Bärentanz - Caitlyn Young - E-Book

Bärentanz E-Book

Caitlyn Young

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Beschreibung

Ein Buch über die Freundschaft und den Mut neu anzufangen Der zehnjährige Maverick Lucky hat Pech: Nach der Trennung seiner Eltern muss er mit seiner Mutter umziehen und bei seiner Großmutter auf der oberen Halbinsel von Michigan leben. Aber was macht man inmitten von Wäldern, in denen Schwarzbären herumstreunen, und ohne funktionierendes WLAN? Mit Schulbeginn nimmt der Horror erst so richtig Gestalt an: Der herrschsüchtige Buster B. Cooper und seine Bande haben das Sagen. Maverick wird schnell klar, dass er sich entscheiden muss: Entweder er spielt auf Busters Seite mit oder er wird zum Außenseiter werden.

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Table of Contents

Widmung

Title Page

Impressum

Teil 1

Kein schöner Geburtstag

Die Sache mit Josh

Umzug in die Hölle – Teil eins

Wer bin ich?

Umzug in die Hölle – Teil zwei

Ein Punkt bei Mary-Lynn

Streit um alles

Ein Päckchen für Josh

Eine neue Welt

Teil 2

Buster

Das Gute im Leben

Der Stadtjunge

Ein trostloser Anruf

Definitiv kein Yooper

Die Mutprobe

Mein Fehler

Teil 3

Geständnis eines Freundes

Kein gewöhnlicher Baseball

Anders ist in Ordnung

Brüder-Streit

Das geheime B

Teil 4

Ein ungutes Tattoo

Ein neuer Freund

Bärentanz

Niemand ist perfekt

Wie du mir, so ich dir

Ernüchtert

Tracker-Versteck

Teil 5

Maverick

Ein Bären-Plan

Gefrustet

Bärenalarm

Zwei Schüsse

Bärenkampf

Ein gefallener Star

Teil 6

Ein neuer Star

Ein starker Wunsch

Wohin nur?

Endlich WLAN

Abschied

Rundum glücklich

Danksagung

Die Autorin

 

 

 

 

 

 

 

 

Für meine Söhne

 

 

 

 

 

 

 

Caitlyn Young

 

 

 

 

Bärentanz

 

 

 

 

Roman

In der Reihe Tintenklecks bereits erschienen:

 

Das Sternenkind – Cat Lewis & Hassina Manan, Bilderbuch

Bärentanz – Caitlyn Young, Kinderbuch ab 10

 

 

Die Handlung und alle handelnden Personen sind frei erfunden. Jegliche Ähnlichkeit mit lebenden oder realen Personen wäre rein zufällig.

 

 

 

 

 

 

 

 

Copyright © 2022 dieser Ausgabe by Ashera Verlag

Hauptstr. 9

55592 Desloch

[email protected]

www.ashera-verlag.de

Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck oder andere Verwertungen – auch auszugsweise – nur mit Genehmigung des Verlags.

Covergrafik: AdobeStock

Innengrafiken: Adobestock, pixabay

Coverlayout: Atelier Bonzai

Redaktion: Alisha Bionda

Lektorat & Satz: TTT

Printed by: Booksfactory

Vermittelt über die Agentur Ashera

(www.agentur-ashera.net)

 

Teil 1

 

Kein schöner Geburtstag

Maverick

 

Manchmal hilft es nicht, mit Nachnamen Lucky zu heißen. Dann meint es das Leben einfach schlecht mit einem. Mich erwischte es mit elf Jahren, am Ende der fünften Klasse. All die Jahre zuvor war das die schönste Zeit im Jahr gewesen: Die Schule neigte sich ihrem Ende zu und die fast dreimonatigen Sommerferien standen vor der Tür. Aber manchmal kommt es eben anders als man es kennt.

