Was du kriegen kannst - Clemens Böckmann - E-Book
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Was du kriegen kannst E-Book

Clemens Böckmann

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Beschreibung

Wer ist diese Frau? Ihre Stasi-Akten beschreiben Uta als „groß“, „schlank“, „sehr intelligent, z. T. auch sehr raffiniert“. Sie nennen sie „mannstoll“ und notieren, dass sie „sehr viel raucht und auch viel Alkohol verkonsumiert“. Aber ist das schon alles? Wie kann man einen Menschen voller Hoffnung und Lust beschreiben, der in die Widersprüche seiner Zeit gerät?
Über vierzig Jahre war Uta Sexarbeiterin. Seit 1971 von der Stasi auf Männer angesetzt, war sie dabei Täterin und Opfer zugleich. In Clemens Böckmanns die Geschichte aufwühlendem Roman erzählen er, sie und die Akten gemeinsam ein Leben. Dabei gibt es keine Wahrheit über die DDR oder die Ausbeutung als Frau – aber Aufmerksamkeit für einen von allen vergessenen Menschen.

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Das ist das Cover des Buches »Was du kriegen kannst« von Clemens Böckmann

Über das Buch

Wer ist diese Frau? Ihre Stasi-Akten beschreiben Uta als »groß«, »schlank«, »sehr intelligent, z. T. auch sehr raffiniert«. Sie nennen sie »mannstoll« und notieren, dass sie »sehr viel raucht und auch viel Alkohol verkonsumiert«. Aber ist das schon alles? Wie kann man einen Menschen voller Hoffnung und Lust beschreiben, der in die Widersprüche seiner Zeit gerät?Über vierzig Jahre war Uta Sexarbeiterin. Seit 1971 von der Stasi auf Männer angesetzt, war sie dabei Täterin und Opfer zugleich. In Clemens Böckmanns die Geschichte aufwühlendem Roman erzählen er, sie und die Akten gemeinsam ein Leben. Dabei gibt es keine Wahrheit über die DDR oder die Ausbeutung als Frau — aber Aufmerksamkeit für einen von allen vergessenen Menschen.

Clemens Böckmann

Was du kriegen kannst

Roman

Hanser

»Denn mit der Verwandlung der Produktionsmittel in gesellschaftliches Eigentum verschwindet auch die Lohnarbeit, das Proletariat, also auch die Notwendigkeit für eine gewisse — statistisch berechenbare — Zahl von Frauen, sich für Geld preiszugeben. Die Prostitution verschwindet, die Monogamie, statt unterzugehen, wird endlich eine Wirklichkeit — auch für Männer.«

Friedrich Engels

»Ich liebe doch alle … alle Menschen.

Ich liebe doch —

ich setze mich dafür ein.«

Erich Mielke

»Dichter sein heißt, die Menschen bewegen, ihr Leben zu ändern.«

Günther Weisenborn

»Man führt nicht nur ein Leben als Mutter. Man führt auch ein Leben als Frau.«

anonym

Teil 2

Ein Leben

Meinen ersten Freund habe ich auf Kur kennengelernt. Damals war ich in Bad Elster, weil meine Mandeln belegt waren und ich schlecht Luft bekommen habe. Vor allem nachts musste ich oft husten und konnte fast gar nicht schlafen. Deshalb haben die Ärzte mich an die Weiße Elster geschickt. Dort gab es Arkaden aus Salzsteinen, an denen die ganze Zeit das Wasser herunterlief. Wir mussten durch diese Arkaden laufen und dabei laut singen, damit die salzige Luft bis tief in die Lungen hineinkam. Drei Wochen waren wir dort und sind einfach jeden Tag möglichst lange durch diese Arkaden gelaufen und haben irgendwelche Lieder gesungen, die uns die Schwestern vorgegeben haben. Ich kann mich nicht mehr daran erinnern, welche Lieder es waren. Ist ja auch egal. Zehn war ich damals, und er war ein Jahr älter als ich. Er hatte wunderschöne braune Locken. Das habe ich geliebt. Das gefällt mir am allerbesten, bis heute. Wir haben uns dann auch noch mal wiedergetroffen, nach der Kur. Da ist er zu mir zu Besuch gekommen. Er hatte Eis gegessen vorher, und sein ganzer Pullover war vollgeschmiert mit Schokoladeneis. Das hat mir überhaupt nicht gefallen, und die Freundschaft ging dann auch schnell zu Bruch.

Später habe ich ihn nur noch selten gesehen. Er stand oft an der Ecke dieses Hauses, dort vorne. Er hat hier auch gewohnt, ganz in der Nähe. Zusammen mit seinen Freunden standen sie immer hier an der Ecke. Das war so eine Gruppe Jungs, die hatten keine Arbeit und haben viel Zeit da herumgestanden. Und natürlich auch früh angefangen zu saufen. Das habe ich aber nur am Rande mitbekommen, wenn ich in der Straße gegenüber zur Arbeit gegangen bin. Er hat mich damals schon gar nicht mehr erkannt — oder so getan, als ob. Jedenfalls war das nichts für mich. Ich habe die da stehen gesehen, wenn ich für das Geschäft abends die Tageseinnahmen zur Bank gebracht habe. Die haben dann rumgegrölt und waren besoffen. Damit wollte ich nichts zu tun haben. Ich weiß nicht, was später mit ihm geworden ist. Nach meinem Umzug kam ich dort einfach nicht mehr vorbei.

Zwickau, 27.4.1973

Werbevorschlag

Die Obengenannte entstammt einer Arbeiterfamilie. Sie wurde als 2. Kind von 2 Kindern ihrer Eltern dem ehemaligen Wirtschaftsleiter und jetzigen Rentner

Krahl, Heinz, geb. am 27.8.1907 in (schwarzer Balken)

wohnh. (schwarzer Balken)

und der Rentnerin

Krahl, geb. Strahmer, geb. am 9.12.1912 in (schwarzer Balken)

wohnh. wie oben

geboren.

Vom Jahre 1953 bis 1963 besuchte die Obengenannte in (schwarzer Balken) die 10 Klassenschule, die sie auch mit Erfolg abschloß.

Im Jahre 1957 trat sie der Pionierorganisation Ernst-Thälmann bei und im Jahre 1961 wurde sie jugendgeweiht. Im März 1963 begann sie die Lehre als Fachverkäuferin bei der Konsumgenossenschaft. Nachdem sie im Jahre 1965 ihre Lehre mit Erfolg abgeschlossen hatte, verblieb sie weiter als Fachverkäuferin und zwar vorerst als Fachverkäuferin für Konfektionserzeugnisse und ab 1971 Fachverkäuferin für Möbel im gleichen Betrieb.

1969 ehelichte sich die Obengenannte mit dem Studenten für Masch. -Oek.

Jörg (schwarzer Balken)

wohnh. in (schwarzer Balken)

Diese Ehe wurde im August 1972 wieder geschieden. Wie aus den Scheidungsunterlagen ersichtlich ist, war der Grund der Scheidung, daß die Obengenannte oftmals von ihrem Ehemann verprügelt wurde und sogar mit dem Messer bedroht worden ist.

Vor Uta auf dem Tisch stehen zwei Gläser Wein. Sie haben Flecken gebildet auf der Zeitung darunter. Kurz überfliege ich die Überschrift: Ich bin menschlich enttäuscht. Der Leiter des Verfassungsschutzes ist vorzeitig in den Ruhestand versetzt worden, weil er nicht in der Lage war, zu selektieren zwischen völkisch und demokratisch. Uta sitzt in der hinteren Ecke, auf einem Barhocker an einem Stehtisch, in einer schmalen, in die Länge gezogenen Bar. Der Tisch steht direkt an dem großen Schaufenster, das die spärlich beleuchtete Bar gegen eine neonerleuchtete Passage abgrenzt, ein enger Durchgang zwischen den Häusern, in dem nach und nach die anderen Ladengeschäfte aufgegeben haben. Einzig diese Bar gibt es schon seit über achtzehn Jahren, die letzte Schwulenbar in der Leipziger Innenstadt, sagt Uta. Zapfhahn steht über dem Eingang. Wir treffen uns immer hier. Zwischen 17 und 18 Uhr bekommt man zwei Getränke zum Preis von einem. Neben Uta steht ein großes Glas auf der Heizung, gefüllt mit lauwarmem Wasser, sie vermischt es nach und nach mit ihrem Wein. Magenschonender, sagt sie. Uta erzählt von ihrer Arbeit, einer unentgeltlichen Tätigkeit in einem Ladenlokal in der Innenstadt. Sie beschwert sich über die unsinnige Anordnung der zu sortierenden Gegenstände in den Regalen, außerdem hat sie von der eintönigen Arbeit Schmerzen in der Schulter bekommen, diese haben sich auf den gesamten Arm ausgebreitet, haben sie bewegungsunfähig gemacht, sodass sie sich die vergangenen zwei Wochen krankschreiben ließ. Jetzt hebt sie den Arm und beginnt zu stöhnen, als er auf Höhe ihres Kopfes ist. Sie lässt den Arm wieder sinken, füllt mit dem anderen Arm bis zur Hälfte Wein in das leere Glas vor ihr, den Rest kippt sie mit warmem Wasser nach. Einer der Gäste aus dem vorderen Bereich der Bar kommt zu uns nach hinten in das kleinere Séparée, klaubt eine Handvoll Münzen aus seiner Hosentasche und macht sich an der Musikbox zu schaffen. Kurz darauf stolziert die Stimme von Klaus Kinski durch die Luft. Und was bekam des Soldaten Weib / Aus der alten Hauptstadt Prag? Noch bevor das Lied wirklich beginnt, hat der Gast sich bereits abgewandt. Durch den geöffneten Türspalt können wir die Männer vorne am Tresen mitsingen hören. Aus Prag bekam sie die Stöckelschuh’ / Einen Gruß und dazu die Stöckelschuh’. Nach jedem Wort eine längere Pause. Ohne Eile singen die Männer, ohne außer Atem zu kommen.

