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Kriminalität als ein Bestandteil unserer Zivilisation beeinflusst unser Leben auf ganz unterschiedliche Weise: einerseits bestimmt sie einen bedeutenden Anteil der täglichen Nachrichten und erzeugt Gefühle der Unsicherheit und der Angst, selbst Opfer werden zu können, andererseits liefert sie jede Menge Stoff für Filme und Romane. In diesem Buch werden authentische Kriminalfälle der Jahre 1961 bis 1974 in West-Berlin, die seinerzeit die Schlagzeilen beherrschten, aus der Sicht eines ermittelnden Kriminalbeamten beschrieben und sollen damit vor dem Vergessen bewahrt werden. Denn Geschichte ist nicht nur bloße Vergangenheit, sondern die Grundlage, aus der das Heute erwuchs. Ermittlungsarbeit wird als systematische Verfolgung vieler kalter und entscheidender warmer Spuren beschrieben und ebenso das kleine Quäntchen Glück des Tüchtigen, das in vielen Fällen zur Ergreifung der Täter führte. Den Leserinnen und Lesern werden damit reale Einblicke in die professionelle Arbeit der Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten gewährt und auch in die damit verbundenen Gefahren für deren Leib und Leben. Die Namen der Kriminellen, deren Opfer und die der Polizisten wurden geändert, ebenso mischen sich bei den Angaben zu Orten, Straßen und Lokalitäten Fiktion und Wirklichkeit. Nur die Personen der Zeitgeschichte werden mit ihren Namen genannt.
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Seitenzahl: 426
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Kriminalität als ein Bestandteil unserer Zivilisation beeinflusst unser Leben auf ganz unterschiedliche Art und Weise: einerseits bestimmt sie einen bedeutenden Anteil der täglichen Nachrichten und erzeugt Gefühle der Unsicherheit und der Angst, selbst Opfer werden zu können, andererseits liefert sie jede Menge Stoff für Filme und Romane.
In diesem Buch werden authentische Kriminalfälle der Jahre 1961 bis 1974 in West-Berlin, die seinerzeit die Schlagzeilen beherrschten, aus der Sicht eines ermittelnden Kriminalbeamten beschrieben und sollen damit vor dem Vergessen bewahrt werden. Denn Geschichte ist nicht nur bloße Vergangenheit, sondern die Grundlage, aus der das Heute erwuchs. Ermittlungsarbeit wird als systematische Verfolgung vieler kalter und entscheidender warmer Spuren beschrieben und ebenso das kleine Quäntchen Glück des Tüchtigen, das in vielen Fällen zur Ergreifung der Täter führte. Den Leserinnen und Lesern werden damit unmittelbare Einblicke in die professionelle Arbeit der Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten gewährt und auch in die damit verbundenen Gefahren für deren Leib und Leben.
Im Buch ermittelt der Kriminalbeamte Klaus Berger, bei dem es sich um eine tatsächlich existierende Person handelt. Dieser schilderte dem Autor über einen längeren Zeitraum seine Erlebnisse, so dass er sie in Romanform festhalten konnte. Die Namen der Kriminellen, deren Opfer und die der Polizisten wurden geändert, ebenso mischen sich bei den Angaben zu Orten, Straßen und Lokalitäten Fiktion und Wirklichkeit.
Horst Brandt, selbst Kriminaldirektor und im Ruhestand, schrieb dieses Buch in enger Abstimmung mit Klaus Berger. Es ist all denen gewidmet, die mit größtmöglichem Einsatz dafür Sorge tragen, dass Kriminelle weder ungestraft ihren Geschäften nachgehen noch ihre Verbrechen unser Leben bestimmen können.
Es war mir eine Freude, die Entstehung dieses Buches zu begleiten.
Prof. Dr. Eberhard Kühne
Emeritus der Hochschule der Sächsischen Polizei (FH) in Rothenburg/Oberlausitz
Vorwort
Berlin 1961
Trauer und Empörung in Berlin
Wechsel zur Kripo
Ausbildungskriterien
Die Queen besucht Berlin
Tresorknacker
Aktenhaltung
Erster Hinweis
Zwei professionelle Ganoven
Volltreffer
Festnahme und ein erstes Geständnis
Husarenstück und seine Grenzen
Kriminalinspektion Schöneberg
Kriminaldauerdienst
Suizid oder Mord?
Nicht schon wieder
Mordkommission
Erinnerungsvermögen
Nichts Neues von den Tresorknackern
Rebellierende Studenten
Schah-Besuch am 2.Juni 1967
Jubelperser
Der Tod des Benno Ohnesorg
Albertz, Büsch und Duensing treten zurück
Rudi Dutschke
Baader, Ensslin, Meinhof u.a.
„Große Streife“
„Halten Sie mal meine Brille“
Unglaublich
Veränderung?
Dreifachmord in Reinickendorf
Schießerei in Bleibtreustraße
Tresorknacker in Freiheit
Sie waren dann mal weg
Große Polizeireform
Referat O
Kriminelle Jugoslawen
Schusswaffen
Erster Erfolg
Festnahme - filmreif
Unerwarteter Beifall
Auf Granit gebissen
Serben versus Kroaten?
Zwei ungeklärte Tötungsdelikte
Tödliches Spiel
Zusammenarbeit
Die Spur führt nach Nürnberg
Hauptgewinn
Der „Bastler“
Ein Bayer in Berlin
Erfolgserlebnis
Mord im Europa Center
Arminius HW 1 S
Der Büchsenmacher
„Narbengesicht“
Bombenanschlag auf einen britischen Yachtclub
Organisiertes Verbrechen
Georg Markow und Günther Förster
Die Bar „Athene“
Taktisches Vorgehen
Raubüberfälle auf Shell-Tankstellen
Fast mit dem Leben bezahlt
Kommissar Zufall
Gewalttäter Gernot Frost
Endlich Urlaub
Kaum zu glauben
Sisyphusarbeit
Ein Krimineller der besonderen Art
Polizistenmord in Dänemark
Die Schlinge zieht sich zu
Lachnummer oder Hauptgewinn?
Untersuchungshaft wegen Mordes
Ein nervöser Markow
Ein Verbrecher stirbt
Privatleben?
Italienische Mafia?
Schutzgelderpresser
Es geht ans Eingemachte
Nägel mit Köpfen
Erneute Obseervationen
Ermittlungsergebnisse
Schauspieler oder gerissener Ganove?
Teilgeständnis
Polizeirevier am Kurfürstendamm
Schüsse im „Noblesse“?
Da war doch noch was
Balko und der „Stutti“
Taser? Nie gehört!
Glanzlos?
Einmal Hamburg und zurück
Wie aus dem Nichts?
Frühlingsfest auf dem Lützowplatz
Tödlicher Streit
Im Quartier Napoleon
Anruf aus Tanger
Interpol
Erneut „Stutti“
Fehlschlag oder Erfolg?
Einmal mehr Zusammenarbeit
Michael Werner
Ein neues „Abenteuer“ beginnt
Noch immer keine Spur
Berger braucht Gewissheit
Schock
Mord oder Selbstmord?
Aber wo steckt der Lump?
Es reicht
„Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu errichten“, das waren die Worte des Staats- und Parteichefs der DDR Walter Ulbricht, die er in einer Pressekonferenz am 15. Juni 1961 an die Öffentlichkeit richtete. Als er trotz dieser Beteuerungen am 13. August 1961 die Stadt durch Volkspolizisten und Kampfgruppen mit Stacheldraht und Beton endgültig teilen ließ, wurden Familienbande zerrissen, Freunde, Kollegen und Verwandte getrennt und erste Schockreaktionen gingen in ungläubiges Entsetzen über und Unmut verwandelte sich in Hass.
Klaus Berger und mit ihm viele Angehörige der Bereitschaftspolizei in Berlin-Moabit, Kruppstraße, sahen voller Unglauben und Fassungslosigkeit, was mit ihrer Stadt geschah und wie das Brandenburger Tor zum Mittelpunkt eines hochexplosiven Geschehens avancierte. Nur unter großen Mühen gelang es in der Folgezeit seinen Kollegen und ihm, die erregten Westberliner davon abzuhalten, vom britischen in den sowjetischen Sektor zu stürmen und sie zugleich daran zu hindern, aus dem unübersichtlichen Gelände des Berliner Tiergarten heraus Steine auf die Volkspolizisten Ostberlins und deren Kraftfahrzeuge zu werfen.
