Von der Psychotherapie-Wissenschaft zur Kunst der Psychotherapie -  - E-Book

Von der Psychotherapie-Wissenschaft zur Kunst der Psychotherapie E-Book

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Beschreibung

Es geht um unsere psychotherapeutische Identität und um unsere Zukunft. Denn wer oder was ich als Psychotherapeut bin und künftig sein werde, liegt nicht nur in meiner Hand. Ein neues Gesetz kann mir ganz einfach und ganz schnell meine bisherige Identität nehmen und mir eine neue überstülpen. Manche meinen, sie seien als Psychotherapeuten zugleich oder zuvorderst Wissenschaftler. Sie haben es gut, denn ihnen wird nichts weggenommen. Andere haben den Eindruck, dass die Wissenschaft ihnen zwar ihren akademischen Basisberuf vermittelte, aber dass das Wesentliche erst außerhalb der Universität gelernt wurde – in der Arbeit mit Patienten – zunächst noch unter Supervision. D. h. dass für sie Psychotherapie mehr ist als Wissenschaft und mehr als Wissenschaftler lehren können. Wissenschaft ist zwar die unentbehrliche Grundlage, das Fundament, aber die Psychotherapie ist das Haus, das auf diesem Fundament gebaut wurde. Auch wenn Wissenschaftler heute mehr denn je sehr bedeutsame Erkenntnisse vermitteln, so können sie als Nebenberufs-Psychotherapeuten doch nicht die Kunst dieser Heilkunde als erfahrener Lehrer weitergeben. Man kann nur weitergeben, was man selbst hat. Und die notwendige Expertise kann nicht im Nebenberuf so umfassend erworben werden, dass man diese Kunst lehren kann.

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Vorwort des Herausgebers

TEIL IGUTE PSYCHOTHERAPIE

01

Psychotherapie als Profession

Aus der Einleitung zum gleichnamigen Buch von 1999

Michael B. Buchholz

02

Was wirkt in der Praxis der psychotherapeutischen Patientenversorgung?

Auf dem Weg zu einer echten Partnerschaft zwischen Psychotherapeuten und Wissenschaftlern

Drew Westen

03

Psychotherapeuten sollten zu Experten ausgebildet werden

Rainer Sachse

04

Von der Psychotherapie-Wissenschaft zur Kunst der Psychotherapie

Serge Sulz

05

Der wissenschaftliche Zugang der Hermeneutik zur Psychotherapie

Hans-Joachim Hannich

TEIL IIGUTE PSYCHOTHERAPIE-AUSBILDUNG

06

Die Vielfalt nutzen

Versuch der Methodenintegration als Merkmal moderner Verhaltenstherapie Ausbildung am Beispiel der AKJP Ausbildung in Osnabrück

Martin Brentrup & Josef Könning

07

Selbsterfahrung für Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten

Berufsbezogene Selbsterfahrung in der AKJP-Ausbildung an der Akademie für Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie Osnabrück

Bernhard Kleining

08

Keine Approbation ohne Behandlungskompetenz

Kunst-Handwerk lernt man nicht im Hörsaal

Florian Sedlacek

09

Qualifizierte Psychotherapie für Kinder und Jugendliche

Alfred Walter

10

Psychotherapeutische Hochschulen

Sind die heutigen Ausbildungsstätten auch heilberufliche Hochschulen neuen Typs?

Hamid Peseschkian

11

Das Studium der Psychotherapie-Wissenschaft

Qualitätskriterien und Mängelliste

Serge Sulz

12

Die Psychotherapie-Weiterbildung

Qualitätskriterien und Mängelliste

Serge Sulz

ANHANG

Das neue Gesetz als Bundespsychotherapeutenordnung

dgkjpf-Vorschlag für ein neues Psychotherapeutengesetz

Serge Sulz

Die Approbationsordnung für PsychotherapeutInnen

dgkjpf-Vorschlag für eine neue Approbationsordnung

Serge Sulz

Weiterbildungsordnung für PsychotherapeutInnen

dgkjpf-Vorschlag für die künftige Weiterbildung

Serge Sulz

Praktische Ausbildung im Direktstudium der Psychotherapie-Wissenschaft

Alternative zum DGPs-Entwurf

Serge Sulz

Vorwort des Herausgebers

Psychotherapie liegt im Spannungsfeld zwischen Wissenschaft und Kunst. Welcher Wissenschaft und welcher Kunst kann eine der Fragen sein, die sich gleich stellen. Aber auch die Frage, ob es eine eigenständige Psychotherapie-Wissenschaft gibt, die abgrenzbar ist von Psychologie, Medizin oder Pädagogik.

Wittchen und Rief (2015) bezeichnen in ihrem Editorial zur Zeitschrift Verhaltenstherapie die Psychologie als die „Mutterwissenschaft“ der Psychotherapie. Das ist verständlich, da sie Psychologen sind, die sich in Klinischer Psychologie spezialisiert haben und in dieser sich weiter spezialisiert haben zur Psychotherapie hin. Für sie ist Psychotherapie ein Teilbereich der Klinischen Psychologie und diese ein Teilbereich der Psychologie. Das kann man gelten lassen für die Psychologische Psychotherapie, aber auch hier nur für die Psychologische Psychotherapie von Erwachsenen und nicht für die Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie und nicht für die psychodynamisch bzw. psychoanalytische Psychotherapie und auch nicht für die ärztliche Psychotherapie.

Wir sehen, dass schon eine der ersten Fragen weniger wissenschaftsinhärente als berufspolitische Assoziationen wachruft. Entsprechend dürfen wir auch keine wissenschaftliche Antwort erwarten, wie auf viele nachfolgende Fragen.

Dieses Editorial verrät aber noch mehr. Es wird festgestellt, dass die psychotherapeutische Versorgung in Deutschland schlecht sei und dass die Wissenschaft das ändern könne („insgesamt unbefriedigende Situation der Psychotherapiepraxis“). Auch seien Psychotherapien „oftmals länger als notwendig“. Es folgt die Klage, dass PraktikerInnen „sich nicht ausreichend an empirischen Gesetzmäßigkeiten“ orientieren. Es bestehe bei den PraktikerInnen eine „fehlende Bereitschaft, Neues aufzugreifen.“

Dies entspricht der Perspektive dessen, der im Besitz der Wahrheit ist, der am richtigen Ort ist, der weiß wie die Welt (nicht) funktioniert und wie sie optimal funktionieren würde, wenn man auf ihn hören würde. Er blickt auf diejenigen, die nicht gut funktionieren, die nicht hören und wissen wollen, wie die Welt wirklich funktioniert, die nicht wissbegierig sind und nicht lernbereit. Eine ähnliche Perspektive kann der Prediger einnehmen oder der Schutzmann oder Eltern. Jedenfalls ist es eine höhere Warte, ein Selbstdefinition von Superiorität, auf den weniger Klugen, weniger Wissenden herabsehend.

Allein schon, dass von dieser hohen Warte aus zu den PraktikerInnen gesprochen wird, macht diese nicht motivierter. Dabei gibt es kaum einen Beruf, indem mehr Fortbildungsbereitschaft und lebenslange Neugier auf Neues vorhanden ist. Die Klagen und Vorwürfe treffen also nur zum Teil zu. Trotzdem ist es richtig, dass PraktikerInnen „empirischen Gesetzmäßigkeiten“ misstrauen. Dabei wäre es eigentlich Aufgabe der WissenschaftlerInnen, der Empirie zu misstrauen und sie immer wieder auf den Prüfstand zu stellen – nicht nur die Forschungsgegenstände, sondern auch ihre Forschungsparadigmen. Dass sie das zu wenig tun, beklagen wiederum die PraktikerInnen, die fordern, Forschungsergebnisse mit ausreichender externer Validität zu liefern statt EST-EBP-Ergebnisse, denen sie kaum Aussagekraft für die klinische Versorgungsrealität zuschreiben.

Des Weiteren beklagen PraktikerInnen, dass WissenschaftlerInnen bei sehr geringer eigener praktischer Erfahrung die Praxis der Psychotherapie lehren wollen. Sie halten umgekehrt deren Wissenschaftsbetrieb für insgesamt unbefriedigend und führen das auf die fehlende Bereitschaft der WissenschaftlerInnen zurück, Neues aufzugreifen wie qualitative und Feld-Forschung, statt im veralteten hoch quantifizierten RCT-Labor-Paradigma à la Pharmakologie-Forschung stecken zu bleiben.

Dem zitierten Editorial folgen in der genannten Zeitschrift nur Beiträge, die diese Aussagen untermauern – also keine Vielfalt von Sichtweisen, kein Disput. Das vorliegende Vorwort wiederum führt auch nur in die Lektüre von Beiträgen ein, die die Gegenseite der Universitätspsychologie vertreten. So wird auch wieder nur gegeneinander gesprochen bzw. geschrieben und das Gespräch miteinander bleibt aus.

Dabei wird der/die Scientist-PractitionerIn als Brücke zwischen Wissenschaft und Praxis von beiden Seiten beschworen. Beide Seiten nehmen diese Position für sich in Anspruch, der Gegenseite vorhaltend, entweder halt nur Scientists oder halt nur Practitioner zu sein – jeweils von sich überzeugt, den anderen heftig kritisierend und immer wieder auch abwertend. Dabei haben die Scientists einen Platzvorteil, weil sie freieren Zugang zu den Fachmedien haben und die Practitioner gegen deren Sprachgewalt und wissenschaftliche Bildung nicht ankommen.

Weshalb ist ein Dialog nicht möglich? Die PraktikerInnen werfen den WissenschaftlerInnen vor, dass diese nicht bereit sind, ihre Wissenschaftlichkeit in einem Gespräch mit PraktikerInnen zum Thema zu machen, sondern nur über die Mängel der psychotherapeutischen Praxis sprechen wollen.

