Verliebt in Michigan - Caitlyn Young - E-Book
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Verliebt in Michigan E-Book

Caitlyn Young

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Beschreibung

Die alleinerziehende Samantha lässt sich gern von wohlhabenden Männern zum Essen ausführen, um sich von ihren Sorgen um ihre sechsjährige, mit psychischen Problemen kämpfende Tochter Ella abzulenken – eine ernsthafte Beziehung kam für sie jedoch nie in Frage. Bis sie Xander kennenlernt: Der deutsche Projektmanager ist so ganz anders, als die Männer, mit denen sie bisher zu tun hatte, scheint jedoch von Sams amerikanisch-offener Art etwas eingeschüchtert zu sein. Mit Pat, ihrer besten Freundin, schmiedet Sam einen Plan, um Xander für sich zu gewinnen – und weiß dabei nicht, dass auch Pat ein Auge auf den zurückhaltenden Deutschen geworfen hat …

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Kurzbeschreibung: Die alleinerziehende Samantha lässt sich gern von wohlhabenden Männern zum Essen ausführen, um sich von ihren Sorgen um ihre sechsjährige, mit psychischen Problemen kämpfende Tochter Ella abzulenken – eine ernsthafte Beziehung kam für sie jedoch nie in Frage. Bis sie Xander kennenlernt: Der deutsche Projektmanager ist so ganz anders, als die Männer, mit denen sie bisher zu tun hatte, scheint jedoch von Sams amerikanisch-offener Art etwas eingeschüchtert zu sein. Mit Pat, ihrer besten Freundin, schmiedet Sam einen Plan, um Xander für sich zu gewinnen – und weiß dabei nicht, dass auch Pat ein Auge auf den zurückhaltenden Deutschen geworfen hat …

Caitlyn Young

Verliebt in Michigan

Edel Elements

Edel Elements

- ein Verlag der Edel Verlagsgruppe GmbH

© 2022 Edel Verlagsgruppe GmbHNeumühlen 17, 22763 Hamburg

www.edel.com

Copyright © 2022 by Caitlyn Young

Dieses Werk wurde vermittelt durch die Agentur Ashera

Lektorat: Tatjana Weichel

Covergestaltung: Constanze Kramer, www.coverboutique.de

Bildnachweise: stock.adobe.com, shutterstock.com

Konvertierung: Datagrafix

Alle Rechte vorbehalten. All rights reserved. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des jeweiligen Rechteinhabers wiedergegeben werden.

ISBN: 978-3-96215-396-0

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Für Margaret und Paiundfür alle anderen starken Frauen auf dieser Welt

Prolog im Hinterzimmer

„Manchen Menschen kann man nicht helfen!“ Pat sah in ihrem Engelskostüm bezaubernd aus. Als seien ihr die Flügel tatsächlich an dem schmalen Rücken angewachsen und sie könne jeden Augenblick abheben, um unbekümmert über die Dächer Detroits zu fliegen. „Außerdem weiß ich nicht, wem du in diesem Fall helfen willst, ihm oder dir selbst.“

Sam verdrehte die Augen. Natürlich wollte sie Xander helfen! Als habe sie jemals in ihrem Leben ihr eigenes Interesse obenan gestellt! Sie seufzte. „Bei Xander habe ich Hoffnungen. Ich muss ihn nur aus der Reserve locken.“ Sie hatte sich mehr von ihrem hautengen Teufelskostüm versprochen und stand nun mit hängenden Schultern in der hinteren Ecke des Raumes, in dem die ausgedienten Bühnenrequisiten geduldig vor sich hin staubten. „Bisher warst immer du diejenige, die mir Mut gemacht hat. Und jetzt?“ Sam ließ ihren Blick über die Kerzenhalter wandern, die Samtvorhänge und den antik anmutenden Schreibtisch aus dunklem Holz, auf dem die Affenkostüme lagen, in denen Pats Schüler vor einer Woche das Dschungelbuch aufgeführt hatten. Bis sie wieder in Pats Augen, die von grüner Glitzer-Schminke umrandet waren, sah.

„Sieh endlich ein, dass Xander nichts von dir will. Du glaubst, du kannst ihn bei einem Halloween-Fest, zu dem ich ihn eingeladen habe, bekehren und für dich gewinnen?“ Pat schüttelte den Kopf, auch wenn Resignation etwas war, das sie eigentlich nicht kannte. „Vielleicht solltest du einfach nur du selbst sein, anstatt dich als Teufel zu verkleiden.“

„Ich hatte gehofft, er steht auf so etwas.“ Sam merkte, dass sie anfing, ihr Verhalten zu rechtfertigen. Aber wer mochte es schon, die eigenen Fehler zuzugeben? „Er hat mir mal erzählt, dass er auf Dichtung steht, auf Phantastisches und auf die Klassiker. Da dachte ich, es wäre passend.“

Wieder schüttelte Pat den Kopf, diesmal jedoch ein bisschen heftiger, sodass die goldenen Locken ihrer Perücke hin und her wippten. „Falsch gedacht, meine Liebe!“ Sie griff zur Türklinke.

„Und jetzt lässt du mich hier einfach stehen?“ Sams Augen weiteten sich vor Empörung. Seit Stunden schon kämpfte sie gegen die Tränen an, aber jetzt wollten sie aus ihr herausquellen. Nicht aus Trauer, sondern aus Wut! Sie war es nicht gewohnt, dass es Monate dauerte, einen Mann zu erobern.

Allerdings – Xander wollte sie nicht einfach nur erobern. Sie wollte ihn glücklich machen. War es möglich, dass es ihr nicht gelingen sollte, ihn davon zu überzeugen, dass sie die Frau im Großraum Detroit war, die mit Abstand am besten küssen konnte? Bisher hatte kein Mann ihren Lippen widerstehen können. „Du bist kein Engel! Du solltest eher das Teufelskostüm tragen!“

Pat blickte sie lange an. Hatte sie Mitleid mit ihr? „Als wir uns vor fünf Jahren kennengelernt haben, habe ich mich dir als Engel vorgestellt.“ Pat hielt inne und schob ihre Perücke zurecht. Ihr rotbraunes Haar wollte auf beiden Seiten der künstlichen Haarpracht entkommen. „Ein Engel, der aus dem Himmel kam. Und so habe ich mich auch gefühlt. So fühle ich mich auch heute noch manchmal.“

Sam lauschte und war sich nicht sicher, worauf ihre Freundin hinauswollte. Sie mochte die Vorstellung nicht, Pat könne sie hier stehen lassen.

Warum war Xander überhaupt so plötzlich abgehauen?

„Ehrlich, ich bin bemüht, meinem Selbst-Image gerecht zu werden, aber hier weiß ich auch nicht mehr weiter.“ Pat öffnete die Tür, ließ für wenige Sekunden den Lärm der Halloween-Party in das Hinterzimmer eindringen, und ging. Einfach so. Als gäbe es nichts mehr zu besprechen!

