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Aglaia Szyszkowitz steht für Erfolg. Sie besticht durch ihre Schönheit, ihr unvergleichliches Lächeln und diese besondere Strahlkraft. Ihr werden Serienheldinnen auf den Leib geschrieben, ihre Karriere verläuft makellos und in ihrem Leben scheint alles in bester Ordnung zu sein. Ist es aber nicht. In ihrem ersten Buch erzählt uns die Frau mit dem Lächeln von der schwersten Krise ihres Lebens, ihren Angststörungen und wie sie wieder herausgefunden hat. Sie beschreibt, wie es am Filmset auch nach #metoo tatsächlich zugeht und wo Frauen mit Mitte 50 bleiben, wenn sie mal eine Zeit lang nicht funktionieren. Die Schauspielerin zeigt Seiten an sich, die bisher unbekannt blieben, sie zeigt sich zerbrechlich, als Partnerin, als Tochter, als Freundin und als Frau.
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Seitenzahl: 202
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Aglaia Szyszkowitz
Von der Rolle
Wie ich die Liebe zum Leben neu entdeckt habe
Wer hätte das gedacht – eine Welt bricht zusammen
Tiefe Wurzeln, breite Flügel
Menschen, die ich liebe und brauche
Mein Leben für die Bühne
Kein Safe Space in Sicht – ANGST
Wo man singt, da lass dich nieder
Zurück im Leben!
Danke!
Impressum
Gotthold Ephraim Lessing, ein Dichter der Empfindsamkeit, forderte gemischte Charaktere auf der Bühne, es reiche nicht, Heldinnen und Helden zu zeigen, nur das Strahlende und das Schöne, es sei vielmehr wichtig, die Gefühle, die Gebrochenheit und die Schatten zu zeigen, damit die Zuseher und Zuseherinnen sich identifizieren könnten, denn nur fehlbaren Charakteren kann man sich nahe fühlen. Das Publikum sollte erkennen, wie ähnlich es doch den leidenden Figuren ist, um dann gestärkt daraus hervorzugehen. Ich bin in einem Haus groß geworden, in dem es von Anfang an darum ging, auch das Schwierige und das Komplexe anzusprechen. Ein Ansatz, der alles andere als leicht ist und furchtbar nerven kann, aber auch einer, der mich zu dem Menschen gemacht hat, der ich heute bin. In der Öffentlichkeit werde ich, so bekomme ich es gespiegelt, als „strahlende, erfolgreiche und schöne“ Frau wahrgenommen. Kaum jemand verbindet mit meiner Person Schlagworte wie Krise, Angst, Scheitern oder Verzweiflung. Auch diese Seite zu zeigen, ohne effektvolle Inszenierung intimster Verletzlichkeit, das war für mich beim Schreiben meines Buches das Wichtigste, dass ich zeigen darf: Es ist nicht alles eitel Wonne.
Mein Leben, mein eigentlich doch so buntes, volles, warmes und scheinbar sicheres Leben ist mir im letzten Jahr auf die Füße gefallen. Es hat mich in vollem Galopp aus der Kurve fliegen und so hart landen lassen, dass ich mir so ziemlich alles gebrochen habe, was man sich nur brechen kann. Mit das Schlimmste war, ich konnte nicht mehr so arbeiten, wie ich es gewohnt war. Leben auch nicht mehr. Und vor allem nicht mehr allein sein.
Mitunter hat es sich so angefühlt wie das Lebensende, dabei war ich nicht lebensbedrohlich erkrankt oder hatte einen schweren Schicksalsschlag zu verkraften. Ich hatte alles, ein Dach über dem Kopf, Menschen, die mich lieben. Zwei wunderbare Söhne, einen starken Partner. Einen stabilen Freundeskreis. Und eine Freundin, die auf diesem Höllenritt mit auf dem Pferd saß. Eine große Familie. Das alles war mir klar und das ist mir bewusst – jeden Tag bin ich dankbar. Trotzdem gab es diese schwere Lebenskrise.
