Gegen das Verbrechen - Horst Brandt - E-Book

Gegen das Verbrechen E-Book

Horst Brandt

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Beschreibung

Verbrechen sind allgegenwärtig und waren das auch schon in der Vergangenheit. "Et jibt nischt, wat et nich jibt" sagt der Berliner auch in Hinblick auf die Abgründe menschlichen Handelns und hat damit leider recht. Dieses Buch schildert Verbrechen im Westteil der damals geteilten Stadt Berlin aus den Jahren 1974 bis zum Fall der Mauer 1989. Mord aus Habgier und aus sexuellen Motiven, Brandstiftungen in Serie, politischer Extremismus und Terrorismus und weitere Delikte sind die Verbrechen, die hier nach tatsächlichen Fällen aus Sicht der ermittelnden Beamtinnen und Beamten dem Vergessen entrissen werden. "Klaus Berger" ist ein Kriminalbeamter, der an der Bearbeitung und Aufklärung vieler dieser Vorgänge beteiligt war und sich jetzt im Ruhestand befindet. Den Beginn seiner Polizeilaufbahn und seine Fälle aus den Jahren 1961, dem Jahr des Mauerbaues bis zum Jahre 1974 sind im Buch "Von Ganoven, Zuhältern und kriminellen Banden" vom selben Autor erschienen.

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Vorwort

Berlin ist für viele Menschen die quirlige, aufregende Stadt, die niemals schläft und die Verwirklichung aller Träume verheißt. Die Gefahren des täglichen Lebens haben dabei kaum eine reale Bedeutung und das ist auch gut so, denn niemand will sich ständig darüber Sorgen machen, was alles passieren könnte.

Dennoch sind Verbrechen allgegenwärtig und waren das auch schon in der Vergangenheit. „Et jibt nischt, wat et nich´ jibt“ sagt der Berliner auch in Hinblick auf die Abgründe menschlichen Handelns und hat damit leider recht.

Dieses Buch schildert Verbrechen im Westteil der damals geteilten Stadt Berlin aus den Jahren 1974 bis zum Fall der Mauer 1989. Mord aus Habgier und aus sexuellen Motiven, Brandstiftungen in Serie, politischer Extremismus und Terrorismus und weitere Delikte sind die Verbrechen, die hier nach tatsächlichen Fällen aus Sicht der ermittelnden Beamtinnen und Beamten dem Vergessen entrissen werden.

„Klaus Berger“ ist ein Kriminalbeamter, der an der Bearbeitung und Aufklärung vieler dieser Vorgänge beteiligt war und sich jetzt im Ruhestand befindet. Den Beginn seiner Polizeilaufbahn und seine Fälle aus den Jahren 1961, dem Jahr des Mauerbaues bis zum Jahre 1974 sind im Buch „Von Ganoven, Zuhältern und kriminellen Banden“ vom selben Autor erschienen.

Der Autor Horst Brandt ist Kriminaldirektor im Ruhestand und war Zeit seines Berufslebens selbst im Einsatz gegen das Verbrechen. Fälle sind für ihn nicht gelöst, wenn der Täter ermittelt wurde, sondern er sucht nach deren Motiven und beschreibt auch die Gerichtsverhandlungen und Urteile.

In Kenntnis der schmerzlichen Erfahrungen der Verbrechensopfer und ihres Leides lenkt er den Blick der Leserinnen und Leser auch auf die Folgen der Verbrechen. Er setzt sich dafür ein, dass Opfern wirksame Hilfe zuteilwird, um wieder ein halbwegs eigenständiges Leben führen zu können.

Dieses Buch ist den Menschen gewidmet, die mit ihrem Einsatz gegen das Verbrechen dafür sorgen, dass das Zusammenleben vertrauensvoll und friedlich verläuft. Immer dann, wenn diese Grundsätze verletzt werden, ist es Aufgabe der Polizei, Gefahren abzuwehren und Straftaten zu verfolgen, auch mit dem Einsatz der eigenen Gesundheit und des Lebens. Damit bietet dieses Buch mehr als die gut ausgedachten Stories der meisten Kriminalromane, es liefert Einblicke in reale Abläufe der Verbrechensbekämpfung.

Bei den Namen der Täter, Opfer und ermittelnden Beamtinnen und Beamten sowie den Angaben zu Örtlichkeiten mischen sich Tatsachen und Fiktion. Die Namen von Personen der Zeitgeschichte blieben unverändert.

Prof. Dr. Eberhard Kühne Emeritus der Hochschule der Sächsischen Polizei (FH) in Rothenburg/Oberlausitz

Inhaltsverzeichnis

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AUF DEM WEG IN DIE NORMALITÄT DES VEREINTEN DEUTSCHLANDS

West-Berlin im Jahre 1974

Anlässlich eines im November 1974 verübten Verbrechens versammelten sich mehr als 20.000 Menschen vor dem Rathaus Schöneberg, um ihre Trauer über diese sinnlose Tat zu bekunden.

Die Ermordung des Kammergerichtspräsidenten Günter von Drenkmann

Es war der 10. November 1974, ein Sonntagabend, an dem Günter von Drenkmann gemeinsam mit seiner Frau vor dem Fernseher saß und sich auf einen Tatort- Krimi konzentrierte, als es an seiner im Hochparterre gelegenen Wohnungstür klingelte und ein angeblicher Fleurop- Bote ihm einen verspäteten Geburtstagsblumenstrauß überbringen wollte. Von Drenkmann drückte auf den Summer, um den Mann einzulassen, als er, in diesem Moment misstrauisch geworden, die nur einen Spalt geöffnete Tür wieder zuzudrücken versuchte. Dabei sah er sich plötzlich mehreren Personen gegenüber, die sich mit Gewalt dagegen stemmten und ihn gleichzeitig aus seiner Wohnung zerren wollten.

Von Drenkmann wehrte sich heftig und wurde dabei von seiner Ehefrau, die aufgrund des Lärms nach vorne geeilt war, unterstützt, als mehrere Schüsse fielen und er schwer verletzt zu Boden sank. Während die Täter daraufhin flüchteten, benachrichtigte seine Ehefrau sofort den Rettungsdienst und anschließend ihren Stiefsohn. Ein Notarztteam, das nur wenige Minuten später eintraf, konnte sein Leben trotz aller sofort eingeleiteten Rettungsmaßnahmen nicht mehr retten. So erlag von Drenkmann noch auf dem Weg zum Krankenhaus Westend seinen schweren Verletzungen.

