Von wegen vergeben und vergessen! - Sophie Hannah - E-Book

Von wegen vergeben und vergessen! E-Book

Sophie Hannah

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  • Herausgeber: Kailash
  • Kategorie: Ratgeber
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2019
Beschreibung

Was für eine Offenbarung: Wir müssen nicht verzeihen, wenn wir auf jemanden wütend sind oder einen Groll hegen! In diesem charmanten, unterhaltsamen Anti-Ratgeber zeigt Sophie Hannah, wie heilsam es ist, auch mal negative Gefühle und Erinnerungen zu bewahren. Groll-Momente verraten viel über uns selbst und bereichern unser Leben: Sie rücken unsere Bedürfnisse und Prioritäten wieder ins Bewusstsein oder schützen uns vor Menschen, die uns nicht gut tun. Groll kann uns in die richtige Richtung führen und uns die Augen dafür öffnen, was wirklich wichtig und wesentlich im Leben ist.

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Seitenzahl: 379

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Sophie Hannah

Von wegen vergeben und vergessen!

Warum es bereichernd ist, nachtragend zu sein

Aus dem Englischen von Maria Zettner

Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen.

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1. Auflage

Deutsche Erstausgabe

© 2019 der deutschsprachigen Ausgabe Kailash Verlag, München

in der Verlagsgruppe Random House GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München

© 2018 by Sophie Hannah. All rights reserved.

Lektorat: Daniela WeiseUmschlaggestaltung: ki 36, Sabine Krohberger Editorial Design, München

Illustration: Uli OesterleSatz: Uhl + Massopust, Aalen

ISBN 978-3-641-24216-9V001

Besuchen Sie den Kailash Verlag im Netz

Inhalt

Einführung

Kapitel 1

Groll kann etwas Wunderbares sein!

Der Groll-hege-Typ

Wie könnte ein Groll aussehen?

Michael kopfüber im Türrahmen

Der Groll-fache Pfad

Die Bedeutung von Geschichten

Das Groll-Quiz

Kapitel 2

Was Groll ist, was nicht und was er sein sollte

Was stimmt nicht mit den herkömmlichen Definitionen?

Groll-Adjektive

Was ist kein Groll?

Was kann und sollte ein Groll sein?

Kann ein Groll sich in einen Kein-Groll verwandeln?

Das Taxi, das sich nicht vom Fleck bewegte

Kapitel 3

Die vielen Arten des Grolls

Der berühmte Autor

Kapitel 4

Wie man einen Groll bewertet

Das Karat-basierte Groll-Bewertungssystem

Das Gemälde im Heuhaufen

Kapitel 5

Groll liegt in der Luft

Das Baby im herzförmigen Rahmen

Kapitel 6

Warum wir Groll hegen – und warum manche Menschen das nicht tun

Das Haus in Amsterdam

Kapitel 7

Der Groll-fache Pfad

Die 10 Lehren des Groll-fachen Pfads

Die fette Bemerkung

Kapitel 8

Wie man negative Groll-Energie in positive Groll-Energie umwandelt

Wie man einen Groll verarbeitet

Die bangen Eltern

Kapitel 9

Schlechter und unberechtigter Groll

Was macht einen Groll schlecht oder unberechtigt?

Der amerikanische Staatsanwalt

Kapitel 10

Das »Gronto«: Die Verwaltung des Groll-Kontos

Was, wenn die Ursache Ihres Grolls stirbt oder bestraft wird?

Missachtung der tollen Neuigkeit

Kapitel 11

So werden Sie ein verantwortungsbewusster Groll-Heger

Groll, den andere auf mich haben, und meine entsprechende Groll-Buchführung

Verantwortungsbewusstes Groll-Hegen: Die Regeln

Der Todeswunsch auf der Türschwelle

Kapitel 12

Der Groll der anderen

Das Quiz zum Groll-fachen Pfad

Hinweis

Einführung

Dieses Buch wäre vermutlich nie zustande gekommen, wenn meine Schwester und ich nicht eine Unterhaltung geführt hätten, die ungefähr so verlief:

ICH: Ich spiele mit dem Gedanken, ein Selbsthilfebuch zu schreiben mit dem Titel Wie werde ich der perfekte Fußabtreter. Auf den ersten Blick ist es ein Plädoyer dafür, für alle die Drecksarbeit zu erledigen. Das eigentliche Ziel soll natürlich sein, deutlich zu machen, dass es keineswegs erstrebenswert ist, als Fußabtreter durchs Leben zu gehen. Es wird sozusagen ein Anti-Selbsthilfebuch.

SIE: Dieses Buch solltest du auf keinen Fall schreiben.

ICH: Wieso nicht?

SIE: Weil du kein Fußabtreter bist und auch niemand, der für andere die Drecksarbeit macht. Bücher zu diesem Thema sollten von echten Fußabtretern geschrieben werden.

ICH: Und … ich bin keiner?

SIE: Nein.

ICH: Oh. Was bin ich denn dann?

(Klinge ich hier nicht tatsächlich arg nach Fußabtreter? Nachzufragen, was ich bin? Also wirklich, wer macht denn so was?)

*Drückt die Rückspultaste*

ICH: Oh. Was bin ich denn dann?

SIE: Du bist jemand, der gern Groll mit sich herumträgt.

ICH: Ha! Na, das ist aber nichts Besonderes. Das macht doch jeder.

SIE: Nicht so, wie du es tust. Du verwendest mehr Sorgfalt und Aufmerksamkeit darauf, deinen Groll zu analysieren, zu archivieren und so viele Fälle wie möglich davon zusammenzutragen, als irgendjemand sonst, den ich kenne.

ICH: Augenblick mal – es gibt aber bei mir immer eine zweite Chance. Ich verbanne niemals jemanden aus meinem Leben, egal, was er getan hat. Erinnerst du dich noch an Dillon aus Indianapolis, der mich unablässig auf Twitter attackiert hat? Am Ende habe ich vorgeschlagen, dass er und ich auf einem Literaturfestival auftreten und vor Publikum ausdiskutieren sollten, ob ich nun ganz passabel bin oder ein unmöglicher Mensch.

SIE: War das so? Davon wusste ich gar nichts. Hast du das tatsächlich vorgeschlagen?

ICH: Ja.

SIE: Also, das war ganz schön dämlich. Willst du ernsthaft behaupten, dass du nie jemandem grollst?

ICH: Doch, das tue ich sehr wohl … nur nicht auf negative Art und Weise. Wenn ich einen Groll hege, dann ist es ein guter Groll.

SIE: Gibt es da einen Unterschied?

ICH: Aber sicher.

SIE: Und worin besteht der?

ICH: Fragst du das jetzt ernsthaft? Weißt du das wirklich nicht? Vielleicht sollte ich besser ein Buch mit dem Titel Wie hegt man Groll? schreiben, obwohl es davon bestimmt schon Dutzende gibt. Lass mich mal im Internet nachschauen …

Und jetzt halten Sie sich fest. Bevor ich diesen Ratgeber geschrieben habe, gab es kein Buch zu diesem speziellen Thema. Allem Anschein nach hatte noch nie jemand eine gründliche Analyse über Groll als psychologisches Phänomen erstellt, Vorschläge gemacht, wie wir damit umgehen sollten, oder untersucht, welche Rolle er in unserem Leben spielt. Wer hätte das gedacht? Ich jedenfalls nicht. Ein Groll ist etwas so Universelles, ein so wichtiger und faszinierender Bestandteil der menschlichen Erfahrung. Lieder, Filme, politische Karrieren, sogar die Architektur wurden alle davon inspiriert (für genauere Details siehe Kapitel 5). Wir haben alle schon mal jemandem gegrollt, uns bemüht, den Groll abzuschütteln, oder festgestellt, dass jemand aus unserem Umfeld einen Groll gegen uns hegt.

