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In den letzten zehn Jahren hat die Zunahme von Autismus-Spektrum-Störungen die Frage nach wirksamen und wissenschaftlich anerkannten Therapien in den Mittelpunkt gerückt. Ausgehend von den Erfolgen der intensiven Frühförderprogramme in den USA ist auch in Deutschland ein zunehmendes Interesse an ABA (Applied Behavior Analysis) und AVT (Autismus-spezifischer Verhaltenstherapie) zu beobachten. ABA/AVT wird als eine optimistische Methode zur Veränderung von Problemen und der Entwicklung von Fähigkeiten beschrieben, die von Fachkräften wie auch Eltern und Hausteams erlernt werden kann. Therapeutische Hilfen werden konkret dargestellt, wobei die Leser einen Einblick in traditionelle und neue verhaltenstherapeutische Strategien erhalten. Wir hoffen, dass dieser Band der Serie "Autismus Konkret" schwerer und leichter beeinträchtigten Kindern und Jugendlichen eine echte Chance zu einer Entwicklung gibt, so dass eine Teilhabe am Leben der Gemeinschaft möglich wird.
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Seitenzahl: 87
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• Lernen mit ABA und AVT (Vera Bernard-Opitz/Christos Nikopoulos)
• Anders denken lernen – Kognitive Verhaltenstherapie (Jed Baker)
• Lernen von positiven Alternativen zu Verhaltensproblemen (Vera Bernard-Opitz)
• Lernen durch visuelle Hilfen (Anne Häussler)
• Lernen im Sekundentakt – Präzisionslernen (N.N.)
• Lernen durch Apps (N.N.)
• Lernen durch Videomodellierung (Christos Nikopoulos)
• Lernen von Spiel und Beziehungen zu Gleichaltrigen: Integrierte Spielgruppen (Pamela Wolfberg)
• Lernen im inklusiven schulischen Setting (Britta Schirmer)
• Lernen im Alltag – Natürliches Lernen (Hans-Rüdiger Röttgers)
• Die Suche nach den Ursachen von Autismus-Spektrum-Störungen (Hans-Ulrich Bernard)
• Medikamentöse Hilfe (Luise Poustka)
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1. Auflage 2017
Alle Rechte vorbehalten
© W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart
Gesamtherstellung: W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart
Print:
ISBN 978-3-17-031675-1
E-Book-Formate:
pdf: ISBN 978-3-17-031676-8
epub: ISBN 978-3-17-031677-5
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Das afrikanische Sprichwort »It takes a village to raise a child«/Deutsch: »Es braucht ein Dorf, um ein Kind zu erziehen«« gilt sicherlich auch für Kinder und Jugendliche mit einer Autismus Spektrum Störung (ASS). Und vielleicht braucht es sogar mehr als ein Dorf: nämlich das Wissen von Spezialisten in verschiedenen Ländern, die sich Autismus Spektrum Störungen auf ihre Fahnen geschrieben haben. Ziel unserer Reihe »Autismus Konkret« ist es daher, das Wissen internationaler Experten zu relevanten Themen zu bündeln und Eltern, Therapeuten, Lehrer und anderen Fachkräften dieses Wissen in leicht verständlicher Form und so konkret wie möglich zur Verfügung zu stellen.
Oft ist es nicht einfach, Betroffenen mit ASS zu helfen. Eltern und Fachkräfte wissen, dass Zeit besonders kostbar ist, wenn es darum geht, effektiv Veränderungen zu bewirken. Daher sollten Erklärungsmodelle und Hilfen bewährt und wissenschaftlich anerkannt sein. Wir haben daher Kollegen in Deutschland, Österreich, England und den USA gebeten, ihr Spezialwissen über bestimmte evidenzbasierte und praxiserprobte Therapiemethoden in kurzer, konkreter Form mit unseren Lesern zu teilen.
Hierbei wird ein Einblick in folgende Themen gegeben: Lernen durch ABA und AVT, Anders denken lernen – Kognitive Verhaltenstherapie zum Abbau von Frustration und Ängsten und zum Aufbau von sozialen Fähigkeiten, Lernen von positiven Alternativen zu Verhaltensproblemen, Lernen im Alltag – Natürliches Lernen, Lernen im Sekundentakt – Präzisionslernen, Lernen durch Apps, Lernen durch visuelle Hilfen, Lernen durch Videomodellierung, Lernen von Spiel und Beziehungen zu Gleichaltrigen: Integrierte Spielgruppen, Lernen im inklusiven schulischen Setting, Medikamentöse Hilfe und die Suche nach den Ursachen von Autismus-Spektrum-Störungen.