Sam ließ die Tränen zu. Sie schob die Affenkostüme beiseite und setzte sich auf die glatte Tischplatte. Hier hätten sie sich küssen können. Zwischen Spinnenweben und Palmen aus Schaumstoff und Pappkarton. Für kurze Zeit hätte sie vergessen können, dass Ella am Morgen wieder mit Tränen in den Augen zur Schule gegangen war.

Was war nur schiefgelaufen?

Sam ließ den Kopf hängen und die warmen Tränen auf ihre Hände, die in ihrem Schoß lagen, tropfen. Vielleicht gehörten solche Niederlagen zum Leben dazu, wer weiß? Vielleicht war es gar nicht so schlecht, erst mit siebenundzwanzig die erste Schlacht zu verlieren. Davon abgesehen würde Xander sowieso bald wieder nach Deutschland zurückkehren. Wozu also die Mühe? Man sollte viel pragmatischer denken und sich nicht so sehr von seinen Gefühlen leiten lassen. So wie Pat.

Trotzdem schlich sich sein Bild in Sams Bewusstsein. Sie schloss die Augen und sah ihn vor sich. In seiner engen, zu kurzen Jeanshose, dem schwarzen Gürtel, den er auch dann nicht wechselte, wenn er braune Schuhe trug, und den lächerlich engen T-Shirts, die er so gern anhatte. Aber sie liebte seine schmalen, geraden Lippen, die aufrichtig wirkten, und seine tiefblauen Augen, die immer ein wenig melancholisch dreinblickten.

Es gab bestimmt einen Weg zu seinem Herzen, auch ohne Pat. Sie brauchte keinen Engel, um Xander für sich zu gewinnen! Um ihm zu zeigen, was Glück bedeutete. Damit er endlich den Mund aufbekommen und aus sich herausgehen konnte. Vielleicht war es genug, Samantha Simmons zu sein.

Kapitel einsFünf Monate zuvor

Alexander Kümmerlich hatte seine Mutter angelogen. Er saß mit hochgezogenen Schultern in seinem Geschäftswagen und versuchte, sich auf die Straße zu konzentrieren, aber seine Gedanken schweiften immer wieder zu ihr ab. Ausgerechnet der Frau, die ihr Leben für ihn und seinen Vater pausiert und nie wieder die Abspiel-Taste gefunden hatte, spielte er etwas vor. Er sollte sie öfter anrufen.

Jemand hupte, weil ein weißer Pick-up rücksichtlos die Spur wechselte. Alexander hingegen ließ seinen Wagen, den er nicht besonders mochte, gleichmäßig über die Fahrbahn rollen. Es war ein amerikanisches Auto, das günstigste Modell, das er mit seinem Auslands-Vertrag bekommen hatte. Er würde den Wagen sowieso nur während seines USA-Aufenthaltes fahren, die Zeit war also absehbar.

Im Radio lief Klassik, leise, damit er eventuelle, wichtige Außengeräusche rechtzeitig hören konnte. So zum Beispiel das Herannahen eines Krankenwagens. Er wollte nicht derjenige sein, der die Rettung eines Menschen in Lebensgefahr behindert hatte.

Es war viel Verkehr, wie so oft auf dieser Strecke, und der Fahrfluss geriet ständig ins Stocken. Xander, wie ihn die Amerikaner nannten, fragte sich, ob es an den unglücklichen Ampelschaltungen lag oder daran, dass die US-Amerikaner nicht Auto fahren konnten. Allesamt würden sie bei einer deutschen Fahrprüfung durchfallen, ohne Ausnahme!

Einmal hatte er bei seiner Sekretärin Samantha als Beifahrer im Auto gesessen, und er würde es niemals vergessen! Es war eine Notsituation gewesen, weil er keine Lust gehabt hatte, über eine Stunde beim Autohändler darauf zu warten, dass sein Fahrzeug durchgecheckt war. Sam war freundlich, das musste er ihr lassen, und hatte bereitwillig ihre Hilfe angeboten. Da sie eh für ihn arbeitete, lag es nahe, ihr Angebot anzunehmen.

Als er allerdings bemerkte, dass es besser war, bei Sams ruckartiger Fahrweise nicht auf die Straße zu sehen, blieb sein Blick an ihren Brüsten hängen. Aber nur für kurze Zeit, denn er wollte nicht, dass sie es bemerkte. Wobei er sich nicht sicher war, ob es ihr etwas ausgemacht hätte, schließlich drapierte sie ihren Chiffon-Schal so um ihr Dekolleté, dass er es sehr entzückend betonte.

Samantha, die immer geschwätzig war, redete auch, während sie am Steuer saß. Sie stellte viele Fragen, das war Alexander aufgefallen. Sie schien sich für andere Menschen zu interessieren. Er antwortete in wohlüberlegten, knappen Sätzen, die so wenig Persönliches wie nur möglich enthielten. Manchmal fragte er sich, ob die Tatsache, dass er sich ihr gegenüber nicht öffnen konnte, damit zu tun hatte, dass er in seinem Leben nicht viel mit Frauen zu tun gehabt hatte. Die einzige Frau, die ihn gut kannte, war seine Mutter.

Alexander wusste, dass sie sich Sorgen um sein Sexualleben machte, auch wenn sie das niemals aussprechen würde. Schließlich sprach man über solche Dinge nicht. Jedoch war er ein Einzelkind und somit die einzige Hoffnung auf Enkel.

Alexander hupte, weil ein Lexus ihn beim Abbiegen schnitt. War es so schwer, sich zu merken, in welcher Spur man abgebogen war?

Er strich mit seinen Händen über das Lenkrad, als die nächste Ampel auf Rot umsprang. Es fühlte sich ein wenig klebrig an, er würde es heute Abend feucht abwischen.

Dann musste er wieder an Sams Busen denken. Er fragte sich, ob sie ihr von der Natur geschenkt worden waren oder ob sie sich einer Operation unterzogen hatte, für die hier in den USA sogar im Radio geworben wurde. Man konnte sich alles straffen, spritzen oder absaugen lassen.

Als die Ampel Grün anzeigte, setzte sich die Schlange aus Autos gemächlich in Bewegung. Nicht einmal schalten konnte man hier! Autofahren war langweilig geworden.