Es war im Januar 2016, als ich die oben geschilderte Unterhaltung mit meiner Schwester hatte und die Welt händeringend auf ein Buch zum Thema Groll wartete. Da ich auf allen Seiten nur von Faulenzern umgeben war, die keinerlei Anstalten machten, ein solches Buch zu produzieren, beschloss ich, es eben selber zu schreiben.

Auf den folgenden Seiten finden Sie alles Wissenswerte über die vielen verschiedenen Varianten des Grolls und seiner Inhalte, darüber, wie sich ein Groll einstufen lässt, was der Unterschied ist zwischen Groll und Nicht-Groll (was gar nicht so eindeutig ist, wie es scheint), wann wir einen Groll auf sich beruhen lassen sollten, wie man sein Groll-Konto (beziehungsweise Gronto) richtig führt sowie darüber, wie Sie einen Groll in Ehren halten und Lehren daraus ziehen können, die Sie zu einem besseren Menschen machen, zu Ihrem eigenen und zum Wohl der gesamten Menschheit. Außerdem werden Sie jede Menge von meinen Groll-Geschichten zu lesen bekommen und von denen, die mir andere geschickt haben. In fast allen davon wurden geringfügige Änderungen vorgenommen, die aber nicht von Bedeutung sind. Bei ­Dillon aus Indianapolis könnte es sich beispielsweise im wirklichen Leben um Garry aus Helsinki handeln. (Was natürlich nicht der Fall ist. Ich möchte ebenso wenig von Garry aus Helsinki verklagt werden.) Eine Nichte könnte sich in eine Schwägerin verwandelt haben, ein Hauskaninchen in einen Hamster; eine Geschichte könnte von Basing­stoke nach Boston oder Barcelona umgezogen sein. Gelegentlich werde ich auf Menschen Bezug nehmen, die nicht mehr ein Teil meines Lebens sind, als wären sie noch anwesend.

Die in diesem Buch vertretenen Meinungen, Ratschläge und Theorien sind, solange keine andere Quelle angegeben wird, meine ureigenen. Ich bin keine Psychotherapeutin oder irgendeine Art von ausgebildeter psychologischer Fachkraft. Ich bin nur jemand mit 47 Jahren aktiver und kontinuierlicher Erfahrung im Umgang mit Groll (Sie wissen ja: »Du verwendest mehr Sorgfalt und Aufmerksamkeit darauf, deinen Groll zu analysieren, zu archivieren und so viele Fälle wie möglich davon zusammenzutragen, als irgendjemand sonst, den ich kenne« – Sophies Schwester) sowie einem starken Interesse am Thema, und Sie dürfen gern in einzelnen Punkten oder in allem anderer Meinung sein! Es würde mich freuen, von Ihnen zu hören, egal, ob Sie mir nun zustimmen oder widersprechen. Sie können mich über den »Contact«-Button auf meiner Homepage erreichen: www.sophiehannah.com oder unter [email protected].

Ich habe zwei erfahrene Therapeutinnen, die ich bewundere und denen ich vertraue, gebeten, das Manuskript im Frühstadium zu lesen und mir ihre Reaktion darauf zu schicken. Es sind Helen ­Acton und Anne Grey. Einige ihrer Erkenntnisse habe ich in den Text eingeflochten. Mehr Informationen über Helen und Anne finden Sie am Ende des Buches.

Kapitel 1

Groll kann etwas Wunderbares sein!

»Die Leute glauben, um ein glückliches und angenehmes Leben zu führen, müssten sie sich etwas vormachen und alles schönfärben. Sie tun so, als wären schlimme Dinge gar nicht schlimm, fiese Dinge nicht fies, als würden Menschen ihnen guttun, die es in Wahrheit nicht tun. Es ist besser, realistisch zu sein und einen Weg zu finden, mit dem negativen Kram klarzukommen. Färbe nichts schön, erkenne das Problem und regle es. Die Leute meinen, vergeben und vergessen wäre das Heilsamste. Das ist es nicht.«

Phoebe Jones, 16 Jahre

Insgeheim hegen wir alle hin und wieder einen Groll, aber die meisten von uns denken vermutlich, das sollten wir lieber lassen, und viele streiten rundweg ab, dass sie es überhaupt tun. Einen Groll zu hegen ist zu negativ, richtig? Sollten wir besser verzeihen und zur Tagesordnung übergehen?

Falsch.

Genau genommen ist es nicht ausdrücklich falsch. Irgendwie ist es ja richtig, nur auf die falsche Art. Verwirrt Sie das? Dann lesen Sie weiter, Sie werden bald dahinterkommen, was ich meine.

Es ist selbstverständlich unabdingbar, positiv zu denken, wenn man ein glückliches Leben führen will. Aber noch entscheidender ist, wie man zu diesem Positiven gelangt. Seine negativen Gefühle und Erfahrungen zu verleugnen in der Hoffnung, sie würden aus dem Gedächtnis verschwinden und einen wieder in den Zustand zurückversetzen, in dem man war, bevor man sie hatte, wird auf lange Sicht nur noch mehr Schmerz, Konflikt und Stress verur­sachen.

Was sollten Sie also stattdessen tun? Die kurze Antwort lautet: Sie sollten dem Groll-fachen Pfad folgen.

»Was soll das denn nun heißen?«, höre ich Sie schon fragen. Lesen Sie weiter, dann erfahren Sie es. Fürs Erste gebe ich Ihnen eine andere kurze Antwort (die im Grunde die gleiche Antwort ist, nur normal ausgedrückt und nicht in dem schrägen Kauderwelsch, das ich mir ausgedacht habe): Sie sollten einen Groll hegen und dann verzeihen und zur Tagesordnung übergehen, aber dabei immer noch an Ihrem Groll festhalten. Klingt das nach einem Wider­spruch? Der Zweck dieses Buches ist aufzuzeigen, warum es keiner ist, und in einfachen Schritten darzulegen, was es bedeutet, dem Groll-fachen Pfad zu folgen.

Werde ich Sie allen Ernstes dazu ermuntern, Groll zu hegen? Ja, das habe ich vor. Und ich fange damit an, dass ich Sie auffordere, einmal folgende Fragen zu bedenken: Was, wenn alle, die Ihnen schon mal gesagt haben: »Hege keinen Groll, das tut dir nicht gut und ist auch nicht besonders nett«, unrecht hatten? Was, wenn ein Groll uns doch guttut? Was, wenn er die psychologische Entsprechung zu grünem Blattgemüse ist, das uns nährt und stark macht? Was, wenn wir die herkömmliche Definition des Wortes »Groll« nicht übernehmen müssen – die mit den negativen Konnotationen – und stattdessen eine bessere, genauere Definition entwickeln, die die ganze Wirkkraft des Grolls miteinbezieht? Was, wenn ein Groll in der Lage ist, Gefahr abzuwenden? Was, wenn wir ihn dazu nutzen könnten, uns selbst und anderen zu helfen?

