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Stelle dich deinem Erbe und werde zu einer Kriegerin, die das wahre Licht im Schatten zu enthüllen vermag! Das Leben als Kriegerin des Lichts und Anführerin einer eigenen Eliteeinheit ist für Miko nicht mehr nur eine vage Vorstellung, sondern harte Realität geworden. Tagtäglich stellt sie sich den Schergen der Dunkelheit im Kampf um die Artefakte, trotzdem neigt sich die Waagschale zwischen Gut und Böse weiter und weiter in die falsche Richtung. Kein Wunder, denn der Verräter ist ihnen immer einen Schritt voraus und droht das Licht der Welt ein für alle Mal zu verdunkeln. Ausgerechnet jetzt an ihrer Liebe zu Luca zu zweifeln wäre denkbar ungünstig, denn dadurch würde Miko einen lebensgefährlichen Keil in die Gruppe treiben. Wird es Miko dennoch gelingen das Ende der Welt zu verhindern? Und wenn ja, zu welchem Preis ...? Nervenaufreibende Romantasy voll magischem Knistern! Tauch ab in Jessica Wismars neuer Fantasy-Trilogie und werde zur Kriegerin zwischen Licht und Dunkelheit. //Dies ist der dritte Band von Jessica Wismars Buchserie »Warrior of Light«. Alle Bände der Reihe bei Impress: -- Warrior of Light 1: Gesandte des Lichts -- Warrior of Light 2: Gezeichnete der Dämmerung -- Warrior of Light 3: Gejagte der Finsternis Diese Reihe ist abgeschlossen.//
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Impress
Die Macht der Gefühle
Impress ist ein Imprint des Carlsen Verlags und publiziert romantische und fantastische Romane für junge Erwachsene.
Wer nach Geschichten zum Mitverlieben in den beliebten Genres Romantasy, Coming-of-Age oder New Adult Romance sucht, ist bei uns genau richtig. Mit viel Gefühl, bittersüßer Stimmung und starken Heldinnen entführen wir unsere Leser*innen in die grenzenlosen Weiten fesselnder Buchwelten.
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Jessica Wismar
Warrior of Light 3: Gejagte der Finsternis
Stelle dich deinem Erbe und werde zu einer Kriegerin, die das wahre Licht im Schatten zu enthüllen vermag!
Das Leben als Kriegerin des Lichts und Anführerin einer eigenen Eliteeinheit ist für Miko nicht mehr nur eine vage Vorstellung, sondern harte Realität geworden. Tagtäglich stellt sie sich den Schergen der Dunkelheit im Kampf um die Artefakte, trotzdem neigt sich die Waagschale zwischen Gut und Böse weiter und weiter in die falsche Richtung. Kein Wunder, denn der Verräter ist ihnen immer einen Schritt voraus und droht das Licht der Welt ein für alle Mal zu verdunkeln. Ausgerechnet jetzt an ihrer Liebe zu Luca zu zweifeln wäre denkbar ungünstig, denn dadurch würde Miko einen lebensgefährlichen Keil in die Gruppe treiben. Wird es Miko dennoch gelingen das Ende der Welt zu verhindern? Und wenn ja, zu welchem Preis …?
Buch lesen
Vita
Nachwort
© Annika Kitzmann
Neujahr 1990 wurde Jessica Wismar als zweite von vier Töchtern geboren. Was mit dreizehn Jahren als emotionales Ventil diente, wurde über die Jahre zu einer Leidenschaft und Texte, die zunächst nur für sie selbst bestimmt waren, dürfen jetzt auch andere begeistern. Als Mittlere war es für Jessica schon immer wichtig auch die andere Seite zu verstehen, was sie in ihre Charaktere einfließen lässt. Dadurch werden die Figuren facettenreich, was einen bis zum letzten Wort mitfiebern lässt.
Band 3 widme ich Josi, weil ich durch dich gelernt habe, dass ein anderer Weg manchmal sogar der bessere ist.
Kurz nachdem die Blauen durch das Tribunal freigesprochen wurden
Er war fuchsteufelswild. Seit fast zwei Jahrzehnten kannte er die eine Person, die all seine Pläne durchkreuzen konnte, und ebenso lange versuchte er sie schon aus der Gleichung zu streichen. Er war viele Male so nah dran gewesen. Doch jetzt war er weiter von seinem Ziel entfernt als jemals zuvor. Nicht nur, dass alle inzwischen ihren Namen kannten und einen Eindruck ihrer Macht bekommen hatten, nein, dieser unsterbliche Mistkerl war eingeschritten und beschützte sie von nun an. Das war so nicht geplant gewesen! Mürrisch nahm er sich eine Traube vom Teller und setzte sich auf seinen purpurn gepolsterten Diwan.
»Herr, welchen Auftrag habt Ihr nun für mich?«
Angewidert sah er den Krieger an, der mit ehrerbietig gesenktem Kopf schon einige Momente vor ihm stand.
»Ich hatte einen Auftrag für dich, bei dem du grandios versagt hast.« Er griff nach dem goldenen Kelch auf dem Tisch und nippte an dem guten Tropfen. Dieser Nichtsnutz war weder in der Lage gewesen, sie aus dem Ausbildungsprogramm zur Roten herauszuekeln, noch war ihm der Angriff auf ihr Leben mit dem Schattenkraut getränkten Dolch gelungen. Er hatte keine Verwendung mehr für diesen Blindgänger.
Rubéns Kopf schnellte hoch. Voll Unbehagen wrang er die Hände. »Herr, ich habe getan, was Ihr gewünscht habt.«
Er umklammerte den Kelch in seiner Hand fester. »Willst du sagen, es war meine Schuld?«, zischte er.
»Nein, Herr«, beeilte sich dieser Versager kriecherisch zu beteuern.
Er lehnte sich auf seinem Diwan zurück und winkte einmal. Rubén zog irritiert die Augenbrauen zusammen. Aber für ihn war die Geste auch nicht bestimmt.
Aus den Schatten trat eine groteske Gestalt. Lautlos näherte sie sich dem Krieger von hinten, umfasste den Hals des Versagers und drückte zu. Rubén versuchte erstickt aufzuschreien, doch der röchelnde Laut, der ihm entkam, war kaum mehr als ein Flüstern.
Als der tote Körper zu Boden fiel, sah die Gestalt auf ihr Opfer herab. »Was für eine Verschwendung, ich hätte ihn zu einem Diener machen können.«
Er schüttelte den Kopf. »Von nun an müssen wir vorsichtig damit sein, wen wir infizieren und wen wir lieber töten. Du hattest mir versprochen, dass die kleine Schattenkriegerin eine Dienerin werden würde, und jetzt begleitet sie die anderen an einen Ort, den ich nicht kenne. Die Kleine weiß zu viel und ist jetzt im direkten Umfeld dieser Nervensäge.«
Die Gestalt gab einen erstickten Laut von sich. »Die Schattenkriegerin ist nicht von Bedeutung. Wenn es dich so stört, hättest du die kleine Solar töten sollen, als du erfahren hast, was sie ist; dann wäre die Schattenkriegerin eine Schergin, wie du es wolltest, und nicht an ihrer Seite. Meiner Meinung nach allerdings war das ein Glück für uns und du wirst das auch irgendwann einsehen. Sie ist lebendig mehr wert für uns.«
Er schnaubte. »Da bin ich eben anderer Meinung. Allerdings war ich nie in der Position, sie zu töten. Damals war ich als Gast in diesem Haus. Außerdem war beim Angriff deiner Diener ihre Mutter noch schwanger mit ihr. Hätte ich gehandelt, als ich ihr Licht entdeckte, hätten alle erfahren, auf welcher Seite ich stehe, und die Lage stünde nicht so gut für uns, wie sie es im Moment tut. Und ich bin sicher, Nikolai wäre nicht untergetaucht, sondern hätte mich gejagt, bis ich tot gewesen wäre«, erinnerte er seinen Partner. Er würde nie vergessen, wie Anastasias Bauch plötzlich geleuchtet hatte, die Schergen zurückgewichen waren und den Angriff auf die Familie abgebrochen hatten. Selbst als Ungeborene hatte dieses nervtötende kleine Mädchen seine Pläne durchkreuzt. Ohne es zu wissen, hatte sie ihren Bruder und ihre Mutter gerettet. Und dann war sie von der Bildfläche verschwunden, siebzehn lange Jahre. Nicht einmal die Folter ihrer Mutter hatte ihm die Information geliefert, wo sie zu finden war. Nikolai hatte weise entschieden. Ob er damals bereits geahnt hatte, dass seine ungeborene Tochter der Schlüssel sein könnte?
Nun, er wusste es, auch wenn es im Rat anscheinend sonst niemand begriffen hatte. Sie selbst hatte keine Ahnung und das musste auch so bleiben, zumindest bis sein Partner und er sich einig waren, was mit ihr passieren sollte. Seiner Meinung nach musste Mirakova Sanar endlich sterben, andernfalls könnte sie all die Arbeit, all die Intrigen und die Fäden, die er so lange gesponnen hatte, am Ende doch noch zerstören.
