Erhalten Sie Zugang zu diesem und mehr als 300000 Büchern ab EUR 5,99 monatlich.
Mit meisterlichem Geschick lässt Regine Baumgärtel seit mehr als zehn Jahren die Autoren der von ihr ins Leben gerufenen Burghauser Schreibwerkstatt mal leichtere, mal schwerer verdauliche Kost aus Prosa und Lyrik zu Papier bringen. Die von ihr ausgewählten Gedichtformen sind ebenso vielfältig wie die Themen: Ob Akrostichon, Elfchen oder Haiku, ob Heiteres, Kulinarisches oder Nachdenkliches.
Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:
Seitenzahl: 108
Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:
Das besondere Menü
Ursula Güntner
Lesen
Christin-Maria Rupp
Die Weißwurst
Daniela Clausen
Saure Heringe
Marion Capell
Ehrlich währt am längsten
Margit Prinz
Leben
Marion Capell
Der Aufstand der natürlichen Aromen
Margit Prinz
Die Macht der Gewürze
Jörg Eschenfelder
Schokohase sucht Knuddelbär
Gina Dennehy
Mord und Totschlag
Margit Prinz
Ordnung muss sein
Jörg Eschenfelder
Kinderspiele
Regine Baumgärtel
Eingesperrt
Wolfgang Fauska
Winters bitterkalt
Marion Capell
Übergänge vom Meer zum Himmel
Ilse Hacker
Morgen ist heute schon gestern
Marion Capell
Missverständnisse
Ilse Hacker
Novembersonne
Regine Baumgärtel
Stille im Raum
Ilse Hacker
Farben
Marion Capell
Stille
Ilse Hacker
Apfelbaum
Gina Dennehy
Lebenswert
Walburga Hütter
Tägliche Begleiter im Wandel der Zeit
Marion Capell
Not macht erfinderisch
Jörg Eschenfelder
Corona-Zeit
Regine Baumgärtel
Eile, eile … oder?
Ulrike Ott
Beobachtungen
Ursula Güntner
Ich ging im Städtchen ...
Monika Hausladen
Burghauser Tagesgedichte
Regine Baumgärtel
Corona
Marion Capell
Lebenszeichen
Gina Dennehy
Rendezvous mit Tante Theresa
Walburga Hütter
Vertrauen
Margit Prinz
Scheiß-Diktatur
Regine Baumgärtel
Ruhig bleiben
Margit Prinz
Wenn ich einen Wunsch frei hätte
Jörg Eschenfelder
Kleine Trennung und ein unerwartetes Geschenk
Ilse Hacker
Sehnsuchtsort
Walburga Hütter
Sehnsuchtsort: Mit dem Heißluftballon über dem Grand Canyon
Marion Capell
Der Sehnsuchtsort, an dem ich gerade nicht sein kann
Ulrike Ott
Kommunikationsunfall
Ilse Hacker
Das Nichts
Jörg Eschenfelder
Das Nichts
Ulrike Ott
Ein Tag im Büro
Jörg Eschenfelder
Jugendtraum
Daniela Clausen
Liebe in der Savanne
Jörg Eschenfelder
Der Schlüssel
Wolfgang Fauska
Die alte Bibliothek
Christin-Maria Rupp
Das kleine Licht
Wolfgang Fauska
Aufbruch
Christin-Maria Rupp
Die Geschichte vom Überfluss oder was es wirklich braucht, um glücklich zu sein
Ulrike Ott
Plitschs großes Abenteuer
Gina Dennehy
Die Verwandlung – eine Geschichte von besonderen Ereignissen
Christin-Maria Rupp
Und als Digestif – ein Nachwort
Regine Baumgärtel
Ursula Güntner
KELLNER: Guten Tag, meine Herrschaften, dieser Tisch ist für Sie reserviert. Bitte nehmen Sie Platz. Darf ich Ihnen das besondere Menü des Tages anbieten? Es gibt Wörtersalat mit Vokaldressing, gefolgt von einem Widerwortauflauf mit spritziger Modewörtersauce – und als Nachspeise empfehle ich Ihnen ein wortgewandtes Lyrikparfait.
GAST 1: Das klingt ja fantastisch! Allerdings hätte ich lieber ein heißes Krimidinner mit einer Flasche Wortschwall.
GAST 2: Das ist mir alles zu viel Kladderadatsch! Bringen Sie mir bitte trockenen Prosakuchen mit weiser Schokolade.