Ich möchte meine Erfahrung teilen. Mit euch, die ihr mein Buch in diesem Augenblich aufgeschlagen habt. Mit euch, die ihr mich als Schauspielerin kennt und euch nicht vorstellen könnt, dass ich Angst habe, hadere, kämpfe, nicht aus dem Bett komme, mir die Frage nach dem Sinn meines Lebens stelle und genauso wie alle anderen verzweifle, wenn ich mich ungeliebt, allein gelassen und schwach fühle.
Irgendwann im letzten Jahr hat eine befreundete Kostümbildnerin zu mir gesagt: „Aglaia, du warst für mich immer der Inbegriff von Lebensfreude und Zuversicht, das kann doch nicht sein, dass dieses Strahlen weg ist … das bist doch so du! Du musst lächeln. Wenn nicht für dich, dann lächle doch bitte für uns!“ Damit hat sie den Nagel auf den Kopf getroffen. Ich habe sehr viel für meine Außenwelt gelächelt und dabei vergessen, es für mich selbst zu tun. Eine bittere Erkenntnis.
Wie konnte das passieren?
Ich möchte euch mitnehmen in die Abgründe des letzten Jahres und euch zeigen, wie man aus dem Höllental wieder herauskommt – mit Rückschlägen und allem Drum und Dran. Euch von mir erzählen, von meiner Herkunft und dem, was mich geprägt hat. Euch an der Hand nehmen in Sachen Lebenskrise, Perspektivlosigkeit und Ängstlichkeit, die ihr vielleicht kennt. Euch Mut machen, wenn ihr auch gerade kämpft. Und euch einladen, den langen Weg des Reinkippens und Aus-dem-Sumpf-wieder-Rauskletterns mit mir zu teilen. Ich danke jetzt schon allen, die mich dabei begleitet haben: in erster Linie meinem Mann, meinen Söhnen und meiner Freundin Verena.
Aber beginnen wir am Anfang. Meine Namenspatronin Aglaia, die griechische Göttin der Anmut, steht für Glanz, Pracht und prunkende Schönheit. Tatsächlich wurde ich nach der großartigen Burgtheaterschauspielerin Aglaja Schmid benannt, die ich später persönlich kennenlernen durfte. Ich heiße gerne so, und ich mag es, wenn man mich mit meinem Namen anspricht. Gut, ich bin ehrlich gesagt zufrieden, wenn mein Gegenüber „Aglaia“ einigermaßen gut rauskriegt, bei dem Nachnamen habe ich schon so viele Varianten gehört, dass meine Erwartungen diesbezüglich nicht hoch sind. Ich sage immer: Stellt euch zweimal „Sch“ vor, wie das Geräusch einer alten Dampflok, und dann denkt an den Witz! So müsste es eigentlich klappen!“ Denn um den Namen zu wechseln, ist es jetzt wohl zu spät.
Der Glanz fing bereits im Herbst 2021 an zu verblassen, die „prunkende Schönheit“ ging Stück für Stück verloren. Meine Lebensfreude, mein Leuchten und die mir eigene Leidenschaft für die Dinge des Lebens verschwanden immer mehr. Noch funktionierte ich, weil ich seit dreißig Jahren mit Haut und Haaren Schauspielerin war und weil ich den ganzen Trubel eigentlich liebte. Es ging mir schon längere Zeit nicht besonders gut und es wurde zunehmend schlechter. Ich versuchte – ein eingeübter Reflex – lange Zeit zu verstecken, wie schlimm es wirklich um mich stand.