Willy Brandt, Regierender Bürgermeister West-Berlins, fand, wie so oft, die richtigen Worte und sprach aus, was Tausende dachten: „Es herrscht Trauer und Empörung in beiden Teilen Berlins.“
Die Entrüstung der Bevölkerung wuchs beinahe stündlich, so dass starke Polizeieinheiten eingesetzt werden mussten, um die sich anbahnende Gewaltbereitschaft vieler Berliner zum Abriss dieses Monstrums nicht eskalieren zu lassen. Auseinandersetzungen zwischen Polizeieinheiten und aufgebrachten Westberlinern, die meinten, den Mauerbau durch Steinhagel gegen die Volkspolizei auf Dauer abwenden zu können, waren jetzt an der Tagesordnung. Und obwohl Berger und seine Kollegen lieber auf Seiten der Demonstrierenden gestanden hätten, mussten sie sich ihnen entgegenstellen, um zu verhindern, dass sie in lebensgefährliche Situation gerieten.
So hatte sich Klaus Berger seinen Dienst als Polizist eigentlich nicht vorgestellt. Zugegebenermaßen wurden ja auch alle anderen Berliner in Ost und West von derart gravierenden Einschnitten überrascht. Dennoch hieß es jetzt auch für ihn, zur Deeskalation beizutragen, den Flüchtenden nach Überwinden der immer höher wachsenden Mauer hilfreich zur Verfügung zu stehen und sie in Sicherheit zu bringen. Die Mauer zerriss die Stadt, und so auch von Machthabern Ostberlins gewollt, völlig, und West-Berlin, ringsherum von Mauer und Stacheldraht umgeben, entwickelte sich zu einer Insel.
Klaus Berger, der 1957 bei der West-Berliner Bereitschaftspolizei eingestellt worden war, hatte es durchaus gutgetan, die Ausbildungskriterien bei der Bereitschaftsund später der Schutzpolizei erfüllt zu haben. Dennoch wollte er sich, das war eine der Voraussetzungen, um dort übernommen zu werden, mit 27 Jahren zur Kriminalpolizei bewerben. Weitere Gründe waren das Bestehen der Aufnahmeprüfung sowie des ein Jahr dauernden Lehrganges, der sich zu 2/3 aus Theorie und 1/3 aus praktischer Arbeit zusammensetzte.
In dieser Zeit durchlief Berger, 176 cm groß, schlank und sportlich, blaue Augen und dunkelblondes Haar, mehrere Dienststellen der 1960 neugegliederten Kriminalpolizei mit der zentralen Kriminaldirektion, dem Referat A und den Inspektionen F (Fahndung) und ED (Erkennungsdienst), dem Referat B (Betrug), dem Referat E (Eigentumsdelikte), die alle in der Gothaer Straße 19 im Bezirk Schöneberg, zwischen Grunewald- und Belziger Straße, etabliert worden waren. Dazu kamen das Referat M (Delikte am Menschen), das seinen Sitz in der Keithstr. 28-32 innehatte sowie das K- Referat Ö (Örtlich) mit zwölf bezirklichen Kriminalinspektionen innerhalb West-Berlins.
Zu Bergers Ausbildung gehörte es u.a., innerhalb des LKA (Landeskriminalamt) die ersten kriminalpolizeilichen Erfahrungen zu sammeln, weshalb er zunächst in den Bereich des Referates B und dort in die Inspektion B I kam, die sich mit Wirtschaftskriminalität befasste. Wenngleich dieses neue Aufgabengebiet nicht gerade seinen Intentionen entsprach, musste er auf dem Weg zum Kriminalmeister diesen einen Monat dort durchstehen.
Obwohl er sich hier mit dem ihm fremden und recht schwierigen Fachgebiet befassen musste und er nicht einmal über die nötigen Grundkenntnisse verfügte, die in diesem Metier von einem Sachbearbeiter erwartet wurden, hatte er es Gott sei Dank mit Kollegen zu tun, die seine Situation verstanden und ihn in den vier Wochen seiner Ausbildung nur mit Vorgängen betrauten, die er auch einigermaßen bewältigen konnte.
Im Referat E sah es schon ganz anders für ihn aus. Bei E I wurden Raubtaten und in der Inspektion E II Einbrüche bearbeitet, deren Kollegen dementsprechend handfest waren. Daran gewöhnt, meist mit gewaltbereiten Schwerverbrechern konfrontiert zu werden, war ihre Vorgehensweise im Umgang mit diesen Kriminellen eine ganz andere als die der Kollegen, die die Wirtschaftskriminalität zu bearbeiten hatten.
In seine Ausbildung hinein fiel ein Verbrechen, das es aus vielerlei Gründen in sich hatte.
Am 27. Mai 1965, einem Himmelfahrtstag, empfing der Berliner Senat unter Vorsitz des Regierenden Bürgermeisters Willy Brandt die britische Königin Elisabeth II und deren Ehemann Prinz Philip. Auf Wunsch der Monarchin wurde sie am selben Tag durch die Berliner Polizei zum Maifeld am Olympiastadion begleitet, wo die Queen vor britischen Soldaten eine Militärparade abnahm.
Auf ihrer anschließenden Fahrt zur Berliner Mauer sowie einer Stippvisite zum angrenzenden Großen Tiergarten, Berlins ältesten und größten Park, pflanzte sie dort einen Baum. Als sie anschließend durch Berlins Straßen zum Schöneberger Rathaus unterwegs waren, standen tausende Berliner am Straßenrand, jubelten ihr und ihrem Ehemann Prinz Philip zu und schwenkten dabei deutsche und britische Papier-Fähnchen. Im Rathaus Schöneberg angekommen, trugen sich Elisabeth II und ihr Ehemann Prinz Philip in das Goldene Buch der Stadt ein.
Danach fuhren sie und eine Delegation der Bundesregierung sowie des Berliner Senats zur Orangerie des Charlottenburger Schlosses, um gemeinsam mit dem Bundeskanzler Ludwig Erhard, dem Regierenden Bürgermeister Willy Brandt sowie zahlreichen Ehrengästen zu dinieren. Anschließend verließen die Ehrengäste die Stadt, um nach Hannover zu fliegen. Soweit der offizielle Teil.
Keine Frage, dass die Polizei im Großeinsatz war und sich um Dinge kümmern musste, die vor allem die Sicherheit der Gäste betrafen. Eine Logistik, die es in sich hatte. Doch alles lief wie am Schnürchen und niemand kam während des einige Stunden dauernden Besuches zu Schaden. Die Berliner waren gut durch die Presse vorbereitet worden, so dass sie alle Routen der Gäste kannten und sich am Straßenrand aufstellen durften, um nicht nur die Königin, sondern auch die viele anderen Gäste begeistert empfangen zu können.
Da der genaue Ablauf ihres Besuches den Gazetten zu entnehmen war, wussten auch die beiden Schlosser Gerhard Neufeld und Dieter Schulz um diesen Zeitplan, auf dessen Einhaltung auch sie sich, allerdings aus ganz anderen Gründen, tagelang vorbereitet hatten. Sie wollten einen Coup zu landen, der die Stadt ganz sicher ebenso aufrütteln würde, wie der Aufenthalt des englischen Königspaares.
Die Mittags-und Sonderausgaben der Berliner Zeitungen waren am 28.Mai 1965 sehr gut mit Schlagzeilen gefüllt und das allein schon wegen des Aufenthaltes der Queen. Ansonsten gab es kaum Nennenswertes, was sich aber in folgenden Stunden drastisch ändern sollte.
Klaus Berger hatte am 28.5.65, um 07.30 Uhr, gerade seine neue Dienststelle, die Inspektion E II, die sich im Parterre des Landeskriminalamtes in der Gothaer Straße 19 befand, betreten, als ihm sein Kollege Olaf Usadel entgegenkam. Er stellte ihn kurz seinen Kollegen vor und machte ihn auf die Schnelle mit den Gegebenheiten seiner Dienststelle vertraut. Ohne groß Luft zu holen, erklärte er ihm, dass sie sofort zum Kaufhaus Berthold in der Kantstraße fahren müssten, da Straftäter den Tresor des Hauses aufgebrochen und rund 500.000 DM erbeutet haben sollen. Eile war geboten, und das nicht nur wegen des „Bruchs“, sondern auch deshalb, weil schon einige Presseorgane Wind davon bekommen haben dürften.
