. Dem stehen allerdings der Zeitaufwand für den Tierarzt und der für den Besitzer damit verbundene finanzielle Aufwand gegenüber. Es stellt sich auch die Frage, ob der erwartete Informationsgewinn diesen erhöhten Aufwand wert ist.

Bei Hausbesuchen kann man zwar die Lebensverhältnisse der Katze aus eigener Anschauung beurteilen, aber es fehlt im Grunde die richtige Übersicht und Struktur. Der Mensch ist zudem ein Augentier und die automatische optische Ablenkung in fremden Wohnungen auf für die Konsultation völlig unwesentliche Dinge wie die Reader’s Digest Auswahlbände im Wohnzimmerverbau, die unansehnliche Farbe des Teppichbodens oder das Lametta vom letzten Weihnachtsfest hinter dem Sofa ist groß. Das Risiko, dass der Besitzer bei einem Hausbesuch die Gesprächsführung übernimmt oder die Konsultation zu einem gemütlichen Plausch bei Kaffee umgestaltet, ist gegeben.

Das Wohlbefinden des Tierarztes hat für eine gute Konsultation oberste Priorität, und in den eigenen vertrauten Räumen ist das viel sicherer gewährleistet.

Ein freundlich eingerichteter Raum in der Praxis (z.B. kann ein Wartezimmer außerhalb der Praxiszeiten als Konsultationsraum dienen) schafft eine gemütliche Atmosphäre für Tier und Besitzer, der Tierarzt bleibt in seiner vertrauten und fachlichen Umgebung (▶ Abb. 1.1).

Abb. 1.1 Konsultationsraum.

Die Arbeit mit dem Wohnungsplan (▶ Abb. 1.2) hat sich in der Praxis als sehr gute Alternative erwiesen und kann den Hausbesuch durchaus ersetzen. In diesen Plan können während der Konsultation laufend alle Informationen in verschiedenen Farben, mit Zahlen auch hierarchisiert, eingezeichnet werden.

Die Informationen sind auf die für die Katze wesentlichen Strukturen reduziert und es ist ganz leicht, die Übersicht zu behalten. Die fehlenden Informationen zur dritten Dimension sind nur selten ein wirkliches Problem, dem mit Fotos oder Videos begegnet werden kann. Auch Verhaltensweisen, bei denen es unwahrscheinlich ist, dass sie die Katze(n) während der begrenzten Konsultationszeit zeigen werden, können sehr gut mit Videoaufnahmen dokumentiert werden.

Praxis

Wesentliche Strukturen im Wohnungsplan:

Futterplatz

Trinkplatz

Tabuzonen (relative, absolute)

Schlafplätze

Ruheplätze

Verstecke

Aussichtsplätze

Katzentoilette(n)

Kratzstelle(n)

Klettermöglichkeit(en)

Unsauberkeit: mit Zahlen kann die zeitliche Evolution dargestellt werden

Harnmarkierungen: mit Zahlen kann die zeitliche Evolution dargestellt werden

Orte, an denen häufig Aggression gezeigt wird

Nach der Diagnostik können anhand dieses Plans mit dem Besitzer am Ende der Konsultation auch Veränderungen und Maßnahmen für Management und Therapien erarbeitet werden.

1.4 Handling von Katzen in der Praxis

Es ist erstaunlich, wie viele Katzen ausgesprochen kooperativ bleiben, wenn sie – aus Katzensicht –freundlich und höflich behandelt werden. An sich eine Selbstverständlichkeit fällt dieser Vorsatz schnell den Missverständnissen zwischen Tierarzt und Katze zum Opfer und einer beginnenden Unkooperativität der Katze wird vorbeugend durch mehr Zwang begegnet.

Jede Katze hat ihre eigene Toleranzgrenze, bis zu der sie Manipulation recht gut toleriert, ab diesem Zeitpunkt beginnt sie – unter Umständen auch ganz plötzlich – mit mehr oder weniger heftiger Gegenwehr. Im Rahmen einer Untersuchung ist es also sehr sinnvoll, diese Toleranzgrenze durch freundlichen Umgang und flexible Planung erst gar nicht zu erreichen oder zumindest sehr weit hinauszuschieben.

Wichtig: Zum Aufbrauchen der Toleranz können alle Reize beitragen, die auf die Katze auch schon zu Hause vor dem Tierarztbesuch und während des Transports einwirken! Dazu gehören alle Berührungen (oft auch vermeintlich beruhigendes Streicheln, Fixation) ebenso wie alle Geräusche (Anreden, Hundegebell, fremde Stimmen, Einmalverpackungen, Instrumente, Schermaschine, Telefon), Gerüche (Alkohol, Hunde, Desinfektionsmittel, Analbeutelsekret), grelles Licht, Hektik im Raum und alle Bewegungen von der Katze weg und wieder zu ihr hin.

Die Adspektion in der Ruhe und Bewegung sollte – wann immer die Möglichkeit besteht – der erste Teil des Untersuchungsgangs sein, weil das weitere Vorgehen von den hierbei gewonnenen Informationen nicht unerheblich beeinflusst wird. Alleine die Art und Weise, wie sich eine Katze im Behandlungsraum bewegt, exploriert oder einfach nur liegen bleibt, liefert wertvolle Informationen zu ihrem Befinden, die bei unmittelbarer und direkter Kontaktaufnahme unter Umständen verschwinden oder verfälscht werden.

