Verhängnisvolle Freundschaft - Werner Rügemer - E-Book

Verhängnisvolle Freundschaft E-Book

Werner Rügemer

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Beschreibung

Mit Freedom, Democracy und Wohlstand präsentierte sich der aufsteigende US-Kapitalismus der Welt. Doch die Praktiken von »America First« mit Völkermord, Arbeitsausbeutung, kriegerischem Raub fremden Eigentums wurden nur modernisiert. Der Erste Weltkrieg wurde das erste große Globalgeschäft, Bündnispartner wurden abhängig. Nach dem Krieg investierten US-Konzerne in Westeuropa. Mussolini wurde mit Krediten überhäuft. US-Konzerne belieferten Franco und rüsteten die deutsche Wehrmacht für einen Krieg gegen »Russland« aus. Die US-geführte neue Zentralbank in der Schweiz wusch NS-­Raubgold. Die Verfolgung der Juden wurde verdrängt. Mit dem Abwurf von zwei Atombomben auf die Zivil­bevölkerung begannen neue Kriege gegen neue Feinde – unter systematischem Bruch des Völkerrechts.

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Kleine Bibliothek 326

Werner Rügemer

Verhängnisvolle Freundschaft

Wie die USA Europa erobertenErste Stufe: Vom 1. zum 2. Weltkrieg

PapyRossa Verlag

Folgende Ausgaben dieses Werkes sind verfügbar:

ISBN 978-3-89438-803-4 (Print)

ISBN 978-3-89438-901-7 (Epub)

© 2023 by PapyRossa Verlags GmbH & Co. KG, Köln

Luxemburger Str. 202, 50937 Köln

E-Mail: [email protected]

Internet: www.papyrossa.de

Alle Rechte vorbehalten – ohne ausdrückliche Erlaubnis des Verlages darf das Werk weder komplett noch teilweise vervielfältigt oder an Dritte weitergegeben werden.

Umschlag: Verlag, unter Verwendung eines Motivs von uschools | iStock [623457246]

Datenkonvertierung E-Book: Bookwire - Gesellschaft zum Vertrieb digitaler Medien mbH

Inhalt

I.

Freundschaft, Verhängnis, möglicher Tod

II.

Gründungsübungen der »einzigen Weltmacht«

1. Monroe-Doktrin: Interventionsverbot

2. Systemischer Verfassungsbruch: »God’s own Country«

3. Die Demokratie des Sklavenstaats

4. Sklavenbefreiung als Vorwand

5. Nebenbei ein Völkermord

6. Die neue Unfreiheit der befreiten Schwarzen

7. Rassische und soziale Selektion: Eugenics

8. Arbeits-Armut und Zerstörung durch Arbeit

9. Die Geburt der PR und der Philanthropie aus dem Massaker

10. Die Freiheitsstatue: Leuchtet zu globaler Herrschaft

III.

Kapitalisten und Militärs in den »Hinterhöfen«

1. Formen der Entstaatlichung anderer Staaten

2. Antikolonialismus als Vorwand

3. Investoren organisieren Diktaturen

4. Annexionen für Militärstützpunkte

5. Asien im Visier: China und europäische Konkurrenten

IV.

Erste Eroberung Europas: Der 1. Weltkrieg

1. Transatlantische Kooperation vor dem Krieg

2. Wall Street erweitert die Kriegs- und Krisenkasse

3. »Progressive Ära«: Kapital-Demokratie nach US-Muster

4. US-Regierung für Demokratie, Frieden, Neutralität – einerseits

5. Wall Street: Krieg in Europa als »riesige Gelegenheit«

6. Wilson begeht sein »Verbrechen an der Zivilisation«

7. Das professionelle Friedensnarrativ, einerseits

8. Das professionelle Umschalten auf das Kriegsnarrativ

9. Globale Expansion der US-Kapitalisten im Krieg

10. US-Rassismus: Im Krieg – und danach

11. Mit Ex-Kriegsgegnern: Gemeinsamer Einmarsch in Russland

12. US-Kriegsbilanz: So kann es weitergehen

V.

Nach Versailles: Investitionen in die US-Weltfriedensordnung

1. Die Sowjets umwerben, kaufen – oder töten

2. Versailles: Selbstbestimmung der Völker verhindern

3. Neue Instrumente: Council on Foreign Relations und Wall-Street-Kanzleien

4. US-Investments global erweitern

5. Wichtigster Standort in Europa: Deutschland

6. Hilfen für das antisemitisch-antikommunistische Polen

7. Begeisterung und Kredite für Mussolinis Faschismus

8. USA und international: Frühe Förderungen für Hitler

VI.

Mit Mussolini, Franco, Hitler zum 2. Weltkrieg

1. Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIS): Die erste Weltbank wird zur Kriegsbank

2. USA setzen weiter auf Mussolini

3. USA fördern Diktator Metaxas in Griechenland

4. US-Konzerne beliefern den Putschisten Franco in Spanien

5. Gelobte faschistische Diktatur in Portugal

6. USA rüsten Hitler auf: wirtschaftlich, medial, politisch

7. US-Finanzierung von Ostraum- und Rasseforschung

8. US-Öl für Hitlers Blitzkriege

9. Hollywood-Produktionen: Im Dienste von Goebbels und Hitler

10. USA retten Olympische Spiele 1936 zugunsten Hitlers

11. Nazikritischer US-Botschafter in Berlin: Durch Hitler-Fan ersetzt

12. Aufrüstung der aufstrebenden Kapital-Monarchie Japan

13. Großbritannien: Komplizenschaft mit NS-Deutschland

14. Frankreich: Die Sozialistische Regierung wird gekippt

15. Appeasement: Mit Hitler gegen die Sowjetunion

16. Paris 1938: Geburt des ›wissenschaftlichen‹ Neoliberalismus

VII.

2. Weltkrieg: »American Imperialism«

1. US-Kriegsziel: Erneuertes »American Century«

2. Dem Alliierten Großbritannien helfen und ihn schwächen

3. Verspätet auch Lieferungen an die Sowjetunion

4. Wall Street leitet Hitlers Kriegsbank in der Schweiz

5. US-Produktion in Deutschland für die Wehrmacht

6. Frankreich: USA und die NS-freundliche Vichy-Regierung

7. Franco-Spanien: Ausbau zur US-Bastion

8. Schweden beliefert die USA und Deutschland

9. Schweiz: Rüstungslieferant und US-Finanzoase

10. US-Geheimdienst: Gewinne sichern, Nazigegner schwächen

11. In Italien: Mit der Mafia gegen Antifaschisten

12. Jugoslawien: OSS hat Angst vor Titos Massenbasis

13. US-Geheimdienst: Attentat gegen Hitler verhindern!

14. Zivilbevölkerung bombardieren, Rüstungsindustrie schonen!

15. Neues Weltfinanzsystem: IWF und Weltbank

16. USA: Arisierung und Holocaust verdrängen

17. Massenmord: Zwei Atombomben auf Zivilisten

18. Der »Kalte Krieg« begann im heißen Krieg

VIII.

Der weiterdauernde Systemkonflikt

1. USA: Nur der US-geführte Kapitalismus ist gut

2. Ukraine: US-Schlüsselstaat für die Eroberung Eurasiens

3. US-Konzerne: Geopolitics of modernized slavery

4. Demokratische Alternative: national, in der EU, international

Literatur

Anmerkungen

Gewidmet dem australischen Journalisten Julian Assange

Julian Assange deckte Kriegsverbrechen der USA auf,die von den USA nicht bestritten, aber als strafbewehrteStaatsgeheimnisse behandelt werden.

Dafür wird Assange vom engsten US-Vasall, der britischen Monarchie,seit Jahren in His Majesty’s Prison Belmarsh in Einzelhaft gehaltenund soll an die USA ausgeliefert werden.

In den USA drohen bis zu 175 Jahren Gefängnis,in weiterer Einzelhaft.

Millionen Menschen auf dem Planeten fordern:Freiheit für Julian Assange!Informations- und Meinungsfreiheit!Für UN-Völkerrecht!Für die Universellen Menschenrechte der UNO!

I.

Freundschaft, Verhängnis, möglicher Tod

»It may be dangerous to be America’s enemy,but to be America’s friend is fatal.*«

»Es kann gefährlich sein, Amerikas Feind zu sein;aber Amerikas Freund zu sein, ist verhängnisvoll.«

Das bilanzierte Henry Kissinger, ehemaliger Chef des State Department und langjähriger Berater mehrerer US-Präsidenten. So umwarb er in den 1970er Jahren mit Präsident Richard Nixon die Volksrepublik China, sie wurde diplomatisch anerkannt und wirtschaftlich gefördert. Solange China wirtschaftlich schwach war und die Supergewinne von Apple, Microsoft, Ford & Co. hoch waren, blieb China der Freund. Als China industriell und technologisch erstarkte, die Löhne anhob und breiten Wohlstand für die bisher Armen schaffte und mit einer militärisch nicht begleiteten, alternativen Globalisierung Erfolge hatte – da wurde es unter dem freundlich grinsenden Präsidenten Barack Obama zum System- und Todfeind, wird politisch und medial verhetzt, wirtschaftlich sanktioniert und militärisch umzingelt.

