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In Laura Jane Williamsʼ kuscheliger RomCom »Vier Wochen im Dezember« geraten Evie Bird und Duke Carlisle ausgerechnet am Filmset ihres Weihnachtsfilms aneinander. Eigentlich ist das romantisch verschneite Filmset in Bayern der perfekte Ort für ein erstes Treffen: Hier lernt Bestseller-Autorin Evie den Hollywood-Star Duke kennen, der die Hauptrolle in der Verfilmung ihres neuesten Liebesromans spielt. Leider sind sich Evie und Duke vom ersten Moment an nur in einer Sache wirklich einig: Sie können sich nicht leiden! Bald sorgen ihre ständigen Streitereien für negative Schlagzeilen. Um den Film zu retten, ringen Evie und Duke sich zu einem verwegenen Plan durch: Eine Fake-Beziehung für die Dauer der Dreharbeiten soll für gute Presse sorgen. Plötzlich dürfen die beiden nicht mehr bei jeder Gelegenheit zanken – und prompt wagen sich zarte Gefühle an die Oberfläche. Aber können in einem Schneesturm wirklich Funken fliegen? Wunderschöner humorvoller Liebesroman voller winterlicher Romantik für Fans von Tropes wie Fake Dating und Enemies to Lovers. Mit Evie und Duke hat die britische Bestseller-Autorin Laura Jane Williams wieder zwei herrlich widerspenstige Charaktere erschaffen. Ihre Dialoge sind ebenso herzerwärmend wie zum Tränenlachen witzig. Die perfekte romantische Komödie, um in Weihnachtsstimmung zu kommen! Entdecke auch die anderen RomComs von Laura Jane Williams: - Dein Lächeln um halb acht - Say yes – perfekter wird's nicht - Der schönste Zufall meines Lebens - Eine Nacht mit dir - The Mix-up – Tausche Koffer gegen Liebe (Kurzroman)
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Seitenzahl: 477
Laura Jane Williams
Roman
Aus dem Englischen von Nadine Lipp
Knaur eBooks
Ihr erstes Treffen steckt eigentlich voller Winterzauber: Evie Bird und Duke Carlisle lernen sich am romantisch verschneiten Filmset in Bayern kennen, wo ein Weihnachtsfilm nach Evies neuestem Liebesroman gedreht wird. Leider sind sich die Bestsellerautorin und ihr Hauptdarsteller vom ersten Moment an nur in einer Sache wirklich einig: Sie können sich nicht leiden! Bald sorgen ihre ständigen Streitereien für negative Schlagzeilen. Um den Film zu retten, ringen Evie und Duke sich für die Dauer der Dreharbeiten zu einer Fake-Beziehung durch. Plötzlich dürfen die beiden nicht mehr bei jeder Gelegenheit zanken – und prompt wagen sich zarte Gefühle an die Oberfläche. Aber können in einem Schneesturm wirklich Funken fliegen?
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Widmung
1. Kapitel
2. Kapitel
3. Kapitel
4. Kapitel
5. Kapitel
6. Kapitel
7. Kapitel
8. Kapitel
9. Kapitel
10. Kapitel
11. Kapitel
12. Kapitel
13. Kapitel
14. Kapitel
15. Kapitel
16. Kapitel
17. Kapitel
18. Kapitel
19. Kapitel
20. Kapitel
21. Kapitel
22. Kapitel
23. Kapitel
24. Kapitel
25. Kapitel
26. Kapitel
27. Kapitel
28. Kapitel
29. Kapitel
30. Kapitel
31. Kapitel
32. Kapitel
33. Kapitel
34. Kapitel
35. Kapitel
36. Kapitel
37. Kapitel
38. Kapitel
39. Kapitel
40. Kapitel
41. Kapitel
42. Kapitel
43. Kapitel
44. Kapitel
45. Kapitel
Dank
Dank an die Mitwirkenden in der Verlagsbranche
Für Molly Walker-Sharp
Danke, dass du so wundervoll mit einem Albtraum umgegangen bist
Evie
Ein Filmset ist ein ganz besonderer Ort.
Licht! Kamera! Action!
Ich bin bereit für mein Close-up, Mr DeMille.
Die Kameraleute bereiten ihre Ausrüstung vor und denken über die besten Aufnahmewinkel nach. Die Grip- und Elektro-Crew richtet die Beleuchtung, den Ton und das Video-Playback ein, verlegt Kabel und bereitet die Wagen vor. Haarstylisten und Maskenbildnerinnen machen sich an die Arbeit und tauschen dabei mit den Schauspielenden den neuesten Klatsch und Tratsch aus oder hören zu, während diese den Text wiederholen. Und dann sind da die Kulissen! Ein Gang über das Gelände ist wie ein Gang durch die Geschichte. Wen kümmert es schon, dass Hollywood ein Ort ist, an dem man tausend Dollar für einen Kuss und fünfzig Cent für die ganze Seele bekommt, wenn dort drüben auf Bühne 24Friends gedreht wurde und gleich um die Ecke Jurassic Park. Voller Bewunderung sieht man zu, wie die Regisseurin das Drehbuch durchgeht und gemeinsam mit dem Kameramann entscheidet, was wie gedreht werden soll. Und von überall erklingt das Geschnatter der Tontechniker und Assistentinnen, der Caterer, der Produzentinnen und Produzenten. Wie viele Menschen träumen davon, für Film und Fernsehen zu arbeiten? Und wie viele tun es? Die hier Anwesenden haben es trotz aller Widrigkeiten geschafft, und das wissen sie. Das ist der Grund, warum ein Hauch von Magie in der Luft liegt.
Ruhm, ich werde ewig leben!
Die Verheißung der Lichter, Kameras und der Action hat Duke Carlisle wahrscheinlich zu dem werden lassen, der er ist, denkt Evie. Als feststand, dass Duke an der Verfilmung ihres Buches mitwirkt, hat ihre Agentin ihr seine ausführliche Biografie geschickt. Darin stand, dass der kleine Junge aus Sunderland, Großbritannien, bereits früh wusste, dass er nur diesen einen Traum hatte: in Hollywood, vor den Augen der ganzen Welt, zu schauspielern. Mittlerweile wird er international gefeiert, ist überall anerkannt und hat zweifellos so viel Geld wie … na ja, vielleicht nicht wie Krösus, aber auf jeden Fall so viel wie ein Mitglied der britischen Königsfamilie. Er ist ein Junge aus der Arbeiterklasse, der es zu etwas gebracht hat – und dabei hat er anscheinend nur versucht, seine Mutter stolz zu machen. Um aus seiner Biografie zu zitieren: »Besser wird’s nicht.«
Aber …
Evie Bird will mit dem realen Hollywood nichts zu tun haben und würde das Filmbusiness gerne für den Rest ihres Lebens meiden. Sie ist am Set aufgewachsen und hat miterlebt, wie ihr Vater den Schauspielenden Anweisungen gegeben hat, wie sie die Worte sprechen sollten, die er geschrieben hatte – und sie weiß, dass nicht alles so ist, wie es scheint. Der Machtmissbrauch ist real, und jeder arbeitet in dem Wissen, dass er bei dem kleinsten Fehler oder Fehltritt sofort ersetzt wird, weil es eine Million andere Schauspielende, Regisseure und Drehbuchautorinnen gibt, die darauf warten, diesen Platz einzunehmen. Also sind die Arbeitszeiten lang und die Moral zweifelhaft.
Streit, Intrigen und leidenschaftliche Affären sind an der Tagesordnung … Und es versteht sich von selbst, dass Evies Vater während ihrer Kindheit beweisen musste, dass er diese drei Regeln der Kunst beherrschte.
Wenn man Eltern hat, die in Hollywood berühmt sind, will man entweder genau so sein wie sie oder das absolute Gegenteil.
Evie kann den Gedanken nicht ertragen, wie ihr Vater zu werden, also will sie nichts damit zu tun haben, niemals.
Das Geschichtenerzählen liegt ihr im Blut, aber nur über ihre Leiche wird sie beim Film arbeiten.
Sie spricht nicht über ihren Vater oder ihre Vergangenheit. Niemand weiß, dass sie die Tochter von Donald Gilbert ist, und sie will, dass das auch so bleibt. Stattdessen schreibt sie Bücher unter dem Mädchennamen ihrer Mutter, ist weit, weit weg von allem und führt ein ruhiges Leben, mit dem sie zufriedener nicht sein könnte.
Es ist bedauerlich, dass sie vertraglich verpflichtet ist, zu Duke Carlisles Set zu fliegen, wenn sie den Scheck für die Verfilmungsrechte kassieren will, den sie so dringend braucht. Wenn man nicht gerade Dan Brown heißt und Sakrileg geschrieben hat, wird man vom Bücherschreiben selten reich, und auch wenn Geld nicht glücklich macht, so kann es doch das Pflegeheim der Mutter für die nächsten zehn Jahre finanzieren. Welche Wahl hatte Evie also, als sie das Angebot erhalten hatte, die Filmrechte zu verkaufen? Auch wenn damit verbunden war, dass sie nun ans Set fahren und zusehen muss, wie der Film entsteht.