Der Stress durch den Transport und die sofortige weitere Manipulation oder Fixation verändert zahlreiche Parameter wie Atem- und Herzfrequenz, Blutdruck, Blutglukosewerte, aber auch die Art, wie sich die Katze bewegt oder atmet, sodass eine eindeutige Beurteilung erschwert wird.

Die Zeit des Wartens und Beobachtens kann gleichzeitig zum umfassenden Anamnese- und Beratungsgespräch und zur Planung des weiteren Vorgehens genutzt werden. Schon bevor die Katze auf dem Untersuchungstisch sitzt und überhaupt berührt wird, ist auf diese Weise vieles bekannt, allfällige Symptome oder Hinweise auf Gesundheitsprobleme genauer erfragt und ein gedanklicher Plan erstellt, in welcher Reihenfolge was zu untersuchen ist. Außerdem wird offensichtlicher, in welche Richtung die Persönlichkeit der Katze einzuschätzen ist – ob sie ängstlich und vermutlich bereit zur Gegenwehr sein wird, aufgeschlossen und kontaktfreudig durch den Raum geht, selbstbewusst weiß, bis wohin sie kooperativ bleibt, oder vor Angst erstarrt beinahe alles erträgt und sich möglichst klein zusammenkauert. Dieser erste Teil der Untersuchung ist auch eine allgemein vertrauensbildende Maßnahme für den Patienten Katze, in dem einer direkten Kontaktaufnahme eine Phase des indirekten Kennenlernens vorangeht, wie sie im Ethogramm der Katze typisch ist.

Verlässt die Katze ihre Transportbox nicht selbstständig, ist es günstiger, die obere Hälfte – leise! – zu entfernen und die Katze vorerst im Unterteil zu transportieren oder soweit möglich auch darin zu untersuchen. Für unsichere Katzen ist dies ihre letzte vertraute Verbindung zum Heim, selbst wenn sie die Box eigentlich nicht mögen – in der Fremde wird sie zur sicheren Bastion.

Ganz allgemein kann es von Vorteil sein, die Allgemeinuntersuchung zunächst an dem Platz zu beginnen, wo sich die Katze wohlfühlt, auch wenn es auf dem Schoß des Besitzers, auf der Fensterbank oder auf dem Boden ist. Intimere, unerwünschte und unangenehme bis schmerzhafte Manipulationen sollten auf jeden Fall nicht am Beginn einer Untersuchung stehen, weil die Toleranzschwelle damit zu schnell überschritten ist. Etwas invasivere Maßnahmen werden hingegen oft toleriert, wenn man sich durch höfliches Herantasten schon eine gewisse Vertrauensbasis mit der Katze geschaffen hat.

Bei vielen Katzen kann es helfen, zwischen den verschiedenen Untersuchungsblöcken kleinere Entspannungsphasen einzubauen, in denen sich die Katze wieder frei bewegen darf – Neugier befriedigen kann eine gute Alternative zur Futterbelohnung und entspannend sein. Für andere Katzen hingegen ist es besser, alle Maßnahmen zügig und ohne Pause durchzuziehen, weil sie sich auch durch mehr Freiraum nicht entspannen, sondern sich durch die alleinige Anwesenheit und die Zeit in der Praxis ihrer Toleranzschwelle nähern.

Direktes Ansehen der Katze während der Untersuchung kann durch gelegentliches Zwinkern und seitliches Kopfdrehen unterbrochen werden und signalisiert ihr, dass das genaue Betrachten keine Bedrohung darstellen soll. In einem ähnlichen Sinne hilft die Positionierung der Katze mit dem Kopf vom Untersucher weg ihre persönliche Distanz zu respektieren und die Betrachtung der Kopfschleimhäute, Zähne und Ohren ist mit einiger Übung von hinten oder der Seite leicht möglich. Die Palpation des Abdomens wird meist gut toleriert, wenn der Druck zunächst flächig ausgeübt wird und der Unterarm auf der Gegenseite zum breiten Widerlager wird. Gegen ununterbrochenes Schnurren, das die Auskultation behindert, hilft oft das Aufdrehen des Wasserhahns; nötigenfalls kann für einen kurzen Moment die Nase zugehalten oder sanfter Druck auf den Larynx ausgeübt werden.

Bei Lageveränderungen oder bestimmten Positionen ist es oft leichter, die Katze in kleinen Schritten an das Endziel zu heranzuführen und ihr dazwischen jeweils einige Momente der Wahrnehmung zu gestatten, dass nichts Schlimmes passiert. So kann die Seiten- oder Rückenlage aus der „Default“-Position des Sitzens über die Zwischenschritte Brust, Bauch und dann halbseitliche und Seitenlage erreicht werden. Die Bedrohlichkeit der Situation wird für die Katze vermindert, wenn sie dabei nie den Halt verliert und immer nach Möglichkeit flächige Anlehnung z.B. am Unterarm oder Oberkörper der Praxisassistenz erfährt. Halten oder Ziehen an den Pfoten mögen Katzen ausgesprochen ungern, körpernahes Strecken der Pfoten vom Ellbogen- oder Kniegelenk ausgehend wird hingegen viel eher toleriert. Bei Widerstand der Katze ist es günstig, den Druck nicht sofort zu vergrößern, sondern mit Bestimmtheit für einige Sekunden nur zu halten. Wenn die Katze besser versteht und etwas in der Spannung nachlässt, fortsetzen.