Alles begann mit Rückenschmerzen. Die plagten mich seit Jahren. 2020 hatte ich das ganze Jahr durchgearbeitet. Sieben Filme gedreht. Atemlos. Das war jenes Jahr, in dem die Welt eigentlich zum Stillstand gekommen war und uns die Pandemie in eine neue Zeitrechnung zwang. In den Zeiten, in denen ich nicht drehte, organisierte ich Konzerte für die Bewohner: innen von Altersheimen in Graz. In Summe hatte ich im Coronajahr die vermutlich arbeitsreichste Phase meines Lebens. Ich spürte schon heftige Verspannungen im unteren Rücken und konnte bereits nicht mehr lange sitzen oder auf Schuhen mit Absatz gehen. Mir fehlten trotzdem die Zeit und die Muße, mich darum wirklich zu kümmern. Wenn es möglich war, ging ich zwischendurch schwimmen, das hat kurzfristig geholfen, aber durch die Dreharbeiten konnte ich auch da nie konsequent dranbleiben. Immer wieder musste ich Behandlungen bei Chiropraktikern und Osteopathen einschieben. Der eine stellte diese Diagnose und zeigte mir jene Übungen, der nächste sagte etwas vollkommen anderes und riet mir zu anderen Methoden und durch mein ständiges Unterwegssein konnte ich bei keinem Arzt oder Therapeuten wirklich landen.
Auch in meinem Privatleben bahnten sich an mehreren Fronten Umbrüche an. Aus meinen zwei kleinen Buben, denen ich bis zuletzt sonntags Frühstück gemacht hatte, waren – irgendwie unerwartet schnell – junge Männer geworden. Der Ältere ausgezogen, der Jüngere nach dem Abi auf dem Weg, die Welt zu entdecken. Und dann war da noch Marcus, mein Ehemann. Auch in dieser Beziehung stand eine Transformation an: Wir lebten zwar formal in München noch zusammen, hatten uns im Sommer 2021 jedoch getrennt und ich verbrachte die viel Zeit in Wien. Ich hatte eine Vorstellung, wie ich leben wollte, aber keine wirkliche Idee, das auch umzusetzen. Wohin die Reise gehen sollte, war ungewiss. Kein so tolles Gefühl … und nicht zuletzt war ich mit Mitte fünfzig voll in den Wechseljahren angekommen, ich spürte unmissverständlich, körperlich begann ein neuer Abschnitt.
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Vier Wochen Drehzeit im Oktober 2021 für meine Reihe „Billy Kuckuck“ mit mir als Gerichtsvollzieherin in der Hauptrolle in Köln standen vor mir. Es ging mir damals nicht gut, mir setzte die Trennung von Marcus zu und die Einsicht, dass ich die Wohnung in Wien zu übereilt angemietet hatte. Außerdem hatte ich starke Schmerzen im Rücken und Angst vor der Zukunft. Dazu kam die Sorge, die erwartete Leistung plötzlich nicht mehr bringen zu können und womöglich die ganze Produktion zu gefährden. Ich konnte nicht mehr schlafen. Bereits auf der Kostümprobe, eine Woche vor Drehbeginn, brach ich in Tränen aus.
Fünf Wochen Dreharbeiten lagen vor mir, auf die ich mich eigentlich freute, die aber alles an Kraft und Einsatz von mir verlangten, die ich zur Verfügung hatte. Ich war unsicher, wie ich das schaffen sollte. Dazu kam, dass durch die Covid-19-Pandemie noch überall Maskenpflicht herrschte und ich gefühlt tausend Coronatests über mich ergehen lassen musste. Ich stand insofern zusätzlich unter Stress, weil wir auf Wunsch der Produktion nichts riskieren sollten und wegen der Ansteckungsgefahr an den Wochenenden nicht nach Hause fahren durften.
Ich saß also in meinem Hotelzimmer neben dem Kölner Hauptbahnhof, durfte nicht weg und war überzeugt, demnächst drehe ich durch. Meine Gedanken waren bei meiner Familie und die frische Trennung von meinem Mann machte mir enorm zu schaffen. Wie lerne ich das Alleinsein nach dreißig Jahren Partnerschaft? Wie schaffe ich es, die Kinder loszulassen nach vierundzwanzig Jahren Spaghettikochen? Wie fülle ich mein Leben neu und anders? Das waren nur einige der Fragen, um die sich alles drehte.