Ich habe gute Neuigkeiten! Es geht gar nicht um »Was, wenn«. Alle diese Aussagen stimmen. Einen Groll zu hegen, muss uns nicht mit Hass erfüllen oder uns verbittern und unglücklich machen. Wenn Sie ans Groll-Hegen vorurteilsfrei herangehen, werden Sie feststellen, dass das genaue Gegenteil eintritt: Es macht Sie nachsichtiger. Ihr Groll kann Ihnen dabei helfen, Ihren persönlichen seelischen Orientierungspunkten gerecht zu werden. Und Sie können entscheidende Lehren fürs Leben aus ihm ziehen – über Ihr Wertesystem, Ihre Hoffnungen, Bedürfnisse und Prioritäten –, die als Aneinanderreihung von Trittsteinen dienen und Ihnen die richtige Richtung in die bestmögliche Zukunft weisen werden.

Lesen Sie weiter, wenn Sie lernen möchten, wie Sie mit einem gelegentlichen netten Groll ein glücklicheres und erleuchteteres Leben führen können … oder auch dann, wenn Sie meine Theorie zwar für vermutlich falsch halten (bis zum Ende des Buches habe ich Sie überzeugt – wollen wir wetten?), aber trotzdem Lust auf ein paar unterhaltsame Groll-Geschichten haben, bei denen einem auch schon mal die Spucke wegbleiben kann.

Der Groll-hege-Typ

Manche Menschen geben stolz und ungerührt zu, dass sie ein Groll-hege-Typ sind. Andere nicht. Als ich auf Twitter ankündigte, dass ich dieses Buch schreibe, waren die Reaktionen so unterschiedlich wie faszinierend. Die Autorin Joanna Cannon erklärte: »Wenn ich einen Groll habe, füttere und gieße ich ihn, als wäre er eine kleine exotische Pflanze. Ich kann es kaum erwarten, das Buch zu lesen!« Eine andere Frau, Jules, schrieb: »Meine Schwester und ich sind Spezialisten im ›Verübeln‹. Da sind wir einsame Spitzenreiter.«

Ich vermute mal, dass Joanna, Jules und ich auf ähnliche Weise mit Groll umgehen: Wir haben Freude daran und sind stolz darauf, und da wir der Meinung sind, dass er für uns einen positiven Wert darstellt, sehen wir keinen Grund, so zu tun, als hätten wir keinen, oder zu versuchen, uns seiner zu entledigen. Ich persönlich glaube nicht, dass es möglich ist, auf regelmäßiger Basis mit anderen Menschen zu verkehren und sich nicht den einen oder anderen Groll einzufangen. Und das ist auch gar nicht erstrebenswert, wenn man nicht gerade zu den Glücklichen gehört wie Rachel, die die Ankündigung dieses Buches online mit der Bemerkung kommentierte: »Ich bin ein hoffnungsloser Fall, was das Groll-Hegen angeht. Ich schlage mich allerhöchstens eine Stunde damit herum. Ich glaube, ich bin im Grunde einfach zu faul. Ich hoffe, das ist keine lebensbedrohliche Krankheit.«

Mein Sohn teilt Rachels Faulheit in dieser Hinsicht. Wenn ­jemand scheußlich zu ihm ist, will er es einfach hinter sich lassen – nicht nur, weil es unangenehm ist, sondern auch und vor allem, weil jegliche Art von Problem, alles, was ihn wütend macht oder ihn aufregt, ihn prinzipiell nicht interessiert. Alles, was er will, ist, nicht mehr daran zu denken – nicht aus einer Verweigerungshaltung, sondern aus einer »Wen juckt das schon?«-Haltung heraus. Unannehmlichkeiten prallen, sobald sie ihn erreichen, an ihm ab wie Regentropfen an der gewachsten Kühlerhaube eines Autos.

Ich bin da anders. Ich wollte immer, dass eine Gemeinheit mir (oder auch anderen) gegenüber aufhört, damit ich anfangen kann, darüber nachzudenken – was könnte schließlich spannender sein, nicht wahr? Ist die Person, die mir dieses spezielle Unrecht zugefügt hat, gemeingefährlich, oder war es ein Ausrutscher? Was soll ich von jetzt an von ihr halten? Wie soll ich sie behandeln? ­Jedes Mal wieder ist es ein Rätsel, das gelöst werden muss, und ich bin ein großer Rätselfan. (Das erklärt vermutlich, warum ich mir meinen Lebensunterhalt mit dem Schreiben von Krimis verdiene und meine Freizeit damit verbringe, welche zu lesen.)

Meine Tochter ist genau wie ich. Sie regt sich furchtbar auf, wenn jemand gemein, boshaft oder unfair zu ihr ist oder zu jeman­dem, der ihr nahe steht – viel stärker als mein Sohn –, aber interessieren tut sie sich dennoch für Gehässigkeiten und all die schlimmen Dinge, die Menschen begehen, weil sie nämlich zum menschlichen Verhalten gehören, und das fasziniert sie am Leben am allermeisten. Es macht ihr Spaß, es zu analysieren und zu versuchen, es in eine zusammenhängende, übergreifende Struktur einzupassen. Ich mache das auch so. Ich glaube, das erklärt, warum meine Tochter und ich passionierte Groll-Heger sind, während mein Sohn darauf keinen Bock hat und wahrhaftig keinerlei Groll zu haben scheint.

Ich vermute mal, dass die Art, wie mein Sohn Groll vermeidet, die einzige gesunde und unbedenkliche Art ist, Groll zu vermeiden. Was das Groll-Hegen betrifft, vergleiche ich meinen Sohn mit einem Baumstamm ohne Jahresringe. Die Groll-Ringe sind einfach nicht vorhanden – so ist dieser spezielle Baum nun mal gewachsen, und das ist auch in Ordnung so.

Wie könnte ein Groll aussehen?

Während ich dieses Buch schrieb, habe ich viel darüber nachgedacht, wie ein Groll aussehen könnte, wenn er eine dingliche Form hätte. Ich fing an, mir einen Groll als einen konkreten Gegenstand vorzustellen. Das erste Bild, das mir in den Sinn kam, war ein Ring in einem Baumstamm, dann ein Kaktus (jede Menge Stacheln), dann eine kleine quadratische Schachtel, eingepackt in buntes Geschenkpapier mit Schleife. Ich bat Leute darum, mir ihre Zeichnungen und Ideen über das mögliche Aussehen eines Grolls zu schicken. Zwei Bilder gefielen mir ganz besonders. Eins zeigte einen roten Ball oder eine Kugel, die jemand mit den Händen umfangen hielt. Von den Fingern der Hände baumelten Worte und Wendungen wie »gebrochene Herzen«, »vergessene Geburtstage« oder »ungerechtfertigte Entlassung«. Das andere war eine Art wolkenförmige griesgrämige Groll-Gestalt. (Sie können sich beide auf der »How to Hold a Grudge«-Seite meiner Homepage anschauen.)