1.4.1 Geduld und Zeit

Geduld und verfügbare Zeit stellen ein wesentliches Kriterium der katzenfreundlichen Praxis dar. Alle Zeit der Welt zu haben – oder zumindest so zu tun, als hätte man sie – ist eine gute Grundeinstellung, um Katzen in der Praxis zur Kooperation zu bewegen. Ungeduld, Hektik und Arbeiten unter Zeitdruck führen mit ziemlich großer Wahrscheinlichkeit zum gegenteiligen Effekt – es erfordert wesentlich mehr Zeit, die Lage mit einer unkooperativen, aggressiven und gefährlichen Katze unter Kontrolle zu bringen. Ganz abgesehen von der unerfreulichen Erfahrung, aus der Katzen für die nächste Untersuchung lernen, sich noch heftiger und noch früher zur Wehr zu setzen.

In finanzieller Hinsicht ist die Berücksichtigung des Zeitfaktors anstelle der reinen Behandlungsleistung eine wichtige Maßnahme, um auch in wirtschaftlicher Hinsicht mit einer Katzenpraxis Erfolg zu haben. Eine einfache Beratung mit Untersuchung, Blutdruckmessung oder Blutentnahme kann je nach Katze und Besitzer 15 oder 45 Minuten beanspruchen – die Zeit und das Wissen für versiertes und geduldig-katzenfreundliches Handling muss dann entsprechend über den erhöhten Zeitaufwand honoriert werden. Die Erfahrung zeigt, dass Besitzer, die auf freundliches Handling ihrer Katze Wert legen, dies in der Tat auch zu schätzen wissen und zu bezahlen bereit sind.

1.4.2 Fixation von Katzen

Es ist sehr förderlich, wenn man im Umgang mit der Katze – bis zum ersten Hinweis auf das Gegenteil – grundsätzlich von ihrer Kooperation ausgeht und sie erst fixiert, wenn es unumgänglich erscheint. Auch dann ist es sinnvoll, gerade so viel und so lange zu fixieren, wie unbedingt notwendig – weniger kann hier oft mehr sein. Bei zahlreichen diagnostischen Maßnahmen wie Blutdruckmessung, opthalmologischen, neurologischen oder orthopädischen Untersuchungen ist ein verwertbares Ergebnis überhaupt nur zu erzielen, wenn die Katze nicht übermäßig fixiert wird, sondern zur Kooperation bereit ist.

Für unsichere Katzen ist es oft angenehmer, in einer kleinen Höhle zu sitzen, die aus dem Oberkörper und den beiden Unterarmen gebildet wird, in der die Katze mit ihrem Hinterteil Anlehnung am Bauch oder Oberkörper hat. Manchen Katzen hilft es auch, vorerst mit dem Kopf in dieser gebotenen Deckung einzuschauen oder sie mit einem Handtuch abzudecken.

Vielfach kann auch der Besitzer bei seiner Katze erheblich mehr Kooperation erreichen – vor allem wenn eine enge Mensch-Katze-Beziehung besteht – und seine Einbindung in die Manipulation und Fixation der Katze ist dann sehr sinnvoll.Die Nackenfalte ist nach wie vor bei den meisten Katzen eine gute und sichere Stelle zum Fixieren, aber oft reicht es, den Griff an die Hautfalte nur als Signal – ich könnte fester, wenn ich wollte – leicht anzudeuten und sie nicht mehr als unbedingt notwendig zu halten. Kurzfristige Fixation an der Nackenfalte wird von den meisten Katzen toleriert, wenn auch nicht besonders geschätzt.

Merke

Tragen an der Nackenfalte ohne Unterstützung des Körpers ist kein katzenfreundlicher Umgang!

Handtücher eignen sich in vielfältiger Weise zur gefahrlosen und katzenfreundlichen Fixation:

Normalgroßes Handtuch (80 × 100 cm): Längs gedrittelt oder geviertelt, als breite Halskrause möglichst knapp am Kopf fixiert, wird es auch von Besitzern gut und mit weniger Hemmung gehalten (▶ Abb. 1.3). Diese Maßnahme eignet sich auch für Katzen, die auf Fixation der Nackenfalte überempfindlich reagieren, und verhindert insbesondere das Nach-unten-Beißen bei der Blutentnahme an der V. cephalica.

Badetuch (70 × 140 cm oder größer): Zwischen Ober- und Unterteil einer Transportbox eingezogen ermöglicht es ein gefahrloses Öffnen des Oberteils und Fixieren ohne direkten Kontakt bei aggressiven Katzen – je nach Ausmaß der Aggression kann die Katze dann direkt sediert oder durch verschiedene Wickeltechniken so weit fixiert werden, um sie vorsichtig zu untersuchen (▶ Abb. 1.4).

Abb. 1.3 Fixation mit einem Handtuch als Halskrause.