Ich lebte mit meiner Mom und meinem Dad in einer Vorstadt im südlichen Michigan. Das war gut so, denn ich habe mir nie viel aus der Natur gemacht. Meine Mutter konnte stundenlang wandern, mein Vater zog hingegen die Stadt dem Land vor. Deswegen war sonnenklar, dass es Mom zu ihren Wurzeln zurückziehen würde. Dads Traum war eine Lehrerstelle in Chicago, aber davon wollte meine Mutter nichts wissen.

Hätte ich auch nur geahnt, was auf der oberen Halbinsel von Michigan auf mich wartete, hätte ich sogar Harrys Kiosk geschätzt. Dort kaufte ich mir zusammen mit meinen besten Freunden, Lenny und Mitch, immer die neuesten Pokémon-Karten. Zwar stank es dort nach billigem Parfüm und Harry hatte Haare auf dem Handrücken, aber wenigstens gab es den Kiosk. Er war nur wenige Gehminuten von unserem Haus entfernt. Ich hatte ja keine Ahnung, dass das ein Luxus war!

Aber beginnen wir mit meinen Eltern. Denn in ihrer Ehe lag der Anfang all meiner Probleme. Heute weiß ich, dass es nicht selbstverständlich ist, mit einer Mutter und einem Vater im selben Haushalt aufwachsen zu dürfen. Damals war das für mich völlig normal. So wie Harrys Kiosk auch. Um mich herum gab es Kinder mit getrenntlebenden Eltern oder solche, die ohne Vater aufgewachsen waren, aber mir würde so etwas nie passieren. Das dachte ich jedenfalls bis zu meinem elften Geburtstag.

Meine Mutter war damit beschäftigt, bunte Einsen aus glitzerndem Pappkarton mit Reißzwecken an der Wand zu befestigen, als mein Vater, wie jeden Tag, um sechs Uhr abends nach Hause kam.

„Alles Gute zum Geburtstag!“ Er stellte seine Lehrertasche neben den Stufen, die ins Obergeschoss führten, ab und trat auf mich zu. Die Treppen waren mit dem gleichen himmelblauen Teppich überzogen, auf dem ich in unserem Familienzimmer laufen gelernt hatte.

Ich saß am Esstisch und las die Karte, die Oma Clarissa mir geschickt hatte. Der Stempel verriet, dass die Post eine Woche gebraucht hatte, um sie hierherzubefördern. Moms Mutter wohnte wirklich am Ende der Welt.

Am Morgen hatte ich Dad nicht gesehen, weil er früher als sonst zur Schule gefahren war. Er kam direkt zu mir an den Tisch, ohne Mom den gewohnten Kuss auf den Mund zu drücken. Meine Mutter hob nicht einmal den Blick, sondern ging in die Küche, um ihren vorgekochten Auflauf in die Mikrowelle zu stellen. Ihre Augen waren ein wenig gerötet. So wie meine nach dem Haarewaschen, wenn mir mal wieder der Schaum ins Gesicht gelaufen war.

„Elf Jahre! Mein kleiner Maverick ist jetzt elf Jahre alt!“ Dad setzte sich zu mir und schlang seine langen Arme um mich. Ich mochte es nicht, wenn er in der dritten Person über mich sprach. Als sei ich noch ein Baby!

Er legte seine glatte Wange, die nach Rasierwasser duftete, an die meine und drückte mich besonders fest. „Wie war dein Tag?“

Es war bei uns so üblich, dass jeder beim Abendessen von seinem Tag erzählte. Aber noch hatten wir uns nicht einmal zum Essen hingesetzt.

„Gut“, murmelte ich nur.

„In zehn Minuten gibt es Kartoffelauflauf“, sagte Mom und begann, Geschirr aus der Spülmaschine in die Hängeschränke zu räumen. Lenny meinte immer, unsere Küche sei luxuriös. Ich fand sie einfach nur orange-weiß-glänzend. Sie war ein Geschenk von Dads Eltern gewesen. Als Mom mit mir schwanger war, halfen sie meinen Eltern auch bei der Finanzierung unseres Hauses. Das betonte Dad ab und zu, wenn sich meine Mutter gegen einen Besuch in Chicago wehrte, wo meine Großeltern väterlicherseits wohnten.

