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Diese Ausgabe enthält folgende Geschichten: Sandy Palmer: Versöhnung unterm Weihnachtsbaum Anna Martach: Jenny und der neue Vater Alfred Bekker: Zu stolz, um zu verzeihen Rowena Crane/ Alfred Bekker: Rowena Crane und Alfred Bekker Sie ist bezaubernd schön, reich – und leider auch ein wenig dickköpfig, die blonde Andrea Sartorius. Jedenfalls lehnte sie es rundweg ab, Frederik Murau aus reinem Geschäftsinteresse heraus zu heiraten, da mag ihr Vater toben, so laut er will. Andrea will ihr eigenes Leben leben, und sie beginnt damit, sich vom Elternhaus abzunabeln, indem sie kurz vor Weihnachten in die Schweiz fährt. In St. Moritz, davon ist sie überzeugt, kann sie den Streit mit ihrem Vater – und auch Frederik vergessen...
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Seitenzahl: 407
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Vier Romane Sommerband 2023
Copyright
Versöhnung unterm Weihnachtsbaum
Jenny und der neue Vater
Zu stolz, um zu verzeihen
Rosen für eine Hochstaplerin
Diese Ausgabe enthält folgende Geschichten:
Sandy Palmer: Versöhnung unterm Weihnachtsbaum
Anna Martach: Jenny und der neue Vater
Alfred Bekker: Zu stolz, um zu verzeihen
Rowena Crane/ Alfred Bekker: Rowena Crane und Alfred Bekker
Sie ist bezaubernd schön, reich – und leider auch ein wenig dickköpfig, die blonde Andrea Sartorius. Jedenfalls lehnte sie es rundweg ab, Frederik Murau aus reinem Geschäftsinteresse heraus zu heiraten, da mag ihr Vater toben, so laut er will. Andrea will ihr eigenes Leben leben, und sie beginnt damit, sich vom Elternhaus abzunabeln, indem sie kurz vor Weihnachten in die Schweiz fährt. In St. Moritz, davon ist sie überzeugt, kann sie den Streit mit ihrem Vater – und auch Frederik vergessen...
Eine Cassiopeiapress Romanzeitschrift: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books, Alfred Bekker, Alfred Bekker präsentiert, Casssiopeia-XXX-press, Alfredbooks, Uksak Sonder-Edition, Cassiopeiapress Extra Edition, Cassiopeiapress/AlfredBooks und BEKKERpublishing sind Imprints von
Alfred Bekker
© Roman by Author /Cover Mara Laue
© dieser Ausgabe 2023 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen
Die ausgedachten Personen haben nichts mit tatsächlich lebenden Personen zu tun. Namensgleichheiten sind zufällig und nicht beabsichtigt.
Alle Rechte vorbehalten.
www.AlfredBekker.de
Folge auf Twitter:
https://twitter.com/BekkerAlfred
Zum Blog des Verlags geht es hier:
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Alles rund um Belletristik!
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Der Umfang dieses Buchs entspricht 61 Taschenbuchseiten.
Sie ist bezaubernd schön, reich – und leider auch ein wenig dickköpfig, die blonde Andrea Sartorius. Jedenfalls lehnte sie es rundweg ab, Frederik Murau aus reinem Geschäftsinteresse heraus zu heiraten, da mag ihr Vater toben, so laut er will. Andrea will ihr eigenes Leben leben, und sie beginnt damit, sich vom Elternhaus abzunabeln, indem sie kurz vor Weihnachten in die Schweiz fährt. In St. Moritz, davon ist sie überzeugt, kann sie den Streit mit ihrem Vater – und auch Frederik vergessen...
Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books, Alfred Bekker, Alfred Bekker präsentiert, Casssiopeia-XXX-press, Alfredbooks, Uksak Sonder-Edition, Cassiopeiapress Extra Edition, Cassiopeiapress/AlfredBooks und BEKKERpublishing sind Imprints von
Alfred Bekker
© Roman by Author
© dieser Ausgabe 2019 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen in Arrangement mit der Edition Bärenklau, herausgegeben von Jörg Martin Munsonius.
Die ausgedachten Personen haben nichts mit tatsächlich lebenden Personen zu tun. Namensgleichheiten sind zufällig und nicht beabsichtigt.
Alle Rechte vorbehalten.
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„Er ist arrogant und selbstgefällig, und ich weiß wirklich nicht, was du an Frederik findest, Paps.“ Wütend drehte sich Andrea Sartorius um und schaute aus dem Fenster. Draußen war es schon dunkel, es regnete sacht.
Genau das richtige Wetter für meine miese Stimmung, dachte das junge Mädchen und unterdrückte einen Seufzer. Drüben, auf dem Dach der Fabrik, stand ein Weihnachtsbaum, die elektrischen Kerzen leuchteten weithin sichtbar und vermittelten einen Hauch von Frieden und Harmonie. Schade nur, dass sich diese Empfindungen hier, in der Villa des Fabrikanten Mathias Sartorius, nicht auch einstellen wollten.
Der Konzernchef saß in seinem Lieblingssessel und presste wütend die Lippen aufeinander. Der massige Kopf mit dem grauen Stoppelhaar war ein wenig gesenkt, doch im nächsten Moment ruckte er wieder hoch.
„Du weißt, wie sehr mir an einer Fusion mit den Murau-Werken gelegen ist“, sagte er. „Und Frederik ist doch...“
„... was immer er ist“, fauchte Andrea und drehte sich wieder zu ihrem Vater um, „er ist auf keinen Fall der Mann, den ich heiraten werde. Schlag dir das endgültig aus dem Kopf, Paps. Wir haben das Thema jetzt mindestens ein halbes Jahr lang diskutiert, und ich sag es dir zum letzten Mal: Es wird keine Verlobung unterm Weihnachtsbaum geben!“
„Dann... dann enterbe ich dich!“
Das blonde Mädchen lachte nur. „Von mir aus. Mir bleibt noch das Geld von Großmama. Also wirklich, Paps, mit so mittelalterlichen Drohungen brauchst du mir gar nicht erst zu kommen.“ Sie trat dicht an den Sessel heran. „Aber damit du es weißt: Ich lass mich nicht erpressen. Und ich lass mich weder von dir noch von Frederik bevormunden. Morgen fahr ich weg, und ich komme erst zurück, wenn du mir zugestehst, dass ich so leben kann, wie ich will.“
„Als Physiotherapeutin, die sich Tag für Tag um Kranke kümmert, statt sich ihrer gesellschaftlichen Stellung bewusst zu sein!“
„Du bist ein arroganter Snob“, konterte Andrea, aber ihr Lächeln strafte die Worte Lügen. Sie liebte ihren Vater sehr, und sie wusste auch, dass er die Verbindung mit Frederik nur so zielstrebig verfolgte, weil er sein Lebenswerk in guten Händen wissen wollte. Aber Frederik... nein, der kam einfach für Andrea als Mann nicht in Frage!
„Du bist dickköpfig wie deine Mutter!“ Das klang immer noch wütend, aber ein Hauch von Melancholie schwang in dem kleinen Satz mit. Und das Lächeln, mit dem Mathias Sartorius seiner schönen Tochter nachsah, als sie erregt den Raum verließ, verriet viel von seiner Liebe zu ihr.
Aber er hatte sich diese Hochzeit mit dem Sohn seines schärfsten Konkurrenten nun mal in den Kopf gesetzt. Und er war sicher, dass Andrea nachgeben würde. Er musste nur noch ein bisschen bohren!
Am nächsten Morgen jedoch war seine Tochter nicht mehr da. Heimlich hatte sie in der Nacht ihre Sachen gepackt und war verreist.
„Nach St. Moritz ist sie“, erklärte Frau Patter, die langjährige Haushälterin. „Sie hat mir gesagt, dass sie einfach ein bisschen Abstand braucht.“
„Hoffentlich kommt sie in der Kälte zur Vernunft“, knurrte Mathias und widmete sich ohne allzu großem Appetit seinem Frühstücksei.