Das ewige Feuer
Ein halbes Jahr später
Klack. Klack. Klack.
»Kann bitte irgendjemand diesen verdammten Fensterladen schließen?«, blaffte ich.
Kurz herrschte Stille, dann kniete sich einer von ihnen neben mich, ich spürte seine Wärme gegen meinen Körper schwappen, nahm seine ganz individuelle Energie wahr und ohne die Augen zu öffnen, knurrte ich: »Spar es dir, Sascha, ich weiß selbst, dass gerade niemand Zeit hat, dieses Ding zum Schweigen zu bringen.«
Er seufzte vernehmlich. »Nach dieser Mission sage ich Arlo, dass du eine Pause brauchst.«
Ich schnaubte humorlos auf. Als ob der alte Griesgram auf meinen Seher hören würde.
»Im Ernst, Miko. Du brauchst –«
Ich hob die Hand. »Es geht los.« Jetzt öffnete ich doch meine Augen, hob den Kopf und tauschte einen wild entschlossenen Blick mit Sascha.
Der presste die Lippen zusammen, setzte sich an Ort und Stelle in den Schneidersitz, legte die Hände auf seine Knie und schloss die Augen. Ein tiefer Atemzug, dann war er weg. Aus seinem Körper war jegliche Spannung gewichen, der Kopf ruhte schlapp auf der Brust und die Finger lagen locker auf den Knien, weder ganz Faust noch ganz geöffnete Hand. Würde ich ihn jetzt ansprechen, würde er mich nicht wirklich hören.
Ich erhob mich, trat zu Umbele und drückte ihm den Arm. »Gib mir ja gut auf meinen Seher acht.«
»Wie immer«, schwor er und schenkte mir sein strahlendes grellweißes Lächeln, das jedes Mal einen Funken Heimat in mir erwachen ließ. Es gab Momente, da vermisste ich unsere Zeit bei den Roten sehr. Damals hatte kaum Verantwortung auf meinen Schultern gelastet und trotz des harten Trainings hatten wir unglaublich viel Spaß gehabt. Der Krieg zwischen Licht und Dunkelheit war nur am Rande spürbar gewesen. Wir hatten uns darauf konzentrieren können, uns persönlich und als Krieger und Kriegerinnen weiterzuentwickeln, angeleitet durch die Roten, die mir allesamt ans Herz gewachsen waren. All das fühlte sich an, als lägen Jahre zwischen dieser Zeit und heute.
Und doch hatte sich eins nicht verändert: Wir waren eine Einheit, ein Team, das sich von seinen Gegnern nichts gefallen ließ. Entschlossen nickte ich Umbele zu und gürtete mein Dolchhalfter um die Hüfte. Währenddessen erhob Kyrill sich von dem abgewetzten staubigen Sofa, das letzte intakte Möbelstück in diesem verlassenen Raum, und steckte sein Schwert in die Scheide, die er am Rücken trug. Dann drehte er seine ausgeblichene Cappy verkehrt herum und schob sich einen Kaugummi in den Mund. Chiyo bevorzugte anscheinend etwas Nahrhafteres, denn er vertilgte gerade den letzten Bissen Banane, bevor er die Schale in einer kleinen Tüte verstaute, die er in die Brusttasche seiner sandfarbenen Weste gleiten ließ. Sich über die Fingerkuppen leckend trat auch er zu mir, genau wie Kenan und Luca, die ihre ernsten Mienen zur Schau trugen.
Zusammen verließen wir den abgewrackten Raum und traten in einen ebenso verwahrlosten Flur. Dieses Gebäude, ja, das gesamte Dorf, lag verlassen und größtenteils zerstört in der Ödnis von Syrien. Einer der vielen Orte, die durch den hier tobenden Krieg der Menschen gezeichnet waren.
Im Treppenhaus stand Raika am Absatz, das braune Haar zu einem Zopf geflochten, der eng an ihrem Kopf anlag. Vor meinen Augen flirrten meine vier Begleiter, dann waren sie verschwunden. Prüfend hob ich meine eigene Hand und sah sie ebenso wenig wie die Jungs. Doch ich spürte sie noch genauso wie meine eigene Hand.
»Vorwärts«, flüsterte ich, während Raika das knarzende Treppenhaus erklomm. Sie würde auf dem Dach Stellung beziehen. Dass sie uns nicht mehr dauernd im Blick haben musste, um ihre Illusion zu wirken, war sehr hilfreich. Ein Trick, den sie von Fia gelernt hatte, zumindest nachdem die beiden ihre anfänglichen Ressentiments überwunden hatten.
Leider war das nicht das einzige Problem in der Anfangszeit bei Arlo gewesen. Mir war es schwergefallen, dem alten Greis zu vertrauen und ihm zu folgen. Und meine Leute hatten ihre Schwierigkeiten damit gehabt, wie intensiv er jeden Einzelnen von ihnen forderte, um jede Gabe so massiv weiterzuentwickeln wie meine. Zu allem Übel war es auch mit den Roten nicht mehr besonders gut gelaufen – und das hatte sich bis heute nicht geändert. Jeden Monat kamen sie zum Training und jedes Mal herrschte ein kleines bisschen mehr Anspannung in ihrer Gruppe. Etwas war passiert, ich hatte nur keine Ahnung was. Und das Schlimmste war, Jano war nicht mehr er selbst. Statt dass wir uns weiter annäherten, wurde er kontinuierlich kühler, abweisender, verschwieg Dinge und lächelte mich kaum noch auf diese brüderlich warme Art an. Wäre die Lage im Krieg nicht so ernst, würde ich alles tun, um die Ursache dieses sich langsam einschleichenden Risses zwischen uns zu identifizieren und ihn zu kitten. So aber blieb mir nichts anderes übrig, als mich wieder gänzlich unserer derzeitigen Mission zu widmen, auf die wir geschickt worden waren; ein weiteres Zeugnis dafür, wie bedroht der Frieden war, wenn so junge Krieger des Lichts wie wir autark agieren sollten.
Ich warf noch einen prüfenden Blick zu den anderen, dann ließen wir die heruntergekommene Hütte hinter uns und gelangten in eine verlassene Gasse. Überall lagen zerfledderte Kartons, Bruchteile von verschiedensten Kriegsutensilien und sogar das ausgebrannte Wrack eines Hummvee entdeckte ich. Aber das rückte schnell in den Hintergrund, als ich mich wieder auf die Jungs konzentrierte, die sich nun von mir entfernten. Während ich Stellung im benachbarten Hauseingang bezog und mich dort an den Türsturz presste, schlichen sich je zwei zu den Enden der schmalen Gasse.
Im nächsten Moment spürte ich das so vertraute Summen meiner nahenden Cousine links. Als Walkara konnte sie sich selbst unsichtbar machen und hatte den Trupp Schergen außerhalb des Dorfes abgefangen, um ihn zu begleiten. Durch ihr vertrautes Summen konnte ich nun den anderen sagen, von wo sich der Feind näherte. Ein leiser Pfiff von mir informierte meine Krieger, ein Pfiff für Angriff von links, zwei für das Eintreffen des Feindes von rechts. Nun kamen Kenan und Luca wieder etwas zurück und bezogen auf halbem Weg zwischen mir und dem Ende der engen Straße Stellung, während Chiyo und Kyrill am linken Gassenende stehen blieben.
Das Summen schwoll an und dann spürte ich die Kälte der Schergen, die mir in die Knochen kroch. Eine Kälte, von der ich inzwischen wusste, dass nur ich sie wahrnahm. Fias Summen verharrte an Ort und Stelle in dem Augenblick, in dem die Dunkelheit über die Gasse rollte. Sie ließ die Schergen vorbeiziehen, mitten hinein in unsere Falle.
Die schwach glimmenden Laternen erloschen. Zisch. Zisch. Zisch. Eine nach der anderen. Das Licht floh vor der nahenden Dunkelheit, bis die Gasse in tiefschwarzer Finsternis lag.
Schlurfende Schritte schabten über den unebenen Grund. Die Kälte wurde stärker, bis sie auf meiner Haut brannte, als hätte ich einen Klotz Eis auf den blanken Armen liegen. Angestrengt lauschte ich. Viele Schritte, viele Schergen. Doch nach kürzerer Zeit, als ich erwartet hätte, bewegten Chiyo und Kyrill sich wieder auf mich zu, deren individuelle Energie ich inzwischen auch über eine gewisse Distanz wahrnehmen konnte. Nicht so weit wie das familiäre Summen von Fia, aber doch so weit, dass es bis zum Ende der Gasse reichte. Die Schergen waren nun in unserer Mitte und offenbar waren es weniger, als ich angenommen hatte.
Ich griff nach zwei Dolchen und schob mich etwas weg vom Türsturz.
Der Schrei einer Eule erklang.
Mitten in der Bewegung erstarrte ich und lauschte angestrengt. Noch einmal erklang das Signal für eine Nachhut. Plötzlich kam der Schrei auch von der anderen Seite. Luca oder Kenan meldeten ebenfalls eine Nachhut. Verdammter Dreck.