„Sei doch ein bisschen dankbar“, sagte Dad und fasste Mom auf eine sonderbare Weise an die Schultern. Sie entzog sich meistens seinem Griff und verdrehte ihre hellblauen Augen.

Mein elfter Geburtstag fiel auf einen Donnerstag, an dem der „Schlaumeier-Club“ an unserer Schule ausfiel, weil der Gruppenleiter einen wichtigen Termin außerhalb der Schule hatte und sich kein Ersatzlehrer hatte finden lassen. Ich liebte den Schlaumeier-Club und für meine Eltern war es praktisch, dass ich direkt nach der Schule dortbleiben und den späteren Schulbus nehmen konnte. In dem Club suchten wir uns aktuelle Themen aus, über die wir diskutierten und zu denen wir Präsentationen erstellten. Letztes Jahr war der Club so gut gewesen, dass er auf nationaler Ebene an einem Wettbewerb teilnehmen durfte. Aber da war ich noch nicht dabei gewesen, weil ich an dem Nachmittag Fußballtraining hatte. Jetzt, da ich seit einem halben Jahr in einem Elite-Fußball-Verein angemeldet war und montags und mittwochs trainierte, konnte ich donnerstags endlich zu den Schlaumeiern.

„Wie geht es meinem kleinen Schlaumeier an seinem ersten Schnapszahl-Geburtstag?“ Dad rubbelte mir mit seinen Knöcheln liebevoll über mein lockiges Haar. Das tat er immer, wenn er seine Zuneigung ausdrücken wollte. Er sagte, der Satz „Ich liebe dich“ sei so abgedroschen, dass er ihn nicht aussprechen wolle.

„Mir geht es gut, Dad.“ Ich steckte die Karte mit dem Schwarzbären, der eine Partymütze trug, in den Umschlag.

„Von wem ist die?“ Mein Vater reckte neugierig den Hals.

„Von Oma Clarissa.“ Ich schluckte. Wir hatten sie seit meiner Einschulung nicht mehr besucht und sie verreiste nur ungern. Ganz davon abgesehen, dass ich mir nicht vorstellen konnte, dass sich Dad darüber gefreut hätte, sie hier willkommen zu heißen. Immer, wenn ich Mom fragte, warum Dad Oma Clarissa nicht leiden könne, wurde ich vertröstet. Eines Tages würde ich es verstehen.

Vielleicht war es jetzt so weit, schließlich war ich elf Jahre alt? Ich traute mich aber nicht zu fragen.

Dad sagte nichts, sondern rubbelte mich noch einmal am Kopf. „Wollten wir heute nicht essen gehen?“ Er warf Mom einen fragenden Blick zu.

„Ich habe Kopfschmerzen.“ Mom sah mich prüfend an. „Außerdem muss Maverick morgen zur Schule, er sollte rechtzeitig ins Bett gehen.“

Wieder blieb mein Vater stumm. Stattdessen zog er den Briefumschlag an sich und drehte ihn um. Er beäugte die Adresse, als wolle er nachsehen, ob Oma Clarissa umgezogen war. Ich selbst hatte nicht darauf geachtet, war mir aber sicher, dass sie immer noch im Wald im Norden von Michigan lebte.

Mom verteilte drei Teller auf dem Esstisch und legte die Gabeln und Stoffservietten aus. Sie steckten in Serviettenringen, die die Form eines Bärenkopfes hatten. So, als habe man dem Tier das Stofftuch ins Maul gestopft. Sie waren ein Geschenk von Oma Clarissa gewesen und Dad konnte sie nicht ausstehen. Er fand sie geschmacklos.

Der Auflauf, den meine Mutter eben aus der Mikrowelle geholt hatte, dampfte bis zur Decke. Dad sprach mit gesenktem Haupt das Tischgebet, so leise und schnell wie immer. Ich verstand kaum ein Wort davon.

Wir aßen schweigsam.