Na, das war doch schon mal was, dachte sich Klaus Berger im Stillen und freute sich, weil es wirklich spannend war, bereits am ersten Tag seines Dienstantritts mit seinem Kollegen zu einem solch spektakulären Fall rausfahren zu können. So rief er auf Veranlassung von Usadel die Fahrbereitschaft an, die im vorderen Teil des quadratischen Gebäudes des LKA und direkt an die Belziger Straße angrenzte, untergebracht war. Er bat den Kollegen, schon mal „die Pferde anzuspannen“, sie würden gleich zu zweit runterkommen.
Man begrüßte sich kurz, erklärte dem Kraftfahrer, wohin die Fahrt gehen sollte, und dann ging´s auch schon in rasender Fahrt von der Belziger zur Martin-Luther-Straße bis runter zur Kleiststraße, links rein, am Wittenbergplatz vorbei, in die Tauentzienstraße, hoch bis zur Joachimsthaler, rechts rein und gleich wieder links in die Kantstraße, bis sie vor dem Kaufhaus Berthold standen. Sie hatten nicht mehr als 15 Minuten gebraucht, ohne dabei das Blaulicht eingeschaltet zu haben.
Usadel und Berger bedankten sich bei ihrem Kollegen Werner Hinze für dessen erstklassige Fahrweise und verschwanden erst einmal durch die Eingangstür des Kaufhauses. Drinnen angekommen, wurden sie von einer leicht nervösen Geschäftsleitung in Empfang genommen, die sie sofort in den im Parterre und dort für Außenstehende gut versteckten Tresorraum führte. Die Vorderseite des Tresors, kaum noch als solche zu erkennen, war aufgeschweißt. Und ein recht großes Loch deutete darauf hin, dass die Täter erfolgreich gewesen sein dürften.
Im Geldschrank hatten sich, so die Angaben des Geschäftsführers über hundert Lohntüten befunden, in denen die Gelder der Arbeiter und Angestellten des Hauses gelegen hatten, rund 500.000 DM. Davor ein Schweißgerät, Bohrmaschinen mit dem entsprechenden Werkzeug, eine Sauerstoff-sowie eine Acetylenflasche, alles achtlos hingeworfen bzw. einfach liegen gelassen.
Damit nicht genug, bat sie ein Angestellter des Hauses, sich noch einige andere Bereiche des Kaufhauses anzusehen, und zwar die Möbelabteilung, in der die Täter ein Bett benutzt, die Abteilung für den Hausgebrauch, aus der sie sich Bohrmaschinen und das entsprechende Werkzeug „ausgeliehen“ und die Lebensmittelabteilung, in der sie, darauf deuteten die benutzen Teller und Bestecke hin, offensichtlich gut gespeist hatten.
Ob auch noch andere Abteilungen betroffen waren, mussten erst die weiteren Recherchen innerhalb des Hauses ergeben. Schon ein mehr als dreistes Vorgehen der Einbrecher, wenngleich sowohl bei den Kriminalbeamten als auch bei den späteren Berichterstattungen der Zeitungen eine gewisse Bewunderung für die Ganoven mitschwang. Und nicht nur die Kriminalbeamten fragten sich, wie die Ausführung eines solch gewagten Verbrechens überhaupt möglich gewesen sein konnte.
Nachdem Usadel und Berger den Tatort ausführlich begutachtet hatten und sowohl der Fotograf als auch die Spurensucher des Erkennungsdienstes bereits eingetroffen waren, waren die ersten Maßnahmen innerhalb des Tresorraums zunächst mal erledigt. Dann setzte die Befragung der Verantwortlichen ein. Hatten sie vielleicht schon eine Idee, wer hier Hinweisgeber gewesen sein könnte und wer verfügte über die Kenntnisse, dass so viel Geld, und das schon einige Tage vor Ultimo, in dem Tresor lag?
Nach diesen ersten noch recht unbefriedigenden Informationen fuhren sie zunächst wieder zurück zur Dienststelle und setzten ihren Inspektionsleiter sowie die Kollegen des Kommissariats in Kenntnis, so dass auch sie auf dem aktuellsten Stand der bisherigen Ermittlungen waren. Dann erhielt Berger den Auftrag, die Aktenhaltung, die sich im 4. Stock des LKA befand und in der alle in Berlin angefallenen relevanten Straftaten der letzten Jahre fein säuberlich aufgelistet und deponiert waren, aufzusuchen und die Verbrecher herauszukristallisieren, die ähnliche bzw. artverwandte Straftaten beinhalteten.
Usadel hatte zuvor seine eigene kleine Kartei durchforstet und alle Namen auf einem Zettel notiert, die nach seinem Dafürhalten als potentielle Täter in Betracht zu ziehen waren. Damit ausgerüstet lief Berger zum Fahrstuhl und fuhr hoch zum 4. Stock des Hauses, wo sich die Tür zur Aktenhaltung erst nach mehrmaligen Klingeln öffnete und eine junge Kollegin, groß, schlank und ausgesprochen freundlich, ihn fragte, was sie denn für ihn tun könne. Nachdem er ihr seine Wünsche erläutert hatte, bat sie ihn um das Vorzeigen seiner Dienstmarke und ließ ihn erst dann in ihr Refugium eintreten.
Mit den vielen Namen auf seinem Zettel, wollte er gleich loslegen, als ihm die Kollegin erst einmal einen Aktenwagen hinschob. Und als er nach dem Warum fragte, erklärte sie ihm, dass er gleich sehen würde, welcher Berg an Akten nach unten zu transportieren wäre.
Nach einer halben Stunde Sucherei und Sichtung war er zufrieden, ihr Angebot angenommen und den Aktenwagen neben sich zu haben, denn der Aktenberg war in der Tat erheblich angewachsen. Er bedankte sich und wollte schon zum Fahrstuhl laufen, als ihn die Kollegin aufforderte, erst einmal alle Akten, die er mitnehmen wollte, auch zu quittieren und dabei vor allem die Telefonnummer, unter der er in den nächsten Tagen zu erreichen wäre, nicht zu vergessen. Erst dann durfte er die Kartei verlassen, begab sich zum Fahrstuhl und wurde darin beim Runterfahren von einen ihm bekannten Kollegen angemacht, ob er denn jetzt zur Aktenhaltung gewechselt sei. Berger zeigte ihm nur einen Vogel, stieg im Parterre wieder aus und besah sich zusammen mit Usadel, was da an Arbeit auf sie zukommen würde. Dennoch ließ sich ihre Suche ein wenig eingrenzen, weil die Vorgehensweise der Tresorknacker doch schon recht ungewöhnlich war und nicht nur eine stumpfe Vorgehensweise „normaler“ Einbrecher aufwies.
Die gute Planung der Täter, das Einbeziehen von Schweißgeräten, Sauerstoff-und Acetylenflaschen, die sie, wie ihrer beider Ermittlungen ein wenig später auf dem Dach des Kaufhaues ergaben, ließ darauf schließen, dass sie mindestens einmal auf dem Dach des Kaufhauses gewesen sein müssen. Die Kenntnis von der Lage des Tresorraumes sowie die Größe und Stabilität des Geldschrankes sprachen dafür, dass sie nicht nur gut geplant hatten, sondern auch gut informiert darüber waren, wo sich der Tresorraum befand und dass gerade am Himmelfahrtstag so viel Geld, wie letztlich später von ihnen entwendet, im Tresor liegen würde.
Drei Tage waren Usadel und Berger damit beschäftigt, Berichte zu schreiben, Zeugen zu vernehmen, vor allem die Bauarbeiter auf dem Dach, und jede relevante Akte akribisch nach Übereinstimmungen zu der vorliegenden Straftat zu durchstöbern, als ein Kollege der Polizeiwache in der Gothaer Straße ihnen am Montag, dem 31.5.65, um 10.00 Uhr, telefonisch mitteilte, dass ein Ehepaar Gitte und Eberhard Kreutzer die Beamten sprechen möchte, nein müsste, die mit der Aufklärung des Verbrechens vom 27.Mai 1965 betraut waren.
Ein Hinweis, heute, nur wenige Tage nach dem Entdecken der Straftat, kam zwar grundsätzlich gelegen, aber ob der zur großen Aufklärung des Verbrechens beitragen sollte, das glaubte zunächst mal keiner von ihnen.
Als das Ehepaar jedoch eintrat und sich auf Bitten der Beamten auf die beiden Stühle vor Usadels Schreibtisch setzte, übernahm sofort die Frau die Initiative, wobei sogleich eine leichte Spannung bei den Beamten aufkam, die sich mit jedem Satz, den die Frau sprach, nur noch vergrößerte. Während der Ehemann ziemlich „bedeppert“ neben ihr saß und seine Augen unruhig im Zimmer hin- und her schweifen ließ, kam die Frau, die sich ihnen als Regine Kreutzer vorstellte, sofort zur Sache.