Ich dachte, so fest ich konnte, an Sascha, versuchte seine Energie schräg hinter mir im Haus zu erspüren und hüllte den Gedanken an die Überzahl der Gegner mit meiner Heilerenergie ein. Das funktionierte zwar nicht immer, aber häufig. Ein neuer Trick, den ich dem unerbittlichen Training Arlos zu verdanken hatte. Nicht nur, dass ich meine Wahrnehmung verfeinert hatte, sodass ich die Energien all meiner Leute über kürzere Distanzen nun klar spüren und sogar unterscheiden konnte, nein, inzwischen waren Sascha und ich in der Lage, seine Seherfähigkeit auf etwas zu fokussieren: eine Person, einen Ort, einen Gegenstand und wenn es was zu sehen gab, sah er es dann auch. Das war von unschätzbarem Wert auf Mission.
Ich drückte meinen Fußballen in den körnigen Boden und schob den Fuß zweimal kräftig hin und her. Ein knirschendes Geräusch, leise und doch laut genug, um durch die gespenstische Stille der Gasse bis hinüber zu meinen Leuten zu schallen.
Dann preschte ich vor, mitten hinein in den tiefschwarzen Kern. Ich konnte nicht sehen, keiner von uns, doch das war irrelevant. Ein halbes Jahr auf Byam Martin Island in den Händen dieses Sklaventreibers und keiner brauchte mehr Licht für einen Kampf.
Als glimmende Energiepunkte spürte ich meine vier um mich herum, wusste zu jeder Sekunde, wo genau sie waren, und mit meinen anderen Sinnen fand ich die Gegner. Dolche flogen, Schwerter sausten nieder und Chiyos Krallen fanden ihr Ziel, ohne dass einer der Schergen uns hätte kommen sehen können.
Ein gellender Schrei erklang und dann brach der Kampf aus. Ihre Sinne waren schärfer und für die Dunkelheit geschaffen, unsere dafür trainierter.
Ich wich einem Hieb aus, trat nach den Beinen meines Angreifers und berührte im Weiterhetzen seinen Unterschenkel. Binnen eines Wimpernschlags war er bewusstlos. Die so fremde Kälte war mir erschreckend vertraut und mein viel besserer Zugang zu ihren Nerven, den ich durch Zufall bei der Rettung Fias entdeckt hatte, machte jedes Nehmen ihres Bewusstseins spielend leicht. Ich fragte mich immer noch, ob das meine individuelle Ausprägung der Heilergabe war, diese ungewöhnliche Verbundenheit mit den Schergen.
Ich huschte durch ihre Reihen, schaltete Gegner aus, schützte meine vier Begleiter mit meiner Barriere und versuchte den Überblick zu behalten, ohne dass es mich wirklich anstrengen würde, dafür hatte Arlo mit seinem gnadenlosen Training gesorgt.
Die Dunkelheit lichtete sich ebenso plötzlich, wie sie gekommen war. Stille legte sich über die Gasse, nur durchbrochen vom heftigen Atmen meiner Leute. Plopp, plopp, plopp gingen die Straßenlaternen wieder an und warfen ihr diesiges Licht auf die Szenerie.
Vor mir standen Chiyo, Kenan, Kyrill und Luca zwischen zwölf leblosen Körpern, manche mit schwarzem Blut überströmt, andere scheinbar nur schlafend.
»Durchsuchen«, murmelte ich und ließ den Blick zu den Enden der Gasse gleiten, wo ebenfalls Krieger inmitten eines Haufens lebloser Körper aufragten. Ihre Nachhut war kleiner gewesen als die zentrale Gruppe, aber ich mochte es nicht, wenn meine Leute ohne meine Barriere kämpfen mussten. Die schützende Schicht über ihrer Haut machte sie unverwundbar, doch egal wie viel ich trainierte, mehr als vier andere Körper konnte ich nicht schützen.
Mürrisch knirschte ich mit den Zähnen, lediglich besänftigt durch den Umstand, dass alle entspannt dastanden und kaum Verletzungen davongetragen zu haben schienen. Rechts bewachten Juri, Toni und Roger das Ende der Gasse, links Yarek, Kilian, Ivan und Fia. Vom Dolch der ehemaligen Spionin tropfte eine schwarze Flüssigkeit und ihre Brust hob sich gut sichtbar, so heftig atmete sie. Sofort kam das schlechte Gewissen mit aller Wucht zurück, sie hätten nicht so in den Kampf verwickelt werden dürfen, nicht ohne meinen Schutz.
»Nichts«, meldete Chiyo ernüchtert.
Mein Kopf ruckte herum und ich musterte die vier Krieger des zentralen Angriffstrupps. Jeder von ihnen schüttelte betroffen den Kopf. Verdammter Dreck.
Langsam schritt ich durch die zahllosen Körper, stieg über einen verdrehten Arm und fand schließlich, wonach ich gesucht hatte. »Der hier«, entschied ich und deutete auf einen nicht vollends entstellten Schergen. Im letzten halben Jahr hatte ich den Unterschied kennengelernt. Obwohl seine Haut wie die aller Schergen grauschwarz war, hatte er noch keine klaffenden Löcher im Gesicht, keine Hautfetzen, die schlaff irgendwo herabhingen. Die Partie um seine Augen war nur wulstig, aber in den Proportionen menschenähnlich. Es war immer das Gesicht, das es mir verriet. Seine Arme waren ebenso verlängert und ungleich dick, die Hände teilweise schon zu klauenbesetzten Pranken verformt und sein Körper gedrungen, wie bei allen Schergen.
Ich ging vor ihm in die Hocke, während Kyrill und Kenan seine Arme packten und den schlaffen Körper in eine sitzende Position hievten. Luca zog sein Schwert und legte es an die Kehle des Schergen, ehe er mir zunickte.
Ich berührte den Knöchel des Schergen und animierte sein Herz und seine Lunge, ihre Aufgaben wieder ausreichendend zu erfüllen, während ich die kalten Energieströme der Nerven korrigierte.
Mit einem keuchenden Atemzug riss er die Augen auf. Erst wehrte er sich, doch nur kurz, dann spürte er das Schwert an seiner Kehle und erstarrte.
»Willkommen zurück«, bemerkte ich kühl.
Der Scherge fixierte mich und riss die Augen auf. »Solar«, hauchte er.
Innerlich rollte ich mit den Augen. Immer wieder dieser Name. Seit der Befreiungsmission von Fia hatte ich ihn inzwischen unzählige Male aus dem Mund so einiger Schergen gehört, ohne den kleinsten Schritt weiterzukommen, was die Frage anging, warum sie mich so nannten oder was das Wort wirklich bedeutete. »Wo ist es?«
Er presste die Lippen zusammen.
Ich nahm einen tiefen Atemzug. Jene von ihnen, die noch nicht vollends entstellt waren, konnten die Worte in der Kriegersprache weiterhin verstehen, bei den voll verwandelten Schergen sah das anders aus, wie ich inzwischen herausgefunden hatte. Es war ein Schock gewesen, in dieser Höhle mit Fia zu erfahren, dass Schergen einmal Krieger des Lichts gewesen waren, aber nicht jeder von ihnen war verloren, einige konnte ich aus diesem Schicksal befreien. Doch meine Information brauchte ich vorher. »Du hast dir einen Teil deiner Kriegerseele erhalten, das wissen wir beide. Sonst könnten wir uns nicht einfach so unterhalten. Also, was ist dein Preis?«
»Ich diene der Dunkelheit«, beharrte er und gab mir damit recht. Voll verwandelte Schergen konnten lediglich schnarrende Laute und eine Art Röcheln von sich geben. Sie kommunizierten ausschließlich über die Gedankensprache.
Ein Lächeln zupfte an meinen Mundwinkeln. »Gleich nicht mehr.«
Er bekam große Augen. »Nein«, flehte er.
»Wo ist es?«, verlangte ich erneut.
»Niemals. Du wirst es niemals bekommen!«, brüllte er mich an. Die plötzliche Lautstärke ließ mich unweigerlich zu den leeren Fenstern aufblicken. Die Gegend war vollkommen verlassen, dennoch …
»Ich bekomme, was ich will. Entweder gibst du es mir freiwillig oder ich hole es mir«, versprach ich. Der Teil von mir, der über meine Härte hätte erschrecken können, war im letzten halben Jahr zusammengeschrumpft und nur noch als leise Erinnerung an eine andere Zeit zu spüren, kaum mehr als ein flaues Gefühl im Magen, längst seiner Stimme beraubt.
Als er die Zähne entschlossen zusammenbiss, packte ich sein Gesicht mit meinen Händen und fokussierte mich auf ihn, während ich Saschas Energiepunkt hinter mir suchte und meine Gedanken zu ihm lenkte.
Dann wartete ich. Und wartete und wartete.