Wir hoffen dass die Bände unserer Reihe »Autismus Konkret« Eltern und Kollegen helfen, Ursachen besser zu verstehen und wissenschaftlich anerkannte Therapiemethoden kennenzulernen. Hierbei wünschen wir, dass jeder Praxisband der Serie einen Beitrag leistet, therapeutische Hilfen für Betroffene mit ASS konkreter zu machen und Kindern und Jugendlichen mit ASS eine echte Chance zu geben, sich so zu entwickeln, dass eine Teilhabe am Leben der Gemeinschaft auch tatsächlich möglich wird. Und dazu braucht es sicher »Mehr als ein Dorf«.
Dr. Vera Bernard-Opitz, Herausgeberin der Reihe, Irvine, November 2016
Vorwort zur Reihe »Autismus Konkret«
Einführung
1 Was versteht man unter Verhaltenstherapie, ABA und AVT?
1.1 Was ist Verhaltenstherapie (VT)?
1.2 Anfänge von ABA
1.3 Was ist die »Lovaas-Therapie«?
1.4 Was ist ABA?
1.5 Wie unterscheidet sich ABA von AVT?
2 Vorurteile gegenüber Verhaltenstherapie und ABA/AVT
2.1 Was wird kritisiert?
2.2 Ist es verantwortlich nichts zu tun?
3 Welche Therapiemethoden gelten als nachweislich wirksam?
3.1 Was ist wissenschaftliche Evidenz?
3.2 Evidenz für ABA/AVT
4 Schlüsselstrategie Motivation
4.1 Was sind Verstärker?
4.2 Wie kann man Verstärker finden?
4.3 Münzverstärkung
5 Beispiele und konkrete Schritte von ABA/AVT-Methoden
5.1 Diskretes Lernformat
5.2 Präzisionslernen
5.3 Visuelle Hilfen
5.4 Natürliches Lernen/Pivotal Response Training
5.5 Verbales Verhalten/Verbal Behaviour
5.6 Kognitive Verhaltensmodifikation
6 Welche Lernformate werden für wen und welches Ziel eingesetzt?
7 Trainings- und Ausbildungsmöglichkeiten in ABA/AVT
7.1 Trainingsmöglichkeiten für Eltern und Hausteams
7.2 Autismus Zertifikat –Jacobs University of Bremen
7.3 Münsteraner Intensivprogramm für Kinder mit ASS (MIA)
7.4 Zertifikate des amerikanischen BACB
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Board
8 Schlussbemerkung
Literatur
Zu den Autoren
Kaum eine Therapiemethode hat bei Eltern von Betroffenen mit einer Autismus Spektrum Störung (ASS) so viel Hoffnungen, aber auch Ängste und Vorurteile hervorgerufen wie ABA, was für Applied Behavior Analysis steht. Während diese Methode besonders in den USA und Kanada aufgrund der jahrelangen Forschungsergebnisse als weit verbreitete »evidenzbasierte Therapie« gilt, steht sie in Deutschland und Teilen Europas derzeit nur wenigen Betroffenen zur Verfügung. Der vorliegende Band der Praxisserie »Autismus Konkret« soll daher auch deutschen Eltern und Fachkräften einen Einblick in die Entwicklungen, Methoden und praktischen Strategien von ABA und seinem deutschen Gegenstück AVT, Autismusspezifischer Verhaltenstherapie, geben.
Im Folgenden wird dargestellt, was man unter Verhaltenstherapie versteht, was wesentliche Kennzeichnen von ABA sind und welche Methoden unter AVT zusammengefasst werden. Daneben wird auf Vorurteile gegenüber der Methode und den derzeitigen Stand der Diskussion hingewiesen. ABA/AVT wird als eine optimistische Methode zur Veränderung von Problemen und Defiziten dargestellt, die von Eltern, Hausteams und Fachkräften erlernt werden kann. Hierbei wird das Kontinuum von ABA/AVT-Strategien aufgezeigt, das vom Diskreten Lernformat zu spielerischen und kognitiven Interventionen geht und konkrete Hilfen für schwerer und leichter Beeinträchtigte mit ASS anbietet.
Der Erfolg von ABA/AVT-Programmen und die große Akzeptanz in angloamerikanischen oder anderen europäischen Ländern sollte auch in Deutschland bekannter werden. Hierzu wird auf Trainingsmöglichkeiten für Eltern und Hausteams sowie Ausbildungsmöglichkeiten hingewiesen. Diese können sowohl in Workshops, Haustrainingsprogrammen, Online-Fortbildungen oder Aus- und Fortbildungsinstituten ermöglicht werden. Der vorliegende Beitrag versteht sich dabei als eine erste Einführung in ABA/AVT-Methoden für Eltern, Erzieher, Lehrer, Ärzte, Psychologen, Therapeuten, Schulbegleiter und Studenten.
Wir hoffen, dass dieser Band der Serie »Autismus Konkret« einen Beitrag leistet, therapeutische Hilfen für Betroffene mit ASS konkreter zu machen und Kindern und Jugendlichen mit ASS eine echte Chance zu geben, sich so zu entwickeln, dass eine Teilhabe am Leben der Gemeinschaft auch tatsächlich möglich wird.
