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Nina George bietet einen charmanten, persönlichen und hintergründigen Blick auf die Eigenheiten der Freien und Hansestadt Hamburg. Als leidenschaftlich-neugierige Stadtläuferin durchstreift sie Straßen und Viertel, nimmt sich besonderer Orte und Lokale an, entdeckt inmitten geschäftigen Treibens >>Gemütsasyle für Fliehende<<. Glück - das bedeutet auch, auf den Bordsteinkanten in der Schanze zu sitzen, Halbtagsurlaub in Blankenese im August und vielleicht eine winterliche Punschfahrt auf der Alster. Kleinen Marotten hanseatischer Art begegnet die Autorin mit liebevoller Ironie, und selbst der allwöchentliche Stau im Elbtunnel wird zum Gegenstand vergnüglicher Reflexion.
Ein Buch, das lockt und verführt - und mitten hineinführt ins Innenleben, an den Puls der >>sehenswertesten Stadt<<. Mal poetisch, mal bissig, aber immer mit der unheilbaren Liebe einer Hamburg-Süchtigen.
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Seitenzahl: 181
Cover
Über dieses Buch
Über die Autorin
Titel
Impressum
Vorwort
Immer wieder erstmalig
Neu hier?
Das Schweigen der Pendler
Das kleine Wer-Wo-Was
So klingt die Nacht
Wie riecht Hamburg?
Hauptstadt der Untertreibung
Die zufällige Schönheit der Frauen
Die Single-Legenden der Großstadt
Kuschelpartys: Atemnot der Seele
Die Kontur des Glücks
Ego- oder Ehekultur?
Hamburg, meine Strandperle
Immerferienschön
Ortstermin für Ja-Sager
O Gott, Herr Pfarrer!
Ohren auf: Jazz we can!
Der Schurigel-Reflex
Küsschen-Kult in Hamburg?
Hamburg im Regen
Die vergessene Stadt der Träume
Die Europa-Passage im Flirt-Test
Es war einmal auf St. Pauli
Kleine Fluchten
Liebe als Schulfach?
Schanzen-Nights
In Fahrtrichtung Herz
Ihr Einsatz, bitte
Wünsch dir was, sagte der Goldfisch
Bis zum letzten Schritt
Früher – oder lieber später?
Schau mal einer hin
Herz & Schmerz in Hamburg
Life im Live: Lass es krachen in der Schuhschachtel!
Erbtante Flotti & Mutti Eppendorf
Aussterbende Büdchen
Adieu, Paris
Tipps for Travellers: The Hamburger Snacking
Helau! Pardon: Alaaf!
Nicht mit und nicht ohne
Kreuzfahrt nach Winterhude
Wahrheit in Dosen
Liebe auf den zweiten Blick
Schule des Charmes
Zwei Minuten im Kunstraum
C’est à Hambourg
Das HVV-Flirtkarussel
Aufstiegschancen
Kranlandschaft
Flirtfaktor Kind
Sag mir, was du fährst
Emotionales Navi
Spiel mir das Lied von der Liebe
Im Wespennest
Mit dem Ex in der Sauna
Kein Dirndl auf Pauli
Rappelkistenrennen
Mordsstimmung
Hammonias Zorn
Die Königin der Träumer
In Zwischenzeiten
Kalter Kaffee
Offene Gesellschaft
Leise gurgelt der Punsch
Made in Hamburg
Ab zwanzig Zentimeter: Glück
Hamburg backstage
Das Verschwinden der bittenden Hände
Soll das Weltdorf schöner werden?
Du bist, was du liest – und was du schreibst
Zwölfeinhalb Dinge
Zehn andere Dinge: Über Bremen, Galão-Strich und Mädchenbrause
Bürgerbewegung
Volles Rohr Romantik
Hafen. Stadt
Die Weisen der Steine
Die Stadt über der Stadt
Fisch ahoi! Oder: Die Grätchenfrage
Guerilla-Gärtner und Beetschwestern
Wie balzt die Hamburger Eisente?
Dienstagsstau ist Tradition
Adirondacking im Hummelstuhl
Die Unkultur des Wegsehens
Anregen! Aufregen! Ausverkaufen!
Lieben Sie Brahms?
