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Soziale und kommunikative Fähigkeiten sind entscheidend für die Entwicklung von Familienbeziehungen, den Aufbau von Partnerschaften, Inklusion und beruflichen Erfolg. Dennoch gibt es nur wenige Programme zum Erlernen dieser Fähigkeiten. Das trifft besonders für Kinder mit Asperger Syndrom (AS) oder High-Functioning Autism (HFA) zu. Das Buch stellt Methoden der Autismus-spezifischen Verhaltenstherapie (AVT) dar. Erprobte Fördermaterialien werden aufgezeigt und komplexe Langzeitziele in überprüfbare Kurzzeitziele unterteilt. Da viele Betroffene visuelle Lerner sind, verdeutlicht ein Cartoon und Skript-Curriculum für Autismus (CSA) das konkrete Vorgehen.
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Seitenzahl: 141
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1. Auflage 2014
Alle Rechte vorbehalten
© W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart
Gesamtherstellung: W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart
Print:
ISBN 978-3-17-022312-7
E-Book-Formate:
pdf: ISBN 978-3-17-23875-6
epub: ISBN 978-3-17-25949-2
mobi: ISBN 978-3-17-25950-8
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1
Einleitung
1.1 Ziele des Buches
1.2 Wichtigkeit von sozialen und kommunikativen Fähigkeiten
2
Schwächen und Stärken von Menschen mit Autismus-Spektrum-Störungen
3
Ein Spektrum von Therapiemethoden für das Autismus-Spektrum: Autismus-spezifische Verhaltenstherapie (AVT)
3.1 Diskretes Lernformat – Grundlagen entwickeln
3.2 Natürliches Lernformat – Im Alltag lernen
3.3 Visuelles Lernformat – Leichter lernen
3.4 Kognitives Lernformat – Anders denken und fühlen
3.5 Welche Methode ist für welches Individuum und welches Ziel geeignet?
3.6 Wie kann man zu Kommunikation und Sozialverhalten motivieren?
3.7 Wie entwickelt man soziale und kommunikative Fähigkeiten?
4
Cartoon und Skript-Curriculum für Autismus
4.1 Aufbau des CSA-Curriculum
4.2 Komponenten des CSA-Curriculum
4.3 Erfolgskriterien
4.4 Überblick über das CSA-Curriculum
4.4.1 LZZ 1 Beliebt sein/nett sein/Freunde bekommen
4.4.2 LZZ 2 Gefühle erkennen und kontrollieren
4.4.3 LZZ 3 Sich selbst beurteilen und die Perspektive der Anderen einnehmen
4.4.4 LZZ 4 Flexibel sein: Fähigkeit, Gedanken und Handlungen der Situation anzupassen
4.4.5 LZZ 5 Ein kompetenter Gesprächspartner sein
Schlussbemerkung
Literatur
Die folgenden Zusatzmaterialien können Sie im Buchshop des Kohlhammer-Verlags unter ContentPLUS herunterladen. Weitere Informationen finden Sie auf der vorderen Umschlagsinnenseite:
die Komponenten aller Kurzzeitziele:
• Ideenroboter,
• Kontingenzmappen,
• Quizfrage,
• Fragebögen,
• Rollenspiele/Videomodellierung,
• Generalisation auf Alltagssituationen und
• Spickzettel.
Dieses Praxishandbuch ist der Versuch, unsere Bücher »Kinder mit Autismus-Spektrum-Störungen« (Bernard-Opitz 2007, in Vorb.) und »Praktische Hilfen für Kinder mit Autismus-Spektrum-Störungen« ((Abk: ASS) Bernard-Opitz & Häussler 2010, 2013) für Kinder und Jugendliche mit einem höheren Funktionsniveau zu erweitern. Es wurde auf Anregung von Eltern und Kollegen geschrieben, die Ideen aus den bisherigen Büchern zwar hilfreich fanden, aber besonders für Betroffene mit einem höheren Funktionsniveau Unterstützung benötigen. Leider war es aus zeitlichen Gründen nicht möglich, dieses Buch wieder gemeinsam mit Anne Häussler zu schreiben. Erfreulich war dagegen, von meiner Tochter Andra durch die erfrischenden Cartoon-Zeichnungen unterstützt zu werden. Ich hoffe, sie gefallen unseren Lesern so gut wie den Kindern und Jugendlichen mit ASS.