Andrea saß unterdessen schon im Flugzeug nach St. Moritz. Sie hatte sich spontan entschlossen, in die Schweiz zu reisen und einfach mal Abstand von allem zu gewinnen. Ein bisschen Skilaufen, mit netten Leuten zusammentreffen, Spaß haben und entspannen – das würde sowohl ihrem Vater als auch ihr selbst gut tun. Ihre Freundin Lydia, in deren Praxis sie arbeitete, musste notgedrungen auf sie verzichten. Andrea hatte sie ganz früh am Morgen angerufen und erklärt: „Ich weiß, dass ich unsere Freundschaft strapaziere – aber es muss sein. Ich muss weg von Paps und seinen Forderungen nach einer baldigen Hochzeit mit Frederik. Ich fliege zu Moni Steingass nach St. Moritz.“
„Ich lass dich zwar nur ungern gehen, aber ich versteh dich. Grüß mir Moni – und viel Spaß.“
Die drei jungen Frauen waren gemeinsam zur Schule gegangen. Moni arbeitete jetzt als Empfangschefin in einem großen Hotel in der Schweiz, Lydia war selbstständig, und Andrea war bei ihr angestellt. In erster Linie aber war sie, so sagte sie zumindest selbst, Tochter.
„Das wird sich ändern“, murmelte die junge Frau, als sie im Taxi saß und in Richtung St. Moritz fuhr. „Von jetzt an werde ich erwachsen!“
Im feudalen Palace-Hotel bekam sie zum Glück noch ein Zimmer, denn eine alte Engländerin war erkrankt und hatte abgesagt.
Nachdem sie ihre Koffer mit Hilfe eines Stubenmädchens ausgepackt hatte, machte Andrea einen Spaziergang durch den Ort, den sie schon seit vielen Jahren kannte. Als erstes trank sie im Café Hanselmann eine heiße Schokolade und aß ein Stück der exzellenten Torte dazu, dann schlenderte sie ein wenig durch die Straßen, kaufte sich einen neuen Skidress und erstand Sonnencreme, denn in dieser Höhe war der Lichteinfall gefährlich.
Skier mussten auch noch besorgt werden, die ließ sie sich, zusammen mit allem anderen, ins Hotel schicken, denn gegen Abend traf sie sich mit Evi, und beim gemeinsamen Abendessen, so war’s am Telefon besprochen, würden die Freundinnen einen Plan entwickeln, wie Andrea sich am besten erholen und ablenken konnte.
Evi war eine kleine Brünette mit lustigen Grübchen in den Wangen und fast schwarzen Augen, die ihr ganzes Gesicht beherrschten. Als das Essen aufgetragen war, sagte sie: „Ich hab schon ein paar Ideen. Am wichtigsten aber ist, dass du dich sinnvoll beschäftigst. Buch dir im Hotel einen Skikurs, das bringt Spaß und lenkt dich ab.“
„Ich überleg’s mir noch“, erwiderte Andrea, doch als sie am nächsten Morgen erwachte und bemerkte, dass Neuschnee gefallen war, beeilte sie sich, um sich noch für einen Kurs beim hoteleigenen Skilehrer anmelden zu können.
Jetzt, Anfang Dezember, waren noch nicht allzu viele Gäste in St. Moritz. Der Schnee auf den Bergen war zwar schon fast einen Meter hoch, doch die meisten der Winterurlauber ließen noch auf sich warten.
So hatte Stefan Degenhardt, der Skilehrer, der sich an diesem Morgen um eine kleine Dreiergruppe kümmern sollte, viel Zeit für seine Schützlinge. Er war ein gut aussehender junger Mann von sechsundzwanzig Jahren. Groß, sportlich durchtrainiert, mit einem sympathischen Lächeln und klugen dunklen Augen.
Sie fielen Andrea als erstes auf, als sie sich in der Hotelhalle trafen. Ein etwa vierzigjähriger Mann aus London, regelmäßiger Gast in St. Moritz, gab sich lässig und begrüßte alle sehr freundlich. Eine etwa zwanzigjährige Amerikanerin himmelte den Skilehrer sofort an, so dass sich Andrea ein ironisches Grinsen nicht verkneifen konnte.
„Ihr könnt alle schon ein bisschen laufen, ja?“, erkundigte sich Stefan, der einen roten Skianzug trug.
Daisy Jeffersen hatte sich für einen silberfarbenen Dress entschieden, Bob Henderson trug einen schwarzen Anzug und wirkte ein bisschen wie ein Londoner Banker.
Auf der Piste jedoch zeigte sich bald, dass er ausgesprochen sportlich war.
„Mit ein bisschen Training kannst du fast schon die schwarze Abfahrt nehmen“, lobte Stefan.
„Lieber nicht. Ich muss in zwei Wochen heil und gesund zurück sein und will nichts riskieren“, wehrte Bob ab und sah amüsiert zu, wie Daisy mit gekonntem Schwung dicht vor Stefan ankam.
Andrea, die an und für sich recht sportlich und durchtrainiert war, hielt sich bewusst zurück. Dabei musste sie sich eingestehen, dass Stefan Degenhardt ein ausgesprochen netter Typ war.
„Na, was ist?“, fragte er am Nachmittag, als hinter den Bergen die ersten Schatten aufstiegen und die Sonne schnell hinter den weißen Kuppen verschwand. „Geht ihr alle mit auf einen Drink an die Bar?“
„Ich muss mich erst noch umziehen“, erklärte Daisy.
„Wir warten auf dich“, nickte Stefan, dann wandte er sich an Andrea. „Und du?“
„Ich blieb so, wie ich bin. Den Drink stört’s bestimmt nicht“, lachte die junge Frau.
Sie hatten viel Spaß, die drei, und als Daisy wenig später zu ihnen stieß, in einem hautengen Pulli und mit einer silbrig glitzernden Hose, zu denen hochhackige Stiefeletten trug, meinte Bob leise: „Edelmetall ist in dieses Jahr.“ Dann lachte er Andrea an. „Möchtest du tanzen?“
Sie nickte, und wenig später genoss sie es, in Bobs Arm einen rasanten Jive aufs Parkett zu legen.
„Tanzt du nicht?“, fragte Daisy und himmelte Stefan an.
„Ich kann’s leider nicht“, erwiderte er und seufzte bedauernd.
„Ich könnte es dir beibringen.“
Er winkte ab. „Lieber nicht. Ich trete dir sonst noch auf die Füße.“ Er wies auf einen blonden Schweden, der gerade die Bar betrat. „Das ist Sven, ein Kumpel von mir, der tanzt ganz ausgezeichnet.“
Und tatsächlich sah man Daisy und Sven wenig später eng umschlungen auf der Tanzfläche. Sie gingen dann auch, ebenfalls eng umschlungen, wenig später weg, und nach dem zweiten Drink erklärte Andrea: „Tut mir leid, aber ich geh jetzt gleich zum Essen. Bis morgen.“
„Bis morgen“, sagte Bob. „Viel Spaß heute Abend noch.“
„Wobei?“
„Na, ich denke, du hast noch was Nettes vor“, lachte der Ältere.
„Nein, bis jetzt noch nicht. Meine Freundin, die hier arbeitet, hat heute leider Dienst.“
Stefan zögerte, dann meinte er: „Wenn du willst, kannst du mit mir ins „Alpenstübchen“ kommen. Da ist es recht gemütlich.“ Doch als Andrea zögerte, fügte er rasch hinzu: „Sorry, ich wollte dir nicht zu nahe treten, aber ich...“ Er biss sich auf die Lippen und wurde sichtlich verlegen.
Andrea lächelte und legte ihm rasch die Hand auf den Arm. „Ich komme gern mit. Es ist nur...“ Jetzt wurde sie ein wenig rot. „Ich möchte nicht, dass du denkst, ich bin so auf Raub aus wie Daisy. Und deshalb hab ich...“
„Aber das denke ich doch nicht von dir“, versicherte Stefan rasch, und für einen Moment versanken ihre Blicke ineinander.
Andrea wurde pünktlich um acht Uhr wach. Ein kurzes Recken, dann stand sie rasch auf und ging ins Bad. Im Spiegel sah sie sich an – und streckte sich gleich darauf selbst die Zunge heraus. „Du benimmst dich wie ein unreifer Teenager, Andrea“, rügte sie sich laut, „verliebst dich in deinen Skilehrer – albern!“
Aber es war so, sie konnte es nicht leugnen. Und sie war glücklich dabei! Stefan war ein netter Kerl, und sie freute sich schon darauf, ihn wiederzusehen.
Beim Frühstück jedoch ließ er sich nicht blicken, und zum ersten Mal bedauerte Andrea es, in diesem Luxushotel abgestiegen zu sein. Was nützte ihr der beste Service, wenn der Mann, an den sie ihr Herz verloren hatte, nicht bei ihr sein konnte?
Sie beeilte sich und ging rasch in ihr Zimmer zurück, um sich den Skidress anzuziehen. Um halb zehn war Treffen in der Hotelhalle angesagt.