Anfang des Monats war Uta für fünf Tage in Paris. Ein Nachbar hatte ihr das geschenkt. Der hat im Lotto gewonnen, 5000 Euro oder so. Seit über acht Jahren wohnt er zwei Etagen unter ihr. 1500 Euro hat er mir geschenkt. Einfach so. Hat gesagt, nimm du es. Ich versauf es eh nur. Sie ist mit dem Bus nach Paris gefahren. Überall auf dem Weg hat er neue Passagiere abgeholt. Die Fahrt war schrecklich. An Paris aber liebt sie Montmartre und die Gemälde im Louvre, vor allem die Maler der Renaissance und der frühen Romantik, die detailliert gemalten Fassaden italienischer Häuser am Meer und die genau eingefangenen Farben der Wolken im aufkommenden Gewitter. Drei Postkarten hat sie sich davon gekauft und sie am nächsten Tag direkt verschickt, an alte Bekannte im Erzgebirge, damit diese sehen, wie schön meine Tage in Paris sind. Aus dem Kopf zitiert sie die Adresse des Hotels, beschreibt ihr Zimmer und wen aus dem Reisebus sie zufällig in einer Bar noch mal gesehen hat. Als sie den Namen der Bar sagt, muss sie lachen. Meine französische Aussprache ist gut, oder? Die nächste Happy Hour beginnt erst in einer Stunde. Ab 21 Uhr erhält man wieder das Doppelte seiner Bestellung. Utas erstes Glas Wein ist noch nicht zur Hälfte leer. Bis 21:59 muss sie ihre Bestellung einreichen. Bis dahin erzählt sie von Paris, wobei die Stadt alles andere als billig ist, fast sieben Euro muss man für ein Glas Wein an der Champs-Élysées zahlen, dabei gibt es doch in jeder Seitenstraße Nachtshops, eine ganze Flasche Wein kostet da nur drei Euro, und einen Becher bekommt man manchmal direkt dazu. Du wirst noch überrascht sein, was alles kommt. Das war noch gar nichts. Da gibt es noch Geschichten, die hab ich dir noch nie erzählt. Davon weiß niemand etwas. Ich nicke zustimmend, erinnere mich an unser letztes Treffen vor zwei Monaten und habe seinen Verlauf vor mir, und wie ich das Gespräch am Vorabend transkribiert habe. Uta ist müde geworden in der letzten halben Stunde — oder ich bin müde geworden, vom Sitzen und Zuhören, entscheide mich plötzlich, das Treffen zu beenden, verabschiede mich von ihr, wir drücken uns zweimal, dann gehe ich hinaus in die schmale Passage. Es ist mittlerweile dunkel, und kalter Wind zieht zwischen den Gebäuden hindurch. Es riecht nach Schnee. Ich fühle mich wie benommen, meine Augen sind stumpf, ich kann nichts mehr sehen und höre nur den Stoff meiner Kapuze, der langsam über meine Ohrmuscheln kratzt, während ich nach Hause fahre. Gegen 3:15 schreibt sie mir eine SMS: Alles wieder eingefallen. Müssen uns dringend die nächsten Tage treffen.

Die Obengenannte wird von ihrem Betrieb als eine gute Fachkraft eingeschätzt, die sehr sauber und ordentlich arbeitet, wird aber auch gleichzeitig als launisch und unausgeglichen geschildert.

In ihrer Verkaufsstelle ist sie diejenige Verkäuferin, die den höchsten Umsatz bringt. Dies ist wiederum bedingt durch die gut geführten Kundengespräche. Auseinandersetzungen in der genannten Verkaufsstelle gab es mit ihr öfter aus diesem Grund, daß sie vor Ladenschluß täglich (gegen 17.45 Uhr) die VSt. verläßt wegen der vorhandenen Fahrbedingungen zwischen ihrem Arbeitsplatz in Zwickau und ihrem Wohnort in (schwarzer Balken). Nachweislich verblieb sie aber in Zwickau an verschiedenen Tagen und hat die Verkaufsstelle trotzdem zu ihrer Zeit wie bereits erwähnt verlassen.

In ihrer Begleitung befindet sich meistens die Verkäuferin aus der Konsumgenossenschaft Zwickau

(schwarzer Balken)

wohnh. in Zwickau, (schwarzer Balken)

sowie auch oftmals die Verkäuferin vom Warenhaus (schwarzer Balken) aus Schneeberg

(schwarzer Balken)

wohnh. in (schwarzer Balken).

Alle Genannten werden als Männertoll eingeschätzt.

Seit dem 30.1.1972 ist die Obengenannte Mitglied der SED.

Gesellschaftliche Funktionen übt sie keine aus. Ansonsten kann gesagt werden, daß es sich bei der Obengenannten um eine attraktive Erscheinung handelt, die auch stets mit der neusten Mode gekleidet ist. Außerdem ist die Lohtner sehr kontaktfreudig und kennt auch einen großen Personenkreis, die in den Nachtbars in Zwickau verkehren. Im Wohngebiet wird sie als eine freundliche und hilfsbereite Person geschildert.

Sie hat eine eigene Wohnung und kommt auch jederzeit ihren Pflichten als Mieter nach. Das Haus steht in einer engen Straße, wo jeder jeden kennt. Fahrzeuge fallen dort sofort auf, weil diese Straße kaum befahrbar ist. Die Lohtner zog nach ihrer Scheidung in diese Wohnung ein. In der anschließenden Zeit hatte sie viele Männerbesuche. Die Herren kamen zu den verschiedensten Tageszeiten, zu Fuß, mit dem Auto — Trabant und Wartburg — und stiegen sogar über den Gartenzaun und durch das Fenster. Später, ohne eine genauere Zeitangabe, wurde es bei ihr wieder ruhiger und es kamen kaum noch Herren. Die Lohtner hat vermutlich zur Zeit keinen Freund.

6.

Im Konsum achtet der

(schwarzer Balken)

streng auf ihr Verhalten, da er durch sie angeblich Minusdifferenzen hatte. Er sagt »Da macht sie in Lichtentanne nebenbei im Gasthaus »Zur Tränke« Bardame und bei mir im Laden schläft sie sich aus.« Dieser Sachverhalt war unter den VSt.-Leitern Tagesgespräch.

7.

Der (schwarzer Balken) und sein Stellvertreter, Kollg. (schwarzer Balken) »passen ebenfalls auf sie auf«. Es erweckt den Eindruck, als suche man den Anlaß, um sie aus dem Konsum »hinaus zu jagen«. (Sind sie möglicherweise bei ihr beim »Versuch«, sich ihr zu nähern, abgeblitzt?)

In Zwickau wohnte auch eine gute Freundin von mir. Gisela hieß die, Gisi habe ich sie immer genannt, und eigentlich haben alle sie so genannt. Die hat am Rosenpark gewohnt. Da war gleich in der Nähe die Astro-Bar. Die hat in der zweiten Etage gelebt, und die Wohnung hatte nach vorne zur Straße hin einen Erker. Da haben wir manchmal abends gesessen, getrunken und den Eingang von der Astro-Bar beobachtet, um zu sehen, wer da hineingeht. Wir wussten dann immer genau, wer da war und wer noch nicht da war, und vor allem konnten wir sehen, ob neue Leute gekommen waren, welche, die wir noch nicht kannten, Ausländer vielleicht, auf der Durchreise oder zum Arbeiten in Zwickau, gut gekleidete Männer, solche, die Stil hatten. Die haben uns gut gefallen. Für die war die Bar auch immer ein Anlaufpunkt. Ich weiß nicht, warum das so war. Vielleicht weil das Theater und das Kino auch in der Nähe waren. Auf jeden Fall kamen solche Männer oft hierher. Dann haben wir uns schnell fertig gemacht und sind runter in die Bar. Gerade mit den Ausländern war es meistens ziemlich leicht, die kennenzulernen. Die hatten ja oft niemanden, mit dem sie unterwegs waren, und haben sich daher meistens gefreut, wenn ihnen jemand ein bisschen Gesellschaft geleistet hat. Dass die Gisi da gewohnt hat, hat es natürlich noch einfacher gemacht. Sie wohnte dort alleine, hatte weder einen Mann noch Kinder, dafür aber ein Schlafzimmer und ein Wohnzimmer und eine Küche. Da kam es dann auch schon mal vor, dass wir uns beide jeweils einen Mann mit hochgenommen haben, bei ihr zu Hause vielleicht noch ein bisschen weitergefeiert, und am nächsten Morgen sind die Männer dann wieder gegangen. Uns hat das gut gefallen. Wir hatten schöne Abende in der Astro-Bar.