GAST 3: Bei dieser Auswahl ist die Entscheidungsfindung wirklich eine Qual! Ich nehme einen großen Kaffeesatz mit beschwipsten Hohnpralinen.
GAST 4: Was ich nicht finden kann, sind die überbackenen Wortgefechte mit gesprochenem Käse. Der Koch sollte sich anstrengen! Wenn die Zubereitung nicht möglich ist, dann nehme ich Lesefrüchte mit Quasseltee, aber ohne Lückentext.
GAST 5: Heute will ich etwas Neues versuchen! Ich lese gerade, es gibt kandierte Aphorismen mit Elfchenpürree.
GAST 6: Ich bleibe bei meinem bewährten Geschichteneintopf mit Romanschinken und zur besseren Verdauung einen Zungenbrecherschnaps.
KELLNER: Meine verehrten Herrschaften, das erlesene Wörtercafé wird alles zu Ihrer Zufriedenheit erdichten.
Der Kellner deckt den Tisch mit leeren Worthülsen, in denen die Sprachhilfen stecken. Dazu Servietten aus chlorgebleichten, blanken Buchseiten.
Christin-Maria Rupp
In verschiedene Welten eintauchen
Schriftsteller kennenlernen
Lesebrille suchen, putzen, aufsetzen
Buch in die Hand nehmen
Teetrinken und lesen
Halbe Stunde Urlaub machen, lesen
Apfel essen, Schokolade naschen, lesen
Leseecke, Leseratte, Bücherwurm
Vorlesen, querlesen, überlesen
Ablesen, auflesen, schnelllesen
Buchstabe für Buchstabe
Wort für Wort
Satz für Satz
Seite für Seite
Kapitel für Kapitel
Buch für Buch
Inhalte in sich aufnehmen, lesen
Zeitung lesen, raschelnd, knisternd
Selbstgeschriebenes lesen
Süchtig werden nach Lesestoff
Eintauchen, sich informieren, weiterbilden
Entspannen, erkennen, sich verbinden
Auf dem Handy ohne Ton leise lesen
Ersetzt Hören das Lesen?
Doch Lesen geht auch anders:
Apfellese, Birnenlese, Traubenlese –
Handverlesenes besonders kostbar
Daniela Clausen
Keine andere Speise führte während meiner Kindheit zu größeren Missverständnissen in unserer Familie als dieses Nationalgericht.
In den Ferien besuchen wir regelmäßig meine Oma in Bayern. Das find ich irgendwie doof, weil meine Freunde erzählen, wie sie ans Meer fliegen oder nach Amerika – und ich fahr nach Bayern. Mein Papa sagt, Bayern ist auch irgendwie Ausland. Meine Oma spricht ganz komisch, aber weil meine Mama genauso mit uns redet, können wir sie meistens verstehen.
Normalerweise fahren wir in der Nacht los, weil da nicht so viel Verkehr ist. Beim Autopacken müssen wir ganz leise sein, damit wir den Nachbarn nicht aufwecken. Aber ich glaube sowieso nicht, dass unser Nachbar überhaupt schläft, weil er immer ALLES weiß, was bei uns auf dem Hof passiert.
Wenn wir dann am Nachmittag bei meiner Oma ankommen, gibt es Brezeln und Weißwürste. Meine Oma kann gar nicht glauben, dass es so etwas bei uns nicht gibt, und darum muss mein Opa für uns extra viele Brezeln kaufen. Die Brezeln mag ich total gerne – die Weißwurst ist eklig! Man kann die Haut nicht mitessen und muss die ganz kompliziert abpellen. Und man darf keinen scharfen Senf dazu essen.
Meine Schwester hat Glück, weil sie sich beim Essen ständig so anstellt. Darum sagt keiner was und ist froh, wenn sie zumindest die Brezel isst.
Aber ich esse immer alles auf und mag eigentlich alles – nur keine Weißwurst!
Meine Mama sagt, sie mag die Weißwurst auch nicht so gerne, aber Oma will ihr eine Freude machen, weil es die bei uns nicht zu kaufen gibt. Darum wäre es unhöflich, sie dann nicht zu essen. Mein Papa kaut immer verdächtig lange auf der Wurst herum, aber ich glaube, er traut sich auch nichts zu sagen. Also würge ich brav meine Weißwurst runter, weil die Erwachsenen dann zufrieden mit mir sind – und die Erwachsenen, damit Oma gute Laune hat!