Allerdings geht es nicht nur um den Gegensatz zwischen den psychologischen WissenschaftlerInnen und den psychoxtherapeutischen PraktikerInnen. Es geht auch um eine wissenschaftliche Gegenseite, vertreten durch WissenschaftlerInnen, die seit vielen Jahren versuchen, einen Dialog herzustellen über die Öffnung der Forschungsmethodik, wie er in den USA teils intensiv schon lange im Gang ist. Diesen GegnerInnen der herrschenden Forschungsströmung soll hier das Wort gegeben werden wie schon im vorausgehenden Buch „Psychotherapie ist mehr als Wissenschaft“ (Sulz, 2014).

Die dort und in diesem Buch geübte Wissenschaftskritik (durch WissenschaftlerInnen) ist ein Nebenprodukt der Diskussion um die Übergabe der Psychotherapie-Ausbildung an die Universitätspsychologie, deren VertreterInnen von sich behaupten, dass sie ausreichend Praxis vermitteln bzw. dass so viel praktische Ausbildung gar nicht erforderlich ist wie PraktikerInnen fordern. Sie sind überzeugt, dass in einem fünfjährigen Direktstudium, das mit 18 Jahren gleich nach dem Abitur begonnen wird, alles Nötige gelernt werden kann, was in der klinischen Praxis als Behandlungskompetenz in einem Heilberuf benötigt wird. Dass dabei keinem/keiner Patienten/-in leibhaftig in der professionellen Behandlerrolle gegenübergestanden wurde, dass also keine eigene Behandlung unter Supervision stattfand (als StudentIn auch nicht darf ) und dass keine wirkliche Selbsterfahrung stattgefunden hat, ist für sie kein Mangel. Sie setzen Psychotherapie und Wissenschaft gleich und dadurch behalten sie in ihrer Denkweise recht. So lange sie ihre Prämissen nicht in Frage stellen, bestätigen sie sich mit ihrer Logik.

Ihre Argumentation ist dabei widersprüchlich. Einerseits setzen sie Medizin und Psychotherapie gleich, andererseits denken sie nicht daran, das künftige Studium der Psychotherapie-Wissenschaft ebenso praxisorientiert (bis zu 50 % Praxis-Lernen) und so umfangreich (über sechs Jahre) wie das Medizinstudium zu gestalten.

Nur wer der Vermutung nachgeht, dass Psychotherapie mehr ist als Wissenschaft (Buchholz, 1999) oder gar Psychotherapie für Expertentum oder Kunst hält, muss dabei den Kopf schütteln (Sachse et al., 2014).

Der Begriff der Approbation war lange Zeit für PsychologInnen ein Fremdwort, das nur mit der Medizin zu tun hat. Seit 1999 ist sie das angestrebte Ziel der Psychotherapie-Ausbildung. Wenn nun bereits am Ende des Direktstudiums diese Berechtigung zur Ausübung von Heilkunde am kranken Menschen erteilt wird, so müssten die Verantwortlichen einen Sinn für diese Berechtigung haben – dem Schutz der PatientInnen dienend. Denn StudienabsolventInnen haben noch keine heilberufliche Behandlungskompetenz und die PatientInnen sind überhaupt nicht vor ihnen geschützt. Aber hier sind die psychologischen und ärztlichen Denkwelten noch sehr verschieden.

Warum sollten aber Universitäts-Ärzte MedizinstudentInnen zu approbierten ÄrztInnen ausbilden können und Universitäts-PsychologInnen nicht nicht Psychologie-StudentInnen zu approbierten PsychotherapeutInnen? Erstens ist Psychologe kein Heilberuf und zweitens arbeiten ÄrztInne in der Universitätsklinik 40 Stunden in der Woche als BehandlerIn und weitere 20 Stunden als WissenschaftlerIn. Dagegen arbeiten Universitäts-PsychologInnen 40 bis 60 Stunden in einer theoretischen Einrichtung und höchstens 5 Stunden als BehandlerIn. Sie sind also nicht per se erfahrene PsychotherapeutInnen, sondern üben Psychotherapie nebenberuflich aus, wodurch sie erst nach vielen Jahren ausreichend Erfahrung sammeln können, um SupervisorInnen werden zu können. Dadurch sind sie nicht geeignet, den praktischen Teil der Psychotherapie-Ausbildung zu vermitteln und dadurch können sie auch nicht gewährleisten, dass das Direktstudium zu Recht zur Approbation führt.

Was Kinder- und JugendlichenpsychotherapeutInnen als Skandal und absolute Unverantwortlichkeit nennen, entspringt einer ebenso falschen Selbsteinschätzung. Obwohl Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie (vor allem psychodynamisch) stets ein Stiefkind der Universitätspsychologie war und sowohl die Personalausstattung an habilitierten ForscherInnen als auch der Umfang an Forschungsaktivitäten in den nächsten fünfzehn Jahren (so lange dauert es bis genügend viele ausgebildete Kinder- und JugendlichenpsychotherapeutInnen promoviert, geforscht und habilitiert haben) hinreicht, um in diesem Bereich lehren zu können, besteht die felsenfeste Überzeugung, das zu können – ab sofort. Wie komplex der Beruf des Kinder- und Jugendlichenpsycho-therapeuten/-in ist und wie komplex diese Ausbildung ist, scheint bislang nicht erfasst worden zu sein. Sonst würde niemand den Mut aufbringen, dies zu behaupten.

Wie ein siegreicher Feldherr wird Bundesminister Gröhe sich rühmen können, Burgen und Schlösser erfolgreich geschleift und dem Boden gleich gemacht zu haben, um auf diesem Boden die Zelte seiner Heerscharen zu errichten. Dass hier eine Kultur vernichtet wird und ein historischer Rückschritt erheblichen Ausmaßes erfolgt, nimmt über dem Siegestaumel keiner wahr. Wann gab es jemals eine politisch wirksame Lobby für Kinder und erst recht für psychisch erkrankte Kinder?

Wenn Psychologische PsychotherapeutInnen 1999 nach zwanzigjährigem Kampf ihren Beruf gesetzlich schützen konnten, so bedeutete dies für nicht wenige erst einen halben Sieg. Sie wollten in jeder Hinsicht gleichberechtigt sein mit den ÄrztInnen (Status, Rechte, Einkommen), FachärztInnen werden ohne Medizinstudium. Dass gleich viel wert sein auch möglich ist, ohne gleich zu werden, konnten sie nicht glauben. Als Hindernis für ihre Ziele sahen sie genau dieses Gesetz, das sie erkämpft hatten. Also musste ein Grund gefunden werden, es zu ändern. Den gab es mit der Abschaffung des/der Diplom-PsychologIn durch die Bologna-Reform. Es war unklar, ob der Bachelor oder der Master dem Diplom entspricht. Und die unbezahlte Ausbeutung von Psychothera peutInnen im Praktikum in Kliniken gab erst recht einen wirksamen Hebel zum Sturz des Gesetzes. Die AusbilderInnen, die inzwischen auf fünfzehn Jahre erfolgreiche hochqualifizierte Psychotherapeutenausbildung zurückblicken konnten, waren fassungslos, dass sie abgeschafft werden sollten, trotz bester Ergebnisse – ersetzt durch eine Ausbildung, die aus ihrer Sicht einen qualitativen Absturz unvergleichlichen Ausmaßes bedeutet – sowohl der Ausbildung als auch der PatientInnenversorgung. Es sei denn, die AusbilderInnen waren im Herzen noch die Statuskämpfer aus der alten Zeit geblieben. Dann siegte ihr PsychologInnenherz über ihr PsychotherapeutInnenherz. Dass dies bei vielen der Fall war, zeigte samt äußerst kluger Beeinflussung durch den damaligen Präsidenten der Bundespsychotherapeutenkammer die Zweidrittelmehrheit bei der Abstimmung des 25. Deutschen Psychotherapeutentags.

Die dgkjpf (Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie und Familientherapie) spricht bezüglich der Reform des Psychotherapeutengesetzes sogar von Enteignung: „Das BMG nimmt den erfahrenen PsychotherapeutInnen die Ausbildung weg und gibt sie der Universitätspsychologie. Das ist Enteig-nung. Und quasi Verstaatlichung. Beteiligung der Wissenschaft wäre dagegen eine gleichberechtigte gemeinsame Gestaltung der Ausbildung.“ (aus einem öffentlichen Brief an die Psychotherapeutenkammern, 2015).

Sie beklagt nicht nur den aus ihrer Sicht rücksichtslosen Umgang mit der Kindertherapie bei der Planung eines Direktstudiums, in das die Kindertherapie einfach reingepackt werde, statt dafür ein eigenes Studium zu konzipieren. Sie weist auch darauf hin, dass die nach dem Ende des Studiums beginnende Weiterbildung von den Kammern so konstruiert ist, dass kein systematischer Lernprozess möglich ist – im Erwachsenenbereich nicht und erst recht nicht im Kinder- und Jugendbereich. Denn die Kliniken haben weder die personellen, noch strukturellen noch finanziellen Ressourcen, um eine auch nur annähernd so qualifizierte systematische Aus- und Weiterbildung anzubieten, wie sie gegenwärtig in den Ausbildungsinstituten stattfindet. Da Psychotherapien wenn irgend möglich ambulant stattfinden sollten und da in den kurzen Verweildauern der PatientInnen in den Kliniken eine reguläre Psychotherapie nicht möglich ist, kann dort auch keine Psychotherapie gelernt werden, auch wenn die stationäre Tätigkeit psychotherapeutisch ist. Es wird zwar therapeutische Erfahrung in die spätere ambulante Praxis mitgenommen, aber keine systematische Ausbildung in ambulanter Psychotherapie. Zudem hemmt der Zwang zur Ganztagstätigkeit die Familienplanung erheblich.