Klar war mein Vati in der Partei. Und meine Mutti auch. Die waren früher in der KPD, bis die verboten wurde, und dann waren sie natürlich in der SED. Die waren quasi die ersten Mitläufer. Aber wohin sich das entwickelte, war nicht so in deren Sinne. Ausgetreten aus der Partei sind sie trotzdem nicht. Sie waren nach wie vor Kommunisten, aber mein Vati hat später immer gesagt, mit Kommunismus, wie wir uns das vorgestellt haben, hat das alles wenig zu tun. Aus der Partei austreten kam für ihn aber nicht in Frage. Bei meiner Mutti kann ich es gar nicht so genau beantworten. Zu den Parteisitzungen ist sie natürlich auch immer mitgegangen, ob sie sich da aber viel zu Wort gemeldet hat, kann ich nicht sagen. Sie hat meinem Vati auch später nicht widersprochen, wenn er sagte, dass das alles nicht mehr in Ordnung ist. Ganz früher hingen ein Bild von Marx und eines von Lenin bei uns in der Stube. Die wurden irgendwann dann vertauscht gegen Ulbricht und Stalin, bald dann Chruschtschow. Wenn es nach meinem Vati gegangen wäre, hätte er die bestimmt irgendwann lieber wieder zurückgetauscht, stattdessen kam Honecker. Direkt neben dem Fernseher hingen die. ’62 haben wir den bekommen, und so wie fast alle Haushalte im Dorf hatten wir dann auch irgendwann eine selbstgebastelte Antenne auf dem Dach. Damit konnten wir West-Fernsehen empfangen, wenn auch schlecht, aber immerhin. Das war überhaupt kein Problem, außer wenn der Mann von der Schwester meiner Mutter kam. Der war Parteisekretär. Wenn es geklingelt hat, und ich habe von oben runtergeguckt, wer da so kommt, dann habe ich gesagt: Vati, der Manfred kommt. Und mein Vati hat immer erwidert: Renn schnell auf den Boden und schaff die Fernsehantenne weg! Dann hab ich schnell die Antenne umgerissen und auf den Boden gebracht. Irgendwann hat mein Onkel das verstanden und dann immer erst gefragt: Funktioniert denn auch der neue Fernseher richtig?

Ungefähr zur gleichen Zeit hatte ich meine erste Unter vier Augen in der Hand. Die war auf ganz dünnem Zeitungspapier gedruckt und in unglaublich schlechter Qualität. Meine Freundin Ines hatte die Zeitschriften bei ihrem großen Bruder gefunden und dann mit in die Schule gebracht. Wir haben die herumgereicht, und jede durfte sie sich mal angucken. Da waren wir alle mindestens sechzehn. Also kamen die Informationen für viele ein bisschen spät. Ein paar Sachen hatte man da ja schon ausprobiert. Gesprochen darüber wurde aber nicht. In der Schule hat man uns das Nötigste erklärt, und meine Mutti hat mich als junges Mädchen irgendwann zur Seite genommen. Das hat sie aber so gemacht, wie bei allen anderen Sachen auch. Sie hat mir gesagt, was ich machen muss, worauf ich achten soll, und dass man Kinder kriegt, wenn man verheiratet ist. Platz, um mal eine Frage zu stellen, war da auf jeden Fall nicht. Meine Regel habe ich das erste Mal mit elf gehabt. Ich dachte, ich habe mir in die Hose gepisst. Als meine Mutti das gesehen hat, hat sie geschimpft. Blut geht so schwer wieder rauszuwaschen, hat sie gesagt. Hättest du nicht aufs Klo gehen können? Ich weiß überhaupt nicht, wie sie das alles gemacht hat. Dabei liefen wir oft nackt durch die Wohnung, wenn die Handtücher in der Stube zum Trocknen hingen oder es nur am Ofen in der Küche warmes Wasser gab. Und erst recht, wenn ich im Sommer mit meinem Vati und meinem Bruder zum See gefahren bin. Da waren alle nackt, den ganzen Tag. Mein Vati hat seine Hose erst wieder angezogen, wenn wir mit dem Fahrrad auf dem Weg nach Hause waren. Aber was hätte der schon bei solchen Fragen gesagt?

Dann gab es bei uns im Betrieb einen, der war für die ganze Auslieferung der Ware zuständig. Das Möbelhaus war ein riesiges Gebäude, fast über einen ganzen Wohnblock hat sich das erstreckt. Oben und in der ersten Etage waren die Ausstellungsflächen, da war ich am Anfang eigentlich immer die ganze Zeit. Weiter hinten waren noch die ganzen Büros, vom Leiter und von den einzelnen Abteilungen, und unten, im Keller, war ein riesiges Lager, da hatte er sein Büro. Zum Keller führte über den Hof eine Rampe, da war eine Tiefgarage, wo die Lastwagen und Transporter reinfahren konnten. Meistens war da unten viel Betrieb, immer Hektik, vor allem, wenn gerade wieder eine Lieferung kam oder rausmusste. Wenn nicht, konnte es auch sein, dass man da runtermusste, weil man aus dem Laden irgendeine Bestellung weitergeben sollte, und die Arbeiter dann da unten rumsaßen, rauchten, quatschten und den lieben Gott einen guten Mann sein ließen. Oft saßen sie dann auch gar nicht mehr da unten, sondern waren schon längst in irgendwelchen Kneipen. Vor allem freitags, nachdem es Geld gegeben hatte, war da eigentlich nie irgendwer anzutreffen. Die sind dann meistens sofort in die Kneipe gegangen und haben ihren Lohn versoffen. Wenn dann aber doch noch mal eine Bestellung rausmusste, hat mein Chef immer mich losgeschickt, die zu suchen. Den anderen Mitarbeiterinnen hat er das gar nicht zugetraut. Die hätten gar nicht gewusst, wo sie hätten suchen sollen. Ich wusste aber meistens, wo die saßen, und bin dann da hin und habe ihnen gesagt, dass es noch was zu arbeiten gibt. Manchmal habe ich auch erst mal ein Bierchen mit ihnen getrunken, bevor wir wieder zurück sind, aber in der Regel mochte ich die Kneipen gar nicht, in denen die so verkehrten. Das waren eben so ganz normale Bierlokale, hier in der Zwickauer Altstadt.

Der, der für die Auslieferungen zuständig war, war auf jeden Fall auch starker Trinker, so wie fast alle, er hat aber eher bei sich im Büro heimlich gesoffen, ohne die anderen. Nur selten saß der mal mit den anderen in der Kneipe, dafür hatte der auch eigentlich immer zu viel zu tun. Seine Aufgabe war es, die ganzen Waren zu koordinieren, also einen Überblick über das Lager zu haben, und vor allem den Aufbau zu organisieren. Die Möbel waren ja nicht fertig, wenn sie bei uns ankamen. Meistens mussten die noch vor Ort aufgebaut werden, vor allem ganze Schrankwände, vollständige Küchen und so was. Das dauert sehr lange. Er musste den Überblick haben, wann welcher LKW welche Ware wohin liefert, wie viele Leute da mitfahren müssen, wie lange dann ungefähr der Aufbau dauert, und was vielleicht die anderen in der Zwischenzeit in der Nähe ausliefern können. Und wir hatten fast im ganzen Erzgebirge Kundschaft. Da muss man schon gut überlegen, welche Möbel jetzt mit in den LKW sollen, welcher Kunde vielleicht noch auf dem Weg liegt und so weiter. Das war auf jeden Fall eine ganz schöne Koordinationsarbeit, sehr stressig. Wahrscheinlich hat er auch deswegen so viel gesoffen, aber er hat es immer irgendwie auf die Reihe bekommen.

Auf Grund verschiedener Unstimmigkeiten in der Möbelverkaufsstelle 5062 in Zwickau zwischen dem VSt. (schwarzer Balken) und seinem (schwarzer Balken), wurde mit der im Betreff Genannten ein Gespräch geführt. Von ihr wurde erklärt, daß sie seit 1971 in oben angeführter Verkaufsstelle als Verkäuferin tätig ist. Bei dem (schwarzer Balken) handele es sich um eine Person, der sehr dem Alkohol zuspricht und auch hin und wieder Frauengeschichten hat. Er habe vorher schon mehrere Arbeitsstellen gehabt.