Das vorliegende Cartoon und Skript-Curriculum für Kinder mit Autismus (CSA) ist aus der Praxis mit betroffenen Kindern und Jugendlichen entstanden. Es wurde in der Einzeltherapie, in intensiven ABA/AVT (Applied Behavior Analysis/Autismus-spezifischer Verhaltenstherapie) Haustrainings und in Sozialtrainingsgruppen umgesetzt. Hierbei sind eigene Ideen, Konzepte verschiedener Kollegen, aber auch Anregungen von Eltern, ihren Kindern und ihren Teams eingeflossen. Wir sind daher allen Beteiligten sehr dankbar. Besonders hilfreich waren die Diskussionen und das detaillierte Feedback meiner langjährigen Kollegin, Ute Genser-Dittmann (Heidelberg). Bei der Durchsicht des Curriculums hat sie immer wieder die Perspektive der Kinder und Jugendlichen eingenommen und so wesentlich zur Verständlichkeit der Cartoons beigetragen.
Auch Frau Döring vom Kohlhammer Verlag gilt mein herzlicher Dank für das gründliche Redigieren des Manuskripts und die freundliche Unterstützung.
Ziel des vorliegenden Buches ist es, Kindern mit Autismus-Spektrum-Störungen zu helfen, besser »sozial anzukommen«, Freunde zu finden, kompetentere Gesprächspartner zu sein, flexibler zu sein und hoffentlich sogar stressfreier zu leben. Viele dieser Ziele haben auch wir »Neurotypischen« als lebenslange Fernziele. Naturgemäß können nur einige wesentliche Schritte auf diesem Weg aufgezeigt werden. Dieses Buch beansprucht daher nicht, ein vollständiges Sozial- und Kommunikationstraining zu sein, sondern Orientierungspunkte und Anregungen zu einem sinnvollen Curriculum zu geben. Hierbei werden Beispiele in Form von Cartoons, Skripten, Fragen und Rollenspielen vorgegeben, die sich sowohl für Kinder ab einem Entwicklungsalter von etwa 2½ Jahren als auch für Jugendliche und zum Teil sogar Erwachsene mit ASS eignen.
Der Curriculum-Teil des Buches zeigt Langzeitziele auf, die für betroffene Kinder und Jugendliche und ihre Bezugspersonen wichtig sind. Hierzu gehört zum Beispiel das Fernziel, »beliebt zu sein und Freunde zu bekommen«. Fernziele wie diese werden von Eltern, Erziehern und Lehrern oft als zentrale Wünsche angegeben, sind jedoch sehr komplex. Durch mehrere Kurzzeitziele mit überschaubaren Aufgaben wird es realistischer, solche Langzeitziele zu erreichen. So steigt zum Beispiel die Chance, beliebt zu sein, wenn man teilt, hilft oder bereit ist für Kompromisse. Bei jedem dieser Kurzzeitziele werden Aufgaben durch Cartoons und Skripte eingeführt.
Soziale Fähigkeiten setzen zunächst voraus, dass man sich einer sozialen Situation bewusst ist und auf Kontaktangebote eingeht. Daneben sollte man seine eigenen Gefühle und Gedanken kennen und, so gut es geht, kontrollieren. Kinder müssen zu Beginn lernen, dass Menschen andere Gefühle und Gedanken haben als sie selbst. Dieses sogenannte »Einnehmen einer sozialen Perspektive« ist wichtig, um nicht nur oberflächliche soziale Floskeln zu lernen, sondern aus dem Verstehen des Gegenübers angemessen zu interagieren.
Hierbei wird durch Auswahlbilder und »Kontingenzmappen« verdeutlicht, dass positive bzw. negative Verhaltensweisen des Kindes zu positiven bzw. negativen Konsequenzen führen. Fragebögen, Rollenspiel und Videomodellierung zu dem jeweiligen Ziel legen eine Basis dafür, dass Kurzzeitziele in den Alltag übertragen werden. Hierbei werden verhaltenstherapeutische mit visuellen Methoden kombiniert.