An ein Filmset zu fahren, klingt für die meisten Menschen wie ein wahr gewordener Traum. Aber für Evie? Puuhhh. Für Evie ist es ein Albtraum.
Aber trotzdem fährt sie hin.
»Niemand hat so ein Gesicht und einen guten Charakter«, meint Evie.
Sie steht vor dem Spiegel und hat nur einen zu kleinen, fleischfarbenen BH und ausgeblichene High-Rise-Jeans an. Ihr Kleiderschrank quillt über vor Klamotten, aber sie hat immer nur diese eine vier Jahre alte Levi’s an, die sich so gut an ihre Körperform angepasst hat, dass sie ihr zu einer zweiten Haut geworden ist.
»Und Duke Carlisle …?«, fährt sie fort, während sie feststellt, dass ein Stückchen Grünkohl vom Mittagessen zwischen ihren beiden Vorderzähnen feststeckt. Sie zieht eine Grimasse und versucht, es mit dem Finger herauszupulen. »Das ist der albernste Künstlername aller Zeiten. Er klingt wie ein gescheiterter General, der einen Cocktail nach sich benannt hat.«
Magda, ihre beste Freundin, schüttelt neckisch den Kopf, was durchaus angemessen ist. Seit dem Sommer, seit sie erfahren hat, dass sie ans Set fahren muss, um bei »zusätzlichen Backstage-Inhalten« zu helfen, wiederholt Evie diesen verbitterten Monolog. Sie sucht ihre Zahnbürste und bekommt endlich ein halbes Salatblatt aus ihren Zähnen. Na toll. Wie lange ist das Mittagessen her, vier Stunden? Und niemand hat ihr gesagt, dass sie aussieht wie das Krümelmonster in Austin Powers im Biosupermarkt.
»Ich wette, er ist ein Arsch«, schlussfolgert Evie, schnappt sich einen grauen Rollkragenpullover und hält ihn an sich. Sie betrachtet ihr Spiegelbild gedankenversunken und greift dann nach dem gerippten cremefarbenen Pulli, der auf dem Bett liegt. Vielleicht packt sie beide ein, sagt sie sich, um sie zumindest mal getragen zu haben. Sie hat sie vor sechs Wochen im Ausverkauf gekauft, aber die Preisschilder hängen immer noch dran. Vielleicht nimmt sie neben der Jeans auch noch eine weitere Hose mit. Wann hat sie die überhaupt das letzte Mal gewaschen?
Sie wirft die Pullis zu Magda rüber, auf den »Einpacken«-Stapel. Sie ist ihr sehr dankbar für die Hilfe – und sei es nur, dass sie das ganze Gejammer loswerden kann.
»Ich weiß, ich nerve, wenn ich immer wieder davon anfange«, fährt Evie fort. »Aber, jetzt mal ehrlich … Meine ganze Kindheit hat daraus bestanden zu beobachten, wie Promis am Filmset nur zu den Leuten nett sind, die ihnen was nutzen. Das ist alles so verkorkst. Obwohl ich zugeben muss, dass die aufstrebenden Schauspieler nicht so sind. Die sind zu allen nett, um sicherzugehen.«
»Ich würde Duke Carlisle allerdings nicht als aufstrebenden Schauspieler bezeichnen«, bemerkt Magda und faltet hilfsbereit die Sachen zusammen, die Evie ihr hingeworfen hat. »Selbst du wusstest, wer er ist, und normalerweise sagen dir all die Namen überhaupt nichts. Du widersetzt dich im Grunde den Gesetzen der Popkultur. Wie kann man nur so wenig davon mitbekommen, was in der Welt der Promis passiert?«
»Du sagst das so, als wäre es ein Skandal«, schießt Evie zurück und sucht auf dem Nachttisch nach einer Spange für ihre lange blonde Mähne. »Und trotzdem fasse ich es als Kompliment auf.«
»Wie untypisch für dich«, schmunzelt Magda und schürzt die Lippen, »das Drehbuch während des Drehs zu überarbeiten.«
»Kohärenz ist das A und O, meine Liebe.«
Evie steckt ihr Haar hoch und wendet sich wieder dem Kleiderschrank zu. Sie beschließt, dass sie ein paar dünne Rollkragenshirts zum Unterziehen braucht. Wie kalt wird es in Deutschland wohl sein? Sie ist sich ziemlich sicher, dass die Winter auf dem Kontinent nicht mit denen in Utah zu vergleichen sind, aber sie sollte auf Nummer sicher gehen. Es gibt kein schlechtes Wetter, nur unpassende Kleidung, hat ihre Mutter immer gesagt. Sie fährt mit der Hand die Kleiderbügel entlang, überlegt, was sie noch brauchen könnte, und fügt hinzu: »Gib deinen Leserinnen und Lesern, was sie wollen, und füge ein paar überraschende Wendungen hinzu. Das nennt sich Plot, Baby.«
»Die überraschende Wendung in dieser Geschichte ist, dass du tatsächlich hinfährst«, sagt Magda schlicht. Sie zuckt mit den Schultern, als ob sie hinzufügen würde: Ich hätte nie gedacht, dass ich diesen Tag erleben würde.
Evie hält eine Hand hoch. »Nicht doch. Ich verdränge es noch. Ich würde lieber nackt einen Fächertanz in einem Altersheim aufführen, als ein Filmset zu betreten. Nicht, dass das jemand verstehen würde, natürlich nicht. Na ja, niemand außer dir.« Sie schenkt Magda ein Lächeln, mit dem sie ihr aufrichtig dankt. »Aber ich habe einen Plan, wie ich es durchstehen kann. Ohne Vorbereitung ist Scheitern vorprogrammiert – und ich bin fest entschlossen, keinen Blödsinn zu machen und mit einem fertigen Buch für nächstes Jahr zurückzukehren, sonst bringt mich meine Verlegerin um.«
»Ich bin ganz Ohr.« Magda faltet den letzten Pullover zusammen und geht zu Evies Verblüffung zu Schuhen und Unterwäsche gleichzeitig über. »Vertrau mir«, sagt Magda, als Evie ihr einen besorgten Blick zuwirft. Magda winkt mit einer Hand ab und stopft mit der anderen Evies Sneaker mit Spitzentangas voll. »Und weise mich in den Plan ein. Ich möchte das alles durch dich miterleben. Ach, wenn doch schon Schulferien wären, dann würde ich mitkommen! Ich gehöre nämlich zu dem naiven Teil der Bevölkerung, der glaubt, dass am Set alles wahnsinnig glamourös ist.«
»Hmpf«, pafft Evie und fügt dann ein »Na ja« hinzu, ohne Details zu verraten. »Es ist jetzt nicht mehr lange hin. Und ich werde rechtzeitig zu Weihnachten zurück sein, und dann sind wir nur zu zweit. Wenn du willst, können wir völlig ignorieren, dass diese Reise überhaupt stattgefunden hat, oder wir machen, wie Kinder, eine große Sache daraus, oder wir betrinken uns oder was auch immer. Ganz wie du willst.«
Magda unterbricht ihr methodisches Schuhebefüllen – eine Packmethode, von der Evie bereits weiß, dass sie effizient ist, und das wiederum beweist, dass es völlig richtig war, Magda um Hilfe zu bitten. »Lass dich nur nicht scheiden, das ist mein einziger Rat.« Magda seufzt traurig. »Das ist scheiße. Scheiße, scheiße, scheiße.«
Sie verzieht das Gesicht und schiebt ihre Unterlippe auf dramatische, aber für Evie völlig berechtigte Weise vor, und Evie geht auf die andere Seite des Bettes und legt einen Arm um ihre beste Freundin. So war es immer. Es gab ein Evie und Magda, bevor es ein Magda und Jamie gab, und es wird ein Evie und Magda geben, lange nachdem die Scheidungspapiere unterschrieben sind.
»Guck mal«, sagt Evie leise, »vor sechs Monaten hättest du das unter gutturalem Schluchzen und mit einer Packung Ben and Jerry’s in der Hand gesagt. Du hast einen langen Weg hinter dir, Baby. Ich weiß, es tut weh, aber vergiss nicht, dass die Zeit alle Wunden heilt. Du machst das so gut.«
Magda sieht sie von der Seite an. »Eine Geschiedene …«, sagt sie. »Und weswegen? Ich komme mir vor wie Miranda in der neuen Staffel von Sex and the City.« Sie zieht eine Schnute. »And just like that hat Magda ihr Leben zerstört, weil es ihr nicht aufregend genug war, und ist in ihren Dreißigern wieder Single.«
»Hey«, sagt Evie und tut so, als wäre sie verletzt. »So schlimm ist es nicht.«
»Du hast Carl.«
»Hmmm. Wirklich?« Evie verzieht das Gesicht. »Das mit ihm ist nicht … das. Wenn du weißt, was ich meine.«
»Du meinst, es ist bewusst temporär«, sagt Magda.
»Alles in diesem Leben ist temporär«, antwortet Evie, und die Bemerkung klingt härter, als sie es beabsichtigt hat. Sie denkt an ihre Mom.