Bei dem (schwarzer Balken) handele es sich um einen Menschen, der immer wieder versucht, ein gut harmonierendes Kollektiv zu spalten. Er spricht nie die Wahrheit und wird im allgemeinen als »hinterhältig« bezeichnet. Auf Grund seines Verhaltens bestehen seit längerer Zeit Zwistigkeiten zwischen ihm und dem VSt. Leiter sowie auch dem übrigen dort beschäftigten Personal. Über etwaige durchgeführte Manipulationen durch den (schwarzer Balken) konnte die Lohtner keine Angaben machen. Die Lohtner versprach aber, daß sie sofort bei Wahrnehmung von Verstößen gegen die bestehenden gesetzlichen Bestimmungen Unterzeichneten benachrichtigen will.

Zwei Jahre zuvor hat der noch neue Bundeskanzler aus Bonn die Haltung der Deutschen in Richtung Osten in Frage gestellt. Am 7. Dezember 1970 unterschrieb Willy Brandt in Warschau den Vertrag über die Grundlagen der Normalisierung ihrer gegenseitigen Beziehungen. Die in Aussicht gestellte Sicherung der Grenze ist dabei gleichzeitig die Überschreitung der inneren Grenze. Widerspricht das Schriftstück doch ausdrücklich nicht Artikel 7 des am 5. Mai 1955 in Kraft getretenen Deutschlandvertrags. Die »endgültige Festlegung der Grenzen Deutschlands«, insbesondere die Bestimmung der Ostgrenze Deutschlands, bleibt einer »frei vereinbarten friedensvertraglichen Regelung für ganz Deutschland« vorbehalten. Es ist einer der ersten Schritte einer Wiederverortung Deutschlands in Westeuropa, die bezweckt, die Konsequenzen des deutschen Krieges nicht als solche anzuerkennen.

Es ist der Winter 1972, die zitronengelbe französische Göttin noch nicht in Sicht. Uta arbeitet im Möbelgeschäft in der Zwickauer Altstadt. Durch ihre Eigenschaft als Pendlerin hat sie sich innerhalb des Betriebes eine Sonderrolle verschafft. Jeden Abend um kurz vor 18 Uhr wird ihr die Aufgabe zuteil, die gesammelten Tageseinnahmen, verpackt und verplombt in einen Stahlzylinder, zur Bank zu bringen, die auf dem Weg zu ihrer Haltestelle liegt. Mit diesem Gang schließt sie das Tagesgeschäft ab, selbst wenn die Ladentür noch für einige Augenblicke geöffnet bleibt. In der Regel befinden sich in dem Stahlgehäuse bis zu mehrere tausend Mark, abhängig davon, wie geschickt und zielstrebig die Verkäuferinnen sich im Laufe des Tages angestellt haben, welche Modelle sie empfohlen haben, ob es ihnen etwa gelungen ist, der Kundschaft neben einer Küche auch noch eine Couchgarnitur schmackhaft zu machen. Immer vorausgesetzt die Bereitschaft und Möglichkeit jener, überhaupt den verdinglichten Wert ihrer Arbeitskraft in Möbel jeglicher Art zu reinvestieren. Dieter heißt der Kollege, der Uta den verplombten und versiegelten Stahlzylinder überreicht, nachdem er sämtliche Tageseinnahmen aus dem hauseigenen Tresor genommen, gezählt und genaustens protokolliert hat. Das alles vollführt Dieter in einem der hinteren Büroräume im Erdgeschoss, den er eigens für diese Aufgabe aufsucht, da sich sein eigentlicher Arbeitsbereich im Kellergeschoss befindet, dort sitzt er als Logistiker der Warenein- und -ausgänge, jeden frühen Abend jeder Werkwoche unterbrochen von seiner Tätigkeit im Kassenbereich des Möbelgeschäfts, bei der Uta meist zeitgleich mit ihm im Büroraum weilt, ihre Arbeitsbekleidung ablegend und in die Abendgarderobe wechselnd. Sobald Dieter seinen Zählvorgang abgeschlossen hat, übergibt er ihr den Stahlträger, und Uta verlässt das Möbelgeschäft durch den Hauptausgang, durchquert die leeren Straßen, betritt kurz vor 18 Uhr die Bankfiliale, nur wenige Meter entfernt von der Haltestelle, von der um 18:06 Uhr der Bus Linie 2 sie in ihren Feierabend bringen kann, wenn sie fahren möchte. Als sie diesmal aber das Geld in der Bank abgibt, fehlen 50,— Mark. Kaum möglich, dass sie direkt auf die Unregelmäßigkeit angesprochen wird, und tatsächlich dauert es einige Tage, bis sich im Möbelgeschäft der Verdacht durch die Reihen genagt hat und bei ihr auf direktem Umweg ankommt, wobei zu dem Zeitpunkt schon drei weitere verplombte Tageseinnahmen ihren Weg in den Tresor der Bank genommen haben. Es gibt nur einen einzigen Zeugen, der vorzeigt, wie er das Ergebnis seiner Zählung schriftlich festgehalten hat, und dadurch weitere Fragen aufwirft, es nämlich ebenfalls für unerklärlich hält, wie das Geld hätte abhandenkommen sollen, außer die Geldkartusche wäre gewaltsam geöffnet worden. Uta ist stutzig, gerät in Rage, verweist auf den letzten Diebstahl einer solchen Geldkartusche, als Diebe gleich nach der damaligen Botin die Bank betraten, den Zylinder gewaltsam entwendeten und auf dem Fahrrad die Flucht ergriffen. Später fand man die gestohlenen Stahlzylinder im Marienthaler Bach, attackiert durch klägliche Bohrversuche, Ansätze zu kaum halben Löchern, im Inneren aber vollständig unversehrt, hatte die Geschichte eher zur Belustigung beigetragen, wobei Uta nicht unerwähnt lässt, dass die Diebe dennoch für mehrere Jahre in die Schillerstraße kamen. Die Sache verläuft sich, doch alle im Haus sind in Aufregung versetzt und dann mehr als das, als nur knapp drei Wochen später abermals von der Bank eine Fehlsumme gemeldet wird und Dieter sich diesmal sicher ist, offen Uta beschuldigt, der Leiter der Verkaufsstelle sie außerplanmäßig in sein Büro bestellt.

Dort im Büro ist zu Utas Überraschung ein weiterer Mann anwesend, den sie nie zuvor gesehen hat, der sich auch nicht weiter vorstellt, nicht benannt wird, stattdessen dem Inventar gleich das Gespräch starr über sich ergehen lässt. Zu ihrer Überraschung fallen alle drohenden Worte der Leitung erträglich aus, von Versetzung wird gesprochen, im unwahrscheinlichen Fall von strafrechtlichen Konsequenzen, Diebstahl als asoziale Praxis, ganz und gar nicht im Sinne des Sozialismus benannt. Nachdem der Leiter sich dieser Pädagogik bedient hat, rät er Uta, von nun an Dieters Zählungen zu überwachen, im Zweifel darauf zu bestehen, selbständig noch einmal die Geldbündel durchsehen zu dürfen und erst dann gemeinsam die Tageseinnahmen zu verplomben. Zwei Wochen später sitzt Uta wieder im Büro. Sie erzählt, was am Abend zuvor passiert ist, dass sie, im letzten Moment, ehe Dieter den Stahlzylinder versiegelte, darauf bestand, den Geldbestand noch einmal nachzählen zu dürfen, dass Dieter sich anfänglich weigerte, sie ihm aber zuredete, von beidseitigem Interesse sprach und dem Wohle der gesamten Belegschaft, er ihr dann das Geld übergab, sie einen Fehlbetrag von 50,— Mark feststellte, er sich schnell rechtfertigte und von einem Versäumnis sprach, einem Missgeschick. Der Leiter lobt sie über seinen Schreibtisch hinweg, spricht von einem vorbildlichen Einsatz und davon, dass wir mehr Menschen wie dich gebrauchen könnten.