Abb. 1.4

Abb. 1.4a Ein Handtuch wird vorsichtig zwischen das Ober- und Unterteil der Box gezogen.

Abb. 1.4b Anschließend wird das Oberteil entfernt und die Katze entweder sediert oder vorsichtig untersucht.

Wenn sich eine geplante Aktion mit einer Katze in der erwarteten Form als nicht durchführbar erweist, dann hilft die Strategie „mehr desselben“ nur sehr selten. Ein äußerst wichtiges Element im erfolgreichen Umgang mit der Katze ist die Flexibilität, einen Plan B, C und allenfalls D kreativ zur Anwendung zu bringen. Heftige Zwangsmaßnahmen sind immer kontraproduktiv und führen langfristig zu noch mehr und intensiverer Aggression bei späteren Visiten.

Zu guter Letzt steht in der modernen Katzenmedizin immer die Möglichkeit der Medikation und Sedation zur Verfügung, deren frühzeitiger und großzügiger Einsatz der Sicherheit und dem Wohlbefinden aller Beteiligten dient.

1.4.3 Medikation schwieriger Katzen

Bei Katzen, die schon vorhersehbar schwierig und unkooperativ sind, ist die Medikation oft unumgänglich und hilft allen Beteiligten.Vorbeugend und für Desensibilisierungsbesuche können zum Einsatz kommen:

Alpha-Casozepin (Zylkene®) in doppelter Dosierung 1–2 Stunden vor dem Transport

Alprazolam 2 × täglich, beginnend 36 Stunden vor dem Transport

In der Praxis haben sich zur Sedierung verschiedene Kombinationen aus Butorphanol, Medetomidin, Ketamin, Midazolam bewährt, die allenfalls auch transmukosal verabreicht werden können.

Merke

Je geringer der Erregungslevel der Katze vor der Medikation ist, desto schneller, besser und damit auch gefahrloser ist die Wirkung.

1.5 Struktur der Konsultation

Methode

Erster Teil der Konsultation

In der verhaltensmedizinischen Konsultation werden in möglichst systematischer Weise erhoben:

Motiv für die Konsultation

Auftrag und Erwartung des Besitzers

Ressourcen und Möglichkeiten für eine therapeutische Intervention

Symptome der Katze

Methode

Zweiter Teil der Konsultation

Basierend auf den Informationen aus dem ersten Teil der Konsultation folgen die weiteren Schritte:

Diagnose

Therapeutische Optionen

Therapieplan

Prognose

Vermittlung der Maßnahmen

1.6 Motiv, Auslöser, Auftrag und Erwartung

Das Motiv ist der Grund, warum der Tierbesitzer um Rat fragt und einen Termin für eine verhaltensmedizinische Konsultation vereinbart. Es sind die Probleme, die er mit seinem Tier oder dessen Symptomen hat.Der Auslöser für die Frage nach Beratung gibt eher Auskunft darüber, wie dringlich das Problem ist. Der Anlass oder Auslöser für die Suche nach Hilfe hat möglicherweise wenig oder gar nichts mit dem seit Jahren bestehenden Problem zu tun. Zur Klärung ist die Frage Warum jetzt? von ganz erheblicher Bedeutung.Der Auftrag ist das, was der Tierbesitzer vom Tierarzt möchte – eine Diagnose oder Erklärung, eine Behandlung oder ein Gutachten.

Üblicherweise geht man als praktizierender Tierarzt immer davon aus, dass ein Tierbesitzer, der mit seinem Tier in die Praxis kommt, eine Behandlung wünscht. Das muss bei Verhaltensauffälligkeiten nicht unbedingt der Fall sein, und die Ansichten, was vorrangig behandelt werden soll, können für den Tierarzt und den Tierbesitzer ziemlich unterschiedlich sein.Daher ist die direkte Frage nach dem Auftrag ein ganz wichtiger Teil der Konsultation!

Merke

Das Motiv für die Konsultation und der Auftrag müssen nicht übereinstimmen!

Weiterhin gibt es sogenannte verdeckte oder geheime Aufträge, die bei Nichterkennen zum Misserfolg führen werden. Typische verdeckte Aufträge sind z.B. das Abschieben der Verantwortung und der Entscheidung für eine Euthanasie auf den Tierarzt oder das Gewinnen des Tierarztes als Allianz gegen einen Partner.Ethisch unannehmbare, paradoxe oder unmögliche Aufträge:Meine Katze soll nie wieder unsauber sein! Meine Katze soll nicht jagen! Emotionale Erpressungen wie Wenn sie noch einmal markiert, lasse ich sie einschläfern! sollten als solche erkannt werden. Sie können je nach persönlicher ethischer Einstellung entweder abgelehnt oder in realistische Aufträge abgewandelt werden.Je diffuser, allgemeiner und ungenauer der angenommene Auftrag, z.B. Meine Katze soll sich wohler und nicht so ängstlich fühlen!, desto größer ist das Risiko für den Tierarzt: Eine Verlaufskontrolle, die Bestimmung von Erfolg oder Misserfolg einer Behandlung ist unmöglich, wenn keine klar definierten Ziele für einen bestimmten Zeitpunkt festgelegt sind.Daher sind zunächst die genaue Auftragsklärung und – bei mehreren Problemen – das Hierarchisieren derselben essenzielle Bestandteile der Konsultation: Welches Problem ist das wichtigste/soll als erstes behandelt werden?Die Erwartung ist die Vorstellung des Tierbesitzers vom Ergebnis der Therapie. Es gibt unrealistische Erwartungen bezüglich Ergebnis, der Geschwindigkeit, mit dem dieses erreicht werden kann, und der Dauer einer Therapie. Die häufige Ansicht, dass es bei Verhaltenssymptomen einen Zustand von „Alles oder nichts“ gibt, sollte z.B. mithilfe von Prozentangaben oder ▶ Skalen entsprechend relativiert werden: Wären Sie mit 50 % Besserung des Symptoms X in 8 Wochen zufrieden? Wenn Sie das Problem Y jetzt mit 7 auf einer Skala von 1–11 einschätzen, welches Ziel wollen Sie in 4 Wochen erreichen?