Bitte klatschen Sie jetzt
Von Mozart, kaltem Bier und anderen Schönheiten des Lebens
Weltretten für Anfänger
Hamburch-Disco!
Ist das Kunst, oder kann das weg?
An den im Schatten
Der Zeitmacher
Ostern mit Handy in Eppendorf
Vom uneigentlichen Leben
Aber die Schwäne
Die unsichtbaren Mauern der Stadt
Kauf mir ein Schloss an der Alster
Die leise Poesie einer Sommernacht
Ich bin dann mal hier
Von allen Stunden die liebste
Nirgends ist mehr Hamburg
Nachwort: In Hamburg sagt man Tschüs
Nina George bietet einen charmanten, persönlichen und hintergründigen Blick auf die Eigenheiten der »Freien und Hansestadt Hamburg«. Als leidenschaftlich-neugierige Stadtläuferin durchstreift sie Straßen und Viertel, nimmt sich besonderer Orte und Lokale an, entdeckt inmitten geschäftigen Treibens »Gemütsasyle für Fliehende«. Glück – das bedeutet auch, auf den Bordsteinkanten in der Schanze zu sitzen, Halbtagsurlaub in Blankenese im August und vielleicht eine winterliche Punschfahrt auf der Alster. Kleinen Marotten hanseatischer Art begegnet die Autorin mit liebevoller Ironie, und selbst der allwöchentliche Stau im Elbtunnel wird zum Gegenstand vergnüglicher Reflexion.
Ein Buch, das lockt und verführt – und mitten hineinführt ins Innenleben, an den Puls der »sehenswertesten Stadt«. Mal poetisch, mal bissig, aber immer mit der unheilbaren Liebe einer Hamburg-Süchtigen.
Nina George, geboren 1973 in Bielefeld, schreibt Romane, Krimis, Science-Thriller, Kurzgeschichten, Kolumnen. Unter dem Pseudonym Anne West verfasste sie zwölf Sachbücher und Kurzgeschichtenbände. Für ihren Roman Die Mondspielerin wurde sie mit der DeLiA 2011, dem Literaturpreis für den besten deutschsprachigen Liebesroman, ausgezeichnet. Nina George ist verheiratet und lebt seit 1995 in Hamburg.
www.ninageorge.de
NINA GEORGE
VERLIEBT INHAMBURG
EIN STADTVERFÜHRER
BASTEI ENTERTAINMENT
Vollständige E-Book-Ausgabe
des in der Bastei Lübbe AG erschienenen Werkes
Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG
Copyright © 2012 by Bastei Lübbe AG, Köln
Umschlaggestaltung: Christina Krutz Design, Biebesheim
Umschlagmotive: © iStockphoto/Sabine Bracker, © Shutterstock/Skocko
E-Book-Produktion: le-tex publishing services GmbH, Leipzig
ISBN 978-3-8387-1666-4
www.bastei-entertainment.de
www.lesejury.de
Hamburg mag für andere nur das Tor zur Welt sein – für mich ist sie die Welt. Ich verliebte mich in deinen Duft – Salz, Benzin, Kaffee, süffig süß nach Franzbrötchen. Du riechst nach Aufbruch, nach Zukunft. Oh, und wie du aussiehst, wenn du so tust, als ob du schläfst! Du bist eine Sterneninsel, irgendwo ist immer einer wach, niemand allein in Schlaflosigkeit.
Der Wind, der spielt und vorantreibt und kraftvoll atmet.
Deine Wasser, auf die ich schaute und mich ganz fühlte. Komplett. Die unfassbare Weite deines Himmels, in jeder Minute anders und der nichts Geducktes hat.
Eine Stadt kann doch nur so einzig sein wie die Menschen, die in ihr leben und sie täglich neu erfinden.
Nie wieder sieht man eine Stadt so wie beim ersten Mal. Mein erster Eindruck von Hamburg war ein kindlicher, alles erschien so groß – die Bögen der Elbbrücken, der Abstand zwischen Himmel und Wasser; der Weg vom Hammer Hof mit der U-Bahn »in die Stadt«. Die Menschen. »Groß-Städter«. Großmütig verziehen sie mir die aufgeregte Neugier, großherzig deuteten sie auf alles, was ich sehen musste. Die Liste von Hamburgern für Touristen 1985 ging so: Pöseldorf (wegen Jil Sander), Hanse-Viertel, Elbchaussee, Hafen, Alsterfahrt, Ohlsdorfer Friedhof, Isemarkt, Literaturhaus (wegen des Frühstücks). Ich sah mir alles an. Herzklopfen im Mund. »Wenn ich groß bin, werde ich Hamburgerin«, informierte ich im Anschluss die Eltern.