So werden Freunde zu Todfeinden – nur einige weitere Beispiele:

Sowjetunion:

Wall-Street-Banker geiferten mit Beginn der revolutionären Umbrüche 1917 in Russland auf noch mehr gewinnbringende Investitionen und umgarnten die neuen Regierungen. Nach der fehlgeschlagenen militärischen Intervention einer Allianz, an der sich auch die USA beteiligten, investierten Ford, General Electric, Radio Corporation of America, Harriman & Co. – die Sowjetunion erstarkte industriell, auch sonst, der Wohlstand der bisher Armen wuchs. 1933 anerkannte US-Präsident Franklin D. Roosevelt die Sowjetunion. Aber für Ford & Co. wurde die Sowjetunion zum Todfeind. Im strategischen Schwenk rüsteten sie die Hitler-Wehrmacht auf. Nun sollte die Sowjetunion vernichtet werden.

Kuba:

In Kuba unterstützten die USA Ende des 19. Jahrhunderts zunächst die demokratische Aufstandsbewegung unter José Martí gegen die Kolonialmacht Spanien. Nach dem Sieg wurde die nationale Aufstandsbewegung abserviert, die USA setzten Diktatoren ein – eine vielfach geübte Praxis in den US-»Hinterhöfen« Lateinamerikas und Asiens.

Vietnam:

Bei den Friedensverhandlungen in Versailles wies der US-Friedensprediger Woodrow Wilson die Befreiungsbewegung Vietnams unter Ho Chi Minh ab. Dann im 2. Weltkrieg im Kampf gegen die japanischen Besatzer unterstützten die USA Ho Chi Minh kurzzeitig, um ihn sofort nach dem Krieg zum Todfeind zu erklären, die französische Kolonialmacht gegen Ho Chi Minh aufzurüsten und dann selbst den noch viel grausameren Vernichtungskrieg zu übernehmen.

*

/

1

State Department: Anspruch auf jeden Winkel der Erde

Die wechselnden Freund-Feindschaften beruhen seit der Verfassung des US-Staates 1787 auf dem Selbstverständnis, das bis heute gilt: Die USA haben als einziger wichtiger Staat kein Außenministerium, sondern ein State Department, Staats-Ministerium. So sind die nächsten wie die fernsten Territorien der Erde im national interest mögliche Staats-, Einfluss- und Herrschaftsgebiete der USA.

Ergänzt wird der Allein- und Allmachtsanspruch biblisch durch »God’s own Country« und »God bless America«, durch die »auserwählte Nation«, auch durch »America First«, »American Century« und »New American Century« und den »amerikanischen Exzeptionalismus« oder auch »Wir sind die einzige Weltmacht«. All das gehört zu den Genen des US-Staates.

Erst einmal in den »Hinterhöfen«, dann in Europa und weltweit

So wurde der kleine Streifen des zur Demokratie erklärten Sklavenstaats an der Ostküste Nordamerikas schrittweise zuerst durch Eroberungen und Annexionen in Nordamerika (außer dem britischen Kanada, das nicht erobert werden konnte) erweitert, Völkermord an den Indigenen inbegriffen. Später waren die lateinamerikanischen, karibischen und asiatischen »Hinterhöfe« dran, seit dem 1. Weltkrieg bis heute dann Europa und die ganze Erde – durch den Zangengriff von Investitionen, Krediten, Militär, Geheimdiensten und Fake-PR.

Mithilfe von Putschen und Bürgerkriegen wurden Diktatoren eingesetzt oder gefördert. Im Europa der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts sah dies so aus:

Der erste faschistische Diktator, Mussolini, der die erstarkte demokratische und Arbeiterbewegung vernichtet hatte, wurde mit Krediten überhäuft und in den USA zum Politstar.

Generalissimus Franco, der gegen die spanische Republik putschte, wurde von US-Rüstungs- und Ölkonzernen beliefert, von Mussolini und Hitler militärisch unterstützt – bis zum gemeinsamen Sieg.

Hitler wurde zum Medienstar, auch mithilfe Hollywoods, das Olympische Komitee der USA, zusammen mit denen Englands, Frankreichs, Japans, Finnlands und Südafrikas, retteten gegen die internationale, auch jüdische Boykottbewegung die Olympischen Spiele 1936 für Hitler in Berlin, rüsteten die Wehrmacht gegen die Sowjetunion auf.

Außerhalb jeder internationalen Ordnung

Zum Anspruch der »einzigen Weltmacht« gehört: Die USA schlagen immer wieder internationale Ordnungen vor, unterlaufen aber die jeweils gegründeten Institutionen und bauen daneben ihre eigene internationale Anti-Ordnung auf, gegen Völkerrecht und Menschenrechte.

So regten die USA nach dem 1. Weltkrieg den Völkerbund an, traten dann aber nicht bei, sondern schlossen nach den Versailler Verträgen Einzelverträge mit allen Kriegsteilnehmern und förderten faschistische Diktaturen in China, Italien, Griechenland, Deutschland, Japan und Spanien. So werden die USA nach dem 2. Weltkrieg genauso mit der UNO verfahren.

Die USA führen nun jederzeit bei Bedarf Kriege nach eigener Wahl. Wenn die UNO/der Sicherheitsrat einen Krieg beschließt – gut; wenn nicht, dann führen die USA den Krieg alleine oder mit einer selbst gebastelten Allianz der jeweils »willigen« Vasallen.

Mit der Wall Street von Mussolini zu Adenauer

Nach der Niederschlagung der im Krieg erstarkten Arbeiterbewegung wurde Benito Mussolini in den USA zum Politstar. Wall-Street-Anwalt John McCloy beriet vor Ort in Rom den päpstlich gesegneten Diktator: Er wurde mit US-Krediten überhäuft.

McCloy vertrat die Interessen von US-Konzernen auch in Nazi-Deutschland. Das Olympische Komitee der USA bekämpfte erfolgreich die internationale, auch jüdische Boykottbewegung gegen die Abhaltung der Olympischen Spiele 1936 in Berlin: Sie konnten dann prunkvoll stattfinden und förderten das internationale Ansehen des Nazi-Regimes. So durfte McCloy mit Ehefrau neben Göring und Hitler auf der Ehrentribüne im Berliner Olympiastadion sitzen.

Ab 1949 war McCloy Hoher Kommissar der USA für die Bundesrepublik Deutschland. McCloy beriet bzw. überwachte den ersten Bundeskanzler, den christlichen Politikdarsteller Konrad Adenauer, der ein früher Fan von Mussolini gewesen war. McCloy/Adenauer schützten gemeinsam deutsche wie US-amerikanische Komplizen der Hitler-Diktatur vor Aufdeckung und Anprangerung.

Der Antikommunist Churchill hatte gegen Ende des 2. Weltkriegs von seinen Militärchefs den Plan »Operation Unthinkable« ausarbeiten lassen. Danach sollten sofort nach dem Waffenstillstand mit NS-Deutschland US-amerikanische und britische Truppen, verstärkt durch Teile der Wehrmacht, die Sowjetunion erobern.2 Angesichts der Stärke der Roten Armee und der öffentlichen Stimmung in Großbritannien wurde darauf verzichtet. Aber die Absicht blieb. Sie wurde und wird mit anderen Mitteln verfolgt, unter Führung der weitsichtigeren, mächtigeren USA.

Im 1. und 2. Weltkrieg förderten US-amerikanische Banken und Konzerne die Kriege der »Verbündeten«. Dann konnten zum Ende des Krieges die US-Militärs in den erschöpften Kriegsgebieten vergleichsweise leichte Siege holen. Und unter der Flagge freundschaftlicher »Hilfe« konnte die Siegermacht sich dem lukrativen »Wiederaufbau« widmen: Förderung von US-Investitionen, Durchdringung mit US-Waren und US-Militärstützpunkten.

Wilson, Obama: Friedensversprechen und ewiger Krieg

US-Präsident Woodrow Wilson von der Demokratischen Partei hatte seinen Wahlkampf 1913 mit dem hochheiligen Versprechen gewonnen: Die USA werden sich nie am Krieg beteiligen, der sich in Europa anbahnt. Mit Kriegsbeginn finanzierten und belieferten Wall Street und US-Konzerne die Kriegsparteien in Europa und förderten lukrativ den Krieg. Führend war dabei die Bank Morgan. 1917 brach Wilson mithilfe professioneller PR sein Versprechen und verkündete mit Berufung auf Gott das Gegenteil, nämlich den militärischen Eintritt der USA in den europäischen Krieg: »War to end all wars« – Wir führen jetzt Krieg, um alle Kriege zu beenden. So die Parole. Seitdem führten und führen die USA zahlreiche völkerrechtswidrige Kriege.

US-Präsident Barack Obama, ebenfalls von der Demokratischen Partei, hatte seinen Wahlkampf 2008 mit dem genauso hochheiligen Versprechen gewonnen: Wir werden abrüsten und die Atombomben abschaffen! Wir werden die Umwelt retten! Zu den Großbespendern für Obamas Wahlkampf gehörte die Bank Morgan. In seiner Amtszeit diktierte Obama den europäischen NATO-Mitgliedern Aufrüstung, rüstete seinerseits die USA mit Berufung auf Gott noch weiter auf, erneuerte die Erstschlagsdoktrin, weichte Umwelt- und Arbeitsgesetze zugunsten der umweltschädlichen und für Anwohner oft tödlichen Fracking-Industrie auf und ließ mit BlackRock-Managern in seiner Regierung China zum neuen Hauptfeind erklären, durch US-Konzerne die Ukraine aufrüsten und den Krieg gegen Russland vorbereiten.