Bisher fand ein großer Teil der Ausbildung berufsbegleitend statt, so dass kein Flaschenhals an Arbeitsstellen entstehen musste wie es künftig der Fall sein wird. Es müssen 5000 Klinikstellen vorgehalten werden, wenn der Bedarf an PsychotherapeutInnen gedeckt werden soll (bei 2500 Abschlüssen pro Jahr und zwei Jahren Kliniktätigkeit). Da dies nicht realisierbar ist, da weder der Staat noch die Krankenkassen die finanziellen Mittel dafür aufbringen, werden viele AbsolventInnen keine Stelle bekommen können. Wer aber ein so spezialisiertes Studium absolviert hat, kann nichts anderes in seinem Fach tun. Es ist dann für viele ein Verlust der Berufsfreiheit wie bei LehrerInnen, denen der Staat zwar einen Studienplatz aber danach keine Stelle zur Verfügung stellt. Stattdessen resultiert Arbeitslosigkeit – und das bei einem Studienfach, bei dem man den höchsten Numerus clausus erwarten darf.

Ob mit 18 bis 23 Jahren (während des Direktstudiums) die nötige menschliche Reife und Erfahrung vorhanden ist, um ein tieferes Verständnis für Schicksal und Leid der PatientInnen haben zu können, das über das angeeignete Wissen hinaus geht, sei dahin gestellt. Psychotherapie ist auch in dieser Hinsicht nicht vergleichbar mit Medizin.

Damit vereint dieses Buch eine Kritik der reinen Wissenschaft (der Psychotherapie) mit einer Kritik der reinen Ordnungspolitik des Bundesministeriums für Gesundheit BMG und der Psychotherapeutenkammern.

Ob die europaweit und vermutlich weltweit beste Psychotherapie-Ausbildung bei Erscheinen des Buches schon zu Grabe getragen sein wird, ist unklar: Je nachdem wie gut die fleißigen Beamten des BMG mit dem neuen Gesetz vorankommen, das von ihrer Seite aus als Revolution bezeichnet wurde – was zeigt, dass ganz offen an ein Begräbnis gedacht wird.

Ob dieses Vorwort sich als Grabrede eignet, mögen die Leserin und der Leser beurteilen, zumindest diejenigen, die zur Trauergemeinde gehören werden.

Zum Schluss noch einige Zitate von Psychotherapie-WissenschaftlerInnen.

Zitate

„Psychotherapie ist mehr als Wissenschaft.“ (Buchholz, 1999)

„Psychotherapy is an art and a science. It is a science because therapeutic techniques should be empirically supported and rooted in falsifiable models of the psychological problem that is being treated. Psychotherapy is also an art because these techniques need to be applied flexibly and creatively to a specific person.“ (Hofmann & Weinberger, 2013, S. 17)

„Curiously, many of these unlicensed researchers* are developing new treatments and are instructing the next generation of clinical practitioners.“ (Anderson (2000) in Soldz & McCullough, S. →)

*ForscherInnen ohne ausreichende Praxiserfahrung

„Most of the leading journals in clinical psychology are edited by researchers who do not themselves practice, and regardless of their explicit attitudes, their implicit attitudes toward practice are manifest in […] and on how clinicians should replace their foolish folk ways with researchers’ empirically supported but clinically often naive notions about how people who do practice should think, about, access, and treat patients …“ (Westen (2013) in Hofmann & Weinberger, S. →).

„Psychotherapie-Ausbildung sollte nicht ausschließlich an Universitäten stattfinden. Dozenten, die an Universitätsinstituten tätig sind, sind (mit einigen Ausnahmen!) überwiegend in theoretischer und empirischer Forschung tätig: Sie sind damit ganz unbestritten Experten für Theorie und Experten für Forschung. Sie sind jedoch nur selten ebenfalls Experten für die Praxis von Psychotherapie: Sie weisen meist nur relativ wenig Praxiserfahrung und auch wenig Erfahrung als Supervisoren auf.“ (Sachse et al. (2014) in Sulz, S. →)

„Aber die Kritik des medizinischen Modells in der Psychotherapieforschung geht weiter. Während sich die Pharmaforschung auf die rationale Analyse begrenzen kann, reicht das für Erfassung und Heilung psychischer Probleme nicht aus. Die besinnungslose Reduktion auf das Messbare ist eine unzulässige Verkürzung der Kartografie menschlicher Probleme, und die Rückbesinnung auf das Subjektive als den Ursprung von Erkenntnissen erscheint unvermeidbar.“ (Revenstorf (2014) in Sulz, S. →)

„Durch diese Studie wurde mir klar, dass die Entscheidung, ob eine bestimmte Methode unter streng kontrollierten Bedingungen einer anderen Methode oder der Kontrollgruppe überlegen ist, etwas anderes ist als die Frage nach dem, was in der Praxis wirkt [...]. Ich halte „Efficacy“-Studien seitdem nicht mehr für die einzige, ja nicht einmal für die beste Möglichkeit, um festzustellen, welche Methoden in der Praxis tatsächlich wirksam sind. Ich bin zu der Überzeugung gekommen, dass „Effectiveness“-Studien, mit denen die Erfahrungen der Patienten unter den realen Bedingungen in der Praxis erhoben werden, eine brauchbare und glaubwürdige „empirische Validierung“ von Psychotherapie und Medikation ermöglichen“ (Seligman, 1997, S. 271).

„Auch wenn ich als Verhaltenstherapeut tätig bin und die Wissenschaft für eine mustergültige Untersuchungsmethode halte, verstören mich die Bemühungen um eine „Medikalisierung“ der Psychotherapie, ihre Reduzierung auf ein nach der somatischen Medizin gestaltetes Heilverfahren. Nach Untersuchung der psychosozialen Funktionen der Psychotherapie, ihres werte-affinen Charakters, ihrer Rolle in der westlichen Tradition der Selbstbetrachtung und ihres Zusammenhangs mit der praktischen Alltagsexistenz des Menschen bin ich der Ansicht, dass sich die Psychotherapie durch eine unausweichliche Dimension auszeichnet, eine, die sämtlichen Bemühungen sie abzuschaffen widersteht. Ich bin fest davon überzeugt, dass wissenschaftliche Denkweisen eine entscheidende und aussagekräftige Rolle im psychosozialen Gesundheitswesen spielen, betrachte die Wissenschaft jedoch nur als eine Dimension in der Konstellation sozialer Praktiken, die die Psychotherapie umfasst.“ Robert L. Woolfolk (1998, S. 17)

„Wir wollen uns im Folgenden mit der bislang wenig beachteten Frage befassen, wie es dazu kommen konnte, dass in der modernen Wissenschaft nicht der Gegenstand die Methode, sondern umgekehrt die Methode den Gegenstand bestimmt, allerdings nicht den naiven, vorwissenschaftlichen, sondern den eigentlichen, den wissenschaftlichen Gegen-stand.“ (Fischer, 2011, S. 34)

„nur etwa 4 % aller ambulant und stationär erbrachten Dienstleistungen dem Anspruch auf belastbare Evidenz genügen, 45 % genügen einfacheren Evidenzkriterien und für den ‚Rest‘ (rechnerisch 51 %) gibt es heute keine wissenschaftliche Evidenz“ (SVR, 1999, S. 79).

„To speak in the vernacular, clinicians who rely exclusivly on internal validity* know more and more about less and less. Clinicians who rely exclusively on external validity know less and less about more and more.“ (Stricker (2013) in Hofmann & Weinberger, S. →)

„Gut zwei Jahrzehnte nach Einführung von EbM durch die Gruppe um David Sackett, werden die eindringlichen Warnungen des Gründers (z. B. Sackett et al., 1996) ignoriert und oft eine entstellte Form, die lediglich RCT-Studien berücksichtigt, irreführend als „EbM“ ausgegeben.“(Kriz, 2014, in Sulz, S. →.)

„Insgesamt gesehen ist das Ausmaß an methodischem Unverständnis und faktischem Missbrauch der guten Idee von „Evidenzbasierung“ […] derart gravierend, dass EbM daher für die Bewertung von Psychotherapie sehr kritisch gesehen werden muss.“ (Kriz, 2014, in Sulz, S. →)

„Auch wenn therapeutische Techniken wissenschaftlich begründeten Prinzipien folgen, in ihrer Anwendung stoßen sie häufig auf Grenzen.“

und

„Selbst den Richtlinien evaluierter Therapietechniken sollte man nur mit kritischem Blick vertrauen. Ein solches Urteilsvermögen setzt gute Modelle in Ausbildung und Supervision sowie – im fortlaufenden Praxisalltag – selbst erworbene Erfahrungen voraus.“ (Fiedler, 2012, S. 160)

„Wo die Wissenschaft das höherwertige Wissen beansprucht, entsteht derzeit eine fatale Situation, wenn Universitätsinstitute klinische Ausbildungen anbieten, diese im Vergleich mit anderen evaluieren werden und man dann nach allen Erfahrungen jetzt schon voraussagen kann, wie die Ergebnisse ausfallen werden. Das ist, als würden auf dem Fußballplatz die Schiedsrichter mitspielen wollen und gleichzeitig darunter leiden, dass Schiedsrichter ja nicht gewinnen können. Was wollte man auch gewinnen? Ich plädiere gegen eine Unterordnung der Profession unter die Wissenschaft und für ein Nebeneinander von beiden; das vermeidet unnötige Konkurrenz, fördert aber Kontroversen und insgesamt die Kommunikation“. (Buchholz, 2000, S. 14)

Literatur

Anderson, T. (2001). Integrating Research and Practice in Psychotherapy. In S. Soldz & L. McCullough (Eds.), Reconciling Empirical Knowledge and Clinical Experience. The Art and Science of Psychotherapy (pp. 83–98). Washington, DC.

Buchholz, M. B. (1999). Psychotherapie als Profession. Gießen: Psychosozialverlag.

Buchholz, M. B. (2000). Psychotherapie – Profession oder Wissenschaft. Journal für Psychologie, 4(8), 3–16.