Evie drückt ihrer Freundin noch einmal die Schulter und küsst sie auf die Wange, und dann arbeiten sie eine Weile in kameradschaftlichem Schweigen weiter, jede in ihren eigenen Gedanken versunken. Schließlich verkündet Magda: »Ich habe in letzter Zeit nur gedacht, dass ich mir wünsche, dass einer von uns etwas wirklich Falsches getan hätte, weißt du? So was wie betrügen oder ein Familiengeheimnis verschweigen oder auch nur eine einfache, unkomplizierte Affäre mit einer Sekretärin haben.«
»Du hast keine Sekretärin«, erinnert sie Evie.
»Jamie hat eine.«
»Dann schnüffle doch ein bisschen herum. Vielleicht hast du ja Glück, und er schläft doch mit ihr.«
»Sie ist lesbisch«, sagt Magda. »Aber danke für das Brainstorming.«
»Gerne, jederzeit.« Evie zwinkert ihr zu.
Stolz streichelt Magda über die fachmännisch gefaltete Kleidung – süße Pullis und dazu passende Wollmützen und edle Schals – und erklärt: »Wenigstens darin bin ich gut, wenn ich sonst schon nichts kann.«
»Du bist meine Heldin, weil du das durchgestanden hast«, sagt Evie und sieht sie an. »Und ich meine nicht das Packen, obwohl das ziemlich spektakulär ist. Ich finde, die Tatsache, dass du nach allem, was du durchgemacht hast, noch aufrecht stehst, bedeutet, dass wir dir zu Ehren eine Statue errichten sollten. Im Ernst. Du und Jamie, ihr seid beide so vernünftig und nett zueinander gewesen. Das lässt mich beinahe wünschen, es auch zu versuchen.«
»Dafür müsstest du erst heiraten«, sagt Magda.
Evie verzieht das Gesicht. »Das ist der Knackpunkt.«
Magda blickt zum Himmel – nicht einmal Gott kann Evie dabei helfen, sich im wirklichen Leben auf eine ernsthafte Liebesbeziehung einzulassen –, bevor sie eine Pause einlegt und aufs Bett steigt. Als sie die Beine übereinanderschlägt, sieht Evies Hund Dr. Dolittle darin eine Einladung zum Kuscheln und springt auf Magdas Schoß. Evie muss ihn bald ins Hundehotel bringen. Sie fügt es als weiteren Punkt auf ihrer wachsenden To-do-Liste im Kopf hinzu.
»Ich würde es wieder tun … heiraten«, sagt Magda und krault Doc zwischen den Ohren. »Eines Tages. Glaube ich. Jemanden, der mehr … Du weißt schon. Wenn mehr Leidenschaft im Spiel ist, nicht nur ein gemeinsames Interesse an Netflix-Serien.«
»Oh, na dann, zwei Hochzeiten für dich, keine für mich. Du kannst meine Hochzeit haben.«
»Ich glaube nicht, dass sie rationiert sind«, witzelt Magda.
»Vielleicht sollten sie es sein.«
»Aber Carl ist so nett. Denkst du denn nie …?«
Evie wehrt dramatisch ab. »Carl und ich haben eine Abmachung, und die beinhaltet: Wir führen zwei Leben und sehen uns an zwei Abenden pro Woche für zwei Stunden. Verurteile nicht, was du nicht verstehst, vielen Dank dafür.«
»Ja, Madam«, sagt Magda und zieht dabei verdutzt die Augenbrauen hoch, was ihr Urteil ohne ein weiteres Wort ausdrückt. Magda sagt immer, sie wolle nur, dass Evie glücklich ist, worauf Evie oft antwortet: Dann hör auf, mich damit zu belästigen. Selbst in einer Scheidungssituation glaubt ihre beste Freundin immer noch an ein Happy End, und um das Ganze noch absurder zu machen, ist Evie doch diejenige, die Liebesromane schreibt.
Evie prüft, ob im Koffer noch Platz ist für die letzten Kleinigkeiten, die am Morgen noch reinmüssen – Kulturbeutel, Ladegeräte, Krimskrams –, indem sie testet, ob er sich schließen lässt. Das tut er, aber nur gerade so.
»Wir sind vom Thema abgekommen«, erinnert Magda Evie und kommt auf den ursprünglichen Punkt zurück. »Dein Überlebensplan am Set lautet …?«
»Oh ja.« Evie nickt. »Also, im Grunde genommen habe ich einen Abgabetermin für das Weihnachtsbuch im nächsten Jahr – wenn ich mit weniger als hunderttausend Wörtern zurückkomme, musst du mich im Keller einsperren und darfst mich nur für Pinkelpausen und dreißig Minuten an der frischen Luft rauslassen – also denke ich, ich tue, was immer sie von mir am Set verlangen, und dann habe ich meine Ruhe. Soweit meine Agentin informiert ist, wollen sie mich nur für zusätzliche Inhalte. Für Social Media oder Bonusmaterial oder was auch immer. Vielleicht machen sie eine Hinter-den-Kulissen-Doku für YouTube. Ich weiß es nicht. Und wenn ich zu viel darüber nachdenke, werde ich verrückt, weil ich nicht verstehe, warum es eine vertragliche Verpflichtung sein muss und nicht ein Angebot, das ich hätte ablehnen können.« Evie hält inne, schließt die Augen und atmet theatralisch auf. Als sie die Augen wieder öffnet, fährt sie fort: »Also, sobald ich das erledigt habe, was auch immer sie von mir verlangen, werde ich schreiben. Und schließlich muss ich mir immer wieder ins Gedächtnis rufen, dass ich einen dicken fetten Scheck bekomme, und das ist eine riesige Erleichterung für mich, was die Pflege meiner Mutter angeht. Solange ich meine Wörterzahl fürs neue Buch erreiche, werde ich wohl überleben …«
»Auf der Romantischen Straße gibt es all diese Weihnachtsmärkte und magischen Schlösser, und man kann Schlittschuh laufen …«, sagt Magda und bezieht sich dabei auf die Gegend in Deutschland, in der die Dreharbeiten stattfinden werden. »Wenn du an dem Weihnachtsbuch fürs nächste Jahr schreibst, kannst du doch sicher all das genießen und dich perfekt auf das Thema einstimmen, an dem du gerade arbeitest.«
»Genau«, stimmt Evie zu. »Und ich bin nicht zu stolz, um zuzugeben, dass es an der Zeit ist, an einem anderen Ort als im örtlichen Café zu schreiben. Der Soja-Latte im Freddie’s ist kaum zu übertreffen, aber ich bin mir sicher, dass es auch ein idyllisches bayerisches Café gibt, in dem ich mich wohlfühle.«
»Du wirst also nur das Nötigste für den Film tun, denn Filmsets sind ätzend und alle, die dort arbeiten, auch …«
Evie wirft ihrer Freundin einen anerkennenden Blick zu. Gott sei Dank versteht sie, was die meisten Menschen nicht verstehen würden: Für Evie ist das nicht aufregend. Es ist lästig.
»Und in der Zwischenzeit schreibst du deine letzten vierzigtausend Wörter, trinkst heiße Schokolade, isst Plätzchen und rufst mich täglich an, um mich auf dem Laufenden zu halten und mich daran zu erinnern, dass die letzte Schulwoche vor den Ferien immer die härteste ist.«
»Ganz genau! Und …«, fügt Evie hinzu, »vor allem …«
»Ja?«
»Vor allem werde ich alle Promis meiden. Den Regisseur, die Schauspieler, sogar die Drehbuchautorin … Sie bleiben bei ihren Leisten und ich bei meinen.«
»Natürlich.« Magda lacht.
»Egoistisches, arrogantes, falsches Hollywood«, sagt Evie nickend. »Ich werde die Tage genießen, so gut ich kann – aber das heißt nicht, dass ich sie nicht auch runterzählen werde.«
»Verstanden«, schießt Magda zurück. Dann überlegt sie kurz, und ihr Gesicht hellt sich auf, als ihr eine Idee kommt. »Aber was soll’s?«, fügt sie schelmisch hinzu. »Wenn es stimmt, dass Duke Carlisle jetzt wieder Single ist, dann gib ihm bitte meine Nummer. Du hältst ihn vielleicht für ein Arschloch, das nur darauf wartet, entdeckt zu werden, aber ich finde ihn verdammt heiß.«
Duke
Duke Carlisle hat noch nie von einem Mann gehört, der an einem gebrochenen Herzen gestorben ist, aber das heißt nicht, dass es noch nie vorgekommen ist.
Das Ziehen in seiner Brust stellt ihn auf die Probe, es verhöhnt ihn sogar, weil er so ein Narr war.
Wie konnte er es nicht sehen?