Sowohl durch die kriminaltechnische als auch durch die gerichtsmedizinische Untersuchung wurde festgestellt, dass die Täter Dum-Dum-Geschosse verwendet hatten. Diese Munition war bereits 1899 auf der Den Haagener Friedenskonferenz verboten worden, weil sie aufgrund ihrer Deformationseigenschaften schwerste Verletzungen im menschlichen Körper verursacht.

Obwohl den Verbrechern bekannt gewesen sein dürfte, welche Folgen die durch sie verwendeten Patronen bei einem Menschen verursachen, war ihnen das offenkundig egal, galt doch für sie, ihre „politisch motivierten Ziele“, was immer sie darunter verstanden, mit brutaler Gewalt durchzusetzen.

Der Parlamentspräsident Peter Lorenz wird entführt

Spätestens mit der Entführung des Parlamentspräsidenten Peter Lorenz am 27. Februar 1975, zu der sich die „Bewegung 2. Juni“ ebenso bekannte wie zu der Ermordung des Kammergerichtspräsidenten, war klar, dass auch letzterer ursprünglich entführt werden sollte. Und weil ihnen dies nicht gelungen war, hatte er deren gescheiterte Aktion mit seinem Leben bezahlt.

Klaus Berger war ebenso wie seine Kollegen erschüttert über die neue Art der Verbrechen innerhalb West-Berlins. Terroristen nannten sie die Täter, denen zur Erreichung ihrer Utopien jedes Mittel, wirklich jedes Mittel recht war. Er ließ sich deshalb von einem Kollegen des Polizeilichen Staatsschutzes über die neuesten Erkenntnisse sowohl zum Mord als auch über den Verlauf der Entführung des Parlamentspräsidenten informieren:

„Peter Lorenz wurde wie an jedem Werktag, um kurz nach halb neun von seinem Fahrer Werner S. von seiner im Bezirk Zehlendorf liegenden Wohnung abgeholt, um ihn in das Schöneberger Rathaus, seinem Amtssitz, zu bringen. Es war der 27. Februar 1975, 08.50 Uhr, als an der engen Kreuzung Quermatenweg Ecke Ithweg ein Kleinlastwagen die Straße blockierte und ihn an der Weiterfahrt hinderte. Um einen Unfall zu vermeiden, bremste er so abrupt, dass ein hinter ihm fahrender roter Fiat, scheinbar unbeabsichtigt auf den Wagen von Peter Lorenz auffuhr. Die Fahrerin erweckte bei S. den Eindruck, einen Schock erlitten zu haben, da sie nahezu regungslos in ihrem Auto sitzen blieb. Um sich den angerichteten Schaden und vor allem den Gesundheitszustand der Frau zu anzusehen, stieg S. aus dem Dienstwagen aus. Im selben Augenblick erhielt er mit einem mit Isolierband umwickeltem Eisenrohr einen heftigen Schlag gegen seinen Hinterkopf, so dass er bewusstlos auf die Straße fiel und dort liegen blieb.

Unterdessen stürzten sich mehrere Personen auf Peter Lorenz und zerrten den sich heftig Wehrenden aus dem Dienstwagen, legten ihm Handschellen an, trugen ihn zu dem Kleinlastwagen und warfen ihn in das Fahrzeug, so dass seine Beine in Richtung der Frontscheibe zeigten.

Während der rasenden Fahrt in Richtung Stadtautobahn gelang es Peter Lorenz, die Frontscheibe zu zertreten, wurde aber dann mittels einer Sedierung, die ihm einer der Täter in den Arm injizierte, außer Gefecht gesetzt.

Nur wenige Minuten später kam er in einer Tiefgarage im Bezirk Charlottenburg wieder einigermaßen zu sich, um dort, noch leicht betäubt, vom Kleinlaster raus in den Kofferraum eines VW Golfs gezwängt zu werden. Die Täter fuhren jetzt aus der Tiefgarage und, um kein Aufsehen zu erregen, der jeweiligen Verkehrslage angepasst, durch viele Straßen Berlins in Richtung Kreuzberg. Vor einem sehr ruhig gelegenen Friedhof dieses Bezirks hielten sie erneut an und verfrachteten den 1.90 Meter großen und 80 kg schweren Peter Lorenz in eine Kiste, die sie zusammen mit dem Entführten in einen Ford Transit legten.

Das „Volksgefängnis“

Nur wenige Kilometer vor seinen Ziel, der Kreuzberger Schenkendorfstraße, hielt der Wagen abermals. Die Täter öffneten die Heckklappe, zogen die Kiste nach vorne und kippten sie an, um sie besser tragen zu können. Dabei öffnete sich deren Vorderseite ein wenig, so dass Peter Lorenz einen Blick auf die gegenüberliegende Häuserfront werfen konnte. Diese Angaben, die er nach seiner Freilassung gegenüber den ihn vernehmenden Kriminalbeamten machen konnte, führten letztendlich zum Auffinden des „Lorenz- Verstecks“.

Kurz nach Bekanntwerden der Entführung hatte der Regierende Bürgermeister Klaus Schütz beschlossen, einen Krisenstab einzurichten.

In dieser Phase der Ohnmacht, in der noch niemand so recht wusste, wer für die Tat verantwortlich war, bekannte sich die „Bewegung 2. Juni“ in einer Mitteilung an die Deutsche Presse Agentur zu dieser Tat und verlangte in diesem Schreiben, dass sechs inhaftierte Terroristen der Roten Armee Fraktion und der „Bewegung 2. Juni“ innerhalb von drei Tage freigelassen und in ein Land ihrer Wahl unter Begleitung des ehemaligen Regierenden Bürgermeisters von Berlin, dem Pfarrer Heinrich Albertz (SPD), ausgeflogen werden sollten.

Dieser Mitteilung lag ein Polaroid-Foto bei, das Peter Lorenz mit einem Plakat und der Aufschrift „Gefangener der Bewegung 2. Juni“ zeigte.

Die Entführer versicherten, dass Peter Lorenz „nicht gefoltert oder unmenschlich behandelt und es ihm besser gehen werde, als den Häftlingen in den Staatsknästen“.