Wie in Hiroshima und Nagasaki begonnen, wurde dem so scheinbar freundlich geförderten (West-)Europa zudem eine tödliche Aufgabe aufgezwungen: Mit der Doktrin des atomaren Erstschlags machten die USA Europa zum Standort eines möglichen atomaren Krieges gegen die Sowjetunion: Das gilt bis heute.

So scharfsichtig wie kurzsichtig: Professionelle Selbsterblindung

1935 stellte die Künstlerin Mabel Dwight in einer Lithografie die Wall-Street-Banker, die mit dem 1. Weltkrieg und seinen vielen Millionen Toten riesige Gewinne gemacht hatten, als die Merchants of Death dar, Händler des Todes: Sie »hassen das Ideal der Demokratie, aber sie freuen sich über die lockeren Zügel und den Freiraum, den sie ihnen lässt.« Wegen der Gewinne, so Dwight, sind diese Händler des Todes »ausgesprochen scharfsichtig, dabei aber unheilbar kurzsichtig.«3

US-Kapitalisten haben mit professioneller PR wie mit dem Committee on Public Information (CPI) im 1. Weltkrieg, mit den von ihnen finanzierten Elite-Universitäten und Massenmedien hochbezahlte, formal hochqualifizierte Profis und Wissenschaftler: Die inszenieren jeden noch so grausamen Krieg als Ausbund an Demokratie, Menschlichkeit und Friedenswillen.

So bestätigen und bekräftigen die Kriegsgewinner – und natürlich auch die Umweltschädiger usw. – und ihre Mittäter sich ständig gegenseitig in ihrer Wohltäterei.

Sie sind so scharfsichtig für jede lukrative Möglichkeit mithilfe von Kriegen, Umwelt- und Gesundheitsschäden – und gleichzeitig so kurzsichtig für die menschlichen und gesellschaftlichen Folgen: Professionelle Selbsterblindung.

* »fatal« hat auch die Bedeutung »tödlich«.

* Wie im Krieg gegen die Befreiungsbewegung in Vietnam war Kissinger Mittäter an zahlreichen weiteren Kriegsverbrechen, direkt und mithilfe verdeckter Operationen über Dritte u. a. in Kambodscha, Laos, Chile und weiteren lateinamerikanischen Staaten, mit Millionen an zivilen Toten und mit Genoziden (Ost-Pakistan, Indonesien).

II.

Gründungsübungen der »einzigen Weltmacht«

Die Kolonialmächte England und Frankreich, die seit dem 16. Jahrhundert das ihnen unbekannte Territorium Nordamerikas eroberten und sich untereinander bekriegten, konnten nicht wissen, was daraus einmal werden würde. Ebenso wenig wussten es die armen und reichen Siedler, die zunächst aus Europa einwanderten und sich durchschlugen. Und es wussten auch nicht die Kolonialherren, die durch Tabak- und Baumwollplantagen mit Sklaven und durch Handel reicher wurden, 1776 ihre Unabhängigkeit von der Kolonialmacht England erklärten und 1787 die Verfassung des demokratischen Sklavenstaats »Vereinigte Staaten von Amerika« beschlossen. Aber sie entwickelten mit- und gegeneinander eine Logik, die zu dem führte, das heute die größte Bedrohung für das friedliche Wohlergehen und die Zukunft der Menschheit und des Planeten darstellt: Den Anspruch, die ordnende und auf allen Ebenen die gewinnende »einzige Weltmacht« zu sein.

1.Monroe-Doktrin: Interventionsverbot

Der Kongress der USA, die inzwischen von 13 Gründungsstaaten auf 24 Staaten gewachsen waren, beschloss 1823 die Monroe-Doktrin. Danach haben andere Staaten auf dem US-Territorium ein Interventionsverbot. Das gilt bis heute. Das stünde eigentlich in voller Übereinstimmung mit dem Völkerrecht. Aber mit »US-Territorium« war nicht der Staat USA gemeint, sondern Nordamerika, das vom kleinen Staat USA erobert werden sollte, und ebenso ganz Lateinamerika, zunächst. So gilt bis heute die weiterentwickelte Kehrseite der Doktrin: Die USA dürfen überall auf der Erde eingreifen, auf allen Kontinenten, und andere Staaten dürfen dabei nicht stören.4

»Nationales« Interesse: Anspruch auf die ganze Erde

Bis heute nimmt das State Department die Angelegenheiten im Ausland wahr: Dabei stellt Ausland für die US-Führung nur vorläufig bzw. teilweise Ausland dar. Dem US-Staat geht es mit und seit der Gründung nicht darum, gleichberechtigte Beziehungen zu anderen Staaten zu entwickeln, sondern den Kapital-Staat USA auszuweiten und seine verschiedenen Einfluss-, Aneignungs- und Machtpraktiken in anderen Staaten zu verankern.

Deshalb wird die Eroberung fremder Territorien und Staaten nicht als Eroberung bezeichnet, sondern als Angelegenheit der »nationalen« Sicherheit (national security) und des »nationalen« Interesses (national interest). Die USA kennen nicht das, was andere Staaten Außenpolitik nennen: Für die USA handelt es sich um Staats-Politik.

Dieses »nationale Interesse« bedeutet: Wir können unser Staatsgebiet ständig weiter ausdehnen. Das bezog sich zunächst auf jeden Punkt, jede Bevölkerung und jeden anderen Staat in Nordamerika. Später bis heute bezieht sich dies auf jede Person, jedes Unternehmen, jeden Staat, jede Aktivität an jedem Punkt der Erde, auf allen Kontinenten. Die übliche Übersetzung von State Department als US-Außenministerium ist falsch und beschönigend.

So beschloss die US-Regierung alleine, wo sie zunächst in Nordamerika wirtschaftlich, militärisch, geheimdienstlich, medial, wissenschaftlich oder mit sonstigen Mitteln und mit welchen Personen, Organisationen usw. eigener Wahl ihr Staatsgebiet erweiterte.

Hitlers Kronjurist konnte das auch

Hitlers Kronjurist Carl Schmitt begründete nach dem US-Vorbild das Völkerrecht des NS-Regimes: Die Monroe-Doktrin sei »der Präzedenzfall eines völkerrechtlichen Großraumprinzips«. Auch für die Außenpolitik des Deutschen Reiches gelte das »Interventionsverbot für raumfremde Mächte«. Dazu gehörte wie bei der Monroe-Doktrin auch das Recht, selbst in anderen Staaten zu intervenieren. Die Annexionen und Besetzungen anderer Staaten durch Hitler-Deutschland beurteilte Schmitt als »bedeutende Bestätigung« der Monroe-Doktrin.5

Die Eroberungen

Wir können hier nicht alle Eroberungen aufzählen, mit denen die USA ihr zunächst kleines Territorium im Osten Nordamerikas auf schließlich 50 Staaten und ein vielfach größeres Territorium räuberisch erweiterten. Wir beschränken uns auf wichtige Stationen.

Texas, Florida | Texas befreite sich von der spanischen Kolonialherrschaft und schloss sich Mexiko an, das sich 1821 ebenfalls von den Spaniern befreit und 1824 eine Republik gegründet hatte. Naiverweise könnte man annehmen, dass die USA eine solche antikoloniale Befreiung und Republikgründung geschätzt hätten, da sie sich doch ebenso aus kolonialer Vorherrschaft befreit und eine Republik gegründet hatten. Doch die USA waren und sind keine antikoloniale Kraft, sie tun nur so, falls es gerade passt.

In diesem Kontext entstand eine weitere Rechtfertigung von exterritorialer Gewaltanwendung: Es sei die »offensichtliche Bestimmung« (manifest destiny) der Nation, sich im göttlichen Auftrag auszubreiten und den »gesamten Kontinent in Besitz zu nehmen, den die Vorsehung uns für die Verbreitung des großen Experiments Freiheit … anvertraut hat.« Diese göttliche »Vorsehung« sollte legitimieren, dass die USA den Siedlern im Westen bis zum Pazifik in den noch nicht annektierten Gebieten das Licht der Zivilisation bringen und wilde Tiere und Indians vertreiben dürfen.6

Mexiko hatte die Zuwanderung aus den USA in die dünn besiedelte Gegend zunächst gefördert. US-Amerikaner kauften Land und stellten eine Armee auf. Als Oberbefehlshaber beriefen sie den US-General und Politiker Sam Houston. Sie konnten sich auf die Verschwörung mit der Regierung in Washington und deren Militär verlassen und erklärten Texas 1836 zur unabhängigen Republik. Sie wurde 1845 von den USA als Bundesstaat annektiert. Gegen die indigenen Seminolen in Florida führten die USA einen jahrzehntelangen Krieg und erklärten ebenfalls 1845, noch mitten im Krieg, Florida zu einem neuen Bundesstaat.