Irgendwann entspannte sich der Scherge und grinste mich triumphierend an. Ich dagegen kam auf die Beine und blickte zum Haus. »Irgendwas stimmt nicht«, murmelte ich. »Sascha hätte längst etwas sehen müssen.«
»Ich gehe«, knurrte Luca und eilte los. Quälend lange fünf Minuten stand ich in der Gasse und starrte auf den Hauseingang. Bis Luca endlich wieder erschien und den Kopf schüttelte. »Alles gut. Wir reden später. Jetzt muss es ohne ihn gehen.«
Die erste Erleichterung verpuffte bei diesem Nachsatz. Mürrisch wandte ich mich dem Schergen zu und betrachtete ihn mit schwerem Herzen. Ich musste wissen, wo das ewige Feuer versteckt war. Wenn meine humane Alternative heute nicht verfügbar war, gab es nur noch einen anderen Weg und allein bei dem Gedanken stellten sich mir die Nackenhaare auf. So weit immerhin hatte ich mir meine Prinzipien und mein Gewissen in diesem Krieg erhalten.
»Deine letzte Chance, es mir zu verraten.«
»Bevor was?«
»Bevor ich mich abwende und meine Leute die Information aus dir herausholen lasse.«
Der Blick des Schergen aus pechschwarzen Augen huschte zwischen meinen Jungs hin und her. Angst kroch in seine entstellten Züge, doch er biss tapfer die Zähne aufeinander.
»Nun gut«, seufzte ich. Galle stieg meinen Rachen hinauf und ich wandte mich ab. Es war meine Entscheidung, meine Verantwortung. Ich wusste, ich musste diesen Weg gehen und dennoch starb jedes seltene Mal, sobald ich zu diesem Mittel greifen musste, ein Teil von mir. Wenn sie sich nur nach der Rückverwandlung an alles erinnern würden, dann könnten wir uns das hier alles ersparen. Leider taten sie das aber nicht und das zwang mich zu Handlungen, die ich zutiefst verabscheute. Es blieb nur der ironische Trost, dass sie selbst sich nicht an die Schmerzen erinnern würden.
Hinter mir erklangen gellende Schreie, die sich mir tief ins Herz bohrten. Der Schmerz öffnete seinen Geist, die Bilder prasselten sofort auf mich ein. Es war ein Schock für mich gewesen zu entdecken, dass dieser erste Scherge in der Höhle damals gar nicht den Kontakt zu mir gesucht hatte. Nein, der Kontakt war da, sobald sie vor Schmerz die Konzentration verloren.
»Es reicht«, flüsterte ich und Stille senkte sich augenblicklich über die Gasse. Mir blutete das Herz. Weder wollte ich ihm Schmerzen zufügen noch, dass meine Leute jemanden quälen mussten, aber die Lage hatte sich im letzten halben Jahr dramatisch verschlechtert. So viele Artefakte lagen nun in ihrer Hand, so viele Dimensionsportale, die von ihnen angegriffen wurden, die wir nur gerade so halten konnten. Ich hatte keine Wahl mehr, nicht wirklich jedenfalls.
Luca trat an meine Seite, berührte mich tröstend an der Schulter. Im Augenwinkel sah ich seine verständnisvolle Miene, das aufmunternde Lächeln in seinen Mundwinkeln. Unweigerlich entzog ich ihm meinen Arm. Trost hatte ich nicht verdient.
»Ich weiß, wo es ist. Wir sind ganz nah.«
»Also bleiben wir hier und planen die Mission?«, fragte Chiyo über das Wimmern des Schergen hinweg, während Lucas Schultern herabsanken, er aber nicht von meiner Seite wich.
Ich drehte mich zu ihnen um und trat zu dem Diener der Dunkelheit. Unendlich müde schüttelte ich langsam den Kopf und heilte den Schergen mit einer kurzen Berührung. Gleichzeitig schickte ich ihn wieder ins Land der Träume und sah dann auf zu Chiyo. »Nein, das Artefakt ist sehr nah.«
Ich erhob mich und stieg über die leblosen Körper. Als ich den Schergen fand, den ich in den Gedanken des anderen entdeckt hatte, blieb ich stehen. »Hier ist sie.«
Kyrill trat an meine Seite und folgte meinem Blick. »Wir haben ihn durchsucht.«
Mit zusammengepressten Lippen stieß ich resigniert die Luft durch meine Nase aus. »Ihr habt seine Kleidung durchsucht.«
Ich hörte beinahe sein schweres Schlucken. Aber er brauchte keine Angst zu haben, das würde ich selbst tun. Ich ging auf ein Knie und schnitt den Bauch des bereits toten Körpers auf. Er war durch einen meiner Jungs gefallen und im Gegensatz zu dem Befragten schon erkaltet. Mit aufkommendem Ekel wühlte ich in den dunklen Eingeweiden und legte schließlich eine tennisballgroße Kugel frei. Ich wischte das schwarze Blut von der Hülle und hielt dann die durchsichtige Kugel ehrfürchtig mit beiden Händen vor mein Gesicht. In ihr züngelte eine weiß-blaue Flamme.
Ich öffnete die kleine Ledertasche an meinem Gürtel und ließ das Artefakt hineingleiten, das zum Kugeltor in Shanghai gehörte. Eines der Portale, die heiß umkämpft waren.
»Mission erfüllt«, stellte Kyrill nüchtern fest. Wie sollten wir auch Freude empfinden? Es war das zweite Mal, dass wir das ewige Feuer von den Schergen stahlen und jede Mission kostete so viele Leben. Das Leck in unseren Reihen war inzwischen so groß geworden, dass wir kurz davor waren, einen Jahrhunderte währenden Krieg ein für alle Mal zu verlieren. Melancholie ergriff mich, als ich an die Zeit bei den Roten zurückdachte, als die Möglichkeit eines Verräters nur wie ein paranoides Hirngespinst gewirkt hatte. Fias Befreiungsmission hatte alles verändert. Seit sie mich eingeweiht hatte, wusste ich es besser. Und seither war alles den Bach runtergegangen, meine Beziehung zu Jano, unser Verhältnis zu den Roten und sogar der ganze Krieg.
»Ab nach Hause«, brummte Juri, der inzwischen zu uns gestoßen war. Hinter uns traten Raika, Sascha und Umbele aus dem Haus und auch die anderen gesellten sich zu uns. Fia blieb als Einzige nicht im Kreis um mich herum stehen, sondern trat zu mir in die Mitte. Mit schief gelegtem Kopf musterte sie mich. »Nein, noch nicht sofort nach Hause.«
Ich hielt ihrer Musterung stand und wartete auf die Herausforderung. Doch Fia rollte schließlich mit den Augen und trat zur Seite. »Mach es wenigstens schnell. Ich werde die Route für den Heimweg auskundschaften.«
»Nimm Raika und Kenan mit.«
Fia wirbelte herum. Ihr giftiger Blick traf mich mit ganzer Wucht. Seufzend ließ ich die Schultern sinken. Die ehemalige Schattenkriegerin konnte ihr Einzelgängerinnendasein einfach nicht ablegen. Sie kämpfte im Team, wenn ich sie zwang, aber so oft sie konnte, kapselte sie sich ab. Wenigstens fand sie fernab der Mission Anschluss, bei Filmabenden oder wenn wir beim Abendessen herumblödelten, was selten genug vorkam. Nur im Kampfmodus war sie so abweisend wie jetzt. »Dann sei wenigstens vorsichtig.«
Nun verzerrte ein bestialisches Grinsen ihre Züge. »Das bin ich immer, Cousinchen.«
Byam Martin Island
Mit ausholenden Schritten marschierte ich über die große Wiese den Hügel hinauf zu dem kleinen Dorf, das auf der Waldlichtung entstanden war, die nun vor uns lag.
»Zu Hause«, kam es freudig von Ivan.
»Essen!«, jubilierte Chiyo, als er die Nase in den Wind reckte und schnupperte.
»Nicht, wenn ich dir alles wegfuttere«, rief Ivan und stürmte an mir vorbei auf die ersten Holzhütten zu.
Chiyo jagte hinterher. Seine Beine wandelten sich im Rennen und schon jagte er mit Gepardenbeinen in atemberaubender Geschwindigkeit an Ivan vorbei.
»He, das ist unfair. Du schummelst.«
Hinter mir erklang ein tiefes Lachen und einige meiner Leute stimmten mit ein. Als wir den Pfad, der in der Wiese einfach auslief, betraten, blieb ich einen Moment stehen, die Hand auf der Tasche an meiner Hüfte.
»Ob du ihm die Beute bringst oder nicht, er wird dich trotzdem zusammenfalten«, prophezeite Fia im Vorbeigehen, drehte sich im Laufen zu mir um und hob halb mitleidig, halb unschuldig die Arme in die Höhe. »Da ist es auch vollkommen egal, was du dir gerade für Worte zurechtlegst.« Damit drehte sie sich wieder nach vorne und joggte den anderen nach, die Chiyo und Ivan folgten.
Als einer der Letzten schlenderte Toni an mir vorbei und drückte kurz meine Schulter. »Heute Abend ist unser wöchentliches Treffen, nicht vergessen.«
»Tue ich nicht.« Diese Abende mit ihm waren zu wichtig, um sie zu vergessen, außerdem genoss ich es jedes Mal, Zeit mit Toni zu verbringen. Mit ihm fühlte ich mich unbeschwerter. Es war eine wöchentliche Verschnaufpause, die ich bitter nötig hatte.