Alexander versuchte vergeblich, seine Gereiztheit abzuschütteln. Warum nur war er nicht in der Lage gewesen, seiner Mutter die Wahrheit zu sagen? Vielleich nahm sie es ihm auch nicht ab, dass er seiner Karriere zuliebe das Angebot in den USA angenommen hatte. Die Augen seines Vaters hätten geleuchtet, der wäre stolz auf seinen Sohn gewesen. Aber bei seiner Mutter hatten sich Tränen in ihnen gesammelt und Alexander hatte sofort ein schlechtes Gewissen bekommen, versucht, es zu überspielen und ihr unbeholfen auf die Schulter geklopft. „Ich bleibe nur zwei Jahre, Mutter.“

„Zwei Jahre! Das ist eine halbe Ewigkeit!“

„Ich rufe dich jede Woche an.“

„Ich möchte jetzt bitte allein sein.“ Mit diesen Worten hatte sie das Wohnzimmer verlassen, in dem die unzähligen Wanduhren monoton tickten, als wollten sie daran erinnern, dass die Zeit nur schleppend verging.

Alexanders Blick fiel auf das Schild der Fifth Third Bank. An dem Gebäude war er seit seinem temporären Umzug in die USA bestimmt schon über hundertmal vorbeigefahren. Er wollte nicht einmal in die Richtung schauen und sich schon gar nicht aufregen, aber der Name war wie ein Magnet, der seine Aufmerksamkeit unweigerlich auf sich zog. Schon als er den Namen der Bank das erste Mal gelesen hatte, fand er ihn lächerlich. Entweder war es die fünfte oder aber die dritte Bank, aber was sollte das mit der fünften dritten Bank? Es war verwirrend, auch wenn es wahrscheinlich irgendeinen Sinn hatte.

Bei der nächsten Ampel, die auf Rot umsprang, tippte er den Namen bei Google ein und bekam endlich eine Antwort auf diese Frage. Der sonderbar klingende Name war nach einem Zusammenschluss zweier Banken entstanden. Trotzdem fragte sich Alexander immer noch, wie man sich da nicht auf eine vernünftige Bezeichnung hatte einigen können. Immerhin ging es hier um ein seriöses Geldinstitut!

Als er das dreistöckige, weiß glänzende Gebäude erreichte, in dem sich sein Büro befand, parkte er auf dem für ihn vorgesehenen Parkplatz. Er nahm seinen ledernen Aktenkoffer, der im Fußraum des Beifahrersitzes stand, in die Hand, kontrollierte noch einmal im Innenspiegel, ob sein frisch geschnittenes Haar geschmeidig am Kopf lag, stieg aus, ließ die Tür sanft zufallen, verschloss den Wagen und schritt auf den Eingang zu. Drinnen angekommen hielt er kurz an der Wasserfontäne an, um einige Schlucke zu trinken. Die Klimaanlage trocknete seinen Hals aus. Er würde sich das erste Mal in seinem Leben im Sommer erkälten!

Samantha saß immer schon um acht Uhr morgens an ihrem Schreibtisch im Großraumbüro, direkt neben der braunen Tür, die in die Küche führte. Auch an diesem Morgen lächelte sie ihn an, sobald er eintrat. Neben ihrem Bildschirm standen das obligatorische Hand-Desinfektionsgel, eine Taschentuch-Box und ein Halter mit diversen Visitenkarten.

„Guten Morgen, Sam.“ Alexander lächelte ungeschickt.

„Guten Morgen, Xander!“ Mit rot geschminkten Lippen lächelte sie breit und entblößte ihre sehr geraden, schneeweißen Zähne. „Wie geht es dir heute Morgen?“ Sie trug ein Leoparden-Top, dessen Ärmel an den Schultern freie Haut zeigte, was, so vermutete Alexander, beabsichtigt war.

„Gut, danke, und dir?“ Diese Antwort gab er schon automatisch, auch wenn er es absurd fand. Erstens glaubte er nicht, dass es Samantha wirklich interessierte, wie es ihm ging, und zweitens antwortete er eh immer, dass es ihm gut ging, obwohl er oft morgens schon Kopfschmerzen hatte.

„Das freut mich! Es gab schon einen Anruf für dich. Ich habe dir eine Notiz auf deinen Schreibtisch gelegt.“ Als Samantha ans Telefon ging, das ungeduldig zu klingeln begonnen hatte, betrat Alexander sein Büro.

Er schloss die Tür hinter sich und nahm an seinem Schreibtisch Platz, dankbar, dass er nicht in dem Großraumbüro zwischen all den anderen sitzen musste, die sich lauthals unterhielten und alle zehn Minuten einen Kaffee holten.

Alles hier war ihm zu laut.

Er schaltete seinen Computer an. Hundertzwanzig E-Mails! Wie ein Blitz durchzuckte der Schmerz seinen Kiefer und seinen Kopf auf der rechten Seite. Er hatte die Migräne der Mutter geerbt, es wurde mit jedem Jahr klarer.

Er betrachtete die Notiz auf dem pinkfarbenen Zettel, den Samantha ihm neben seine Computertastatur geklebt hatte. Ihre Buchstaben waren gezeichnet, nicht geschrieben, und ihnen haftete etwas Kindliches an. Ein CEO hatte angerufen, um sich nach dem Stand seines Projektes zu erkundigen. Er würde ihn später zurückrufen. Zuerst brauchte er einen Kaffee, der half angeblich auch bei Kopfschmerzen.

Alexander ging in die kleine Küche, in der ein Tisch mit vier Stühlen, eine Mikrowelle und zwei Kaffeemaschinen im Dauerbetrieb standen. Samantha war bereits dort und machte sich an ihnen zu schaffen. Ihr Hintern war wohlgeformt, was ihm bisher noch nie so deutlich aufgefallen war.

„Hier, möchtest du Vanille oder Haselnuss?“ Sie drehte sich zu ihm um, sie musste gespürt haben, dass er sich näherte.

Eigentlich wollte er nur Kaffee. Richtigen, deutschen Kaffee, nicht diese amerikanische Plörre, von der man tatsächlich fünf Tassen brauchte, um einigermaßen wach zu werden. Direkt fielen ihm die sonntäglichen Kaffee-und-Kuchen-Nachmittage bei seiner Mutter ein. Er würde sie heute nach der Arbeit anrufen.

„Oder doch lieber Karamell?“ Samantha hielt ihm einen überdimensionalen Behälter mit Kaffeesahne unter die Nase.

„Nein, danke, wie immer schwarz.“ Er versuchte zu lächeln, aber seine Mundwinkel begannen zu zittern.

„Du siehst ein wenig blass aus. Ist alles in Ordnung?“

„Kopfschmerzen.“ Alexander deutete an seine Schläfe.

Samantha schüttete Sahne mit Geschmack in ihren Kaffee, der sich in einer roten Tasse mit Herzchen befand. „Ich habe Tabletten, wenn du eine brauchst.“ Sie blickte ihn an. Ihre Augen waren bemerkenswert blau.

„Danke, ich glaube, es geht auch so.“

Samantha sagte nichts mehr, sondern verließ mit ihrem Kaffee den Raum. Wenn sie ging, wackelte ihr Po ein wenig im Takt ihrer Schritte.