Kalifornien, Arizona, Nevada, Utah… | Dadurch weiter frech geworden, führten die kolonialen Eroberer Krieg gegen ganz Mexiko. In mehreren Schlachten zwischen 1846 und 1848, gipfelnd in der Besetzung der Hauptstadt Mexiko-Stadt, besiegten die technisch überlegene US-Armee und die US-Marine die Republik Mexiko. Die Army wurde auf 100.000 Soldaten ausgebaut, die bisher kleine US-Marine wurde zur international agierenden Seemacht erweitert. Kriegsverbrechen etwa der »Texas Rangers« an der Zivilbevölkerung gehörten zum militärischen Vorgehen.

In Kalifornien lebten zu der Zeit etwa 25.000 Indigene, 10.000 Mexikaner und 500 Siedler.7 Letztere gingen nach der Texas-Methode vor: Sie erklärten Kalifornien zur Republik, die Regierung in Washington schickte die Army als Schutz, und auch Kalifornien wurde als US-Staat annektiert, neben Arizona, Nevada, Utah und Teilen der heutigen Bundesstaaten New Mexico, Kansas, Colorado und Wyoming – alles in allem eine Halbierung Mexikos.

Der Staat, der sich vom englischen kolonialen Raubstaat gelöst hatte, konstituierte sich selbst als Raubstaat. Später nahm diese Expansion andere Formen an, die nicht zur formellen Integration in das US-Staatsgebiet führten, sondern etwa so aussahen:

annektierte Territorien und Inseln als »Überseegebiete«,

weltweit anderen Staaten mehr oder weniger freundlich oktroyierte Militärstützpunkte und

Filialen von US-Konzernen, die sich in anderen Staaten möglichst wenig und nur teil- und zeitweise pragmatisch an die dort geltenden Gesetze halten – oder eben nicht.

America First, American Century …

Spätere Ausprägungen dieses Selbstverständnisses sind Formeln wie America First. Sie werden besonders in zugespitzten historischen Situationen aus der Mottenkiste der US-Expansion hervorgeholt.8

Dies gilt auch für American Century. In Anlehnung an das erdumspannende britische Imperium und dessen Anspruch auf Imperial Century wird auch diese Formel seit dem 20. Jahrhundert geopolitisch erweitert. So erklärte der Medientycoon Henry Luce in seinem Artikel »The American Century« 1941: »Die US-Demokratie wird ihr geheimnisvolles Werk (mysterious work) verrichten, um das Leben der Menschheit vom Niveau der Tiere zu dem Niveau zu erheben, das der Psalmist als etwas unterhalb der Engel bezeichnete.«9

2.Systemischer Verfassungsbruch: »God’s own Country«

Zu den Legenden der Supermacht gehört ihre Entstehung in christlicher Unschuld, mit der Bibel in der Hand.

Die »Pilgerväter«

Nach der Legende errichteten die »Pilgerväter« eine feste Siedlung in der britischen Kolonie Nordamerikas. Radikale englische Puritaner wollten eine andere Vermögensverteilung, betrachteten sich als Heilige und erklärten, dass jede Kirchengemeinde ihr eigenes Verhältnis zu Gott habe, ohne die Vermittlung durch Bischöfe, die in England vom König eingesetzt wurden. 102 Pilger segelten im Jahre 1620 mit der »Mayflower« nach Nordamerika. Ihre Siedlung bei Plymouth im heutigen Bundesstaat Massachusetts nannten sie »God’s own Country«, Gottes eigenes Land.

Zunächst ertauschten sie sich Nahrungsmittel von erstaunten und freundlichen Ureinwohnern. Nach einigen Jahren, so ging es außerhalb der Legende allerdings weiter, plünderten die Siedler die Vorratslager der Indianer und führten Krieg. Die Vermischung mit den einheimischen Religionen galt als Schaden für die christliche Seele. Verschwörungstheorien wurden verbreitet: Die Indianer wollen uns töten. Dafür konnte man Anlässe heranziehen: Indianer töteten durchaus Siedler, wenn diese ihnen Land und Lebensmittel raubten. Die Siedler rechtfertigten deshalb Präventivschläge und vernichteten Ernten der Ureinwohner. Der britische Gouverneur genehmigte das gern. Zum Beispiel im Mystic-Massaker von 1637 erschossen und verbrannten die Milizen der Pilgerväter etwa 700 Menschen, die Überlebenden wurden versklavt. Mit diesem heiligen Sieg über den Stamm der Pequot begann zudem die Ausrottung der Native Americans.10

Die Pilgerväter feierten den mörderischen Sieg an ihrem Thanksgiving-Tag 1637, einem traditionellen Feiertag, als »süßes Opfer und wir beteten alle zu Gott, um ihm für seinen Beistand zu danken«.11

Mit der Bibel und dem Gottesbezug wurden Landeroberung, Tötung und Versklavung anderer Ethnien, hier der verschiedenen Indianerstämme, gerechtfertigt. Die Legende der »Pilgerväter«, die freundlich zu den Ureinwohnern gewesen sein sollen, wurde erst im 19. Jahrhundert inszeniert. Der staatliche Thanksgiving-Feiertag in den USA beruft sich auch auf die geschönte Thanksgiving-Feier der »Pilgerväter« von 1637.

US-Verfassung ohne Gottesbezug, eigentlich…

Die US-Verfassung von 1787 enthält keinen Gottesbezug. Sie beginnt aufklärerisch, demokratisch und weltlich mit »Wir, das Volk«.

So setzt sie sich vom Gottesgnadentum der europäischen Monarchien ab. Im ersten Zusatz zur Verfassung von 1791 heißt es: Der Kongress darf keine Gesetze beschließen, die die Freiheit der Meinung, der Presse, der Versammlung und der Religion einschränken; und es darf kein Gesetz geben, »das die Einführung einer Staatsreligion zum Gegenstand hat«.

Doch die Verfassung wurde und wird nachhaltig verletzt, bis heute. In der Nationalhymne von 1812, die bis heute gilt, heißt es: »das vom Himmel gerettete Land« und »Unser Wahlspruch soll sein: In Gott liegt unser Vertrauen.«

Vergöttlichung des Staatsgründers: Washingtons Himmelfahrt

Nach dem Sieg der Nordstaaten im Bürgerkrieg 1865 wurde Staatsgründer George Washington in einem Monumentalgemälde vergöttlicht. Bekleidet mit einem Purpur-Anzug fährt er in den Himmel auf. Dabei wird er begleitet von der römischen Göttin der Freiheit, Libertas, und der griechischen Göttin des Sieges, Nike, sowie von 13 Jungfrauen, die die 13 Gründungsstaaten der USA symbolisieren. Das Gemälde ziert seitdem die Kuppel des Kapitols, des Parlamentssitzes, in Washington. Diese diffuse Christlichkeit holt sich andere Gottesvorstellungen hinzu, hier die der römischen und griechischen Sklavenhaltergesellschaften, später etwa auch die jüdische; und während die Christlichkeit zunächst protestantisch geprägt war, wurde im 20. Jahrhundert mit der Förderung der Diktaturen von Mussolini, Franco, Salazar und Pilsudski und den neuen Beziehungen zum Vatikan die katholische Variante hinzugenommen.* (siehe S. 167-199)

Präsidenten- und Soldateneid: »So help me God«

Alle Präsidenten seit George Washington haben ihren Amtseid auf die Bibel geleistet mit der Formel »So help me God«. Nur ein einziger Präsident machte eine Ausnahme: Quincy Adams schwor 1825 auf die Verfassung statt wie üblich auf die Bibel.

Alle Soldaten schwören nach der Grundausbildung, dass sie die Verfassung schützen werden – mit derselben Formel »So help me God«. Army, Air Force und Marine bezahlen Militärgeistliche im Offiziersrang. Die Kirchen sind staatsgeschützt und steuerfrei. Der US-Gott segnet jeden Krieg.

Gegen die Sowjetunion: »In God we Trust«

Auf dem Höhepunkt des Kampfes gegen die »bolschewistische Gefahr« und den »gottlosen Kommunismus« in der Sowjetunion beschloss 1956 der US-Kongress: Der offizielle Wahlspruch des Staates sei »In God we trust«.

Gegenüber dem auch vom Vatikan als gottlos angeprangerten Sozialismus wollten die US-Kapitalisten die religiös-göttliche, höhere Ordnungsidee verkörpern. Im 19. Jahrhundert war schon vereinzelt der Wahlspruch auf Münzen geprägt worden. Nun aber wird er seit 1957 bis heute auf das symbolisch wichtigste Zahlungsmittel gedruckt, die Dollar-Noten: Gott und Dollar sind eins. Auch etwa in die 2001 ausgegebene 5-Dollar-Liberty-Goldmünze ist der Spruch IN GOD WE TRUST eingeprägt.

Wenn der US-Präsident die Rede zur Lage der Nation hält, dann steht er auf der Rednertribüne des Kapitols unter dem in Stein gemeißelten Spruch »In God we trust«.

Geschmeidig machte der Gesetzgeber zu diesem Wahlspruch kein Gesetz, sondern eine Erklärung (declaration). Gegen Kritik urteilte der Oberste Gerichtshof: Bei diesem Wahlspruch handle es sich nicht um eine Staatsreligion, sondern er habe »zeremoniellen Charakter«. Eine solche juristische Absegnung von Gesetzes- und Verfassungsbruch gehört zum Handwerkszeug von »God’s own Country«.