Sie erklärte den erstaunten Beamten, dass ihr Mann wisse, wer den Tresoreinbruch begangen habe. Danach forderte sie diesen auf, nun ohne Widerrede die Täter sowie die ihm bekannten Tatumstände zu schildern. Das tat Eberhard Kreutzer dann tatsächlich, wenn auch widerstrebend. Bevor er jedoch loslegen konnte, bat Usadel seinen Kollegen Berger mal zwei Zimmer weiter zu gehen und die Schreibkraft der Dienststelle, Frl. Christine Polster zu fragen, ob sie im Moment freie Kapazitäten hätte, um eine etwas länger dauernde Vernehmung durchzuführen. Und nachdem Berger das Plazet der jungen Kollegin erhalten hatte, lief er zurück und deutete Usadel mit einem Daumen nach oben an, dass die Befragung in ihrem Zimmer beginnen könne. Also liefen sie zu viert dorthin, und dann erzählte ihr Zeuge Eberhard Kreutzer ohne Unterbrechung. Frl. Polster schrieb mit Zehnfingersystem rasend schnell auf ihrer Schreibmaschine auf, was er zu berichten hatte, wobei Usadel und Berger kaum noch aus dem Staunen kamen:
„Ich kenne die beiden Schlosser Gerhard Neufeld, 22 Jahre und Dieter Schulz, 23 Jahre alt, seit meiner Kindheit. Wir wohnen über 18 Jahre schon immer im selben Kiez, nämlich in Berlin SO 36, Eisenbahnstraße. Während ich im Kaufhaus Berthold in der Kantstraße als Warenhausdetektiv angestellt bin, arbeiten die beiden mit mir befreundeten jungen Männer als Schlosser in einer Werkzeugfabrik in Berlin Kreuzberg. Für meine Frau und mich haben sie schon mehrmals einige Arbeiten in unserer Wohnung durchgeführt.
Ihr einziger Nachteil, den ich zumindest ansatzweise kenne, besteht darin, dass sie schon mal Einbrüche verübt haben, von denen ich zwar immer etwas erahnte, aber nie genau wusste, wo sie im Verlaufe ihres jungen Lebens in Berlin so unterwegs waren. Da sie aber immer ganz gut bei Kasse sind, muss wohl schon die eine oder andere Straftat erfolgreich gewesen sein. Aber das hatte mich bis dato nie so richtig interessiert. Ständig hatten sie, obwohl die Polizei sie schon ein oder zweimal geschnappt und ins Gefängnis gesteckt hatte, neue Ideen, wie man auf vielleicht bessere Art und Weise als durch ständige „Ackerei“ an viel Geld kommen könnte.
Dabei bezogen sie mich innerhalb der letzten Tage in ihre Gedankenwelt mit ein, was daran lag, dass sie auch von mir wissen wollten, ob es sich nicht lohnen könnte, mal „mein“ Kaufhaus aufzusuchen. Es sollte auch für mich was dabei rausspringen. Und da beide so enthusiastisch an ihrem Plan herumfeilten, diesen auch in die Tat umsetzen zu wollen, lag es jetzt an mir, sie mit meinen Möglichkeiten zu unterstützen. Und was lag näher, als den Vorschlag zu unterbreiten, vielleicht unseren hervorragend versteckten und gut gesicherten Tresor im Parterre „einen Besuch“ abzustatten. Dabei erläuterte ich ihnen, dass massive Metallwände den Tresor vor unbefugten Händen sehr gut schützen würden.
Da sie jedoch geschickte Metallhandwerker waren und auf dem Dach unseres Kaufhauses zurzeit Dacharbeiten durchgeführt wurden, benötigten die Bauarbeiter dort auch mit Sauerstoff und Acetylen gefüllte Flaschen sowie entsprechende Schweißgeräte. Das war schon mal Anlass genug, hier den großen Bruch zu planen und auch durchzuführen.
Hinzu kam, dass am Himmelfahrtstag die Lohngelder aller Beschäftigten im Tresor liegen würden und darüber hinaus das gesamte Gebäude wegen zahlreicher Verschönerungsarbeiten mit einem Gerüst eingerüstet war und so das Hinaufkommen auf das Dach über einen extra angebrachten Lastenfahrstuhl unproblematisch sein dürfte.
Ich hatte die beiden ja schon oft aufgeregt gesehen, wenn es darum ging, irgendwelche Ideen zu entwickeln, aber das, was ich ihnen über den Tresor und das ganze Drumherum erzählt hatte, versetzte die jetzt in Euphorie. Auch wenn ich versucht hätte, sie von dem Plan abzubringen, die beiden hätten niemals mehr auf mich gehört. Daran gehindert habe ich sie aber auch nicht, zumal ja auch ein kleiner Beitrag für mich abfallen würde. Nach einigem Zögern skizzierte ich ihnen den Raum, in dem sich der Tresor befand und erläuterte ihnen, dass zum Ende des Monat Mai 1965 eine Menge Geld darin liegen müsste und erwähnte so ganz nebenbei, dass auch die britische Königin am 27.5.65, Himmelfahrtstag, nach Berlin kommen und das Geld schon an diesem Tag im Tresor liegen würde.
Wir begeisterten uns jetzt zu Dritt immer mehr für diese Idee, und das allein schon deshalb, weil die Berliner Polizei vollauf mit dem Besuch der Ehrengäste beschäftigt sein und diesen ihre ganze Aufmerksamkeit widmen würde. Deshalb sollte es ein Leichtes sein, sich einige Stunden im Kaufhaus ungestört aufzuhalten und sich mit dem Aufbrechen des Tresors beschäftigen zu können.
Außerdem, das waren nun auch noch meine Hinweise, brauchten sie keine Werkzeuge wie Schweißgeräte, Bohrmaschinen, Sauerstoff-oder Acetylenflaschen etc. zum Kaufhaus zu transportieren, da sich fast alles auf dem Dach des Hauses bzw. in unseren gut bestückten Abteilungen befand.
Der Plan begann auch mich mehr und mehr anzustecken, obwohl ich ein mulmiges Gefühl bekam und ich mich auch meiner Frau gegenüber immer nervöser verhielt. Die beiden aber waren inspiriert und da noch gut eine Woche Zeit war, bis die Queen nach Berlin käme, fuhren sie zum Kaufhaus, liefen durch die einzelnen Abteilungen und sahen sich ganz genau an, wo welche Werkzeuge lagen und wo sich vor allem der Tresorraum befand.
Die Lebensmittelabteilung, die sie schon immer als recht attraktiv empfunden hatten, kannten sie genauso gut, wie die Abteilungen für den Hausgebrauch sowie den Bereich der Möbelausstellung und den der Herrenbekleidung.
Gerhard Neufeld war es dann, der sich zwei Tage vor dem geplanten „Bruch“ zu den Bauarbeitern um und am Gebäude gesellte und dort nicht weiter auffiel, weil er einen ähnlichen Monteuranzug trug wie sie. Man sprach miteinander, da aber auch viele Arbeiter ohne große Deutschkenntnisse an dem Umbau bzw. der Verschönerung des Hauses beteiligt waren, war die Kommunikation zwischen ihnen eher mäßig, vielleicht auch nicht gewollt.
Deshalb nahm wohl auch niemand von ihnen Anstoß daran, dass er mit dem Lastenfahrstuhl in den 6. Stock fuhr und oben, wie von Michael Kreutzer beschrieben, die Geräte lagen, die er und sein Kumpel zum Aufschweißen des Tresors benötigen würden. Und da die Dachdeckerarbeiten noch eine Weile andauern sollten, hätten sie, so seine Überzeugung, auch keine Probleme, sie am 26.5. bzw. 27.5.65 dort vorzufinden. Na, und die Tür, die vom Dach aus zum Inneren des Kaufhauses führte, war für ihn, den Fachmann, ein Lacher.
Ja, und wie sie dann letztendlich im Kaufhaus vorgegangen sind, dass müssen sie die beiden dann schon selbst fragen. Sie müssen mir aber glauben, dass es mir sehr schwer gefallen ist, meine beiden Bekannten hier bei ihnen zu verpfeifen, aber meine Frau hätte mir niemals mehr Ruhe gelassen und irgendwann wären sie als Kripo wohl auch auf mich gestoßen, weil ich als Warenhausdetektiv ein recht großes Insiderwissen habe. Darüber hinaus war ich mit zwei vorbestraften Einbrechern recht gut bekannt und kaum ein anderer innerhalb des Kaufhauses hätte so viele Informationen, auch bezogen auf den Himmelfahrtstag und dem mit Lohngeldern gefüllten Tresor, wie ich geben können. Also bin ich der Kripo zuvorgekommen, habe den Rat meiner Frau befolgt und bin heute bei ihnen, damit meine Strafe ein wenig geringer ausfallen könnte“.