Als ich Jahre später meine Oma allein besuchte und die Sprache auf unsere Familienurlaube bei ihr kam, offenbarte ich ihr, dass wir nichts gruseliger fanden, als nach neun Stunden Autofahrt in eine Weißwurst beißen zu müssen. Ihre Erklärung überraschte mich: »Was hätte ich denn machen sollen? Weißwürste sind schnell aufgewärmt und ohne große Vorbereitung auf dem Tisch. Und ich wusste ja nie genau, wann ihr ankommt. Wenn es dir hilft: Ich habe sie auch nur wegen euch gegessen.«
Marion Capell
Wir liebten sie – nicht nur, weil es sie so selten gab, sondern vor allem, weil wir sie uns regelrecht erliefen, erschlichen, mitunter sogar erkämpften.
Meine Mutter stand stundenlang in der Küche, nahm die frischen Heringe, die mein Vater vom Hamburger Fischmarkt mitgebracht hatte, aus, säuerte und panierte sie, briet sie einzeln in der Pfanne und legte sie dann in einem leckeren Essigsud ein. Und immer hieß es: »Die müssen aber noch mindestens vier bis fünf Tage ziehen!« Und gleich danach verschwand die Terrine mit den eingelegten Fischen im Keller.
Die Wartezeit fiel schwer, das »Aber« hatte stets davor gewarnt, was jedes Mal aufs Neue passierte: Jeder von uns schlich sich spätestens nach einem Tag qualvollen Ausharrens mit einem kleinen Teller und einer Gabel in den Keller, wohl darauf bedacht, weder beim Runtergehen gesehen noch beim Essen ertappt zu werden. Das benutzte Geschirr musste zudem so unauffällig wie möglich wieder zurück in die Küche gebracht, gespült und aufgeräumt werden, damit nicht auffiel, dass es weg gewesen war.
Und so minimierte sich der Fischbestand täglich, mitunter sogar mehrmals täglich. Von Tag zu Tag schmeckten die Heringe besser.
Als es dann endlich soweit war, dass es sie zusammen mit besonders krossen Bratkartoffeln zum sonntäglichen Mittagessen hätte geben sollen, schwamm für jeden von uns gerade mal noch ein Fischlein einsam in der Maische.
Am Ende des nunmehr alles andere als opulenten Mahls beichteten wir der Reihe nach, wer sich wann wie viele Fische vorab geangelt hatte – und wir hatten große Freude an unseren »gel(i)ebten Heimlichkeiten«.
Margit Prinz
»Schau, was ich dir mitgebracht habe.« Freudestrahlend hielt Tante Anni dem Maxi ein kleines Marzipanschweinchen entgegen.
»Danke«, kam Mama ihrem Sohn zuvor, »Marzipan ist immer gut. Das wird dem Maxi schmecken.«
Ungläubig blickte Maxi zu seiner Mama hoch und glaubte, nicht richtig zu hören. Er hasste Marzipan und die Farbe Rosa außerdem. Er blieb tapfer stehen, als sich die Tante zu ihm hinunterbeugte und ihm einen dicken Schmatz auf die Wange drückte. Verstohlen wischte er sich mit dem rechten Handrücken über die feuchte Stelle, während Mama das kleine in Zellophan gehüllte Tierchen an Maxis Stelle annahm und als Hauptattraktion der Kaffeetafel zwischen die Tischdekoration aus sandfarbenen Schmucksteinen stellte.
Das fing ja gut an. Die Tante durfte auf keinen Fall verärgert werden, das hatte ihm Mama eingeschärft. Denn Papas Tante – eigentlich seine Großtante und Omas Schwester – hatte vor kurzem ihren geliebten Dackel zu Grabe tragen müssen, und da wollte man ihr nicht noch mehr Kummer bereiten.
Im Laufe der Jahre wurden aus Schweinchen Schweine – faustgroße, handballgroße, fußballgroße. Es war schrecklich. Keiner in der Familie mochte Marzipan, und bald war es viel zu spät oder zumindest viel zu peinlich, um den Irrtum aufzuklären.
Die spendable Tante schenkte mittlerweile nicht nur Schweine, sondern auch Tütchen mit Marzipankartoffeln als Futter, wie sie augenzwinkernd erklärte.
Das Gegenteil von gut ist gut gemeint. Und die Tante meinte es richtig gut.
Die Schweine und ihr Kartoffelfutter wurden diskret an Freunde verschenkt, und so entfaltete Mamas Lüge erst zwanzig Jahre später bei Maxis Hochzeit ihre volle Wucht.