Obama: Mit Gott die Welt führen und ordnen

Im herrschenden Selbstverständnis sind die USA von Gott selbst auserwählt: Dazu gehört die seit Staatsgründung bei wichtigen Anlässen eingesetzte Formel: Wir sind »God’s own Country« – Gottes eigenes Land. Eine andere Formel dafür aus der Bibel, mit Bezug auf die Bergpredigt des Jesus Christus: Die USA sind »Die Stadt auf dem Hügel« (city upon the hill). Das ist das modernisierte Gottesgnadentum des feudal-»christlichen« Mittelalters.

Der besonders aufgeklärt auftretende Präsident Barack Obama zum Beispiel rief den zukünftigen Offizieren der Militärakademie West Point am 28.5.2014 während der US-geführten Kriege im Irak und in Afghanistan zu: »Gott möge Sie segnen. Gott segne unsere Männer und Frauen, die die Uniform tragen. Und Gott segne die Vereinigten Staaten von Amerika.«12

Dabei bezeichnete Obama wie andere Präsidenten die USA als »die außergewöhnliche Nation«. Sie steht über allen anderen Nationen (Exceptionalism). Wie der Papst der katholischen Kirche als Vertreter Gottes auf Erden und deshalb als unfehlbar gilt, so verstehen sich auch die US-Führungen als Stellvertreter Gottes und als unfehlbar, wenn sie ihrer Aufgabe nachgehen, als einzige Supermacht die Welt führen und ordnen zu müssen – auch wenn dazu Raub, Militäreinsätze, Kriege, Massaker und Versklavung nötig sind oder sich als Kollateralschäden »ereignen«. Das ist alles erlaubt, denn: Wir handeln im Auftrag Gottes.

»Die Welt vom Bösen befreien«

Doch die US-Führung stellt sich sogar über Gott. Sie will, was dem christlichen Gott gar nicht zugeschrieben wird, die Welt von allem Bösen befreien, das Böse ganz ausrotten, »to rid the world of evil«, wie es etwa Präsident George W. Bush 2001, drei Tage nach 9/11, verkündete13 und wie es alle seine Nachfolger – Obama, Trump und Biden – ebenfalls wiederholten. Und was das jeweils aktuell Böse oder der Böse ist, entscheidet die US-Führung. So wird vielgestaltig und nachhaltig im Namen Gottes die Verfassung gebrochen.

Andere können das auch, z. B. Hitler: »Gott mit uns«

Wir wollen gerecht sein: Auch andere Politiker bezogen sich auf Gott, auch in der eigentlich demokratischen Epoche nach dem 1. Weltkrieg. So berief sich auch der seit den 1920er Jahren von US-Akteuren geförderte und später auch aufgerüstete Adolf Hitler in »Mein Kampf« und in seinen Reden auf den Willen und die Schöpfung Gottes.

Hitler suchte und fand die christlichen Großkirchen als Mittäter seines kapitalistischen Unrechtssystems. Dessen Soldaten wurden auf den christlichen Gott eingeschworen. »Wir haben Soldaten nötig, gläubige Soldaten. Gläubige Soldaten sind die wertvollsten. Die setzen alles ein«, bemerkte Hitler 1933 zum katholischen Bischof Wilhelm Berning, der dem zustimmte und von Hitler zum Preußischen Staatsrat berufen wurde.14 »Gott mit uns« stand auf den Koppelschlössern der Wehrmachtssoldaten, die Europa und die »gottlose« Sowjetunion überfielen.

3.Die Demokratie des Sklavenstaats

Die Legende lautet: Die US-Gründungsväter haben durch ihre Revolution gegen die Kolonialmacht England eine Demokratie begründet.

In der Unabhängigkeitserklärung von 1776 heißt es wie in der damals populären Aufklärung Westeuropas: »Folgende Wahrheiten halten wir für selbstverständlich: alle Menschen sind gleich geschaffen; alle Menschen wurden von ihrem Schöpfer mit unveräußerlichen Rechten ausgestattet – dazu gehören Leben, Freiheit und das Streben nach Glück. Zur Sicherung dieser Rechte werden Regierungen unter den Menschen eingesetzt, die ihre rechtmäßige Macht aus der Zustimmung der Regierten herleiten. Wann immer eine Regierungsform sich als diesen Zielen abträglich erweist, ist es das Recht des Volkes, sie zu ändern oder abzuschaffen und eine neue Regierung einzusetzen.« Das wäre tatsächlich Demokratie und die grundsätzliche Anerkennung der Menschenrechte.

US-Verfassung: Sklaven sind erlaubt

Die Unabhängigkeitserklärung mit Bezug auf die Menschenrechte war nur eine populistische Absichtserklärung. Als es ernst wurde, war sie vergessen. Die Aussagen, dass alle Menschen gleich geschaffen sind, dass sie unveräußerliche Rechte haben und dass das Volk das Recht und die Pflicht hat, ungerechte Regierungen zu beseitigen – all dies ist in der Verfassung von 1787 weder dem Wortlaut noch dem Sinne nach enthalten. Im Gegenteil: In der ganzen Verfassung kommen die Begriffe »demokratisch« und »Demokratie« nicht vor.

Zudem: Weder in der Unabhängigkeitserklärung noch in der Verfassung wird die Abschaffung der Sklaverei gefordert, sie wird gar nicht erwähnt. Das Recht, Sklaven zu handeln, zu besitzen, auszubeuten und mit dem Tode zu bestrafen, gehörte zu den selbstverständlichen »Menschenrechten« der US-Gründungsväter. Der Sklavenimport in die USA explodierte nach Inkrafttreten der Verfassung. »Die amerikanischen Sklavenhalter besaßen 1820 mit 1,5 Millionen Sklaven etwa dreimal so viel Sklaven wie 1787.«15

In der Verfassung heißt es im Gegensatz zur Unabhängigkeitserklärung: Der Kongress muss für »Ruhe im Inneren« sorgen (Präambel) und »Aufstände unterdrücken« (Artikel I,8). Und nun ist auch nicht mehr von allen Menschen und ihrer Gleichheit die Rede, sondern davon, dass der Staat »das Glück der Freiheit uns selbst und unseren Nachkommen« bewahren muss.16

Kapitalisten sorgen erst einmal für ihre Minderheit

Wer war im US-Sklaven-Staat mit »uns selbst« gemeint? Die US-Gründerväter waren aristokratische Sklavenhalter, Land- und Privateigentümer, Rassisten, Patriarchen. Für sie waren die allermeisten Menschen keine gleichwertigen Menschen. Das galt zunächst gegenüber den Ureinwohnern des nordamerikanischen Kontinents, dann für die schwarzen Sklaven, dann für die importierten chinesischen Kulis, auch für Menschen ohne nennenswertes Privateigentum (Bedienstete), für Frauen sowieso und schließlich vor allem für die, die nicht US-Staatsbürger waren.

Die Mehrheit der 55 Gründungsväter waren reiche Anwälte, Eigentümer von Sklaven, Fabriken, Ländereien und Schiffsunternehmen. Die Hälfte war als Verleiher von Geld gegen Zins tätig und 40 von ihnen besaßen Anleihen des Staates, den sie gründeten.17

Der erste Präsident, General George Washington, war der Sohn eines reichen Sklavenhalters. Der hatte sein Land »Indianern« geraubt. Für die Staatsgründer waren die Indians »wilde Tiere«, die auf die eine oder andere Weise – Enteignen, Aushungern, Töten, Umsiedeln – zum Verschwinden gebracht werden durften.

James Madison, der als Vater der Verfassung gilt und 4. US-Präsident wurde, erklärte: »Die beiden Rassen (Weiße und Schwarze, WR; Indigene existierten sowieso eigentlich nicht) können nicht gemeinsam existieren, wenn beide frei und gleich sein sollen« – so schrieb er 1826 an den bekannten Gegner der Sklaverei, den Marquis de Lafayette.

Die Legende von der Tea Party

Meistens wird die Revolution der Nordamerikaner gegen die britische Kolonialmacht anhand der Tea Party dargestellt: 50 Aktivisten stürmten im Hafen von Boston 1773 britische Schiffe und warfen drei Schiffsladungen Tee ins Wasser. Das war ein Protest gegen die Importzölle, die das britische Mutterland in Boston erhob. Gegen solche britischen Zölle hatten die Kolonisten in Nordamerika schon seit Jahren protestiert. Sie waren zwar britische Bürger, argumentierten aber: Wir sind wahlberechtigt, aber wegen der Entfernung können wir nicht wählen und sind nicht im britischen Parlament vertreten. Also brauchen wir uns auch nicht an dessen Beschlüsse zu halten. Nach diesem Protest, so die herrschende Darstellung, machten sich die Kolonisten unabhängig, veröffentlichten 1776 die Unabhängigkeitserklärung und gründeten 1787 die USA.