Nach einem anstrengenden Vierzehn-Stunden-Drehtag mit langen Dialogszenen und unzähligen Schritten treppauf, treppab durch das riesige Gebäude – wir drehten im Kölner Gericht – klappte ich dann zusammen. Mein Herz raste, ich legte mich auf einen Tisch und versuchte verzweifelt, meine Panik durch Atmen unter Kontrolle zu bringen. Mein Gott, war mir das peinlich. Die Produktion riet mir dringend, mich gründlich durchchecken zu lassen, also landete ich in der Notaufnahme. Meine wunderbare Maskenbildnerin Dominique hielt mir während des EKGs die Hand, weil ich eine uralte Angst vor Ärzten habe, aber wie nicht anders zu erwarten war, war alles okay. Die diensthabende Ärztin sagte nur: „Kann es sein, dass Sie zu viel Stress haben, Frau Szyszkowitz? Gehen Sie mal nach Hause und legen Ihre Beine hoch. Alles Gute!“ Und draußen war ich. Unsere liebe Producerin Anemone holte mich ab, brachte mich ins Hotel und kochte mir Tee. Alles beruhigte sich erst mal, aber kaum war sie weg, bekam ich wieder Herzklopfen. Ich rief meine beste Freundin an: nicht erreichbar. Meine Schwestern: keine Zeit. Meine Söhne: Handy aus. In meiner Not versuchte ich dann – trotz allem – meinen Mann zu erreichen. Er kennt mich einfach am besten und ich wusste, dass die Chancen hochstehen, dass er mich beruhigt. Und so war es dann auch. Marcus hat mich in diesem Moment gerettet.
Ich drehte weiter, war nach vier Wochen aber komplett am Ende meiner Kräfte. Am vorletzten Drehtag hatte ich dann, sicher deswegen, noch einen Unfall mit dem E-Scooter. Ich fuhr am Rhein einen glitschigen Lehmweg entlang und hinter mir saß mein Kollege, wir wollten zur Mittagspause. Der Scooter rutschte weg, der Kollege sprang ab und das Gefährt knallte mir auf das Knie. Ich versuchte, den Schmerz erst mal zu ignorieren. Sicher, ich hatte ein schnalzendes Geräusch gehört und es wurde mir auch augenblicklich schwarz vor Augen – aber wenn dich ein ganzes Team erschrocken anschaut und du weißt: Wenn du jetzt ausfällst, kann der Film nicht zu Ende gedreht werden, dann machst du erst mal gute Miene zum bösen Spiel. Ich humpelte also zitternd in mein Wohnmobil, meinen Rückzugsort, schloss die Tür und brach in Tränen aus. Ich rief wieder meinen Mann an, er beruhigte mich und riet mir, den Fuß zu kühlen. Wenn es nicht anschwelle, bräuchte ich auch nicht ins Krankenhaus, sagte er. Ich biss also die Zähne zusammen und ignorierte die Schmerzen, so gut es eben ging. So schaffte ich das Ende der Dreharbeiten, gottlob waren es nur mehr zwei Tage. Jetzt wurden allerdings zugleich die Rückenschmerzen unerträglich. Offenbar psychosomatisch getriggert, wie ich mittlerweile weiß, hatten sie sich so massiv ausgebreitet, dass ich meinen Alltag mit den Schmerzen kaum mehr bewältigen konnte. Meine Mutter, eine Psychotherapeutin, meinte dazu am Telefon: „Mich wundert das nicht, Aglaia. Gar nicht. Du hast seit drei Jahren keinen einzigen Tag Urlaub gemacht!“ Sie hatte recht. Ich war getrieben von der Sorge, vom bunten Karussell des Filmemachens runterzufallen. Klar, wenn man gute Angebote hat und gerne arbeitet, übersieht man schon mal, dass der Körper eine Pause braucht. So geht es nicht nur mir.