Hinter mir verstummten einige Schritte und ich drehte mich um. Mein Blick glitt über die zwei neuen Gesichter. Sie sahen so normal aus. Nur der unsichere Zug um ihre Augenwinkel und die fahrigen Gesten ließen den Aufruhr in ihrem Innern erahnen.
»Willkommen auf Byam Martin Island, der Heimat der Blauen. Ihr seid nicht die Ersten mit diesem Schicksal, redet mit den anderen, tauscht euch aus und kommt ganz in Ruhe an. Mit etwas Zeit lässt das Unbehagen nach«, versprach ich. »Luca hier ist euer Ansprechpartner, er hilft euch auch gerne. Jetzt kommt.«
Ich stapfte entschlossen die letzte kleine Steigung hinauf und betrat den breiteren Weg aus Rindenmulch. Der eigentümliche Duft des feuchten Holzes stieg mir in die Nase und inzwischen verband ich ihn mit Heimat. »Da vorne ist die Küche.« Ich wies auf die große Hütte rechts von uns. »Dahinter gibt es einen Platz, auf dem wir meistens essen. Wenn es regnet, nutzen wir allerdings den Versammlungsraum am anderen Ende der Siedlung«, erklärte ich und wies in die Richtung, in die unser Weg führte. Bis auf Luca waren alle anderen schon zum Essen verschwunden, was ich gut nachvollziehen konnte, denn auch mir knurrte der Magen. Doch sobald ich nach dem eben Erlebten auch nur an Essen dachte, wurde mir schlecht.
Ohne meinen Schritt zu verlangsamen, ließ ich einige kleinere Wohnhütten links und rechts des Weges liegen. Erst an der Kreuzung hielt ich an und drehte mich zu den zwei Neuen um. »Jetzt stehen wir im Herzen der Siedlung. In alle Richtungen liegen kleinere Wohneinheiten. Ihr werdet euch eine Hütte mit vier anderen teilen. Alle hier, außer den Blauen, sind wie ihr. Und genau wie alle anderen werdet ihr dabei helfen, die Siedlung weiter zu vergrößern und am Laufen zu halten. Eure Mitbewohner und Mitbewohnerinnen erklären euch alles Weitere.«
»Ich … ich muss nach Hause, zu meiner Familie«, meinte der Mann, den meine Jungs gefoltert hatten – was er nicht mehr wusste. Den Keim der Dunkelheit aus ihnen zu entfernen, nahm jenen, die bereits Schergen geworden waren, jegliche Erinnerung an diese Zeit. Gut für sie, eher schlecht für uns.
»Das verstehe ich. Dafür ist später noch Zeit. Geh jetzt erst mal in deine Hütte und dann findet sich schon alles. Die meisten deiner Fragen können dir die anderen beantworten, ansonsten können sie dir erklären, wo du mich findest«, bügelte ich ab.
Die Wahrheit war, niemand von uns hatte die Kapazitäten oder die Mittel, seine Familie zu suchen und in Erfahrung zu bringen, ob es ihr gut ging. Viele der Befreiten hatten Jahre als Schergen verbracht. Die Realität, in die sie zurückkamen, war eine vollkommen andere. Sie hätten psychologische Betreuung gebraucht und es bedürfte einer ganzen Einheit Spione, um alle Fragen zu klären, die sie berechtigterweise hatten. Solange wir jedoch nicht wussten, wem im Rat wir überhaupt noch trauen konnten, waren wir und die Roten die Einzigen, die überhaupt von den Befreiten wussten.
»Mirakova Sanar«, dröhnte Arlos Stimme donnernd über den kleinen Platz.
Ganz automatisch zog ich den Kopf ein. Verdammt. »Geht«, zischte ich Luca zu, der die Neuankömmlinge schnell in ihre Hütte brachte, während ich herumwirbelte und den alten Heiler mit ausgebreiteten Armen aufhielt. »Arlo, so schön dich zu sehen.«
Missmutig kniff er die Augen zusammen und stemmte die Hände in die Seiten. »Schon wieder?«, zischte er und linste über meine Schulter hinweg, ehe er mich anfunkelte.
Ich hob in einer hilflosen Geste die Hände. »Ach, Arlo. Ich weiß, du willst nicht, dass ich weitere befreie. Dir ist klar, dass ich darauf nicht hören kann, und ganz ehrlich, solange du nicht mit auf Mission gehst und wir den Laden am Laufen halten, kannst du wenig dagegen tun.«
»Seit du mit den Ersten hier angekommen bist, wusste ich, du bringst mich irgendwann damit ins Grab«, murrte er.
Ich lachte auf. »Du bist unsterblich.«
»Ja, aber dieses Risiko, all diese Kriegerinnen und Krieger vor dem Rat zu verstecken, raubt mir den letzten Nerv.«
Ich grinste breit, als ich an sein zutiefst schockiertes Gesicht denken musste, als ich mit der ersten Befreiten von unserer vierten Mission vor gut drei Monaten heimgekehrt war. Ich schaffte es selten, ihn wirklich zu überraschen, nicht einmal, wenn meine Gabe sich unter seiner fordernden Anleitung etwas weiterentwickelte und ich mich selbst erstaunte. Aber der Schock damals war allumfassend und echt gewesen.
Zufrieden tätschelte ich seine Schulter. »Sieh es mal so, noch grauer können deine Haare nicht werden.«
Er schnaubte und verschränkte die Arme voller Tatkraft vor der Brust, als wäre er nicht der unsterbliche alte Mann, der er im Grunde war. »Das wird dir irgendwann alles auf die Füße fallen, du kleine Unruhestifterin.«
Ich zuckte mit den Schultern. »Kann sein, aber solange die Dinge liegen, wie sie nun mal im Moment liegen, muss ich tun, was ich für richtig halte, und nicht, was du denkst, dass sie für richtig halten.«
Arlo brummelte etwas vor sich hin und fummelte gedankenverloren an der feingliedrigen Kette herum, die im Ausschnitt seiner Tunika endete. Eines der wenigen Anzeichen für sein langes Leben: sein absolut veralteter Klamottenstil. Dann wedelte er mit einer Hand in der Luft, als würde er eine lästige Fliege vertreiben. »Wart ihr erfolgreich?«
Ich klopfte zur Antwort nur auf die Tasche an meinem Gürtel.
Der Heiler seufzte erleichtert auf, als fiele ihm eine tonnenschwere Last von den Schultern. Also ja, Erleichterung war angebracht, aber derart deutlich? So hatte Arlo noch nie reagiert.
»Was ist los?«, wollte ich wachsam wissen und kniff forschend die Augen zusammen.
In seinen blitzte es anerkennend. Er ließ die Kette los und drückte den Rücken durch. »Jano ist da. Es wartet schon die nächste Mission auf euch, diesmal werdet ihr mit den Roten zusammenarbeiten.«
So viele Informationen, die allesamt danach schrien, dass sich das Ungleichgewicht weiter zu unseren Ungunsten verschoben hatte. Denn erstens gingen wir höchstens einmal die Woche auf Mission und auch erst seit gut drei Monaten, nachdem Arlo mit unserem Trainingsstand zufrieden gewesen war. Zweitens sollte Jano mit den Roten eigentlich erst in einer Woche zum monatlichen gemeinsamen Training anreisen und drittens nie, wirklich nie gingen wir gemeinsam auf Mission! Die Meister im Rat hielten uns dafür noch für zu unerfahren, zu jung, zu unwissend und so weiter.
Seufzend trat ich neben den Heiler und klopfte ihm auf eine für sein Alter erstaunlich muskulöse Schulter. Er war einer der wenigen Menschen, die klein genug waren, dass ich das ohne größere Streckbewegung hinbekam. »Dann lass uns mal gehen. Wenn du mich gleich mit so vielen tollen Neuigkeiten begrüßt, hat es wohl nicht bis nach einer Dusche Zeit.«
Milde gestimmt schenkte er mir ein väterliches Lächeln, drehte sich mit mir in Richtung der Kommandozentrale, wie ich seine kleine Behausung so gerne nannte, und Seite an Seite bestiegen wir den niedrigen Hügel, auf dem seine Hütte und unsere dicht beieinanderstanden. Der Ursprung unserer schnell wachsenden Siedlung und ich wusste noch gut, wie unsere erste Aufgabe, die Arlo uns zur Ankunft vor einem halben Jahr gestellt hatte, der Bau dieser zweiten Hütte gewesen war. Die Tatsache, dass wir sonst kein Dach über dem Kopf und keine Betten gehabt hätten, es später Winter hier oben auf den kleinen Inseln Kanadas gewesen war und wir wirklich gefroren hatten, hatte uns besonders angespornt. Und nur zwei Tage später war unser Häuschen fertig gewesen.