Fiedler, P. (2012). Phänomenologisch orientierte Indikation: Gemeinsame Herausforderung für die Therapieschulen. In P. Fiedler (Ed.): Die Zukunft der Psychotherapie. Wann ist endlich Schluss mit der Konkurrenz? (pp. 149–162). Berlin: Springer.

Fischer, G. (2011). Psychotherapiewissenschaft: Einführung in eine neue humanwissenschaftliche Disziplin. Gießen: Psychosozial Verlag.

Hofmann, S. G. & Weinberger, J. (2013). The Art and Science of Psychotherapy. New York: Routledge.

Kriz, J. (2014). Wie evident ist Evidenzbasierung? Über ein gutes Konzept und seine missbräuchliche Verwendung. In S. K. D. Sulz (Ed.): Psychotherapie ist mehr als Wissenschaft. Ist hervorragendes Expertentum durch die Reform gefährdet? (pp. 154–185). München: CIP-Medien.

Revenstorf, D. (2014). Das Kuckucksei: Über das pharmakologische Modell in der Psychotherapie-Forschung. In S. K. D. Sulz (Ed.): Psychotherapie ist mehr als Wissenschaft. Ist hervorragendes Expertentum durch die Reform gefährdet? (pp. 126–153). München: CIP-Medien.

Sachse, R., Fasbender, J., & Hammelstein, P. (2014). Wie Psychotherapie-Ausbildung sein sollte: Eine psychologische Analyse didaktischer Erfordernisse. In S. K. D. Sulz (Ed.): Psychotherapie ist mehr als Wissenschaft. Ist hervorragendes Expertentum durch die Reform gefährdet? (pp. 15–37). München: CIP-Medien.

Seligman, M. P. (1997). Die Effektivität von Psychotherapie. Die Consumer Reports-Studie. Integrative Therapie, 22(4), 264–288.

Sills, C. (Ed.). (2006). Contracts in Counselling and Psychotherapy. London: Sage.

Soldz, S. & McCullough L. (2000). Reconciling Empirical Knowledge and Clinical Experience. The Art and Science of Psychotherapy. Washington DC: American Psychological Association.

Stricker, G. (2013). The Local Clinical Scientist. In S. G. Hofmann & Weinberger J. (Eds.): The Art and Science of Psychotherapy. (2nd ed., pp. 85–102). New York: Routledge.

Sulz, S. (Hrsg.) (2014). Psychotherapie ist mehr als Wissenschaft. Ist hervorragendes Expertentum durch die Reform gefährdet? München: CIP-Medien.

Sulz, S. (Hrsg.) (2015). Von der Psychotherapie-Wissenschaft zur Kunst der Psychotherapie. Die Kunst des Heilens lehren der Patient und der erfahrene Psychotherapeut. München: CIP-Medien.

SVR (1999). Bedarfsgerechtigkeit und Wirtschaftlichkeit, Bd. II: Qualitätsentwicklung in Medizin und Pflege, BT-Drs. 14/5661 v. 21.3.2001

Westen, D. (2013). Discovering What Works in the Community: Towards a Genuine Partnership of Clinicians and Researchers. In S. G. Hofmann & Weinberger J. (Eds.), The Art and Science of Psychotherapy. (2nd ed., pp. 31–47). New York: Routledge.

Wittchen, H.-U. & Rief, W. (2015). Wieviel Psychologie steckt in der Psychotherapie? Editorial. Verhaltenstherapie 25, S. 90–91

Woolfolk, R. L. (1998). The Cure of Souls. Sience, Values, and Psychotherapy. San Francisco: Jossey-Bass.

TEIL I

Gute Psychotherapie

01 Psychotherapie als Profession

Aus der Einleitung zum gleichnamigen Buch von 1999 (mit freundlicher Genehmigung des Psychosozialverlags)

Michael B. Buchholz

Es ist schwierig, wenn man über etwas reden oder schreiben will, von dem man gleichzeitig sagt, dass es nicht gesagt, jedenfalls nicht vollständig gesagt, nicht vollständig diskursiv beschrieben werden kann. Rechtfertigung für eine so paradoxe Absicht kann nur sein, wenigstens den Platz dieses „etwas“, über das (nicht) geredet werden soll, genauer zu bestimmen. Das tut man am besten, wenn man ihm einen Namen gibt. Um professionelles Können in der Psychotherapie nicht nur plakativ zu bestimmen, braucht man eine Theorie. Sie gibt einen Rahmen, sie macht einen Vorschlag, die Dinge auf eine bestimmte Weise zu sehen.

Professionelles Können jedoch ist etwas anderes als eine Theorie dieses Könnens, und insofern gebe ich keine Praxisanleitung im Sinne eines „how to do it“. Der Besitz eines Klaviers befähigt noch nicht, es zu spielen. Der Blick in eine Partitur allerdings kann dem Könner den Klang entstehen lassen. Wenn man eine Theorie über professionelle ästhetische performances entwirft, führt man sie nicht auf. Es ist eines, Regeln und Ratschläge für den Arzt und Psychotherapeuten in schriftlicher Form zu formulieren, und es ist, wie wir seit Freud wissen und täglich an Psychotherapeuten1 aller Schulen beobachten können, etwas anderes, sich nicht daran zu halten – weil der Prozess seinen eigenen verschlungenen Pfaden folgt2. Wer eine Theorie des Profifußballs schreibt, muss selbst nicht kicken, aber er wird in der Regel eine gewisse Leidenschaft dafür haben. Der aktive Fußballer seinerseits muss sich für Theorie nicht sonderlich interessieren.

Wird eine solche Theorie in irgendeiner Weise verbindlich geteilt – von Managern des Sportgeschäfts, Vereinsvorsitzenden und Medienvertretern –, könnte der professionelle Kicker allerdings irgendwann die Wirkungen dieser Theorie zu spüren bekommen. Es werden ihm bestimmte und als erfolgreich geltende Trainingsmethoden vorgeschlagen, er wird auf von anderen entworfene Spielstrategien verpflichtet, und es wird von ihm erwartet, dass er sich auf eine beschriebene Weise in die Gesamtkonzeption einer Mannschaft integriert, seine Leistung auf dem Platz wird nach einheitlichen Maßstäben bewertet, er selbst in Ranglisten eingeordnet und Qualitätskontrollen unterzogen. Wird er ab einem bestimmten Alter vom Platz gestellt, könnte er, wenn er nicht Trainer werden will, anfangen, sich für Theorie zu interessieren.

Theorie gibt es im Feld der Psychotherapie durchaus und jeden Tag wird es mehr; aber ich meine hier nicht die großen Entwürfe, weder Metapsychologie noch humanistische Wachstumsmodelle, weder kognitionstheoretische „multiple codings“ noch Archetypen. Ich meine das, was sich im Handeln zwar dokumentieren mag, aber nicht formuliert ist. Es bestimmt das „feeling“ des Klinikers für seinen Patienten, erlaubt ihm, abzuschätzen, ob er mit einer Äußerung besser noch wartet, ob er trotz Widerspruchs seiner Patientin hartnäckig daran festhält, sie müsse Gewicht zulegen (obwohl sie doch seine Auffassung „falsifiziert“); wann er überhaupt „im Kontakt“ ist, lässt ihn körperlich einen Sinn für die Beziehungsbalance entwickeln, und vieles andere mehr – aber es sind eigentlich keine „Theorien“, sondern es ist ein unformuliertes und vielleicht unformulierbares Können. Es ist nicht einmal klar, in welchem Sinne man von „Wissen“ sprechen kann, denn es kann nur teilweise diskursiv formuliert werden, es wird nicht in Form von Lehr-Sätzen weitergegeben. Es spricht an, nicht aus. Es ist kaum lösbar vom Engagement des Professionellen. Wenn er sich nicht engagiert, verliert der Professionelle dieses Wissen oder gewinnt ein abgekühltes Verhältnis dazu, eine Temperaturänderung, die ihm die Erbringung der professionellen Leistung nicht erleichtert. Es ist irgendetwas jenseits der Unterscheidung von „Tun“ einerseits und „Denken“ andererseits. Das professionelle psychotherapeutische Engagement kann man bestimmen als intelligente Form taktvoller Zugewandtheit, eine lokale Tugend mit globalen Wirkungen – und das soll in diesem Buch genauer beschrieben werden.

Ich meine, dass das berühmte Freud’sche Junktim vom „Heilen und Forschen“ darauf anspielt, dass professionelle Praktiker beim (Be-)Handeln sich etwas denken und die konventionelle Trennung des Denkens vom Handeln transzendieren3.

Die ganze abendländische und teils auch noch sehr moderne Philosophie des Zusammenhangs von Handeln und Denken trennt beide voneinander ab4. Wenn wir uns über Denken und Handeln etwas denken, dann in einem meist unbewussten Vollzug dieser Getrenntheit. Stillschweigende Annahme ist durchgängig ein Entweder/Oder: Entweder man handelt, dann ist man involviert und kann also nicht denken. Oder aber man denkt, und das würde vom Handeln nur gestört.

Beides, so stellt man sich vor, wird dann in ein zeitliches Nacheinander entzerrt – auf das Handeln folgt das Denken. Das deutsche Wort „nach-denken“ unterstützt diese Vorstellung sehr5. Wenn Freud seine Junktim-Forderung aufstellt, dann meint er damit – so verstehe ich ihn – dass professionelle Psychotherapeuten beim (Be-)Handeln denken. Was professionelle Psychotherapeuten sich denken, ist jedoch keine Forschung, sondern Voraussetzung und konstitutiver Bestandteil ihrer Professionalität.