Nach dieser Offenbarung und dem Hinweis an das Ehepaar, keinesfalls jetzt die Bekannten von ihrer Vorgehensweise in Kenntnis zu setzen, forderte Usadel seinen Kollegen Berger auf, die beiden Akten aus dem Wust der Unterlagen zu ziehen, die in dem kleinen Büro der beiden noch immer lagerten und längst noch nicht alle durchgesehen waren. Ob und wann sie darauf gestoßen wären, ließ sich nur erahnen. Aber da sich dieses Problem jetzt endgültig schon mal gelöst hatte, trugen die beiden Kriminalbeamten alles zusammen, was über Neufeld und Schulz schon bekanntgeworden war. Zu ihrem Erstaunen konnte sie feststellen, dass die beiden vor einem Monate gerade mal aus dem Knast entlassen worden waren, wo sie, wie anders sollte es auch sein, wegen eines Wohnungseinbruchs für mehrere Monate in der Justizhaftanstalt Tegel im Bezirk Reinickendorf gesessen hatten, aber wegen guter Führung vorzeitig entlassen worden waren.
Ihre Bewährungsauflage, die ihnen das Gericht auferlegt hatte, enthielt die Anweisung, sich einmal in der Woche auf ihrem zuständigen Polizeirevier einzufinden, sich bei der Polizei vorzustellen und mit Unterschrift zu untermauern, dass sie auch tatsächlich dort waren.
Das hatten sie zwei Tage vor dem Tresoreinbruch auch getan, waren auf dem Revier 108 in der Wrangelstraße in Berlin SO 36 und sollten am heutigen Tag wieder dort erscheinen. Und da davon auszugehen war, dass die beiden Verdächtigen sich im Verlaufe des heutigen Montag wieder vorstellen würden, rief Usadel die Wache des Revier 108 an und bat den Wachleiter, sollten die beiden Herren Neufeld und Schulz erscheinen, sie schon mal zu bitten, ihren Aufenthalt ein wenig zu verlängern, da die Kripo noch mit ihnen sprechen wollte.
Dann bedankten sich die beiden Kriminalbeamten bei dem Ehepaar Kreutzer für deren Hinweis und erinnerten Eberhard Kreutzer erneut daran, die beiden Freunde auf keinen Fall zu informieren, dass die Polizei sie auf dem Revier erwarten und zugleich auch festsetzen würde.
Dann rief Berger den Fahrdienst an und lief zusammen mit Usadel so schnell wie möglich auf den Hof des Hauses Gothaer Straße, wo der Kollege Hinze schon mit laufendem Motor auf sie wartete.
Die Fahrt von Schöneberg nach Kreuzberg dauerte auch nicht allzu lange, obwohl die Potsdamer, die Yorckstraße, der Mehringdamm und auch die Gitschiner Straße, die unter der Hochbahn entlang in Richtung Kottbusser Tor führte, ziemlich stark befahren waren. Von da an ging´s durch die Skalitzer Straße zum Hochbahnhof Görlitzer Bahnhof, links in die Manteuffelstraße hinein, vorbei an der Naunynstraße, die Waldemar- und Muskauer Straße überquerend, bis hin zur Wrangelstraße, um dort das Revier 108 zu erreichen.
Sie liefen hoch zum ersten Stock, wo sie sich beim Wachhabenden meldeten, der sie schon erwartete und mit einer Handbewegung in eine Ecke wies, in der, zwei Meter von- einander getrennt, zwei junge Männer saßen, die gebannt auf die Männer guckten, von denen sie erahnten, dass dies zwei Kriminalbeamten sein müssten.
Neufeld und Schulz, denn um niemand anderes handelte es sich bei den Männern, wussten ganz sicher, was auf sie zukommen würde. Und sie dürften auch die Zeit innerhalb des Revieres genutzt haben, um sich abzusprechen, wie sie sich gegenüber der Kriminalpolizei verhalten sollten, wenn sie es nicht bereits zu Hause getan hatten. Die Tat zuzugeben, wäre vermutlich das Beste, über das ergaunerte Geld und seinem jetzigen Versteck wollten sie ebenso schweigen wie über Vorgehensweise beim Aufschweißen des Tresors. Darüber, das stand für sie felsenfest fest, würden sie bis zum Sankt-Nimmerleinstag nichts auspacken.
Usadel erklärte den beiden, dass sie mit ihnen in die Gothaer Straße kommen müssten, da er ihnen dort viele, viele Fragen stellen möchte. Neufeld und Schulz fragten erst gar nicht, um was es denn gehen sollte, sondern liefen einfach mit ihnen zum Kraftfahrzeug.
Während Usadel sich mit Neufeld beschäftigte und ihn befragte, saß Schulz zunächst in einer Zelle des riesigen Gebäudes in der Gothaer Straße. Als Neufeld loslegte und auch Frl. Polster wieder als Schreibkraft zur Verfügung stand, hörten die Beamten eine Story, wie sie auch in einem Kriminalfilm aus Frankreich oder den USA nicht besser hätte dargestellt werden können.
„Wir hatten schon seit langem mal die Idee“, so begann Neufeld seine Vernehmung „irgendeinem Kaufhaus in Berlin unsere Aufwartung zu machen. Dabei erinnerten wir uns an unseren recht guten Bekannten Eberhard Kreutzer, der als Warenhausdetektiv im Kaufhaus Berthold in Charlottenburg beschäftigt ist. Also nahmen wir dieses Haus schon mal in Augenschein, ohne genau zu wissen, was wir dort klauen würden. Da das Haus im Mai 1965 mit einem Baugerüst versehen war, wurde unser Interesse ein wenig größer. Also musste Kreutzer her. Wir trafen uns mit ihm, wobei wir ihn baten, seine Frau nicht mitzubringen und setzen uns mit ihm eine Kneipe ganz in der Nähe der Markthalle in der Eisenbahnstraße. In einer Nische, etwas abgesetzt von den anderen Gästen, versuchten wir ihn für unsere Idee, einen Bruch in „seinem Kaufhaus“ durchzuführen, zu begeistern.
Nach einigem Zögern war er nicht ganz abgeneigt, zumal wir ihm versprachen, ihn bei einer Beute auch zu bedenken. Und da wir auch früher nicht kleinlich waren, wenn es mal um ´ne Lage Bier, Schnaps oder Ähnliches ging, hörte er uns zu. Schließlich war er einverstanden, uns mit detaillierten Informationen zu versorgen und tat es in der Folgezeit auch“.
„Begünstigt wurde unser Plan, den wir präzise vorbereiten wollten, durch ein riesiges Baugerüst, das das Kaufhaus umgab. So fiel es den Bauarbeitern auch nicht auf, dass ich zwei Tage zuvor in einem Monteuranzug mit dem Lastenfahrstuhl bis zum Dach nach oben gefahren bin. Dort unterhielt ich mich mit den Dachdeckern als Bauarbeiter unter Gleichgesinnten und stellte dabei so ganz nebenbei fest, dass in diesem Bereich Sauerstoff- und Acetylenflaschen gelagert waren, die in den nächsten drei Tagen zur Neudeckung des Daches zum Einsatz kommen sollten. Mein Interesse weckte kein Misstrauen, zumal ich einige sach- und fachkundige Fragen gestellt hatte und anschließend recht schnell wieder verschwunden war.
Dass ich dabei noch die relevante Tür inspiziert hatte, die demnächst durch mich und meinen Kumpel zu überwinden war, haben sie überhaupt nicht wahrgenommen, zumal sie mit sich selbst beschäftigt waren.
Mit diesen Informationen ausgerüstet, fuhr ich wieder nach unten und besprach in den Abendstunden zusammen mit meinem Kumpel die angedachte Vorgehenseise. Geplant hatten wir unser Unternehmen für den 27. Mai 1965, einem Himmelsfahrttag, und das aus zweierlei Gründen. Erstens war Feiertag und damit auch das Kaufhaus geschlossen und zweitens der Besuch von Queen Elisabeth für diesen Tag in Berlin angekündigt, so dass die größte Aufmerksamkeit der Berliner Polizei wohl der in Deutschland sehr beliebten Monarchin gelten würde.