Müder als sonst erklomm ich die zwei Stufen zu Arlos Hütte, vor der bereits Sascha auf mich wartete. Ich mochte es, wie er mitdachte und eigene Entscheidungen treffen konnte. Statt ihn jetzt holen zu müssen, reichte ihm die Beobachtung des Gesprächs zwischen unserem Trainer und mir, damit er hier auf uns wartete. Arlo fragte inzwischen schon gar nicht mehr. Anfangs hatte er sich sehr über meine Entscheidungen gewundert, ja, sich sogar mehr als einmal über ihre Unsinnigkeit ausgelassen, doch inzwischen akzeptierte er meine Marotten, wie er es nannte. Dabei fand ich meine Entscheidung, die Last der Verantwortung auf mehrere Schultern aufzuteilen, sogar ziemlich klug. Kenan und Sascha teilten sich zum Beispiel die Position des Strategen und so wechselten sie sich damit ab, bei den Besprechungen mit Arlo dabei zu sein. Ein Job, den nach Arlos Auffassung Luca übernehmen sollte, da er die Position meines Stellvertreters innehatte. Aber niemand war so genial darin, die Neuen einzugliedern wie mein Freund.
Wortlos folgte Sascha mir in die Hütte, den kurzen Flur entlang und hinein in die stickige Wohnküche. Am wuchtigen Holztisch in der Raummitte saß bereits Jano in seiner üblichen roten Robe. Sein braunes Haar trug er seit einiger Zeit wenige Millimeter kurz, ein Anblick, an den ich mich noch gewöhnen musste. Wie er da mit gebeugten Schultern unter den von der Decke hängenden Töpfen am Tisch kauerte, wirkte er um Jahre gealtert und ein wenig verhärmt.
»Sascha also heute«, murmelte Jano und blies in die dampfende Tasse vor sich, um die er beide Hände gelegt hatte.
Wir zogen uns die Stühle unter dem Tisch hervor und nahmen gegenüber der roten Eins Platz. »So sieht’s aus.« Wie gerne ich meinen Bruder zur Begrüßung umarmt hätte, doch das kam mir bei den aktuellen Spannungen zwischen uns unmöglich vor. Diese ätzende Mauer zwischen uns kam auf die lange Liste an Gründen, warum ich den Rat verabscheute, denn das war der Knackpunkt in unserem Streit, dieses marode Gremium. Erst das Ignorieren von Rubéns Mordversuch, anschließend diese haarsträubende Mission, auf die sie mich ganz allein geschickt hatten, und schließlich ihre Verdrehung der Tatsachen, sodass ich kurzzeitig als Hochverräterin dagestanden hatte. Nach dieser Farce einer Verhandlung gegen mich, an deren Ende wir Blauen in Arlos Obhut gegeben worden waren, waren sie es nicht müde geworden, einen Keil zwischen Jano und mich zu treiben. Zumindest, wenn ich die spärlichen Halbsätze, die Jano und Arlo mir hinwarfen, richtig deutete.
Der ganze Rat war ein Reizthema zwischen uns, denn Jano war immer noch ihr loyaler Diener, was mich doch ein wenig verletzte. Weshalb ich mir schnippische Kommentare kaum verkneifen konnte, was ihn jedes Mal reizte. Mehr als es eine Meinungsverschiedenheit unter Geschwistern allerdings sollte. Es musste mehr hinter seiner Veränderung stecken, da war noch etwas, das ihn so dermaßen aufrieb, dass er bei jeder Kleinigkeit, die nicht nach seiner Nase lief, gleich an die Decke ging. Wie er mich manchmal behandelte, das konnte nicht allein an einer Meinungsverschiedenheit liegen.
Arlo ließ sich unterdessen am Kopfende nieder. »Sie haben das ewige Feuer.«
Ein erleichtertes Seufzen entkam Janos Lippen. So deutlich hatte er noch nie gezeigt, dass er froh über eine erfolgreiche Mission war. Erst Arlo, jetzt er … Stand es wirklich so schlecht um das Dimensionsportal in Shanghai?
»Allerdings auch wieder zwei Neue«, murrte Arlo und griff nach der Teekanne. Er füllte den selbst geschnitzten dickwandigen Holzbecher wie immer nur halb voll, dann schob er uns die Kanne hin, doch ich hatte wirklich andere Interessen als eine Tasse Tee. Arlo hingegen erhob sich seelenruhig und schlenderte zu seinem Kühlschrank, um das kleine Fläschchen Kondensmilch herauszuholen. Im Grunde trank der Mann Zucker und Milch mit einem Schuss Tee, in der Reihenfolge. Heute allerdings fehlte mir die Geduld abzuwarten, bis er seine sechs Löffel Kandiszucker in den Becher geschaufelt hatte.
»Was ist hier los?«
Jano zog die Augenbrauen hoch. »Was soll los sein?«
Ich presste mürrisch die Lippen zusammen. Es war immer das Gleiche, auf beinahe jede meiner Fragen bekam ich eine Gegenfrage zur Antwort. Da nahmen Arlo und mein Bruder sich nichts.
Nach einer kurzen unangenehmen Pause, in der ich Jano herausfordernd fixierte, schlürfte er einen Schluck Tee und überging meinen Blick komplett. »Du hast also wieder zwei befreit, wie du es nennst.«
»Habe ich.«
»Und wissen sie etwas, das uns nützt?«
»Nein, wie immer keinerlei Erinnerungen.«
Jano hob den Kopf und sah mir entschlossen entgegen. »Bist du inzwischen bereit, mir zu sagen, wie du sie verwandelst?«
Es fiel mir so unendlich schwer, aber die Antwort blieb dieselbe. »Nein.«
Seit er von Traian erfahren hatte, was ich getan hatte – wobei ich bis heute nur vermuten konnte, dass Fia dem Kriegsmeister anvertraut hatte, was in der Höhle geschehen war –, wollte Jano von mir wissen wie. Anfangs war meine Weigerung dem Schock über die Handlungen des Rats geschuldet gewesen, doch nachdem ich begriffen hatte, dass er den Meistern weiterhin treu diente, war mein Verhalten Selbstschutz und schließlich zu einer strategischen Entscheidung geworden, die die Kluft zwischen uns kontinuierlich vertiefte. Anfangs hatte Jano sich noch um Verständnis bemüht, aber nach so langer Zeit war davon nichts mehr übrig.
Und so war es kein Wunder, dass für einen winzigen Moment Wut durch seine Züge huschte, und ich wusste, wir hatten uns einen weiteren Zentimeter voneinander entfernt. »Warum, Miko?«
»Du weißt genau warum.«
Er knallte die Faust auf den Tisch und die Wut brach sich wieder Bahn. »Das ist kein guter Grund.«
Überrascht über die so ungewohnte Entgleisung bemühte ich mich, ruhig zu bleiben. »Du hältst es für keinen guten Grund. Dabei ist es so logisch, dass ich ehrlich gesagt nicht verstehen kann, wieso du immer noch danach fragst.«
Sascha neben mir lehnte sich zurück und ich wusste sofort, dass er seine Gabe nutzte, obwohl kaum etwas das verriet. Doch ich kannte meinen Seher, der leicht abdriftende Blick verriet mir genug. Weswegen würde mich allerdings interessieren. Der Moment gab es eigentlich nicht her, die Fühler nach einer Vision auszustrecken. Da ich es später sicher erfahren würde, sparte ich mir jetzt die Nachfrage.
Jano stellte die Tasse ab und lehnte sich über den Tisch in meine Richtung. »Miko, bitte. Wenn du mir davon erzählst, könnten wir an deiner Technik arbeiten und vielleicht ihr Gedächtnis bewahren.«
»Das halte ich nicht für sehr wahrscheinlich. Und der Preis ist mir zu hoch.«
»Wieso vertraust du mir nicht?«
»Ich vertraue dir. Ich vertraue sogar dem sturen alten Kauz, aber ihm erzähle ich es auch nicht, denn das ist gar nicht der Punkt«, beharrte ich aufgebracht und deutete auf Arlo, der gerade die Milch in den Kühlschrank stellte und mir eine Grimasse schenkte, die meine Mundwinkel zucken ließ.
»Miko –«
»Nein. Meine Entscheidung steht fest. Wenn ich es dir beibringe, kannst du es nicht vor Mara geheim halten. Die Meisterin der Heilkunst würde mit ihrer individuellen Ausprägung der Heilergabe die Lüge sofort erkennen, wenn du versuchst, das Wissen zurückzuhalten. Das geht einfach nicht.«
»Mara ist vertrauenswürdig«, beschwor er mich wie jedes Mal.
Ich war die Diskussion so dermaßen leid. »Das kannst du nicht wissen«, knallte ich ihm entgegen.
»Wenn du mir angeblich vertraust, wieso dann nicht meinem Urteil Mara bezüglich? Ich sage dir warum, weil du paranoid bist!«
Jetzt war ich die Wütende von uns. Mit einer ruckartigen Bewegung knallte ich das ewige Feuer auf den Tisch und Jano zuckte sofort zusammen. »Das hier haben wir heute zum zweiten Mal aus ihren Fängen gestohlen.« Ich funkelte ihn an. »Mag sein, dass ich etwas zu vorsichtig bin, aber du bist es nicht genug.«
Janos Kiefer mahlten aufeinander. Wortlos starrte er mich ob dieses Vorwurfs nieder.
