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Einen »Roman in Bildern« hatte der belgische Künstler Frans Masereel mit ›Jeunesse‹ geschaffen und Thomas Mann um ein Vorwort gebeten, der bereits im Jahr 1926 die Einleitung für ein Buch Masereels verfasst hatte. Man kannte sich auch persönlich: Anfang August 1947 hatte der Maler, Graphiker und Holzschnitzer Masereel Mann in Zürich besucht. Im darauffolgenden Jahr erschien ›Jeunesse‹ in Zürich, das Vorwort wurde außerdem unter dem Titel ›Der Holzschneider Masereel‹ am 14. März in Die Neue Zeitung publiziert. In seinem vielseitigen Œuvre setzte sich Masereel intensiv mit der Rolle des Menschen in der Moderne auseinander. Wie Mann hier anmerkt, hatte er die Werke Masereels bereits nach dem Ersten Weltkrieg in einer Münchner Ausstellung kennengelernt und einen großformatigen Holzschnitt »von der Wand weg« gekauft, der nun in Pacific Palisades zur festen Einrichtung gehörte.
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Seitenzahl: 17
Thomas Mann
Vorwort [zu Frans Masereel »Jeunesse«]
Essay/s
Fischer e-books
In der Textfassung derGroßen kommentierten Frankfurter Ausgabe(GKFA)Mit Daten zu Leben und Werk
Vor 21 Jahren schon schrieb ich über ihn, versah eine Münchener Ausgabe seines »Livre d’heures«, einer Serie sprechender Holzschnitte, wie diese hier, mit einer Einleitung, die mir unversehens zu einem längeren Aufsatz über sein Werk und Wesen heranwuchs, – dem einzigen, bezeichnenderweise, unter all meinen kritischen Versuchen, welcher einer Manifestation der bildenden Kunst gewidmet ist. Bedauert mich, aber ich habe die Welt des »Bildes«, die Vergeistigung des Schaubaren durch Farbe, Erz und Stein niemals mit voller Kraft, immer nur gelegentlich und nebensächlich erlebt und verdanke meinen respektvollen Pflicht- und Bildungsvisiten in dieser Sphäre an Begeisterung, Liebe, Glück der Verehrung, Aufregung eigenen Vermögens wenig oder nichts im Vergleich mit der Fülle von alldem, die auf mich ausging von der Dichtung, dem Kunstwerk höchster Artikulation, und von jener mystisch artikulierten »Sprache der Töne«, der wunderbar abstrakten Figuren- und Bewegungswelt der Musik.
Einmal, als die Gelegenheit es wollte, habe ich Albrecht Dürern eine knappe, aber ernstlich gefühlte Huldigung dargebracht: also dem Graphisch-Deutschen; denn obgleich ich zeitlich schlecht stehe mit dem armen Deutschland (wenigstens in der Vorstellung der Deutschen, besonders der deutschen Schriftsteller) und obgleich als ein vom deutschen Schicksal desertierter Weltbürger verrufen, stecke ich tiefer, als mir lieb ist, im geistigen Deutschtum und habe kürzlich, beim Erscheinen einer englischen Ausgabe literarischer Essays, nicht ohne Zerknirschung die nicht gerade lobende Feststellung der amerikanischen Kritik hingenommen, daß mit Ausnahme Tol{282}stois und des Don Quijote von Cervantes alle meine Studien und Huldigungen deutschen, zum Teil allzu intim deutschen Erscheinungen gelten.