Dreiundzwanzig Jahre später will ich noch einmal mit unwissenden, überfließenden Augen sein. Was werden mir Hamburger diesmal zeigen? Angetan mit einem renitenten Falkplan spiele ich Tourist im eigenen Land, und – »Verzeihen Sie, hallo, ich mache Urlaub in Hamburg, was sollte ich mir ansehen?« – »Ach, Deern, wo soll man da anfangen!«, seufzt der Barkassenfahrer. »Geh in die Hafencity, das ist zwar nicht ganz Hamburg, aber das, was draus werden soll.« Ich halte an der berühmtesten Baustelle zwei Bauarbeiter auf. Nach kurzem Palaver tragen sie mir auf, ins Altonaer Theater zu gehen, Schaschlik bei Schorsch am Grünen Jäger zu essen und das Karoviertel zu besuchen: »So ’ne Dame will bestimmt in Boutiquen Urlaub machen, nech?« Der Mann hat Ahnung von Frauen.
Im Verlauf des Tages offenbarte ein jeder Gefragte, im Gegensatz zu 1985, ein anderes als das von Reiseführern durchdeklinierte Hamburg: nämlich seins. Eine gefühlte Stadt, mit der das örtliche Marketing wenig anfangen kann. Ich erfuhr, wo es die typischsten Kellner gibt (Bodega Nagel) und dass St. Jacobi eine Pilgerkirche ist. Mir wurde die engelhafte Ruhe im Café des Völkerkundemuseums ans Herz gelegt, der Blick vom Steg unter der Lombardsbrücke, die Treppenhäuser im Kontorviertel, der »Bergziege«-Bus in Blankenese, die komplett schwarze Bar Zoë 3. »Heiraten Sie einen Hamburger, dann können Sie hierherziehen«, riet mir eine Punkerin am Millerntor (diesen Tipp verschwieg ich meinem Mann).
Am Ende des Tages wischte ich mir die Augen; es könnten kindliche Tränen gewesen sein – oder doch nur der Wind?
Ich bin ein Quiddje. Eine Hamburgerin aus Überzeugung, weder gebürtig noch geboren (Hanseaten kennen da sehr feine Unterschiede). Aber ich habe gelernt: 1. Gehen oder parken Sie nicht auf Radwegen, wenn Ihnen Ihr Leben und der Scheibenwischer lieb sind. 2. Fahren Sie nicht mit dem Wagen zur Strandperle. Sie werden ab 19 Grad Celsius keinen Parkplatz finden. Nehmen Sie das Klappfahrrad. 3. Reservieren Sie für das Sonntagsfrühstück im Literaturhaus vor, sonst werden Sie barsch hinausgewedelt. 4. Stellen Sie sich beim Bäcker von rechts an, auch wenn links mehr Platz ist. 5. Wenn Sie am Sonntag ab Teufelsbrück spazieren gehen, treffen Sie ungefähr eine halbe Million Flaneure, die das auch vorhaben. 6. Bestellen Sie im Silbersack keinen Latte macchiato oder andere Bubigetränke, sondern Astra. Auch um elf Uhr vormittags. 7. Der Hamburger pendelt im Powertempo. Rolltreppenregel: Rechts stehen, links gehen. 8. Single? Essen Sie in der Uni-Mensa! Günstig, gut, jede Menge unverlebte Gesichter. 9. Deutschland guckt Tagesschau, Hamburg Hamburg Journal – täglich um 19.30 Uhr auf N3. 10. Wir haben nichts gegen Berlin. Überhaupt nichts. Nettes Dorf so weit. Aber Bremen! Outen Sie sich nicht als Werder-Fan. 11. Spielen Sie Fußball auf der Moorweide und üben Sie danach das eindaumige Öffnen der Ploppverschlüsse am Flens. 12. Hier fragt man nicht: Was machst du? Sondern: Wo wohnst du? Natürlich schließen wir nicht von der Adresse auf den Charakter, bewahre! 13. Tragen Sie einen Schal. Immer. Der Wind schenkt Halsfreien eine Willkommens-Bronchitis. 