»Ich werde es dir nicht erzählen und basta. Du kannst dir weiter den Mund fusselig reden oder uns endlich sagen, warum du hier bist.«
Er und Arlo sahen einander in einer verräterischen Geste an.
Ich schnaubte, warf anklagend die Hand in seine Richtung und lehnte mich dann zurück, wobei ich die Arme vor der Brust verschränkte. »Siehst du, ihr erzählt uns ja auch nicht alles, sondern tauscht lieber verschwörerische Blicke direkt vor unseren Augen.«
»Also gut, da du von mir verlangst, dass ich akzeptiere, wenn du mir etwas verschweigst, wirst du den Gefallen nun erwidern. Du bist eben nicht in der Position, alles zu erfahren. Du musst nur wissen, dass ich hier bin, um euch die wichtigsten Eckdaten für eure nächste Mission mitzuteilen. Der Rat ist mit euren Leistungen zufrieden und hat Traians Vorschlag, euch bei unserer kommenden Aufgabe einzusetzen, zugestimmt.«
Mein Gehirn arbeitete auf Hochtouren. Traians Vorschlag, also vermutlich die Idee eines loyalen Kriegers und keines Verräters. Und das dachte ich auch nur, weil Fia meinen Onkel mit dem Dolch der Wahrheit geprüft hatte, was sie bisher lediglich mir erzählt hatte. Ich überlegte weiter. Der Rat hatte es abgenickt, also sah der Verräter oder die Verräterin keinen Nachteil in unserem Einsatz. Was also erhofften Jano und Traian sich davon?
»Es geht schon morgen los. Wir reisen nach Namibia, in die Wüste. Ihr werdet uns helfen, ein Artefakt zu bergen. Heute Abend reist das Team für die Besprechung an und wir beide und unsere Strategen entwerfen den Plan.«
Ich war sprachlos. Wir sollten ein Artefakt bergen, nicht stehlen. Also ging es um einen der seltenen Gegenstände, dessen Macht so groß war, dass beide Seiten bisher die Finger davon gelassen hatten. Wenn wir es nun doch wagten, dann, weil die Dunkelheit im Besitz aller anderen nötigen Artefakte desselben Dimensionsportals war. Hatten sie erst alle Artefakte eines dieser Portale, so konnten sie es öffnen und Chaos und Tod über unsere Welt bringen. Nur dieser Umstand würde eine so waghalsige Mission rechtfertigen. Wir mussten unbedingt schneller sein!
»Welches Fakta?« Ich wählte bewusst diesen Begriff, der für die mächtigsten Artefakte unserer Welt vorbehalten war.
Er korrigierte mich nicht. Im Gegenteil, Jano senkte respektvoll das Kinn und antwortete ohne große Umschweife. »Die Figur der Edna.«
Sascha neben mir zuckte zusammen. Und ich verstand ihn. Ednas Figur hatte den Ruf, ungezügelte Lust zu wecken. Es hieß, dass jene, die bisher versucht hatten, die kleine Figur aus Jade in ihren Besitz zu bringen, ihrer Lust zum Opfer gefallen waren und vollkommen von Sinnen gehandelt hatten. Gerüchteweise war dies ein ungeborgenes Artefakt, weil jeder bisher glorreich dabei gescheitert war, es zu bergen. Wie um alles in der Welt sollten wir das schaffen?
»Haben wir irgendeinen Plan?«
Jano lehnte sich zurück. »Den haben wir. Genau genommen hatte Traian die Idee und deshalb nehmen wir euch mit auf diese Mission.«
»Irre ich mich oder weichst du aus?«
Er presste seine Lippen für einen winzigen Moment zusammen, aber das reichte mir, um zu erkennen, dass mein Bruder es nicht mochte, dass ich ihn erwischt hatte. Als er einfach schwieg, wurde ich wieder wütend.
»Was soll das? Wieso bist du hier, wenn du uns nichts erzählen willst?«
»Du wirst alles Nötige zur Mission erfahren, sobald mein Team heute Abend eintrifft.«
Die Worte, sein Blick. Er bügelte mich komplett ab. Fein, dieses Spiel konnte ich auch spielen. »Nun, dann ist wohl alles gesagt. Bis heute Abend.« Ich erhob mich bereits und Sascha neben mir schob seinen Stuhl zurück.
»Wartet.«
Halb erhoben sah ich auffordernd zu ihm herüber.
Er kniff die Augen zusammen. Jano wusste genau, dass ich ihn provozierte, und was immer in ihm vorging, er rang mit sich, das zumindest konnte ich in seinen Zügen lesen. All das gefiel mir ganz und gar nicht.
»Ich bin hier, um dir zu sagen, dass dein Verhalten Probleme aufwirft. Findest du keine Lösung dafür, muss das mit dem Befreien aufhören.«
Fassungslos starrte ich ihn an. Wusste er, was er da von mir verlangte?
»Probleme?«, hakte Sascha ruhig nach, wobei er zurück auf den Stuhl glitt … täuschend ruhig. Ich kannte ihn zu gut, als dass er die Wut vor mir hätte verbergen können.
»Logistische Probleme«, bemerkte Arlo.
»Sie bauen die Hütten selbst mit dem Material, das wir auf dieser Insel haben.« Noch während Sascha das hervorstieß, setzte auch ich mich wieder, immerhin hatte ich, was ich wollte, und das hier würde sicherlich eine Weile dauern. Was Jano von mir verlangte, war unmöglich und einen Kompromiss sah ich bei dieser Sache auch nicht.
»Sie essen aber kein Holz!«, entgegnete Arlo harsch. Dann erst setzte er sich zu uns, stellte sein trübes Getränk ab und sah mich mit einem resignierten Seufzen an. »Hör zu, Miko, keiner findet schlecht, dass du ehemalige Krieger und Kriegerinnen aus den Fängen der Dunkelheit befreist. Nur dein Entschluss, es vor dem Rat geheim zu halten, stellt uns vor ziemliche Probleme. Sie brauchen Essen, Hygieneartikel, Kleidung, Bücher, Waffen, Geschirr und so weiter. Zusätzliches Material für ein, zwei zu besorgen war einfach. Als es zehn wurden, kamen wir schnell an unsere Grenzen, doch jetzt? Dem Rat wird nicht mehr lange entgehen, dass die Lieferungen unseren Bedarf weit überschreiten. Sie sind schon grantig genug, dass sie nicht wissen, wo genau wir lagern, doch das könnte etwas sein, bei dem sie die Geduld verlieren und uns all unsere Freiheiten streichen.«
»Genau genommen hat der Meister der Frucht mich bereits auf eure letzte Lieferung angesprochen«, beichtete Jano.
Deshalb also war er hier. Der Grund war nicht die nahende Mission, sondern die Befreiten und mein Alleingang. Meine Gedanken rasten. Ich wollte auf keinen Fall, dass der Rat davon erfuhr, jetzt jedenfalls noch nicht. Solange wir nicht wussten, wer der Verräter war, war es besser, so viel wie möglich vor ihm oder ihr geheim zu halten, also auch meine Fähigkeit, den Keim der Dunkelheit ihren Körpern zu entziehen. Würde ich preisgeben, wie ich es machte, würden sie fragen, wie ich darauf gekommen war, und dann musste ich erzählen, dass ich einen besonderen Draht zu den Schergen hatte, ich sogar ihre Gedankensprache auffangen und sie spüren konnte. Wenn der Verräter oder die Verräterin davon erfuhr, würde er oder sie mich am Ende doch noch irgendwie umbringen lassen.
Nur hatte ich keine Ahnung, wie wir all das, was Arlo aufgezählt hatte, besorgen sollten, ohne die Logistikwege des Rates zu nutzen. Zumal gerade der Mistkerl mit dem Lorbeerkranz auf dem Haar mich auf dem Kieker hatte. Jetzt, da der Meister der Frucht einmal eine Ungereimtheit entdeckt hatte, würde er nach weiteren wühlen wie ein Trüffelschwein. So ein Mist.
»Ich nehme an, dein Schweigen bedeutet Einsicht. Es freut mich, dass dir der Ernst der Lage klar ist«, bemerkte Arlo in seiner ruhigen Lehrerstimme, die inzwischen fast ein Trigger für mich war. Wut kochte hoch, die ich kaum beherrschen konnte. Er nutzte sie immer, wenn er mir verdeutlichen wollte, wie blind oder naiv ich gehandelt hatte. Das Schlimmste war jedes Mal, dass er recht hatte.
»Wir werden das besprechen und sehen, ob wir eine Lösung finden«, mischte Sascha sich ein. Ich war ihm so dankbar.
»Dafür gibt es keine Lösung. Ihr seid kurz davor aufzufliegen. Wollt ihr die Beziehung zum Rat nicht vollkommen zerstören, müsst ihr mit der Information herausrücken, bevor sie sie entdecken.«
Ich starrte Jano unverwandt an. Was war nur mit ihm passiert? Machte das der Krieg? Oder steckte mehr dahinter? Oder ich hatte ihn vollkommen verklärt und er war gar nicht der durch und durch gute, hoffnungsvolle Krieger, den ich immer in ihm gesehen hatte.