„Kannst du heute vielleicht die Küche aufräumen?“ Mom ließ die Schultern hängen und sah meinen Vater bittend an. Ich beschloss, dass es besser war, mich aus dem Staub zu machen.

Mein Zimmer war mein Reich. An der Wand hingen Poster meines Lieblings-Fußballclubs und Bilder des Logos, das Maxx44 entworfen und das ich abgezeichnet hatte. Maxx44 war der weltbeste Spieler von Own the Galaxy. Jeder in meiner Klasse spielte das Videospiel und den YouTube-Kanal von Maxx44 hatte ich schon längst abonniert. Heute, an meinem elften Geburtstag, hatte Dad mir versprochen, dass ich am Abend zocken durfte, und zwar bis zum Abwinken! Lenny und Mitch gingen um neunzehn Uhr online. Ich blickte auf mein Handy. Noch zwölf Minuten. Die längsten zwölf Minuten meines Lebens! Ich blätterte ein wenig in einem Comic, verlor aber schnell die Lust daran. Also begann ich, auf meinem Handy das neueste Video von Maxx44 anzusehen.

„Jetzt beruhige dich doch!“ Ich hörte Dads laute Stimme durch meine geschlossene Zimmertür. Irgendetwas war nicht in Ordnung. Aber nicht so, wie sonst, wenn sich Mom darüber beschwerte, dass mein Vater so lange in der Schule geblieben war, um Arbeiten zu korrigieren. Mom war meistens zu Hause und kümmerte sich um den Haushalt und um mich. Nur dienstags und donnerstags half sie in einem Tante-Emma-Laden um die Ecke aus. Aber das tat sie, während ich in der Schule war. Ich sagte ihr jeden Morgen, dass ich froh war, dass sie daheim auf mich warte. Und das entsprach der Wahrheit. Mitch, dessen Eltern beide einen Job hatten und der seine Nachmittage alleine verbrachte, weil er in keinem Schulclub war und auch keinen Sport machte, tat mir leid. Nur deswegen war er fast so gut wie ich in Own the Galaxy, weil er so viel Zeit, wie er wollte, mit der X-Box verbrachte.

„Ich kann nicht mehr, Daniel.“ Das war Mom. Sie hatte erneut geweint, das hörte ich an ihrer Stimme. Immer, wenn ihre Augen so rot waren wie heute beim Abendessen, hatte sie heimlich geheult und tat es später wieder. Vor zwei Tagen hatte ich sie am frühen Abend am Küchentisch sitzend vorgefunden. Sie hatte nicht damit gerechnet, dass ich auftauchen würde. Ich beobachtete sie von Weitem, sah wie ihre Schultern bebten und sie leise schluchzte. An dem Tag hatte ich das erste Mal das Gefühl, dass etwas ganz und gar nicht stimmte. Auf eine schlimme Art, wie ich es vorher noch nie erlebt hatte.

Ich ging zur geschlossenen Tür und legte mein Ohr gegen das Holz. Mein Herz hämmerte schneller als gewöhnlich in meiner Brust. Das Haus war so hellhörig, dass es nicht schwer war, die Worte meiner Eltern zu verstehen. Wahrscheinlich dachten sie, dass ich in den Keller gegangen war, um zu zocken, und sie nicht hören konnte. Es war ziemlich laut, wenn man mit Raumschiffen mit selbst entworfenen Skins durch die Galaxie raste und Raketen abfeuerte.

„Es ist soweit, Daniel. Ich werde mit Maverick zu meiner Mutter ziehen“, sagte Mom mit erstaunlich fester Stimme.

Der Satz war wie ein Messerstich in meine Mitte. Ich vergaß zu atmen. Mein Hals wurde trocken und eng. Zu Oma Clarissa auf die obere Halbinsel ziehen? Niemals!