Andrea war ein bisschen früher da – und Stefan auch!
Er kam auf sie zu und nahm ihre Hände in die seinen. „Guten Morgen.“ Seine Stimme war wie ein Streicheln auf ihrer Haut. „Hast du gut geschlafen?“
„Ja.“ Sie lächelte. „Bekomme ich keinen Kuss?“
Der junge Skilehrer schüttelte den Kopf. „Hier lieber nicht. Ich bin schließlich im Dienst.“
„Entschuldige.“ Sie war ehrlich zerknirscht, denn nichts lag ihr ferner, als ihm Unannehmlichkeiten zu machen.
Doch als sie später mit Daisy und Bob in der Gondel standen und nach oben auf den Corviglia fuhren, schmiegte sie sich verstohlen an ihn und spürte seine Hände, die zärtlich ihren Nacken streichelten.
Ein glückliches Lächeln glitt über ihr Gesicht, und ihre Augen strahlten Stefan an.
Der junge Skilehrer spürte ebenfalls, dass dieser Flirt etwas Besonderes war. Schon im vorigen Jahr hatte er sich ein paar Monate Auszeit genommen und war für eine gewisse Zeit nach St. Moritz gekommen, um hier als Skilehrer zu arbeiten. Niemand von seinen Schülern wusste allerdings, dass seiner Familie hier ein sehr schönes Chalet gehörte. Stefan wollte nicht, dass seine Schüler oder neuen Freunde erfuhren, dass er aus wohlhabender Familie stammte und diesen Job eigentlich nur aus Spaß machte.
Das Studium fiel ihm leicht, er hatte alle Prüfungen mit Bestnoten gemacht – kein Wunder, denn seit frühester Kindheit war er mit Krankheiten und Medizin vertraut. Sein Vater besaß eine renommierte Privatklinik in München, und Stefan galt als designierter Nachfolger.
Doch noch war sein Vater sehr agil und dynamisch, Stefan konnte sich ein bisschen Zeit lassen und sich den Wind um die Nase wehen lassen. Er hatte ein Jahr in USA studiert, ein Praktikum an der Uni-Klinik in Köln gemacht und wollte gern die Zeit als Arzt im Praktikum in Berlin absolvieren.
Doch jetzt war auf einmal alles anders. Jetzt war nur noch Andrea wichtig – und er überlegte, wie er ihr noch deutlicher zeigen konnte, was er für sie empfand.
Die Skipiste, die sie befuhren, war sehr einfach, und Bob und Daisy hatten eine Menge Spaß, vor allem, als Bob erklärte: „Und jetzt möchte ich euch einen Drink an der Schneebar spendieren. Sowas Verrücktes hab ich ja noch nie gesehen – eine Bar aus Eis, davor Tische und Sitzgelegenheiten aus Strohballen... einfach irre.“
„Aber gemütlich und praktisch. Und dort, bei Mathi, kannst du so gut speisen wie in einem Drei-Sterne-Lokal“, erklärte Stefan und wies auf eine große Terrasse, die in hellem Sonnenlicht lag und wo gerade Tische mit weißem Damast gedeckt wurden. Champagner-Kübel zierten jeden Tisch, gelbe Rosenbuketts wurden als Dekoration aufgetragen.
„Ein bisschen dekadent, oder?“, flüsterte Andrea ihrem Begleiter zu.
Stefan lachte. „Das schon, aber das Essen, das Mathi seinen Gästen serviert, ist ein Genuss. Man muss wenigstens einmal da gesessen und die Aussicht – und ein Menü genossen haben. Ich finde, das gehört dazu, wenn man schon mal hier ist. Man muss sich ja nicht gleich Kaviar oder Austern servieren lassen.“
Doch für diesen Tag beschränkten sie sich auf einen Drink an der Schneebar, dann aßen sie im Stehen eine heiße Suppe, und los ging’s wieder auf die Piste.
Stefan hatte mit seinen Schülern nicht viel Arbeit, er korrigierte Daisys Haltung, gab Bob ein paar Tipps, wie er schwungvoller den Hang hinabsausen konnte und half Andrea, als sie Schwierigkeiten mit der Bindung hatte.
Später dann trennten sie sich bei der Talstation, Daisy hatte ein Rendezvous mit einem Schweden, Bob wollte sich mit einem englischen Freund treffen, so dass Andrea und Stefan Zeit für sich hatten.
„Und? Was tun wir jetzt?“, fragte das Mädchen.
„Wir bummeln durch St. Moritz, wenn du magst. Wir können aber auch nach Celerina fahren. Dort ist es ein wenig gemütlicher, uriger.“
So verbrachten sie einen Tag etwas außerhalb des Trubels, doch das war ihnen gerade recht, denn so konnten sie sich noch ein wenig besser kennenlernen.
Nur schwer trennten sie sich kurz vor Mitternacht. Andrea war versucht, den jungen Mann mit in ihr Zimmer zu nehmen, doch eine gewisse Scheu und Schüchternheit hielt sie noch davon ab.
Als sie gerade ins Bett gehen wollte, klingelte das Telefon.
„Wo warst du denn den ganzen Abend?“ Die Stimme ihres Vaters klang grollend.
„Guten Abend“, sagte Andrea betont. „Was ist passiert, dass du anrufst?“
„Was passiert ist?“ Die Stimme von Mathias Sartorius klang wie Donnergrollen. „Passiert ist, dass meine Tochter den Verstand verloren hat und auf einmal glaubt, mit dem Kopf durch die Wand zu müssen.“
Andrea lachte. „Das war bisher dein Part, nicht wahr, Paps?“
„Ach du...“ Er sagte nichts mehr, sie hatte ihm gleich den Wind aus den Segeln genommen. „Wie geht’s dir, Kind? Bist du gut untergebracht?“
„Aber ja. Es geht mir blendend!“
„Und wann kommst du heim? Der alte Murau hat mir heute noch ein paar ganz tolle Extras auf den Tisch gelegt. Er ist auch ganz wild auf eine Verbindung. Ich bin mir fast sicher, dass ich ihm ein ganzes Aktienpaket abluchsen kann. Sozusagen als Mitgift.“
„Du verdrehst aber auch wirklich alles, Paps.“ Andrea musste sich beherrschen, um nicht zu lachen. Normalerweise hätte sie sich jetzt aufgeregt, weil ihr Vater so uneinsichtig war und von seinen Hochzeitsplänen einfach nicht abrücken wollte. Doch sie war viel zu glücklich, um sich zu ärgern.
„Übermorgen ist der 2. Advent“, sagte ihr Vater und tat, als wüsste sie das nicht selbst. „Du kriegst noch zwei Wochen Galgenfrist. Tob dich aus, wenn’s denn sein muss – aber am Heiligen Abend wird Verlobung gefeiert, dass das klar ist.“
Sie schwieg, lehnte sich in den Kissen zurück und sah verträumt vor sich hin. Sie sah sich unter einem lichterglänzenden Weihnachtsbaum, sah einen Verlobungsring an ihrer Hand – und es war Stefan, der ihn ihr angesteckt hatte.
„Warum sagst du nichts?“, drang die Stimme ihres Vaters durch den Hörer.
„Ach, Paps, ich red am besten erst wieder mit dir, wenn du normal geworden bist. Und jetzt entschuldige, ich bin müde und muss schlafen. Der Skiunterricht ist ziemlich anstrengend.“
„Aha. Na, dann gute Nacht.“
Sie erwiderte den Gruß, dann schloss sie die Augen und war wirklich im nächsten Moment eingeschlafen. Und sie träumte von Stefan...
So bekam sie nicht mit, dass in der Nacht Neuschnee fiel. Das ganze Tal lag unter einer dichten Schneedecke, und am nächsten Morgen fielen immer noch dichte Flocken, so dass an eine längere Abfahrt nicht zu denken war.
Bob beschloss, den Tag faul an der Hotelbar zu verbringen, Daisy hatte ein Date mit ihrem Schweden – und Andrea und Stefan beschlossen, einen Spaziergang zu machen.