Es ist eine Art der Wissensorganisation, die den Professionellen als Handelnden einschließt. Es ist an eine bestimme Interaktion und deren Einmaligkeit und Nicht-Wiederholbarkeit gebunden und somit gerade nicht ohne weiteres verallgemeinerbar, während wissenschaftliches Wissen den Handelnden per definitionem ausschließt. Es kann experimentell nicht reproduziert werden: entweder die beiden Beteiligten bleiben dieselben Personen, aber dann befinden sie sich im Fall einer Wiederholung an einer anderen Zeitstelle, d. h. ihre gemeinsame Vorerfahrung geht unkalkulierbar in die Wiederholung ein. Oder aber man tauscht die Personen aus, dann aber ist nicht klar, welche Bedeutung das Wort von der experimentellen „Reproduktion“ hätte, wenn es ganz andere Personen sind, die „wiederholen“.

Kurz, es handelt sich um professionelles Wissen, das ich von wissenschaftlichem Wissen unterscheiden möchte, und weil es nicht Nur-Wissen ist, hat es auch den Charakter einer Lebensform. Professionelle unterscheiden sich nicht nur in ihren Theorien, sondern auch in der Art, wie sie sie leben. Anhänger der gleichen theoretischen Richtung können höchst unterschiedliche Atmosphären in ihren Behandlungen erzeugen; es ist nicht das Wissen, sondern ein Wissen-im-Vollzug, das sie voneinander unterscheidet, und das ist nicht dasselbe wie Theorie oder Wissenschaft oder Forschung.

Ich glaube deshalb, dass es nicht sinnvoll ist, wenn man das Junktim als „On-line-Forschung“ auffasst. Seitdem die Psychotherapieforschung zur „big science“ avanciert ist, scheint es nicht mehr sinnvoll, professionelles Handeln und Forschung gleichzusetzen6 – aber eine solche Position einzunehmen bedeutet weder, nur Forschungsergebnisse als allein seligmachende Wahrheiten anzusehen, noch bedeutet es eine Herabsetzung professionellen Könnens. Spricht man (Leuzinger-Bohleber, 1995) davon, dass der professionelle Psychotherapeut Forschung betreibe, riskiert man, dass die Forderung nach einer „Verwissenschaftlichung“ professioneller Praxis irgendwann nicht mehr abgewiesen werden kann, und ich befürchte, dass damit ein Herzstück professioneller Psychotherapie eher eliminiert würde als zu seinem Recht käme. Leuzinger-Bohleber (1995, S. 448) spricht davon, dass „der forschende Psychoanalytiker in der analytischen Situation immer zum Handeln gezwungen“ sei. In dieser Formulierung drückt sich die Unfreiheit durch den Handlungsdruck aus. Das Gegenstück dazu ist die, wie wir bei Oevermann finden werden, „un-praktische“ Freiheit des Wissenschaftlers.

Deshalb kann man das, was dann als Befund aus der professionellen Interaktion mitgeteilt wird, nicht als Psychotherapieforschung auffassen. Die Resultate der Online-Forschung“, klinische Theorien, sind viel mehr: das, was der Professionelle braucht, um zu tun, was er tut – aber in welchem Sinne könnten sie als „wahr“ bezeichnet werden? Eine „gute Behandlung“ basiert nicht notwendigerweise auf „richtiger Theorie“. Das Gegenteil von „guter Behandlung“ ist nicht „unwahre Theorie“. Umgekehrt kann man „schlechte Behandlung“ nicht durch „wahre Theorie“ (sensu: empirisch fundiert) aufbessern. Es gibt Therapeuten, die „wahre“ Theorien vertreten, aber sie machen nicht unbedingt „gute Therapie“ – und umgekehrt. Hier spielt noch etwas anderes hinein, eben das, was ich als Professionalität bezeichne.

Anwendung von Theorie ist nicht dasselbe, wie professionelle Psychotherapie zu machen: Gute Psychotherapie besteht nicht darin, wissenschaftliche Theorien zu überprüfen.

Reiter (1995, Reiter und Steiner 1996) hat vorgeschlagen, professionelles Handeln nach seiner „klinischen Nützlichkeit“ zu beurteilen. Das ist eine Erweiterung. Mit einem solchen zweiten Kriterium (außer dem der Wahrheit) kann man allerdings lediglich sagen, dass es gewiss unprofessionell ist, als unwahr erwiesene Theorien zu verwenden. Daraus kann man jedoch nicht auf die Richtigkeit der gegenteiligen Behauptung schließen; es gibt wahre Theorien, die für die Ausübung der Profession nicht nützlich sind, z. B. kann man in Romanen wie in therapeutischen Dialogen eine schiefe Verteilung der Häufigkeit von bestimmten Worten ermitteln. Aber wenn man weiß, dass Wortklassen nicht normalverteilt sind, hilft das weder beim Abfassen von Texten, noch bei der Führung von Gesprächen. Nützlichkeit und wissenschaftliche Wahrheit sind nicht dasselbe. Beiden aber ist gemeinsam, dass sie sich auf „Wissen“ beziehen und dieses dann in nützliches und wahres differenzieren.

Aber in der professionellen Psychotherapie kommt es nicht nur auf Wissen an, sondern auf Können. Hier geht es nicht um Kompetenz von Therapeuten allein, sondern um interaktive Realisierungen; das „Gekonnte“ an jeder Psychotherapie ist gemeinsame Leistung. Seine Ergebnisse sind nützlich, ob es auf wahren Theorien basiert, ist fraglich, sein Vollzug mit Wissenskategorien allein nicht beschreibbar. Die Fixierung der Debatte um die Wissenschaftlichkeit der Psychotherapie könnte sich durch solche Unterscheidungen von manchen Konfusionen erholen.

Ich will in diesem Buch ausführlich begründen, dass eine Abtrennung der Profession von der Wissenschaft nicht eine Abwertung der Profession bedeutet – aber nützlich ist. Ich werde einiges argumentative Geschütz auffahren, um die Übersteuerung dessen, was ich emphatisch als Kern der psychotherapeutischen Professionalität sehe, durch Wissenschaft abzuweisen. Das, was Psychotherapeuten tun, ist nicht weniger und nicht mehr als das, was Wissenschaftler tun – es ist etwas anderes; man bezeichnet es am besten als professionell. Es ist unsinnig zu behaupten, professionelle Psychotherapeuten seien Forscher und Wissenschaftler.

Dies zu sagen, ist nicht identisch mit der Behauptung, sie hätten keine guten Ideen oder würden nicht hilfreich arbeiten. Ihre Auffassungen erhalten ihren Wert nicht erst durch wissenschaftlichen Segen oder durch zitierfähige Übereinstimmung mit heiligen Texten. Mir kommt es darauf an, dass der Unterschied wieder verstanden wird: Man kann das eine sagen und muss damit nicht zwangsläufig das andere verneinen.

Professionalität aber ist im psychotherapeutischen Feld nicht formuliert. Sie existiert eher als vage Vorstellung und in Fragmenten, als ungeprüfter kollektiver Besitz, als eine Art selbstverständliche, und deshalb auch nirgends vollständig niedergelegte Regie-Anweisung, weitergegeben in Lehrer-Schüler-Verhältnissen, Tür-und-Angel-Gesprächen zwischen Kollegen, Mittelbaugruppen oder in Supervisionen.

Immer wieder wird dazu aufgefordert, diese Theoriebruchstücke zu artikulieren, sie zu untersuchen7; immer wieder wird festgestellt, dass das wenig geschieht. Dieses Buch ist von der Idee inspiriert, dass das einen guten Grund hat, den zu ändern eher Unheil stiftet: Was professionelle Psychotherapeuten können, ist zu einem nicht unerheblichen Teil etwas anderes, als in ihren offiziellen Theorien beschrieben wird. Das liegt mit daran, dass jemand, der nur und ausschließlich von seiner Theorie geleitet Psychotherapie betreiben würde, immer nur bereits vorhandene Regeln anwenden könnte mit der Folge, dass jede Behandlung extrem normativ, extrem Über-Ich-Iastig würde – und langweilig. Die guten Tore fallen auch auf dem Fußballplatz dann, wenn jemand im geeigneten Augenblick blitzschnell eine Situation erfasst – und reagiert. Der geeignete Augenblick – das ist der einmalige, der nicht wiederholt werden kann; also der individuelle Fall. Auch Fahrradfahren erlernt man nicht durch „Anwendung“ naturwissenschaftlicher Gesetze vom freien Fall, vom Rollwiderstand und von der schiefen Ebene. Man kann sich eigentlich nur einen „zerstreuten Professor“ vorstellen, der das versuchen wollte. Die Folgen eines solchen Versuchs will ich nicht ausmalen.

Allerdings gibt es ebenso ungeschriebene Regeln, nach denen sich die psychotherapeutischen Berufsmannschaften ihre Bälle zuspielen und gegen die Spieler anderer Mannschaften ins Tor gesetzlicher Regelungen einzubringen versuchen.

Auch wenn sie ungeschrieben sind, haben sie den Charakter von Vorschriften; was man dann merkt, wenn man gegen sie verstößt. Das hat Folgen. Die Antwort auf den Regelverstoß heißt fast immer: Nicht-Beachtung und Ausschluss. Dies deshalb, weil Mannschaften den vom Platz stellen müssen; der scheinbar auf der Seite der andern Mannschaft mitspielt. Wo beim Zusammenspiel zwischen den Mannschaften sich das binäre Schema: „bei uns – bei den andern“ erst einmal eingespielt hat, kann anderes kaum noch wahrgenommen werden.