Wütend riss ich meine Zimmertür auf und rannte die himmelblauen Stufen in den Keller hinunter. Neben Dads Pappkartons mit altem Schulmaterial stand meine X-Box. Ich schaltete zuerst die Deckenleuchte und dann das Gerät an, schnappte mir einen Kontroller und legte mich bäuchlings auf den Teppichboden. Mein Kopf fühlte sich heiß an. Über mir hörte ich das Knarzen des Bodens, auf dem bestimmt mein Vater auf und ab ging. Wenn er nervös war, bewegte er sich im Wohnzimmer hin und her, wie der Tiger im Detroiter Zoo hinter den Gitterstäben. Wollte meine Mutter wirklich ausbrechen? Alles hier zurücklassen? In meinem Hirn begann es zu dröhnen und ich hatte Mühe, mich auf das Spiel zu konzentrieren. Auf dem großen Bildschirm an der Wand eröffnete sich mir ein atemberaubender Blick auf meine gigantische Galaxie. In einem tintenblauen Universum schwebten unzählige Planeten, von denen ich die meisten schon erobert hatte. Maxx-44 hatte schon alle mehrfach erobert und zahlreiche Siedlungen auf ihnen errichtet. Ich war noch weit hinter ihm, aber ich würde ihn kriegen! Vor allem, wenn ich im Multi-Player-Modus mit Lenny und Mitch spielte. Ich sah wieder auf meine Uhr. Noch sieben Minuten.

Da kam Mom die Treppe heruntergelaufen und sah mich aus traurigen Augen an. Zuletzt hatte ich sie so gesehen, als Oma Clarissas Mann, mein Opa William, gestorben war. Als mein Onkel Clement, Moms älterer Bruder, von uns gegangen war, war ich zu klein gewesen, um es mitzukriegen. Aber ich war mir sicher, dass Mom da genauso ausgesehen hatte.

„Maverick, ich möchte mit dir reden“, sagte Mom mit gedämpfter Stimme und näherte sich mit müden Schritten.

Ich wollte nicht mit ihr reden. Wollte in der Galaxie auf befeindete Raumschiffe schießen und zusammen mit meinen Kumpels die Oberhand gewinnen.

„Es ist wirklich wichtig.“ Mom presste die Lippen aufeinander. Ihre Wangen waren unter ihren hellen Augen stark gerötet, als habe sie einen Ausschlag.

Ich legte den Kontroller vor mir hin. Was sollte ich tun? Noch vier Minuten bis zu meinem Online-Date.

„Ich spiele gleich mit Lenny und Mitch“, versuchte ich mich aus der Situation zu retten.

Mom senkte den Blick und zupfte an ihren Fingern. Wie immer, wenn sie traurig aussah. Sie seufzte. „Dann lasse ich dich ein bisschen spielen. Es ist ja dein Geburtstag. Aber in einer Stunde ist spätestens Schluss.“ Sie sah mich an und versuchte zu lächeln, doch ich nahm es ihr nicht ab.

„Danke, Mom!“ Erleichtert schlang ich meine Arme um ihren Hals und gab ihr einen Kuss auf die klebrige Wange. Sie verließ den Keller wieder und ich schwang mich in mein Raumschiff, um in eine Welt aufzubrechen, in der ich mich immer wohlfühlte. Mitch gesellte sich als Erster in seinem silber-roten Gefährt zu mir. Daumen hoch. Bald darauf kam Lenny. Die beiden begannen auf etwas zu ballern, das eher einem Piraten- als einem Raumschiff ähnelte. Ich feuerte ebenfalls – daneben. Was für ein Geburtstag! Nicht einmal auf das Spiel konnte ich mich konzentrieren. Was hatte Mom nur vor? Oder hatte ich mich verhört? Aber warum wollte sie mit mir reden? Vielleicht hatte sie es sich anders überlegt. Nicht nur, weil heute mein Geburtstag war.

Maverick! Was machst du?!?!