Der Tag kroch dahin wie eine Schnecke. Der Schmerz wollte nicht nachlassen und Alexander fragte sich, warum er nicht im Bett geblieben war. Die Reizbarkeit, die ihn schon den ganzen Tag erfüllte, hatte definitiv mit dem Kopfschmerz zu tun. Doch es war nicht seine Art, der Arbeit fernzubleiben.

Am Mittag drückte es auch noch in seiner Magengrube, weswegen er beschloss, Samantha doch um eine Tablette zu bitten. Sie schien erfreut zu sein, dass er sie um Hilfe bat, und zog energisch die oberste Schublade ihres Schreibtisches auf. Von dort holte sie einen Plastik-Container hervor, der voller Pillen war, die ein wenig wie Smarties aussahen.

Im ersten Augenblick schmeckten sie auf der Zunge sogar süß, bevor Alexander sie - er nahm auf Samanthas Anraten zwei – mit Wasser hinunterspülte. Er hatte es von den US-Amerikanern gelernt, überall ein Getränk dabei zu haben, und so trug er oft eine Flasche bei sich, wenn er zu einer Besprechung ging. Zudem hatte er es sich angewöhnt, in seinem Büro etliche Plastikflaschen mit Wasser auf dem Sideboard aufzustellen, damit er sein tägliches Trinkpensum erfüllen konnte.

Samantha betrachtete ihn aufmerksam.

„Und die helfen?“ Er fühlte sich verpflichtet, etwas zu sagen, wusste, dass es unhöflich gewesen wäre, Smalltalk zu unterlassen. Auch wenn er ihn zuweilen mehr stresste als alles andere bei der Arbeit. Schweigen traf hier bei den meisten Kollegen auf Unverständnis.

„Bestimmt. Und wenn nicht, ich habe noch andere.“ Samantha zauberte eine weitere Plastikbox hervor und schüttelte sie mit einem frechen Lächeln auf den Lippen wie eine Rassel hin und her.

Alexander bedankte sich und begab sich wieder in sein Büro, um den CEO anzurufen und zu vertrösten, weil sich drei andere eilige Projekte bei der Planung vorgedrängelt hatten.

Das Erklimmen der Karriereleiter forderte seinen Preis, und als er die Nummer wählte, musste er wieder an seine Mutter denken, und in seiner Brust wurde es eng, wie immer, wenn ihm klar wurde, was er ihr angetan hatte.

Denn er war wegen ihr gegangen. Er hatte nicht Deutschland verlassen, sondern das Nest, das sie ihm liebevoll bereitet und aus dem sie ihn nie entlassen hatte.

Er wollte endlich fliegen lernen.

Kapitel zwei

Es war wieder einmal Sneating-Time. Sam saß mit übereinandergeschlagenen Beinen in dem Restaurant, das ihr Date ausgesucht hatte. Ihr Leoparden-Top hatte sie gegen ein schlichtes, schwarzes Oberteil getauscht, und um den Hals trug sie eine Kette aus echtem Gold, die sie sich von Pat geliehen hatte. Der Stoff der Sitzbank war edel, im Eingangsbereich glitzerte ein Kronleuchter und die beiden Platzanweiserinnen waren außergewöhnlich adrett gekleidet. In so ein nobles Restaurant war Sam bisher noch nie ausgeführt worden. Sie rutschte auf ihrem Stuhl hin und her.

Die Stimmen der Gäste verschwammen zu einem dezenten Gesäusel und Sam blickte auf die Uhr ihres Handys.

Er war schon zwanzig Minuten zu spät. Hatte er sie etwa versetzt? Sam beschloss, ihm noch fünf Minuten zu geben. Sollte er nicht auftauchen, würde sie nach Hause gehen. Der Gedanke war nicht einmal niederschmetternd. In letzter Zeit konnte sie ihre Dates nicht mehr so genießen.

Sie ließ ihren Blick über die Speisekarte gleiten, die aufgeschlagen vor ihr auf der schneeweißen Tischdecke lag. Eingerollt in eine schwarze Stoffserviette lag zu ihrer Rechten das Besteck, und in der Tischmitte flackerte die Flamme einer Kerze.

All die Speisen lasen sich verlockend, aber am schmackhaftesten klang das Hähnchen im Pekannuss-Mantel, dazu Gemüse der Saison und hausgemachter Kartoffelbrei. Der Preis war unwichtig, schließlich würde ihr Date bezahlen.

Sam musste lächeln. Eigentlich war es ein kleiner Rachefeldzug. Sie mochte die Männerwelt nicht besonders. Die Männer ließen sich recht einfach kategorisieren. Nur die Kategorie, in die Xander gehörte, war ihr bisher noch nicht untergekommen. Vielleicht machte ihn gerade das so attraktiv. Sie stellte sich vor, er würde sich vor dem ersten Rendezvous einen Projektplan zurechtlegen. Es war auch gut möglich, dass er Statistiken über Sex-Häufigkeit und -Qualität führte. Das war durchaus denkbar und hatte etwas Verlockendes! Es war so anders als alles, was Sam bisher kannte. Sie würde punkten ohne Ende!

Sie erkannte ihr Date sofort, als er eintrat. Sie hatten sich an der Kasse im Supermarkt kennengelernt. Sam hatte versucht, die Kinderjoghurts mit Gratis-Tattoo durch Tiefkühl-Fleischbällchen und Pommes zu kaschieren, aber der großgewachsene, südländisch anmutende Mann hatte sich eher für ihre Optik interessiert als für das, was sie einkaufte. Wobei Sam es sich zur Angewohnheit gemacht hatte, ganz genau in fremde Einkaufswagen zu sehen, denn es verriet sehr viel über den Menschen. Hier handelte es sich ganz klar um einen Single-Mann, denn er packte eine ein-Personen-Packung von Fertigessen, zwei Äpfel und drei Proteinriegel aufs Band. Dazu eine winzige Milchpackung, die niemals eine Familie versorgt hätte.

„Heiß draußen, nicht wahr?“ Er sah sie mit hungrigen Augen an und rückte seinen Schlips zurecht. Typ Mann, der nach der Arbeit einkaufen ging, um sich anschließend in seiner Single-Wohnung vor die Glotze zu setzen und sein Abendessen zu sich zu nehmen, bevor er entschied, ob er noch einen Abstecher in die Kneipe um die Ecke machen sollte.

Es war tatsächlich zu warm für die Jahreszeit, und so redeten sie über das Wetter und andere, unwesentliche Dinge, so, wie es Sam an liebsten war, während der Kassierer die Waren über den Scanner zog und ein anderer junger Mann sie am Ende des Bandes in Plastiktüten verpackte.