Am Nachmittag kommen Polizisten ins Möbelgeschäft. Für den Tag beziehen sie Quartier im Büro des Leiters. Nacheinander werden alle Angestellten zu ihnen in den Raum geholt, machen dort mal kürzere, mal längere Aussagen und werden im Anschluss direkt nach Hause geschickt. Als Uta in den Raum geführt wird, sieht sie den Mann von ihrem vorletzten Besuch wieder. Er steht jetzt nicht mehr am Fenster, eingerahmt von den senfgelben Gardinen, die aller Wahrscheinlichkeit nach im VEB Spinn und Zwirn hergestellt wurden, sondern sitzt vielmehr auf der anderen Seite des Raums hinter dem Schreibtisch, eingerahmt von drei weiteren Gestalten, Uniformierten, denen die Uniformen beinahe über die Köpfe gewachsen sind, ihre Gesichter nahtlos eingefügt zwischen die harten Säume ihrer Mützen und die erstarrten Kragen ihrer Hemden. Als der Mann zu sprechen beginnt, ist Uta überrascht, so langsam redet er, offenbar versucht, den Dresdener Tonfall in seiner Sprache zu kaschieren, stellt er sich vor als Oberwachtmeister der Volkspolizei, geht mit ihr einige Fragen durch, denen er einzig protokollarische Aufmerksamkeit widmet, begegnet gleichzeitig ihren Antworten nicht nur mit zustimmenden Lauten, sondern redet ihr bestärkend zu, fortzufahren. Als ihr keine weiteren Antworten mehr einfallen, ergeht er sich in ausschweifenden Lobreden auf ihr vorbildliches Handeln, ihre schnelle und rasche Auffassungsgabe und ihre praktizierte Diskretion. Die übrigen Männer im Raum pflichten ihm bei, bestärken jede seiner Aussagen durch entsprechende Kopfbewegungen, treten, nachdem er seinen letzten Satz beendet hat, der Reihe nach vor, um Uta die Hand zu schütteln, sprechen ihren Dank aus. Als Letztes gibt ihr der Oberwachtmeister die Information mit auf den Weg, dass sie sich jederzeit an ihn wenden kann, wenn sie den Verdacht hat, Straftaten beobachtet zu haben, oder den Eindruck gewinnt, Menschen in ihrer näheren Umgebung würden sich in vorbereitenden Maßnahmen zur Begehung einer Straftat befinden. Danach schickt er auch sie vorzeitig in den Feierabend, nicht ohne zu vergessen, ihr einen kleinen Zettel mitzugeben, auf dem in sauberer Handschrift eine Telefonnummer vermerkt ist, einfacher noch, sagt er und weist auf die darüberstehende Adresse, ist es, wenn du dorthin kommst. In der Regel ist immer jemand von uns vor Ort.

Uta steckt den Zettel in ihre Hosentasche und tritt den Weg nach Hause an. Mittlerweile ist es Frühjahr geworden, und in Ost-Berlin verstirbt die Ehefrau des Ersten Sekretärs des Zentralkomitees, Edith Baumann, zu diesem Zeitpunkt bereits fast zwanzig Jahre von Erich geschieden, hat er doch 1952 mit Margot Feist eine Tochter bekommen, während Edith die gemeinsame Tochter Erika zur Krippe brachte. Nachdem Margot seinen Nachnamen angenommen hatte, wurde sie 1963 Ministerin. Edith hingegen gehörte ab 1953 nicht mehr länger dem Sekretariat des ZK an, blieb zwar noch bis 1961 Leiterin der Arbeitsgruppe Frauen des ZK, musste sich jedoch über fünf Jahre hinweg als Kandidatin des Politbüros mit Warten abfinden und ging in der Folge als Stadtverordnete zurück nach Berlin. Ihre Nachfolgerin als Leiterin der Arbeitsgruppe Frauen des ZK war seit 1961 Ingeburg Lange, der es nach über zehn Jahren am 9. März 1972 gelang, gegen vierzehn Stimmen aus der Fraktion der CDU in der Volkskammer das Gesetz über die Unterbrechung der Schwangerschaft durchzusetzen. Am Ende seiner Rede zur Begründung dieses Gesetzes sprach Prof. Dr. Ludwig Mecklinger allen Frauen und Mädchen dieser Welt die Anerkennung des Zentralkomitees aus und gratulierte ihnen mit diesem großartigen Geschenk zum Weltfrauentag. Um zu unterstreichen, wie sehr der Körper der Frauen dem ZK am Herzen lag, wurde im selben Gesetzestext die kostenfreie Abgabe der Pille auf Rezept ab dem sechzehnten Lebensjahr beschlossen. In den Wochen zuvor waren immer wieder Berichte zu hören gewesen, wonach Frauen in Görlitz oder Frankfurt seit längerem die Oder überschritten, um vor der zwölften Woche einen Abbruch ihrer Schwangerschaft vornehmen zu lassen.

Am 7.8.1973 wurde die Verkäuferin Lohtner, Uta nach hiesiger Dienststelle bestellt. Mit ihr wurde ein legendiertes Gespräch geführt, um dabei ihren Intellekt und ihre Mithilfe bei der Aufklärung von Straftaten kennenzulernen. Das Gespräch wurde unter der Legende geführt, daß die Obengenannte mit ihrer Freundin (schwarzer Balken) im Januar ’73 bei dem (schwarzer Balken) des Maschinenfertigungsbetrieb Zwickau, (schwarzer Balken) in dessen Wohnung auf Besuch weilten, und nach ihrem Fortgehen 200,00 Mark Bargeld gefehlt haben. Es wurde von ihr erklärt, daß sie sowie auch ihre Freundin (schwarzer Balken) nie bei diesem (schwarzer Balken) Geld entwendet haben konnten, da sie immer gemeinsam in einem Zimmer saßen. Sie erklärte sich aber bereit mitzuhelfen, diesen Diebstahl aufzuklären.

Auf Grund dieser Bereitschaftserklärung wurde übergeleitet zum eigentlichen Werbegespräch. Ihr wurde erklärt, daß mehrere Straftaten noch offen stehen, die einer schnellen Klärung bedürfen. Die Obengenannte erklärte sich bereit, jederzeit die Untersuchungsorgane bezw. die Sicherheitsorgane bei ihrer Arbeit zu unterstützen.

Sie war auch sofort bereit bestimmte Informationen, die von ihr schriftlich gemacht werden müßten, mit dem Decknamen »Anna« zu unterzeichnen.

7.8.73

Ich verpflichte mich freiwillig, den Sicherheitsorganen von in Vorbereitung befindlichen Verbrechen sofort Kenntnis zu geben. Weiterhin verpflichte ich mich, alle mir bekannt gewordenen strafbaren Handlungen den Sicherheitsorganen zu melden. Ich verpflichte mich weiterhin über das, am heutigen Tage stattgefundene Gespräch, gegenüber Jedermann strengstes Stillschweigen zu wahren. Meine schriftlichen Berichte werde ich mit dem Decknamen »Anna« abzeichnen.

Am 15. August 1973 schreibt »Anna« ihren ersten Bericht, handschriftlich, auf einem leeren Blatt Papier, das sie sich aus dem Zimmer ihres Kindes borgt, gibt dem Ganzen die Überschrift Bericht und notiert:

Die Wohnung des (schwarzer Balken) in Zwickau

(schwarzer Balken), kann ich wie folgt beschreiben:

1 Polstergarnitur Stilmöbel

1 Schrank Nußbaum dazu passend Anrichte

beide Schränke sind mit wertvollem Porzellan und Kristallgegenständen eingerichtet. Außerdem besitzt er diverse Pokale aus Silber, Zinn, Kupfer usw. Der Wert der gesamten Gegenstände beläuft sich auf ca. 50.000,—.

Anna

Uta ist nicht zufrieden mit sich, hat nicht das Gefühl, genau genug gewesen zu sein, holt sich ein weiteres Blatt Papier und notiert:

Im Wochenendhaus befinden sich ungefähr folgende Gegenstände:

Mobiliar:

1 Polstergarnitur 4-teilig

1 Tisch

1 Fernsehgerät

1 Kühlschrank

1 Elektroofen

1 großer Ofen mit Kaminabzug

2 alte Gemälde

Weiterhin befinden sich im Haus wertvolle Kupfer und Zinngegenstände, die ich leider nicht mehr im einzelnen aufzählen kann. Der Wert dieser Sachen beläuft sich, meiner Schätzung nach, auf ca. 15.000,— M., kann aber auch höher oder niedriger sein. In der Küche befindet sich ein Regal mit wertvollen Porzellangegenständen. Das ganze Haus ist mit Teppich ausgelegt. Von unten nach oben führt eine Treppe, die ganz besonders in der Art ihrer Anfertigung ist.