Wie konnte er Daphne jemals glauben, als sie Ich liebe dich gesagt hat? Er denkt zum trillionsten Mal darüber nach, während er durch den Frankfurter Flughafen geht, zu dem Auto, das auf ihn wartet. Er tritt mit seinen Nikes hart auf, und seine Designer-Trainingshose sitzt ihm tief in den Hüften. Das Klick-Klick-Klick der Paparazzi-Kameras und das dazugehörige Blitzlichtgewitter dienen als Grundlage für die Schreie der Fans, die durch irgendeinen Blog oder Social-Media-Account über seine Ankunftszeit informiert worden sind. Es ist verrückt, an welche Informationen hartnäckige Fans herankommen können. Bei fast jeder Produktion oder Medientournee gibt es ein Leck. Er stählt sich. Es heißt immer, das sei der Preis des Ruhms. Seit Jahren ist er bereit, ihn zu zahlen. Er richtet seine blauen, mandelförmigen Augen nach unten, die Designer-Sonnenbrille schirmt ihn zusätzlich ab, und er hält sich eine Hand vors Gesicht. Er tut sein Bestes, um nicht mürrisch zu wirken.
Daphne Diamond, blöderweise Dukes Co-Star und seit Kurzem seine Ex-Freundin, also die Frau, die für besagte lähmende Brustschmerzen verantwortlich ist, zahlt heute nicht den gleichen Preis für ihren Ruhm. Sie hatten denselben Flug aus London, aber sie wurde durch den Hinterausgang geleitet, den privaten Ausgang für vermögende Fluggäste und Filmstars, und befindet sich wahrscheinlich schon auf halbem Weg zum Hotel. Bei den Produzenten ist sie im Moment eine Persona non grata, nachdem sie mit ihrem Betrug für Negativschlagzeilen gesorgt hat. Duke seufzt. Daphne wurde bei einem Stelldichein mit dem verheirateten Regisseur erwischt, drei Tage, nachdem die Innenaufnahmen für Auf der Romantischen Straße in den Pinewood Studios abgeschlossen worden waren. Auf allen Titelseiten waren die Fotos zu sehen: Sie steht gegen eine Hinterhofwand gepresst da, steckt ihre Zunge in Brads Mund, und Brads Hände liegen auf ihrem Hintern. Sie haben noch drei Wochen gemeinsame Arbeit in Deutschland vor sich. Das wird hart.
Aber auch wenn Daphne alle in den Wahnsinn getrieben hat, indem sie den Ruf des Films gefährdet hat – sie hat die Geldgeber nervös gemacht und das gesamte Produktionsteam in Aufruhr versetzt –, wird sie trotzdem von allen beschützt und in Watte gepackt. Es soll jetzt ein Weg gefunden werden, wie man ihren Ruf als Vorzeigefrau von nebenan wiederherstellen kann, damit sie wieder ein zuverlässiger Kassenmagnet wird … und die Geldgeber an Bord bleiben. Jeder denkt, dass es beim Film darum geht, der Welt große Geschichten zu erzählen. Darum geht es aber nicht. Es geht darum, Geld zu verdienen.
Obwohl Duke nun also vor der ganzen Welt wie ein Idiot dasteht, weil er sich hat betrügen lassen und weil er keinen Verdacht geschöpft hat, muss er den normalen Weg über das Flughafengebäude nehmen, damit er der Öffentlichkeit zeigen kann, dass er gar nicht verzweifelt und untröstlich ist – und dabei Daphnes betrügerischen Arsch retten.
Mein Lieber, es ist gut, Single und glücklich zu sein.Die Mütter werden total darauf abfahren. Vertrau mir, Baby, vertrau mir. Das bringt die Leute dazu, davon zu fantasieren, dass sie eine Chance bei dir haben. Das hat ihm Carter gesagt, der schillernde Amerikaner, der damit beauftragt ist, ihn zu »hollywoodisieren«.
Duke ist sich nicht einmal mehr sicher, wer er als Mann ist, so groß ist die Aufmerksamkeit, die ihm als Marke zuteilwird, die gefördert und zu Geld gemacht werden soll. Sei vorsichtig mit dem, was du dir wünschst, ist Dukes Haltung zu alldem. Er will sich nicht selbst bemitleiden. Er führt ein privilegiertes Leben. Es ist nur so, dass er gedacht hat, die weltweite Bewunderung und ein nagelneuer Porsche in der Einfahrt eines seiner vielen Häuser seien der Traum, bis das alles begann, wahr zu werden. Aber wenn dann so etwas passiert und die Presse so aufdringlich ist, fühlt es sich überhaupt nicht mehr lohnenswert an. Er wird wie eine Story behandelt, nicht wie ein Mensch, und das zermürbt ihn, auch wenn er vor der Kamera weiterhin den charmanten und sanften Duke gibt. Der Ruhm kann ihn nicht davon abhalten, ein Mensch mit Gefühlen zu sein.
Buhuuu, sagt sein Gehirn. Sind deine Diamantschuhe zu eng, Schönling?
»Duuk! Duuuuk!«, skandieren die deutschen Frauen mit einem leichten Akzent. Sie sind älter, als man meinen würde, aber Duke weiß aus der von seinem Management in Auftrag gegebenen Studie, dass die Generation Z sich zwar seine Filme anschaut, dass aber weltweit ihre Eltern seine treuesten Fans sind. Daher der Fokus auf die Mütter. Breites Lächeln, zerzaustes, gewelltes braunes Haar, blaue Augen, denen eine folkloristische Mystik zugeschrieben wird, wie man sie zuletzt bei Sinatra bemüht hat – Duke Carlisle ist ein internationaler Filmstar, der mit freundlichen Worten und einem heimlichen, frechen Augenzwinkern der charmante Universitätsfreund deines Sohnes sein könnte, der in den Ferien nach Hause kommt. Deshalb wurde er für Auf der Romantischen Straße gecastet, eine Verfilmung von Evie Birds in Deutschland angesiedelter, internationaler Bestseller-Liebeskomödie. Die Rolle geht mit vielen gestreiften maritimen Shirts, vielen schüchternen Blicken, gestammelten Sätzen und guten Manieren einher. Duke ist die perfekte Besetzung.
»Hallo, hi, danke für den herzlichen Empfang«, sagt Duke, hebt eine Hand und reckt den Hals, damit die Frauen ihr Selfie machen können. »Ihr wisst wirklich, wie man einem Mann das Gefühl gibt, etwas Besonderes zu sein.«
Seine Vokale, die danach klingen, als sei er aufs elitäre Eton-College gegangen, sind genau so, wie sein Stimmbildner sie ihm beigebracht hat. Duke ist in Sunderland geboren und aufgewachsen, aber das amerikanische Publikum kann mit dem nördlichen Akzent nichts anfangen, hat sein Agent gesagt und ihm weitere fünf Prozent vom ersten Gehalt abgezogen, um das Stimmtraining zu finanzieren. Jetzt spricht er wie Hugh Grant, was gar nicht mal so schlecht ist, denn Hugh hat mittlerweile fünf Kinder und ist in seinen Sechzigern, Zeit also, dass jemand in seine Britische-Liebeskomödien-Schuhe schlüpft. Trotzdem ist er ein netter Typ, findet Duke. Hugh hat ihm immer sehr großzügig Zeit eingeräumt.
Ein Paparazzo, den Duke schon vor seinem Haus in Hampstead im Norden Londons gesehen hat, kommt nahe genug heran, um ihm den Weg zu versperren.
»Vorsicht, Clive.« Duke lächelt und schaut über seine Sonnenbrille, um sich zu vergewissern, dass es dem Mann gut geht. Gerade hasst er die Presse, weil er peinlich berührt und in seinem Ego verletzt ist, aber am Ende des Tages braucht er sie auch. Das sagt Carter auch immer. Und um ehrlich zu sein, ist Clive normalerweise einer der Besseren. Er bekommt seinen Schuss und haut dann ab, was man von einigen der anderen nicht behaupten kann – sie haben seine Autos geknackt, seine Mülltonnen durchwühlt und sogar sein Telefon angezapft.
»Tut mir leid, dass ich dich frage, Kumpel, aber was ist mit Daphne? Was ist passiert?«, fragt Clive, die Kamera an sein Gesicht haltend, den Sucher auf Dukes Reaktion gerichtet. Duke kann sehen, dass er keine Fotos mehr macht, sondern auf Video umgeschaltet hat, genau wie Carter es vorhergesagt hat. Es ist fast so, als hätte er die Presse gebrieft und die ganze Sache organisiert.
»Kein Kommentar«, sagt Duke, wie von der Pressesprecherin des Films angewiesen.
»Komm schon, hast du wirklich nichts zu sagen?«, drängt ihn Clive, und Duke spielt das Spiel mit. Er hat seinen einstudierten »Kein Kommentar«-Kommentar für das Produktionsteam abgegeben, jetzt soll er seinen einstudierten »Jedermanns Herzensbrecher«-Kommentar für sein persönliches Management abgeben, um sein – Gott bewahre ihn davor, ihr Wort zu benutzen, das Wort, das er so sehr hasst – Profil zu schärfen.