Ich vermute mal, dass die Person, die die Griesgram-Gestalt gezeichnet hat, eine andere Auffassung von Groll hat als ich, wenn man bedenkt, dass das Bild, für das ich mich am Ende entschied, eine als Geschenk verpackte Schachtel war. Meinen Sohn habe ich gar nicht erst gebeten, mir ein Bild zu malen, aber wenn ich es doch getan hätte, hätte er sicher die Augen verdreht und gesagt: »Hab kein Bock!« Klar hat er den nicht – er hat eben grundsätzlich kein Interesse an Groll.

Das ist überhaupt nicht schlimm. Ich werde ihn deswegen nicht aus meinem Testament streichen oder ihm vorwerfen, nicht mein Fleisch und Blut zu sein, oder etwas in der Art. Und es ist okay, dass mein Sohn – und alle, die in diesem Punkt so sind wie er, deren Gehirn automatisch und mühelos alles Schlechte abstößt, sobald es vorüber ist, weil sie es so langweilig finden wie ich Anekdoten über die Geschichte der Dampfmaschine (mein Fehler – ich gebe den Dampfmaschinen keine Schuld) – niemals einen Groll hegt.

Aber was ist, wenn Sie, wie die meisten Menschen, ein Gehirn haben, das sich immer noch in allen Einzelheiten an das Mal erinnert, als Ihre angeblich beste Freundin Ihr intimstes Geheimnis ohne Erlaubnis dem Briefträger verraten hat? Was, wenn Sie unwillkürlich bei jedem Besuch Ihrer Cousine im Stillen denken »Leck mich«, weil sie einmal Ihrem Hund Schokolade gefüttert hat, wovon ihm schlecht wurde? Wenn Sie zu dieser Sorte Mensch gehören – und ich glaube, das tun die meisten von uns –, dann ist es eine sehr schlechte Idee zu versuchen, keinen Groll zu hegen, obwohl all Ihre Instinkte aus vollem Halse schreien: »Also wirklich, ich bin mir ziemlich sicher, dass das hier ein grollenswerter Anlass ist.«

»Diese Sorte Mensch«? Welche Sorte meine ich denn damit?

Na, einen ganz gewöhnlichen Menschen natürlich. Einen vollkommen normalen Durchschnittsmenschen. Gewöhnliche, normale Menschen ärgern sich, wenn sie jemand ärgert. Wir fühlen uns hintergangen, wenn die, denen wir vertrauen, uns hintergehen. Wir werden wütend, wenn man uns unrecht tut, uns verleumdet, am Nasenring durch die Manege führt oder übertrieben ausnutzt. Verleugnung oder Unterdrückung unseres natürlichen Groll-Instinkts ist schlecht für uns und auch schlecht für die Welt. (Kapitel 6 erklärt, warum das so ist, aber bitte blättern Sie nicht vor – sonst ist ein Autor-Leser-Groll fällig. Sie müssen das Buch in der richtigen Reihenfolge lesen, andernfalls ergeben die Argumente keinen Sinn.)

Anne Grey, Coach, Mentorin und Therapeutin, meint auch, dass es nicht ratsam ist, unsere Gefühle zu unterdrücken. Sie sagt: »Es ist eine natürliche Reaktion, Gefühle wie Gekränktheit, Traurigkeit oder Wut zu haben. Lass das starke Gefühl zu, ohne es zu ­bewerten.«

Vielen von uns wurde von frühester Jugend an eingetrichtert, dass es kleinlich, engherzig und schrecklich ist, einen Groll zu hegen. Das hat zur Folge, dass wir auf unserem weiteren Lebensweg ganz schlecht gerüstet sind, wenn wir, wie es ja immer wieder vorkommt, Zielscheibe von schäbigem bis abscheulichem Verhalten werden. Eine der Reaktionen auf meine Ankündigung dieses ­Buches lautete: »Oh! Wie funktioniert denn das, einen Groll zu hegen? Für mich stellt das eine schäbige, unerbittliche Hürde dar, die einen daran hindert, alles hinter sich zu lassen und normal weiterzuleben!« Diesen Kommentar fand ich wunderbar, denn er brachte genau auf den Punkt, was für eine Herausforderung auf mich wartete: Menschen, die dazu erzogen wurden, Groll für etwas Negatives, Schädliches zu halten, davon zu überzeugen, dass es a) das nicht ist, sondern das Gegenteil, da sie b) all die Jahre Groll falsch eingeschätzt und das Wort falsch benutzt haben. Dieses Buch beabsichtigt, Ihnen eine psychologisch korrektere Definition an die Hand zu geben – eine, die dafür sorgt, dass Sie a) für alle Zeiten eine andere, optimistischere Einstellung zum Groll haben und b) Lust bekommen, sich eine eigene Sammlung davon anzulegen.

Nachdem ich mich einmal zum Schreiben dieses Buches entschlossen hatte, bat ich die Leute, mir, wenn sie wollten, ihren Groll zu ­schicken. Ganz viele, die ich ansprach, schauten mich einigermaßen erschrocken an und sagten: »Ich weiß nicht, ob ich überhaupt einen habe. Ich glaube nicht, dass ich dazu neige, Groll zu hegen.«

»Kein Problem«, gab ich zur Antwort. »Dann will ich dir mal eine andere Frage stellen: Gibt es jemanden, von dem du heute anders denkst, weil er einmal etwas Bestimmtes gemacht hat?« An dieser Stelle wurden fast alle munter und riefen: »O ja! Meine Mutter hat zu meiner Hochzeit Weiß getragen.« Oder: »Meine Stiefmutter hat sich den Mantel gekauft, den ich haben wollte … und dann hat sie ihn nie angezogen.« Oder: »Ein Mädchen aus der B-Mannschaft hat mir absichtlich ein Bein gestellt und mich verletzt, damit sie meinen Platz in der A-Mannschaft übernehmen konnte.«

Wieder und wieder erzählten mir die Leute, dass sie niemals einen Groll hegten und ihnen auch keiner einfiele, nur um dann mit etwas anzukommen, von dem sie behaupteten, es wäre kein Groll, das nach meiner Definition aber das perfekte Beispiel war.

Wir werden uns in den Kapiteln 2 und 3 noch genauer damit beschäftigen, was Groll ist, was er nicht ist und was er sein sollte. Für den Augenblick möchte ich nur so viel sagen: Wenn Sie einen Groll für eine schäbige, unerbittliche Hürde halten, die einen daran hindert, normal weiterzuleben, dann werden Sie, wenn jemand Sie fragt, ob Sie einen hegen, selbstverständlich nicht begeistert aufspringen und rufen: »Ja! Ja, das tue ich! Ich kann Ihnen sogar eine kostenlose Führung durch meine Sammlung anbieten!« Wer stellt sich schon gern als schäbig oder unerbittlich hin? Ich werde Ihnen beweisen, dass Groll fürsorglich und bereichernd ist und Spaß macht. Ich hoffe, dass Sie, wenn Sie erst dieses Buch gelesen haben, einsehen, dass es ebenso notwendig ist, ausgerüstet mit einem soliden Talent zum Groll-Erwerb in diese Welt hinauszutreten, wie einen Helm aufzusetzen und nicht vier Flaschen Wodka auszutrinken, bevor Sie auf Ihr Motorrad steigen und die Autobahn hinunterrasen. Vertrauen Sie mir: Es stimmt.