Kurz vor dem Abschied steckte der Single-Mann ihr seine Visitenkarte zu, und so kam es dazu, dass er zu einem von Sams Sneating-Opfern wurde. Sie konnte es sich bei ihm sogar gut vorstellen, dass eine Nacht daraus werden könnte.

Morgen war Samstag: Ella hatte keine Schule und ihre Mom frei, es würde kein Problem sein. Oder vielmehr, es würde sich regeln lassen, wie so vieles im Leben. Dass sich dabei ein flaues Gefühl in Sams Magengrube ausbreitete und sie jedes Mal ein schlechtes Gewissen hatte, musste verdrängt werden. Es war dasselbe schwere Gefühl, das sie seit Ellas Geburt vor etwa sechs Jahren immer öfter heimsuchte, obwohl Ella der einzige Mensch neben ihrer Mutter war, den Sam aufrichtig liebte.

Sie versuchte, ihre Gedanken auf das Hier und Jetzt zu konzentrieren. Das funktionierte nicht immer. Zuweilen schwirrten alle Gedanken wild durch ihr wirres Hirn, dabei wollte Sam doch nur so leben, dass am Ende alles zusammenpasste und das bestmögliche Ergebnis dabei herauskam.

„Es tut mir leid, dass ich dich habe warten lassen!“ Timothy nahm mit kantigen Bewegungen Platz und lockerte seinen Krawattenknoten. „Ganz schön heiß draußen, immer noch! Dabei ist es erst Mai.“ Er legte die Hände auf die Tischplatte. Sie waren auffallend groß und gepflegt, und Sam dachte unweigerlich daran, wie es sein würde, von ihnen berührt zu werden. Dass er kein Smalltalk-Genie war, war nicht zu überhören. Aber das Wetter war, wie immer, ein gutes Thema, unverfänglich und unpersönlich, so, wie Sam es bei diesen erschlichenen Mahlzeiten am liebsten hatte. Er lächelte Sam an. „Diese schwüle Hitze ist schlimm, findest du nicht auch?“

„Unerträglich!“ Sam lächelte ebenfalls. „Aber was erwartet man, wenn man im Mittleren Westen lebt? Ich hab mir neulich einen Mini-Ventilator gekauft, den ich an meinem Handy befestigen kann. Hilft ein bisschen. Ist nur ein bisschen unpraktisch, wenn man das Handy in der Handtasche verstauen möchte.“ Sie zuckte mit den Schultern. Manchmal war es sonderbar, sich selbst zuzuhören: Die Hülle vor einem Mann fallenzulassen war überhaupt kein Problem, aber ihm Einblick in ihre Seele zu gewähren: Undenkbar! Dabei sehnte sie sich oft danach.

„Ich bin in einem Vorort von Detroit geboren, von daher sollte ich an die schwüle Hitze gewöhnt sein.“ Sam lächelte zurück.

Da trat eine junge Bedienung mit glattem, schwarzen Haar an den Tisch, die sich als Tara vorstellte. Timothy schien von ihrem Auftreten geblendet zu sein, denn sein Blick verweilte ein wenig zu lange auf ihr. „Darf ich euch etwas zu Trinken bringen?“ Sie zückte ein kleines Gerät, das wie ein Taschenrechner aussah, und tippte etwas hinein. Sam war immer wieder von der fortschrittlichen Technik beeindruckt. In manchen Restaurants konnte man sogar an einer Art iPad direkt am Tisch bezahlen!

„Ich trinke gern einen Cabernet Sauvignon, wenn du dich anschließen möchtest?“ Er schlug die Getränkekarte, die eine weinrote Lederhülle hatte, auf. „Oder möchtest du lieber einen Cocktail?“

„Ich trinke gern auch einen Wein.“

Als die Bedienung wieder weg war, sagten sie beide nichts.

Timothy brach das unangenehme Schweigen. „Habe ich dir erzählt, dass meine Großeltern mütterlicherseits aus Italien stammen?“

Sam lächelte. Sie hatte ein Faible für andere Kulturen, auch wenn sie selbst die USA noch nie verlassen hatte. Ach, sie hatte ja kaum jemals Michigan verlassen! Die schulfreie Zeit ihrer Kindheit hatte sie oft in einem Freizeitpark, zu dem ihre Mutter über ihren Bruder Freikarten besorgen konnte, verbracht. Onkel Rob wartete dort die Achterbahnen. Dann hatten ihre Nachbarn noch einen Pool im Garten gehabt, der manchmal für Abkühlung gesorgt hatte. Sonst hatte sie gern unter dem surrenden Deckenventilator am Küchentisch gesessen, gezeichnet oder Geschichten über schöne, reiche und erfolgreiche Menschen geschrieben, deren Leben ein sorgenfreies Spiel war.

Die Dunkelhaarige trat mit einem Tablett an den Tisch und stellte Weingläser und zwei große Gläser mit Eiswasser ab. Dann goss sie ihnen den Wein ein.

Sam beschloss, ausgiebig die Speisekarte zu studieren. Ihr Magen brummte leise, sie hatte inzwischen großen Hunger. Nachdem sie sich für ein Gericht entschieden hatte, sah sie Timothy ein wenig herausfordernd an. Das hier war das Spiel, das sie seit vielen Jahren beherrschte.

Er hatte ordentlich getrimmte Nasenhaare und etwas zu fleischige Lippen, das war ihr schon im Supermarkt an der Kasse aufgefallen.

Xander hingegen hatte schmale, harte Lippen. Sie musste in letzter Zeit oft an den deutschen Projektmanager denken, der immer wieder fremd auf sie wirkte. Er passte weder in die Firma noch zu den Kollegen. Aber vielleicht wollte er das auch gar nicht. Das Unternehmen war international tätig und ab und zu kamen Mitarbeiter aus dem Ausland. Sam hatte sich mit allen gut verstanden, nur dieser Xander war wie ein Wesen aus einer fremden Galaxie. So unnahbar, dass sie sich in seiner Gegenwart manchmal ein bisschen ungeschickt benahm. Vielleicht, weil sie nicht aus ihm schlau wurde.

„Weißt du schon, was du essen möchtest, Sam?“ Timothy schlug seine Karte selbstsicher zu. Sam hätte sich in einem Diner mit Burgern, Pommes und dergleichen viel schneller entschieden, doch hier klang alles auf eine exotische Art ansprechend. Bei den Preisen wurde es Sam ein wenig schwindelig, aber das war ja nicht ihre Sorge!

„Nimm ruhig das, was du möchtest.“ Timothy schien ihre Gedanken zu lesen. „Du bist selbstverständlich mein Gast.“

Timothy bestellte ein Steak mit Folienkartoffeln und Gemüse und Sam hatte sich für ein Nudelgericht mit Trüffelsauce entschieden. Sie hatte noch nie zuvor Trüffel gegessen und war neugierig. Der Wein schmeckte besser als das, was sie im Getränkemarkt um die Ecke einkaufte. Meist griff sie zu blubberndem Schaumwein oder anderen Mix-Getränken in Dosen. Wichtig war nur der Schuss Alkohol, der ihre Sorgen am Abend ein wenig dämpfte.