Schleichend machte sich Angst in mir breit. Erst vor kurzem war ich aus Wien zurückgekommen, wo ich meine Wohnung aufgelöst hatte und schmachvoll die Möbel von dort in unseren Keller in München räumen musste. Wie öfter nach dem Ende von Dreharbeiten fiel ich erst mal in ein tiefes Loch. Meine Nerven lagen blank. Ich war angeschlagen. Und ich hatte Angst vor der Veränderung.
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Weihnachten 2021 stand vor der Tür. Das erste Weihnachten als „getrenntes Paar“, was für eine Aufgabe. Alles anders. Bisher hatte ich die Tage rund um Weihnachten traditionell im Kreis unserer Familie verbracht. Ganz selbstverständlich, in unterschiedlichster Besetzung und meist sehr vergnügt. In diesem Jahr sollte es zum ersten Mal anders sein. Einerseits wegen der Trennung von meinem Mann, andererseits aufgrund meiner Rückenschmerzen. Ich hatte am 22. Dezember in größter Verzweiflung einen Arzt aufgesucht, dessen Therapie Schmerzinfusionen waren. Hochdosiert. Er versprach mir, dass die Infusionen, gepaart mit Übungen an den Geräten dort, Linderung verschaffen würden. Anstatt im Tiroler Waidring, im wunderschönen, über hundert Jahre alten Haus unserer Familie zu feiern, mit meinen Lieben abends zusammenzusitzen und zu spielen, lag ich in München auf unserem türkisfarbenen Sofa und war gezwungen innezuhalten. Draußen tobten die wilden Geister der Raunächte und ich fragte mich, mit welchen Tricks ich diese Zeit des Stillstands für mich nutzen und den Dämonen eins auswischen könnte. Ich wäre einfach (geht es nicht den meisten Menschen so?) viel lieber abgelenkt und unterhalten worden, als dass ich mich mit mir auseinandersetzte. Mein Cousin Stefan aus Wien schrieb mir: „Days are so wonderful slow.“ Und ja! Ich wünschte mir, dass ich das auch voller Dankbarkeit formulieren könnte. Aber das war scheinbar die Übung. Zu akzeptieren, dass wir nicht alles selbst bestimmen können. „Glücklich ist, wer vergisst, was nicht mehr zu ändern ist“, dichtete doch Ferdinand Raimund im „Bauer als Millionär“. Dieser Satz hat mich immer schon beschäftigt. Nur schwer konnte ich akzeptieren, dass es manchmal Dinge gab, die ums Verrecken nicht zu ändern waren. So wie eben mein Zustand im Dezember 2021.
„Runterkommen“ sollte ich – das rieten mir Freunde und Freundinnen. Runterkommen vom Gipfel der Anspannung, des Funktionierens, des Kümmerns. Aber ich wollte gar nicht runterkommen, sondern ich wollte mich kümmern! Gerade zu Weihnachten. Ich wollte dafür sorgen, dass sich alle wohlfühlten und berücksichtigt wurden. Ich wollte eine Aufgabe haben. Runterkommen machte mir Angst. Dadurch, dass meine Schwestern und ich nicht in unserer Heimatstadt Graz leben, verbringen wir seit einigen Jahren Weihnachten abwechselnd mit unseren Eltern. Im Jahr davor. 2020, hatten meine Eltern, unsere zwei Söhne, mein Mann und ich Weihnachten in Tirol gefeiert, im über hundert Jahre alten Haus meiner Urgroßeltern.