Doch die nordamerikanische Revolution begann schon früher und wurde von anderen Gruppen geführt als den Aktivisten der Tea Party:18 Lange bevor sich die Reichen zum Protest aufschwangen, waren ganz andere landesweit aktiv: Ureinwohner, Seeleute, Arbeiter, Sklaven. Aber das wird bis heute verdrängt:

Ureinwohner: Ein Indiz ist die Tatsache, dass die Teilnehmer der Tea Party sich als Angehörige der Mohawks verkleidet hatten. Die Mohawks hatten sich gegen die französische Kolonialmacht gewehrt. Indians galten damals deshalb als Freiheitskämpfer und als Symbol der Abgrenzung von den europäischen Kolonialmächten.

Seeleute: Seit den 1740er Jahren kämpfte das britische Kolonialreich um seine Ausweitung. Es führte Kriege gegen Spanien und Frankreich. Dazu brauchte es mehr Soldaten, wozu die eigene Bevölkerung nicht ausreichte oder »zu schade« war. Deshalb waren Militärtrupps unterwegs, um Männer in die Armee zu pressen. Eine wichtige Zielgruppe waren die vielen Seeleute. Diese hatten aber vielfache Kampferfahrung: Auf den Handelsschiffen mussten sie gegenüber gewinngierigen Kapitänen und Schiffseignern für Sold, Verpflegung und bessere Arbeitszeiten kämpfen. Trupps von bis zu 300 Seeleuten gingen gegen die Pressversuche vor, bewaffneten sich mit Knüppeln und Entermessern, besetzten Schiffe der Royal Navy, verprügelten Sheriffs, nahmen Offiziere als Geiseln. Sie kaperten Boote der Presstrupps und befreiten Gepresste, holten solche Boote an Land und verbrannten sie. 1747 versammelten sich in Boston etwa 3.000 Menschen bei einer solchen Aufstandsaktion. Boston war schon vor der Tea Party die »Metropole des Aufruhrs«. In den 1760er Jahren streikten Seeleute in London, dem damals größten Hafen der Welt, und in nordamerikanischen Häfen gegen niedrigen Sold, überlange Arbeitszeiten und gefährliche Arbeitsbedingungen. 1768 kam es zu einem Generalstreik.

Arbeiter: 1775 streikten in Liverpool Arbeiter gemeinsam mit Seeleuten gegen Lohnkürzungen. Unter den Seeleuten waren auch Schwarze. Sie protestierten auch gegen Liverpooler Kaufleute, die im Sklavenhandel ihr Geld verdienten. Die Seeleute, die in vielen Häfen diesseits und jenseits des Atlantiks herumkamen, waren wichtig für die Ausbreitung revolutionärer Ideen und Praktiken. In Nordamerika verdingten sich entlaufene Sklaven als Seeleute und Hafenarbeiter und nahmen ebenfalls an Protesten und Aufständen teil.

Sklaven: Während der 1760er Jahre organisierten Sklaven zunächst Aufstände in Jamaika, Bermuda, Surinam, Britisch Honduras, Grenada, St. Vincent, Tobago, St. Kitts und anderen Plantageninseln. Die Berichte erregten in Boston Aufsehen. Sklaven und Sklavinnen in Nordamerika entflohen ihren Herren in großer Zahl, organisierten in den 1770er Jahren Aufstände in Virginia, New Jersey, South Carolina, Maryland, New York, Norfolk und auch in Boston. Teilweise halfen weiße Seeleute bei der Waffenbeschaffung. Bekannt wurde die öffentliche Predigt des Quäkers James Otis 1761 in Boston: Alle Menschen »ob weiß oder schwarz« sind »von Naturrechts wegen frei geboren«. Otis forderte zur Freilassung der Sklaven auf und schrieb ihnen das Recht auf Gewalt zu.

Echte Menschenrechtler: Ein junger Mann namens Samuel Adams nahm die Aufstandsaktion in Boston 1747 zum Anlass, die Wochenzeitschrift The Independent Adviser zu gründen. Er erweiterte die von den nordamerikanischen Kolonisten geforderten »Rechte der freien Engländer« zu »Rechten aller Menschen«. Er hatte gesehen, dass zu den Aufständischen Menschen verschiedener Hautfarbe und Herkunft (Afrika, Schottland, Irland, England, Holland) gehörten. Er argumentierte, dass die Aufständischen das Recht auf Widerstand haben, auch zur Anwendung von Gewalt in direkten Aktionen. The Adviser schrieb vom Naturrecht auf Selbstverteidigung und Gleichheit. Adams forderte ein Agrargesetz zur gerechten Verteilung des Landes. Im Januar 1748 hieß es im Adviser: »Alle Menschen sind von Natur aus gleichrangig; mit dem gleichen Anteil an Freiheit geboren und mit fast gleichen Fähigkeiten ausgestattet.« Dies nahm die ersten Worte der Unabhängigkeitsbewegung von 1776 vorweg.

Demokratisch-menschenrechtliche Forderungen wurden in Nordamerika somit schon vor der Unabhängigkeitserklärung erhoben, allerdings nicht durch die Kolonisten, die zwar die Stimmung aufgriffen, aber alle sozialen Forderungen und die ursprünglichen Revolutionäre verdrängten.

Keine demokratische Revolution

Die »Revolution« der US-Gründungsväter hatte nicht zu einer Demokratie geführt, sondern nur zu einer Neuorganisation der besitzenden und herrschenden Klasse. Sie wollte Steuern und Zölle nicht mehr an ihre britischen Ober-Kolonialherren entrichten. Die US-Demokratie war ein modernisierter kolonialer Sklavenstaat. Es fand somit keine soziale Revolution statt, kein Wechsel der ungleichen Eigentumsordnung, keine Befreiung der am stärksten Unterdrückten – im Unterschied zur Französischen Revolution, die kurz danach stattfand.

Wahlrecht hatten nur die vermögenden Steuerzahler. Die Mehrheit der Menschen blieb aus dem Menschsein und der demokratischen Gestaltungsmacht ausgeschlossen. Das galt sogar auch für viele Menschen, die in den Kriegen gegen die Engländer mitgekämpft hatten: kleinbäuerliche Siedler und Handwerker, aber auch Indigene und Schwarze, die in eigenen Truppenverbänden organisiert wurden: Von ihnen hatten ohnehin wenige den Krieg überlebt. Man hatte sie als Kanonenfutter eingesetzt und »befreit« – befreit zum Tode.19

Das Recht auf Sklavenhaltung blieb. Präsident Washington etwa ordnete kurz vor seinem Tod 1799 in seinem Testament an, dass seine und seiner Frau 317 Sklaven auf ihrem Gut Mount Vernon nach seinem und seiner Frau Tod freigelassen werden.20 So konnte er sein Verfassungsrecht auf die Verfolgung seines persönlichen Glückes während seines Lebens mithilfe von Sklavenarbeit weiterverfolgen. Nur für die Zeit nach seinem Tod war er großzügig.

Die US-Demokratie ist seit ihrer Gründung eine Kapital-Demokratie: Die Demokratie kann eingeschränkt und auch abgeschafft werden, auch etwa durch Förderung von Rassismen und Faschismen. Die Interessen der führenden US-Kapitalisten (aber nicht der Kapitalisten in anderen Staaten) sind dagegen die unverrückbare Konstante.

4.Sklavenbefreiung als Vorwand

Die »Vereinigten« Staaten waren nicht so brüderlich vereinigt, dass sie nicht auch gegeneinander einen mörderischen Krieg führen konnten. Das verfassungsmäßig geschützte Privateigentum bedeutete auch: Die mächtigeren Privateigentümer können die weniger mächtigen Privateigentümer zurücksetzen, enteignen, ja auch bekriegen, innerhalb und außerhalb des Staatsgebietes. Unter kapitalistischen »Brüdern und Schwestern« sind Mord und Totschlag als Möglichkeit immer angelegt.

Zum Privateigentum gehören auch Sklaven

Die Verfassung von 1787 garantierte mit dem Privateigentum indirekt also auch das Eigentum an Sklaven. Die Staatsgründer aus dem Norden waren ebenso Sklavenhalter wie die aus den Südstaaten: Dort in Delaware, Maryland, Virginia, North Carolina, South Carolina und Georgia wurde die Plantagenwirtschaft – Baumwolle, Tabak, Zuckerrohr und Reis – lediglich in größerem Umfang mit Sklaven betrieben als in den Unternehmen und Großhaushalten des Nordens.

Der Regierungssitz in Washington, das Kapitol, wurde durch Sklaven errichtet. Der erste Präsident George Washington kam aus einer reichen Sklavenhalterfamilie im Südstaat Virginia. Er hatte zwar nur 10 Sklaven von seinem Vater geerbt, zuletzt gebot er aber zusammen mit seiner Frau über die bereits erwähnten 317 Sklaven. Wenn sie entlaufen waren, ließ er sie einfangen.21 Mehrere Sklaven trennte er von ihren Familien und verkaufte sie in die Karibik.22

Präsidenten als Sklavenhalter

Thomas Jefferson, der dritte Präsident, Verfasser der Unabhängigkeitserklärung, stammte aus einer reichen Familie von Tabakpflanzern und hatte über 200 Sklaven.23 Er gab nur die vier Kinder frei, die er außerehelich mit einer schwarzen Sklavin, der Zofe seiner Ehefrau, gezeugt hatte.24

Von der Staatsgründung bis zum Bürgerkrieg hatten die USA 15 Präsidenten. Neben Washington und Jefferson waren weitere sechs vor und neben ihrem Präsidentenamt ebenfalls Sklavenhalter: James Madison, James Monroe, Andrew Jackson, John Tyler, James Polk und Zachary Taylor. Im Kongress stellten Sklavenhalter die Mehrheit, und auch der einflussreiche US Supreme Court (Oberster Gerichtshof) wurde von Sklavenhaltern wie John Marshall und Roger Taney dominiert.