Danach hat sie diese beiden Papiere vor sich auf dem Küchentisch liegen, weiß nicht so recht, wie sie sie anfassen soll, dreht sie um, sieht die Tinte sich langsam durch das Papier nagen, faltet die Blätter zusammen. Zweimal halbiert sie die Bögen, jeweils der Länge nach, sodass nur zwei kleinere weiße Rechtecke auf dem Tisch liegen, als sie den Stift wieder verstaut und die Papiere in ihre Handtasche schiebt, den Reißverschluss schließt, sich die Tasche über die Schulter wirft und die Wohnung verlässt. Sieben Tage trägt sie die Zettel bei sich, im Innenfach ihrer Handtasche, bis es ihr gelingt, eine Verabredung mit ihrem Verbindungsmann zu realisieren, einem Oberleutnant des Kommissariats Zwickau, Maurer, dem diese Quelle von seinem Vorgesetzten anvertraut wurde, hat er sich doch in vorherigen Situationen bewährt, zeigt aber auch keinerlei Ambitionen, durch unangemessene Eifrigkeit auf eine schnelle Beförderung hinzuwirken, ist dafür bereits zu lange im Dienst und daher bestens vertraut mit den Gegebenheiten vor Ort. Im Büro des Möbelgeschäfts hat er sich schon einen ersten Eindruck von der potentiellen neuen Mitarbeiterin machen können und vereinbart nun ein Treffen mit ihr für den frühen Abend, kurz nach 18 Uhr, in derselben Lokalität wie beim ersten Mal, wobei dieses Treffen aus seiner Sicht unaufregend war, standardisiertes Kennlernverfahren, bei dem er die Informanten auf ein Glas Wein einlädt und versucht, ihre Aufregung und Nervosität in kontrolliertere Muster zu überführen. Jetzt drängt sie auf mehr, deutet am Telefon ihre bereits verfassten Berichte an, kommt zur verabredeten Uhrzeit in das Lokal an seinen Tisch, hat extra für diesen Anlass auf dem Weg noch ein Magazin für Wohnraumgestaltung erworben und dorthinein die Berichte gerollt. Sie überreicht ihm die Zeitschrift noch vor dem zweiten Glas Wein, er ist kurz nicht darauf vorbereitet, dass es ihr keineswegs um den Austausch von Gestaltungsideen für Wohn- und Küchenräume geht, deutet dann aber ihren Blick richtig und verlegt das Treffen kurzerhand, geleitet sie aus dem Café und betritt auf der anderen Seite des Häuserblocks mit ihr eine Wohnung. Horst, sagt er dabei zu ihr, was sie sich einprägen soll als Ortsbezeichnung für kommende Treffen, bittet sie, auf der Couchgarnitur Platz zu nehmen, nimmt ihr gegenüber ebenfalls Platz, entfaltet das Magazin und beginnt, ihre Berichte zu lesen. Er schaut die Notizen durch und kommt zugleich mit ihr ins Gespräch, gibt sich selbst als Porzellan- und Kristallliebhaber zu erkennen, wobei ihm seine Anstellung als Polizist eine beachtliche Sammlung finanzieren konnte, und überreicht ihr schließlich 50,— Mark, nicht ohne sie eine entsprechende Empfangsbestätigung unterschreiben zu lassen. Im Protokoll dieses Treffens, das am 24.8. Eingang in die Akten der Volkspolizei findet, notiert er unter »Berichterstattung des IM und Auswertung«: Anschließend wurde mit dem IM eine Schulung über die Berichterstattung nach den W-Fragen durchgeführt. Weiterhin notiert er, und hat es bereits der höheren Dienststelle gemeldet, unter »Nächster Treff«: 27.8.73 18 Uhr im TQu. »HORST« zur Berichterstattung über den Besuch in Leipzig am 25.26.8.1973. Zu diesem Treff nimmt der Gen. BALKE teil. Innerhalb kurzer Zeit gelingt Maurer es, das Interesse der Informantin an den Möglichkeiten rund um die Herbstmesse in Leipzig zu wecken, indem er ihr die Anreize keineswegs ausformuliert, sondern eher davon schwärmt, welche Kostbarkeiten dort gehandelt werden und in welchem Ausmaß dort Wertgegenstände den Besitzer wechseln. Dort gibt es viele spannende Männer, die du kennenlernen könntest, sagt er, und: Nimm, was du kriegen kannst.

Uta stellt keine Rückfragen. Von Leipzig hat ihr schon einmal eine Freundin erzählt, die dieses Jahr zum dritten Mal zur Messe fahren würde, jetzt aber krank wird, fluchend zu Hause im eigenen Bett liegt, sich dankbar von Ehemann und Sohn gesund pflegen lässt, zwei Tage vor Messebeginn noch einmal mit Uta spricht und ihr eine Übernachtungsmöglichkeit vermittelt. Uta lässt sich für die letzten Tage im August im Möbelhaus beurlauben, packt für jeden Abend die passende Garderobe ein und fährt die kurze Strecke nach Leipzig. Sie kommt einen Abend vor der offiziellen Messeeröffnung an, findet ihre Unterkunft, findet aber nicht die Bars, in denen die Herren verkehren, die in den kommenden Tagen für die großen Geschäfte sorgen werden.

Anläßlich des Sicherungseinsatzes zur Herbstmesse 1973 lernte ich dort die (schwarzer Balken), wohnhaft in Karl-Marx-Stadt (schwarzer Balken) kennen. Von ihr erfuhr ich, daß sie umfangreiche Verbindungen zu männlichen Personen aus dem NSW unterhält. Ihren Äußerungen entnahm ich, daß sie diese Verbindungen auf der Grundlage sexueller Beziehungen herstellt und sich davon finanzielle Vorteile sichert. Unter anderem zeigte sie mir selbst Valuta in verschiedenen Währungen. Nach meinen Feststellungen hält sie sich in der Hauptsache im Hotel Am Ring in Leipzig auf. In der Auswahl des genannten Personenkreises ist sie nicht wählerisch. In der Regel werden die Leute durch sie getestet. Sobald sie feststellt, daß diese Leute vermögend sind bzw. für intime Beziehungen einen guten Betrag anbieten, geht sie die Verbindungen ein. Sie nutzt dabei einmal die Räumlichkeiten der Gäste bzw. die Wohnung einer Freundin. Sie erzählte mir unter anderem, daß ihr Ehemann über diese Beziehungen unterrichtet sei und sie billigt. Während der Zeit der zwei Messen hält er sich überwiegend von ihr fern. Die (schwarzer Balken) selbst machte mir dabei das Angebot, zu ähnlichen Zwecken die Wohnung der Freundin zu nutzen, wenn ich ihr dafür einen angemessenen Betrag in Valuta geben würde. Aus dem Erzählen der Frau (schwarzer Balken) konnte ich weiterhin entnehmen, daß sie bereits feste intime Verbindungen zu Bürgern aus der BRD, Schweiz, Niederlande usw. unterhält. Es kann eingeschätzt werden, daß Frau (schwarzer Balken) bei entsprechender Frisur usw. bei Männern anspricht. Ihr Auftreten in der Öffentlichkeit ist sicher auf den Partner ansprechend und der Situation niveauvoll angepaßt.

Die war drei oder vier Jahre älter als ich. Jeder Mann konnte sehen, was die da macht. Dafür musste man kein besonders geschultes Auge haben. Ich bin zuerst alleine hierhergefahren. Da habe ich zwar Männerbekanntschaften gemacht, aber habe dabei kein Geld verlangt. Natürlich habe ich auch mal welches bekommen, aber die meisten Männer haben mir einfach nur Geschenke gemacht, Strumpfhosen, Schmuck, Parfüm. Am zweiten oder dritten Tag hat dann sie sich zu mir gesetzt, Anett hieß die. Sie muss gesehen haben, was ich vorhatte. Sie ist nicht gleich mit der Tür ins Haus gefallen, sondern hat erst mal einfach nur ein bisschen mit mir gequatscht, wir haben was zusammen getrunken, uns einfach unterhalten. Das war am Nachmittag, da war noch nicht viel los, und wenn du da so in einem Hotel an der Bar sitzt, dann weißt du, was die andere Frau will. Ab da waren wir immer zu zweit unterwegs, weil es dann einfacher ist und du dich, gerade am Anfang, selbstverständlicher bewegst, einfacher in die Hotels hineingehst, dich an die Bar setzt und dir was zu trinken bestellst. Sie hat dann auch schnell angeboten, dass ich mit bei ihrer Freundin wohne. Aber das habe ich abgelehnt, dann wäre ich zu sehr von ihr abhängig gewesen. Stattdessen habe ich mir ein Zimmer bei einer älteren Frau gesucht, nördlich vom Bahnhof. Von dort konnte ich immer zu Fuß zur Messe oder ins Hotel Astoria gehen, später auch ins Inter. Das Zimmer war sehr billig, und die alte Frau hat überhaupt nicht interessiert, warum ich in der Stadt war. Ich weiß nicht, was sie sich gedacht hat, und Männer habe ich nur ganz selten mit zu ihr genommen. Wirklich gestört haben kann es sie nicht, denn ich habe in den Folgejahren oft noch bei ihr gewohnt.

Anett hat mir im Grunde alles beigebracht. Die hat mir alles erklärt, von Anfang an. Tipps hat sie mir gegeben, schließlich hat sie das schon eine Weile gemacht. Wie lange sie das schon machte, hat sie mir aber nie gesagt. Auch nicht, von wem sie das ganze Wissen hatte. Kann sein, dass sie sich das alles selber beigebracht hatte. Auf jeden Fall hat sie mir sogar ganz genau die Formulierungen gesagt, mit denen ich das Geld verlangen sollte. Und auch, wie viel ich verlangen sollte, hat sie mir gesagt. Verlang das und verlang das, hat sie gesagt. Ich hatte ja gar keine Ahnung. Und trotzdem hielt es bei mir Jahre an, dass ich nichts verlangt habe. Es kam immer auf den Mann drauf an. Bei dem einen habe ich was verlangt, bei dem anderen eben nicht. Sie hat mich danach immer gefragt. Bekommen habe ich immer was, Seife oder Parfüm oder Schmuck. Da hat sie dann gesagt: Nein, du musst Geld verlangen. Die Geschenke machen dir die Männer sowieso. Für mich war das einfach nur hilfreich, dass sie da war.