Wir hoffen, dass die Fallbeispiele sowie das CSA-Curriculum dabei helfen, komplexe Verhaltensziele in überschaubare Schritte zu unterteilen, konkrete Aufgaben zu entwickeln und dabei gleichzeitig das Lächeln nicht zu verlieren. Fernziel muss in jedem Fall sein, dass neue Fähigkeiten nicht nur in der Therapiesituation gezeigt werden, sondern den Betroffenen helfen und in den Alltag übertragen werden.
So ist es besonders erfreulich, wenn Kinder und Jugendliche mit ASS durch neu erworbene Fähigkeiten ihre Umgebung beeindrucken wie in den folgenden Fällen:
• Eine Mutter berichtete, dass ihr sechsjähriger Sohn gelernt hat, seinen Ärger durch die »Schildkröten-Methode« zu kontrollieren (sich vorzustellen, dass er sich in seinen Panzer zurückzieht, wenn Situationen zu schwierig werden) und »Dampf abzulassen« wie sein geliebter Thomas-der-Zug. Als sie vor kurzem ihre Geduld wegen seines endlosen Geredes verlor, schlug er ihr vor: »Mami, warum probierst Du nicht einmal die ›Schildkröten-Methode‹!«
• Vor kurzem ertappte sich ein Teenager mit ASS in einem informellen Gespräch mit Gleichaltrigen und unterbrach seinen eigenen Monolog mit: »Oje, ich glaub, das war ein ›Ich-Gespräch‹ statt ein ›Wir Gespräch‹.«
Man kann sich fragen, wie viele Freundschaften, Karrieren oder sogar Ehen gerettet werden könnten, wenn die obigen sozialen Fähigkeiten und die entsprechende kommunikative Kompetenz in Schulen und Elternhäusern als genauso wichtig angesehen würden wie Lesen, Schreiben und Rechnen.
Soziale und kommunikative Fähigkeiten können Türen öffnen oder schließen. Sie entscheiden, ob jemand bereits in der Kita beliebt ist oder nicht. Sie sind oft ausschlaggebend, ob man als Erwachsener erfreuliche persönliche und berufliche Kontakte hat oder nicht. Wenn man die Wichtigkeit von sozialen Fähigkeiten bedenkt, sei es Blickkontakt, soziale Bewusstheit oder kommunikative Kompetenz, ist man erstaunt, dass sie normalerweise in der schulischen Erziehung keine Rolle spielen. Im Vergleich zu Lesen, Schreiben und Rechnen gibt es »Sozialtraining« meist nicht als gut gebundenes Buch, klar strukturierter Lehrplan oder benotetes Schulfach.
Die enorme Zunahme von ASS in den vergangenen Jahren hat besonders im englischsprachigen Bereich zu einer Zunahme an Sozialtrainingsprogrammen geführt. So gibt es zum Beispiel Programme zum »Versteckten Curriculum« (»Hidden Curriculum«, Myles et al. 2004), zum Selbstkontrollverhalten (Camp & Bash 1981; Buron & Curtis 2004), zum Erlernen von Small Talk und Kommunikation (Jenny et al. 2012) oder auch zum Erlernen, ein »Sozialer Detektiv« (Winner 2007) oder ein guter Freund zu werden (Baker 2004). Viele praktische Anregungen für das Training von Sozialverhalten in Kleingruppen erhält man unter anderem durch Trainingsprogramme wie SOKO (Häussler et al. 2003; 2011), das KOMPASS-Training (Jenny et al. 2012), das Programm Social Skills Solutions (Krempa & McKinnon 2002) oder den CAT Kit (Attwood et al. 2008). Eine gute deutsche Übersicht über Methoden und Möglichkeiten des Sozialtrainings befindet sich bei Matzies (2010).