Und jetzt möchte ich Sie etwas fragen: Wenn jemand Sie auffordern würde, Ihre fünf Spitzenreiter in Sachen Groll zu nennen, könnten Sie das? Ich ja, obwohl ich vermutlich zehn Minuten später angerannt käme, um zu verkünden, dass ich bereits die Reihenfolge geändert habe und Nummer drei und vier auf meiner Liste die Plätze getauscht haben. Es könnte auch passieren, dass ich eine Diskussion darüber anfangen würde (ja, ich bin tatsächlich eine so verdrehte Person), was »Spitzenreiter« in diesem Zusammenhang bedeutet. Am schwerwiegendsten? Am amüsantesten?

Moment mal – amüsant? Einige von Ihnen werden sich fragen: »Wie könnte ein Groll jemals amüsant sein? Wie könnte er anders sein als bitter, verabscheuungswürdig und zerstörerisch?« Wenn das Ihre Meinung ist, dann sind Sie bei mir an der richtigen Adresse. Sie sind genau die Person, die ich im Sinn hatte, als ich erstmals den brennenden Drang verspürte, dieses Buch zu schreiben, denn Sie sind der- oder diejenige, die ich überzeugen muss, dass ein Groll, wenn er denn sachgerecht gehandhabt wird, gut für Sie sein kann. Und nicht nur gut, sondern wunderbar. Wenn Sie dagegen grinsen und sich sagen: »Na klar kann ein Groll unterhaltsam sein – wer wollte das bestreiten?«, dann liegen Sie mit mir auf einer Wellenlänge und ich habe das Buch auch für Sie geschrieben (und Sie vor allem werden es lieben; es sei denn, Sie ergötzen sich aus den falschen Gründen an Ihrem Groll, was wir zu gegebener Zeit behandeln werden).

Lassen Sie mich mit einer Groll-Geschichte beginnen, die immer einen festen Platz in meinem Herzen haben wird, aus einem ganz bestimmten Grund …

Michael kopfüber im Türrahmen

Vor ein paar Jahren musste ich wegen einer berufsbedingten Veranstaltung nach Exeter im Südwesten von England. Es war eine Abendveranstaltung, und ich hätte unmöglich noch am selben Abend zurück nach Hause fahren können. Glücklicherweise wohnten gute Freunde von mir eine kurze Autostrecke von Exeter entfernt, Freunde, die ich schon viele Jahre kannte. Sie hatten ein Gästezimmer, in dem sie mich sehr gern die Nacht über beherbergen wollten. Meine Freunde waren ein Ehepaar mit Kindern und einem Hund, aber beide Kinder waren schon seit einigen Jahren aus dem Haus, und nur der Mann, die Frau sowie der Hund spielen in dieser Geschichte eine Rolle. Ich werde sie Michael, Linda und Hobart nennen. Hobart war ein kleiner Border Terrier, der sich gern an warmen Stellen einkuschelte: in seinem Bett, in den Betten anderer Leute, zwischen Haufen von Wollpullovern in Schubladen oder Kleiderschränken.

Die ganze Familie liebte Hobart, aber Michael war regelrecht besessen von ihm. Er konnte sich nicht entspannen, bevor er nicht, zu allen Tages- und Nachtzeiten, wusste, wo im Haus sich Hobart gerade aufhielt. Selbst wenn er keinen Grund hatte, sich um die Sicher­heit oder das Wohlergehen des Hundes zu sorgen, reichte es Michael nicht aus zu wissen, dass Hobart irgendwo in der Nähe war, er musste den genauen Standort kennen. Wenn Michael außer Haus war, fragte er bei seiner Rückkehr als Allererstes Linda: »Wo ist Hobart?«, und wenn sie ihm keine schlüssige Antwort geben konnte (»Auf dem blauen Sessel in der Küche« oder »Er sitzt neben der Heizung im Wohnzimmer«), brachte er sein Missfallen zum Ausdruck, als habe sie ihre Aufsichtspflicht vernachlässigt.

Mir war sehr wohl bewusst, dass ich, wenn ich eine Nacht unter Michaels Dach verbrachte, aller Wahrscheinlichkeit nach Zeuge einer Hobart betreffenden Absonderlichkeit werden würde. Bei früheren Besuchen war ich schon gefragt worden, ob ich a) bereit wäre, meinen Lehnsessel zu räumen und mich stattdessen auf einen harten Stuhl zu setzen, da Michael vermutete, Hobart könnte auf meinem Platz sitzen wollen, und b) nichts dagegen hätte, bei offener Tür zu schlafen, für den Fall, dass Hobart im Laufe der Nacht Lust bekam, mal ins Gästezimmer zu schlendern. So charmant wie möglich und in der Hoffnung, niemanden zu kränken, lehnte ich beide Male ab, und Michael trug es mit Fassung.

Das hatte mir nie etwas ausgemacht. Ich fand es belustigend. Michael war der Erste, der über sich selber lachte und zugab, dass er in Bezug auf seinen Hund hochgradig neurotisch war. Deshalb war ich gern bei ihnen zu Besuch. Außerdem fand ich es faszinierend, dass Linda, die Michaels Neurose nicht teilte, so bereitwillig mitspielte und Hobart engmaschig überwachte, damit sie, wann immer Michael auftauchte und fragte: »Wo ist Hobart?«, eine Antwort parat hatte.

An jenem bewussten Abend traf ich so gegen zehn Uhr bei Linda und Michael ein, und wir tranken zusammen eine Tasse Tee. Um elf sagte ich, ich würde schlafen gehen. Das ist zwar für meine Verhältnisse recht früh, aber zu der Zeit hatte ich zwei kleine Kinder unter drei Jahren, die beide häufig während der Nacht wach wurden, und dazu schrieb ich noch wie wild an einem Buch, während ich gleichzeitig einem Teilzeitjob nachging, der eineinhalb Autostunden von meinem Wohnort entfernt war, und mindestens einmal die Woche zu einer Dichterlesung oder einer anderen literarischen Veranstaltung fuhr.

Ich erklärte Michael und Linda, ich sei erschöpft, müsse früh aufstehen, um am nächsten Morgen nach Hause zu fahren, und wolle ausnutzen, dass diese Nacht so herrlich frei von Unterbrechungen durch kleine Kinder sein würde. Dann ging ich zu Bett und versank sofort in einen tiefen Schlaf.

Ehe ich mich’s versah, schreckte ich hoch und hielt die Daunendecke gepackt wie einen Schutzschild. Dem Adrenalin nach zu urteilen, das durch meinen Körper schoss, stimmte etwas nicht. Noch ziemlich schlaftrunken und erschrocken, fiel es mir schwer zu ermitteln, was passiert war, doch es gab drei entscheidende Anhaltspunkte: Das Licht in meinem Zimmer brannte, die Tür zum Treppenabsatz stand weit offen und Michael schien kopfüber in der Tür zu hängen. Sein Kopf war tiefer als sein Körper und nah am Boden.

Ich brauchte ein paar Sekunden, um festzustellen, dass er in Wirklichkeit nicht kopfüber vom Türrahmen herunterhing. Aber sein Kopf befand sich tatsächlich am Boden, das hatte ich richtig wahrgenommen. Er war vornübergebeugt, mit dem Kopf an seinen Füßen, und schaute unters Bett – das Bett, in dem sein völlig entgeisterter Hausgast lag.