14. Ärgern Sie sich nicht über Lasch-Obst im Supermarkt. Wir haben hundert Wochenmärkte, auf denen wir wirklich einkaufen. 15. Sie gehen nicht auf die Reeperbahn und nicht auf Pauli, sondern auf den Kiez. 16. Wobei die Reeperbahn für Touris ist, Hamburger Berg, Schanze sowie Ottensen für Hamburger. 17. Für den Fischmarkt steht man nicht auf, man bleibt auf. 18. Auf einen Dank antworten Sie mit »Da nich für« oder »Dafür nich« und tun unbeteiligt. 19. Es regnet hier nicht dauernd. Wer das behauptet, ist von woanders wech. 20. Wenn Sie jemanden gern mögen, dürfen Sie »Schietbüdel« zu ihm sagen. 21. Kaufmannsehre: Wenn ein Hamburger seine Großmutter zum Verkauf anbietet, liefert er auch. 22. Von wegen, alle sssteif: Untypisch hamburgisch zu sein ist wohl das Typischste in dieser wundervollen Stadt.
Es ist laut morgens in Hamburg; doch unter der Stadt fährt das Schweigen. Hunderttausende Lippen bleiben verschlossen. Gesichter, denen noch der Traum der Nacht anzusehen ist, neben jenen, die nicht mehr wagen zu träumen. Blicke, die sich an der vorbeihuschenden Schwärze der Tunnelwände festhalten und sehen, ohne zu sehen. Menschen, allein unter allen, jeder. Doch vereint in einer Wiege aus Stille, im Schweigen der Pendler. Während die Räder rollen, die Waggontüren zischend atmen, ist jeder anonym. Endlich anonym. Mit Fremden zu schweigen eine Mutprobe für die Seele; wie viel eigene Gedanken vermag sie zu ertragen, ohne zwanghaft um den Beweis ihrer Existenz bemüht ins Handy zu sabbeln? Ich sammle Schweigen. Schweigen ist das lauteste Urteil. Es gibt verlegenes, einvernehmliches, bösartiges, strafendes und heiteres; es gibt das Schweigen des Publikums auf einen misslungenen Witz und jenes, wo das Auditorium nicht weiß, ob es laut lachen darf. Es gibt das feige Schweigen der Krötenschlucker und der »Ich melde mich«-Lügner; das empörte kurz vor dem Zornesschrei des freien Bürgers, der die Faxen dicke hat; das gefräßige am Tisch des Brautpaars und das Schweigen eines Schlafzimmers ohne Liebende; das faule Schweigen der Mitläufer, das demutsvolle in der Mitte einer Gedenkminute oder das nach der Frage: »Liebst du mich noch?«
Das Schweigen unter unserer Stadt am Morgen ist greifbar wie ein schlafwarmes Kissen. Es ist intim, es erzählt, wie Hamburg sich fühlt. Ob sie müde ist. Ungeduldig. Ob sie Wut im Bauch hat, oder Schmetterlinge. Manchmal verändert sich das Schweigen innerhalb weniger Stationen; osmotisch gleitet die Stimmung eines ganzes Stadtviertels in den Waggon, so mancher wehrt sich mit Kopfhörern gegen die beredte Stille.
Manchmal möchte ich jenen, die in ihren klimatisierten Chefzimmern sitzen, in die sie mit klimatisierten Aufzügen aus dem klimatisierten Auto gekommen sind, eine tägliche ungefilterte Pendlertour verordnen. Auf dass sie sehen und fühlen, wen sie zu regieren meinen. Es ist dieser schweigende Strom des Untergrunds, der den Puls der Stadt freilegt wie ein offenes Herz. Schweigen lügt nie, man muss es nur hören wollen.
Berlin ist eine »Wer«-Stadt, München eine »Was«-Stadt, und Hamburg tendiert eher zum »Wo«. Wie?