Dies ist nach meinem Dafürhalten die Lage in der Psychotherapie. Deshalb die vielen Versuche, sich auf die „Identität“ der jeweiligen Schule zu besinnen mit der Folge, dass die offiziellen Theoriestücke immer wieder zitiert und die Fallbeispiele so eingenordet werden, dass sie immer das bestätigen, was die offizielle Theorie schon weiß; deshalb die große Schwierigkeit, originelle und hilfreiche Ideen anderer Schulen aufzunehmen, weil Identitätsverlust oder -verrat gefürchtet wird; deshalb das von Sandler (1983) und vielen anderen beschriebene schlechte Gewissen; wenn man etwas Nicht-Identisches mit seinen Patienten tut, selbst wenn es ihnen hilft. Seit etwa zwei Jahrzehnten wird auch in der breiteren Öffentlichkeit das Mitspielen einer neuen Mannschaft, nämlich der Psychotherapieforscher bemerkt, die ebenfalls Pokale in Gestalt von Einfluss und Forschungsgeldern gewinnen möchte – und zugleich die Schiedsrichterrolle beansprucht.

Das führt zu weiteren Konfusionen insbesondere dann, wenn Forscher neue Schulen gründen wollen. Diese Situation berechtigt zu Zweifeln an der Objektivität. Leichsenring (1996) erinnert an den wohlbekannten Befund der vergleichenden Psychotherapieforscher, wonach regelmäßig diejenige Behandlungsmethode als erfolgreicher ausgewiesen wird, der die Autoren sowieso den Vorzug geben. Stiles (1993) bestätigt, dass man aus einleitenden Bemerkungen empirischer Untersuchungen mit schöner Regelmäßigkeit den dann empirisch gewonnenen Befund vorhersagen kann. Mir scheint, hier kann nur die Unterscheidung zwischen Profession und Wissenschaft weiterhelfen. Beide operieren in unterschiedlichen Kontexten.

Ein weiterer relevanter Kontext ist die rechtsförmige Verfasstheit der Psychotherapie.

Nachdem in Österreich ein Psychotherapeutengesetz beschlossen worden war, dauerte es noch mehrere Jahre und viele Auseinandersetzungen, bis der entsprechende Schritt in Deutschland getan wurde. Indem der berufsrechtliche Teil den Titel eines „Psychotherapeuten“ bzw. einer „Psychotherapeutin“ unter Gesetzesschutz stellt und der sozialrechtliche Teil festlegt, dass Psychotherapie eine Leistung der Krankenkassen ist, die sowohl von speziell dafür ausgebildeten Ärzten wie auch Psychologen erbracht werden kann, scheint nunmehr klar zu sein, worum es sich bei der Psychotherapie handelt. Psychotherapie – das sind jene Verfahren, die in den Richtlinien anerkannt worden sind. Ihre Bälle sind im Tor.

Man hat sich auf eine rechtlich praktikabel scheinende Lösung geeinigt. Mit der Durchführung und Anwendung des Gesetzes werden Schwierigkeiten auftauchen, die zu beseitigen sich die Berufsverbände zur Aufgabe gesetzt haben; andere werden zu erreichen versuchen, dass auch ihre Verfahren in den Richtlinienkatalog mit aufgenommen und ihre Form der Psychotherapie anerkannt wird.

Wenn diese Veränderungen des rechtlichen Status auch im Sinne eines Anlasses eine Rolle spielen, so stehen sie doch nicht im Zentrum dieses Buches. Die öffentliche Auseinandersetzung um die Verrechtlichung der Psychotherapie hat notwendig gemacht, sich darauf zu besinnen, was Psychotherapie eigentlich ist.

Meine Frage lautet: gibt es eine Antwort diesseits rechtlicher Regelungen?

Rechtliche Bestimmungen siedele ich in der Umwelt der professionellen Psychotherapie an. Die Regelungen sehen beispielsweise eine „psychoanalytische Psychotherapie“ vor und unterscheiden diese von „tiefenpsychologisch fundierter“ Psychotherapie. Für beide gibt es unterschiedliche Antragsformulare und unterschiedlich bewilligte Stundenkontingente. Aber handelt es sich um professionell relevante Unterscheidungen in dem Sinne, dass man sagen kann; bei den und den Störungen ist diese, bei anderen Störungen jene Variante hilfreich?

Wenn ein Psychotherapeut zu einem andern sagt, er habe seinen Patienten mit „tiefenpsychologisch fundierter“ (und nicht mit „analytischer“) Psychotherapie behandelt – was weiß der Empfänger dieser Nachricht dann? Ist diese Information ein Unterschied, der einen Unterschied macht? Ist der Unterschied nicht gleichbedeutend mit dem, die Behandlung habe im Sitzen bzw. Liegen stattgefunden?

Oder mit Bezug auf die Systemreferenzen gefragt: In welchem System macht diese Unterscheidung einen Unterschied? Die Antwort ist: Der Unterschied entsteht im System des Abrechnungsrechts, für dieses System ist die Unterscheidung zwischen „tiefenpsychologisch fundierter“ und „psychoanalytischer“ Psychotherapie eine Information; im System der Profession ist dieser Unterschied hingegen keine Information, sondern nur Verweis auf die rechtsförmige Umwelt.

Wenn man diese Systemreferenzen auseinanderhält, kann man sehen, dass es natürlich keine „Indikationen“ für diese oder jene Psychotherapie geben kann, solange die Form der Psychotherapie rechtlich definiert wird. Das System des Kassenrechts kann keine rezeptiven Differenzierungen für diejenigen Unterscheidungen ausbilden, auf die es einem professionellen Psychotherapeuten ankommen muss.

Das gilt auch dann, wenn ein Verhaltenstherapeut zu einem Kollegen sagen würde, er habe diese phobische Patientin mit jener Variante der systematischen Desensibilisierung behandelt. Wissen wir dann schon, was da geschehen ist?

Warum glaubt der Behandler, dass es das ist, was er für seine Methode hält, das hilfreich war und nicht z. B. die einfache Tatsache, dass er mit seinen Patienten spricht? Und wie er mit ihnen spricht? Oder dass er an seine Methode glaubt, nicht aber die Methode selbst? Warum sind dieselben „Methoden“ manchmal hilfreich und manchmal nicht?8.

Meine Klärung beruht auf der Unterscheidung zwischen solchen Umwelten wie Wissenschaft, Recht oder Wirtschaft; allgemein also auf dem Unterschied zwischen System und Umwelt – das „System“ ist die spezifische Interaktionsordnung einer individuellen Psychotherapie.

Die gegenwärtige Situation, das Zusammenspiel der verschiedenen Mannschaften auf dem psychotherapeutischen Feld, scheint selbstverständlich die Vorstellung nahezulegen, dass Psychotherapie einzig durch Verwissenschaftlichung optimiert werden könne. Das ist so selbstverständlich, dass man fürchten muss, als agent provocateur zu erscheinen, wenn man das Selbstverständliche dieser Idee in Frage stellt. Nur wissenschaftlich bestätigte Erfolge professioneller Leistungen münden doch in rechtliche Codifizierungen ein, nur sie erschließen Zugänge zu wirtschaftlichen Möglichkeiten – was gibt es dagegen zu sagen? Man sieht schon an dieser Rhetorik, dass viele Systemebenen beteiligt sind; der Weg durch sie ist lang. Die Psychotherapie verändert sich, denn es gibt rekursive Effekte – nur was wissenschaftlich bestätigt ist, soll praktische Anwendung und wirtschaftliche Anerkennung finden. Nur wer rechtlich sanktioniert ist, soll auch Zugänge zu Marktanteilen haben – und wer wollte gegen diese Forderungen seine Stimme erheben? Kann man gegen die Dominanz wirtschaftlicher, wissenschaftsgestützter und rechtlich sanktionierter Vernunft anders als nur moralischdefensiv argumentieren?

Das soll hier versucht werden. Ich gestehe, mich treibt die Sorge, dass es mit der ausschließlichen Dominanz der Verwissenschaftlichung der Psychotherapie an den Kragen geht, dass ihr die Luft abgedrückt und der Geist ausgetrieben wird.

Diese Sorge zu formulieren, ihr soweit es mir möglich ist, diskursiv und argumentativ Ausdruck zu verleihen, ist der persönliche Anlass für dieses Buch. Da ich eine Menge Missverständnisse voraussehe, will ich vorweg ein paar Bemerkungen dazu machen.

Ich bin davon überzeugt, dass auch diejenigen, die die Strategie der Verwissenschaftlichung der Psychotherapie gefordert und eingeleitet haben, die gleichen Sorgen teilen. Aber jetzt ist gerade durch den Erfolg ihrer Anstrengungen eine neue Situation entstanden. Die nächste Generation von Psychotherapeuten lernt nicht mehr an prototypischen Geschichten aus der Neurosenlehre, wie man andere Menschen in der Vielfalt ihrer biographischen Entwicklungen verstehen kann, sie lernt die vermeintliche Einheitlichkeit von diagnostischen Ziffern und Krankheitseinheiten.

Die ungeheure Vielfalt therapeutischen Reagierens und Antwortens soll auf empirisch ermittelte Variablen oder auf „wirksame Methoden“ beschränkt werden. Leitlinienkonferenzen versuchen, die Bandbreite der Normierungsmöglichkeiten abzustecken. Es wird fingiert, es könnte unter einer Behandlungsmethode sich etwas abspielen, was in der gleichen Weise auch bei einer anderen Psychotherapeutin zu haben wäre, und damit wird ein wissenschaftliches Ideal in den psychotherapeutischen Prozess eingebracht, das für diesen geradezu tödlich ist: die Idee der Personunabhängigkeit9. Was in der Wissenschaft gefordert werden muss, personunabhängige Objektivität, kann in der professionellen psychotherapeutischen Praxis nicht funktionieren. Die Ausbildung persongebundener Kompetenzen scheint nicht mehr notwendig dann, wenn es eine „Krankheit“ ist, die von einer „Methode“ behandelt wird. Psychotherapeuten aber müssen, so will es das Gesetz, „Krankheiten“ behandeln und ihr Tun zumindest so ausweisen. Davon unbenommen ist, dass es zweifellos einen erheblichen sozialpolitischen Fortschritt bedeutete, als mit der Psychiatrie-Enquete von 1975 verschiedene Störungen als behandlungsbedürftige Krankheiten anerkannt worden waren und entsprechende Behandlungen dann auch finanziert wurden.