An dieses Fest erinnere ich mich noch sehr gut. Unser jüngerer Sohn Samuel hatte mich am Vormittag des Heiligen Abends mit der Ankündigung, er wolle für die Familie backen, angenehm überrascht. Ich war fast schon gerührt von seinem Einsatz. Es stellte sich aber heraus, dass er ein sehr spezielles Dessert fabriziert hatte … Von wem die Schnapsidee dazu kam, erzählen mir die Jungs bis heute nicht. Aber die beiden – und dazu mein Mann – standen grinsend in der Küche, als ich, alarmiert vom einschlägigen Duft, der durch das Haus drang, entsetzt die Tür zur Küche aufriss. Hatten die drei doch glatt Haschischkekse gebacken! Nach langer Diskussion einigten wir uns darauf, dass jede Person, die wollte, einen Keks vorsichtig probieren durfte. Nach eigenem Ermessen. So weit, so gut. Abendessen und Bescherung gingen erst mal ohne Zwischenfälle über die Bühne. Dann kam das Dessert und somit die Kekse. Meine Mutter vertrug die süße Köstlichkeit am besten, gut gelaunt ging sie in die Mitternachtsmette und kam noch besser gelaunt zurück. Unsere Söhne wurden von ihr aufgefordert, doch noch ein bisschen zu tanzen, was sie auch taten. Bis morgens um zwei. Mein Mann und ich reagierten sehr unterschiedlich, ihm wurde übel und er zog sich zurück, ich wurde plötzlich sehr sentimental und fing meinen Sohn im Treppenhaus ab, um ihm etwas schrecklich Trauriges zu erzählen. Einzig mein Vater, der in weiser Voraussicht nicht von der berauschenden Nachspeise gekostet hatte, war am nächsten Morgen ausgeschlafen und vergnügt.
Gut. In unserer Familie wurden die Kekse erst mal nicht mehr gebacken, aber zumindest meine Mutter hat dieses Weihnachten in bester Erinnerung. Und aus heutiger Sicht würde ich sagen: Lieber die Weihnachtsfeiertage mit Cannabis-Kater und Familie auf der Piste als allein mit Wärmflasche und Rückenschmerz auf dem Sofa.
Zurück ins Jahr 2021: Anders als das Jahr zuvor mit meinem Mann verbrachte ich Silvester 2021 im Haus meiner besten Freundin Verena. Klar, getrennt, wie mein Mann und ich waren, musste ich mir ein eigenes Silvester suchen. Wir kochten nach Ottolenghis israelisch-britischer Küche und Verena war der Meinung, dass es mir guttue, trotz meiner Rückenschmerzen bis Mitternacht aufzubleiben und mit allen Gästen anzustoßen. „Du musst das Jahr positiv beginnen, Aglaia!“ Meine Freundin hatte dabei – wie so oft in dieser Zeit – ein fürsorgliches Auge auf mich und ich heulte mich um Mitternacht hemmungslos durch die Arme ihrer Familie und unserer Freunde. Dann wurde getanzt. Um ein Uhr morgens fand ich mich also zwischen ihren Schwestern und Nichten auf der Tanzfläche wieder und versuchte, die Schrittfolge des Songs „Jerusalema“ von Master KG zu begreifen, der zu der Zeit gerade viral ging. Kortison sei Dank, ich bekam jeden zweiten Tag Infusionen, hielt ich bis drei Uhr morgens durch und war, als mir meine Freundin noch eine Wärmeflasche ans Bett brachte und eine Gute Nacht wünschte, schon um Längen besser drauf als noch im Jahr davor.
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Das Gefühl hielt leider nicht besonders lange an. Im darauffolgenden Februar 2022 war ich gezwungen, meine Dreharbeiten in Berlin abzubrechen. Es war schrecklich, zum ersten Mal in meiner doch bald dreißigjährigen Karriere eine Rolle zurückgeben zu müssen. Aber ich hatte mittlerweile so abartig starke Schmerzen, dass ich mich bei jeder Bodenwelle an den Griff des VW-Busses klammerte, mit dem ich in Berlin abgeholt wurde, um ans Set zu fahren, und die Zugfahrt nach Berlin hatte ich nur liegend – vor den Toiletten am Boden – geschafft.