„Drunten am Moritzer See ist jetzt bestimmt einiges los“, meinte der junge Mann. „Wir können versuchen, beim Eisstock-Schießen mitzumachen. Oder wir laufen Schlittschuh. Oder...“
„Oder wir gehen zu dir und machen es uns gemütlich.“ Andrea schmiegte sich an ihn. „Wo wohnst du eigentlich?“
Er zögerte, dann erwiderte er: „Bei Freunden. Die haben hier ein Haus, da darf ich in der Einliegerwohnung hausen.“
„Toll.“ Andrea schmiegte sich an ihn. „Wir gehen erst mal ein bisschen spazieren, schauen, ob’s was wird mit dem Eisstock-Schießen, und dann hätte ich gegen einen Glühwein bei dir daheim nichts einzuwenden.“
„Gute Idee.“ Er lachte, dann gingen sie eng umschlungen in Richtung See. Der Schneefall hatte zum Glück nachgelassen, die Eisfläche wurde gerade neu präpariert.
„Schau nur... Liz Hurley“, flüsterte Andrea.
„Ja, und dort drüben sind Roger Moore und seine Frau. Aber das ist ja hier nichts Besonderes. Komm, wir machen dort drüben mit.“
Zwei Stunden vergnügten sie sich auf dem Eis, dann wurde es Andrea doch ein bisschen kühl und sie war froh, als sie zum Mittagessen in ein gemütliches Lokal einkehrten.
Das Wetter war schon wieder schön, die Sonne hatte sich durch die Wolken gearbeitet und ließ den Neuschnee glitzern, als lägen Millionen Diamanten auf der weißen Schneedecke.
„Es ist wirklich ein Wintermärchen“, sagte Andrea und schaute hinaus. „Was tun wir nachher? Ich würde gern irgendwo spazieren gehen, wo es ein bisschen ruhiger ist.“
„Da hab ich eine wunderbare Idee. Magst du Pferde?“
Sie nickte. „Natürlich. Aber ich kann nicht reiten.“
„Musst du auch nicht. Wir fahren mit dem Bus nach Pontresina, und von dort geht’s mit dem Pferdefuhrwerk ins Rosegtal. Das ist eine ganz romantische Gegend, man hat einen herrlichen Blick auf die Berge, und weil dort kein Auto fahren darf, gibt’s sehr viele Wildtiere. Wenn man Glück hat, sieht man sogar ein Murmeltier.“
Andrea strahlte. „Das ist eine herrliche Idee! Aber meinst du nicht, dass es zu spät wird?“
„Noch ist Zeit, wenn wir gleich aufbrechen, schaffen wir es locker.“
Doch ganz so einfach, wie er geglaubt hatte, war die Fahrt dann doch nicht. Der viele Schnee hatte die Strecke schwer passierbar gemacht, die beiden Pferde, robuste Kaltblüter, mussten schon kräftig ziehen.
Doch auf halber Strecke kam ihnen ein Schlitten mit einer vergnügten Gesellschaft entgegen, und dieser Kutscher versicherte, dass der Weg frei sei.
„Der Wirt hat sogar Rehrücken auf der Karte“, sagte er. „Der ist unbedingt zu empfehlen.“
Seine Gäste, die Andrea bekannt vorkamen, nickten, und einer von ihnen erklärte begeistert: „Das müsst ihr probieren. Und dazu einen Selbstgebrannten – ausgezeichnet.“ Er sprach mit leichtem Dialekt, und als Andrea ein wenig überlegte, fiel ihr auch ein, wem sie da gerade begegnet waren: Einem Mitglied des holländischen Königshauses!
Sie wollte sich umdrehen, wollte noch einen weiteren Blick auf die beiden Paare erhaschen, doch der Schlitten war schon weitergefahren.
Andrea schmiegte sich fester in Stefans Arm und zog die warme Decke ein bisschen höher. Sie selbst hatte zwar keinen Nerzmantel an, denn sie war eine entschiedene Gegnerin von Pelzmode, doch der schwarze Nerz, den eine der jungen Frauen getragen hatte, hielt bestimmt ein bisschen wärmer als ihre Jacke.
Dafür aber hatte sie einen wundervollen Mann an ihrer Seite. Der zog sie gerade noch ein bisschen fester an sich und gab ihr einen zärtlichen Kuss.
Der Kutscher, ein älterer Mann mit Schnauzbart, drehte sich um, denn er wollte seine Gäste auf ein Rudel Rehe aufmerksam machen, das auf einer weiten Schneefläche stand und äste, doch als er sah, wie selbstvergessen sich die jungen Leute küssten, lächelte er und ersparte sich diese Bemerkung.
Was waren schon ein paar Rehe gegen diesen Kuss!
Nach einer knappen halben Stunde öffnete sich das Tal, gab den Blick frei auf ein wundervolles Bergpanorama.
„Wie herrlich!“ Andrea war begeistert. „Das ist mit der schönste Fleck Erde, auf dem ich je gewesen bin“, flüsterte sie, und es klang beinahe andächtig.
Die jungen Leute nahmen sich auch nicht die Zeit, in der warmen Hütte zu essen, sondern sie spazierten, während die Pferde ausruhten, ein bisschen weiter ins Tal hinein, das sich immer mehr verengte. Nur noch mit Langlaufskiern kam man hier weiter.
„Da drüben sind ein paar Leute, siehst du!“ Andrea wies nach rechts, wo man ein paar Menschen auf der Loipe sah.
„Ja, und da... schau nur, einer will links auf den Berg. Das ist doch Wahnsinn!“ Andreas beschattete die Augen mit der Hand, doch er war machtlos, sie waren viel zu weit entfernt, als dass er den leichtsinnigen Kletterer von seinem Vorhaben hätte abhalten können.
Als nichts geschah, gingen sie noch ein bisschen weiter – bis sie auf einmal leichtes Donnern hörten. Es war, als würde irgendwo im Berg etwas Kochen.
„Was ist das?“, fragte Andrea, und Angst erfasste sie. Nie zuvor hatte sie solche Geräusche gehört.
Stefan zögerte mit der Antwort, doch dann wurde das Geräusch lauter, man hörte auf einmal Schreie. „Da muss eine Lawine abgegangen sein“, stieß er hervor.
„Um Himmels willen, und jetzt?“
„Wir kehren um und alarmieren den Hüttenwirt. Der muss Hilfe holen. Es nützt gar nichts, wenn wir jetzt weiter ins Tal hinein laufen. Wir haben kein Gerät, können gar nichts tun.“
Damit hatte er recht, und so blieb ihnen nur, die Bergwacht um Hilfe zu rufen.
Wie sich herausstellte, hatte der leichtsinnige Kletterer tatsächlich eine kleine Lawine ausgelöst. Er war von ihr mitgerissen worden, hatte aber Glück im Unglück gehabt, denn dank der raschen Hilfe konnte ein Spürhund ihn schon bald ausmachen. Der etwa Vierzigjährige war unterkühlt, doch unverletzt.
Andrea und Stefan warteten, bis sie wussten, was mit den Skiläufern passiert war. Als der Verunglückte jetzt von den Rettungskräften zur Hütte gebracht wurde, fragte Stefan: „Habt ihr ihn untersucht? Ist er verletzt? Ich bin Medizinstudent – zwar noch nicht ganz fertig, aber...“
„Schau ihn dir an“, meinte ein Mann der Bergwacht. „Gebrochen ist nix, das steht fest.“
Der Verunglückte wurde in die Hütte gebracht, und Stefan kümmerte sich um ihn, so gut er es vermochte. „Das war Glück im Unglück“, meinte er, „Sie haben wirklich keine Verletzungen davongetragen. Und der Schock wird bald abklingen.“
„Ich brauch einen doppelten Schnaps, dann geht’s schon wieder“, meinte der Mann. Er hatte nur ein paar Schrammen davongetragen und zwei geprellte Rippen.
„Den trinken wir zusammen“, lächelte Stefan, und alle tranken wenig später auf die gelungene Rettungsaktion.
Es wurde schon dämmrig, und der Kutscher drängte darauf, zurückzufahren. Der Verunglückte und seine Frau fuhren in der Kutsche mit, die anderen beeilten sich, noch vor Einbruch der Dämmerung wieder am Talausgang zu sein.
„Das war ein richtiges Abenteuer“, sagte Andrea, als sie wieder in St. Moritz eintrafen. „Das werde ich nie vergessen.“
„Ich wüsste noch was, was unvergesslich sein könnte“, sagte Stefan und zog sie an sich. „Ich wünsch mir jedenfalls, dass du es nie im Leben vergisst – die erste Nacht mit mir.“ Fragend sah er sie an, und in ihren Augen las er, dass auch Andrea sich nichts anderes wünschte.