Ich wäre niemals auf die Idee gekommen, dass die STASI sie auf mich angesetzt hat. Ich musste das erst selbst ein paar Jahre machen, aber heute denke ich, zufällig hat sie mich nicht angesprochen, und es gab ja nicht viele, die wussten, dass ich nach Leipzig gefahren bin. Gefragt habe ich sie nie. Was hätte ich ihr denn dann sagen sollen? Irgendwann ist die Freundschaft auch auseinandergegangen, und ich habe sie vollständig aus den Augen verloren. Viel später, das war wahrscheinlich schon in den Neunzigern, saß ich hier unten im Hotel an der Bar, und da ging eine ältere Frau an mir vorbei, und ich dachte: Mein Gott, was will denn diese alte Hure hier? Erst beim zweiten Mal hinschauen habe ich sie erkannt, und irgendwie kamen wir natürlich auch immer noch auf unseren Schnitt, aber angesprochen habe ich sie nicht. Ich wollte das alles gar nicht wissen. Ich wollte nicht, dass die ganze alte Zeit wiederkommt.

Uta hält inne. Über uns jagen sich kleine Singvögel durch den Baum, und um uns herum ist der Boden klebrig. Die Linden blühen, und zu ihren Füßen überziehen Pollen den Boden mit einer süßlich duftenden, klebrigen Schicht. Uta wirft eine Zigarette auf den Boden, die aber nicht weit rollt, sondern direkt an der Stelle, an der sie auf den Boden trifft, hängen bleibt. Ihr Lippenstift ist daran zu sehen, ein leuchtend roter Farbrest, der den Filter vollkommen umrundet. Um uns liegen viele solcher Zigarettenreste herum. Es ist sehr heiß. Es ist August oder Juli. Wir haben unser Treffen zweimal auf einen späteren Zeitpunkt verschoben, weil sie bei dieser Hitze keine Kraft hat, die Wohnung zu verlassen. Die Sonne verschwindet langsam hinter den Häusern. Für den Abend hat Uta sich ein Stofftuch mitgebracht. Zweimal hat sie sich damit bereits den Schweiß von der Stirn gewischt, jetzt ist sie dazu übergegangen, Wasser auf das Tuch zu kippen, um sich dann damit über die Handgelenke und den Nacken zu streichen. Später wird sie sich den nassen Lappen um den Hals legen, und das Wasser wird langsam durch ihre Seidenbluse sickern, dort verdunsten. Aus der Plastiktüte neben sich holt sie eine Ein-Liter-Packung Wein, füllt sich nach, hebt ihren Becher, wir stoßen an. Seit knapp zwei Stunden sitzen wir hier. Ich musste einmal kurz fort, um neue Batterien für das Aufnahmegerät zu besorgen, die erste Stunde war sie sichtbar angestrengt, oft schnaufend, die Füße weit von sich gestreckt, ohne Schuhe und Socken, mit den Fersen am Boden leicht festklebend. Jetzt ist sie in Gesprächslaune, kommt auf die letzten Jahre ihrer zweiten Ehe zu sprechen, stutzt kurz, weil sie plötzlich die Winter in Chemnitz vor Augen hat, wischt den Moment weg, steckt sich eine neue Zigarette an, schiebt fast zeitgleich ein Hustenbonbon in den Mund, kehrt um und findet sich in Leipzig ein, im September 1973. Als ich sie am Abend verabschiede, streichelt sie mir über den Kopf, sagt mein Guter zu mir, und wir rauchen noch eine ihrer langen, dünnen Zigaretten zusammen. Dann lasse ich sie im Park zurück.

Es ist Zufall, dass Uta und ich uns kennengelernt haben. Eine Freundin von mir war, im Rahmen ihrer Forschung in Leipzig, an einem Abend müde in eine Bar gegangen. An einem der Tische saß eine ältere Frau. Sie kamen ins Gespräch. Über vier Stunden erzählte Uta Einzelheiten aus ihrem Leben. Am nächsten Morgen rief die Freundin mich an, war verwirrt und überfordert und gleichzeitig eingenommen von einer Person, die sich ihr fast hemmungslos offenbart hatte. Vier Wochen später trafen wir uns zum ersten Mal zu dritt in Leipzig. Es war der Sommer 2017. Ich habe schon öfter darüber nachgedacht, meine Geschichte aufschreiben zu lassen, sagt Uta zur Verabschiedung. Über Umwege lasse ich ihr zwei ältere Bücher von mir zukommen. So etwas habe ich mir überhaupt nicht vorgestellt. Das ist gar nicht mein Geschmack. Wir entscheiden uns trotzdem dazu, es zu probieren und erste Treffen auszumachen, jetzt nur noch zu zweit.

Nach den ersten acht Monaten, in denen wir uns langsam und vorsichtig kennenlernen, während ich noch über 500 Kilometer entfernt wohne, wir uns nur alle zwei Monate treffen und Uta mir zwischendurch kurze, handschriftliche Briefe schickt, in denen sie abzuschätzen versucht, ob ich die passende Person bin, um sich ihrer Geschichte anzunehmen, beschließen wir, zusammen ihre Akten zu beantragen.

1995 war ihr schon einmal ein Brief von der BSTU zugestellt worden. Eine Art Vorgeschmack, wie sie sagt. Ein kleiner Ausschnitt aus ihrer Akte, versehen mit der Anfrage, ob sie eine gesamte Akteneinsicht beantragen möchte. Damals war ich in Langzeittherapie und knapp mit dem Geld. Ich habe mich gefragt: Bringt dir das was, dass du dann weißt, der oder die hat mich bespitzelt? Und dafür auch noch 150,— D-Mark zahlen?

Damals haben die mir vier oder fünf Seiten geschickt. Da waren die Namen geschwärzt. Eines weiß ich trotzdem noch: Da hat eine, die mich bespitzelt hat, geschrieben: »Die Krahl war mir namentlich vorher nicht bekannt. Aber ich habe festgestellt: Sie und ihr Kind gehen sauber und gut gekleidet. Und finanziell scheinen sie gut gestellt zu sein, denn sie hat vorherigen Monat sämtliche Gardinen in der Wohnung erneuert.« Erneuert? Da musste ich lachen. Weißt du, was ich gemacht habe? Ich habe die Gardinen vom Küchenfenster, das war hinten raus, ins Wohnzimmer, die aus dem Wohnzimmer ins Schlafzimmer gehängt. Einfach ein Ringtausch.

Die Leute haben damals viel über mich geredet. Das war ja auch klar. Du hattest immer viel Besuch, auch Ausländer, und gehst viel in die Kneipe, und siehst immer toll aus, auch mal mit Westklamotten.

In ihrer Wohnung notiert Uta auf dem Formular des Bundesbeauftragten für die Unterlagen der Staatssicherheit alle notwendigen Informationen. Dann fülle ich die leeren Felder so gut es geht aus. Über Wochen trage ich den halb ausgefüllten Antrag mit mir herum, als würde ich versuchen, all den damit verbundenen Vorahnungen aus dem Weg gehen zu können, als könnte ich das, was sich dahinter verbirgt, abtragen. Als ich wieder bei Uta in der Wohnung bin, unterschreibt sie, gibt mir das Blatt zurück, und wir machen uns zusammen auf den Weg zum Dittrichring 24, zur Außenstelle der Behörde. Das meiste habe ich dir ja schon erzählt, hallt es in meinem Kopf nach.

Weiter als bis in den ersten Raum hinter der Eingangstür werden wir nicht vorgelassen. Über einen riesigen Tresen hinweg werden wir vom Pförtner nach unserem Anliegen gefragt. Während ich in meiner Tasche nach dem entsprechenden Dokument suche und erklärende Worte verliere, ist Uta ein paar Meter vor dem Tresen stehen geblieben. Wo haben Sie denn eine Toilette, sagt sie. Nachdem ich den Antrag abgegeben habe, warte ich schweigend neben dem Pförtner. Uta kommt ein paar Augenblicke später zurück, wortlos verlassen wir das Gebäude. Erst auf Höhe der Thomas-Kirche bleibt Uta stehen. Ich habe sofort Durchfall bekommen, als ich das da drinnen alles gesehen habe, die Symbole, die Sprache, die ganze Atmosphäre. Wir setzen uns auf eine Parkbank. Während Uta ihre Zigarette raucht, lehne ich mich zurück, ohne dabei zu realisieren, dass ich meinen Rucksack noch nicht abgesetzt habe. Er ist jetzt vollkommen leer.