„Erzählt mir ein wenig von dir!“ Timothy sah Sam ermutigend an und legte die Hände brav an die Tischkante. Er trug keinen Ehering, wie vermutet. Also war der Blick aufs Band im Supermarkt zuverlässig!

„Ich arbeite in einer internationalen Firma und betreue als Sekretärin eine ganze Abteilung“, begann Sam. Den Satz konnte sie auswendig. Mit dem fing sie jedes Mal an. „Eine Wasserratte bin ich auch, war an der High School eine der besten Schwimmerinnen.“ Timothy hörte ihr aufmerksam zu. „Ich geh gern ins Kino, höre alles, was im Radio läuft, und ab und zu gehe ich joggen.“

„Hast du Haustiere?“, fragte Timothy. „Denn ich bin ein großer Hundenarr.“

„Ich bin allergisch gegen Katzen“, erklärte Sam. „Aber Hunde sind toll!“

Timothy sah sie an und schmunzelte ein bisschen. Es könnte eine schöne Nacht werden.

„Und hast du Geschwister?“

Sam erwiderte nichts und war froh, als ihr Handy klingelte. Sie kannte dieses Gefühl, plötzlich in Deckung gehen zu müssen, allzu gut. Es gab eine Grenze für sie, die kein Mann überschreiten durfte. Alles, was jenseits dieser Grenze lag, war zu intim.

Sam entschuldigte sich und beantwortete den Anruf.

„Sam, mein Herzchen, ich bin es!“ Es war die vertraute, etwas raue Stimme ihrer Mutter. Sie rauchte seit ihrem dreizehnten Lebensjahr. „Ich hoffe, ich störe nicht?!“

Sam flüsterte in ihr Handy und zuckte entschuldigend mit den Schultern. „Ich bin gerade in einem Restaurant.“

„Ich will nicht lange stören. Es ist nur, Ella hat starke Bauchschmerzen und ich bin jetzt mit ihr bei euch in der Wohnung.“

„Oh!“ Sam presste besorgt die Lippen zusammen. Ella beklagte sich seit Beginn der ersten Klasse häufig über Bauchschmerzen, aber der Kinderarzt hatte nichts gefunden. Beim dritten Besuch im selben Monat riet er, einen Psychotherapeuten aufzusuchen, aber Sams Krankenversicherung war nicht so umfassend, dass sie sich das hätte leisten können.

„Hat sie Fieber?“ Sam wurde unruhig und biss auf ihre Unterlippe.

„Ich glaube nicht, mein Herzchen. Mach dir keine Sorgen, ich pass auf sie auf.“

Sam atmete geräuschvoll ein und wieder aus. Wo wäre sie nur ohne ihre Mutter? Sie hatte ihr so vieles zu verdanken!

Nachdem sie aufgelegt hatte, suchte Sam fieberhaft nach einem neuen Thema, um von dem Anruf abzulenken, aber Timothy war nicht auf den Kopf gefallen.

„Ist alles in Ordnung?“ Er runzelte die buschigen Augenbrauen. Er war außerordentlich gutaussehend, und Sam hatte sich sehr wohl vorstellen können, die Nacht mit ihm zu verbringen. Jetzt, da sie wusste, dass es Ella nicht gut ging, war daran nicht mehr zu denken. Sie war sich nicht einmal mehr sicher, ob ihr die Trüffelnudeln schmecken würden, denn es war, als habe jemand ihren Magen zusammengeschnürt.

„Ja, alles okay.“ Sam versuchte, gelöst zu wirken. Warum nur mussten die Dinge mit Ella so kompliziert sein? Vor ihrer Geburt war das Leben mehr ein Spiel gewesen als heute. Eines, dessen Regeln Sam beherrscht hatte. Aber seit es Ella gab, legte schon am Morgen die Sorge ihre schwere, heiße Hand auf Sams Brust.

„Da kommt unser Essen!“ Timothy blickte zu der Bedienung hinüber, die geschickt zwei große, weiße Teller auf ihren Händen balancierte. Sie setzte sie behutsam vor den beiden ab und goss Wein nach.

„Du wirkst ein wenig angespannt.“ Timothy schnitt ein Stück von seinem verführerisch duftenden Steak ab, das mit allerlei sommerlich gefärbten Gewürzen bestreut war, und blickte zu Sam auf. Wahrscheinlich war der Abend gelaufen. Er würde bezahlen, ihre Wege würden sich trennen, und Sam würde sich in ihre kleine Wohnung, in der es immer noch säuerlich nach dem Vormieter roch, verkriechen, um Ella zu trösten. Manchmal fragte sich Sam, ob sie selbst an allem schuld war. Vielleicht war die Aufgabe, so jung ein Kind zur Welt zu bringen, zu groß für sie gewesen. Auch wenn sie sich jetzt ein Leben ohne Ella nicht vorstellen konnte!

Sam schluckte schwer.

„Möchtest du nichts essen?“ Timothy sah Sam fragend an, während er das nächste Stück Steak abschnitt.

„Oh, doch, natürlich.“ Sam rollte die schwarze Stoffserviette so ungeschickt und nervös auf, dass ihre Gabel lärmend zu Boden fiel. Ehe sie sich bücken konnte, um sie aufzuheben, war Timothy bereits aufgesprungen und kroch halb unter den Tisch, um das Besteck hervorzuholen. Seine Stoffhose spannte einladend an seinem Hinterteil und an seinen muskulösen Oberschenkeln.

„Voilà!“ Er erhob sich und hielt die Gabel in die Höhe. Sam wollte nach ihr greifen, aber er schüttelte nur mit einem frechen „Tststs“ den Kopf und rief die dunkelhaarige Bedienung herbei, damit Sam eine neue, saubere Gabel bekam.

„Das ist schon okay, ich meine …“ Sam hielt inne, denn es dämmerte ihr, dass es nicht vornehm genug war, mit einer Gabel zu essen, die zuvor auf glänzend lackierten Holzdielen gelegen hatte.

Wenn er wüsste, wie viel Dreck Sam in ihrem Leben schon gegessen hatte!

Ihre Mutter war von Anfang an mit Sams Erziehung überfordert gewesen und deren Geschichte schien sich in Sams Leben zu wiederholen – was traurig und klischeehaft war. Der Unterschied war lediglich, dass Sam nun die Unterstützung ihrer Mutter Marilyn hatte, die gern wie Marilyn Monroe ausgesehen hätte, aber eher Anne Ramsey ähnelte. Ihre Mundwinkel waren so geschnitten, dass sie immer erbost aussah.