Duke seufzt, klemmt sich das Buch, das er auf dem Flug gelesen hat, unter den Arm und nimmt seine Sonnenbrille ab, um sich den Nasenrücken zu reiben. Er tut so, als ob er überlegen würde, was er sagen soll, etwas, das zum Ausdruck bringt, dass er ein anständiger Kerl ist, kein Schwächling, und dass er immer noch an das Gute in der Welt glaubt. Das ist doch seine Rolle, nicht wahr? Die romantische Hoffnung am Leben zu erhalten. Er muss das sagen, als wäre er nicht drei bis fünf Millionen pro Film wert, denn Geld kann die Sehnsucht nach Liebe nicht stillen. Es kann sie nicht einmal abfedern. Er mag zwar Duke Carlisle sein, aber seine Aufgabe ist es, mit dem, was er als Nächstes sagt, jede Frau, die den Film sieht, glauben zu lassen, dass sie vielleicht die nächste Mrs Duke Carlisle werden könnte.
Wenn sie es nur könnte.
Er jedenfalls würde für die wahre Liebe töten.
»Daphne und Brad?«, beginnt Duke, wobei er darauf achtet, nicht direkt in die Linse, sondern in Clives anderes Auge zu schauen. »Ich freue mich für sie. Die Wahrheit ist, dass wir uns schon vor einer Weile getrennt hatten. Wir sind immer noch gute Freunde, und ich freue mich, wenn sie glücklich ist. Zu Brads Ehe kann ich nichts sagen, aber was uns betrifft, sind Daph und ich schon sehr lange nur noch befreundet. Es macht mir wirklich Spaß, den Film mit ihr zu drehen. Jeder Mann kann sich glücklich schätzen, an ihrer Seite zu stehen. Und, ehrlich, wir haben schon vor langer Zeit festgestellt, dass wir eher wie Bruder und Schwester sind als alles andere.«
Er holt tief Luft und beschließt, seine Wahrheit zu Ende zu bringen, so ernst sie auch sein mag.
»Ich bin zurzeit auf der Suche nach der Liebe«, sagt er. »Ich bin auf der Suche nach meiner Traumfrau, nur für den Fall, dass ihr sie seht.«
Eine Gruppe von Fans stößt ein kollektives Aaaahhh aus, und er winkt ein letztes Mal, bevor er sich in die winterliche Kälte hinausbegibt und in den luxuriösen Mercedes steigt, der auf ihn wartet und zum Glück getönte Scheiben hat. Wenn er nicht davon ausgehen müsste, dass der Fahrer es an die Klatschpresse weitergibt, könnte er fast weinen. Alles ist Schauspielerei, sogar seine echten Gefühle. Das reicht aus, um ihn wütend zu machen und um sich wie der einsamste Mann der Welt zu fühlen, auch wenn jeder seinen Namen kennt.
Evie
Der Anruf aus dem Pflegeheim kommt genau in dem Moment, als Evie mit der Bordkarte in der Hand am Abfluggate steht.
»Ms Gilbert?«, sagt eine höflich klingende Frau, aber Evie hat schon an der Anrufer-ID und dem darauffolgenden Pochen in ihrer Brust erkannt, dass es jemand von Bluebell Assisted Living ist. Wenn sie diesen Namen auf ihrem Display sieht, gerät sie automatisch in Panik, denn das verheißt nie etwas Gutes. Und es ist auch nie etwas, wogegen Evie viel tun kann. Keine gute Kombination.
»Geht es ihr gut?«, fragt Evie, anstatt höflich zu grüßen. Bei jedem Anruf aus dem Pflegeheim schlägt ihr das Herz bis zum Hals, denn jeder Anruf könnte derjenige sein, bei dem sie sagen, dass das Schlimmste passiert ist. Sie sollte ihnen diese Rückmeldung geben: Hey, Leute, könntet ihr, anstatt »Hallo« zu sagen, wenn ich abnehme, bitte sagen: »Ihre Mutter ist nicht tot. Ist gerade ein guter Zeitpunkt zum Reden?«
»Es geht ihr gut«, sagt die Frau und versteht die Sorge. »Hier ist Polly, Evie. Wir sind uns schon ein paarmal begegnet, falls Sie sich erinnern.«
»Polly«, wiederholt Evie. »Ja, natürlich. Entschuldigung. Ich wollte nicht so schroff klingen.« Sie holt tief Luft, um ihrem Körper zu signalisieren, dass er sich beruhigen kann. »Ich heiße Bird mit Nachnamen. Mom ist Mrs Gilbert, aber ich bin Ms Bird.«
»Natürlich«, sagt Polly. »Und entschuldigen Sie sich bitte nicht. Ich kenne das, alle reagieren so, wenn wir anrufen.« Sie macht eine Pause und fährt dann fort: »Es geht ihr gut«, wiederholt sie, »aber ich wollte Ihnen Bescheid geben, dass sie sich nach einem Sturz das Handgelenk verstaucht hat. Sie hat sich vor einem der neuen Assistenten erschrocken und ist über einen Stuhl gestürzt. Ihr Handgelenk ist bandagiert, aber sie ist ängstlich und führt Selbstgespräche, so wie sie es immer tut.«
»Ja, das beruhigt sie. Sie … Sie war Lektorin. In einem Verlag. Erzählt sie flüsternd eine Geschichte? Manchmal erfindet sie Dinge über die Zeit, als ich noch klein war, oder sie erinnert sich an Treffen mit ihren ehemaligen Autorinnen und Autoren und macht ihre Anmerkungen«, plappert Evie vor sich hin, obwohl sie weiß, dass Polly das alles weiß.
»Ja, genau. Das geht jetzt schon ein paar Stunden so«, fährt Polly fort. Evie merkt, dass sie gleich mit dem Boarding dran ist, zeigt auf ihr Handy und entschuldigt sich bei dem Steward, der ihre Papiere kontrolliert. Der Mann nickt, als ob er es verstehen würde. »Und sie hat sich tatsächlich beruhigt – ihre Strategie funktioniert offensichtlich. Wir werden sie genau im Auge behalten, wir wollten Ihnen nur wegen der Verletzung Bescheid geben.«
»Vielen Dank. Das weiß ich zu schätzen«, sagt Evie. »Und nur damit Sie es wissen, ich bin jetzt bis kurz vor Weihnachten außer Landes – ich steige gerade in den Flieger.« Sie steuert durch das Gate und stößt dabei fast ein Kleinkind um, das zufällig vor ihr stehen bleibt und sich hinsetzt, während ein Erwachsener hinter ihm beschämt dreinschaut. »Halten Sie mich also bitte auf dem Laufenden«, fährt sie fort und geht um das Kind herum, das nun weint. »Lassen Sie sich nur nicht abschrecken, wenn ein internationales Freizeichen ertönt. Ich habe es zwar erwähnt, als ich mich diese Woche verabschiedet habe, aber man weiß ja nie, ob es wirklich notiert wurde, nicht wahr?«
»Ich werde es noch einmal überprüfen. Und, ähm, Ms Bird, wenn ich Sie schon am Apparat habe …«
Evie weiß genau, was Polly gleich sagen wird. Sie hat es schon so oft gehört: das leichte Hüsteln, das den Übergang von Höflichkeiten zu einer Diskussion über Geld anzeigt. Evies Schultern verkrampfen sich sofort.
»Oh«, sagt Evie und versucht, ihr Gesicht zu wahren. »Entschuldigen Sie, dass ich Sie unterbreche, aber mir fällt gerade etwas ein. Ich habe einen Scheck für Sie bei meiner Freundin hinterlegt. Sie wird ihn vorbeibringen. Er deckt die letzten drei Monate ab – ich hatte so viel zu tun, dass ich mich nicht um die Buchhaltung kümmern konnte. Ich entschuldige mich für die Verzögerung. Und ich habe auch vor, über die Feiertage alles aufzuholen, also werde ich von nun an im Voraus bezahlen. Ich sollte mir da wirklich Hilfe holen, weil ich so vergesslich bin. Haha.«
Evie ist sich schmerzlich bewusst, dass sie plötzlich wie ein Dutzend andere redet und kaum eine Pause macht, damit Polly keine Lücke zwischen ihren Worten findet, um sie zu schelten. Sie sollte besser mit Geld umgehen, das weiß sie. Und es ist ja nicht so, dass sie kein Geld verdient, es ist nur … Irgendwie scheint es immer so schnell von ihren Konten zu verschwinden, wie es reinkommt. Das war schon immer so, es ist wie ein Zwang. Sie sollte sich einen Finanzberater suchen, besonders jetzt, wo sich ihre jahrelange harte Arbeit auszahlt. Sie hat noch nie ungewöhnlich viel Geld verdient, obwohl ihr Job im Wesentlichen darin besteht, den ganzen Tag am Computer zu sitzen und das Unmögliche zu erfinden. Aber jetzt, wo ihre Bücher mehr Aufmerksamkeit bekommen – auch dank der Nachricht von der Verfilmung –, muss sie mehr Verantwortung übernehmen. Es ist nur so, dass es immer einen Grund gibt, sich etwas zu gönnen. Wenn der Tag besonders produktiv war oder wenn er es gar nicht war, wenn sie einen Entwurf fertiggestellt hat oder wenn sie traurig ist, weil ihre Mutter nicht mehr so ist wie früher, oder weil der Sommer beginnt oder endet … Evie kauft Klamotten, Make-up, Parfüm und Taschen, obwohl sie eigentlich nie irgendwohin geht.