»Wir machen es, wie Sascha sagt. Wir besprechen uns und suchen nach einer Lösung.« Es musste eine geben. Die Kriegerinnen und Krieger ihrem Schicksal als Gefangene der Dunkelheit zu überlassen, kam nicht infrage.
»Die Zeit drängt.«
»Das habe ich verstanden. Es ist aber nicht so supereilig. Wir haben auf jeden Fall zwei Tage Zeit, bis wir die nächste Lieferung anfordern.«
»Miko, das ist kein Spiel.«
»Das weiß ich«, knallte ich ihm entgegen.
»Dann benimm dich auch so.«
»Was denkst du, tue ich?«
»Ich denke, du handelst naiv aus deinem Idealismus heraus. Du hast die Verantwortung für deine Leute, doch deine Entscheidungen betreffen mich genauso, die Roten und Arlo. Nur ist dir das vollkommen egal. Ich weiß, dass das eine harte Entscheidung ist, aber im Krieg müssen eben harte Entscheidungen getroffen werden. Also entweder, du spielst mit offenen Karten, erzählst uns, wie du es bewerkstelligst, und wir machen deine Befreiten zu einem offiziellen Schritt auf unseren Missionen oder das hat hier und jetzt ein Ende.«
Sprachlos starrte ich auf die erbarmungslose Miene meines Bruders. Ich hatte alle Mühe, einen klaren Gedanken zu fassen, wenn er mich vor so eine unmögliche Wahl stellte. Wie konnte er nur so herzlos sein? Ich hatte ihn anders kennengelernt. So war er nicht! Aber was bewog ihn dann dazu, mich zu zwingen, meine Informationen an den Rat zu geben? Und endlich begriff ich.
»Du glaubst gar nicht, dass ein Verräter im Rat sitzt.« Irgendwie hatte ich es die ganze Zeit geahnt, nur nie so wirklich bewusst gedacht.
Jano umklammerte seine Tasse fester, starrte hinab auf den Tee darin und spie die Antwort schließlich aus. »Dafür sehe ich keinen Anhaltspunkt.«
»Das kann nicht dein Ernst sein«, hauchte ich.
»Fia zu befreien war sinnvoll, die Gefahr der Mission hat den Einsatz eines Kriegers oder einer Kriegerin mit wichtigen Informationen unmöglich gemacht und zeitgleich musste Fia aus ihrer Reichweite. Dein Einsatz bei dieser Mission mag brutal und herzlos gewesen sein, aber aus kriegsstrategischer Sicht war er sinnvoll.«
»Und die Tatsache, dass wir das ewige Feuer zum zweiten Mal erobern mussten?«
»Sei nicht so naiv, Miko. So ist das schon immer in diesem Krieg. Wir stehlen Artefakte von ihnen und sie von uns. Manchmal in Schlachten, manchmal in geheimen Missionen. Es ist ein Hin und Her.«
»Also kippt der Krieg gerade nicht unverhältnismäßig stark? Dass wir so in Bedrängnis geraten, ist demnach vollkommen normal und kein Grund zur Besorgnis?«
»Natürlich ist es das, nur kein Anlass, um einen Verrat in den höchsten Reihen anzunehmen.«
»Und dass der Rat mich auf dem Kieker hat, willst du wohl auch abstreiten.«
»Nein, aber auch das muss kein Verrat sein. Das kann schlichte Machtgier sein oder die Überzeugung, dass so eine mächtige Heilerin in so jungen Jahren nur Schaden anrichtet«, warf er mir an den Kopf und fixierte mich, als wäre er derzeit geneigt, dieser Annahme zuzustimmen.
»Glaubst du das?«
»Du kannst kaum leugnen, dass du unkontrollierbar bist. Du tust, was immer du für richtig hältst. Du folgst dabei moralischen Grundlagen, das stelle ich gar nicht infrage, aber eine Kriegerin muss nicht ohne Grund gehorsam sein. Du hast nicht alle Informationen und kannst mehr Schaden anrichten, als du ahnst, besonders da du so mächtig bist. Wenn du weiterhin ohne jedwede Kontrolle agierst, könntest du alles in Gefahr bringen.«
Der Stich, den mir seine Worte ins Herz trieben, hatte es in sich. Und die Zweifel folgten auf dem Fuße. Ich erkannte die Logik in seinen Worten, doch was sollte ich tun? Ich war mir vollkommen sicher, dass es Verrat gegeben hatte, und da war die Annahme, dass jene Person damit nicht einfach aufhörte, naheliegend.
Ich griff nach Saschas Hand unterm Tisch, denn ich brauchte eine Person, die hinter mir stand, um die Zweifel und den Schmerz zu vertreiben. Vielleicht war es an der Zeit, etwas von meinem Wissen preiszugeben. Doch Fia hatte mir das Versprechen abgerungen, ihre Geschichte – den Beweis für den Verrat – für mich zu behalten und daher musste ich erst sicher sein, dass Jano bereit war für das, was ich zu sagen hatte, ehe ich auch nur in Erwägung zog, dieses Versprechen zu brechen. Ich musste mit Fia reden.
»Du gehst automatisch davon aus, dass ich unreflektiert und naiv handele, als wäre ich ein Kind, dabei –«
»Du bist ein Kind.«
Ich schloss die Lippen, um Beherrschung ringend. Als ich sie halbwegs zurückhatte, musterte ich ihn mit schief gelegtem Kopf. Das war der Moment, ich wusste es genau. Der Moment, in dem ich einen Teil meines Vertrauens ihm gegenüber einbüßte. Ich ließ Saschas Hand wieder los und wurde ganz ruhig, nicht auf die gute Art, sondern auf die stoische.
»Weißt du, Jano, ich habe gerade große Lust, voller Trotz zu reagieren, wie das Kind, das du in mir siehst. Am liebsten würde ich einfach aufstehen und gehen und dich mit deiner Sicht der Dinge zurücklassen. Aber ich bin kein Kind mehr. Keiner von uns ist es. Die Prüfung, die Ausbildung, die Missionen, nichts davon könnte uns als Kinder zurücklassen. Was ich heute tun musste, um an das ewige Feuer zu kommen, was meine Leute tun mussten … Keiner von uns ist noch ein Kind. Doch anstatt mich nach meinen Gründen zu fragen, siehst du bloß mein Alter und urteilst.«
Ich betrachtete ihn traurig. Nein, nicht traurig. Enttäuscht. »So warst du nicht, als ich dich kennengelernt habe. Ich verstehe nicht, was passiert ist, dass du mich so behandelst. Statt mit mir zu reden, belehrst du mich, befiehlst mir Dinge und hörst nicht zu. Ich wünschte wirklich, der Krieg würde dir nicht so mitspielen, aber offensichtlich tut er es. Also gehe ich jetzt. Wenn du bereit bist zuzuhören, wirklich zuzuhören, dann werde ich dir erklären, warum ich handele, wie ich es tue.«
Ich erhob mich, diesmal endgültig, und Sascha folgte kaum zeitverzögert. Jano starrte mich fassungslos an. Doch ich funkelte ihn nur voller Sicherheit nieder und wandte mich ab. Er hatte mich, wenn auch ungewollt, daran erinnert, dass er nicht ausschließlich mein Bruder war, sondern ebenso ein Akteur in diesem Krieg. So sehr ich ihm einfach von Fias Mission und ihrer Erkenntnis erzählen wollte, er war eben auch die rote Eins, treuer Krieger des Rates.
Weder Arlo noch Jano hielten uns auf, als wir die Hütte verließen. Das wunderte mich auf der einen Seite, beruhigte mich aber auf der anderen. Vielleicht waren meine Worte zu ihm durchgedrungen oder er hatte mich nun ganz aufgegeben.
Warnung oder Fakt
»Deshalb hast du uns also alle zusammengerufen«, grummelte Ivan mit verschränkten Armen vor der Brust.
»Was meinst du?«, fragte Roger irritiert.
»Es kann sein, dass wir den Roten nicht mehr trauen können«, fasste Ivan mit düsterem Blick zusammen, was er aus meinem Bericht über das Gespräch mit Jano herausgezogen hatte.
»So weit würde ich nicht gehen«, widersprach Roger sofort und stützte sich auf der langen Tafel ab, an der wir alle saßen. Eines der Dinge, die wir aus unserer Baracke in der Ausbildungszeit übernommen hatten, ebenso wie den offenen gemeinsamen Schlafraum.
»Er meint, dass wir den Roten nicht mehr blind vertrauen sollten, weil es sein könnte, dass sie wiederum dem Falschen vertrauen«, betonte Juri.
»Das denke ich auch. Wir müssen ab jetzt abwägen, was wir ihnen sagen, da sie andere Ansichten zum Rat haben als wir«, präzisierte Luca.
Dankbar lächelte ich ihm zu. Er brachte es mal wieder auf den Punkt. Die meisten meiner Leute stimmten ihm nun auch zu, doch Raika sah mich unverwandt an. Dann huschte ihr Blick kurz zu Fia und ich nickte ihr aufmunternd zu. Sie sollte frei aussprechen können, was sie dachte.