Helmut Schmidt, Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland berief daraufhin einen Krisenstab in Bonn ein, zu dem er Klaus Schütz als Regierenden Bürgermeister von Berlin und Helmut Kohl als CDU-Parteivorsitzenden einlud. Während der Bundeskanzler die Auffassung vertrat, den Forderungen der Entführer nicht nachzugeben, vertraten Klaus Schütz und Helmut Kohl die Auffassung, dass der Unversehrtheit von Peter Lorenz alle anderen Erwägungen unterzuordnen seien. Daraufhin entschloss sich die Bundesregierung, auf diese Forderung einzugehen.

Die Machtprobe

Diese Machtprobe zwischen der „Bewegung 2. Juni“, der Stadt West-Berlin und der Bundesrepublik Deutschland wurde zu einem Präzedenzfall der deutschen Geschichte, in der sich die Öffentlichkeit in einem Ausnahmezustand befand und die die Republik bewegte.

Das war eine Situation, in der zwar die Sorge um den Parlamentspräsidenten im Vordergrund stand, aber auch ein Gefühl der Hilflosigkeit zu erkennen war, weil diesen Verbrechern vorerst nichts entgegensetzt werden konnte.

Die Täter hatten bis dato kaum Fehler bei ihren kriminellen Aktionen begangen und sowohl der Politik als auch der Polizei erfolgreich ihre Forderungen diktiert.

Das Gefängnis, das die Täter für diesen Mann vorgesehen hatten, war ebenso perfekt vorbereitet worden wie die Tat selbst.

Nachdem sie Peter Lorenz mit der Kiste in den in der Schenkendorfstraße angemieteten Second Hand-Laden getragen hatten, wurde er durch eine Bodenluke in einen fensterlosen Keller transportiert, dort zunächst aus seiner misslichen Lage befreit, dann auf eine Bank gesetzt und mit einem Pappschild und der Aufschrift „Peter Lorenz- Gefangener der Bewegung 2. Juni“ fotografiert. Über die Luke legten sie Handelsgegenstände, um potentiellen Kunden den Eindruck zu vermitteln, sich hier umsehen, aber auch Waren kaufen zu können.

Darunter saß bzw. lag Peter Lorenz in diesem Kellerraum, den die Entführer mit ihren politisch verbrämten Aussagen zum „Volksgefängnis“ erklärt hatten.

Fahndungsmaßnahmen

Die anlaufenden Fahndungsmaßen übertrafen in ihren Ausführungen alles bisher Dagewesene. Eine Sonderkommission, bestehend aus 133 Kriminalbeamten, übernahm die Ermittlungen, während Hunderte Schutzpolizisten in der Stadt unterwegs waren, um das Versteck des Entführten ausfindig zu machen.

Eine Wahrsagerin bot ihr Dienste ebenso an wie ein Pendler, die beide der Polizei klar zu machen versuchten, dass sie wüssten, wo der Entführte gefangen gehalten werde. Obwohl vorauszusehen war, dass diese Angebote keinen wesentlichen Beitrag erbringen würden, wurden sie trotzdem von der Polizei herangezogen, um nicht dem Vorwurf zu unterliegen, nicht alles unternommen zu haben, um Peter Lorenz zu befreien.

Allerdings, aber das waren die Ermittler gewohnt, brauchte man einen langen Atem, um hier auch fündig werden zu können.

Erst einmal aber kam es darauf an- und bis dahin ruhten auch deren Aktivitäten-, den Parlamentspräsidenten wieder wohlbehalten in dessen Familie zu sehen.

Also warteten sie gespannt auf die Informationen, die Pfarrer Heinrich Albertz von seiner nicht ungefährlichen Reise mit den Terroristen aufliefern würde.

Abflug der Terroristen

Am Morgen des 3. März 1975 waren der ehemalige Regierende Bürgermeister von Berlin und Pfarrer Heinrich Albertz gemeinsam mit fünf Terroristen der RAF (Rote Armee Fraktion) bzw. der „Bewegung 2. Juni“ in einer Boeing 707 aus Deutschland ausgeflogen worden. Die Besatzung der Lufthansa-Maschine, die zu diesem Zeitpunkt den Zielort noch nicht kannte, wurde erst während des Fluges durch sie angewiesen, Aden, die Hauptstadt der damaligen sozialistischen Volksrepublik Südjemen anzufliegen und dort zu landen. Dort angekommen, erhielten sie von der Süd-Jemenitischen Regierung die Erlaubnis, das Flugzeug verlassen zu dürfen.

Nachdem die Terroristen ausgestiegen waren, flog Heinrich Albertz sofort wieder zurück nach Deutschland, wo er noch um 18.15 Uhr desselben Tages eine von den Terroristen verfasste Erklärung mit der Losung: „So ein Tag, so wunderschön wie heute“ verlesen musste. Nachdem diese makabren Worte die deutsche Öffentlichkeit erreicht hatten, wurde Peter Lorenz in Berlin mit verbundenen Augen zum Volkspark Wilmersdorf gefahren und in die Freiheit entlassen. Es war Dienstag, der 4. März 1975, als sich Peter Lorenz aus einer nahegelegenen Telefonzelle beim Lagedienst der Polizei meldete, sofort abgeholt und um 00.03 Uhr des 5. März 1975 zum Polizeipräsidenten Klaus Hübner am Tempelhofer Damm gebracht wurde.

In einer Pressekonferenz am 5. März 1975 äußerte sich Peter Lorenz das erste und einzige Mal zu der Entführung.

Freilassung des Peter Lorenz

Nach seiner Freilassung veröffentlichte die „Bewegung 2. Juni“ eine „Rechtfertigungserklärung“ folgenden Inhalts:

„Lorenz ist ein Vertreter der Reaktionäre und der Bonzen und somit verantwortlich für Akkordhetze und Bespitzelung am Arbeitsplatz. Als CDU-Chef hat er sich zum Propagandisten des Zionismus, der aggressiven Eroberungspolitik des Staates Israel in Palästina gemacht, und nimmt durch Besuche in Israel und Geldspenden an der Verfolgung und Unterdrückung des palästinensischen Volkes teil.

Genauso hat er blutigen Anteil am Militärputsch durch Pinochet und Konsorten in Chile. Seine Partei ist es, die die Junta durch Geldspenden Repressionen durchführen lässt, die jede freiheitliche Gesinnung erbarmungslos verfolgt und blutig niederschlägt, Tausende von Chilenen in KZ’s foltert und ihre Macht durch tägliche Blutbäder aufrechterhält.“

Acht Monate nach der Freilassung des Parlamentspräsidenten wurde dessen Versteck in der Schenkendorfstraße durch die Kriminalpolizei entdeckt, wobei die Aussagen des Entführten, aus seiner Kiste heraus für wenige Sekunden zwei Wohnhäuser mit divergierenden Farbnuancierungen und unterschiedlicher Höhe gesehen zu haben, wesentlich zu dessen Entdeckung beigetragen haben.