Lernziele beziehen sich dabei selbst auf subtile Verhaltensweisen wie gemeinsamen Blickkontakt (Joint attention), Verständnis und Ausdruck von Gefühlen sowie auf verschiedene Komponenten von kommunikativer Kompetenz. Selbst die Fähigkeit, sich in andere »einzudenken« und seine Perspektive anzunehmen (sog. »Theory of Mind«, Hobson 1993; Ozonoff & Miller 1995) oder auch zu wissen, wie die eigenen Gedanken, Gefühle und das eigene Verhalten einander beeinflussen (Attwood et al. 2008), kann durch bestimmte Programme erlernt werden (s. auch Jenny et al. 2011).
Ein vielfach diskutiertes Problem von Sozialtrainingsprogrammen ist die Entwicklung von Methoden, die in den Alltag übertragen werden (siehe die ausgezeichnete Zusammenfassung von Loomis 2008). Oft ist es notwendig, Brücken zu schlagen zwischen einem Training in einer stark strukturierten Übungssituation und weniger vorhersehbaren Alltagsgegebenheiten. Ohne eine derartige »Generalisation« sind auch die besten Programme nur sehr eingeschränkt sinnvoll. Daher werden im Praxisteil dieses Buchs bei jedem Kurzzeitziel Übungen für Alltagssituationen des jeweiligen Kindes oder Jugendlichen vorgeschlagen. Eltern und Trainer können das jeweilige Ziel nicht nur durch Arbeitsblätter mit Cartoons üben, sondern erhalten durch Fragebögen, Rollenspiele und Videomodellierung Anregungen, das Zielverhalten in Alltagssituationen zu erleichtern.
Autismus-Spektrum-Störungen (ASS) sind Entwicklungsstörungen, bei denen Wahrnehmung, Kommunikation, Sozialverhalten, Spiel und Interessen gestört sind (American Psychiatry Association, 2000). Bereits im Kindergarten fallen betroffene Kinder oft durch ungewöhnliche Interessen, Rituale, nicht alters-angemessene sogenannte »Professorensprache« oder auch wiederholende Äußerungen auf. Filmskripte und Monologe statt reziproke Sprache und die Unfähigkeit, Gespräche an das Vorwissen, die Interessen und den Status des Kommunikationspartners anzupassen, sind auch für ältere Kinder und Jugendliche kennzeichnend. Für Kinder und Jugendliche mit Asperger-Syndrom oder High Functioning Autism stehen daneben mangelnde Selbstständigkeit und unzureichende Organisationsfähigkeit besonders im Vordergrund. Wenn grundlegendes Hygieneverhalten oder mangelnde Kenntnis von alltäglichen Verrichtungen nicht vorhanden sind, sind Jugendliche oder junge Erwachsene trotz eindrucksvoller Ausbildung meist beruflich nicht vermittelbar. Bei etwa 70 % der Jugendlichen mit ASS sind psychiatrische Auffälligkeiten beschrieben worden, vor allem Soziale Angst, Depression und Aufmerksamkeits-Defizit-/Hyperaktivitäts-Störungen (Simonoff et al. 2008). Viele Betroffene können Störgeräusche nicht ausblenden, soziale Signale und versteckte Regeln nicht verstehen und sich nicht in die Gedanken, Interessen und Gefühle anderer hineindenken. Während einige Betroffene angeben, Freunde haben zu wollen, sind andere am liebsten für sich und geben an, kein Interesse an Freundschaften zu haben.
• Der fünfjährige Thorsten nervt jeden in seiner Kita-Gruppe mit detaillierten Wetteransagen und Ankündigungen, dass bald ein großer Sturm kommt. Die Kinder nennen ihn den »Wetterfrosch«.
• Schiffsmodellbau ist die Leidenschaft des zehnjährigen Ben: Sein Denken und Reden kreist auch in der Schule nur um dieses Thema. Keiner will mehr mit ihm spielen.
• Der zwölfjährige Timmy besteht darauf, dass seine Familie sich morgens an der Treppe aufreiht, um die Warteschlange dann als erster die Treppe hinunterführen zu können. Ohne dieses Ritual ist »der Tag gelaufen«.