Nordstaaten stimmen der Aufnahme weiterer Sklavenhalterstaaten zu

Deshalb hatten auch die Nordstaatler keine Bedenken, zwischen 1817 und 1857 weitere Sklavenhalterstaaten in den Bund aufzunehmen: Mississippi, Alabama, Missouri, Arkansas, Florida, Texas und Kansas.

In Texas hatte die mexikanische Regierung die Sklaverei abgeschafft: Aber nachdem der US-Kongress Texas 1845 annektiert hatte, wurde sie dort wieder eingeführt.

1850 beschloss der Kongress den Fugitive Slave Act (Gesetz über flüchtige Sklaven): Danach mussten die Behörden der Nordstaaten Sklaven, die aus den Südstaaten nach Norden geflohen waren, einfangen und an die Südstaaten bzw. ihre Herren überstellen.

Menschenrechtlicher Widerstand: Erfolglos

Eine Bewegung aus Intellektuellen und einfachen Bürgern forderte zwar die Abschaffung der Sklaverei, aber erfolglos.

Der bekannteste intellektuelle Gegner der Sklaverei ist Thomas Paine. Er war nie Sklavenhalter. Er argumentierte menschenrechtlich und hielt alle verkirchlichten Religionen – er nannte die jüdische, türkisch-muslimische, römisch-katholische, protestantische, griechisch-orthodoxe – für Erfindungen, um Menschen zu versklaven und Macht und Profit zu rechtfertigen. Er starb entmutigt, einsam und verarmt.25

Größere Kapitalisten gegen kleinere Kapitalisten

Die Nordstaaten waren industriell, technologisch, wissenschaftlich, bankentechnisch und vom Umfang des einsetzbaren Kapitals den Südstaaten überlegen. Der Handel, auch der Sklavenhandel, war in den Nordstaaten konzentriert.26 Die Nordstaaten hatten zudem mehr als doppelt so viele Einwohner. Banker und Unternehmer des Nordens wollten den Süden als Markt- und Investitionsstandort erschließen. Ein Auslöser des Bürgerkriegs war die Wirtschaftskrise, die seit 1857 die Nordstaaten erfasst hatte.

Die Regierung unter Lincoln nutzte auch andere Umstände: Die Kolonialmacht England hatte die Sklaverei 1833 abgeschafft. Auch die zweitwichtigste Kolonialmacht, Frankreich, hatte 1848 die Sklaverei abgeschafft.

Präsident Lincoln: Kein Gegner der Sklaverei

Abraham Lincoln, vor und während des Bürgerkriegs Präsident, gilt als Gegner der Sklaverei, war es aber nicht. Er war Protektionist im Interesse der nordstaatlichen Industrie. Als Anwalt vertrat er die Interessen nordamerikanischer Eisenbahngesellschaften, die weitere Investitionsmöglichkeiten suchten. Als Kompaniechef in einem der Kriege gegen die indigene Bevölkerung erwies er sich nicht als Menschenfreund. Er wollte den US-Staat als Einheit und Machtfaktor erhalten.

Während des Bürgerkriegs schrieb Lincoln am 22.8.1862 einen offenen Brief an die New York Tribune des Sklavereigegners Horace Greely: »Mein oberstes Ziel in diesem Krieg ist es, die Union zu retten; es ist nicht, die Sklaverei zu retten oder zu zerstören. Könnte ich die Union retten, ohne auch nur einen Sklaven zu retten, so würde ich es tun; könnte ich sie retten, indem ich alle Sklaven befreie, so würde ich es tun; und könnte ich die Union retten, indem ich einige Sklaven befreite und andere nicht, so würde ich auch das tun.«27 Freilich war ihm von Nutzen, dass Sklavereigegner wie Greely die öffentliche Meinung moralisch gegen die Südstaaten aufbrachten.

Der bisher größte Krieg der Menschheit

Die Kriegführung der Nordstaaten gegen die »Bruderstaaten« war extrem gewalttätig. Auch die Zivilbevölkerung galt als Feind. Städte wurden zerstört, den Soldaten des Nordens wurden Plünderungen freigegeben. Farmen wurden abgebrannt, Ernten vernichtet, Vieh getötet, Frauen vergewaltigt. Gefangene lieferte man gegenseitig nicht aus, sondern ließ sie verhungern.

Es war ein »totaler Krieg«. 620.000 nordamerikanische Soldaten wurden in diesem Krieg getötet, mehr als in jedem anderen Krieg, den die USA später führten, seien es der 1. und der 2. Weltkrieg, der in Vietnam, Irak, Afghanistan und anderswo. Die zivilen Toten wurden übrigens nicht genau gezählt – wie in späteren US-Kriegen ebenso.

Sklaven und fremde Soldaten als Kanonenfutter

Gleichzeitig förderte Lincoln, dass Schwarze die Nordstaaten-Armee verstärken. 179.000 Schwarze konnten sich damit aus dem Sklavenstatus befreien. Auch wenn sie einen niedrigeren Status erhielten – nur die Hälfte des Soldes der Weißen, kein Aufstieg in höhere Ränge –, nahmen sie oft begeistert teil. Sie wurden in rein schwarzen Einheiten zusammengefasst und als erste in die Kämpfe geschickt.28 So nutzten die nordstaatlichen Kapitalisten die Freiheitshoffnungen von Unterdrückten – wirklich befreit wurden sie nicht.

Die Nordstaaten schickten sowieso möglichst wenig eigene Männer in ihren Krieg. Man holte Freiwillige als Kanonenfutter aus Deutschland, England, Kanada, Polen, Frankreich, auch aus China, Mexiko und Hawaii – insgesamt etwa 600.000 von 2 Millionen. Das galt fast ausschließlich für die Armee der Nordstaaten.29

Totaler Krieg zwischen kapitalistischen Brüdern

Kaum jemand staunt über die Tatsache, dass der Krieg zwischen »demokratischen Bruderstaaten« überhaupt möglich war und dass er zudem der bis dahin nach Zahl der militärisch und zivil Getöteten und Verwundeten und nach Materialeinsatz der größte Krieg der Menschheit und ein grausamer totaler Krieg war.30

Aber: Der US-Kapitalismus enthält den Keim des notfalls gnadenlosen Krieges gegen eigene Staaten – und später auch gegen »Verbündete«. Die Verbündeten oder gar »Freunde« einer kommenden und dann etablierten Supermacht sind immer in Anführungszeichen zu schreiben, können zu Gegnern werden oder werden auf vielfältige Weise geschädigt.

Kriegsanleihen durch europäische Banken: 7,3 Prozent Zinsen

Für die finanzierenden Banken und für die Unternehmer und Händler der Nordstaaten war der Krieg ein blendendes Geschäft. Die noch kleinen US-Banken wie Chase, Riggs und Metropolitan Bank und die staatlich beauftragte Agentur Jay Cook & Company verkauften die Kriegsanleihen vor allem in Europa, über Banken wie Seligman, Lazard Speyer-Ellissen, Morgan und Rothschild in London, Paris, Frankfurt und Amsterdam.31 Die Dreijahres-Schuldanleihen, die Cook vermittelte, brachten 7,3 Prozent Zinsen jährlich.32 Kredite für die Südstaaten besorgten vor allem die Banken Erlanger, Henry Schröder und auch Rothschild.33

Der unregulierte Kapitalismus als gesellschaftliche Ordnung bzw. Unordnung der minderheitlichen Gewinnabschöpfung ist auf Krieg angelegt, im Inneren wie im Äußeren. Der US-Kapitalismus machte mit dem Bruderkrieg einen wichtigen Schritt zur nachhaltigsten, heute mächtigsten Ausprägung dieser Art Kapital-Demokratie. »Seit 1776 war Amerika (gemeint sind die USA, WR) 222 von 239 Jahren im Krieg.«*

Bürgerkrieg: Aufstieg der Multimilliardäre

Der Krieg der nordamerikanischen Bürger gegen die südamerikanischen Bürger war zugleich das blendende Geschäft der nordamerikanischen Bruder-Kapitalisten.

Die den Krieg mitorganisierenden Industriellen des Nordens ließen sich und ihre Söhne vom Kriegsdienst freistellen. Sie durften nicht der Todesgefahr ausgesetzt werden. Das ermöglichte die Lincoln-Regierung. Die Morgans, Rockefellers, Carnegies, Goulds, Fields, Armours, Huntingtons & Co. durften sich und ihre Söhne mit staatlicher Förderung vom militärischen Kriegsdienst freikaufen. Sie mussten lediglich aus der Portokasse irgendwelche Hungerlöhner bezahlen, die als Stellvertreter den Kriegsdienst leisteten.34

So gingen sie dem kapitalistischen Kriegsdienst nach und legten damit den Grundstein für ihren beispiellosen, »sagenhaften« Reichtum in den folgenden drei Jahrzehnten. Das »Land der unbegrenzten (kapitalistischen) Möglichkeiten« war endgültig geboren.