Das war Lenny, der mich gerade darauf hinwies, dass mein rechtes Triebwerk qualmte. Verdammt! Ich lenkte nach links und versuchte, dem Piratenschiff auszuweichen. Zu spät. Ich war tot. Aber im Spiel war es möglich, wieder zu leben. Immer wieder. Wenn ich auf die obere Halbinsel und weg von meinen Freunden, meinen Schulclubs und meinem Fußball ziehen sollte, wollte ich sterben. Die Galaxie verschwamm vor meinen Augen, während heiße Tränen meine Wangen hinunterrollten.

Die Sache mit Josh

Buster

 

Josh hatte wieder getrunken, ich roch es an seinem Atem. Das erlaubte er sich nur, wenn Dad auf Geschäftsreise war. Unser Vater hatte die obere Halbinsel von Michigan vor zwei Tagen verlassen, um sich mit einem Kunden zu treffen, der eine Jubiläumsfeier in unserem Restaurant plante. Es war eine der Möbelfabriken, für die wir Bäume fällten. Mom war, wie meistens, im Restaurant beschäftigt. Den Motor von Joshs Wagen hörte ich schon Minuten, bevor er zu Hause ankam. Dad nannte ihn die Proletenkarre. Seit mein Bruder vor zwei Wochen den Führerschein bekommen hatte, fuhr er sogar zum Briefkasten mit dem Auto. Wahrscheinlich hatte er Angst, auf dem Weg dorthin von einem wilden Tier angefallen zu werden. Josh hätte nicht hier aufwachsen sollen! Er hasste die Natur und Tiere sowieso. Sobald er mit der High School fertig war, würde er in Richtung Süden ziehen, davon war ich überzeugt.

Ich hingegen liebte unser Haus, vor allem die Lage am See. Aus meinem Zimmerfenster konnte ich auf das weite Blau und unseren privaten Anlegesteg hinausblicken, an dem unser Boot vertäut war. Dahinter kam nichts als Wald. Bäume in allen Grünschattierungen. Ganz besonders genoss ich den Blick, wenn am frühen Morgen ein milchiger Nebel über dem Wasser lag. Unheimlich. Ein wenig schaurig. So, wie ich mir Joshs Freizeit vorstellte, denn ich wusste, dass er mit seiner Bande nicht Gutes im Schilde führte.

„Buster!“ Das war Josh. Aus seinem Zimmer dröhnte Heavy Metal Musik.

„Was ist?“ Ich blickte von meinem Handy auf, auf dem ich mir eben ein neues Video von Maxx44 angeschaut hatte. Der hatte es echt drauf! Von dem war ich meilenweit entfernt. Hatte auch erst vor drei Wochen angefangen, Own the Galaxy zu zocken.

„Komm mal her!“, erklang es erneut aus Joshs Zimmer. Seine Worte waren mir Befehl. Ich war froh, wenn er mich überhaupt in sein Zimmer einlud.

Als ich eintrat, saß er auf seinem ungemachten Bett, von dem ein süßlicher Geruch ausging. Sein langes Haar war zerzaust und in seinen Händen hielt er sein nagelneues iPhone.

„Hast du das neueste Video schon gesehen?“, wollte er wissen und blickte kurz zu mir auf. Er sah müde aus. Ich wusste, wovon er sprach. Uns verband die Begeisterung für Maxx44. Leider gab es wenig andere Berührungspunkte.

„Ja, ich hab’s gerade angeschaut.“ Ich versuchte zu lächeln. Da Josh fast sechs Jahre älter war als ich, hatte ich schon immer zu ihm aufgeblickt. Ich war der Kleine.

„Und?“, fragte Josh und sah wieder auf sein Handy.

„Ich find’s ziemlich cool“, gab ich zu. „Wie immer halt.“

Wir sagten beide eine Zeitlang nichts.

„Wie macht der das?“ Josh drehte den Monitor, auf dem ein Video von Maxx44 lief, in meine Richtung. Maxx44 schien die Sterne und Planeten mit Leichtigkeit zu erobern und hatte immer die neuesten Waffen und Ausrüstungen.

„Der muss den ganzen Tag zocken!“, vermutete ich ein wenig neidisch und zuckte mit den Schultern.