• Wenn der 17-jährige Jonas auf dem Schulhof Pärchen sieht, geht er auf sie zu und informiert sie lautstark: »Wenn Ihr Probleme habt, kommt zu mir. Ich bin der ›Liebesmeister‹.« Die resultierenden irritierten oder belustigten Gesichter nimmt er nicht zur Kenntnis.
Abstraktes Denken, Redewendungen, Problemlösen, Flexibilität und das Setzen von Prioritäten fallen Betroffenen ebenfalls oft schwer (Eagle, 2007). Auch komplexe Anweisungen können sie meist nicht verstehen, was in den folgenden Beispielen deutlich wird.
• Benjamin liest die Gebrauchsanweisung der verordneten medizinischen Mundspülung: »Gurgel mit einem Esslöffel viermal täglich.« Vehement verweigert er, das zu tun. Auf die Frage seiner Mutter, warum er nicht gurgeln will, antwortet er: »Ich will nicht mit einem Esslöffel gurgeln. Ich weiß nicht, wie das geht!!!«
• Benjamin ist sehr aufgeregt über einen Ausflug ins Legoland. Allerdings kann er bei der Ankunft nicht warten, bis er das Ticket bekommt. Seine Schwester Amy schlägt vor, dass er meditiert und dabei seine Augen schließt und tief durchatmet. Benjamin tut wie ihm vorgeschlagen wird. Amy (mit sanfter Stimme) »Und nun stellt Dir ein wunderschönes blaues Meer vor.« Benjamin (immer noch mit geschlossenen Augen): »Aber ich kann doch nicht gucken!«
Schwierig für viele Betroffene sind auch Handlungen, bei denen mehrere Dinge auf einmal oder auch sequenziell gemacht werden müssen – sogenanntes »Multitasking« ist oft unmöglich.
• Laura soll sich zum Schwimmen umziehen und kämpft mit ihrem T-Shirt, bis ihr eine Klassenkameradin hilft mit dem Hinweis »Setz doch erst mal Deinen Rucksack ab.«
• Sven soll mit seinem Bruder Tim am Sonntag das Frühstück machen. Statt – wie Tim – Wasser für den Kaffee und die Eier anzustellen und gleichzeitig zu decken, sieht er fünf Minuten verträumt zu, wie immer mehr Wasserblasen im Topf mit den Eiern hochsteigen – selbstverständlich sehr zum Ärger seines Bruders.
• Der 25-jährige Adam hat sein College erfolgreich abgeschlossen, versteht aber nicht, warum er nicht immer das teuerste Essen bei jedem Restaurantbesuch haben darf. Wenn Eltern oder Freunde darauf hinweisen, dass ihr Budget begrenzt ist, will er gar nichts mehr essen.
Dem obigen Katalog an Schwierigkeiten stehen Berichte von deutlichen Stärken gegenüber. Bereits in der Kindheit werden gute oder sogar überdurchschnittliche visuelle Fähigkeiten und Interessen deutlich. Kinder mit ASS sind oft sehr interessiert an Puzzeln, Zuordnungsspielen und Büchern. Sie erinnern Orte und Wege mühelos oder bestehen sogar darauf, dass bestimmte Wege oder Ordnungen eingehalten werden. Oft fällt daneben das Interesse an Details und das Bemerken kleinster Veränderungen auf. Viele haben ein ausgeprägtes Gedächtnis für Filmskripte oder für einmal gehörte Bemerkungen. Auch elektronische Spiele, Computerprogramme, Fernsehen oder Videofilme führen zu langfristiger Aufmerksamkeit und großer Begeisterung, die man bei sozialen Kontaktangeboten leider oft vermisst. Eltern, Lehrer und Arbeitgeber schätzen an den Betroffenen ihre Aufrichtigkeit, Direktheit, Regeltreue und Verlässlichkeit. Viele Arbeitgeber sind daneben angetan von der Genauigkeit, Zuverlässigkeit, Ausdauer und Loyalität von Beschäftigten mit ASS.