Blinzelnd öffnete Andrea die Augen. In der ersten Sekunde war sie noch ein wenig desorientiert, doch als den Mann neben sich sah, wusste sie gleich wieder, wo sie sich befand – und was passiert war: Sie hatte die Nacht mit Stefan verbracht! Und es war eine traumhaft schöne Liebesnacht gewesen!
„Guten Morgen!“ Schon beugte er sich über sie und hauchte einen zärtlichen Kuss auf ihre Lippen. „Wie geht’s dir?“
„Bestens.“ Sie schmiegte sich an ihn. „Nur – ich hab Hunger!“
Sein dunkles Lachen verursachte schon wieder Gänsehaut. „Das hat man gern! Aber du sollst das beste Frühstück der Welt haben. Sekunde, Prinzessin!“
„Unsinn, ich komme mit!“
„Nichts da – du lässt dich heute von mir verwöhnen!“ Und schon war er verschwunden, Andrea hatte Zeit, sich ein wenig in der spartanisch eingerichteten Einliegerwohnung des Chalets umzusehen. Gestern Abend war dazu keine Gelegenheit mehr gewesen, Stefan und sie waren nur noch mit sich und ihrer Liebe beschäftigt gewesen...
Helle Kiefernmöbel, ein Berberteppich auf der Erde, eine kleine Diele mit Wandschränken, ein Tisch, drei Sessel, ein Bett... Viel war es nicht, was hier stand, und es wirkte auch irgendwie kalt, gar nicht so, als würde hier jemand wohnen.
Doch bevor sie noch länger darüber nachdenken konnte, kehrte Stefan mit einem großen Tablett zurück. Darauf befand sich alles, was man zu einem opulenten Frühstück im Bett benötigte. Nicht mal eine Sektflasche hatte er vergessen!
„So möchte ich jeden Tag beginnen!“ Andrea lachte und streckte die Arme aus. „Aber erst bekomme ich noch einen Kuss.“
„Sofort zu Ihren Diensten, Madame!“ Der junge Mann lachte und war in der nächsten Sekunde über ihr. Es begann mit einem Kuss, doch dann dauerte es noch eine geraume Weile, bis sie zum Frühstücken kamen.
Draußen hatte sich die Sonne wieder durchgesetzt, die Berghänge glitzerten, als seien sie mit unzähligen Diamanten bestäubt.
„Wir sollten einen Ausflug machen“, meinte Stefan. „Heute ist Samstag, ich muss nicht arbeiten – und wir können den ganzen Tag zusammen sein. Warst du schon mal im legendären Waldhaus in Sils Maria?“
Andrea schüttelte den Kopf. „Leider noch nie. Meine Eltern haben da mal Urlaub gemacht, aber seit Mamas Tod will mein Vater nicht mehr dorthin. Und allein macht es mir auch keinen Spaß. Es erinnert schon von außen ein bisschen an ein Sanatorium.“
Der junge Mann lachte. „So ganz unrecht hast du mit der Einschätzung nicht. Man sagt nicht umsonst, dass Thomas Mann sich bei einem seiner Aufenthalte in St. Moritz in diesem Hotel zu seinem Roman „Zauberberg“ hat inspirieren lassen.“
„Das hab ich auch mal gelesen“, stimmte Andrea zu. „Überhaupt ist das Engadin vor einigen Jahrzehnten ein sehr beliebter Aufenthalt der Literaten gewesen.“
„Na ja, auch die wussten, wo’s schön ist auf dieser Welt.“ Stefan hob das Tablett, von dem sie sich reichlich bedient hatten, hoch und trug es in die kleine Küche.
„Ich helfe noch aufräumen“, bot Andrea an, stand auf und kam in die kleine Küche, die diesen Begriff gar nicht verdiente, denn es war nur eine schmale Zeile, und alles sah irgendwie unbenutzt aus.
„Das ist alles noch neu“, sagte Stefan rasch. „Frisch eingebaut. Darum bediene ich mich oben, aus der großen Küche.“
„Alle Achtung, dein Freund ist großzügig“, lachte Andrea.
„So kann man sagen. Aber jetzt komm, wie wollen den Tag im Freien genießen.“
Eng umschlungen verließen sie wenig später das Chalet und fuhren mit dem Bus nach Sils Maria, das sich noch viel von seinem ursprünglichen Charme erhalten hatte. Wer Ruhe suchte, wer ein wenig abseits vom Promi-Ort St. Moritz Urlaub machen wollte, kam hierher.
Das berühmte Waldhaus lag auf einer kleinen Anhöhe, es schien sich über den gesamten Ort zu erheben – so, als wüsste es um die Bedeutsamkeit seiner Gäste und der eigenen langen Geschichte. Und wirklich war es ja so, dass hier schon viele weltberühmte Menschen gewohnt hatten.
„Thomas Mann wusste, wo’s schön war“, kommentierte Stefan denn auch trocken, als sie den Weg hochgegangen waren.
„Richard Strauss und Hermann Hesse auch“, fügte Andrea hinzu, und als ihr Begleiter sie überrascht ansah, lachte sie und erklärte: „Du vergisst, dass ich nicht zum ersten Mal in der Gegend bin. Nur das Waldhaus hab ich nie von innen gesehen.“
Nun, das ließ sich nachholen. Sie schauten sich alles an, tranken einen Kaffee, dann legte Andrea ihre Hand auf Stefans Arm und flüsterte: „Da drüben sitzt Rod Steward. Das ist zwar toll, aber ich würde lieber mit dir allein sein.“
„Rod Steward? Ja, das kann sein. Der gibt morgen ein Konzert, glaube ich. Irgendein Benefizkonzert zur Adventszeit. Es kommen auch noch ein paar andere Stars. Ich glaube, klassische Musik wird mit Pop gemischt, so dass für jeden was dabei ist.“
Andreas Augen begannen zu glänzen. „Das wäre was!“
Doch Stefan schüttelte den Kopf. „Vergiss es, die Karten sind seit langem weg.“
„Und wenn ich ihn frage?“ Schon stand sie auf und machte zwei Schritte auf den Sänger zu, der in einer Ecke der Bar saß und einen Saft trank.
Stefan wollte sie zurückhalten, aber Andrea ging lächelnd auf die Poplegende zu, sie ignorierte die beiden Männer, die ein wenig abseits saßen und schon aufstanden, um den Star zu schützen. Lächelnd sagte sie zwei Sätze zu Rod Steward, der erwiderte etwas, das Stefan auch nicht hören konnte – und drei Minuten später kehrte Andrea strahlend zu ihm zurück.
„Wir dürfen Backstage kommen. Was sagst du jetzt? Hier ich hab einen Zettel von ihm persönlich.“
„Dass du ein kleines Genie bist und ich dich schrecklich liebe.“
„Nur wegen der Möglichkeit, ein paar berühmten Sängern nahe zu sein?“
„Nein, wegen etwas anderem. Komm mit raus, ich zeig’s dir.“ Und schon zog er sie nach draußen, in die klirrende Kälte, die sie jedoch kaum wahrnahmen. Denn kaum waren sie unbeobachtet, wurde Andrea lange und heiß geküsst.
Ein durchdringendes leises Klingeln riss sie jedoch bald aus ihrer Versunkenheit.
„Ein Handy in dieser Idylle!“ Stefan schüttelte den Kopf.
„Du hast deins doch auch dabei“, konterte Andrea und meldete sich im nächsten Moment. Ihre eben noch strahlenden Augen wurden ernst, ihre Miene undurchdringlich. Sie hörte eine Weile zu, dann sagte sie: „Du willst wohl nicht verstehen, Paps, nicht wahr? Schlag dir diesen Wunsch ein für allemal aus dem Kopf. Ich werde diesen Typen nicht heiraten – und wenn er der letzte Mann auf der Welt wäre!“
„Dann enterbe ich dich!“, kam es so laut aus dem Apparat, dass sogar Stefan es hören konnte.
„Meinetwegen. Ich hab dir doch schon mal gesagt, dass du mir damit nicht drohen kannst. Also, wenn das alles ist, was du von mir wolltest – adieu.“ Sie wartete noch einen Moment, doch ein Piepton sagte an, dass am anderen Ende aufgelegt worden war.
„Wen sollst du heiraten?“, fragte Stefan stirnrunzelnd.
„Einen entsetzlichen Typen. Einen Niemand. Vergiss ihn, er ist einfach unwichtig.“ Sie lachte schon wieder. „Ich wusste immer, dass ich diesen Mann nicht liebe, doch seit ich dir begegnet bin, weiß ich...“
Sie biss sich auf die Lippen. Nein, sie wollte nicht von einer gemeinsamen Zukunft sprechen, dafür waren Stefan und sie zu unterschiedlich. Doch in der nächsten Sekunde sagte sie sich, dass es höchst antiquiert und albern war, an Standesunterschiede zu denken. Sie liebte Stefan, er liebte sie – warum also sollten sie nicht für immer zusammen bleiben?