Aus diesem Grunde machten wir uns in den Abendstunden des 26.5.65 auf den Weg, zogen, unbemerkt auch von zufälligen Passanten unsere Monteuranzüge über, gingen zur Baustelle des Kaufhauses und fuhren mit dem Lastenfahrstuhl in den 6. Stock, wo wir, die Arbeiten waren längst an diesem Tag eingestellt, geruhsam die Tür aufbrechen und eine Sauerstoff-sowie eine Acetylenflasche vom Dach des Hauses mitnehmen konnten. Dann verriegelten wir die Tür von innen, so dass wir von Außenstehenden nicht überrascht werden konnten. Im Kaufhaus besorgten wir uns aus der Abteilung „Für den Hausgebrauch“, Bohrmaschinen und die entsprechenden Bohrer und brachten alles in den Tresorraum.
Mit der „Arbeit“ aber, so hatten wir es uns zuvor ausgemalt, wollten wir erst am nächsten Tag beginnen, um zu verhindern, dass in der Nacht Geräusche oder Licht die Öffentlichkeit hätten erreichen können. Wir ließen das weitere Vorgehen gemächlich angehen. Zunächst gingen wir jetzt erst einmal zur Lebensmittelabteilung und bedienten uns an den vorzüglichen Speisen. Nach der ausgiebigen Mahlzeit suchten wir uns ein großes Bett in der Möbelabteilung, stellten einen Wecker auf 06.00 Uhr und legten uns erst einmal zum Schlafen hin. Der Wecker klingelte zwar um 06.00 Uhr, doch wach wurden wir beide erst um 08.00 Uhr. Trotzdem noch genügend Zeit, um die Tür des Tresors aufzubrechen bzw. aufzuschweißen.
Nachdem wir noch gefrühstückt und einen starken Kaffee getrunken hatten, gingen wir ans Werk. Acht Stunden benötigten wir, um die Tresortür aufzuschweißen und an das Geld heranzukommen, das wir, in Lohntüten sorgfältig verstaut, plötzlich vor uns liegen sahen. Wir entleerten sie, sortierten sie sorgfältig nach Scheinen und verstauten das gesamte Geld in zwei Rucksäcke, die wir aus der Touristikabteilung des gut sortierten Kaufhauses sorgfältig ausgesucht hatten.
Werkzeuge, Sauerstoff-und Acetylenflaschen ließen wir ebenso im Tresorraum liegen wie die Bohrmaschinen, Meißel und Hammer, die wir jetzt nicht mehr benötigten. Dann traten wir, nachdem wir uns im Toilettenbereich erst einmal den Schmutz intensiv aus dem Gesicht und von den Händen abgewaschen hatten, noch einmal zur Lebensmittelabteilung, frühstückten ausgiebig, tranken einen starken Mocca und traten dann den Rückzug mit insgesamt rund 450.000 DM an.
Unsere Fahrt mit dem Lastenfahrstuhl wurde weder von Außenstehenden bemerkt noch sah jemand, dass wir unsere Monteuranzüge, die wir zu Beginn unser Aktion über unsere Sachen gezogen, jetzt unter einem Gerüst auszogen und in eine Mülltonne geworfen hatten. Von da aus, das hatten wir zuvor so ausgemacht, liefen wir mit unseren prall gefüllten Rucksäcken, lässig über je eine Schulter geworfen, in Richtung U-Bahnhof. Wir wirkten auf die Passanten, die am Nachmittag, so gegen 17.00 Uhr unterwegs waren, wie zwei junge Männer, die auf dem Weg zu einem Ausflug in Berlins Umgebung unterwegs waren. Was wir dann gemacht haben, werden wir ihnen allerdings nicht erzählen. Wir geben, wie sie feststellen durften, die Tat zu, mehr aber auch nicht. Über das erbeutete Geld werden sie weder von mir noch von meinem Kumpel Schulz irgendetwas erfahren.“
Damit endete seine Vernehmung, die auch bei Dieter Schulz nicht viel anders ausging als bei Neufeld. Hinzugefügt hatte er nur noch, dass sie sich beim Schweißen am Tresor alle halbe Stunde abgewechselt hatten. Auch wenn sie die Arbeit in ihrem Beruf als Schlosser gewohnt waren, war das hier schon mal eine echte Herausforderung. Aber das Ziel vor Augen, bald auf eine Menge Geld stoßen zu können, beflügelte sie doch ganz erheblich.
Alle Versuche, die beiden umzustimmen und etwas über ihre Beute bzw. ihre Vorgehensweise beim Aufschweißen des Tresors auszusagen scheiterten. So kamen sie in Untersuchungshaft und letztendlich vor Gericht, wo die als Zeugen geladenen Kriminalbeamten den Eindruck hatten, dass auch der Vorsitzende recht verblüfft war, mit welcher Professionalität die Männer vorgegangen waren. Auch seine Einlassung, dass sie Straferlass erhalten könnten, sollten sie hier im Gerichtssaal aussagen, wo sie das Geld versteckt hätten, konnte sie nicht erweichen. Das Gericht verurteilte sie zu einer mehrjährigen Freiheitsstrafe, das Geld jedoch wurde indes nie gefunden. Darüber schwiegen die beiden Einbrecher mit dem Bemerken: „Ins Gefängnis müssen wir ohnehin, ob mit oder ohne das erbeute Geld. Also sagen wir darüber lieber nichts aus“. Und dabei blieben sie auch über die Jahre ihres Gefängnisaufenthaltes hinaus.
Klaus Berger blieb danach noch einige Wochen in diesem Kommissariat und bekam auch den einen oder anderen Einbruch mit. Jedoch war keiner mehr so spektakulär wie der in der Kantstraße. Vergessen hatte er aber weder diesen Coup noch die Kollegen, mit denen er in der Inspektion E II zusammengearbeitet hatte.
Und natürlich war auch sein Bericht, den er auf den sich anschließenden theoretischen Teil in der Polizeischule in Spandau loswerden konnte, der Hit unter all den Erlebnissen, von denen seine Kolleginnen und Kollegen in den anderen Disziplinen der Kriminalpolizei berichteten.
Nach Abschluss des Lehrgangs und bestandener Prüfung wurde er zum Kriminalmeister befördert. Dort hatte er die mehr oder weniger spannenden Erlebnisse im beruflichen Alltag eines Kriminalbeamten in der Kriminalinspektion Schönberg. Sie hatte 1966 ihren Sitz noch in der Keithstraße 28-32, wo auch das Referat M mit seinen Inspektionen M I (Mord), M II (Sexualdelikte) und M III (Weibliche Kriminalpolizei) untergebracht waren.
Hier lernte er, wenn auch nur en passant, Kriminalhauptkommissar Karl Schwichtenberg kennen, jenen legendären Leiter der vier Mordkommissionen, eines Brandkommissariats und der Vermisstenstelle, dessen Ausstrahlung nicht nur andere Kriminalbeamte in seinen Bann zog, sondern auch Vertreter der Presse und nicht zuletzt viele Ganoven dieser Stadt, allerdings aus ganz anderen Gründen.
Ein toller Typ, wie Berger immer mal wieder feststellen konnte, der nicht nur sorgfältig darüber wachte, dass „seine“ Kriminalbeamten hervorragende Arbeiten leisteten, sondern auch dafür sorgte, dass nur die Kollegen in den Bereich seiner Mordkommissionen kamen, die ihm als sogenannte Leichensachbearbeiter durch akribische Bearbeitung in einer örtlichen Inspektion aufgefallen waren.
Nach seiner Zeit in der Inspektion kam Berger zum Kriminaldauerdienst der Berliner Polizei in der Gothaer Straße. Einhundertfünfzig Schichten, verteilt über 12 Monate, waren für alle jungen Kriminalbeamten vorgesehen, bevor sie die Möglichkeit erhielten, sich auf eine der vielen anderen Kriminaldienststellen zu bewerben. Schicht bedeutete, den Dienst abends um 19.00 Uhr anzutreten und ihn, sofern nicht ein schwerwiegendes Delikt sie daran gehindert hätte, frühmorgens um 07.00 Uhr wieder zu beenden. KD A 1, KKvD, nannte sich diese Dienststelle, in der ein Kriminalkommissar vom Dienst die Einsatzleitung übernahm und seine Kollegen zu den angefallenen Straftaten in ganz West-Berlin entsandte. Berger hatte die Nacht mit einigen versuchten und vollendeten Einbrüchen überstanden, Spuren gesichert und die Erstberichte für die zuständige Dienststellen des Einbruchdezernats dazu geschrieben und sich schon auf den Feierabend am frühen Morgen gefreut, als ihn 15 Minuten vor Ende der Nachtschicht um 07.00 Uhr, die Mitteilung seines Einsatzleiters erreichte, noch nach Berlin-Kreuzberg, Muskauer Straße zu fahren. Die Feuerwehr hatte nach Aufbrechen einer Eingangstür im Wohnzimmer eine weibliche Leiche gefunden, deren dubioses Aussehen, so jedenfalls deren Nachricht, sie veranlasst hatte, die Kriminalpolizei zu alarmieren.