1.7 Ressourcen, Lösungsansätze und Motivation

Ressourcen sind vorhandene materielle und immaterielle Werte und Fähigkeiten, die einer Person oder einem System ermöglichen, zu handeln. Es gibt interne, soziale und externe oder Umweltressourcen. Von einem systemischen Standpunkt aus gesehen enthält jedes System bereits die Lösung für die meisten seiner Probleme.

Definition

Faktoren, die als Ressourcen betrachtet werden können:

Beziehung eines jeden Familienmitglieds zum Tier

Beziehung zum Tierarzt, der die Verhaltensstörung behandelt

Beziehung zu anderen Tieren in der Familie oder zur sozialen Umwelt

Ausnahmen vom Problemverhalten

Motivation des Besitzers

In der Praxis kann z.B. die besondere Beziehung einer Katze zu einem Kind und die Tatsache, dass die Katze in dessen Zimmer nicht unsauber ist, als Ressource in die Therapie eingebunden werden. Eine andere, im Grunde simple, aber erstaunlich oft übersehene Ressource wäre das Schließen einer Tür in der Nacht.Einer der wichtigsten Gründe für eine ressourcenorientierte Konsultation ist die Dimension der Dringlichkeit. In dringenden Fällen müssen rasche (Teil-)Erfolge erreicht werden, um den Patienten nicht zu verlieren. Erst wenn die Mensch-Tier-Beziehung wieder stabilisiert und der Besitzer zufrieden ist, erhöht sich seine Motivation für weitere Behandlungsmaßnahmen.Mit der hypothetischen Frage Was wäre Ihre persönliche Lösung, wenn auch ich keine Lösung für Ihr Problem hätte? können die vorhandenen Ressourcen des Systems und die Einstellung des Besitzers zu seiner Katze sehr rasch ausgelotet werden. Die Antworten umfassen das ganze Spektrum von Euthanasie bis dahin, den Ist-Zustand zu akzeptieren, und geben den Spielraum und die Richtung für die Behandlung vor.

Merke

Eine für das therapeutische Konzept ganz entscheidende Ressource ist, ob und wie der Katze Medikamente verabreicht werden können.

Lösungsansätze und Vorschläge, die aus dem betroffenen System selbst kommen, haben die größte Chance auf Realisierung und bleibenden Erfolg.Nach bereits erfolgten Therapieversuchen und deren Ergebnissen sollte auf jeden Fall gefragt werden. Sie können zum einen Hinweise auf die Diagnose geben, zum anderen können sie in einer neuen therapeutischen Empfehlung entweder korrigiert, optimiert (bisher falsche Technik, Anwendung etc.) und protokolliert oder aber – für die therapeutische Beziehung ganz wichtig – nicht neuerlich als Therapie vorgeschlagen werden.

Um die therapeutische Bindung zu erhalten, sollte der Besitzer für unsinnige Aktionen wie Strafen oder Zwangsmaßnahmen – wenn möglich – nicht persönlich kritisiert werden. Nur selten sind diese Lösungsansätze mit böser Absicht verbunden und sie entstehen in der Regel aus Hilflosigkeit, Unwissenheit und Verzweiflung. Schuldzuweisungen sind für die weitere therapeutische Beziehung und die Therapie kontraproduktiv. Man sollte sich immer vor Augen halten, dass der Besitzer zumindest eine sehr gute und richtige Entscheidung getroffen hat: Er ist jetzt hier in einer verhaltensmedizinischen Konsultation, um Hilfe zu erbitten.

Motivation ist die Wahrscheinlichkeit, mit der eine Person eine spezifische Strategie der Veränderung beginnt, fortsetzt und beibehält. Die Motivation und Motivierung des Besitzers spielt für den Therapieerfolg eine große Rolle.

Definition

Motivierende Elemente in der Beratung sind von Miller und Rollnick unter dem Akronym FRAMES zusammengefasst worden:

F – Feedback geben (feedback)

R – Verantwortung geben (responsibility)

A – Information (advice)

M – Wahlmöglichkeiten anbieten (menu)

E – Empathie (empathy).

S – Hoffnung und Überzeugung (self-efficacy).