Karl Marx begriff nicht die Logik des US-Kapitalismus

Der Kapitalismuskritiker Karl Marx und seine Genossen schickten während des Bürgerkriegs namens der Internationalen Arbeiterassoziation an Präsident Lincoln zu dessen Wiederwahl 1864 eine Glückwunsch-Adresse: »Tod der Sklaverei!« sei »der triumphierende Schlachtruf Ihrer Wiederwahl!«35 Marx weiter: Europas Arbeiter fühlen »instinktmäßig, dass an dem Sternenbanner das Geschick ihrer Klasse hing«. Marx fabulierte, »die Arbeiter« seien »die wahren Träger der politischen Macht im Norden« und fuhr fort: »Die Arbeiter Europas sind von der Überzeugung durchdrungen, dass, wie der amerikanische Unabhängigkeitskrieg eine neue Machtentfaltung für die Mittelklasse einweihte, so der amerikanische Krieg gegen die Sklaverei eine neue Machtentfaltung für die Arbeiterklasse einweihen wird«.

Doch entgegen dieser Marx’schen Gutgläubigkeit brachte weder die Unabhängigkeitsbewegung 1776 ff. eine Machtentfaltung für die Mittelklasse noch brachte der Bürgerkrieg Arbeiter und Ex-Sklaven an die politische Macht. Marx verklärte Lincoln personenkultisch zur Arbeiterikone: »der starrsinnige, eiserne Sohn der Arbeiterklasse«. Zwar wurde Lincoln als Sohn einer Farmerfamilie in einer Holzhütte geboren. Aber als Anwalt, Eisenbahnlobbyist und Präsident der Industrie-Protektionisten-Partei der Republikaner war er politischer Agent der Kapitalisten. Marx lobte, dass die »20 Millionen Freien« im Norden sich nicht mehr der Oligarchie der 300.000 Sklavenhalter des Südens unterwerfen wollten – aber die meisten Einwohner der Nordstaaten einschließlich der Sklaven, Ureinwohner, Arbeiter, verschuldeter Bauern und Siedler waren keineswegs frei.

5.Nebenbei ein Völkermord

Die rassistischen Kolonialmächte Frankreich und Großbritannien hatten die Ureinwohner zwar bei Gelegenheit bekriegt. Aber den Völkermord praktizierte erst der US-Sklavenstaat.

Schon der erste Präsident Washington sah in den Indigenen keine Menschen. Sie hatten nicht das Recht auf Leben nach der US-Verfassung, ihnen sollten vielmehr alle Existenzgrundlagen genommen werden. »Unmittelbare Ziele sind die völlige Zerstörung und Verwüstung ihrer Siedlungen. Besonders wichtig wird es sein, ihre Feldfrüchte in der Erde zu vernichten und die Felder unbestellbar zu machen.«36

Der dritte US-Präsident, Thomas Jefferson, Verfasser der Unabhängigkeitserklärung, äußerte sich ähnlich: »Wir werden gezwungen sein, sie wie Tiere aus den Wäldern in die Felsengebirge zu treiben … Ich werde niemals aufhören, sie zu verfolgen!«37 Sein Programm fasste er unter dem Motto Removal! zusammen: Entfernen! Andrew Jackson gewann seinen Wahlkampf 1821 mit der Hauptforderung, die Indians zu vertreiben.38 So führten die USA – Nord- und Südstaaten gemeinsam – zwischen 1814 und 1858 allein drei Kriege gegen die Seminolen in Florida. Sie wurden umso grausamer verfolgt, weil entlaufene Sklaven sich zu diesem Stamm geflüchtet hatten. Die US-Truppen zerstörten Dörfer, töteten Indians und schafften Sklaven zurück.

Mit Gesetz: Der Völkermord beginnt

1830 beschloss der Kongress den Indian Removal Act (Gesetz zur Entfernung der Indianer): Etwa 100.000 Indians wurden in Nordamerika in abgelegene Reservate zwangsumgesiedelt. Dies ging in den Völkermord über: Beim Transport wurde bewusst in Kauf genommen, dass wegen der schlechten Bedingungen tausende starben. In die Sümpfe treiben und dort verrecken lassen – das gehörte ebenfalls zu den Praktiken.

Während des Bürgerkriegs bekämpfte die Nordstaaten-Armee gleichzeitig auch die indigene Bevölkerung. Im Homestad Act (1862), ein Jahr nach Beginn des Krieges, wurde den Siedlern alles Land der Indians freigegeben. Somit war der »Bürgerkrieg« gegen die Südstaaten auch ein Enteignungskrieg gegen die Ureinwohner. Dafür ermordeten etwa am 29.1.1863 Nordstaaten-Truppen zwischen 250 und 400 Bewohner eines Dorfes (»Schoschonen-Massaker«).39 Präsident Lincoln verfügte die Massenhinrichtung von 38 widersetzlichen Mitgliedern der Lakotas durch Erhängen.40

Landkauf und Eisenbahnen

Nach dem Sieg über die Südstaaten beschloss der US-Kongress 1871, mit Indians keine Landkauf-Verträge mehr abzuschließen. Zuvor hatte man solche zumindest der Form nach ausgehandelt, auch wenn die »Indianer« die Texte nicht verstanden und sich die US-Vertragspartner nicht daran hielten. Ziel war nun offiziell die Ausrottung (extermination) der »wild beasts«.

Private Eisenbahnunternehmen waren das zivile Hauptinstrument zur Erschließung des Westens. Die meisten Eigentümer waren Mitglied von Lincolns Republikanischer Partei und finanzierten sie. Dazu gehörte auch Bestechung, etwa die Schenkung von Eisenbahnaktien an Senatoren.

Völkermord: Die Endlösung der Indianerfrage

Ab 1880 sprachen US-Generäle von der Endlösung des »Indianerproblems« (final solution of the Indian problem).41 Die Generäle führten mit der Armee im Auftrag der Regierung einen »totalen Krieg« gegen die Ureinwohner – genauso wie einige Jahre zuvor gegen die Südstaaten. Ganze Dörfer wurden ausgelöscht. Nicht nur Männer, Frauen und Kinder wurden getötet, auch Hunde, Pferde und Büffel. Indigene wurden aufgehängt und durch Skalpabschneiden gedemütigt. Berühmt wurde das Massaker von Wounded Knee von 1890. In selben Jahr wurde auch der legendäre Häuptling Sitting Bull, der 1876 der US Army unter General Custer eine vernichtende Niederlage beigebracht hatte, bei einem Verhaftungsversuch im Reservat erschossen. Damit galt das »Indianerproblem« als »gelöst«.

Von den geschätzt ursprünglich knapp einer Million Ureinwohnern auf dem nordamerikanischen Territorium waren zum Ende des 19. Jahrhunderts nur etwa 250.000 Menschen übriggeblieben. Ob es sich hier um einen Völkermord handelt, ist »umstritten« – aber nur weil die US-Führung dies bestreitet.

Die völkerrechtliche Definition von Völkermord ist in der UN-Konvention über die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes von 1948 enthalten.42 Danach handelt es sich um Völkermord, wenn Handlungen gegen »eine nationale, ethnische, rassische oder religiöse Gruppe als solche ganz oder teilweise gerichtet« sind. Solche Handlungen sind: Tötung von Mitgliedern der Gruppe; zielgerichtet verursachte körperliche oder seelische Schäden; vorsätzlich auferlegte Lebensbedingungen, die ganz oder teilweise auf die Zerstörung gerichtet sind. Als unmittelbare Erfahrung lag der Konvention die Vernichtung der Juden durch das Deutsche Reich während des 2. Weltkriegs zugrunde. Völkermord verjährt nicht und muss vor einem Strafgerichtshof bestraft werden.

Nach dieser Definition handelt es sich beim Umgang mit den nordamerikanischen Ureinwohnern um Völkermord: Seit Beginn der Staatsgründung wiederholten US-Regierungen die Absichtserklärung zu Vertreibung und Vernichtung; Tötungen durch organisierten Militäreinsatz; Enteignung und Landraub; Entzug von Lebensgrundlagen; Zwangsumsiedlung in abgelegene Sondergebiete (»Reservate«) und Isolierung; Nichtgewährung oder Entzug von Bürgerrechten – und all dies dauerhaft.

Die USA haben die UN-Konvention 1988 ratifiziert, aber mit Vorbehalten: Betroffen sind nur Handlungen, die nach dem Gesetz des jeweiligen Staates – in diesem Fall der USA – als kriminell gelten. Handlungen, die in kriegerischen Konflikten begangen wurden, fallen ebenfalls nicht unter die Konvention.43 Somit bleibt der Völkermord ungesühnt, unentschuldigt und unentschädigt bis heute.

Die Republikaner-Mehrheit im Kongress beschloss, die Eisenbahnunternehmer staatlich zu subventionieren. Zu den direkten finanziellen traten indirekte Subventionen: Ausrottung der hinderlichen Indians oder ihre Verurteilung zur Zwangsarbeit beim Bau der Eisenbahnlinien, Deportation der Übriggebliebenen in abgelegene Reservate.

Völkermord verklären: Die Show »Der Wilde Westen«