Nachdem die ersten Vernehmungen von Peter Lorenz abgeschlossen und Fahndungsaufrufe nach den Terroristen der Bewegung 2. Juni“ an die Bevölkerung ergangen waren, begann die Hochzeit der Ermittlungen und Observationen.

Gipfel der Observationen

Und jetzt ging es vor allem darum, die gesuchten Terroristen „einzufangen“, die für eine lange Liste schwerer Straftaten verantwortlich waren: die Ermordung eines Bootsbauers im Jahre 1972 (Bombenanschlag auf einen Yachthafen in Berlin Spandau), die Ermordung des Anarchisten Ulrich Schmücker am 5. August 1974, die Ermordung des Kammergerichtspräsidenten von Drenkmann am 10.November 1974, die Entführung des Parlamentspräsidenten Lorenz am 27. Februar 1975, die damit verbundene Freipressung von fünf Terroristen sowie zwei Banküberfälle.

Es war, daran gab es für alle eingesetzten Kräfte keinen Zweifel, ein mehr als schwieriges Unterfangen. Dennoch häuften sich die Hinweise aus der Berliner Bevölkerung, von der viele dazu beitrugen, die Entführer des Peter Lorenz festnehmen und sie dem Gericht überstellen zu können.

Eine Dublette in Tegel

Zu den beim Polizeilichen Staatsschutz eingegangenen Hinweisen gehörte auch jener, in dem auf eine Garage in der Tegeler Schloßstraße hingedeutet wurde, wo zwei bis dato unbekannte Männer einen Pkw abgestellt und ihn offensichtlich monatelang nicht benutzt hatten.

Bei der Überprüfung des Kennzeichens, das auch von außen durch eine kleine dort vorhandene Öffnung in der Tür abgelesen werden konnte, stellten Beamte dieser Dienststelle fest, dass es sich bei dem Fahrzeug mit diesem Kennzeichen um eine Dublette handelte, wie sie in den vergangenen Monaten sowohl von Schwerkriminellen als auch durch Terroristen bzw. deren Sympathisanten benutzt worden waren.

Der rechtmäßige Eigentümer war bass erstaunt, als ihn die Polizei mit dieser Tatsache konfrontierte und er sich nicht erklären konnte, unter welchen Voraussetzungen und vor allem durch wen ein nahezu gleiches Fahrzeug und seinen Kennzeichen in Berlin benutzt wurde.

Was also war sinnvoller, als hier mit der Observation dieser Garage zu beginnen und die Personen, sollten sie dort aufkreuzen, festzunehmen und für den Polizeilichen Staatsschutz oder des Referates für das Organisierte Verbrechen einzuliefern. Um möglichst unauffällig vorgehen zu können, hatten sich die Observanten des Polizeilichen Staatsschutzes ein der Garage gegenüberliegendes baufälliges Haus ausgesucht und von der 2. Etage aus die Beobachtung übernommen. Verstärkt wurden sie in den nächsten Tagen durch SEK-Beamte, um bei einem möglichen Zugriff auch die speziell ausgebildeten Polizeibeamten vor Ort zu haben. Zu ihrem Pech hatten auch einige Obdachlose dieses Haus für ihre Übernachtungsmöglichkeiten auserkoren und es sich vor allem in der Nacht auf den Matratzen im Parterre des Objektes gemütlich gemacht.

Nachdem dann eines Nachts eine Schlafstätte brannte und sie von der Feuerwehr gelöscht werden musste, waren alle eingesetzten Kräfte der Auffassung, dass durch diese Umstände so viel öffentliche Aufmerksamkeit erreicht worden war, dass sich eine Observation einfach nicht mehr lohnen würde.

Manfred Kittlaus, Leiter des Polizeilichen Staatsschutzes, zeigte sich jedoch völlig unbeeindruckt von den Vorstellungen der Beamten und ordnete die weitere Observierung der relevanten Garage an.

Einmal mehr hatte dieser Mann das richtige Gespür für die Situation, denn einen Tag später, am 29.April 1975 näherten sich zwei junge Männer dieser Garage, schlossen deren Tür auf und das war´s dann für sie, denn hinter ihnen standen mehrere bewaffnete und gut durchtrainierte junge Männer, die ihnen ihre Maschinenpistolen vor den Körper hielten, sie durchsuchten und dabei jeweils eine durchgeladene Pistole sicherstellten.

Um sie anschließend zu fesseln und auf das Transportfahrzeug zu verfrachten, benötigten die Spezialisten nur wenige Minuten.

Bei den Festgenommenen handelte es sich um zwei junge Männer, die bisher niemand so richtig auf dem Schirm gehabt hatte und sie deshalb auch nicht der „Bewegung 2. Juni“ zugerechnet worden waren.

Gut zu wissen war auch für alle Einsatzkräfte, dass nur durch die Beharrlichkeit des Manfred Kittlaus dieser Erfolg erzielt werden konnte.

Schusswechsel zwischen Polizei und Terroristen

Am 5. Juni 1975 entdeckten Zivilfahnder der Berliner Polizei am S-Bahnhof Yorckstraße im Bezirk Kreuzberg eine männliche Person, in der sie einen der gesuchten Terroristen erkannten, der als eine der Schlüsselfiguren bei der Entführung des Parlamentspräsidenten Lorenz angesehen wurde. Während ihn die beiden Kriminalbeamten ansprachen und sich als Polizisten zu erkennen gaben, zog dieser sofort eine Waffe und schoss auf sie, ohne sie jedoch zu treffen.

Die Beamten schossen sofort zurück, verletzten den Mann leicht und nahmen ihn, nachdem der herbeigerufene Notarzt seine Wunde erstversorgt hatte, fest.

Durchbruch gelungen

Am 30. und 31. Juli 1975 überfielen mehrere bewaffnete Personen zwei Banken in Berlin, erbeuteten dabei insgesamt 100.000 DM und hinterließen für die gestressten Bankangestellten Schokoküsse.

Um diesem „Treiben“ mehr als einen Riegel vorzuschieben, entschloss sich die Berliner Polizeiführung, Kräfte aus anderen Bundesländern anzufordern und in West-Berlin einzusetzen. Dass sich das wenig später als Glücksgriff erweisen sollte, hatte zunächst wohl niemand so recht glauben wollen. Und dennoch war es so.