In der Konsultation werden diese unterschiedlichen Elemente dem jeweiligen Motivationszustand des Besitzers angepasst. Ein an seinen Fähigkeiten zweifelnder und sich schuldig fühlender Besitzer sollte nicht mit „responsibility“ und „menu“ konfrontiert werden, sondern besser mit „empathy“ und „advice“ in seiner Entscheidung unterstützt werden. Hingegen sind „feedback, empathy und self-efficacy“ wenig förderlich, wenn noch gar keine Veränderung begonnen wurde.

Die Punkte ▶ Symptome der Katze, ▶ Diagnose und ▶ therapeutische Optionen im Aufbau der Konsultation werden in jeweils eigenen Kapiteln behandelt.

1.8 Therapeutische Strategie

Für die Behandlung von Verhaltensstörungen sollte ein Therapieplan mit einer spezifischen Strategie erstellt werden.

Eine bestimmte Maßnahme ist auf ein konkretes und überprüfbares Ziel – z.B. die „Verbesserung des Symptoms Harnmarkieren um 50 % innerhalb eines Zeitrahmens von 4 Wochen“ – ausgerichtet. Für den Fall, dass ein therapeutisches Ergebnis innerhalb dieses festgelegten Zeitraums nicht erreicht wird, sollten entsprechende Konsequenzen oder alternative Strategien bereits angekündigt sein. Auf diese Art bleiben die therapeutische Bindung, Compliance und Glaubwürdigkeit auch dann erhalten, wenn Dosierungen oder Medikamente oder andere Behandlungsmaßnahmen verändert werden müssen.In der Praxis hat es sich als sehr effektiv erwiesen, eine Behandlungsanweisung für den Besitzer auf maximal 5 Maßnahmen zu limitieren.Diese einfachen Anweisungen kann sich der Besitzer merken oder nach Möglichkeit selbst notieren. Damit erhöht sich die Wahrscheinlichkeit, dass diese im Bewusstsein bleiben und umgesetzt werden. Die Durchführung einfacher definierter Maßnahmen kann beim nächsten Termin leichter überprüft werden: Wurde Y durchgeführt (ja/nein)? Wie oft und mit welchem Ergebnis? Wenn „nein“ – wo lagen die Schwierigkeiten? Unklare Anweisungen führen letztlich zu wenig objektivierbaren und unbrauchbaren Aussagen wie Die Maßnahme XY hat auch nicht geholfen.

Praxis

Optimale therapeutische Maßnahmen sind:

wenige (max. 5)

einfach durchführbar

verständlich

objektivierbar

wenig zeitaufwendig

2 Verhaltensmedizinische Propädeutik

2.1 Allgemeines

Die Verhaltensmedizin beruht wie alle anderen Fachgebiete der Veterinärmedizin auf allgemeinen medizinischen Prinzipien. Die Ethologie liefert ähnlich wie die Physiologie die Grunddaten zur normalen Funktion eines Individuums.Wie alle anderen klinischen Untersuchungen sollte auch die verhaltensmedizinische Diagnostik einem Untersuchungsgang folgen.Neben dem vom Besitzer präsentierten Problem (Leitsymptom) sollten auch alle anderen Symptome der Katze erfasst werden, um letztlich zu einer ganzheitlichen Diagnose und vor allem einer erfolgreichen therapeutischen Strategie zu kommen.In der Verhaltensmedizin werden pathologische Zustände und Störungen sowohl durch körperliche Symptome als auch durch Verhaltenssymptome erkenn- und interpretierbar.Da Umweltbedingungen für die Katze als sehr intensiv territorial organisiertes Tier eine große Bedeutung haben, ist die Analyse des Ökosystems ein weiterer wichtiger Bestandteil der Diagnostik. Die sozialen Beziehungen zu anderen Katzen und Menschen oder anderen Tieren sind ebenfalls von Bedeutung.

2.2 Wann ist ein Verhalten pathologisch?

Verhalten als motorischer Akt dient dazu, ein Ungleichgewicht im Organismus wieder in Richtung Gleichgewicht zu regulieren.

Physiologisches (normales) Verhalten ist innerhalb der tierartlichen Grenzen flexibel, adaptiv und passt sich leicht an veränderte Umweltbedingungen an. Es ermöglicht das Überleben des Individuums oder der Art, soziale Beziehungen und das Lernen neuer adaptiver Kompetenzen. Physiologisches Verhalten führt zu körperlichem und affektivem Wohlbefinden.

Pathologisches Verhalten bewirkt keine Rückkehr zur Homöostase, das Tier bleibt trotz seiner Verhaltensaktivität in seinem Zustand von Ungleichgewicht. Pathologisches Verhalten ist starr, unflexibel und beeinträchtigt die normalen Aktivitäten und Beziehungen zur sozialen und unbelebten Umwelt. Pathologisches Verhalten führt nicht zu körperlichem und psychischem Wohlbefinden.

Je nach Standpunkt kann ein Verhalten als physiologisch beziehungsweise pathologisch für ein einzelnes Individuum oder die Art betrachtet werden. Da wohl der Großteil unserer Katzenpatienten kastriert und daher aus dem Prozess der Arterhaltung ausgeschlossen ist, empfiehlt sich in der Verhaltensmedizin eine vom Individuum ausgehende Sichtweise der Physiologie oder Pathologie eines Verhaltens.