Die Tante bestand darauf, eine Hochzeitstorte mit drei Etagen zu organisieren. Die unterste und größte Torte war – zum Glück – eine gewaltige Schwarzwälder Kirsch mit frischen Prachtexemplaren von Kirschen. Die zweite Etage besetzte – auch zum Glück – eine wunderbare Nusstorte mit Walnüssen. Gekrönt wurde der Tortenturm von einer kleinen, rosafarbenen, marzipanverzierten Torte. Es hätte schlimmer kommen können.
Als Maxi mit seiner Maximiliane die Hochzeitstorte anschnitt, stand Onkel Adolf, der schon seit dem Mittagessen kräftig dem Alkohol zugesprochen hatte, bereits mit seinem leeren Kuchenteller neben dem Hochzeitspaar. Die Fotografen versuchten vergeblich, ihn wegzuwinken. Er bekam ein Stück Marzipantorte. Er streckte den Kuchenteller weit von sich in Richtung Hochzeitsgesellschaft. »Wer mag Marzipan?«, fragte er dröhnend in den Saal hinein. »Kein Mensch!«, gab er sich selbst die Antwort. »Dem Maxi wird schlecht von Marzipan, stimmt‘s Maxi?« – »Stimmt«, antwortete er wieder selbst.
Es stimmte tatsächlich. Onkel Adolf hatte dem seinerzeit kleinen dreijährigen Maxi sein erstes Marzipan verabreicht. Er hatte es selbst geschenkt bekommen und loswerden wollen. Maxi war damals etwas blass geworden und hatte es ausgespuckt, was der Onkel jetzt lautstark in der im Übrigen peinlichen Stille zum Besten gab.
Blass war nun Tante Anni. Aber nicht lange, dann begann sie schallend zu lachen. Auch sie mochte kein Marzipan. Ein lieber Nachbar hatte ihr vor zwanzig Jahren zum Trost für den Verlust ihres Dackels ein kleines Marzipanschweinchen geschenkt, das sie nicht ablehnen konnte.
Marion Capell
Sie kannten sich schon lange und galten als Traumpaar: Regina und Reginaldus. Ihre Namen verrieten bereits, dass sie zueinander gehörten.
Regina, eine Frau im besten Alter, lernte Reginaldus kennen, als er mit 17 seine Baaderlehre begann. Es war Liebe auf den ersten Blick.
Nach kurzer Zeit nahmen sie sich zusammen eine Wohnung und planten ihre gemeinsame Zukunft. Sie waren glücklich und beide beruflich erfolgreich.
Dann sagte sich Nachwuchs an. Reginaldus wusste nicht, ob er sich darüber freuen sollte oder nicht. Wie immer, wenn er keine Ordnung in seiner Gefühlswelt hatte, spielte er verlegen an seinem rechten Ohrläppchen – für Regina das Zeichen, all ihre weiblichen Reize einzusetzen, um ihn auf den »richtigen« Weg zu bringen.
Dieses Mal entschied sie sich ob der Wichtigkeit und der Bedeutung des Anlasses, ihm im durchscheinenden Seidennegligé ein ganz besonderes Abendessen in stilvollem Ambiente zu kredenzen. Zur Krönung der Tafel stellte sie den silbernen Kerzenleuchter, den sie zur Hochzeit geschenkt bekommen hatten, mit ihrer lange aufbewahrten Taufkerze auf den Tisch – sie wollte »Ankommen« signalisieren.
Mit viel Aufwand kochte sie das Essen, bereitete neben der Hauptspeise einen Salat als Starter und ein Schokoladenmus zum Kaffee »danach« zu.
Alles lief wie am Schnürchen, war nach ein paar Stunden perfekt – genau so, wie sie es wollte.
Freudig überrascht und erregt begann Reginaldus mit der Vorspeise, genoss den leichten Weißwein dazu, den sie so gekühlt hatte, wie er es liebte. Sie umgarnte ihn. Er konnte seine Augen nicht von ihr lassen – sie war so wunderschön in ihrem Hauch von Nichts, als sie ihm das Hauptgericht auftischte: Risotto à la casa mit Fungi und Parmesansauce an gebratenen grünen Tomaten. Er aß mit Wonne, es schmeckte vorzüglich.
Noch vor dem Dessert jedoch schlief er ein, sein Kopf fiel schwer auf den Tisch ... und sie stand auf, lächelte und ging schlafen.