Wieder fuhr Berger, diesmal jedoch allein, durch all die Straßen, die er bereits am 28.5.65 zusammen mit Usadel und seinem Fahrer benutzt hatte.
Allerdings sparte er sich dieses Mal die Fahrt zum Revier 108 in der Wrangelstraße und bog von der Manteuffelstraße aus links in die Muskauer Straße ein, wo für ihn als erstes das Bethanien-Krankenhaus, direkt am Mariannenplatz, in sein Gesichtsfeld kam. Erinnerungen an seine Kindheit wurden wach, wo er als 12 jähriger Junge wegen einer Blinddarmentzündung mit 35 anderen Kindern in einem Zimmer gelegen hatte. An Ruhe war bei so vielen jungen Menschen trotz der gelungenen Operation kaum zu denken. Aber das war nun mal Schnee von gestern. Jetzt musste er sich um die Leichensache, wie es im Sprachgebrauch hieß, kümmern. Also fuhr er an den Garagen in der Muskauer Straße 37 vorbei, auf dessen Hof sich eine alte Tankstelle mit fünf altehrwürdigen Zapfsäulen befand, die noch die Preise von vor 8 Jahren auswiesen. Sprit, das wusste er, suchte man hier allerdings vergeblich. Von hier aus war es nicht mehr weit bis zu dem Haus, wo im Hinterhaus, 1. Stock, eine Tote im Wohnzimmer liegen sollte. Schon von weitem war aufgrund des dort stehenden Feuerwehrfahrzeuges und das des Notarztes zu erkennen, in welches der Häuser er rein musste.
Die Bearbeitung eines Tötungsdeliktes, gleich welcher Art, war nicht wirklich Bergers Metier, erst recht nicht, wenn der Leichnam mehrere Tage in einer Wohnung gelegen haben sollte, so wie wohl auch dieses Mal.
Bereits als er durch die Durchfahrt des Vorderhauses über den Hof und dann im Hinterhaus den Eingang betrat, kamen ihm nicht nur zwei Feuerwehrleute entgegen, sondern auch der außerordentlich penetrante Geruch von Fäulnis und Verwesung, der ihn für einen kurzen Moment in seinen Schritten einhalten ließ. Dann aber ging´s weiter, denn hätte er noch länger gezögert, dessen war er sich fast sicher, wären die beiden Feuerwehrmänner ein wenig verwundert gewesen und hätten möglicherweise an seiner Kompetenz gezweifelt. Also stieg Klaus Berger die Stufen relativ gelassen zu der im 1. Stock gelegene Wohnung hinauf, wo der Name Nadja Kostic auf einem Pappschild an der Eingangstür angebracht war. Trotz seiner ersten Bedenken, vielleicht blöde angemacht zu werden, hielt er sich hier nun doch ein Taschentuch vor Mund und Nase, da die Penetranz der Ausdünstungen mehr als aufdringlich waren und seine Geruchsnerven in Sekundenschnelle voll und ganz erreicht hatten.
Nachdem er jedoch die ersten Minuten überstanden und keiner der noch anwesenden Feuerwehrleute eine Miene verzogen hatte, zog er sich Plastiküberzieher über seine Schuhe, lief durch den schmalen Korridor bis zur Wohnzimmertür, wo er zunächst stehen blieb. Als er sich von dort einen ersten Überblick verschafft hatte, zog er seine eigene kleine Kamera, die er während seiner Einsätze immer bei sich trug, aus der Jackentasche und fotografierte aus dieser Position heraus eine mit einem Pulli und einer Trainingshose bekleidete Tote auf einer Couch, bei der bereits von weitem eine fortgeschrittene Fäulnis erkannte. Dann ging er bis zur Couch und sah, dass die Bauchdecke, die bereits zwischen Pulli und Hose hervorgequollen war, eine Grünfärbung angenommen hatte. Leib und Thorax waren durch Gasbildung stark aufgetrieben, während Blut oder wohl eher Fäulnisflüssigkeit aus Mund und Nase über das auch aufgedunsene Gesicht gelaufen waren.
Die Leichenfäulnis musste schon vor einigen Tagen begonnen haben, ganz sicher begünstigt durch die Wärme, die in dem Zimmer herrschte. Wie lange der Prozess gedauert hatte, würden auch hier die Spezialisten, vor allem die Gerichtsmediziner klären und zugleich auch aussagen können, wann der Tod bei dieser Frau eingetreten war. Auf dem Tisch, direkt neben einem breiten mit einer rosafarbenen Decke überzogenen Diwan, lagen bzw. standen ein geleertes Tablettenröllchen, eine zur Hälfte gefüllte Flasche Wodka sowie ein Abschiedsbrief. Zusammen genommen sprach eigentlich alles dafür, dass hier eine Selbsttötung vorgelegen haben könnte.
Pentobarbital, stand auf den Röhrchen, das als Beruhigungs-und Schlafmittel schon das eine oder andere Mal von Ärzten verabreicht wurde, es aber bei einer Überdosis leider zu Atem-und Herzstillstand führen kann, was auch hier der Fall gewesen sein dürfte. Bei der Toten handelte es sich, so die Angaben im Reisepass, um eine junge Frau, 22 Jahre alt, in Karlovac, Kroatien, geboren, die angeblich aus dem Leben geschieden war, weil sie, so die in holprigem Deutsch geschriebenen Zeilen „Ich nicht mehr leben, alles schlecht“, Gründe für ihren Suizid darlegen wollte.
Obwohl alles dafürsprach, dass ein Fremdverschulden ausgeschlossen werden konnte, war Berger misstrauisch geworden. Das lag vor allem daran, dass er den Eindruck gewonnen hatte, dass diese Wohnung eher als Absteige einer Prostituierten, denn als ständiger Aufenthaltsort für eine seriöse Mieterin gedacht war. Rotlicht sowohl im Korridor als auch im Wohnzimmer, kaum Tapeten, dafür ringsherum rote Vorhänge, einige Porno- Bilder, alles mehr als plüschig. Ein winziges Badezimmer, in dem Schminkutensilien, Deodorant, Seife , Waschlappen und jede Menge Handtücher, aufgeschichtet auf einer kleinen Vitrine, abgelegt waren. Ein Schlafzimmer gab es nicht.
Hinzu kam, dass er sich an einen Vorfall erinnerte, den ein ihm gut bekannter Kollege der Kriminalinspektion Schöneberg bearbeitet hatte, wo es um einen angeblichen Selbstmord einer jungen Frau aus dem Prostituiertenmilieu vor ca. 4 Wochen in der Schöneberger Steinmetzstraße gegangen war. Auch sie stammte aus Karlovac, Kroatien, war erst 19 Jahre alt, und angeblich über die Balkonbrüstung einer im vierten Stock gelegenen Wohnung auf den Steinboden des Gehsteigs gestürzt. Trotz relativ schneller Reanimationsversuche eines herbeigerufenen Notarztes konnte sie nicht mehr gerettet werden.
Karlovac, dieser Name hatte sein Erinnerungsvermögen reaktiviert. Kein gängiger Name einer kroatischen Stadt, jedenfalls nicht für Berger, aber immerhin sehr einprägsam. Und dass nun gerade zwei junge Frauen innerhalb nur weniger Wochen in Berlin durch einen Selbstmord aus dem Leben geschieden waren, war doch immerhin mehr als seltsam. Soweit Klaus Berger die Berichte seines Kollegen noch in Erinnerung hatte, hatte in der Wohnung eines Zuhälters namens Dieter Wagner aus dem Rotlichtmilieu in Schöneberg eine Party von Prostituierten und ihren Zuhältern stattgefunden. Man trank reichlich Alkohol, stritt sich auch lautstark, bis die 19 jährige junge Frau aus einem Streit heraus mit einem der Männer zum Balkon gelaufen und über die Brüstung gekippt sei.
