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Wolfgang Herrndorf gibt Auskunft – über sein Leben und seine Welt. Er hat mit seinem Roman «Tschick» ein Buch geschrieben, das viele Millionen Leser weltweit beeindruckte. Damit hat er das literarische Bild einer Generation geformt, wie es nur selten einem Autor gelingt. Durch dieses Buch, aber auch durch seinen frühen Tod ist er selbst zu einer Kultfigur geworden. Über sein Leben, seine Arbeit und seine Weltsicht hat er nur sehr selten in Gesprächen Auskunft gegeben. In diesem E-Book sind erstmals alle schriftlich erhaltenen Interviews mit ihm versammelt.
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Seitenzahl: 38
Wolfgang Herrndorf
Wann hat es «Tschick» gemacht?
Gespräche und Interviews
Ihr Verlagsname
Wolfgang Herrndorf gibt Auskunft – über sein Leben und seine Welt. Er hat mit seinem Roman «Tschick» ein Buch geschrieben, das viele Millionen Leser weltweit beeindruckte. Damit hat er das literarische Bild einer Generation geformt, wie es nur selten einem Autor gelingt. Durch dieses Buch, aber auch durch seinen frühen Tod ist er selbst zu einer Kultfigur geworden.
Aus einem Gespräch mit Jörn Morisse
Du hast Malerei studiert und sogar berufsmäßig betrieben. Wie lief das finanziell?
Ich konnte davon leben. Zwei, drei Wochen Malen brachten um die 1000 Euro, also bei Illustrationen. Heute arbeite ich monate- oder jahrelang an einem Buch, das ist das wesentlich schlechtere Preis-Leistungs-Verhältnis.
Das beste Einkommen, das ich je hatte, war bei der Post. Da war ich in der Zugverladung, Nachtschicht. In einem gewissen Buch mit mir befreundeter Autoren steht ja, dass es toll sei, Mitglied der Digitalen Boheme zu sein, weil man dann jederzeit einen Parkplatz in der Stadt finde, und das sei doch viel glücklichmachender als im Vergleich dazu der Gehaltsscheck am Ende des Monats.
Ich möchte zu Protokoll geben: Selten hat mich irgendetwas so glücklich gemacht wie dieser Gehaltsscheck am Ende des Monats. Ich habe nur sehr kurz auf Lohnsteuer gearbeitet, aber das war für mich eine sehr erfreuliche Erfahrung.
Es gibt ja Gründe, warum du dir die Kunst ausgesucht hast. Du wurdest ja nicht dazu gezwungen, die Literaturproduktion zur ökonomischen Grundlage deines Lebensmodells zu machen.
Man neigt natürlich dazu, nicht pathetisch zu werden, wenn es um den Kunstbegriff geht. Kunst ist eh ein Wort, das ich ungern im Mund führe, das klingt gleich so pejorativ. Trotzdem ist es in erster Linie keine Entscheidung über einen Lebensstil oder eine Methode des Geldverdienens. Man macht es schon wegen einer gewissen Neigung zu den Dingen. Vielleicht auch ein wenig aus Selbstüberschätzung oder wegen einer klischierten Vorstellung dieses Lebens. Bei mir war das so eine Gemengelage, die mich zu dem Studium verführt hat, eigentlich wäre ich für Mathe und Physik prädestiniert gewesen. Da war ich wirklich gut in der Schule, während Kunst – na ja.
Rein technisch gesehen würde ich auch ohne Geld schreiben, mach ich ja praktisch auch, der Stundenlohn ist umgerechnet 50 Cent oder so. Ein wahnsinniger Vorteil des Schreibens gegenüber dem Malen ist aber, dass es körperlich nicht anstrengend ist – 8 Stunden Malen, und du hast wirklich einen Bandscheibenschaden, diese verkrampfte Haltung. Das ist sowohl körperlich als auch seelisch anstrengend. Beim Schreiben ist es nur seelisch anstrengend. Dazu kommt die einfache Handhabung des Textkörpers, wo man herrlich drin rumarbeiten kann. Wenn du mit Lasurmalerei ein Gesicht aufbaust oder eine Vollfläche, und du hast einen Fehler in der Grundkonstruktion, dann wirst du den wahnsinnig schwer wieder los. Ein schlechter Hintergrund und alles ist im Eimer. Deshalb hab ich das irgendwann hingeschmissen.
Ich arbeite auch nur, wenn ich Lust dazu habe. Ich fühle da keine Verpflichtung. Wenn mir nichts einfällt, schreibe ich nicht. Das einzige Problem ist die Unsicherheit. Wenn man aus einem bürgerlichen Haushalt kommt, kennt man ja dieses Modell von der Hand in den Mund nicht. Gegen diese Unsicherheit habe ich mich jahrelang mit dem Gedanken getröstet, wenn es hart auf hart kommt, gehe ich halt wieder zur Post oder arbeite auf dem Bau. Und ich habe in der letzten Zeit mit Sorge gesehen, dass diese Fähigkeiten wegbrechen. Ich könnte nicht mehr auf dem Bau arbeiten, rein körperlich. Und gegen diese Angst, die ich früher mit dem Bauarbeitergedanken verdrängen konnte, kämpfe ich jetzt mit dem Gedanken der Gewöhnung, dass ich mir sage, ich bin fast zwanzig Jahre so über die Runden gekommen, jetzt schaffe ich den beschissenen Rest auch noch.
Ist das nicht Jammern auf hohem Niveau, wenn man sich Leute anschaut, die wirklich arm sind?