Ich weiß noch, dass ich mir ziemlich dämlich vorkam und am liebsten geheult hätte, weil ich so dumm gewesen war, auf eine Nacht mit ununterbrochenem Schlaf zu vertrauen. Zu Hause konnte ich damit umgehen, wenn ich geweckt wurde. Ich rechnete ja damit. Ich schlief auf eine Junge-Mutter-in-Bereitschaft-Art. Das hier war schlimmer, als von meinen Kindern geweckt zu werden, denn deren Aktionen konnte ich wenigstens einordnen, ohne gleich mit Panik zu reagieren. In jenen ersten Sekunden fiel mir kein nicht besorgniserregender Grund ein, warum Michael die Tür zu dem Zimmer, in dem ich schlief, geöffnet, das Licht eingeschaltet und sich dermaßen verrenkt haben sollte.

Ich wartete auf eine Entschuldigung dafür, dass er mich gestört hatte – dass er in das Zimmer gekommen war, in dem ich schlief, und allen Ernstes das Licht eingeschaltet hatte. Er entschuldigte sich nicht. Und er schien auch nicht zu bemerken, dass ich erschrocken nach Luft schnappte und meine Decke umklammerte. »Ich dachte, Hobart wäre vielleicht hier drinnen bei dir«, sagte er. »Ich kann ihn nirgends finden.«

Er kam näher, kniete sich hin und steckte seinen Kopf geradewegs unters Bett. Als er wieder auftauchte, sagte er mit einem Seufzer: »Nein, hier unten ist er nicht.« Dann öffnete er nacheinander jede Schranktür und jede Schublade im Zimmer.

Ich weiß nicht mehr, was ich anhatte. Ich bin in puncto Nachtwäsche alles andere als glamourös, also wird es vermutlich ein altes, ausgefranstes T-Shirt gewesen sein. Es gewährte keine allzu tiefen Einblicke, worüber ich froh war – allerdings, wenn Hobart verschollen war, war das ja weit wichtiger, als dass Michael mich spärlich bekleidet hätte sehen können.

Während ich noch darüber nachdachte, hörte ich Linda rufen: »Hab ihn gefunden, Michael! Er liegt hier drinnen auf dem Sofa.« »Hier« erwies sich als Michaels Arbeitszimmer.

Bei diesen Worten überkam mich ein ganz eigenartiges Gefühl: als ob sich etwas in meinem Kopf aufgetan hätte oder in ihn eingedrungen wäre und meine Gedanken neu geordnet hätte. »Das ist ein bedeutsamer Moment«, sagte ich leise an mich selbst gewandt, auch wenn ich noch nicht vollständig dahintergekommen war, inwiefern.

Ohne ein Wort zu mir zu sagen, zog Michael los, um Lindas Behauptung auf ihren Wahrheitsgehalt zu überprüfen. Auf seinem Weg nach draußen löschte er noch das Licht und schloss hinter sich die Tür. Sein Arbeitszimmer lag gleich neben dem Gästezimmer, in dem ich mich befand – getrennt nur durch eine dünne Wand. Auch das fiel mir als wichtiger Punkt ins Auge.

Nachdem er weg war, nahm ich mir mein Handy, um nach der Uhrzeit zu schauen. Erst eine halbe Stunde nach Mitternacht. Ich war fest entschlossen, so viel Schlaf wie möglich aus dem Rest der Nacht herauszuholen, deshalb sagte ich mir: »Jetzt ist nicht die Zeit dahinterzukommen, was das alles sollte, aber ich werde mich bald damit beschäftigen, denn es ist von Bedeutung. Ich darf nicht vergessen, was vorgefallen ist.« Nachdem ich diesen Entschluss gefasst hatte, schlief ich bald wieder ein, und dankenswerterweise brachte die restliche Nacht keine Überraschungen mehr.

Anne Grey sagt: »Sich Gedanken zu machen, was etwas bedeuten könnte, ist eine hilfreiche Art der Reaktion. Ein anderer Ansatz ist, die spontane Empfindung zuzulassen, ohne Bewertung, und zu ermitteln, wie du dich jetzt fühlen möchtest. Jetzt voll präsent zu sein, macht es möglich, dass sich größere Klarheit und Einsicht einstellen, aus deiner natürlichen Intuition oder inneren Weisheit heraus.«

Als ich am folgenden Tag zurück nach West Yorkshire fuhr, wo ich damals lebte, dachte ich über Michael kopfüber im Türrahmen nach, und ich habe seitdem noch oft darüber nachgedacht. Es ist ein Groll, den ich hege und der mit Michael zu tun hat, aber ich würde nicht sagen, dass ich den Groll gegen ihn hege, da er mich nicht davon abhält, ihn zu mögen, und er hat auch nicht unsere Freundschaft beendet. (Wie ich in Kapitel 2 darlegen werde, sollten wir einen Groll immer nur mit Bezug zu einem Menschen hegen und nicht gegen ihn. Ein Groll sollte kein »Gegen« beinhalten.)

Obwohl es mir keinen Spaß gemacht hat, mitten in der Nacht geweckt zu werden, hatte ich eher Mitleid mit Michael, als dass ich es ihm übel nahm. Er war eindeutig zu keinem rationalen Verhalten imstande, wenn es um Hobart ging. Das hatte ich schon seit Jahren gewusst, auch wenn ich es erst in jener Nacht in seiner ­extremsten Manifestation zu spüren bekam. In einem neurotischen Moment hatte er sich gezwungen gesehen, in das Zimmer zu platzen, in dem ich schlief. Ich glaube nicht, dass er mir irgendetwas Böses wollte – genauer gesagt weiß ich, dass er das nicht wollte. Die Tür, ohne anzuklopfen, zu öffnen könnte durchaus seinem ­Bemühen geschuldet gewesen sein, mich nicht zu stören. Vielleicht dachte er ja, wenn er nicht anklopfte, sondern einfach hereinkam und dann auf Zehenspitzen herumlief, würde ich nicht aufwachen (obwohl er das Licht eingeschaltet hatte).

Dennoch hege ich einen Groll in dieser Angelegenheit, und den möchte ich auch behalten. Es ist ein besonderer Groll – einer, dem ein Ehrenplatz in meiner »Groll-Vitrine« gebührt (mit der ich Sie später noch vertraut machen werde). Aber wenn Michaels Verhalten weder böswillig war noch mir nennenswerten Schaden zugefügt hat, warum bin ich dann so versessen darauf, diese Episode in Erinnerung zu behalten? Zum Teil liegt das daran, dass es der erste Groll ist, der mir schon im Augenblick seiner Entstehung als Groll bewusst wurde. Bis dahin hatte ich Groll immer nach einem anderen Schema erworben: Etwas geschah, und erst im Nachhi­nein ging mir auf, dass ich mich darüber aufregte. Einige Zeit später stellte ich dann fest, dass es immer noch da war und keine Anstalten machte, sich zu verdünnisieren.

Bei diesem Vorfall – der für mich immer noch »Michael kopfüber im Türrahmen« ist (ich gebe einem Groll immer einen ­Namen, das hilft bei der Katalogisierung und Klassifizierung) – war mir, während er sich abspielte, schon bewusst, dass hier ein Groll in Echtzeit im Entstehen begriffen war, einer, den ich niemals vergessen würde. Außerdem stellte ich fest, dass ich, nachdem ich mich vom ersten Schock erholt hatte, weder wütend noch erregt war. Vielmehr war ich neugierig – überzeugt, dass sich etwas Besonderes ereignet hatte, und begierig dahinterzukommen, was das ­bedeuten mochte.