So saßen Kollegen aus Westdeutschland, wie sie im Sprachgebrauch der Berliner hießen, in einem Wohnhaus dem etwas heruntergekommen aussehenden Geschäft in der Steglitzer Birkbuschstraße gegenüber, von wo aus sie dieses Objekt unbemerkt beobachten konnten.

Als dann einer der Observanten das Gefühl hatte, den mutmaßlichen Anführer der „Bewegung 2. Juni“ erkannt zu haben und auch herbeigerufene Kollegen diesen Eindruck bestätigten, benachrichtigten sie das Berliner SEK, das am 9. September 1975 nach nur wenigen Minuten in voller Montur vor diesem Laden stand und sofort dort einfiel. Hier „erwartete“ sie nicht nur der Hauptverdächtige, sondern auch zwei seit Monaten gesuchte Frauen dieser terroristischen Vereinigung.

Die Kollegen des unmittelbar darauf hinzugezogenen Polizeilichen Staatsschutzes durchsuchten anschließend dieses Geschäft, wobei sie bergeweise Beweismittel, diverse Schlüssel, Papiere und als Höhepunkt ihrer Aktion, die Brieftasche des Parlamentspräsidenten Peter Lorenz fanden, so dass eindeutig ein Bezug der festgenommenen Personen zu dessen Entführung hergestellt werden konnte.

Ein Pärchen geht ins Netz

Nur zwei Tage später machten Kriminalbeamte des Fahndungskommissariats unter der Leitung von Klaus Berger eine Wohnung am Fraenkelufer in Kreuzberg ausfindig, in der sie diverse Unterlagen fanden, die auf ein Pärchen hindeuteten, das seit langem der „Bewegung 2. Juni“ zugerechnet wurde. Außerdem entdeckten sie einige Gegenstände, die eindeutig aus dem Kellerraum stammten, in dem die Terroristen Peter Lorenz gefangen gehalten hatten.

Hinzu kam ein Schriftstück, aus dem sich ergab, dass diese beiden Personen noch über eine angemietete Wohnung im Bezirk Wedding verfügen dürften.

Ihr Ergebnis teilten sie dem Leiter des Polizeilichen Staatsschutzes Kittlaus mit, der diese Wohnung im Norden Berlins sofort durch das SEK kontrollieren und, nachdem dort niemand angetroffen wurde, besetzen ließ.

Wenige Tage später, die Nerven der dort eingesetzten Spezialisten des SEK waren schon ein wenig strapaziert, wurde ein Schlüssel von außen ins Schloss gesteckt und die Tür aufgestoßen. Eine Frau und ein Mann betraten die Wohnung und wurden, bevor sie überhaupt wussten, wie ihnen geschah, sofort festgenommen. Bei der anschließenden Durchsuchung fanden die Beamten jeweils eine schussbereite Pistole, die die Verdächtigen im Hosenbund trugen sowie im Rucksack des Mannes eine abgesägte Schrotflinte.

Aufgrund vorhandener Lichtbilder, die den Spezialisten zur Verfügung standen, waren sie sich sicher, obwohl die beiden keine Papiere bei sich hatten, die von ihnen Gesuchten vor sich zu haben,

Mit deren Festnahme am 13. September 1975 befanden sich jetzt insgesamt fünf Personen in Untersuchungshaft, die der Polizeiliche Staatsschutz der „Bewegung 2. Juni“ zurechnete.

Zwei Monate später, am 12. November 1975 „erwischte“ es zwei weitere weibliche Mitglieder dieser Terrororganisation, die in einer konspirativ angemieteten Wohnung festgenommen werden konnten.

Ein Glückstreffer

Unter den vielen bei der Kriminalpolizei eingegangen Hinweisen stach eine Mitteilung hervor, aus der sich ergab, dass in einer Souterrainwohnung in der Schöneberger Steinmetzstraße ständig junge Menschen ein- und ausgingen, aber ganz offensichtlich dort nicht wohnten. Was sich in der Wohnung abspielte, war dem Hinweis nicht zu entnehmen. Also musste zunächst eine büromäßige Überprüfung vorgenommen werden, die immerhin Anlass genug gab, auch hier einmal eine Überwachung zu veranlassen. Da sich die Ermittlungen verdichteten, dass diese Unterkunft konspirativ genutzt wurde, erwirkte die Staatsanwaltschaft einen Durchsuchungsbeschluss. Der Erfolg gab allen, die daran beteiligt waren Recht, denn sie fanden diverse Unterlagen, die einen direkten Bezug zur „Bewegung 2. Juni“ aufwiesen.

Also hieß es auch hier, die Wohnung durch das SEK besetzten zu lassen und darauf zu hoffen, dass irgendwann Personen erscheinen würden, die es zu kontrollieren galt. Vier Tage und vier Nächte, es war mittlerweile der 29. März 1976, waren vergangen, und die Aufmerksamkeit der SEK-Leute ein wenig auf die Probe gestellt, als zwei Männer die Wohnungstür aufschlossen und sie öffneten. Sie waren gerade mal zwei Schritte innerhalb der Wohnung, als sie durch das SEK-Team ein wenig unsanft in Empfang genommen und etwas später als Mitglieder der „Bewegung 2. Juni“ identifiziert werden konnten. Bei der Durchsuchung der Beiden wurden zwei Pistolen sichergestellt, die in die Hände des Waffenexperten des LKA Arno Herder übergingen.

Sein Untersuchungsergebnis war dann schon fast sensationell zu nennen, da es sich bei der Pistole, die einer der Festgenommenen in seinem Hosenbund getragen hatte, um die Waffe handelte, mit der Kammergerichtspräsident von Drenckmann erschossen worden war. Keine Frage, dass dieses Untersuchungsergebnis alle, die an der Aufklärung dieses Verbrechens beteiligt waren, beinahe von den Stühlen riss.

Observation im Wald

Im Oktober 1977 durchstöberten Spaziergänger den Tegeler Forst, als sie durch Zufall im laubbedeckten Waldboden auf ein Depot stießen, in dem die alarmierte Polizei Waffen und gefälschte Ausweispapiere vorfand.

