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Die Zeitung, in deren Weihnachtsausgabe das Vorwort 1945 zuerst erschien, nannte sich Papago Rundschau und sollte den (mehrheitlich nationalsozialistisch belasteten) Insassen des Kriegsgefangenenlagers in Papago Park, Arizona, als Informationsquelle dienen. Die Redaktion war auf Thomas Mann zugekommen, und dieser entsprach der Bitte nach einem Artikel gerne, griff dabei allerdings auf diverse frühere Texte zurück. Insbesondere die ›Rede bei der Gründungsfeier der »Association for Interdependence«‹, die im April desselben Jahres entstanden war und sich ihrerseits auf Arbeiten aus der Zeit während des Zweiten Weltkrieges bezieht, erwies sich als ergiebige Quelle. Bevor das Vorwort 1974 in Deutschland im Rahmen der ›Gesammelten Werke‹ erschien, wurde es 1947 in der Ostberliner Zeitschrift Ost und West sowie mehrfach in DDR-Medien abgedruckt.
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Seitenzahl: 13
Thomas Mann
Vorwort [zu der Weihnachtsnummer einer Zeitung deutscher Kriegsgefangener]
Essay/s
Fischer e-books
In der Textfassung derGroßen kommentierten Frankfurter Ausgabe(GKFA)Mit Daten zu Leben und Werk
Ihre Aufforderung, für die Weihnachtsausgabe Ihrer Lager-Zeitung ein Vorwort zu schreiben, war mir eine Ehre und Freude. Der Gedanke, zu jungen Deutschen zu sprechen, die gleich mir von der Welle des Geschehens in dieses große und freie, gewiß nicht fehlerlose, aber im tiefsten Herzen gutwillige Land verschlagen worden sind, hat einen großen Zauber für mich, – und um ein Thema verlegen kann man ja heute nur sein aus Überfülle des zur Aussprache dringlich sich Anbietenden. Vielleicht ist es Ihren Lesern willkommen, wenn ich Ihrer Beurteilung ein paar Gedanken zu dem wohl brennendsten Problem unserer Tage, dem Verhältnis von Individuum und Gemeinschaft vorlege.
In einem Nachruf auf Franklin D. Roosevelt, den ich sehr verehrte, habe ich einmal auf die geistige, politische und sogar menschliche Verwandtschaft des großen amerikanischen Präsidenten mit Julius Caesar hingewiesen, dem größten Mann der Antike, der den römischen Gedanken zur Konzeption eines universellen Reichsbürgertums erweiterte und damit den Rahmen, den politischen Raum für das Christentum als Weltreligion schuf. An diese raumschaffende Weite des Gedankens erinnert ein Wort, das Roosevelt während des Krieges sprach, und das ich auch in meinen Radiosendungen nach Deutschland einmal citiert habe: »Der alte Ausdruck ›Westliche Civilisation‹«, sagte er, »paßt nicht mehr. Die Weltereignisse und die gemeinsamen Notwendigkeiten der Menschheit sind im Begriff, die Kulturen Asiens, Europas und der beiden Amerikas zu vereinigen und, zum ersten Mal, eine Welt-Civilisation zu formen.«
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