„Mach die Fliege!“, sagte Josh genervt. Manchmal fragte ich mich, warum er mich überhaupt in sein Zimmer lockte. Vielleicht wollte er sich nur vergewissern, dass ich zu Hause und immer noch von Own the Galaxy besessen war.

Josh blickte erneut kurz zu mir auf. Mir kam es so vor, als habe er seine Augen ein wenig geschminkt. „Ich dachte, du könntest mir die neuesten Tricks verraten. Du zockst das doch dauernd mit deinen Kumpels.“

„Nicht mehr so oft. Ich hatte lange keinen Besuch mehr.“

„Trefft euch doch online“, schlug Josh vor. Dann deutete er mit dem Finger in Richtung seiner Zimmertür. Mein Blick fiel auf leere Bierflaschen, die neben allerlei Kram auf seinem Schreibtisch standen. Den benutzte er eher als Ablage als zum Hausaufgabenmachen. Josh war so schlecht in der Schule, dass sich meine Eltern ernsthafte Sorgen machten. Die High School war nicht mehr so leicht wie die Mittelschule. Josh scherte das einen Dreck. Ich wusste auch, dass er heimlich mit dem Rauchen angefangen hatte, aber ich hätte ihn niemals bei meinen Eltern verpetzt. Dazu mochte ich ihn zu sehr. Er hatte auch schon so genug Probleme mit Mom und Dad. Vor allem unser Vater hielt ihm jedes Wochenende eine Predigt über das Leben und vor allem das Erwachsenwerden. Ich glaube, Josh wollte nicht erwachsen werden. Er pfiff auf das, was meine Eltern sagten. Es war ihm egal, was um ihn herum los war. Er hatte seinen eigenen Kopf. Und wenn er gerade nicht zu Hause war und ich in seinen Schubladen Skizzen fand, die er von surrealen Tierwesen zeichnete, dann war ich mir sicher, dass er eines Tages ein berühmter Illustrator oder so etwas werden würde. Josh war cool. Während ich ein Musterschüler war, obwohl ich es gar nicht sein wollte. Mir fiel die Schule leicht. Die guten Noten flogen mir zu. Meine Lehrer ließen mich in Ruhe. Nur die anderen Kinder waren eine Plage. Ich hatte sie trotzdem zum Großteil im Griff. So, wie Josh seine Bandenmitglieder im Griff hatte. Das betonte er immer wieder. Aber zu den heimlichen Treffen wurde ich nie eingeladen. Es war wichtig, sich nicht von den Anderen unterkriegen zu lassen, denn sonst wurde man ein Gregory Wines, an dem sich jeder seine Schuhe abstreifte. Er war so dick, dass ihn viele Wackelpudding nannten. Ein einziges Mal war er bei mir gewesen. Weil er ungeschickt war, hatte er große Mühe, in unser Boot einzusteigen. Er fiel direkt in den See. Er war ein echtes Opfer.

Es hämmerte gegen die Haustür. Josh und ich zuckten zusammen und unsere Blicke trafen sich.

„Jemand da?“

Die Stimme klang vertraut.

Ich verließ Joshs Zimmer und rannte die Kirschholz-Treppe hinunter. Meine Hand glitt am Stahlgeländer entlang, das meine Eltern neu hatten errichten lassen. Unser Haus sollte Monat um Monat moderner werden. Jetzt, da das Restaurant und der Holzbetrieb so florierten, konnten wir uns das alles leisten. Und noch viel mehr, wie mein Vater gerne hervorhob.

Unsere Tür war nur nachts verschlossen. Da stand er also schon im Türrahmen, der Bär-Rancher, den Papa seit seiner Kindheit kannte, und der auf der oberen Halbinsel Ranger Joe genannt wurde. Er streckte mir seine Pranke entgegen. „Wie geht’s, Junge?“

„Gut, Sir.“ Ich gab ihm die Hand und hatte Angst, er könne sie zerdrücken.