Kittlaus beauftragte auch in diesem Fall das SEK mit der Überwachung dieses Lagers, was im konkreten Fall bedeutete, im Waldgebiet einen unauffälligen Unterstand zu errichten, aus dem heraus Tag und Nacht Personen beobachtet werden konnten, die dieses Depot aufsuchen und ihm ggf. Gegenstände entnehmen wollten. Vierzehn Tage und Nächte dauerte dieses an die Nerven gehende Geduldsspiel bereits, als die Spezialisten nach dieser recht langen Zeit schon mal die Meinung vertraten, dass es sinnvollere Observationen als diesen Beobachtungsposten gäbe. Kittlaus ließ sich aber auch hier nicht erweichen und ordnete die weitere Observation an. Zwei Tage später, kaum jemand hatte noch damit gerechnet, tauchten zwei Typen auf, die, jeweils mit einem zusammenklappbaren Spaten „bewaffnet" auf das Depot zuliefen. Das SEK ließ die Männer erst einmal ein wenig graben und als sie dann so weit waren, Waffen bzw. andere Gegenstände zu entnehmen, liefen sie auf die völlig überraschten Männer zu und legten sie blitzschnell flach. Danach wurden sie gefesselt und zur Dienststelle des Polizeilichen Staatsschutzes am Tempelhofer Platz und dort in zwei Zellen untergebracht. Es handelte sich um zwei Männer, die eindeutig der „Bewegung 2. Juni“ hinzugerechnet werden konnten.

Die Täter vor Gericht

Am 10. April 1978 wurde die Mitglieder der „Bewegung 2. Juni“ in einem Verfahren des Landgerichts Berlin zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt.

Einer von ihnen, der gerne als Politclown angesehen werden wollte, hatte in einigen Szenarien versucht, diesem ihm zugeschriebenen Namen dadurch alle „Ehre“, zu erweisen, in dem er sich vor einer geplanten Gegenüberstellung, die der Polizeiliche Staatsschutz mit Zeugen und Beschuldigten durchführen wollte, seine Löwenmähne in der Untersuchungshaftanstalt Moabit abrasiert und den Kopf mit schwarzer Schuhcreme eingerieben hatte. Damit war die erhoffte Identifizierung als Tatbeteiligter zumindest mit dieser Aktion durch ihn zunichte gemacht.

In einem weiteren „Beitrag“ versuchte er unter Beweis zu stellen, wie wenig es ihn interessierte, was das Gericht von ihm wollte. Er stolzierte während einer Gerichtsverhandlung in die Mitte des Schwurgerichtssaals, zog sich die Hosen herunter und hinterließ dort unter seinem eigenen Gelächter einen großen Haufen. Das Gericht war zwar ein wenig betreten, ansonsten aber wenig beeindruckt von seinem Verhalten, ließ den Kot beseitigen und verhängte Stunden später, die Strafe, die seinen Gewalttaten angemessen war.

Einer seiner Mittäter, der zwischendurch aus der Justizhaftanstalt Moabit befreit worden war, wurde einige Tage später, nachdem ihn ein Berliner Kriminalbeamter erkannt hatte, in Bulgarien in Begleitung von zwei jungen Frauen wieder festgenommen. Bereits einen Tag später lieferten die bulgarischen Behörden das Trio in die Bundesrepublik aus

Dieser Mann saß, obwohl zu 15 Jahre Freiheitsstrafe verurteilt, nur acht Jahre in der JVA Tegel ein und arbeitete nach seiner Entlassung als Redakteur bei einer Berliner Tageszeitung, bis er 1992 als inoffizieller Mitarbeiter des (MfS) Ministerium für Staatsicherheit der DDR enttarnt wurde, wo er Kollegen der Zeitung ebenso ausspioniert hatte, wie die linke Szene in Berlin.

Ein Einsatz der besonderen Güte

Die Fahnder, die noch immer involviert waren, verfolgten mit großem Interesse, was sich in der Zwischenzeit in dieser Stadt so tat. Und da, wo der Polizeiliche Staatsschutz unterstützt werden konnte, waren sie mit dabei. So auch bei einem Einsatz in der Kreuzberger Admiralstraße, wo zwei junge Männer konspirativ in einer Wohnung untergebracht worden sein sollten, von denen die Nachbarn den Eindruck gewonnen hatten, dass sie Kontakte zu den gesuchten Terroristen haben könnten.

Um hier keiner Fehlinformation zu unterliegen, wurde die Observation des Objektes angeordnet und festgestellt, dass die Angaben aus diesem Hause den Tatsachen entsprachen.

Für den 4. Oktober 1978 wurde ein Vorgehen mit dem SEK vereinbart, bei der es darum ging, die vorgegebene Wohnung zu „überholen“.

Nachdem alles besprochen worden war, fuhren die Fahnder sowie ein SEK-Team zur angegebenen Wohnadresse.

Vorsichtig schlichen sie sich in der Dunkelheit und nur mittels Licht aus ihren Taschenlampen zum 2. Stockwerk des Hinterhauses, wo sich ein Beamter des SEK mit einem gepanzerten Schutzschild vor die Tür stellte und ein zweiter mit einer Ramme das Schloss aufbrach. Danach war alles andere ein Vorgehen im Sekundentakt. Die Spezialisten drangen in eine Ein-Zimmerwohnung ein, wobei sie eine unmittelbar hinter der Eingangstür befindliche Küche durchqueren mussten, dann aber sofort im Wohnzimmer waren und hier zwei junge Männer, von denen einer eine Gitarre in den Händen hielt, „flach legten“.

Die Durchsuchung der Wohnung, die die Kollegen vorgenommen hatten, erbrachten nichts Wesentliches, jedenfalls nicht im Hinblick auf gesuchte Terroristen. Aber Eindrücke hin oder Eindrücke her, Tatsachen mussten geschaffen werden und die mussten sich hoffentlich ganz schnell durch die Befragung der beiden Festgenommenen ergeben.

Nachdem ein SEK-Mann dem überraschten Gitarrenspieler vorsichtig dessen Instrument aus den Händen genommen hatte, wurden beide gefesselt und erst einmal an die Kripokollegen übergeben. Die sichteten ihre Personalpapiere, die auf die Namen Günter Schäfer und Dieter Blume, beide 27 Jahre alt, lauteten und in Rostock ausgestellt worden waren. Die völlig konsternierten Männer waren zunächst sprachlos und ließen sich in die Arrestzellen in der Gothaer Straße bringen. Dort angekommen, baten sie darum, den Mann sprechen zu können, der sich ihnen gegenüber als Einsatzleiter vorgestellt hatte. Dieser ließ auch nicht lange auf sich warten und erfuhr dann eine Geschichte, die es in sich hatte:

Beide Männer waren keine Terroristen, sondern Flüchtlinge aus der DDR, die in dem Moment, als die vermummten Männer die Wohnung stürmten, davon ausgegangen waren, dass die Stasi sie entdeckt hatte und sie wieder nach Ostberlin bringen wollte. Nachdem sich diese Annahme Gott sei Dank für sie nicht bestätigte, nahmen sie ihre Festnahme relativ gelassen hin, wollten dann aber nach Möglichkeit recht schnell in ihre Unterkunft in der Admiralstraße zurückgebracht werden.