Das Ethogramm gibt Auskunft über die Gesamtheit der bei einer Tierart vorkommenden Verhaltensweisen. Die Informationen zum Ethogramm der Katze kommen üblicherweise von Freilandbeobachtungen, die möglichst wenig vom Menschen beeinflusst wurden. Diese Daten sind wertvoll, entsprechen jedoch nicht der tatsächlichen Lebensweise von Katzen, die mit Menschen, Katzen und anderen Tieren in engstem Kontakt, unter Umständen ausschließlich in der Wohnung leben (müssen). Wir äußern die Hypothese, dass es somit ein Ethogramm der frei lebenden Bauernhofkatze, aber bisher noch kein Ethogramm der Familienkatze in ihrer neuen ökologischen Nische gibt.

Verhalten, das vom Besitzer als problematisch, störend oder abnormal angesehen wird, kann physiologisch oder pathologisch sein. Physiologisches, aber störendes Verhalten (z.B. reaktives Harnmarkieren, Jagdverhalten) kann die Beziehung des Besitzers zur Katze dennoch schwer belasten, zu ungeeigneten Lösungsansätzen führen und damit das Wohlbefinden des ganzen Systems infrage stellen.

Ob man eine an sich gesunde, physiologisch reagierende Katze behandelt, ist keine medizinische, sondern vielmehr eine ethische Frage: Eine durch – wenn auch physiologisches – Problemverhalten belastete Mensch-Katze-Beziehung wird sich mit großer Wahrscheinlichkeit negativ auf das Wohlbefinden der Katze auswirken, und die weitere Betreuung durch den unzufriedenen Besitzer ist fraglich, die Abgabe ins Tierheim oder gar die Euthanasie wahrscheinlich.

Merke

Ein zufriedener Besitzer ist die beste Lebensversicherung für die Katze.

2.3 Psychobiologische Elemente

Das Individuum und seine Verhaltensweisen sind eine komplexe Einheit. Eine Möglichkeit, Verhalten besser zu verstehen, ist die Anwendung eines vereinfachten Modells. Ein Modell entspricht einer Landkarte – es ist nicht die Realität, aber sehr brauchbar, um sich in der Realität zurechtzufinden. Das Individuum und sein Verhalten kann als ein Ensemble einfacher Elemente, die durch Regeln und eine Struktur organisiert sind, angesehen werden. Diese Modellbildung basiert auf der von Moles vorgeschlagenen Strukturhypothese.

Die Grundeinheiten können als Verhaltensatome, als die kleinsten beobachtbaren und analysierbaren Elemente in der Verhaltensmedizin betrachtet werden. Analog zu den in der digitalen Bilderwelt üblichen Pixel (picture elements) werden die psychobiologischen Elemente als Psychels (psychobiological elements) bezeichnet.

Definition

Die 7 wichtigsten psychobiologischen Elemente sind:

Organismus mit Genetik, Hormonen, Immunsystem, neurologischen Mechanismen etc.

Stimmungslage

Emotionen

Kognition

Wahrnehmung

neurovegetative Reaktionen

motorische Akte (Verhalten)

Manche Psychels haben einen größeren Einfluss als andere, sie sind hierarchisch organisiert.

Der Gesundheitszustand des Organismus oder die Stimmung modifizieren alle anderen Elemente; Emotionen, Kognition und Wahrnehmung beeinflussen sich untereinander und wirken auf die motorischen Akte und neurovegetativen Reaktionen mehr, als diese auf Emotion, Kognition und Wahrnehmung zurückwirken.

Praxis

Hierarchie der psychobiologischen Elemente:

Organismus

Stimmung

Emotion – Kognition – Wahrnehmung

neurovegetative Reaktionen – motorische Akte

2.4 Bewertung von Symptomen

Ein Verhalten wird dann zum Symptom, wenn es seine adaptive Funktion verliert.

Merke

Ein Symptom hat nur dann einen diagnostischen Wert, wenn es vollständig beschrieben wird.

Die Aussage Meine Katze macht auf die Couch enthält überhaupt keine wirklich brauchbare Information. Es ist noch nicht einmal klar, ob das Tier Kot oder Harn absetzt oder harnmarkiert.

Methode

Zur vollständigen Beschreibung eines Symptoms gehören:

Verhaltenssequenz

Körperhaltung und Mimik

Kontext und Umstände

Konsequenzen für das Tier und die Umwelt

Frequenz, Dauer und Intensität des Verhaltens

Evolution und Dynamik des Symptoms

Wenn man dieser detaillierten Beschreibung folgt, wird aus der obigen Aussage: Meine Katze setzt Harn auf der Ledercouch im Wohnzimmer ab. Ungefähr 1 × pro Woche, vorwiegend am Wochenende, während der letzten 3 Monate, die 2 Jahre davor nur sporadisch, ca. alle 3–4 Monate 1 ×. Die Körperhaltung ist unbekannt, weil es nur in meiner Abwesenheit oder nachts geschieht, aber die angepinkelte Stelle ist horizontal, die Harnmenge groß. Die Unsauberkeit hat sich seit den veränderten Arbeitszeiten und meiner vermehrten Abwesenheit verschlimmert. Anfänglich habe ich die Katze mit der Nase an die verunreinigte Stelle gehalten und ausgeschimpft, in der letzten Zeit nicht mehr. Die Stelle wird ohne Erfolg mit Essigwasser und einem parfümierten Reiniger behandelt.