„Bist du allein zu Hause?“ Sein Bart war so buschig, dass man seine Lippen nur erahnen konnte. Er sah mich mit diesem stechenden Blick aus klarblauen Augen an, den ich als kleines Kind gefürchtet hatte.

„Josh ist da.“ Ich steckte meine Hände in die Hosentaschen, weil ich nicht wusste, was ich mit ihnen anstellen sollte.

Ranger Joe nickte. „Schick ihn mal runter!“

Das war nicht nötig, denn mein Bruder stand bereits hinter mir auf der Treppe und lehnte am Geländer. Mit einer lässigen Kopfbewegung beförderte er die Haartolle aus seiner Stirn, um besser sehen zu können.

„Was geht, Ranger Joe?“, fragte er, nahm die letzten vier Stufen mit einem Sprung und reichte dem Waldmenschen die Hand.

„Stimmt‘s, dass ihr nächste Woche einen Schulausflug zu uns macht?“, fragte Ranger Joe und sah mich an.

Ich hatte davon gehört.

„Ihr werdet eine tolle Führung bekommen.“ Ranger Joe lachte laut und rau. Dabei wackelte sein Bauch auf und ab. „Aber eigentlich bin ich gekommen, um dir einen Sommerjob anzubieten.“ Nun sah er Josh an. „Dachte, du kannst das Geld gebrauchen.“ Nach einer kurzen Pause fügte er hinzu. „Woher hast du überhaupt die Kohle gehabt, um dir den Schrottwagen zu kaufen, der draußen vor der Garage steht?“

Josh zog die Augenbrauen hoch. Er hatte seine Augen definitiv mit schwarzem Kajal umrandet. Das gab seinem Blick Tiefe. „Ne danke, das ist nichts für mich.“ Er schüttelte den Kopf. „Du weißt doch, dass ich Tiere nicht ausstehen kann.“

„Dir geht es zu gut, Junge.“ Ranger Joe atmete geräuschvoll ein und wieder aus. Er klang wie Dad. „Außerdem hab ich hier noch einen Scheck für deine Eltern.“ Er überreichte Josh das Wertpapier. „Ihr habt uns eine Menge Holz für einen Schuppen geliefert, in dem wir unsere Sommer-Utensilien aufbewahren, um sie vor dem Winter zu schützen.“

„Alles klar.“ Josh nahm den Scheck entgegen und steckte ihn in seine Hosentasche. Ich hatte das ungute Gefühl, dass er nie bei Mom und Dad ankommen würde. Josh war zu sowas in der Lage. Er war cool. Woher er das Geld für das Auto hatte, war mir klar. Ich hatte letztes Frühjahr mitbekommen, dass er mit seiner Bande von einem Nachbarn Holz geklaut hatte. Er, dessen Eltern mit Holz Geschäfte machten, schlich sich auf ein fremdes Grundstück, um Holz zu stehlen und anschließend auf dem Schwarzmarkt zu verkaufen! Ich sprach ihn darauf an und er sagte, ich solle bloß den Mund halten. Es ginge nur um den Nervenkitzel. Das Leben hier im Wald sei so öde. Also hielt ich den Mund. Weil ich Angst hatte, Josh könne mich als Gegenzug auch verpetzen. Mom und Dad hatten ja keine Ahnung, dass auch ich cool war. Zumindest in der Schule.

„Dann wäre da noch etwas.“ Ranger Joe wandte sich erneut an Josh, der breitbeinig dastand. „Wegen deines Anrufs neulich.“

Josh deutete mit einer lässigen Kopfbewegung in Richtung Wohnzimmer. Der Bärenmann streifte seine Wanderschuhe ab und betrat zusammen mit meinem Bruder das dunkel gefliestes Wohnzimmer. Josh zog die schwere Eichentür zu, stellte aber sicher, dass er mir vorher noch einen triumphierenden Blick zuwarf. In mir kochte es vor Wut. Wieso war ich immer der dumme Kleine, der nichts wissen durfte?

---ENDE DER LESEPROBE---