„Ich liebe dich“, sagte sie und schmiegte sich an ihn.
„Ich liebe dich auch.“ Er zog sie noch ein wenig fester an sich, und so spazierten sie von einem der vielen kleinen Seen, die es hier gab, zum nächsten.
Als es dunkel wurde, fuhren sie nach St. Moritz zurück und gingen in die Hotelbar des ‚Badrutt’s Palace’. Kaum hatten sie ihre Drinks vor sich stehen, kam Daisy Jeffersen auf sie zu. Sie strahlte und wirkte wieder einmal wie aus einem Juwelierladen gestiegen. Schwarzer Pulli mit silbrig glänzenden Pailletten, eine Weste aus silberfarbener Seide, lange Silberohrringe an den Ohren.
Und dennoch war sie sympathisch, die ein wenig exaltierte Amerikanerin. Jetzt fiel sie Andrea spontan um den Hals und erklärte: „Ich werde heiraten. So schnell wie möglich. Willst du meine Zeugin sein?“
„Du meinst – Trauzeugin“, sagte Andrea, dann räusperte sie sich und meinte: „Aber so schnell geht das doch gar nicht, Daisy. Und außerdem – wen willst du heiraten?“
„Na, Sven natürlich! Er ist so süß. Und ich liebe ihn wie noch keinen Mann zuvor.“
„Darüber reden wir noch ausführlich, ja?“ Andrea schüttelte insgeheim den Kopf. Daisy war liebenswert, aber auch vollkommen verrückt. Was mochte wohl Sven zu diesen Heiratsplänen sagen? Nun, sie würde es bald herausfinden, dachte sie, dann ließ sie sich nur zu gern von der guten Stimmung, die in der Bar herrschte, ablenken.
Zur gleichen Zeit kam es daheim in Deutschland zwischen Frederik Murau und seinem Vater zu einem lautstarken Disput.
„Du weißt wohl nicht, was du aufs Spiel setzt mit deinem Leichtsinn“, tobte der alte Murau und schlug mit der Faust auf den Schreibtisch, dass das Telefon zu tanzen begann. „Dieser Deal mit den Russen... damit ruinierst du uns!“
„Aber es waren beste Konditionen!“, versuchte sich Frederik zu verteidigen. „Und ich weiß, dass der alte Sartorius auch mit den Russen verhandelt hat. Ich wollte ihm einfach zuvorkommen.“
„Der alte Sartorius wird sich den Unsinn kurz angehört und diese Hasardeure dann rausgeschmissen haben“, knirschte Jonathan Murau. „Du aber, der du nicht mal eine Woche hintereinander in der Firma bist, der vom Tagesgeschäft keine Ahnung hat und erst recht nicht von der wirtschaftlichen Entwicklung weltweit, du machst hinter meinem Rücken Geschäfte!“ Er ließ sich im Schreibtischsessel zurücksinken und wischte sich den Schweiß von der Stirn.
Sein Herz raste und er musste an die Warnungen seines Arztes hören, sich nicht so aufzuregen. Kürzer zu treten und den Alltagsstress den Jüngeren zu überlassen. So ein Schwachsinn! Wenn der Doktor wüsste, welch unfähigen Nachfolger er hatte, würde er solch ein Ansinnen gar nicht erst stellen.
„Ich hab versucht, den Vertrag zu annullieren, schließlich steht meine Unterschrift nicht mit drauf. Aber – du warst ja ganz clever, hast alles so formuliert, dass wir machtlos sind. Jetzt stehen wir kurz vor der Pleite und es gibt nur noch einen Weg: Du musst endlich die kleine Sartorius für dich gewinnen!“
„Mach mir das mal vor“, zischte Frederik. „Sie will mich einfach nicht, da kann ich machen, was ich will.“
„Wo ist sie jetzt?“
„In St. Moritz, das hab ich dir doch schon gesagt.“
„Dann beweg dich dorthin. Hättest du schon vor drei Tagen tun sollen, dann wäre uns das Desaster mit den Russen erspart geblieben.“
„Aber... was soll ich im Schnee? Ich kann nicht gescheit Ski laufen, hab schon einen Trip auf die Bahamas...“
„Hau ab, ehe ich mich vergesse“, brüllte sein Vater da los. „Und ich rate dir gut, dich in den Schnee zu begeben!“
Was blieb Frederik anderes übrig, als zu gehorchen? Er wusste selbst nur zu gut, dass er einen katastrophalen Fehler gemacht hatte, als er dieses angeblich so gewinnträchtige Geschäft mit den Russen eingefädelt hatte. Aber Simone, seine neueste Flamme, hatte ihn in seinem Vorhaben bestärkt.
„Wir müssen uns endlich von deinem Vater unabhängig machen“, hatte sie ihm immer wieder erklärt. „Du hast doch Einsicht in alles, riskier mal einen Alleingang – es wird schon klappen. Und dann geht’s auf große Reise! Ich weiß auch schon, wie ich dich in der Karibik verwöhnen werde...“ Dabei hatte sie ihm ein Lächeln geschenkt, das Frederik unter die Haut gegangen war.
Simone war eine Tigerin. Sie beherrschte seit Wochen sein ganzes Denken, und er durfte sich gar nicht vorstellen, wie sie reagieren würde, wenn sie von Andrea erfuhr.
Aber jetzt stand ihm das Wasser bis zum Hals, und so packte er zähneknirschend – und vor allem heimlich seine Koffer.
So kam es, dass Frederik Murau genau in der Stunde im Palace-Hotel eincheckte, in der Andrea und Stefan den großen Konzertsaal betraten, wo außer Rod Steward noch drei bekannte Bands, zwei Startenöre und eine bekannte österreichische Sopranistin auftreten sollten.
Der Saal war verschwenderisch geschmückt, überall duftete es leicht nach Tannengrün, die Bühne war eine weihnachtliche Märchenlandschaft, und die Bühnenrampe war prachtvoll mit weißen und roten Weihnachtssternen dekoriert.
„Wunderschön. Romantisch, aber nicht kitschig“, kommentierte Andrea leise, als sie mit Stefan den Saal durchquerte und sich verstohlen umschaute, wer bereits alles auf seinen Plätzen saß. Gleich in der ersten Reihe entdeckte sie drei bekannte Filmschauspielerinnen, daneben saß ein berühmter Eislauf-Star.
„Sieh nur, dort!“ Aufgeregt schaute sie zu einer Loge, wo, ein wenig zurückgelehnt, damit er nicht so schnell bemerkt wurde, der Kronprinz eines regierenden Königshauses mit seiner jungen Frau saß. In ihrer Gesellschaft befand sich eine ältere Dame, die nicht nur einen alten Adelsnamen trug, sondern sich auch durch ihr soziales Engagement einen Namen gemacht hatte.
„St. Moritz – Top of the World“, zitierte Stefan Degenhardt ein wenig spöttisch. „Hier sieht man’s mal wieder.“
„Aber es ist ja für einen guten Zweck“, gab Andrea leise zurück, und dann hatten sie die Bühne auch schon erreicht und kamen, nachdem sie ein paar Mal den Zettel hatten vorzeigen müssen, den Rod Steward persönlich geschrieben hatte, zu einer schmalen Nische, in der sie sich aufhalten konnten, ohne zu stören.
Sie bekamen hier zwar nicht allzu viel vom Geschehen auf der Bühne mit, doch allen Stars begegneten sie hautnah, und die festliche Atmosphäre, die im Konzertsaal herrschte, teilte sich ihnen auch hier mit.
Es war ein wundervoller Abend, den sie in vollen Zügen genossen.
Als sie kurz vor Mitternacht wieder ins Freie traten, begann es leicht zu schneien – ein Umstand, der die Weihnachtsstimmung, in die sie versetzt worden waren, noch verstärkte.
„Es war ein wundervolles Erlebnis“, sagte Andrea und schmiegte sich in Stefans Arme.
„Da kann ich nur zustimmen. Sollen wir noch mit Daisy und Sven in die Bar gehen? Sven hat mir gesagt, dass er sich wirklich verliebt hat. Daisy sei zwar ein kleines bisschen verrückt, aber der liebenswerteste Mensch, den er je getroffen hätte. Sie wollen wirklich zusammenbleiben.“
„Ich beneide sie“, gab Andrea leise zurück.