Es war ein eigenartiges Gefühl und gleichzeitig ein Wendepunkt. Bis dahin hatte sich bei mir ein Groll spontan und eher beiläufig eingestellt. Das hier war der erste, den ich bewusst entwickelte, da ich, noch im selben Moment, ahnte, dass es einer Art inneren Ausrufezeichens oder gedanklichen Bookmarks bedurfte – mit anderen Worten: eines Grolls entsprechend meiner Definition des Wortes (auch wenn ich mir das zu dem Zeitpunkt nicht so klarmachte; erst später begriff ich in vollem Umfang, wie meine Definition aussah). In der besagten Nacht wusste ich nur, dass das eine Geschichte war, die ich zuerst einmal ausfeilen musste, damit sie deutlich hervortrat, und dann mir merken und schließlich erzählen. Das Allerseltsamste war: Ich wusste, dass ich diese Geschichte in erster Linie mir selber erzählen musste.

Das ist 13 Jahre her. Seither ist es mir zur Gewohnheit geworden, es so zu machen (nennen wir es »achtsame Groll-Erzeugung«), und es geschieht selten, dass ich einen Groll auslösenden Vorfall nicht gleich auf der Stelle als solchen erkenne – doch »­Michael kopfüber im Türrahmen« war mein erster. Damals verstand ich noch nicht, warum ich die Geschichte richtig hinbekommen musste (und mit richtig meine ich, so klar und präzise wie möglich) und auch nicht, dass es ein neu entstandener Groll war. Wenn Sie mich damals gefragt hätten, ob ich jemals Groll hege, hätte ich es vermutlich nicht zugegeben, weil ich noch nicht begriffen hatte, dass ein Groll wirklich und wahrhaftig gut für einen ist.

Kehren wir noch einmal kurz zu Michael zurück. Als ich über den »Kopfüber im Türrahmen«-Vorfall nachdachte, fielen mir mehrere wichtige Merkmale auf:

Michael hatte nicht im restlichen Haus nach Hobart gesucht, bevor er mich beim Schlafen störte. Hätte er das getan, hätte es keine Geschichte und keinen Groll gegeben. Michaels Arbeitszimmer, in dem Linda Hobart aufstöberte, lag neben dem Zimmer, in dem ich mich befand, und niemand schlief darin. Warum hatte Michael nicht zuerst dort nachgesehen? Warum hatte er nicht im ganzen Haus nachgesehen, bevor er bei mir hereinplatzte? Warum war ihm nicht wenigstens so viel an meinem Schlafbedürfnis und meiner Privatsphäre gelegen?Mich aufzuwecken war nicht das Einzige, was er riskierte, als er unangekündigt ins Gästezimmer kam. Er riskierte ebenfalls, mich zu erschrecken (was er auch tat) und mich in Verlegenheit zu bringen. Woher wollte er wissen, dass ich nicht nackt schlief?An keiner Stelle hat er sich entschuldigt. Wenn jemand dich ohne Not mitten in der Nacht aufweckt, neben deinem Bett auf die Knie geht und sich dann nicht entschuldigt, lässt sich die verpasste Gelegenheit kaum übersehen. Am nächsten Morgen sagte Michael, bevor ich aufbrach, nicht: »Ach, übrigens, tut mir leid, dass ich dich letzte Nacht im Schlaf gestört habe.« Es erfolgte kein lockeres, munteres »Sorry!«. Und mir war klar, dass das nicht daran lag, dass Michael sich freute, dass er mir meine Nacht ein wenig unangenehmer gemacht hatte, als nötig gewesen wäre. Er hatte schlichtweg vorher schon nicht an meine Bedürfnisse und Gefühle gedacht und tat es auch jetzt nicht. Nach seiner Sicht der Dinge musste es mir, da mir kein Blut aus den Augen tropfte und ich nicht aus einem Fenster im 15. Stock baumelte, gutgehen … also konnte er getrost ausschließlich an seine eigenen Bedürfnisse denken.

Ich wusste, dass Michael sich nicht einmal eine Sekunde lang Sorgen machte, er sei kein guter Gastgeber gewesen oder ich würde vielleicht nicht sonderlich scharf darauf sein, noch einmal bei ihm zu übernachten. Ich wusste aber auch, dass er sich vor einen Gewehrlauf gestellt hätte, um mich zu retten, wenn er mich in echter Gefahr gewähnt hätte. In mancherlei Hinsicht ist er ein großzügiger, aufopferungsvoller Mensch. Wäre ich irgendeiner Gefährdung ausgesetzt gewesen, die er als solche wahrgenommen hätte, dann hätte er mein Wohlergehen vor sein eigenes gestellt, da hatte ich keinen Zweifel – das hätte er für mich getan wie für alle anderen auch, an denen ihm etwas lag. Das Dumme war nur (das war eins von den Dingen, die mir bewusst wurden, als ich zurück nach Yorkshire fuhr, und ich konnte nicht glauben, dass ich so lange gebraucht hatte, um dahinterzukommen), dass Michael eine bedenkliche Neigung hatte, anderen ein vollkommen unbeeinträchtigtes Befinden zu attestieren, wann immer es ihm gerade in den Kram passte.

Ich stellte fest, dass er jemand war, der immer bereit sein würde, mir kleinere Unannehmlichkeiten, eine flüchtige Verärgerung, leichte Schockeffekte und moderates Unwohlsein zuzumuten, wenn er damit seine eigene Besorgnis lindern oder etwas bekommen konnte, was er unbedingt haben wollte, ohne innezuhalten und sich zu fragen, ob das angemessen oder fair war. Ich erkannte klar und deutlich, nachdem es mir so viele Jahre über nur unterschwellig und vage bewusst gewesen war, dass ich in jeder alltäglichen/krisenfreien Situation für Michael immer eine sehr viel geringere Rolle spielen würde als er selber. Er würde immer mein Wohlergehen dem seinen unterordnen, wenn es ihm dienlich war, solange ich ihm »im Wesentlichen okay« erschien. Und er würde, wenn zur Rede gestellt, auch immer einen Weg finden, sein Verhalten zu rechtfertigen und mir ein schlechtes Gewissen zu machen, denn er war sich hundertprozentig sicher, ein vorbildlicher Mensch zu sein.

Die Therapeutin Anne Grey sagt: »Dieses Verhalten von Michael ließe sich als ›unbewusstes‹ Verhalten bezeichnen, insofern, als er so in seinen Gedanken und Empfindungen versunken ist, dass ihm die Auswirkungen auf andere vollständig entgehen, und, was noch wichtiger ist, es ist ihm nicht klar, dass er die Wahl hat, einen Schritt zurückzutreten, zu beobachten, größere Klarheit zu gewinnen und einzusehen, dass ihm, wenn er das möchte, eine alternative Handlungsoption offensteht.«

Der Groll-fache Pfad

Dieses Gefühl der Bedeutsamkeit, das mir mitten in der Nacht gekommen war, war in Wirklichkeit mein Unterbewusstsein, das mir sagte: »Es wird Zeit, dass du einsiehst, wie dieser Mann sich immer verhalten wird.« Aus den hintersten Winkeln meines Gedächtnisses gesellten sich weitere Anekdoten zu dieser neu entstandenen. Einige gingen explizit auf Nächte zurück, die ich in der Vergangenheit unter Michaels Dach verbracht hatte. Als ich ihn anfangs kannte, war seine Lieblingsbeschäftigung am frühen Morgen, laute Musik zu spielen. Pech, wenn ich bei ihm übernachtete und noch schlief. Dann wurde ich nämlich von volltönenden Queen- oder Led-Zeppelin-Songs unsanft geweckt. Zu der Zeit nahm ich das nicht sonderlich tragisch. Ich hatte keinen Job von Bedeutung und auch keine Kinder, weshalb chronische Übermüdung noch kein Thema für mich war. Doch als ich nach dem »Kopfüber im Türrahmen«-Vorfall daran zurückdachte, fiel mir ein, dass Michael immer wenn ich ihn fragte, ob er mit seiner Musik nicht warten könne, bis ich wach war, eine leichte Verstimmung erkennen ließ und ein wenig ausrastete.