Obiges Interesse an visuellen Materialien und die Bevorzugung von voraussehbaren Ereignissen und eindeutigen Strukturen stellen eine wichtige Basis von erfolgreichen Therapieangeboten dar. Im Folgenden werden daher verschiedene ABA-Methoden sowie darüber hinausgehende strukturierte, visuelle und kognitive Methoden der Autismus-spezifischen Verhaltenstherapie (AVT) dargestellt. Diese Methoden stellen die Basis für das Cartoon und Skript-Curriculum für Autismus (CSA) dar, das im zweiten Teil des Buchs vorgestellt wird.
Autismus-spezifische Verhaltenstherapie (AVT) und Angewandte Verhaltensanalyse (ABA, Applied Behavior Analysis) umfassen ein weites Spektrum an Methoden, die nachweislich Individuen mit ASS geholfen haben (National Research Council 2001; Lovaas et al. 2003 Schreibman 2005). Durch diese Methoden sind deutliche Verbesserungen von kognitiven Fähigkeiten, Sprache, Sozialverhalten und schulischen Fähigkeiten beschrieben worden (Harris & Handleman 2000). AVT und ABA sind in Lerntheorien verwurzelt und haben als Hauptziele den Abbau von Verhaltensproblemen und die Entwicklung von angemessenen Verhaltensweisen. Hierbei gelten die Grundlagen der Lerntheorie, wonach Problemverhalten durch auslösende Ereignisse und Konsequenzen bestimmt wird, die auf das Verhalten folgen. Durch Änderung der Auslöser und Konsequenzen können Probleme verringert oder abgebaut werden. Hierbei ist eine funktionale Verhaltensanalyse zunächst nötig, um die jeweiligen Auslöser und Konsequenzen von Problemverhalten zu verstehen.
• So kann das Dazwischenrufen eines Schülers im Unterricht bedingt sein durch seinen Wunsch nach Aufmerksamkeit oder aber auch durch mangelnde Sensibilität für die Blickrichtung des Lehrers. Je nach Bedingung werden gezielte Programme entwickelt, um das Verhalten zu normalisieren.
− So sollten im ersten Fall keineswegs Zwischenrufe zu Aufmerksamkeit des Lehrers führen, sondern angemessenes Sich-Melden verstärkt werden.
− Sofern der Betreffende demgegenüber subtile Ansprachen des Lehrers nicht mitbekommt, kann eine klare Absprache mit einem deutlichen Hinweis wie Zeigen oder Namensnennung die Situation verbessern.
Auch wenn bei den folgenden Therapiebeispielen nicht direkt auf Verhaltensanalysen hingewiesen wird, sind diese ein wichtiger Bestandteil jeder umfassenden Therapieplanung. Für ausführlichere Darstellungen siehe Bernard-Opitz (2007, in Vorb.) und Cooper & Heward (2006).
In den vergangenen Jahren hat sich das Spektrum von Individuen mit ASS erheblich erweitert, was entscheidende Konsequenzen für Therapieansätze hat. Um sowohl dem nicht-verbalen Kind mit schwerem Entwicklungsrückstand gerecht zu werden als auch dem hochintelligenten Jugendlichen oder Erwachsenen mit sozialer Beeinträchtigung, ist ein Spektrum von Therapiemethoden notwendig. So reichen die traditionellen Methoden von ABA – speziell das Diskrete Lernformat – für Betroffene am oberen Ende des Spektrums meist nicht mehr aus; sie müssen ergänzt werden durch neuere ABA-/AVT-Methoden, wie natürliches Lernen, visuelle Hilfen und Methoden der kognitiven Verhaltenstherapie.
Der folgende Überblick fasst die Methoden zusammen, die in das vorgelegte Cartoon und Script-Curriculum für Autismus (CSA) eingegangen sind. Da es hierbei um den Aufbau erweiterter Kommunikation und Sozialverhalten geht, wurde die folgende Tabelle (aus Bernard-Opitz 2007, in Vorb.) um kognitive verhaltenstherapeutische Ansätze sowie Soziale Skripte ergänzt.
Methoden Autismus-spezifischer Verhaltenstherapie und des Cartoon und Skript-Curriculum für Kinder mit ASS
Lernprinzip Eigenschaften Beispiele für spezielle Methoden