Ich war mit diesem Bandscheibenproblem zu der Zeit ja in den Händen jenes Arztes in München, der davon überzeugt war, mich mit hochdosierten Kortison-Infusionen von meinen Schmerzen befreien zu können. Das funktionierte anfangs auch, nach ein paar Wochen musste die Infusionsdichte jedoch immer stärker erhöht werden und ein paar Tage nach Abbruch meiner Dreharbeiten hatte ich trotzdem so starke Schmerzen, dass ich beschloss, mich selbst in ein Grazer Krankenhaus einzuweisen. Weg aus München, zurück in die alte Heimat. In Graz angekommen, wo ich in der Schmerzambulanz eines großen Krankenhauses aufgenommen wurde, konnte ich mich endlich fallenlassen und wollte nach einer Woche eigentlich nicht mehr raus. Mein Gott, wenn ich damals geahnt hätte, was für ein langer Weg noch vor mir lag …
Den 23. Februar 2022 werde ich nie vergessen. Ich lag mit immer noch starken Schmerzen in meinem Zimmer im ersten Stock des Elisabethinen-Krankenhauses. Ein Stockwerk über mir wurde mein Vater mit einer Covid-Infektion eingeliefert und am Tag darauf hatte Wladimir Putin der Ukraine den Krieg erklärt. Mir ging es so schlecht, dass ich den Fernseher nicht einschalten konnte, weil ich die angsteinflößenden Nachrichten nicht ertrug. Am nächsten Tag quälte ich mich in einen Ganzkörperschutzanzug, um meinen Vater zu besuchen, den ich unbedingt aufbauen und ablenken wollte. Gut, dass damals die Zeit des völligen Kontaktverbotes schon vorbei war. Die vielen Menschen, die an oder mit Covid gestorben sind, ohne sich von ihren Angehörigen verabschieden zu können, berühren mich noch heute.
Ich wurde in diesem Grazer Krankenhaus ausnehmend gut betreut. Die Oberärztin kam in ihrer Mittagspause in mein Zimmer und machte mit mir Atem- und Konzentrationsübungen, und der Chefarzt setzte sich an mein Bett und half mir, meine Gedanken zu ordnen. Ich hätte noch ein paar Tage in dem sonnendurchfluteten Zimmer bleiben wollen, doch das war nicht möglich. Einmal, weil es mir erst mal etwas besser ging, und zum anderen, weil das Zimmer gebraucht wurde. Liebenswerterweise holte mich mein Mann zurück nach München. Er kam, um mich in meinem Auto heimzufahren. Dummerweise konnte ich damals nämlich nicht allein Zug und auch nicht gut allein Auto fahren.
In dieser Zeit begann er, sich wieder ein bisschen um mich zu kümmern. Er sah meine Verzweiflung und das berührte ihn. Wir näherten uns behutsam an. Ich tat ihm leid und er fühlte trotz allem wohl noch eine Verbundenheit mit mir. Klar, es sind über dreißig Jahre, die wir uns kennen. Zu unserem 25. Hochzeitstag vor wenigen Monaten im November hatte er mir rote Rosen geschenkt und auf die Karte geschrieben: „Trotz allem. Das muss uns erst mal einer nachmachen.“
So gut ich im Krankenhaus wegen der wunderbaren Betreuung noch lächeln konnte, so schwer fiel es mir in der Zeit danach zu Hause. Einerseits hatte ich mit Ängsten zu kämpfen, andererseits musste ich einen Platz finden, wo ich Rücken und Psyche beruhigen und stabilisieren konnte, was sich als schwierig entpuppte. Zu einer „guten psychosomatischen Klinik“ wurde mir geraten. Aber welche war „gut“? Und hatte einen Platz frei? Und war nicht so weit von zu Hause, sodass ich besucht werden konnte? Schlussendlich traf ich eine Wahl und meldete mich an.