Nachdem sie den Staatsanwalt informiert hatten, konnte ihnen die „Rückführung“ dorthin sogleich zugesagt werden. Dennoch wollten sie, sofern dies auch den Intentionen der jungen Leute entsprach, von ihnen wissen, wie sie nach Westberlin gekommen waren. Und das taten dann beide und empfanden ihre Aussage den Polizeibeamten aus West-Berlin gegenüber wohl auch als eine Art Erleichterung.

Flucht mit Hindernissen

„Wir hatten unsere Vorbereitungen für eine Flucht in unserer Kleinstadt in Mecklenburg Vorpommern getroffen und waren mit unserem Gepäck, das wir auf alten Fahrrädern bzw. in Rucksäcken verstauen konnten, sicher und ohne Berührung mit Grenzsoldaten erst einmal in Boltenhagen an der Ostsee gelandet. Boltenhagen, das war uns natürlich schon von zahlreichen Wochenendbesuchen her bekannt, liegt nur 30 Kilometer Luftlinie vom schleswig-holsteinischen Dahme in der Bundesrepublik entfernt.“

Günter Schäfer, 1940 in Roststock geboren, plante seine Flucht mit Informationen und Unterlagen, die ihm über die Schwester eines Bekannten aus Westdeutschland zugekommen waren.

Seekarten, Schwimmausrüstung und Medikamente erhielt er monatelang so nach und nach aus dem Westen und hortete alle Gegenstände in einem gut ausgeklügelten Versteck in seiner Wohnung mehrere Wochen vor seiner Flucht. Er trainierte regelmäßig in einer Sporthalle in der Nähe Rostocks mit einem jungen Mann, der nicht nur wie er sportlich, sondern auch Gitarrenspieler war. Sie unterhielten sich nicht gerade über Gott und die Welt, wohl aber darüber, was man außerhalb der Sportstätte noch so gemeinsam anfangen könnte. Gitarrenspielen war schon mal eine Option, weil sie beide das Instrument ganz gut beherrschten. Über das wo und wie kamen sie auch darüber ins Gespräch, dass für eine Weiterentwicklung wohl eher der Westen die besseren Möglichkeiten böte.

Zunächst wurde von ihnen nicht weiter darüber gesprochen, dennoch setzte sich bei Günter Schäfer die Idee mehr und mehr durch, seinen seit langem gehegten Plan eventuell mit diesem Sportkameraden durchzuführen. Bekanntermaßen war es in der DDR nicht gerade einfach, Fluchtpläne, die man selbst schmiedete, mit einem bis dato relativ fremden Mann zu teilen. Dennoch ging Schäfer dieses Risiko ein, weil er über die vergangenen Wochen ein gutes Bauchgefühl bekommen hatte, so dass er Dieter Blume, 27 Jahre alt und ebenfalls in der unmittelbaren Umgebung Roststocks geboren und wohnhaft, mit viel Um- und Vorsicht in seine Pläne einweihte. Er berichtete ihm nicht nur über seine Absichten, sondern auch über seine Vorbereitungen der letzten Wochen und Monate. Er fuhr mit ihm nach Boltenhagen, wo er ihm, unbemerkt von Zuschauern und Grenzpolizisten, die Verstecke zeigte, in denen er sein Faltboot sowie jede Menge Zubehör an zwei unterschiedlichen Stellen versteckt hatte. Wohl wissend, dass er sofort in die Fänge der Stasi geraten und auf lange Zeit im Gefängnis landen würde, sollte er mit seinem Sportkameraden auf‘s „falsche Pferd gesetzt“ haben.

Beide hatten sich durch regelmäßiges Training ihrer gegenseitigen Kondition vergewissern können, wobei sie sich kontinuierlich steigerten und nichts darauf hindeutete, dass Verrat im Spiel sein könnte.

Im Gegenteil. Sie spornten sich jetzt gegenseitig an und das galt sowohl für ihr Konditionstraining als auch für die Festlegung ihres „Abenteuers“.

Und endlich war es so weit. In ihren Heimatorten hinterließen sie bei ihren Angehörigen und Bekannten die Nachricht, dass sie mal wieder an die Ostsee fahren und sich dort so richtig übers Wochenende austoben und zugleich auch entspannen würden.

Da sie das in den letzten Wochen immer wieder einmal so praktiziert hatten, schöpfte niemand Verdacht, dass ihre Abwesenheit mit einer Flucht enden sollte.

Schon ein wenig nervös verabschiedeten sich beide von ihren Leuten, ohne dies jedoch mit großen Worten zu tun, obwohl beiden schon mehr als mulmig war, so plötzlich nicht nur ihre Arbeitsstelle, ihre Umgebung, sondern ihre alle Bekannten und Verwandten zurückzulassen. Dennoch war der Entschluss nun endgültig und beide trafen sich an einem zuvor festgelegten Ort und fuhren von dort aus gemeinsam nach Boltenhagen.

Dort angekommen holten sie das Faltboot sowie diverses Zubehör aus den gut geschützten Verstecken, wobei ihre Spannung, aber auch ihre Nervosität enorm wuchs, in letzter Sekunde hier an der etwas abseits gelegenen Stelle der Dünen doch noch entdeckt zu werden. Obwohl sie beide körperlich topfit waren, änderte es nichts an ihrer psychischen Anspannung, die erst ein wenig nachließ, als sie ihre ganzen Utensilien im Boot verstaut und es mehrere Meter weit in die Ostsee geschoben hatten.

Es war eine ruhige und wolkenverhangene Nacht des September 1978, als sie ihr Wasserfahrzeug, unbemerkt von Ostseebesuchern, Einwohnern und Grenzsoldaten, in die See geschoben und jetzt ihre Stechpaddel zu Wasser gebracht hatten und mit erheblicher Kraftanstrengung dafür sorgten, den Blicken Neugieriger bzw. irgendwelcher Grenzsoldaten zu entschwinden. Dabei orientierten sich an dem Licht, das der Leuchtturm von Dahme ihnen spendete und paddelten, was das Zeug hielt.