Sie sollte für die Rente sparen – das weiß sie –, vor allem, seit ihre Mutter im Pflegeheim ist und Evie anfangen musste, die Pflege zu bezuschussen. Sie braucht auch eine Versicherung, falls sie eines Tages selbst krank wird und Pflege braucht. Aber sie scheint die Dinge nie in den Griff zu bekommen. Seit die Ersparnisse ihrer Mutter aufgebraucht sind, ist es ein ziemlicher Kampf, und Evie bezahlt das Pflegeheim nicht immer pünktlich. Ihr Vater sollte etwas beisteuern, aber er hat kein Geld mehr geschickt, seit er vor all den Jahren abgehauen ist. Deshalb hat sie gleich zugesagt, als Interesse an der Verfilmung von Auf der Romantischen Straße gezeigt wurde, obwohl sie Vorbehalte gegen die Klausel hatte, die ihre Anwesenheit am Set vorschreibt. Das Geld geht direkt ans Pflegeheim, und zwar im Voraus, damit sie nicht jeden zweiten Monat dieses Räuspern ertragen und sich wie eine Verrückte aufführen muss, um sich mehr Zeit zu verschaffen.
»Verstanden«, sagt Polly, als Evie endlich aufhört zu quasseln. »Das werde ich mir auch notieren. Fahren Sie an einen schönen Ort?«, fragt sie dann, kurz bevor sie auflegen.
Evie versucht nicht zu erklären, was das für eine Reise ist. Die meiste Zeit über versteht sie es ja selbst nicht.
»Nein, eigentlich nicht«, antwortet sie und geht zum Ende des Ganges, wo sie vier Flugbegleiter sieht, die die Passagiere an Bord des Flugzeugs begrüßen. Evie lächelt sie an. »Es ist nur eine Arbeitsreise.«
Der Flug ist okay. Sie sitzt in der Economy-Class, aber die Sitze neben ihr sind frei, sodass sie sich ausstrecken und ein bisschen ausruhen kann. Evie versucht, nicht zu viel über das Gespräch mit der Frau vom Pflegeheim nachzudenken oder über die Tatsache, dass ihre Mutter in den letzten sechs Monaten meistens in keinem guten Zustand war. Es gibt nichts, was sie tun kann. Absolut nichts. Und was sagt man über das Sorgenmachen? Man stiehlt sich aus der Gegenwart, um über etwas nachzudenken, was die Zukunft nicht einmal garantieren kann. Man leiht sich Sorgen.
Die Filmproduktionsfirma hat ihr einen Wagen geschickt, und so wird sie von einem gut aussehenden Fahrer abgeholt und zum Hotel in Würzburg gefahren. Das einzige Ärgernis ist eine Art Scharmützel mit Kameras und einem VIP am Ausgang der Flughafenhalle, was den Fahrer zwingt, einen längeren Weg zu nehmen.
Und dann sind sie am Ziel.
Es ist Nachmittag, und Würzburg ist wunderschön. Selbst in ihrer leicht angeschlagenen Stimmung sitzt Evie aufrecht auf dem Rücksitz und betrachtet die alten Brücken und hohen Steinbauten, die von Menschen in unterschiedlicher Winterkleidung bevölkert sind: Daunenjacken und dicke Wollschals in Rot- und Grüntönen, die Nasen rosa und der Atem sichtbar. Ihr Zimmer im Hotel ist noch nicht bereit, also stellt Evie ihre Tasche ab und beschließt, für eine halbe Stunde spazieren zu gehen, sich die Beine zu vertreten und sich ein bisschen umzusehen. Sie hat keine Ahnung, wie spät es zu Hause ist, aber hier ist es erst 15 Uhr, also kann sie sich genauso gut auf die Ortszeit einstellen.
Der Weihnachtsmarkt ist der größte, den sie je gesehen hat. Er befindet sich neben dem Dom, einem gotisch anmutenden Gebäude aus weißem Stein, das sich stolz in den Himmel reckt, mit raumhohen, von rotem Backstein umrahmten Buntglasfenstern, einem grauen Spitzdach und riesigen Glockentürmen aus rotem Backstein. Die ganze Kulisse ist mit gold-orangefarbenen Lichtern angestrahlt. Der Himmel ist mit schweren Wolken behängt, die den Hintergrund in ein tiefes Marineblau tauchen, das von Minute zu Minute dunkler wird. Ein Weihnachtsbaum, der so hoch ist wie zwei Doppeldeckerbusse, zieht den Blick auf sich. Er funkelt mit einer obszönen Anzahl von Lichterketten, die fachmännisch in gleichem Abstand von unten nach oben angebracht sind, und auf der Spitze thront ein riesiger goldener Stern und wiegt sich im leichten Wind.
Es müssen mindestens hundert Stände sein, alles mit Girlanden geschmückte Holzhütten, und es riecht nach Evies Kindheit, als die Zeiten noch glücklicher, weil unbedarfter waren. Es gibt noch mehr Lichter und Ornamente überall, und die meisten bestehen nicht aus schmuddeligem Plastik, sondern aus kunstvollem, mundgeblasenem Glas und filigranem Holz. Sie kommt an einem Obelisken vorbei, der ebenfalls mit Lichtern geschmückt ist und ein bisschen an einen Maibaum erinnert. Traditionelle schmiedeeiserne Laternenmasten brennen hell, riesige rote Kugeln in verschiedenen Größen baumeln an noch mehr Girlanden, die wie Kunstinstallationen im Abstand von zehn bis zwanzig Metern aufgestellt sind.
Fast ohne nachzudenken, nähert sie sich einer der Holzhütten und kauft einen traditionellen Glühwein, ohne zu wissen, was es ist, bis der Becher ihre Lippen berührt: heißer, gewürzter Rotwein. Sie nimmt einen Schluck und lässt alles auf sich wirken: die Verkaufsstände mit ihren Schmuckstücken, Tees und Gewürzen, die traditionellen Dekorationen, Duftkerzen und Salzlampen. Es ist faszinierend und so ganz anders als alles, was sie von zu Hause kennt. Sie ist zum ersten Mal in Deutschland und keineswegs enttäuscht, und während sie ihren Becher leert und die Flüssigkeit ihren Bauch füllt, atmet Evie tief durch und lächelt Fremden zu, die an ihr vorübergehen.
Vielleicht wird mir das guttun, denkt sie und genießt den Moment. Sie kauft noch einen Glühwein für unterwegs und macht sich auf den Weg zurück zum Hotel. Sie wird das schaffen. Sie kann sich hier wohlfühlen, wenn das Land so ist, wie es sich gerade zeigt. Sie ist noch nicht einmal müde – der Spaziergang hat sie erfrischt.
Ja, es geht ihr gut.
Das Zimmer, das sie bezieht, ist sauber und ziemlich geräumig. Sie lässt eine Playlist abspielen und packt die Hälfte ihrer Sachen aus. Die Besetzung und die Crew werden in den nächsten drei Wochen mehrmals umziehen – den bayerischen Teil der Romantischen Straße hinunter –, also ist es unnötig, alles auszupacken. Aber sie findet einen Platz für ihre Toilettenartikel, hängt die Kleider auf, die leicht zerknittern, fischt ihre Nachtwäsche und ein Schlafmittel heraus, das sie gerne benutzt, und schließlich ihre Arbeitssachen: Laptop und Ladegerät, Notizbuch, Tagebuch, einen Ordner mit Ideen und Recherchen, die sich nicht nur auf dieses Projekt beziehen, sondern auf ihr Leben als Autorin im Allgemeinen. Sie notiert alles, was ihr interessant vorkommt, ohne den Grund dafür zu sehr zu analysieren. Beim Schreiben ploppen dann oft die seltsamsten Dinge auf, und fast immer liegt es daran, dass sie schon vor Wochen etwas darüber gelesen oder gesehen hat, es für später aufbewahrt hat und irgendwo in ihrem geistigen Kompost die erste Knospe eines Handlungsstrangs gewachsen ist.
Als sie ihr Telefon zum Aufladen einsteckt, leuchtet das Display mit einigen verpassten Anrufen von Carl auf sowie mit Textnachrichten von ihm, Magda und ihrer Agentin Sabrina. Carl bittet sie, ihn zurückzurufen, Magda will nur wissen, ob alles gut gelaufen ist, und Sabrina fordert Evie auf, so schnell wie möglich ihre E-Mails zu checken, der Verlag habe einen Vorschlag für das Cover für ihr Sommerbuch im nächsten Jahr geschickt.
Sie liest sie alle nacheinander und geht dann zu Carls Nachricht zurück. Sie telefonieren fast nie miteinander. Warum sollte er sie darum bitten, jetzt, wo sie in Deutschland ist? Evie war nicht davon ausgegangen, dass sie überhaupt Kontakt haben würden, während sie hier ist. Das ist nicht die Art von Dynamik, die sie haben. Als Carl im Sommer für einen Monat verreist war, haben sie nicht miteinander gesprochen, bis er zurück war. Warum sollten sie auch? Sie führen ja keine Beziehung. Sie sind … na ja, Magda hat es auf den Punkt gebracht: Sie haben ein Arrangement.