Während man sich an der Isar gegenseitig mit einem »Was machst du so?« zu taxieren pflegt und vom Beruf auf die Persönlichkeit schließt, fragt der Hauptstädter einfach »Wer bist denn du?«, um jedem die Möglichkeit zu geben, sich so darzustellen, wie er ist. Oder sein möchte. Wohingegen das Hamburger »Wo wohnst du?« um einiges eleganter erscheint, wenn es darum geht, den anderen einzuschätzen – wobei wir alle voller kleiner Vorurteile sind, die sich festgetreten haben wie Kaugummi unterm Absatz, wenn es um die Kieze unserer Elbdiva geht. Eppendorf oder Barmbek, Isestraße oder Bergedorf, Schanze oder bald Hafencity: In keiner anderen Stadt sammeln sich so viele Gleichgesinnte (gleich welchen Sinns) in jeweils »ihrem« Viertel. Jeder Hamburger verbindet mit seinem Kiez mehr als nur Status, und zwar selbst gewählte Nachbarschaft, Geborgenheit – mal Strandung, mal Zwischenstation. Sag mir, wo du wohnst, und ich ahne, wen und was du fürs Leben suchst.
Die andere »Wo«-Frage ist allerdings die für Verliebte interessantere: »Wo wollen wir uns treffen?« Vor allem, wenn es das erste Rendezvous ist.
Die Wahl der Bühne für das Premierendate kann sich je nach persönlicher »Wo«-Manie zu einem mittelschweren Knoten im Kopf auswachsen: Wenn ich ihm nun mein Lieblingscafé zeige und er mag es nicht, weil der Kellner wieder seine Liebeskummer-Melancholie an den Gästen auslässt … Wenn wir aber ins Edelrestaurant gehen, denkt er vielleicht, ich hätte generell was gegen Leberwurstbrot … Vielleicht doch an die Alster, aber kann ich da meine neuen Pumps ausführen?! Wo ist der Ort, der intim und belebend ist; angesagt, aber nicht mit stylishen Neurotikern befallen; freundlich, aber nicht teuer; nicht laut, aber auch nicht so leise, dass man ständig gerade sitzen muss?
Hamburg ist »Wo«-City: Schließlich könnte die Wahl des Lokals etwas über mich verraten, wovon ich gar nicht weiß, ob ich es überhaupt bin … So schwankt das Herz zwischen Schmilinsky und Goldfisch, Anleger 1870 und Bodo’s Bootssteg, dem East und dem Silbersack, der Schanze und dem Jacobs. Um letztlich an der Strandperle zu landen und festzustellen: Es ist nicht das »Wo«, das zählt. Sondern ob sich jeder Ort mit dem Gegenüber richtig anfühlen würde.
Da liegst du, schlafende Schöne. Aber du tust nur so, als ob du leise träumst; deine Nacht ist kein stilles Meer. Ich höre deine Geister rennen, weit öffne ich die Fenster. Du bist im Kleid der Dunkelheit eine andere als im weißen Licht. Du glänzt. Du verrätst Geheimnisse. Aus den trutzigen Schatten quillt der Hamburg-Sound by night. Du singst ein Lied, unhörbar für die Schlafenden, unhörbar bei Tag – da lässt du uns das Plappern und das Protzen, das Bremsen und das Hupen, wir leben uns die Herzen taub.
Nach Mitternacht hält der Himmel uns Mund und Augen zu. Jetzt lässt du winzige leuchtende Feen auf der Alster tanzen, man kann sie auf den Wellen steppen hören, wenn man die Luft anhält. Kobolde glucksen kichernd in den Fleeten, wenn Flut und Ebbe sich küssen, und turnen an den Brücken der Speicherstadt, die knirschen dann und atmen hörbar aus. Auf den Straßen fahren Taxis wie Liebesboten um die Wette, Gullydeckel klatschen dumpfen Beifall, aus manchen Türen, zwischen dem Heben und Senken eines Lids, schwappt das Lachen und Messerschaben auf Porzellan. Noch ein Fetzen Musik, ein halber Satz, ein Astra funzt zischend auf, um diese Uhrzeit werden stets alle Weltprobleme gelöst. Über allem liegt ein sanftes Rauschen, dein Herzschlag – er kommt von Süden, dort, wo der Hafen niemals schweigt. Der Wind fährt in die Blätter und erzählt von seinen Reisen, ein Martinshorn spaltet die Bedächtigkeit der Straßenleere, auf den Gleisen schnurrt radeng-radeng, radeng-radeng das Fernweh den Zügen voraus. Über Planten un Blomen schwebt der Takt von Tanzmusik, rotgezogene Münder reden in den Schönen Aussichten von der Sehnsucht, ohne sie zu nennen. Dann und wann bremst seufzend ein Überlänge-Lkw, die Ampeln klicken strebsam, in den Nachtbussen hört man afrikanisches Französisch und denkt an die Arbeit der Männer im Schatten.