Natürlich ist auch die Wissenschaft nicht jener monolithische Block, als der er manchmal erscheinen mag. Es ist aus meiner Sicht eher die Anbindung und Eingemeindung der Psychotherapie in die Medizin, die ihrerseits die dazu geeignet erscheinenden empirischen Methoden der Psychologie nutzt, die Einheitlichkeit fingiert – und auch innerhalb der Medizin gibt es, wenn auch nur sehr wenige, Stimmen, die sich zu dieser problematischen Entwicklung vernehmen lassen. Als Gegengewicht zur Einseitigkeit dieser Entwicklung suche ich die Nähe der Sozialwissenschaften. „Psychoanalyse als Sozialwissenschaft“ ist in den 70er Jahren schon einmal programmatisch ausgerufen, doch leider wenig durchgeführt worden.

Damals war es v. a. Alfred Lorenzer, auf dessen Arbeiten ich mich früher stärker bezogen habe. Mit ihnen sich auseinanderzusetzen halte ich immer noch für lehrreich. Seine Zuordnung der Psychoanalyse zu den Sozialwissenschaften teile ich, freilich mit Unterschieden; ich meine, man muss erweitern und der Anbindung der Psychotherapie an die Medizin insgesamt ein sozialwissenschaftliches Gegengewicht zur Seite stellen. Ich sage das, gerade weil ich mich durchaus als Psychoanalytiker sehe und natürlich auf dem Hintergrund einer entsprechenden Sozialisation schreibe.

Einiges hat sich auch innerhalb der Psychoanalyse geändert und erzeugt erheblichen Reflexionsbedarf.

Zum einen kann man nicht mehr so euphorisch und mit der gleichen selbstverständlichen Autorität wie damals „die Wahrheit der psychoanalytischen Erkenntnis“ (Lorenzer, 1974) verkünden, zu vieles hat zu Ernüchterung geführt. Neuerdings finden Debatten über das psychoanalytische Wissen und die Autorität des Psychoanalytikers statt, die erhebliche behandlungstechnische Konsequenzen aufweisen. Wer damals zu Freud kam, akzeptierte mit seiner Autorität auch seine Wahrheit; wer heute in gleicher Weise analytische Äußerungen und autoritäre Wahrheitsansprüche fraglos akzeptierte, löst Überlegungen hinsichtlich seiner submissiven Neigungen aus (Brenner, 1996; Chodorov, 1996; Hanly, 1996; Hoffman, 1996; Kemberg, 1996; Lloyd Mayer, 1996; Mitchell, 1998).

Zum andern ist überhaupt nicht mehr zu sagen, was die psychoanalytischen essentials sind. Wir sehen heute Analytiker mit höchst unterschiedlichen Auffassungen.

Wer angesichts der ungeheuer diversifizierten psychoanalytischen Kulturen privilegierte Wahrheitszugänge beanspruchen möchte, steht im Verdacht, die professionelle Praxis normieren oder gar dogmatisieren zu wollen. Genau davon möchte ich die Profession entlasten. Klinische Praxis selbst ist am ehesten als soziale Praxis zu verstehen; das Soziale scheint mir unhintergehbar, auch wenn ich betonen möchte, dass ich die allzu sorgfältige Abtrennung zwischen dem Psychischen und dem Sozialen eher für eine Art Denkhemmung zu halten geneigt bin. Die Illusion, man könnte gewissermaßen direkt ins Seelenleben von Patienten blicken, ist selbst sozial produziert und bedarf der Aufklärung. Diese Illusion wird auch in Fallgeschichten tradiert, soweit sie über eine Behandlung berichten, als wäre nie ein Behandler dabei gewesen – und diese seltsame Illusion kann man bei allen therapeutischen Schulen beobachten.10 Die Anbindung an die Sozialwissenschaften kann sich heute ganz anderer theoretischer Mittel bedienen. Ich habe hierzu größere quali-tativ-empirische Studien vorgelegt (Buchholz 1995 und 1996, Buchholz und von Kleist 1995 und 1997, Buchholz und Hartkamp 1997).

Will man der Psychotherapie wieder Luft verschaffen, dann muss man sie von der Umklammerung durch die bislang dominante wissenschaftliche Kontrolle befreien.

Ich tue das mit der These, dass Psychotherapie keine Wissenschaft sei, sondern Profession. Das ist nicht gleichbedeutend damit, den Wegfall wissenschaftlicher Überprüfungen zu fordern, sondern verlagert die Wissenschaft in die Umwelt der Profession. Ein solcher Themenzuschnitt erfordert, sich etwas im Feld der Professionsforschung umzusehen und eine Vorstellung davon zu entwickeln, was Professionen – im Unterschied zu Wissenschaften – überhaupt ausmacht. Zur Bestimmung des Verhältnisses von Profession und Wissenschaft scheint die soziologische Systemtheorie am besten geeignet. Obwohl ich annehme, dass sie den meisten Psychotherapeuten nicht sonderlich vertraut sein wird, habe ich mich dennoch dafür entschieden, sie durchaus im gefürchteten Soziologen-Chinesisch darzustellen, und kann psychotherapeutische Leser daran nicht vorbeileiten. Doch habe ich mich nach Kräften um Verständlichkeit bemüht. Aber ich hoffe, der intellektuelle Gewinn wird ebenso entschädigen wie auch die neuen Möglichkeiten eines kritischen Blicks auf jenen Gegenstand, dem sich Psychotherapeuten gerne zuwenden: die Gesellschaft. Wenn man die soziologische Systemtheorie nutzt, zwingt das zu Reflexivität, d. h. Einbeziehung des eigenen Blickwinkels, also der Profession – und ein mir durchaus erwünschtes Nebenergebnis ist die Aufwertung des professionellen Selbstbewusstseins. Schließlich werde ich mich um die Beschreibung von Momenten professionellen psychotherapeutischen Tuns bemühen. Das professionelle Tun besteht zu einem nicht unerheblichen Teil aus Sprache und Sprechen; also blieb mir auch hier nichts anderes übrig, als mich auf diesen Feldern etwas umzusehen. Ich hoffe, ein paar brauchbare Feldfrüchte, Blüten und Blumen mitgebracht zu haben. Den strategischen Gewinn sehe ich darin, die dringend notwendige Öffnung der Psychotherapie für andere Wissensgebiete mit voranzutreiben, denn in dieser Hinsicht sind wir Psychotherapeuten, das muss man in aller Nüchternheit feststellen, leider ziemlich unprofessionell.11

Eine komplette Professionstheorie habe ich nicht zu bieten, aber ich meine, dass es notwendig ist, den Anfang zu machen. Man kann an manches anknüpfen. Man könnte das, was ich hier zu sagen habe, auch als eine Art Metatheorie der Psychotherapie auffassen, aber ich zögere, ob ich mich mit meinem Unternehmen unter einem solchen Titel wiederfinden möchte. Denn alles, was mir bislang unter so anspruchsvollen Namen begegnet ist, hat sich über kurz oder lang als ziemlich normativ, als festlegend und einengend erwiesen. Ich meine gerade, dass es ein Herzstück professioneller Psychotherapie ist, sich von äußeren Vorschriften und Dogmatisierungen frei zu machen, soweit es möglich ist. Meine klinische Erfahrung ist, dass es in jeder Psychotherapie, vielleicht sogar in jeder Sitzung, wenigstens einen Moment gibt, wo nicht die Methode, sondern die Person gefragt ist. Es sind dies nach meinem Dafürhalten entscheidende Wendepunkte und wer sich hier an Regeln, Metatheorien oder andere akademisch hochtrabende Verfahrensvorschriften hält, verfehlt mit Sicherheit seinen Patienten. Damit allerdings dieser Kairos wahrgenommen, gewürdigt werden und seine wohltuenden Wirkungen entfalten kann, ist durchaus ein Handeln notwendig, das gut beschrieben, nie aber festgelegt werden kann. Profession bewegt sich zwischen operativer Flexibilität und Fixiertheit des Denkens und versucht, letztere immer zu überwinden. Nie sicher, operiert sie ständig mit Ungewissheiten.

Viele haben mich wiederum bei meinen Versuchen unterstützt. Für Hinweise und Ermutigungen danke ich Martin Domes, Frankfurt; Bruno Hildenbrand, Jena/Marburg; Tom Levold, Köln; Burkart Müller, Hildesheim; Armegret Overbeck, Frankfurt; Thomas Pollak, Frankfurt am Main; Michael Schröter, Berlin; Herbert Stein, Heidelberg; Konrad Thomas, Göttingen/Weißenborn; Stephan Wolff, Hildesheim. Sie alle haben frühere Fassungen des Manuskripts, zum Teil mehrfach, gelesen und kritisch kommentiert und ich bin ihnen sehr zu Dank verpflichtet.

Dies gilt insbesondere für die vielen Hinweise, die ich von meiner Frau Karla Hoven-Buchholz erhalten habe. Vieles konnte ich mit meinen Kolleginnen und Kollegen in Tiefenbrunn diskutieren. Die Diskussionen mit Ulrich Streeck über die Verbindung von Psychotherapie und Sozialwissenschaft haben Klärungen erbracht. Aber ohne die stimulierenden und dieses Thema überhaupt anregenden Gespräche mit Ludwig Reiter, Wien/Kirchzarten, wäre ich überhaupt nicht weitergekommen. Auch wenn ich nun zu manchen Formulierungen gelangt bin, die von seinen Auffassungen abweichen mögen, möchte ich ihm meinen Dank dadurch aussprechen, dass ich ihm dieses Buch widme.

Anmerkungen

1 Was die männlichen und weiblichen Formen bei der Erzeugung sprachlicher gender-Stereotypien betrifft: ich verlasse mich auf die Kritikfähigkeit der Leser.