In den Wochen bis dahin verbrachte ich viel Zeit bei meiner besten Freundin Verena, die – Fügung des Schicksals – mit einem Psychiater verheiratet und selbst alternativ praktizierende Allgemeinmedizinerin ist. Sie quartierte mich in der Wohnung ihrer verstorbenen Mutter ein und versuchte, mich durch diese schwierigen Wochen zu balancieren. Die Wohnung ihrer Mutter hatte ein eigenes Flair, es roch ein bisschen so wie damals bei meiner Großmutter. Viele alte Möbel und Teppiche. Aber sie hatte einen Traumblick auf einen kleinen See und dahinter auf die Berge. Meine Freundin las mir manchmal abends vor und schlief hin und wieder auch bei mir oben. Ich kam mir ein bisschen wie ein Kurgast vor, der Vollpension und Therapieeinheiten gebucht hatte und der die Therapeuten durch den Status des Privatpatienten auch nachts kontaktieren durfte. Herrlich! Meine Freundin unterstützte mich auch dabei, meine E-Mails und Anrufe souverän zu erledigen. Ich war damals mit den einfachsten Aufgaben überfordert und hätte es ohne ihre Hilfe nicht geschafft – auch das hätte ich mir nie träumen lassen, dass ich meine E-Mails einmal nicht mehr würde beantworten können. Diese Zeit war ein Tiefpunkt.
Der Druck, einerseits eine Produktion unterbrochen zu haben und deswegen mit der Versicherung, der Produktionsfirma, der Krankenkasse und so weiter zu tun zu haben, andererseits zwei Filme meiner Reihe „Zimmer mit Stall“ vorzubereiten, war enorm. Vor allem die Entscheidung, ob und wann ich der Produktionsfirma sagen sollte, dass es mir gerade nicht so gut ging. Ich war hin- und hergerissen und bombardierte meine arme Freundin gefühlt fünfzig Mal täglich mit der Frage: „Was soll ich nur tun?“ Wenige Wochen vor Drehbeginn, im Mai 2022, musste ich dann wohl oder übel mit der Wahrheit herausrücken und Tacheles reden. Also absagen. Schrecklich. Die Produzenten waren verständlicherweise schockiert, versuchten aber bald darauf, mir zu helfen, um zumindest ein paar Tage zu retten, aber es war nichts zu machen. Ich wurde umbesetzt. Es beutelt mich heute noch, wenn ich an diese Tage im Mai 2022 zurückdenke. Auf Anraten des Produzenten konsultierte ich einen weiteren Orthopäden – den gefühlt zwanzigsten. Ich telefonierte mit dem Redaktionsleiter des Senders und wollte ihn nicht merken lassen, wie hundsmiserabel es mir ging. Und als es dann raus war, dass ich umbesetzt wurde und damit erst mal auf der Straße stand, statt vierzig Drehtagen also keinen einzigen hatte, da ging’s mir dann auch dreckig. Anders dreckig als davor. Zum einen hatte ich diesen Bandscheibenvorfall und diese unerträglichen Schmerzen – zum anderen keinen Job mehr. Es war sicher auch eine Last abgefallen, aber freuen konnte ich mich nicht. Die schnelle Umbesetzung tat weh, natürlich, auch wenn sie absolut nachvollziehbar war. Es war zu spät, um zu verschieben oder das Drehbuch umzuschreiben.
Meine Freundin und mein Mann hatten alle Hände voll zu tun, mich in dieser Zeit aufzufangen. Ich hatte das Glück, mithilfe einer anderen Freundin, Sandra, in München eine sehr fähige Osteopathin zu finden, endlich, nachdem ich davor bei diversen Chiropraktikern und Physiotherapeuten gescheitert war. Die vollbrachte das Wunder, mir einerseits Übungen zu zeigen, die auch wirklich halfen, und mich andererseits so zu behandeln, dass der Schmerz endlich etwas zurückging. Immerhin: Neun Monate nach dem ersten Schmerzanfall hatte ich Hilfe gefunden. Mein Mann war wunderbar in diesen Wochen. Umso schlimmer, dass er Ende Juni zu einer großen Motorradtour ans Nordkap aufbrach. Er brauchte eine Pause. Ich hielt seine Abreise nur schwer aus und flüchtete wiederum zu meinen Freunden. Mir war klar: Ich muss fit werden für meinen Kinofilm im Herbst. Wobei ich noch nicht ahnen konnte, dass auch dieser Film schlussendlich ohne mich stattfinden würde.