Am stillsten ist deine Sonntagnacht, meine Königin. Keine Liebesklagen, kein später Stöckelschuh auf dem Asphalt, der Einsamkeit im Gleichschritt schreit, und keiner, den der Ruf »Zurückbleiben, bitte!« im U-Bahn-Untergrund betrifft.
Dann hört man nur sich selbst. Doch das Ungesagte, Unbedachte, Unerhörte löst sich leise auf, wenn die Nacht verfällt.
Pudrig süß, etwas grell und mit einem Hauch von Limette und Rum: St. Pauli um Mitternacht. Frisch gemahlener Kaffee, in der Pfanne geröstetes Brot, Sonnenschein, der auf wassernasse Steine trifft: die Speicherstadt bei Westwind. Lieblich, intensiv und der Duft von Heiterkeit, die nur dann entsteht, wenn kein drängender Zeitdruck den Tag entstellt: Planten un Blomen, Apothekergarten, bei Sonnenuntergang.
Ganz Hamburg ist ein Parfüm. Würde man es auf Flaschen ziehen und in die Welt verkaufen, würden sich Menschen in diese Stadt verlieben, ohne sie je gesehen zu haben. Sie würden sich Parfüms aus der Kollektion »Hamburg Nr. 1« aufsprühen, die den Charakter der Stadtteile offenbaren: Bei »Waterfront« eine Meeresbrise, die den Geruch von Sehnsucht, geriebenen Muscheln und Glück vor sich hertreibt; der kürzeste Weg zum Himmel. Ein Spritzer »Eau de la Chance« würde nach mediterranen Kräutern duften und nach Milchkaffee, gemixt mit der Dynamik des Schanzenviertels, als ob die Kulturen der Welt nebeneinander Platz genommen hätten. Ein »Avenue Virgin« wäre der sinnliche Duft für die flanierende Diva, »Lombard Bridge« die Kreation für den sportlichen Kaufmann in Segelschuhen, »L’eau d’Ise« röche so exotisch und appetitlich wie die Waren des Isemarktes, »Joli Jardin« würde den verführerischen, zärtlichen Geruch unserer Parks einfangen.
Werte Hamburger Parfümhersteller, Ihre Mission ist nicht unmöglich! Was die Duftkreateurin Laurice Rahmé für New York getan hat, nämlich dreißig Düfte zu entwickeln, die die Eigenheiten New Yorker Viertel riechbar machen (von »Chinatown« über »Wall Street« bis zu »Broadway Nite«) – das können Sie auch. Was spricht gegen ein Alster(duft)wasser, das die Seele Hamburgs in seiner Herznote offenbart? Hier ein paar Zutaten: Fernweh und Zuhause. Wasser und Lebenssüße. Geborgenheit und Freiheit, Verlässlichkeit und Liberalität, ein bisschen Grandseigneur, ein bisschen sexy Deern. Balkonblume und Grillabend, Kirschblüten und Zeitungspapier, Kaffee, Kinderlachen, Franzbrötchen und vom Morgenregen geklärte Luft über den Alsterwiesen.
Ja. So riecht Hamburg.