»Hey«, sagt Evie, als er nach dem dritten Klingeln über FaceTime-Audio abnimmt. »Alles in Ordnung?«
»Evie, heyyyy«, sagt Carl, und Evie merkt sofort, dass er Zeit schinden will. Sie weiß, wie das läuft. Sein Tonfall. Warum können Männer das Mitleid in ihrer Stimme nicht verbergen, wenn sie einem eine Ohrfeige verpassen? Sie hat die Erfahrung gemacht, dass zwar sowohl Männer als auch Frauen lügen, aber dass Männer meist kein Pokerface aufsetzen können. Sie macht sich auf den Schlag gefasst. Jetzt, wo sie darüber nachdenkt, wusste sie schon dadurch, dass er um den Anruf gebeten hatte, was passieren würde.
Sie wartet darauf, dass er tut, was immer er tun muss – vermutlich ist er schon bei der Arbeit und will am Schreibtisch nicht reden. Sie runzelt die Stirn, als sie hört, wie er aufsteht, wie ein Bürostuhl knarrt, dann weggerollt wird, eine Tür quietscht, die sich öffnet und schließt. In ihrem Bauch gluckst es unruhig, sie hat das Gefühl, etwas ziehe sich zusammen und dränge alles nach oben und erschwere ihr das Atmen.
»Entschuldige«, sagt er. »Ich musste mich in einen Besprechungsraum schleichen.«
»Sag, was du zu sagen hast, Carl«, weist Evie ihn an, denn sie muss es hinter sich bringen. Sie sind nicht zusammen, also ist es keine offizielle Trennung, aber ihre Wangen brennen heiß angesichts der drohenden Abweisung.
»Eves«, sagt Carl, und es ist offensichtlich, dass dies eine vorbereitete Rede ist. Evie steht in Socken am Fenster ihres Hotels und beobachtet unten Paare, die Händchen halten, und Familien, die gemeinsam über Witze lachen. »Du bist fantastisch. Zeit mit dir zu verbringen, ist wunderbar. Und ich habe dich sehr, sehr gern.«
Evie erschrickt bei dem Wort »gern«, sagt aber nichts. Sie wagt es nicht.
»Aber … Ich habe jemanden kennengelernt. Und sie will, was ich will. Etwas mehr als …«
»Ich verstehe«, unterbricht ihn Evie. »Kein Ding.«
Ich hasse das, denkt sie. Ich hasse das, ich hasse das, ich hasse das. Das ist der Grund, warum sie keine echte Beziehung will. Denn selbst wenn sie nur halb dabei ist, tut es weh. Wie ist denn dann der Schmerz, wenn sie es ernst meint? Aaah. Das ist es nicht wert. Überhaupt nicht wert.
»Nun«, sagt Carl. »Lass mich einfach …«
»Nein, nein«, beharrt Evie. Sie wird jetzt nicht am Telefon weinen. Sie wird sich überhaupt nicht erlauben zu weinen. Das ist ja gerade der Sinn einer unverbindlichen Geschichte. Eben weil man nicht um etwas weinen kann, das nie wirklich von Bedeutung war. »Schön, dass es dir gut geht.« Sie lässt es hell und melodiös klingen. »Ich weiß es zu schätzen, dass du es mir gesagt hast. Ich habe es auch genossen, Zeit mit dir zu verbringen.«
»Ich wollte es dir sagen, bevor du gegangen bist, aber dann haben wir uns nicht mehr gesehen und …«
»Alles in Ordnung«, wiederholt Evie. »Ehrlich. Mach’s gut. Nichts für ungut.«
»Wirklich?«, fragt Carl und klingt unsicher.
»Wirklich«, sagt Evie und zwingt sich zu einem Lächeln, damit die Worte echter klingen, als sie sich anfühlen. »Ich wünsche dir alles Gute.«
Sie legt auf, zieht ihre Stiefel wieder an und macht sich auf den Weg zum Treffen mit allen Mitwirkenden, denn die weihnachtliche Seifenblase, in der sie sich vor nicht einmal zehn Minuten noch befunden hat, ist endgültig geplatzt. Nicht, dass sie das jemandem gegenüber zugeben würde, natürlich nicht. Nicht einmal vor sich selbst.
Duke
Die Fahrt von Frankfurt nach Würzburg dauert etwas mehr als neunzig Minuten, der dramatische Himmel leuchtet in wirbelnden Fuchsia-Schattierungen gegen die drohende Dunkelheit an, wie Tinte, die auf einem Partykleid ausläuft.
Das war toll, textet ihm Carter. Du bist bereits in der Daily Mail, auf TMZ und @DukesLewks, wobei Letzteres auf seinen offiziellen Superfan-Account verweist, der fast so viele Follower hat wie seine offizielle Seite. Carter hat einige Links angehängt, aber Duke hat keine Lust, sich durchzuklicken. Er ist müde.
Daphne sagt, sie konnte nicht anders, als sich in Brad zu verlieben, und es täte ihr leid, aber Duke sieht ganz klar, dass Brad seine Frau nie verlassen wird, eine Frau, die Duke nie kennengelernt hat und die während der ganzen Zeit ein würdevolles Schweigen bewahrt hat. Aber trotz allem, was er vor den Kameras gesagt hat, hat sich Duke in Daphne verliebt. Er ist verletzt und denkt, dass er irgendwie benutzt wurde, dass Daphne ihm etwas vorgespielt hat, um sich selbst zu profilieren. (Uff, schon wieder dieses Wort!) Er verdrängt den Gedanken, weil er Angst hat, dass er, wenn er zu sehr darüber nachdenkt, nie wieder jemandem vertrauen wird. Er fühlt sich unsicher, wenn er bei Geschäftstreffen oder Geschäftsessen er selbst sein will, er nimmt keine Anrufe im Auto oder auf dem Make-up-Stuhl entgegen – es gibt so viel, bei dem er äußerst vorsichtig sein muss. Aber bei Daphne hat er die Vorsicht fallen lassen.
Er dachte, sie würde verstehen, wie einsam dieses Leben ist, weil sie es auch lebt, und sie könnten zusammen ihre eigene kleine Welt aufbauen, nur sie beide, eine gemeinsame Flucht aus dem Dasein als Daphne Diamond und Duke Carlisle. Zusammen hätten sie einfach nur Daph und Duke sein können, mit den Hunden spazieren gehen, Kaffee trinken, Schallplatten hören und Brettspiele spielen und vielleicht endlich kochen lernen, statt ewig Personal damit zu beauftragen. Aber wo er jetzt so darüber nachdenkt … Sie wollte mit ihm zusammen über den roten Teppich laufen, und sie war diejenige, die in einem Interview über ihren letzten Film bestätigt hat, dass sie ein Paar sind, obwohl sie da erst seit ein paar Wochen zusammen waren. Sie hatten dasselbe Management, aber wenn es nur eine PR-Geschichte gewesen wäre, hätten sie Duke sicher vorher gefragt, ob er mitmacht – so verzweifelt sucht er nun auch nicht nach Zuneigung und Liebe, dass er sich gleich von einem ganzen Team von Leuten manipulieren lässt. Schließlich arbeiten sie für ihn.
Er antwortet Carter nicht, so wie immer, und beobachtet, wie die Autobahn langsam in die Stadt mündet. Würzburg ist charmant. Viele spitze Kirchendächer und Gebäude in Gelb- und Rottönen, die wie Schokohäuschen aussehen, die Lichter der Weihnachtsbäume auf dem Marktplatz, die auf dem Fluss funkeln und dem ganzen Ort eine ätherische, magische Atmosphäre verleihen. Er erhascht einen Blick auf Paare und Familien, die sich durch die Seitenstraßen abseits der Hauptstraße schlängeln, mit dampfender heißer Schokolade und braunen Papiertüten mit gerösteten Kastanien in der Hand. Wenn sie lachen, sieht man ihren Atem, ihre Zuneigung hält sie in der Kälte warm. An einer Brücke steht eine Frau mit einem Glühweinbecher in der Hand, ihr langes blondes Haar fällt ihr in Wellen über die Schultern. Sie sieht wehmütig aus, nachdenklich. Im Grunde sieht sie aus wie Evie Bird, die Autorin des Buches. Er erkennt sie von den Fotos, die es online von ihr gibt. Google-Tieftauchgang. Bei ihrem Anblick wird er munter. Er kann es kaum erwarten, sie zu treffen.
Duke kann nun besser nachvollziehen, warum sie ihren Roman hier angesiedelt hat. Es ist genau der Ort, an dem man am 1. Dezember aufwachen möchte, pünktlich zum Beginn der Adventszeit. Wie der Titel es schon vermuten lässt, ist es hier unglaublich romantisch. Perfekt für eine Person, die nicht nur jemand ist, sondern auch jemanden hat.