Wir bedanken uns bei Frau Filbrandt und Herrn Dr. Poensgen vom Kohlhammer-Verlag für die hervorragende Unterstützung dieser Serie, bei Kollegen für wichtige Anregungen sowie bei Eltern und Kindern für ihre Offenheit, Lernbereitschaft und viele gute Ideen. Auch für das Einverständnis der Eltern zur Veröffentlichung von Photos ihrer Kinder ganz herzlichen Dank.
Vera Bernard-Opitz, Psychologische Psychotherapeutin, BCBA-D, Irvine, Hildesheim, AVT-Praxis und Online-Beratung.
Christos Nikopoulos, BCBA-D, London, Autism Consultancy Services Ltd
November 2016
Während der Begriff der Verhaltensmodifikation mehr als 100 Jahre alt ist, sind die Prinzipien, dass Menschen durch positive und negative Konsequenzen lernen, vermutlich so alt wie die Menschheit. Es war immer schon selbstverständlich, dass Kinder lernen mussten, sauber zu werden, ihre Wünsche zu äußern und mit anderen angemessen zu interagieren. Auch sollten sie lesen, schreiben, rechnen und arbeiten lernen, wobei Sternchen, gute Noten und später ein Gehalt ein Anreiz für gute Leistung waren. Auch heute freuen sich die meisten Erwachsenen über Lob, vermeiden Tadel, Strafzettel oder Punkte für Verkehrsdelikte und verstärken sich selbst mit Kaffee, Tee, gutem Essen oder Musik. All diesem Verhalten im Alltag liegen Lerngesetze wie operante Konditionierung, Modelllernen oder Shaping zugrunde, die ebenfalls Komponenten sind für ABA-Programme.
Die erste Therapie, die Verhaltenstherapie genannt wurde, war die systematische Desensibilisierung, mit der zunächst Ängste vor Katzen oder Schlangen erfolgreich behandelt wurden (Wolpe, 1958). Durch Kombination von körperlicher Entspannung und schrittweiser Annäherung an den Angstreiz konnten auch bei Betroffenen mit ASS umschriebene Ängste (sog. Phobien) abgebaut werden.
So zeigte der 8-jährige Noah panikartiges Verhalten, wenn er zum Frisör sollte oder seine Nägel geschnitten wurden. Die Eltern erstellten eine Hierarchie von Situationen mit leichter Ängstlichkeit zu höchster Angststufe. Noah lernte zunächst, dass eine Nagelschere auf dem Tisch vor ihm okay war, wenn man dabei iPad®spielen durfte. Er tolerierte auf der nächsten Stufe auch das Geräusch der Schere, wenn diese ca. 30 cm weg von ihm gehalten wurde. Mit Entspannung durch das iPad®konnte sich die Schere auch seinen Nägeln nähern und schließlich seine Nägel schneiden. Als der zusätzliche Anreiz gegeben wurde, nach dem Nägelschneiden sein Kettcar fahren zu dürfen, las er sogar den Satz vor »Jeff, bitte schneide meine Nägel« und nahm den anschließenden Applaus seiner Eltern mit einem großen Lächeln entgegen.
Verhaltenstherapeuten gehen davon aus, dass Verhalten nicht durch unbewusste Prozesse bestimmt wird, sondern vor allem erklärt werden kann durch beobachtbare vorausgehende Bedingungen und nachfolgende Konsequenzen. So können Ängste wie die im obigen Beispiel vor dem Haareschneiden oder vor
Abb. 1.1: Durch schrittweise Annäherung an eine bedrohlich erlebte Situation können Ängste abgebaut werden
bestimmten Geräuschen, Angst vorm Fliegen, vor einem Pflaster, Spritzen oder sogar dem einfachem Zähneputzen in vielen Fällen durch die Theorie der Klassischen Konditionierung erklärt werden. Grundlage hierfür sind die Beobachtungen der ersten Lerntheoretiker, dass eine wiederholte Kombination von einem neutralen Reiz (wie im obigen Beispiel der Anblick einer Schere) mit einem furchtauslösenden Reiz (wie dem Geräusch des Schneidens, Berührung oder Schmerz) dazu führen kann, dass bereits der Anblick der Schere die Angstreaktion auslöst (Pavlov, 1903). Durch Gegenkonditionierung mit entspannenden Reizen konnten dabei zahlreiche Ängste abgebaut werden.
Während die ersten Behavioristen lediglich das sichtbare Verhalten des Individuums betrachteten, wurden ab den 1970er-Jahren die nicht-sichtbaren Gedanken, Denkstile, Gefühle und körperlichen Prozesse mit in die Beobachtung einbezogen. Um diese Unterschiede zu betonen, wird Verhaltenstherapie zum Teil unterschieden von kognitiver Verhaltensmodifikation.