So jedenfalls die Einlassungen der 11 Partygäste. Niemand von ihnen war angeblich in der Lage, diesen „Ausraster“ zu unterbinden, schon gar nicht, die Frau festzuhalten. Da auch dieser Kollege seine Zweifel hatte, dass dieser Vorgang mit rechten Dingen abgelaufen sein könnte, alarmierte er eine der vier Mordkommissionen. Mit diesen Gedanken im Kopf trat Berger jetzt noch ein wenig näher an die Tote ran und glaubte, trotz der Fäulnis eine diffuse Kompression der Halsweichteile, die eventuell auf Würgen oder Drosseln hindeuteten, erkennen zu können. Auf jeden Fall musste jetzt die Mordkommission ran. Über den Kommissar vom Dienst ließ er die 2. Mordkommission benachrichtigten, deren Leiter, Peter Ehrlich, bereits 20 Minuten später in der Wohnung erschien.
Unmittelbar nach ihm trafen der Fotograf, der Erkennungsdienst und vier weitere Mitglieder der Kommission ein. Peter Ehrlich ließ sich den bisher ermittelten Sachverhalt schildern und hörte sehr aufmerksam zu, als Berger ihm den Hinweis auf den Tod einer jungen Frau in der Steinmetzstraße gab, den zurzeit die 1. Mordkommission in Bearbeitung hatte. Peter Ehrlich war Berger dankbar für dessen akribische Arbeit und vor allem auch für die Anmerkungen zu dem übereinstimmenden Geburtsort zweier junger Frauen, die zudem im Prostituiertenmilieu ihr wohl eher armseliges Leben fristeten. Berger hatte seine Gedanken, die er sich während Stunden seines Aufenthaltes hier am Fundort der Leiche gemacht hatte, in Gänze an Peter Ehrlich weitergegeben, ohne sich in dessen Ermittlungen einschalten zu wollen. Ehrlich hatte dies auch nicht so empfunden, sondern sich ganz im Gegenteil für all die wertvollen Ermittlungsergebnisse bedankt und zugleich erwähnt, dass ohne dieses hervorragend kriminalistische Vorgehen der Tod der jungen Frau womöglich als Selbstmord „durchgegangen“ wäre.
Berger verabschiedete sich von den Kollegen, wünschte ihnen, was immer es auch sein mochte, gutes Gelingen und war trotz seiner Ermittlungsergebnisse froh, die „Leichensache“ nicht weiter bearbeiten zu müssen. Trotzdem fertigte er gewissenhaft seinen Erstbericht, ließ den Film beim ED entwickeln und anschließend, als alles beisammen war, durch einen Kollegen der Fahrbereitschaft in die nur wenige Kilometer entfernte Keithstraße und dort ins Sekretariat der 2. Mordkommission bringen.
Danach aber brauchte er erst Mal ein Bier. Obwohl noch relativ früh am Morgen, hatte die Kantine des LKA in der Gothaer Straße bereits geöffnet. Er bestellte sich ein mit Käse belegtes- Brötchen, dass er jedoch erst zu essen begann, nachdem sein erster viertel Liter Bier seine Magenwände erreicht hatte. Danach ging es ihm zwar nicht gerade gut, aber immerhin schon ein wenig besser. Dann aber wollte er nur noch nach Hause. Er benötigte 10 Minuten Fußweg, um von der Gothaer Straße zu seiner Wohnung in der Feurigstraße zu gelangen. Aber richtige Freude, jetzt endlich in der Wohnung zu sein, wollte bei ihm nicht aufkommen. Das lag letztlich daran, dass niemand auf ihn wartete und sich anhören wollte, was er in dieser Nacht bzw. in den Morgenstunden erlebt hatte. Von seiner Frau war er, gütlich, wie man so schön formulierte, getrennt. Sie wohnte mittlerweile in einer anderen Stadt und sollte dort bereits einen neuen Partner gefunden haben, während er bislang Solo durchs Leben lief.
Er hatte sich oft gefragt, woran es gelegen haben mochte, dass sie sich unbedingt trennen mussten. Aber die Erklärung war dann doch relativ schnell gefunden. Es war sein Beruf, den er mit Leib und Seele ausübte und in dem es ihm auch nicht darauf ankam, mal eine oder auch mehrere Stunden an einem Fall zu sitzen, der auf eine schnelle Aufklärung wartete. Das jedoch führte bei ihr zu Frust, außerdem konnte sie nicht verstehen, dass man nicht gleich nach dem Dienst nach Hause kommen, sondern vielleicht noch mit Kollegen zusammensitzen musste, um einen gravierenden Fall durchzusprechen. Dabei war es mitunter so wichtig, ihre Anregungen und Erklärungen zu hören. Dass dabei auch manchmal Alkohol getrunken wurde, war nicht immer zu vermeiden. Das wiederum gefiel ihr noch viel weniger und so gab ein Wort das andere, bis es eskalierte, und Klaus Berger aus der gemeinsamen Wohnung auszog. Er hielt es einfach nicht aus, dass sie nicht verstehen konnte, vielleicht auch nicht wollte, dass er nicht nach einem Einbruch, einer Kindesmisshandlung, einer Leichensache, wie grade erst erlebt, einfach nach Hause kommen und er alles vorher Erlebte aus seinem Kopf verdrängen sollte.
Seine Frau war natürlich immer froh gewesen, ihn wieder gesund zu Hause zu haben. Sich jetzt aber auch mit ihm über Dinge zu unterhalten, die er erlebt oder einfach nur loswerden wollte, das konnte sie irgendwie nicht. Bei ihren Argumenten, manchmal auch Klagen, schaltete er einfach ab, hörte kaum zu, was sie ihm erzählte und dachte eher angestrengt über die Erlebnisse einer Nacht nach. Ihre Worte prallten bei ihm ab, und obwohl er das so eigentlich nicht wollte, konnte er es einfach nicht ändern. Für seine Frau hatte er eindeutig den falschen Beruf. Er aber hätte nie etwas anderes machen wollen.
Der Tod eines Menschen, und davon hatte er in seinen Schichtdiensten nun auch schon einige erleben müssen, ging ihm schon nahe. Insbesondere dann, wenn es sich um Kinder oder Menschen handelte, die urplötzlich gewaltsam aus dem Leben gerissen worden waren. So blieb er für die nächsten zwei, drei Stunden erst einmal allein. Mit seinen Kollegen vom KKvD konnte er sich frühestens erst wieder in 24 Stunden unterhalten. So lange musste er sich zurückhalten, um seinen Dienst wieder anzutreten oder irgendetwas unternehmen, was ihn ablenkte. Und das war wie so oft, wenn er niemanden zum Aussprechen hatte, der Sport.
Manchmal lief er zum Schwimmbad in der Schöneberger Hauptstraße, direkt gegenüber dem Tanzpalast „Prälat“, um in der Schwimmhalle einige Runden zu drehen oder er fuhr zur Friesenstraße in Kreuzberg, einem riesigen Gebäudekomplex, in dem neben der Kriminalinspektion Kreuzberg, die Funkbetriebszentrale, das Einsatzkommando S der Schutzpolizei, eine Verkehrsstaffel, eine Kantine und eine großzügige Sporthalle untergebracht sind. Da konnte er sich austoben, zumal er immer auf Sportler traf, die nach oder vor dem eigentlichen Dienst, erst recht in der Freizeit, an den Hanteln, im Boxring, an den Ringen, auf den Matten oder beim Badmintonspielen ihren Frust oder was auch immer sie sich dabei dachten, aus dem Leib reißen konnten.
Erst wenn er dann so richtig ausgepowert war, konnte er wieder in seine 2 Zimmerwohnung mit Bad und Balkon, nett eingerichtet, zurückkehren, um eine Mütze voll Schlaf zu nehmen oder abends in der nahen Eckkneipe mit Gästen zu plaudern und das eine oder andere Bier zu sich zu nehmen. Danach ins Bett, um in einen Tiefschlaf zu verfallen. Nach halbwegs angenehmer Nachtruhe, erledigte er einige Einkäufe für den täglichen Gebrauch, und ging dann abends wieder zur Schicht in die Gothaer Straße 19, wo er sich, wie immer in den letzten Wochen, beim KKvD und seinen Kollegen einfand.
Vergessen waren aber bei ihm auch die beiden Tresorknacker nicht, die er im Jahre 1965 bei seiner Tätigkeit in der Inspektion E II kennengelernt hatte und die wegen ihrer Straftat zu 6 bzw. 7 Jahren Zuchthaus verurteilt worden waren.