„Du wolltest doch nicht etwa mit der dreckigen Gabel weiteressen?“ Timothy schob sich eine Ladung Gemüse in den Mund. Er kaute genüsslich und sein Blick blieb auffallend lange an Sams Dekolleté hängen. Sie mochte es, wenn die Männer sie so ansahen. Wenn sie an ihrem Körper interessiert waren, dann war alles in Ordnung. Das, was ihr Angst machte, war all das, was in ihrem Innersten geschah. „Wo genau arbeitest du, Sam?“ Timothy blickte ihr interessiert in die Augen. Eventuell war es verfrüht und sogar leichtsinnig, dieses Date als gescheitert abzuschreiben, schließlich machte Timothy seine Sache nicht schlecht.

„Ich bin bei Cool & Easy am westlichen Rand von Detroit.“ Sam wickelte ein paar Linguine auf ihre frische Gabel und erzwang ein Lächeln, das hoffentlich nicht allzu fake herüberkam. „Seit zwei Jahren schon. Ich bin dort die Abteilungssekretärin. Es ist eine recht kleine Firma.“

„Da fahre ich manchmal vorbei, ja! Die Firma ist in dem großen, weißen Gebäudekomplex, nicht wahr?“

Sam nickte, weil ihr Mund bereits voller Nudeln war.

„Was machen die noch einmal?“

Sam schluckte die Nudeln hinunter. Trüffel schmeckte weniger intensiv als erwartet.

„Och, alles Mögliche, was das Leben schöner macht.“ Sie musste grinsen, weil ihr Satz im Nachhinein sonderbar klang.

„Hört sich gut an.“ Timothy lachte kurz auf. Er hatte also auch gern schlüpfrige Gedanken!

„Im Ernst, die Firma hat mit Klimaanlagen angefangen, aber inzwischen vertreiben wir halt auch diese bunte Mini-Ventilatoren, die ich vorhin erwähnt habe.“ Jetzt musste Sam grinsen. Vielleicht würde der Abend doch nicht so schlecht werden!

Da klingelte erneut ihr Handy.

„Ella hat gespuckt.“ Sams Mutter klang besorgt und ein wenig genervt. Sam hielt den Atem an. Da war es wieder, das schlechte Gewissen, weil sie sich nicht so um Ella kümmerte, wie es sich für eine Mutter gehörte. Sie arbeitete viel, um ihr Leben zu finanzieren, aber ab und zu brauchte sie ein wenig Zeit für sich und das, was ihr guttat. Aber tat es ihr gut? Oder war Sneating nur eine aufgezwungene Abwechslung, die sie von der Realität ablenken sollte?

„Es wäre besser, du kommst nach Hause, mein Herzchen.“ Ihre Mutter klang besorgt. Sam seufzte ungewollt. „Ella fragt nach dir. Ich ziehe schon mal das Bett ab und mach die Wäsche an.“

Sam versprach, so bald wie möglich zu Hause zu sein und legte auf. Timothy warf ihr einen fragenden Blick zu.

„Mein Hund …“ Sam zögerte. Ella war ein Tabu-Thema. Die Person, die sie am meisten auf dieser Welt liebte, verschwieg sie all den Männern, mit denen sie ein Date zum Essen hatte. Es war erbärmlich!

„Also doch ein Haustier!“ Timothy hob keck die Augenbrauen und legte sein Besteck auf seinem inzwischen leergeputzten Teller zusammen.

„Mein Hund ist krank und hat geko…“ Sam räusperte sich. „Sie hat gespuckt, und der Hundesitter ist überfordert.“

„Hm“, war alles, was Timothy dazu einfiel. Er hob die Stoffserviette von seinem Schoß und legte sie ordentlich zusammen. Dann sah er Sam auf eine sonderbar eindringliche Art an. Sam erwiderte seinen Blick, sehnte sich danach, diesem Mann in seine Wohnung – oder gar in sein Haus – zu folgen, um sich wenigstens für eine Weile schwerelos zu fühlen.

„Ich muss dann jetzt gehen.“ Sie erhob sich und sah auf ihren noch halbvollen Teller. Dann drehte sie sich zu der Bedienung um, die gerade am Nachbartisch abräumte. „Kann ich eine Box haben?“

Timothy stand ebenfalls auf und legte Sam vorsichtig eine Hand an den Oberarm. „Ruf mich an, okay?“

Während sie den trostlosen, grauen Bürgersteig entlangging, fragte sie sich, wohin diese Dates führen sollten. Sie merkte, wie sich ihre Finger um die Aluschale verkrampft hatten und dass ihre Schritte ungewöhnlich schnell waren. Der Himmel war tintenblau, und Sam blieb unter einer Straßenlaterne stehen. Wenn sie bis zur nächsten Amtrak-Station laufen würde, wäre sie spät zu Hause. Also benutzte sie die Uber-App, das war oft sogar günstiger.

Beim Warten auf den Fahrer zuckten wirre Gedanken durch ihren Kopf. Sie würde Timothy nicht anrufen. Am Montag würde ihr Chef sie rügen, weil sie vergessen hatte, am Vortag ein wichtiges Telefonat zu tätigen. Ella könnte auch am Montag noch krank sein. Morgen war Einkaufstag. Sie musste noch den Scheck an den Handwerker schicken, der den tropfenden Wasserhahn vor zwei Wochen repariert hatte. Ihre Allergietabletten waren fast aufgebraucht, sie sollte gleich morgen zu CVS fahren und welche holen. Aber die waren unerhört teuer. Xander war ein sonderbarer Kauz.

Als sie in der Nähe ihrer Wohnung aus dem Uber stieg, vertrat sie sich den Fuß und blieb kurz stehen, dem Schmerz in ihrem Knöchel nachfühlend. Sie ließ den Blick über die Straße gleiten, die von beigen und grauen, unansehnlichen Gebäuden gesäumt war. Ein Obdachloser kramte in einer Mülltonne, die am Fuß einer Feuerleiter stand. Eine Straße weiter schoss eine Bahn vorbei.

Sam merkte erst jetzt, dass ihr eine salzige Träne in den Mundwinkel gekullert war. Sie ließ sie auf der Zungenspitze ruhen und spürte ihren Herzschlag im Hals. Wahrscheinlich war es auch ihre nahende Periode, die ihr die Stimmung vermieste. Oder aber die Tatsache, dass das Leben eine nicht endend wollende Karussellfahrt zu sein schien, aus der man gern hin und wieder aussteigen wollte, aber nicht konnte. Denn wenn man es tat, verletzte man sich schwer.

Sam humpelte bis zur nächsten Kreuzung, wo sie rechts abbog. Das Backsteingebäude ragte vor ihr in den Himmel, vor ihm lag der weitläufige Parkplatz, auf dem auch der Wagen ihrer Mutter parkte. Ab und zu lieh sich Sam den verbeulten Buick, denn sie hatte schon lange kein eigenes Auto mehr.