Bei einer Gelegenheit legte er mir, statt wie sonst beleidigt abzuziehen, seine Sicht der Dinge dar, wie ein Angeklagter, der sich vor Gericht verteidigt. »Sieh mal«, sagte er, »meine liebste Zeit des Tages ist, wenn ich mich morgens früh anziehe und für die Arbeit fertig mache. Und dabei Musik zu hören – in angemessener Lautstärke, damit ich auch etwas hören kann – ist eine meiner Lieblingsbeschäftigungen. Warum sollte ich darauf verzichten müssen, nur weil du zufällig zu Besuch bist?« Als ich ihn daraufhin fragte, wie er sich fühlen würde, wenn ich die Filmmusik zu Oklahoma richtig laut aufdrehen würde, während er versuchte, in meinem Gästezimmer zu schlafen, war er etwas verdutzt und antwortete: »Na ja … das fände ich natürlich furchtbar.«

»Na also!«, resümierte ich.

»Hm«, machte er und war die folgende Stunde über unleidlich. Keiner von uns beiden brachte zur Sprache, dass ich so etwas noch nie getan hatte und auch niemals tun würde, während er es regelmäßig so machte.

Michael hörte erst dann mit der lauten Musik am frühen Morgen auf, nachdem ich ihn ungefähr viermal darum gebeten hatte (und nachdem er richtig ausgerastet war).

Auf der Heimfahrt am Tag nach »Kopfüber im Türrahmen« fielen mir mindestens zehn oder zwölf denkwürdige Michael-Anekdoten ein. Es waren die ersten Anekdoten, die ich offiziell und mit einigem Stolz in meine neue Groll-Vitrine aufnahm!

Auftritt: Die Groll-Vitrine

Lassen Sie mich raten: Sie haben noch keine und hatten auch keine Ahnung, dass Sie eine brauchen? Das tun Sie aber. Sie werden gleich verstehen, weshalb. Eine Groll-Vitrine ist der einzige konkrete Gegenstand, den Sie brauchen, um erleuchtetes Groll-Hegen von der von mir propagierten Sorte zu praktizieren. Und es wird Sie freuen zu hören, dass es keine echte Vitrine aus der edelsten ­Eiche sein muss. Es kann ein Schuhkarton sein, eine alte Hand­tasche, ein Schmuckkästchen, eine Schublade im Nachttisch … Ein Behälter jeglicher Art eignet sich dafür. Er soll Ihnen dazu dienen, jeden Groll, den Sie behalten möchten, damit er zur Bereicherung Ihres Lebens beiträgt, angemessen aufzubewahren. Wenn Sie wie ich stolzer Besitzer einer Vielzahl solcher »Grolle« sind, dann brauchen Sie eine Kiste/Tasche/Schublade etwas größeren Aus­maßes.

Es ist egal, welche Form Ihre Groll-Vitrine annimmt. Haupt­sache, für Sie fühlt es sich richtig an. Wenn Ihnen die Vorstellung gefällt, eine echte Vitrine aus Holz zu zimmern, dann machen Sie das ruhig. Wenn Sie eine nagelneue Designer-Handtasche als Groll-Vitrine verwenden wollen, kaufen Sie sich eine! Wenn Sie sich dagegen mit einem bescheidenen Schuhkarton wohler fühlen, ist das auch in Ordnung. (Sie werden sicher schon rätseln, deshalb sag ich’s Ihnen gleich: Ich bin immer noch in der Findungsphase, wie meine Groll-Vitrine aussehen sollte. Die Idee mit der Designer­tasche könnte mich schon reizen, aber auch das Wort »Geheimfach« hat einen verlockenden Klang. Fürs Erste ist meine Groll-­Vitrine dieses Buch und eine Datei auf meinem Computer mit dem Namen »Groll-Buch-Notizen«.)

Auftritt: Der Groll-fache Pfad

Buddhisten folgen dem »Achtfachen Pfad« zur Erleuchtung. Ich weiß genug darüber, um mit Bestimmtheit sagen zu können, dass dies kein Pfad ist, dem ich persönlich jemals folgen könnte. Ich folge stattdessen lieber dem Groll-fachen Pfad (den ich ausführlich in Kapitel 7 erläutern werde), und ich hoffe, dass zumindest einige von Ihnen, nachdem Sie dieses Buch gelesen haben, dies auch tun werden. Wenn Sie nur acht »Grolle« haben, dann ist Ihr Pfad ebenfalls achtfach, aber ich habe meinen Pfad so benannt, dass er keine konkrete Zahl vorgibt. Er ist somit flexibel und taugt selbst dann noch, wenn Sie 347 »Grolle« haben.

Das »fach« in dem Begriff Groll-facher Pfad bezieht sich nicht auf die Anzahl der »Grolle«, die den Pfad bilden. Vielmehr bezieht es sich auf den Akt des In-ein-Fach-Legens. In Kapitel 8 werde ich Ihnen ausführlich erklären, warum und wie Sie Ihre Groll-Anekdoten aufzeichnen sollten, und Sie werden erkennen, dass das Ablegen für Anhänger des Groll-fachen Pfads einen wichtigen Teil des Groll-Pflege-Rituals darstellt.

Die »Michael-kopfüber-im-Türrahmen«-Nacht war nicht die letzte, die ich mit Michael unter demselben Dach verbrachte. Später ergaben sich noch mehrmals Gelegenheiten, bei denen es sich nur schwer hätte vermeiden lassen, aber ich entschied mich niemals mehr freiwillig dafür und ich fühlte mich weniger gefährdet, als ich erst einmal meinen Groll unter Dach und Fach hatte – als Anekdote, die es mir offiziell gestattete, sie mit anderen Michael-­Geschichten zu verbinden und mir zu sagen: »Vergiss nicht: ­Michael ist nun mal so, er wird immer ein derartiges Verhalten an den Tag legen.«

Folgendes habe ich aus »Michael kopfüber im Türrahmen« – und aus den anderen Michael-Anekdoten, die sich scharenweise dazugesellten – gelernt: dass ich zwar weiter meine Freundschaft zu ihm pflegen und ihm nicht weiter böse sein konnte, andererseits in seiner Gegenwart aber auch immer auf der Hut sein sollte, damit er mir keinen Schaden mehr zufügen konnte – meiner Definition von Schaden zufolge, die (diese Freiheit nahm ich mir) mindestens genauso ihre Berechtigung hatte wie seine.