„Warum? Wir sind doch auch unendlich glücklich, oder nicht?“ Er blieb stehen und zog sie fest an sich. Seine Hände streichelten ihre kalten Wangen, dann küsste er ein paar vorwitzige Schneeflocken, die sich auf ihren Augenwimpern niedergelassen hatten, fort. „Ich liebe dich“, flüsterte er dabei, „und ich weiß, dass uns die Zukunft gehört.“
„Darauf sollten auch wir trinken“, lächelte Andrea. „Und dann bleibst du heute mal bei mir, ja?“
„Aber im Hotel...“
„Ach was“, fiel sie ihm ins Wort, „niemand muss was merken. Und wenn doch – es gehört in einem guten Hotel dazu, dass man nichts sieht, nichts weiß, nichts redet.“
„Eine wunderbare Theorie“, lachte Stefan, doch dann sagte er sich, dass er ja wirklich nichts zu verlieren hatte. Und schon bald musste er Andrea auch eingestehen, dass er keineswegs der arme Student war, für den sie ihn immer noch hielt.
Daisy schwebte auf einer Wolke des Glücks. Sie hatte schon Champagner geordert, als Andrea und Stefan eintrafen und strahlte mit den Kerzen, die ein sanftes Licht verbreiteten, um die Wette.
„Ich gratuliere euch von Herzen“, sagte Andrea und umarmte die Amerikanerin, die diesmal einen schwarzen Samtanzug trug, an dem nur eine auffällige Brillantnadel glitzerte. „Ihr passt gut zusammen – trotz allem.“
„Gerade weil Sven so anders ist als ich, liebe ich ihn. Er tut mir gut. Und er schenkt mir Ruhe und Sicherheit.“ Daisy wurde auf einmal ganz ernst. „Ich hätte nie gedacht, dass ich einmal einem solchen Mann begegnen würde.“
„Du kannst dich glücklich schätzen“, gab Andrea leise zurück, dann spürte sie Stefans Hand auf ihrer Schulter, und auch sie war rundum glücklich.
„Na, das nenne ich eine Überraschung!“ Aus einer Nische trat ein Mann und kam mit süffisantem Lächeln auf das Paar zu. „Meine Zukünftige in den Armen eines anderen, was sagt man dazu?“
Andrea glaubte, eine Halluzination zu erleben. Stefan erstarrte, seine Hand glitt von ihrer Schulter, und er sah den Fremden aus schmalen Augen an.
„Frederik“, stieß Andrea hervor, „was, um Himmels willen, willst du hier?“
Der junge Fabrikant lächelte süffisant. „Was wohl? Dich fragen, wann wir endlich heiraten können!“
Die Musik spielte weiter im Hintergrund. Der Champagner perlte in den Gläsern. Daisy und Sven saßen ihr gegenüber, Stefan stand neben ihr – und doch hatte Andrea auf einmal das Gefühl, eine sehr schlechte Inszenierung eines Theaterstückes zu erleben.
„Was hast du gerade gesagt?“ Sie beugte sich ein bisschen vor und maß Frederik Murau, der so überraschend in der Hotelbar in St. Moritz aufgetaucht war, mit einem ungläubigen Blick.
„Nun tu doch nicht so, Andrea.“ Der Mann gab sich lässig, und nur er selbst wusste, wie schwer es ihm fiel, den Ruhigen und Abgeklärten zu spielen. „Wir sind schon seit Jahren versprochen. Dein Vater und mein alter Herr träumen von nichts anderem. Und... ich liebe dich sehr. Also komm heim. Wir können Weihnachten...“
„Halt den Mund, Frederik.“ Andreas Stimme klang hohl. „Wenn dir ein kleines bisschen an mir liegt, dann sei still und lass mich allein.“
„Aber Prinzessin!“ Er tat verwundert. „Wieso soll ich mich zurückziehen? Soll ich eventuell diesem Typen da das Feld überlassen?“ Er wies mit der Kinnspitze auf Stefan, der sich endlich wieder gefangen hatte und wie beschützend den Arm um Andrea legte.
„Haben Sie nicht gehört, was Andrea gesagt hat?“ Seine Stimme klang scharf. „Ich könnte mich dazu hinreißen lassen, ein bisschen nachzuhelfen, wenn Sie nicht gehen wollen.“
„Und ich helfe dir gern.“ Sven, der den groß gewachsenen Stefan noch überragte, stellte sich neben den Freund.
„Also gut – ich gehe. Aber ich warte in meiner Hotel-Suite auf dich, Prinzessin. Drüben im Chalet Elisabeth. Denk dran, dass dein Vater nicht ganz gesund ist. Und es ist bestimmt sein letzter großer Wunsch, uns als Paar zu sehen. Und ich... ich wünsche mir nicht mehr als deine Liebe.“ Es klang viel zu pathetisch, um glaubhaft zu wirken, doch das merkte Frederik als einziger nicht.
Er konnte nur eins denken: Er durfte nicht scheitern! Er musste Andrea unter allen Umständen für sich gewinnen – koste es, was es wolle!
„Raus“, fauchte Stefan und trat einen weiteren Schritt auf ihn zu.
Abwehrend hob Frederik die Hände und verzog sich. Der Auftritt war nicht ganz misslungen. Er hatte das Erschrecken in Andreas Augen gelesen, aber auch die Abwehr. Wenn sie nicht freiwillig seine Braut wurde, musste er sich etwas einfallen lassen. Er grinste hämisch. Im Intrigen-Spinnen war er recht gut, das hatte er schon mehrfach unter Beweis gestellt. Und noch nie war man ihm auf die Schliche gekommen!
Mist! Zu dumm aber auch, dass er zu solchen Tricks greifen musste. Aber das Wasser stand ihm bis zum Hals, da durfte man nicht zimperlich sein!
Er fluchte unterdrückt vor sich hin, als er in ein kleineres Hotel am Ortsrand ging, wo er noch ein Zimmer bekommen hatte. Im Palace war nichts mehr frei gewesen – im Grunde in Glück für seinen arg strapazierten Geldbeutel.
Es war kalt, eisiger Wind pfiff und Frederik verfluchte seinen Vater und die finanziellen Engpässe der Firma, er verfluchte aber auch Andrea, die sich störrischer anstellte als ein Maultier.
„Dir werde ich schon noch zeigen, wo’s langgeht“, murmelte er, dann beschloss er, seinen Frust mit mehreren Drinks zu kompensieren.
Andrea und ihre Freunde brauchten auch eine Weile, bis sie den Schock, den der üble Auftritt hervorgerufen hatte, abgeklungen war.
„Wer war das?“, fragte Stefan. „Doch wohl nicht wirklich dein Verlobter?“
Die junge Frau schüttelte den Kopf. „Eigentlich müsste ich jetzt beleidigt sein, weil du mir zutraust, mich in einen solchen Typen zu verlieben. Das ist Frederik Murau – und mein Vater will ihn unbedingt zum Schwiegersohn.“
„Schade. Ob er sich wohl noch umstimmen lässt?“ Stefan zog Andrea an sich. „Weißt du, ich bin zwar nur ein Skilehrer, aber... ich könnte zudem ein fast abgeschlossenes Medizinstudium vorweisen und...“
„... arme Eltern.“ Andrea seufzte. „Es fällt mir nicht leicht, das einzugestehen, aber mein Vater hat manchmal Ansichten, die noch aus dem vorigen Jahrhundert stammen. Er meint, dass Geld zu Geld kommen müsste. Und die Firma Murau würde sehr gut mit unserer fusionieren.“
„Kluger Mann, dein Herr Papa.“ Stefan lachte, dann küsste er Andrea übermütig. „Lass dir jetzt keine grauen Haare wachsen. Wir trinken jetzt auf Daisy und Sven – und auf uns. Spätestens in einem Jahr sind auch wir verlobt. Ich versprech’s!“
„Dummkopf, lieber.“ Andrea schmiegte sich an ihn. „Mach lieber mal deinen Abschluss, dann sehen wir weiter.“
„Und bis dahin?“ Er grinste übermütig.
„Bis dahin liebe ich dich auch ohne Ring am Finger. Mehr als jeden anderen Mann auf der Welt.“
Nach diesem Geständnis musste er sie erst einmal ausgiebig küssen. Zum Glück waren auch Daisy und Sven mit sich beschäftigt. Doch dann wurde es noch eine lange Nacht, in der sie immer wieder auf die wahre Liebe – und eine glückliche Zukunft tranken.