Duke geht direkt in sein Hotelzimmer, um zu überprüfen, ob seine Sachen auch ausgepackt wurden. Das sind sie. Er wohnt in einer Suite und stellt sein Handgepäck in der Büroecke ab: Laptop, Drehbücher, die sein Agent zur Durchsicht geschickt hat, das Script mit Auf der Romantischen Straße und das dazugehörige Buch. Er sieht aufs Cover: ein handgezeichnetes Paar, das sich gegenübersteht. Ihm fällt das Haar fast in die Augen, sie hat ein Bein hinter sich hochgeknickt. Sie stehen auf einer Brücke. Der obere Teil des Covers ist dunkler als die Mitte, in einer Art blauem Ombré. Evie Birds Name befindet sich ganz oben; der Titel besteht aus klobigen weißen Buchstaben: Auf der Romantischen Straße. Darüber der Werbeslogan: Liebe ist eine Reise – werden sie diese Reise gemeinsam antreten? Er seufzt. Eine romantische Komödie zu drehen, war durchaus beabsichtigt: Die Klassiker aus den Neunzigern erleben gerade eine Renaissance, und wo früher ein Schauspieler dieses Genre übersprang, um »ernst genommen« zu werden, ist es mittlerweile so, dass jeder eine romantische Komödie in seinem Portfolio haben muss. Aber selbst in seinem Elend erkennt er, dass das Timing nicht einer gewissen Ironie entbehrt.
Es klopft an der Tür. Er schaut durch das Guckloch und sieht Daphne. Sie beißt sich auf die Unterlippe und blickt auf ihre Hände. Sie macht das – an den Fingernägeln kauen –, wenn sie nervös ist. Es ist ihre einzige schlechte Angewohnheit. Duke überlegt, ob er so tun soll, als sei er nicht da.
»Duke?«, fragt sie durch die Tür, als könne sie ihn spüren. So ein Mist. Er holt tief Luft und stählt sich.
»Hallo, Daphne«, sagt Duke, als er die Tür öffnet. Sie sieht ihn an. Diese Augen, oh Mann. Diese Augen sind der Grund, warum sie ein Star ist.
»Ich dachte, du würdest mich ignorieren«, sagt sie.
»Ich habe darüber nachgedacht.« Duke zuckt mit den Schultern, und er will ernst sein und zum tausendsten Mal wiederholen, wie verärgert er ist, aber dann halten sie Blickkontakt, und sie setzt ihr halbes Lächeln auf, und er spiegelt es, und dann lächeln sie wirklich: unbeholfen, aber sie lächeln. Kein verliebtes Lächeln, aber so was Ähnliches. Ein freundschaftliches Lächeln.
»Ich wollte nur …«, setzt Daphne an und sieht den Flur hinunter, um sich zu vergewissern, dass niemand zuhört.
»Komm rein.« Duke tritt zurück, und sie überschreitet die Schwelle. »Soll ich uns Drinks bestellen?«
Sie nimmt den Raum in Augenschein. Sie haben einmal darüber gesprochen, denn das war es, was Duke an ihr geliebt hat: dass sie es verstand. Sie hatten über leere, karge Hotelzimmer gesprochen, darüber, wie schrecklich oder genial sie sein können. Die leere Leinwand und das neue Projekt bieten ihnen die Gelegenheit, jemand anderes zu sein: manchmal ihr bestes Ich, manchmal ihr verrücktestes oder frechstes. Aber wenn es andersherum läuft – wenn ein Projekt nicht funktioniert oder sich hinzieht oder mit Problemen behaftet ist –, dann ist man einfach einsam, und das Hotelzimmer ist immer der offensichtlichste Ausdruck davon. Man kann nicht immer beeinflussen, wie herum es läuft. Duke vermutet, dass dieses Hotelzimmer eher die Einsamkeit widerspiegeln wird.
»Können wir nicht einfach die Minibar plündern?«, fragt sie und lässt sich in einem Sessel gegenüber dem Bett nieder. Er braucht nicht zu fragen, was sie will. Er holt zwei Gläser und die zwei kleinen Wodkaflaschen aus dem Kühlschrank.
»Danke«, sagt sie, als er ihr das Glas reicht. Sie sieht schön aus, wie immer. Helle Augen, glatte Haut und ein strahlendes, gewinnendes Lächeln. Und sie will ihn nicht. Er kann nicht als Erster sprechen. Er hat schon gebettelt, als er von ihrer Affäre erfahren hat. Er hat sich geschworen, beim zweiten Teil der Dreharbeiten, in einem neuen Land, etwas mehr Würde zu zeigen.
»Ich wollte …«, beginnt sie wieder und schüttelt dann den Kopf. »Ich weiß nicht. Nicht reinen Tisch machen, sondern … reden? Wenn das okay ist?«
»Ich habe dich reingelassen, oder?«, antwortet er, aber sie lächeln schon wieder halb, denn keiner von beiden kann dem anderen wirklich böse sein. In seiner Vorstellung kann Duke böse bleiben, aber in der Realität kann er das nicht.
»Ich will mich nicht wiederholen. Ich weiß, dass ich schon viel geredet habe, und ich bin dankbar, dass du mir zugehört hast. Ich denke, es ist einfach nur … Du weißt schon. Wir waren früher so gute Freunde, und ich wäre so traurig, das zu verlieren. Wir haben versucht, ein Paar zu sein, und es hat nicht funktioniert, und wir müssen noch drei Wochen lang zusammenarbeiten. Und danach müssen wir den Film promoten, und ich wette, du wirst bei den Globes nominiert, und dann geht es im nächsten Jahr zu den Preisverleihungen …«
Er sieht sie an. Er blinzelt. »Ich brauche einfach etwas Zeit«, sagt er schließlich und wählt seine Worte sorgfältig aus. »Du sagst, wir hätten nicht zusammengepasst, aber …« Er bricht ab, das Schweigen lässt ihm Raum für die Gedanken, die er vorhin schon hatte. Er dachte, sie hätten einander gefunden. War das nicht ein Traum? Endlich zu erkennen, dass die Freundin diejenige ist, nach der man die ganze Zeit gesucht hat. Nach zwölf Jahren, in denen er sie kannte, hatte er geglaubt, es sei alles so, wie es sein sollte: die perfekte Liebesgeschichte für ein perfektes Paar. Aber er hatte sich geirrt. Die Sache ist die: Daphne kennt ihn besser als jeder andere Mensch auf der Welt, und wenn sie meint, dass es nicht richtig ist, versteht er, dass er auf sie hören soll. Es ist nur … Oh Gott. Es ist so schwer. Er hasst es, Single zu sein. Er liebt die Liebe! Sie ist das Beste auf der Welt! Und sie entzieht sich ihm immer wieder.
»Es ist alles ziemlich durcheinander, ich verstehe das«, sagt Daphne. »Aber wenn du so weit bist, möchte ich, dass wir wieder das sind, was wir waren. Früher.«
Er nickt. »Früher«, wiederholt er.
»Ich glaube, wir können das«, bietet sie an. »Wenn wir es versuchen.«
Er leert sein Glas. »Du nutzt es aus, dass ich dir nie böse sein kann«, stellt er fest, und sie zwinkert ihm zu, ein Risiko, das sich auszahlt.
»Nur zum Teil.« Sie grinst, und als Duke das Gesicht verzieht, räumt sie ein: »Okay. Ein bisschen mehr als nur zum Teil.«
»Ich brauche Zeit«, wiederholt er. »Ich bin nicht wütend, sondern eher … traurig. Ich wünschte, es wäre anders gekommen.«
»Ich weiß«, stimmt sie ihm zu. »Aber ich weiß auch, dass es da draußen eine große Liebe für dich gibt, viel größer und strahlender und glücklicher als alles, was wir hätten haben können. Ich irre mich nie …«
Duke rollt unwillkürlich mit den Augen.
»Diesmal hoffe ich das wirklich«, gibt er zu.
»Ich habe das Gefühl«, sagt Daphne und steht auf, um zu gehen, »dass eine große Liebe für dich in greifbarer Nähe ist.«
Evie
Evie hört seine Ankunft zur Teambesprechung, bevor sie etwas von ihm sieht. Die kleine Gruppe von Frauen mittleren Alters, die sich vor den Türen ihres Hotels versammelt hat, beginnt zu murmeln, dann zu johlen, und schließlich schreit sie »Duke! Duke!«, als er (wahrscheinlich) aus dem Aufzug kommt, der direkt gegenüber von der gläsernen Eingangstür ist.
Sie denken wahrscheinlich, dass er das Hotel wieder verlässt – und sie kann das enttäuschte Gemurmel hören, als er stattdessen genau in den Raum ausweicht, in dem sie sitzt. Evie sitzt an einem großen Tisch in einem Raum direkt neben der Hotellobby, der der Crew für Besprechungen zur Verfügung steht, und verrenkt sich halb den Hals, bevor sie sich wieder ihrem Kaffee zuwendet, als er eintritt. Sie löffelt den Schaum und setzt einen möglichst desinteressierten Gesichtsausdruck auf. Berühmtheit macht sie nicht nervös. Hier zu sein, in diesem Zirkus, stört sie nicht. Eigentlich sollte sie zu Hause in Utah sein und an ihrem nächsten Buch arbeiten, und ihre einzigen Sorgen sollten die zwei täglichen Spaziergänge von Dr. Dolittle sein und die Frage, ob sie die Ristretto-Kaffeekapsel in ihre Nespresso- oder in die Sanremo-Treviso-Maschine stecken soll.