Sie kramte in ihrer Kunstlederhandtasche nach dem Schlüssel und schloss die schwere Eingangstür auf. Im Flur roch es nach einem Citrus-Bodenreiniger und aus der Tür im Erdgeschoss lugte der bärtige Bill, wie jedes Mal, wenn er jemanden kommen oder gehen hörte. Sie nahm die Stufen in den dritten Stock, weil es keinen Aufzug gab. In ihrem Knöchel stachen tausend Nadeln. An ihrer Wohnungstür hing das bunte Schild aus gehärteter Knetmasse, das Ella im Kindergarten gebastelt hatte: Die Simmons Familie stand dort geschrieben, und während Sam aufschloss, überlegte sie, ob es diese Familie jemals gegeben hatte. Es gab sie, als einzige Tochter von Marilyn Simmons, die bei einem Pfadfinderausflug von einem jungen Mann, dessen Namen sie nicht einmal kannte, im Heu geschwängert worden war. Zu der Zeit hatte Marilyns Mutter schon lange nicht mehr gelebt. Ihr Vater war in Louisiana in einer Künstler-WG versumpft und hatte sich nie um seine Tochter gekümmert. Sams Mutter hatte damals mit dem Gedanken gehadert, Mutter zu werden. Doch eine Abtreibung war für Marilyn nicht infrage gekommen. Und so war niemand da gewesen, der sie an die Hand genommen oder ihr Ratschläge erteilt hatte. Sie hatte nicht gewusst, worauf sie sich einließ, aber sie war mutig genug gewesen, es zu versuchen.

Jetzt gab es Sam und Ella, und Sam war mindestens so ratlos wie ihre Mutter damals. Nur dass Ella kein Mädchen war, das morgens lachend zur Schule ging und am späten Nachmittag nach wechselnden Schulaktivitäten nach Hause kam und pflichtbewusst ihre Hausaufgaben erledigte. Sam merkte schnell, dass ihre kleine Tochter anders war. Sie blieb nicht auf Sams Schoß sitzen, um sich ein Buch vorlesen zu lassen, sondern schlug es mit ihren Fingern zu und hüpfte davon, um ihre Energie loszuwerden. Sam liebte Ella vom ersten Augenblick an, aber ihre Liebe war ein Opfer, das sie mit den Jahren immer mehr vergessen ließ, dass Eigenliebe nichts Verwerfliches war.

Sam schob leise die Tür auf, für den Fall, dass Ella schon schlief.

„Mein Herzchen!“ Ihre Mutter kam ihr mit schlürfenden Schritten entgegen. Sie hatte die Angewohnheit, die Füße beim Gehen kaum vom Boden abzuheben. Sie trug die vertrauten, dunkelbraunen Samt-Leggings und ein mindestens drei Nummern zu großes T-Shirt, das ihre Hüftrundungen verschleierte. „Sie schläft schon, aber …“

„Schon gut, Mom.“ Sam zog die Wohnungstür fast geräuschlos ins Schloss, drückte ihrer Mutter einen schnellen Kuss auf die Stirn und legte ihren Schlüsselbund auf den Schuhschrank, der seit dem Umzug an der Seite einen Riss hatte. „Ich geh gleich zu ihr.“ Sie streifte ihre Schuhe ab und ging über den grauen Teppichboden, der gerade im Kinderzimmer voller Flecken war, vermutlich von Zigaretten.

Ellas Tür, an der ein selbstgebasteltes Papier-Einhorn hing, war nur angelehnt. Sam trat ein, zog die Zudecke sachte über Ellas schmale Schulter und beobachtete sie eine Weile, wie sie dort lag, mit einem Schleier aus Ruhe und Geborgenheit auf dem hübschen Gesicht. Wie trügerisch der Schlaf doch sein konnte! Sam beugte sich hinunter und küsste Ellas Haaransatz. Dann befühlte sie ihre Stirn. Auf dem IKEA-Tischchen neben dem Bett stand schon eine Flasche Medizin gegen Übelkeit und Erbrechen, ihre Mutter hatte alles richtig gemacht.

Sam verließ das Zimmer und betrat das Bad, in dem die Waschmaschine, die in eine kleine Nische über dem Trockner hineingequetscht war, schon so vehement schleuderte, dass man meinen konnte, sie würde einem im nächsten Augenblick entgegenspringen. Sam wusch sich das Gesicht mit kaltem Wasser, zog Pats Goldkette aus und legte sie in eine kleine Keramikschale neben dem Waschbecken zu ihren vier Paar Ohrringen. Heute trug sie keine, sie hatte es vor Aufregung tatsächlich vergessen!

„Ich mache mich auf den Weg.“ Marilyn stand mit einem ermutigenden Gesichtsausdruck vor ihrer Tochter und zog sie dann in eine lange Umarmung. Sie roch nach ihrem Vanilleparfüm, das Sam an ihre Kindheit erinnerte. Daran, wie es war, am Abend auf dem Sofa neben ihrer Mutter zu kuscheln und einen Kinderfilm zu schauen.

Wie hatte ihre Mutter es bloß geschafft, neben all den anderen Verpflichtungen und ohne Hilfe so eine gute Mutter zu sein? Immer, wenn sie bei Sam war, war sie hundertprozentig für sie da. Sam empfand es als unmöglich, Ella ihre ungeteilte Aufmerksamkeit zu schenken, vielleicht auch, weil Ella ständig von einer Sache zur nächsten hüpfte.

„Ich hab dir noch die Pillen für Ella besorgt. Liegen in deiner Nachttischschublade.“

Sam nickte stumm. Seit einigen Wochen besorgte ihre Mutter über eine Freundin, die in der Apotheke arbeitete, kleine rosafarbene Tabletten, die unschuldig aussahen, aber Ellas ADHS-Symptome lindern sollten. Ella schluckte sie jeden Morgen, ohne komplizierte Fragen zu stellen. Wie die, mit denen sie Sam ab und zu am Sonntagabend löcherte, wenn sich die Vorahnung einer langen Schulwoche wie ein angsteinflößender Riese vor ihr auftürmte. Warum bin ichanders als die anderen Mädchen? Warum hat Miss Fox wieder angerufen? Wieso habe ich keine Freundinnen?

„Danke, Mom. Ich ruf dich an.“ Sam lächelte ihre Mutter an, als sich diese im Flur noch einmal umdrehte. Dann schloss sie die Tür und zog die Glastür zu dem bescheidenen Balkon auf, auf dem Ellas Fahrrad und einige leere Blumentöpfe von Pflanzen standen, die Sams Pflege nicht überlebt hatten. Die milde, immer noch ungewöhnlich warme Nachtluft strömte herein und die Klimaanlage begann wütend zu surren.