Normalerweise waren die 30 km Luftlinie keine allzu große Entfernung, aber für DDR-Bürger eine nahezu unüberbrückbare Strecke.

Nach und nach kamen sie ihrem Ziel näher, als ihr Faltboot urplötzlich in eine Strömung geriet und sie, statt nach Dahme zu geraten, in Richtung Dänemark gezogen wurden.

Das war knapp!

Verzweiflung kam zunächst noch nicht bei ihnen auf, aber die Kraft ließ nach diesen anstrengenden Stunden auf See doch erheblich nach. Und als sie bemerkten, dass zwei Grenzboote der DDR auf sie zurasten, war nicht mehr viel übrig geblieben von all ihren Hoffnungen, in den Westen zu gelangen. Sie wollten sich schon in ihr Schicksal fügen, als fast aus dem Nichts eine Fähre auftauchte, die in Richtung Gedser in Dänemark unterwegs war und deren Kapitän die Misere der jungen Leute rasch erkannte und zu ihrer Rettung ansetzte. Die Grenzer, die das zu verhindern suchten, kamen jedoch gegen das rigorose Verhalten des Kapitäns und seiner Crew nicht an, so dass sie wütend und hilflos zusehen mussten, wie die beiden Männer zusammen mit ihrem Faltboot an Bord gehievt wurden.

Es kamen keinerlei Triumphgefühle bei den beiden Flüchtlingen auf. Sie waren einfach nur erschöpft und froh, das gefährliche Abenteuer zunächst einmal gut überstanden zu haben.

Statt nach Dahme ging es jetzt für sie aber erst einmal nach Gedser, wo sie von der dänischen Polizei in im Empfang genommen wurden. Man gratulierte ihnen zur gelungenen Flucht, die allerdings ohne das couragierte Verhalten des dänischen Kapitäns wohl in einem Chaos geendet wäre.

Danach ging alles sehr schnell. Die beiden Männer wurden von Dänemark aus nach Hamburg gebracht und der westdeutschen Polizei übergeben, die dafür sorgte, dass sie nach West-Berlin kamen, wo Verwandte Schäfers wohnten und ihnen die kleine Wohnung in der Admiralstraße so lange zur Verfügung gestellt hatten, bis alle Formalitäten abgeschlossen waren.

Eine tolle und vor allem erfolgreiche Story, die alle Einsatzkräfte faszinierte. Sie wünschten den beiden viel Glück für ihre Zukunft, entschuldigten sich noch einmal für die drastischen Maßnahmen, die sie über sich hatten ergehen lassen müssen, was die beiden aber jetzt locker wegsteckten, nachdem sie wussten, aus welchen Gründen sie so „überholt“ worden waren.

Ein Mädchen wird entführt

Am 15. Oktober 1978 erhielt der Vater der achtjährigen Eva Matthes, Enkelin eines im Januar 1978 verstorbenen Fabrikanten, die telefonische Nachricht, dass man sein Kind entführt habe, er weitere Anweisungen zu befolgen und keinesfalls die Polizei einzuschalten habe. In einem Brief stünde alles weitere, den der Anrufer unter einer in der Nähe seines Geschäftes in Berlin-Charlottenburg befindlichen Garagentür hinterlegt hätte. Sollte er den Weisungen folgen, würde dem Kind nichts geschehen. Adressat des Briefes, den die Familie wenig später wie beschrieben vorfand, war jetzt aber nicht der Vater, sondern dessen Ehefrau Marina Matthes. In dem Brief forderten die Erpresser drei Millionen DM in gebrauchten Scheinen und auf keinen Fall die Polizei einzuschalten. Man würde sich demnächst wieder bei ihr bzw. ihrem Mann melden. Peter Matthes zögerte jedoch keinen Augenblick und rief den ihm bekannten Leiter der Berliner Mordinspektion MI Karl Schwichtenberg an, der nicht nur für die Bearbeitung von Mord, Totschlag, vorsätzlicher Brandstiftung, sondern auch für erpresserischen Menschenraub, Sprengstoffdelikte und Katastrophen zuständig war.

Karl Schwichtenberg

Schwichte, wie ihn seine Kollegen gern und trotzdem mit allem Respekt nannten, war ein Mann, der keinen Feierabend kannte und gemeinsam mit seinen Kollegen der vier Mordkommissionen eine Aufklärungsquote von 95 % aufzuweisen hatte. Ergebnisse, um die ihn die Kollegen anderer Inspektionen innerhalb der Kriminalpolizei durchaus beneideten.

Peter Matthew hatte volles Vertrauen zu diesem Mann, der nichts an die Öffentlichkeit weitergeben würde, soweit er das verhindern und verantworten konnte. Im Interesse des Kindeswohls würde er sich deshalb so lange wie möglich daran halten und sicherte dies auch Matthew am Telefon zu.

Schichtenberg verabredete sich sofort mit ihm, ließ ihn aber nicht zu seiner Dienststelle in der Keithstraße kommen, sondern traf sich mit Matthew an einem konspirativen Ort, den nur sie beide bzw. seine Ehefrau wissen sollten. Innerhalb einer halben Stunde tauschten die beiden Männer Informationen sowie die mögliche Vorgehensweise der Kriminalpolizei aus und kamen überein, aktuelle Erkenntnisse, die Matthew von den Kidnappern erhalten würde, sofort an ihn weiterzuleiten.

Im Anschluss daran informierte er den Landeskriminaldirektor Hans Kaleth, mit dem in der Folgezeit alle Maßnahmen abgesprochen wurden. Kaleth und Schwichtenberg kannten sich seit Jahren, so dass es zwischen ihnen keiner großen Worte bedurfte. Sie einigten sich auf die notwenigen Aktionen, ohne dass Kaleth dem Leiter der Mordkommissionen dreingeredet hätte. Er wusste nur allzu gut, dass er sich auf Schwichtenberg hundertprozentig verlassen konnte.

Als erstes ließ Schwichtenberg von der KTU eine Fangschaltung bei dem Ehepaar Matthew einrichten. Die Verhandlungen mit den Entführern wollte Frau Matthew selbst führen, da ihr Mann, aus England stammend, nicht so gut deutsch sprach und möglicherweise nicht alle Details eines Gespräches mit den Verbrechern richtig einschätzen würde.