Am nächsten Morgen verschliefen sie, doch das war nicht tragisch, denn der Skikurs begann erst mittags – so hatten die wenigen Kursteilnehmer einstimmig an der Bar beschlossen.
Andrea erwachte davon, dass Stefan sie zärtlich küsste. „Wach werden, Schlafmütze“, sagte er und lachte zärtlich auf sie herunter. „Ich hab uns das Frühstück ins Zimmer bestellt.“
„Wunderbar!“ Sie reckte sich kurz, dann sprang sie mit einem Satz aus dem Bett. „So müsste jeder Tag beginnen“, murmelte sie sehnsüchtig, ehe sie sich in Stefans Arme schmiegte.
„Schau mal raus“, sagte er und führte sie zum hohen Fenster, das den Blick auf die Berge frei ließ.
In der Nacht war ein wenig Neuschnee gefallen, und fleißige Helfer hatten ein Dutzend prächtiger Blautannen auf dem Vorplatz des Hotels aufgestellt, die mit Goldbändern und Lichterketten geschmückt waren.
„Jetzt komme ich wirklich schon in Weihnachtsstimmung“, sagte Andrea. Sie drehte sich in Stefans Armen um und sah ihn fragend an. „Was meinst du – können wir zusammen feiern oder fährst du nach Hause über die Feiertage?“
„Eigentlich wollte ich heimfahren, aber da kannte ich dich noch nicht. Jetzt sieht alles anders aus.“ Er küsste sie verliebt in den Nacken. „Du hast mein ganzes Leben auf den Kopf gestellt.“
„Du meins ja auch.“ Sie lachte. „Und daraus resultiert, dass sich einige Leute ganz schön umschauen werden.“
„Du meinst deinen Möchtegern-Verlobten?“
„Ach, Frederik....“ Sie winkte ab. „Er sieht sich selbst als Playboy, als einen Mann, dem die Frauen schon deshalb zu Füßen liegen müssen, weil eine Firma hinter ihm steht. Dabei beeindruckt mich das ganz und gar nicht. Ich brauche kein Geld, um glücklich zu sein.“
„Aber es macht das Leben leichter – und angenehmer“, schmunzelte Stefan.
„Stimmt. Aber schau nur: Die Sonne lacht für alle, der Schnee ist traumhaft schön und erfreut arm und reich gleichzeitig... was will man mehr?“
„Ich möchte jetzt frühstücken und dann raus auf die Skier“, lachte der junge Mann.
Wenig später standen sie schon am Lift, der sie auf den Corviglia bringen sollte. Von hier aus gab es herrliche Abfahrten, und sie verbannten alle Probleme, genossen den herrlichen Sonnentag auf dem Berg.
Zwischendurch machten sie eine kleine Rast, stärkten sich mit einer heißen Suppe und einem kleinen Glas Rotwein. Dann ging’s auch schon wieder auf die Piste, und sie beendeten ihr Schneevergnügen erst, als die Sonne rotgolden hinter den Bergriesen versank.
Als sie ins Hotel zurückkehrten, saß zu Andreas Überraschung ihre Freundin Moni an der Bar.
„Treulose Tomate“, schimpfte sie, aber ihre lachende Miene strafte ihre Worte Lügen. „Wie geht’s dir?“
„Mir geht es einfach wunderbar.“ Andrea legte den Arm um Stefans Taille. „Ich hab den Mann meines Lebens kennen gelernt.“ Rasch stellte sie die beiden einander vor.
„Ich freu mich für Andrea“, sagte Moni. „Eben hab ich nämlich diesen Frederik Murau kennen gelernt – und ich muss sagen, dass ich dir die Freundschaft gekündigt hätte, wenn du ihn wirklich hättest heiraten wollen.“
„Frederik war hier?“
„Ja, er hat sogar behauptet, dich dringend sprechen zu müssen. Es wäre was mit deinem Vater.“
„Paps...“ Die junge Frau zuckte zusammen, ihr Gesicht nahm einen sorgenvollen Ausdruck an.
Doch die Freundin winkte ab. „Das war einfach eine Lüge. Er wollte dich weich kochen, indem er behauptete, dein Vater hätte eine Herzattacke erlitten. Blöd von dem Kerl. Schließlich leben wir im 21. Jahrhundert. Ich hab sofort bei eurer Haushälterin angerufen. Alles ist bestens, dein Vater ist gerade auf einer Versammlung des Golfclubs.“
„Frederik, diese Mistfliege“, schimpfte Andrea. „Ich werde ihm meine Meinung sagen und ihn dann zum Teufel schicken.“
„Ihm steht das Wasser bis zum Hals“, konnte Moni erzählen. „Ich hab von eurer Haushälterin erfahren, dass der junge Murau sich verspekuliert hat und die Firma nur durch einen Zusammenschluss mit der euren gerettet werden kann.“
„Daher also auf einmal diese übergroße Liebe!“ Andrea schüttelte den Kopf. „Für wie dumm und naiv hält er mich eigentlich?“
„Vielleicht liebt er dich sogar wirklich? Ich kann’s verstehen.“ Stefan legte ihr zärtlich den Arm um die Schultern. Dann wandte er sich an Moni. „Du willst sicher für ein Stündchen mit Andrea allein sein. Ich muss noch was erledigen. Sehen wir uns später?“
„Aber ja.“ Andrea wandte sich der Freundin zu. „Wir essen jetzt erst mal zusammen, dann machen wir Pläne für morgen, ja?“
Moni nickte. „Ich hab heute Abend und morgen frei und wollte dich fragen, ob du mit mir ins Fextal kommst. Dort gibt es wundervoll gespurte Loipen, außerdem kann man mit der Kutsche dorthin fahren, wenn das Langlaufen zu anstrengend sein sollte.“
„Mir ist eine rasante Abfahrt lieber, ehrlich gesagt. Doch so eine Kutschfahrt ist herrlich romantisch. Ich hab vor ein paar Tagen eine mit Stefan gemacht.“
Dennoch beschlossen sie später am Abend, eine Kutschfahrt zu machen. Die Langlaufskier würden sie mitnehmen und im Fextal dann eine kleine Strecke laufen.
„Wenigstens bis zu dem Punkt, wo sich das Tal verengt und man einen ganz tollen Blick auf die Bernina-Gruppe hat“, meinte Moni, und so war dieser Tagesausflug beschlossene Sache.
Als Frederik Murau am nächsten Morgen im Hotel erschien, um Andrea zu sprechen, wurde ihm ein Schreiben ausgehändigt.
„Verschone mich bitte in Zukunft mit deiner Gegenwart – und erspare mir erst recht all deine Lügen und Intrigen. Ich weiß Bescheid und werde auch meinen Vater über deine Geschäftspraktiken und deine skrupellosen Handlungen informieren. Ich will dich nie wiedersehen. Andrea.“
Seine Hände zitterten, und vor Wut hätte er am liebsten eine der kostbaren Vasen, die in der Hotelhalle standen und in denen Kiefernzweige und langstielige weiße Weihnachtssterne standen, umgeworfen.
Mit Mühe beherrschte er sich. Es war traurige Gewissheit – er hatte verloren. Auf der ganzen Linie. Blieb nur, daheim zu retten, was noch zu retten war.
Andrea, Moni und Stefan verlebten unterdessen einen wunderschönen Tag. Gegen Mittag trafen auch Daisy und Sven in dem alten Gasthaus ein, das am Talende stand und wie eine letzte Bastion vor dem Ende der Welt wirkte. Noch ein paar Kilometer mit den Langlaufskier, dann war man wirklich dort angelangt, wo die Bergriesen begannen und man nicht weiter konnte.
Aber der Ausblick auf die imposanten Berge ringsum war beeindruckend, und die jungen Leute, sonst gern übermütig, wurden für eine Weile still und andächtig.
Sie beendeten den Ausflug, als es dämmrig wurde und gingen für anderthalb Stunden noch ins kleine Nietzschehaus, das in Sils Maria stand.
„Wisst ihr eigentlich, dass Nietzsche aller Wahrscheinlichkeit nach hier seinen ‚Saratustra‘ geschrieben hat?“, wollte Monika wissen.
„Hui, bist du gebildet“, lachte Andrea, doch dann versank auch sie voller Bewunderung in den Anblick der vielen kleinen Dinge, die Zeugnis vom Leben und Wirken des Dichters und Philosophen gaben.