Ein in dieser Weise vollständig beschriebenes Symptom bekommt einen diagnostischen Wert und hilft bei der Entwicklung einer therapeutischen Strategie. Besitzer von sich aus erzählen natürlich nicht in dieser detaillierten Art, und die Kunst der Konsultation ist es, die richtigen Fragen zu stellen, um diese notwendigen Daten zu erhalten.

2.4.1 Verhaltenssequenz

Jedes Verhalten wird von einem Stimulus, entweder einer Information aus der äußeren Umwelt oder einer Veränderung des inneren Milieus, ausgelöst. Dieser Stimulus wird als Auslöser bezeichnet. Er wird wahrgenommen und löst eine Emotion aus. Die Emotion existiert vor jeder Aktion und ist wie ein Ungleichgewicht. Das Individuum stellt sein Gleichgewicht wieder her, indem es zur Aktion, zum motorischen Akt übergeht.Der Ablauf eines Verhaltens wird in unterschiedliche Phasen unterteilt:

Appetenzphase: Es ist die Anfangsphase eines Verhaltens, der Beginn eines Ungleichgewichts und das Suchen, Orientieren. Das Individuum wird für auslösende Reize empfänglich.

Aktivitätsphase oder operante Phase: Es ist die eigentliche Handlung, der motorische Akt Verhalten, der das Ungleichgewicht wieder zur Homöostase korrigieren soll.

Endphase oder Sättigung: Das ist das Ende eines Verhaltens, der Off-Schalter, der einen motorischen Akt beendet, wenn ein Gleichgewicht beziehungsweise eine Sättigung erreicht wurde.

Refraktäre Phase: Das ist die Phase, während der das Verhalten nicht gezeigt wird, der Organismus wird unempfänglich für den auslösenden Reiz.

Die Integrität der Verhaltenssequenz verändert sich durch den Prozess der instrumentellen Konditionierung. Die positiven oder negativen Konsequenzen eines motorischen Aktes erhöhen oder verringern die Wahrscheinlichkeit für ein neuerliches Auftreten. Dieser Effekt wird als Instrumentalisierung bezeichnet.Durch die Instrumentalisierung verändert sich die Organisation der Verhaltenssequenz (▶ Abb. 2.1 und ▶ Abb. 2.2):

Die Appetenzphase wird reduziert.

Die Aktivitätsphase wird gesteigert (bei positiven Konsequenzen) oder verringert (bei negativen Konsequenzen).

Die Endphase ist verspätet (positive Konsequenz) oder verfrüht (negative Konsequenz).

Das instrumentalisierte Verhalten wird automatisiert und die kognitiven Entscheidungsprozesse verringert. In der Therapie ist dieser Effekt bei der instrumentellen Gegenkonditionierung erwünscht.

Abb. 2.2 Instrumentalisierte Verhaltenssequenz.Die Appetenz- (orange), End- (grün) und refraktäre Phase (blau) sind verringert, die Aktivitätsphase (rot) ist gesteigert.

In der Pathogenese von psychischen Störungen führt die pathologische Instrumentalisierung zum häufigen, intensiven und gewohnheitsmäßigen Auftreten eines Verhaltens, wodurch seine adaptive Funktion verloren geht.Beispiele für instrumentalisiertes Verhalten sind:

Harnmarkieren

Hyperaggression

Vokalisieren

2.4.2 Körperhaltung und Mimik

Körperhaltung und Mimik geben Auskunft über die Stimmungslage und die Emotion der Katze. Die einzelnen Elemente und die Bedeutung der verschiedenen Körperhaltungen und der Mimik werden im Kapitel über die ▶ Kommunikation genauer beschrieben.

2.4.3 Kontext und Umstände, Konsequenzen

Die Analyse von Auslösern für Verhaltensweisen, die Kontexte und Umstände beim Auftreten eines Verhaltens, liefern – ebenso wie die Konsequenzen – ganz wesentliche Informationen für die Diagnose und Behandlung. Bei den Verhaltenstherapien werden die Auslöser und/oder Konsequenzen eines Verhaltens beeinflusst, um das Verhalten der Katze zu modifizieren.Kontext und Umstände geben außerdem Hinweise zur Interpretation der emotionalen Verfassung der Katze. Hier einige Beispiele:

Abwesenheit des Besitzers kann bei sozial sehr gebundenen Katzen zu Angst führen.

Unmittelbar vor der Fütterung (bei restriktiver Fütterung) kann durch den Hunger vermehrt umgerichtete Jagdaggression auftreten.

Vermehrte Reizbarkeit kann bei chronisch ängstlichen und depressiven Katzen beobachtet werden.

Veränderungen in der Umwelt können zu Erregung und Harnmarkieren führen.

Die für die Katze positiven ▶ Konsequenzen eines Verhaltens können zu seiner Aufrechterhaltung beitragen. Strafmaßnahmen des Besitzers sind zwar grundsätzlich negative Konsequenzen für die Katze, sie führen aber in der Regel aufgrund des falschen Timings und falscher oder unmöglicher Assoziationen zur Verschlimmerung, Ausweitung oder Verlagerung des Problems.