2 Bion soll bemerkt haben: „In the Practice psychoanalysis it is difficult 10 stick to the rules. For one thing, I do not know what the ruIes of psychoanaIysis are.“ (Zit. nach Aron, 1998, S. 207).

3 Vgl. zur Vorgeschichte des Junktim Nitzschke (1994).

4 Hervorragend zu diesem Thema: Vellemao (1989).

5 Freud (GW XVII, S. →) wusste um dieses Problem: „Wir haben keinen anderen Weg, von einem komplizierten Nebeneinander Kenntnis zu geben als durch das Nacheinander der Beschreibung, und darum sündigen alle unsere Darstellungen zunächst durch einseitige Vereinfachungen und warten darauf, ergänzt, überbaut und dabei berichtigt zu werden.“

6 Reiter und Steiner (1996) zitieren eine Menge Literatur, die diese Sicht von der Seite der Wissenschaft her bestätigt.

7 Zunächst war es Sandler (1983), dann sprach Streeck (1987) von den Hintergrundannahmen, Eckert und Biermann-Raljen (1990) sahen in den Theorien der Therapeuten einen „heimlichen Wirkfaktor“, dann habe ich (1993) die Prozessphantasien zu untersuchen begonnen. Caspar (1997) fordert erneut, die „Theorien“ von Therapeuten bei der Fallkonzeptualisierung zu untersuchen.

8 Manche Untersuchungen zeigen, dass Therapeuten glauben, eine bestimmte „Technik“ habe gewirkt, während Patienten der Auffassung sind, die besondere und intensive Zuwendung des Therapeuten zu den Details ihres Erlebens habe hilfreich gewirkt; Überblick bei MiIler, Duncan und Rubble (1997). Schmitt, Bernhard, Wittmann und Lamprecht (1986) haben gezeigt, dass der Zusammenhang zwischen Prädiktor- Variablen und Outcome-Variablen nicht über die magische Grenze einer Korrelation von 0.30 gesteigert werden kann; sie zitieren die Bemerkung von Luborsky, Psychotherapie sei ein „unvorhersagbares Abenteuer“ – das trifft am ehesten noch den Kern. Die konkurrenzmotiverte Diskussion um den Vorrang dieser oder jener „Technik“ ist angesichts einer Forschungslage absurd, die bislang unwidersprochen zeigt (Lambert 1992, Lambert & Bergin 1994), dass lediglich 15 % der Varianz des Outcome einer Therapie auf „Technik“, der weitaus größte Teil auf das Konto der Beziehung geht – das drängt geradezu eine professionstheoretische Diskussion zur Klärung des zentralen Konzepts der „Beziehung“ auf.

9 Ulsenheimer (1998), ein juristischer Autor, diskutiert die „Leitlinieneuphorie“ in der organischen Medizin kritisch. Sie erhöhe den Grad der Normierung und damit das rechtliche Risiko des Arztes und öffne die Tür zu einer Defensivmedizin. Aber er geht auch auf den Kern des ärztlichen Handelns ein, der unnötig eingeschränkt werde und schreibt: „Der deutsche Drang oder Hang zum Perfektionismus feiert mit immer mehr und immer detaillierteren Bestimmungen fröhliche Umstände“ (S. →). Man darf sich angesichts solcher rechtlicher Bewertungen fragen, was die Psychotherapeuten treiben mag, hier ein Übersoll an Normierung erfüllen zu wollen. Der juristische Autor weist schon die Organmediziner darauf hin, dass professionelle ärztliche Kunst sich der Kanonisierung entziehe der Individualität des Patienten gerecht werden müsse und es deshalb nur selten „die“ Methode gebe. Selbst wenn, sei diese durch persönliche Variablen bestimmt. Der Therapiefreiheit steht auf Seiten des Patienten dessen Autonomie ergänzend gegenüber.

10 Wir (Buchholz & Reiter, 1996) haben dies untersucht.

11 Becker und Nedelmann (1980, S. 132) rufen vor Jahren schon etwas verzweifelt aus: „Manchmal kann man sich fragen, warum sind viele Psychoanalytiker so ungebildet? Warum ist ihr Verhältnis zu geistigen Auseinandersetzungen außerhalb der Analyse so oberflächlich? Warum ist ihr Verhältnis zur Literatur gering? Warum ist ihnen die Politik, von wenigen Ausnahmen abgesehen, eigentlich fremd?“

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Velleman, J. D. (1989). Practical Reflection. New Jersey: Princeton University Press.

02 Was wirkt in der Praxis der psychotherapeutischen Patientenversorgung?

Auf dem Weg zu einer echten Partnerschaft zwischen Psychotherapeuten und Wissenschaftlern

Drew Westen

Die heutige Zeit ist die wohl erbittertste zwischen TherapeutInnen und WissenschaftlerInnen in der Geschichte unseres Fachbereichs. Die Beziehung zwischen diesen beiden Gruppen war noch nie einfach und allgemein auf beiden Seiten durch das Gefühl der Überlegenheit sowie gelegentliche Sticheleien in der Öffentlichkeit gekennzeichnet. Aktuell wirken jedoch dreierlei Faktoren zusammen, die das Wesen dieser Beziehung verändern.

Zum einen ist da die Allgegenwart der geführten Versorgung, die für die psychische Gesundheit eine Katastrophe darstellt. Zwar ist diese Steuerungsmethode in vielen Bereichen der Medizin problematisch, in der Psychologie und Psychiatrie richtet sie jedoch aufgrund der unausgesprochenen Haltung unserer Kultur gegenüber seelischen Erkrankungen besonderen Schaden an. Treten beispielsweise bei einem/einer PatientIn mit einer Herzerkrankung Schwierigkeiten bei der Behandlung seiner Symptome auf, wird er/sie keinesfalls auf die Straße gesetzt. Schizophrenie-PatientInnen ergeht es da ganz anders – sie haben sich schlichtweg das falsche Organ für ihre Erkrankung ausgesucht.

1. Die Vergabe von Forschungsgeldern auf Bundesebene in den Vereinigten Staaten (bzw. staatlichen Fördergeldern in anderen Ländern) hat die methodische Stringenz der psychologischen und psychiatrischen Forschung zweifelsohne stark verbessert. Gleichzeitig setzt die Verlagerung von der Vergabe von Stipendien zur Beantragung von Fördergeldern als primärer Index für Prestige und Leistung auf unserem Fachgebiet dem kreativen Denken, unterschiedlichen Sichtweisen, vor allem aber der klinisch geprägten Forschung sehr enge Grenzen, da WissenschaftlerInnen keine Zeit mehr auf die Praxis „verschwenden“ können, wenn sie Drittmittelanträge schreiben, sich um die Bezahlung von MitarbeiterInnen kümmern und kontinuierlich fließende Forschungsgelder sicherstellen müssen (um das ungenutzte Verstreichen von Förderzeiträumen zu verhindern, müssen diese ständig überwacht werden).

2. Durch den Vorrang des Finanzierungsbedarfs wurde in der klinischen Psychologie zudem mehr Wert auf das Tun als auf das Denken gelegt (siehe Wachtel, 1973), wodurch die Gewichtung der Reflexion, die einst durch den Doktor der Philosophie (Ph. D.) gegeben war, minimiert wurde – insbesondere die Reflexion über die eigenen Annahmen und Meta-Annahmen. Ich vermute, Kuhns Beschreibung des Würgegriffs der Paradigmen wissenschaftlicher Prozesse (1962) wäre noch düsterer ausgefallen, wenn er eine Zeitgeschichte der Psychotherapieforschung geschrieben hätte. Heutzutage hängt eine akademische Stelle, die Verhandlung des Gehalts (oder überhaupt ein Gehalt zu bekommen, nachdem hartes Geld an medizinischen Hochschulen nahezu abgeschafft wurde und Wissenschaftler dazu gedrängt werden, sich bei ihrer Forschung auf das zu konzentrieren, was ihre KollegInnen für wichtig halten) und nahezu alles, was für eine akademische Karriere wichtig ist, davon ab, ein Komitee vom Wert der eigenen Ideen und Methoden zu überzeugen.

Nachdem ich in vielen Komitees dieser Art sowohl als dauerhaftes als auch als kurzzeitiges Mitglied mitgewirkt habe, kann ich den guten Willen, die Integrität, den gesunden Intellekt und die Wissensbasis der überwältigenden Mehrheit der GutachterInnen bestätigen. Ich kann jedoch auch die konservativen Neigungen bestätigen, die sich ungewollt in den Begutachtungsprozess einschleichen können, wenn innovative Forschungsvorhaben mit dem business-as-usual verglichen werden. Innovative Vorhaben sind per definitionem riskant. Sie wenden weniger altbewährte Methoden an, die Auszahlungsmatrizen sehen anders aus – insbesondere große Gewinne, wenn sie erfolgreich sind, und große Verluste (Verschwendung von Zeit und Fördergeldern), wenn sie es nicht sind. Diese Auszahlungsmatrizen rufen mit großer Wahrscheinlichkeit bei zumindest einem der drei oder vier Gutachter Besorgnis hervor, die einstimmig den Verdiensten des Vorhabens zustimmen müssen, damit in Anbetracht der knappen Mittel eine vernünftige Aussicht auf Forschungsgelder besteht, was Ermahnungen zur Vorsicht, Bedenken bezüglich möglicher Abweichungen von Standardmethoden und die Suche nach fatalen Schwachstellen zur Folge hat. Dieses Problem wird in der Psychotherapieforschung verstärkt, wo nahezu alle Komiteemitglieder von den gleichen methodischen und theoretischen Annahmen ausgehen – schließlich wurden sie alle von einem System gefördert, das zugunsten dieser Annahmen auswählt – wodurch eine Sachlage entsteht, die all jene Konditionen verletzt, die wissenschaftliche Methoden zweckmäßiger machen als klinischer Konsens oder Gutachten.