Wenn Sie mal einen Hanseaten ärgern wollen – loben Sie ihn. Ganz gleich, ob Sie etwas Nettes über seinen Kleidungsstil, seine berufliche Leistung, seine Besserwisserei (meist weiß er es tatsächlich besser) oder seine Stadt sagen: Er wird Sie verdächtig finden und auch ein bisschen lächerlich. Denn meine Lieblingssorte Mensch (ich schätze die Ur-Hamburger; sie haben etwas Väterliches an sich, eine verlässliche Mischung aus stockgeradem, pragmatischem, unselbstverliebtem Räucherbrikett Helmut Schmidt, Edelreitstall-Barbourjacke und regierungskritischem Gemeinschaftssinn) fühlt sich zutiefst unbehaglich, wenn jemand von ihm, seiner Stadt und ihren Einzigartigkeiten schwärmt! Mit Verlaub: Igitt! Nichts ist dem Hanseaten so unangenehm wie Leute, die jedem Lob nachgläunen, die mit Reichtum, Geist oder Leistung protzen oder gar mehr als drei Tuchfarben auf einmal am Körper tragen.
Während im Rest der Republik das Credo lautet: Tue Gutes und rede ständig, ausschweifend und mit Heißluft-PR-Geklingel darüber, so heißt es in Hamburg: Sei der Beste, tue das Richtige, spende viel Geld und verdiene reichlich – aber zeig es auf keinen Fall! Und unterbrich Dankeshymnen mit einem geknurrten »Da nich für«.
Genauso wenig, wie ein Hamburger ein Markenlabel außen auf der Kleidung trägt (Eingeweihte sehen so oder so, ob es von Ladage & Oelke oder von Braun ist), genauso verweigert er sich einer anderen Lebenshaltung als der des Hardcore-Understatements, der maßlos übertriebenen Untertreibung.
Eine Haltung, die das Stadtmarketing regelmäßig verzweifeln lässt: Es würde ja gern mal so richtig auf die Zwölf hauen! Hier eröffnete zum Beispiel das erste Opernhaus Deutschlands (wurde 333 Jahre alt, neulich, 2011. Haben Sie’s gemerkt? Nein? Das ist kein Zufall), lockt der längste Freiluftmarkt Europas (Isemarkt, 970 Meter. Steht da ein Schild, das darauf hinweist? Natürlich nicht!), spannen sich die meisten Brücken (fünfmal mehr als in Venedig), spielt Deutschlands größte Sprechbühne (Schauspielhaus) und auch die kleinste (Piccolotheater, Elbchaussee), hier wurden Radio, Fernsehen, Tierparks, Reportagefotos, der Adventskranz und die Vorname-Sie-Anrede erfunden. Hamburg hat die einzige schwimmende Kirche, die meisten Reiter und Konsulate und weigert sich seit rund 750 Jahren, Orden anzunehmen oder gar zu verleihen. Nein, so was macht der Hanseat nicht; im Untertreiben ist er Weltmeister, das ist der einzige Titel, den er mit Stolz trägt. Manchmal hat das etwas vom Schulstreber, dessen unbeugsame Arroganz darin besteht, genau zu wissen, was er kann – und dafür weder Lehrer noch Noten noch Freunde zu brauchen, die ihn bewundern oder loben. Diese Selbstzufriedenheit macht die Hanseaten so herrlich unbestechlich.
Von käuflich reden wir ein andermal.
Ich traf Lauren Bacall hinter dem Tresen des Hansebäckers in der Grindelallee. Sie verkaufte mir Kürbiskernbrot und drei Kokos-Berliner. Dann schenkte sie mir etwas, zusammen mit dem Wechselgeld: ein zerbrechliches kleines Lächeln. Sie stand da in ihrem Kittel, das Haar ungemacht wie das Gesicht, und war für Sekunden die schönste Frau der Welt. Sie war schön und scherte sich nicht drum.
Hamburg ist durchsetzt mit diesen unabsichtlich wundervollen Frauen; ob das Apfelmädchen auf dem Wochenmarkt am Spritzenplatz, die Kellnerin der Kneipe Sonnenseite in der Weidenallee, die Einweiserin im ersten Stock der Oper, die Service-Maid des Freischwimmer: Die schönsten Frauen stehen oft hinter einem Tresen. Sie sind schön, weil sie keine Zeit haben, auf ihre Schönheit zu achten.
Sieht man genau hin, sieht man diese achtlose Anmut in jeder Frau. Manchmal muss man aber aus dem Augenwinkel schauen, sonst fangen wir Damen an zu posieren, den Bauch einzuziehen, den Topsaum zu bezupfen, um möglichst ansehnlich zu sein; dabei ist das sinnlos.