Was, frage ich mich, wenn herauskommt, dass es keine Akten zu ihrer Person im Archiv der Staatssicherheit gibt? Was, wenn vieles von dem, was sie erzählt, widerlegt wird? Wer eigentlich ist es, der oder die erzählt? Anstatt die ungewisse Zeit bis zur Aktenausgabe abzuwarten, führen wir unsere Gespräche fort. Mal alle drei Wochen, mal alle neun Wochen treffen wir uns, entweder in Utas Lieblingsbar, bei ihr zu Hause oder im Park. Außer ihren Erzählungen gibt es nicht viel. Wohnadressen, Eckdaten von Familienangehörigen oder ehemalige Berufsverhältnisse lassen sich recherchieren. Alles aber, was sich innerhalb dieses groben Gerüsts zugetragen hat, ist schwer belegbar. Nicht selten kommt es vor, dass Uta sich selbst im Laufe eines Gespräches widerspricht. Bei der Nachbereitung der Gespräche tauchen Versatzstücke einzelner Erzählungen an unterschiedlichen Stellen auf, Personenbeschreibungen, Ereignisse, die zeitversetzt, aber parallel verlaufen. Widersprüche treten hervor, die bei genauerer Betrachtung meiner Unaufmerksamkeit geschuldet sind, fast als würde ich danach suchen — und dann, aus weiterer Entfernung, fügen sich die zeitlichen Abläufe doch zu einem brüchigen Bild zusammen. Ich werfe jeden angefangenen Zeitstrahl einer durchgängigen Erzählung über den Haufen und verlasse mich ganz auf den stolpernden Weg, den sich Uta durch ihre Erinnerungen zu bahnen versucht. Beim Lesen unserer Gespräche bleibe ich an meinen eigenen Sätzen hängen, die sich wie selbstverständlich in Utas Erzählungen eingefügt haben. Du musst schreiben, wie die Leute reden, rät sie mir. So etwas lesen die Leute gerne. Manchmal weiß ich gar nicht, was ich höre.

Am Montag, den 8.9.73, erscheint Uta wieder wie gewöhnlich zur Arbeit im Möbelgeschäft in der Zwickauer Altstadt. Zwischen den Anrichten und Ausstellungsschränken hat niemand eine Ahnung davon, dass sie die vorherige Woche nicht dazu genutzt hat, mit ihrem Kind Fahrradfahren zu üben, wie sie den anderen Mitarbeiterinnen wiederholt in den kurzen Arbeitspausen erzählt. Diese haben ihre ganz eigenen Vorstellungen, was sie womöglich gemacht haben mag. Nur eine jüngere Kollegin hat schon vor Utas Urlaubswoche ihren Verdacht unverhohlen geäußert, am Freitag kurz vor Dienstende sie über den Verkaufstresen hinweg gefragt, wann fährst du denn nach Leipzig? Uta aber hat sie korrigiert, hat richtiggestellt, dass sie nicht nach Leipzig fährt, dass sie die freien Tage bei sich zu Hause verbringen werde, da reichlich was an Hausarbeit liegengeblieben ist in den letzten Wochen. Die Kollegin hat das nur notwendigerweise akzeptiert, schaut dafür umso genauer hin, als Uta jetzt wieder zur Arbeit da ist, kann jedoch keinerlei sichtbare Veränderung erkennen. Dabei haben sich die Tage in Leipzig aus Utas Sicht mehr als gelohnt. Trotz ihrer Anfangsschwierigkeiten kann sie am Abend ihrer Rückkehr, unbeachtet von Kind und Nachbarn, auf ihrem Bett ihre Errungenschaften ausbreiten, Parfüm und zwei schwarze Nylonstrumpfhosen, zwei Paar Ohrringe, eine Perlenkette, eine goldene Halskette und einen Armreif, dazu einen Stapel an Geldscheinen, in Währungen, die sie noch nie zuvor gesehen hat, D-Mark, Kronen und Dollars, umgerechnet und zusammengezählt mehr, als sie in sechs Wochen im Möbelgeschäft verdient. Sie betrachtet die Gegenstände, für einige Augenblicke neben ihnen auf dem Bett liegend, und beginnt sie dann einzeln in dafür nicht vorgesehenen, aussortierten Socken zu verstauen, die sie nacheinander im hinteren Bereich ihres Kleiderschranks verwahrt. Die Geldscheine sortiert sie nach Währungen. Den gesamten in Ost-Mark vorhandenen Betrag steckt sie in ihre Handtasche, den deutlich größeren Betrag unterschiedlichster anderer Währungen schiebt sie in einem großen Briefumschlag unter den Schrank. Jetzt löscht sie das Licht im Schlafzimmer und zieht die Tür leise hinter sich zu, setzt sich an den Küchentisch, greift sich mehrere leere Blatt Papier und einen Stift und schreibt BerichtLHM oben auf das erste. Ihr flirren die Tage. Wider die Anweisungen hat sie es versäumt, sich zwischenzeitlich Notizen zu machen, viel zu riskant erschien ihr das angesichts der Möglichkeit, im Laufe der Zeit Herrenbesuch im eigenen Quartier zu empfangen. Sie geht langsam im Kopf die einzelnen Stunden durch, macht vor sich auf dem Blatt eine Liste aller Tage, schreibt anschließend alle Orte, Hotels und Räume auf, um im letzten Schritt die Männer zu notieren, mal nur als Beschreibung, in einem Wort, mal mit Name, Anschrift und Telefonnummer, wobei sie die Informationen den Visitenkarten entnimmt, die einige Männer ihr als Nachweis der beruflichen Qualifikation ausgehändigt haben. Danach schreibt sie hinter jeden Namen alles, was ihr in Erinnerung geblieben ist. Dann selektiert sie die Worte und Sätze, streicht, was ihr als unsachlich erscheint, präzisiert ihre Erinnerungen auf das Wesentliche. Hinter manchen Einträgen steht am Ende nur die Haarfarbe. Gesprächsinhalte rekonstruiert sie, staucht Stunden an der Bar zusammen auf wenige Halbsätze und lässt einen Mann schließlich ganz verschwinden, erscheint ihr dieser doch bei genauerer Betrachtung als unaufregend, hat sie sich doch mehr in den Bann gezogen gefühlt von seiner farblich abgestimmten Garderobe, dem englischen Jackett und den italienischen Schuhen, kann aber kaum Nennenswertes an ihm finden und sieht sich gezwungen, ihre Konzentration im Umgang mit ihrer neuen Kundschaft auf die vorgegebenen Wertigkeiten zu beschränken. Offizier Balke ist nicht überzeugt. Er hat sich detailliertere Auskünfte über konkrete Sachverhalte erhofft, findet stattdessen kaum Informationen, die seinen Zuständigkeitsbereich betreffen, blättert dennoch nicht uninteressiert durch den abgegebenen Bericht und hält schließlich Oberleutnant Maurer erneut dazu an, Uta strenger im Erstellen ihrer Berichte zu betreuen, sie dazu zu bringen, mehr Informationen über die Männer zu sammeln und ihre Möglichkeiten des vertrauten Gesprächs besser auszuschöpfen.

Am 12.9.73 lernte ich in der Nachtbar »Astro-Bar« in Zwickau gegen 22 Uhr den Franzosen (schwarzer Balken) kennen. Dieser arbeitet zur Zeit in der DDR als Monteur für Textilmaschinen und wird ca. 2—3 Monate hier in der DDR bleiben. Er wohnt in (schwarzer Balken) und arbeitet auch in (schwarzer Balken). Sein Kollege ca. 50 Jahre, von dem mir kein Name bekannt ist, befand sich in seiner Begleitung. Er fuhr einen zitronengelben Mercedes, der aber wahrscheinlich nicht sein Eigentum war. In Frankreich ist er verheiratet, hat 3 Kinder. 1,70 groß, braunes Haar, ca. 35 Jahre. Dunkelbraune Augen. Er raucht am liebsten starke französische Zigaretten oder Stuardess. Gegen 2 Uhr morgens fuhren wir nach (schwarzer Balken), lieferten dort seinen Freund ab und anschließend fuhr er mich nach Hause und übernachtete auch bei mir. Er will mich am Freitag dieser Woche noch einmal aufsuchen. Danach werde ich genauer über ihn berichten.

(schwarzer Balken)

Kennengelernt im September 1971 in Zwickau, ca. 38 Jahre alt, verheiratet. Arbeitet als Monteur schon längere Zeit in der DDR und ist auf dem Gebiet der Be- und Entlüftung tätig. Mai bis Ende Oktober Metallfabrik Mittweida, November bis April in Werdau. Abreise 30.4.72. Voraussichtliche Ankunft ca. Mitte August. Fährt einen zitronengelben Citroën DS. Hat viele Freunde in Zwickau und spricht perfekt deutsch und auch spanisch. Kennt 2, 3, 4 und 5.

(schwarzer Balken)

Kennengelernt im April ’73. Freund von (schwarzer Balken), steht mit dieser im Briefwechsel. Arbeitet von Oktober bis März in Fraureuth. Sein Vater ist eine einflußreiche Persönlichkeit. Er kennt 1, 3, 4 und 5.

(schwarzer Balken)

Kennengelernt Ende Juni ’73. Ist 26 und ledig. Arbeitet von Januar bis August in Fraureuth. Kennt 1, 2, 4 und 5.

(schwarzer Balken)

Kennengelernt Ende Juni ’73. Ist 41 und verheiratet, zwei Kinder. Arbeitet von Januar bis August in Fraureuth. Kennt 1, 2, 3 und 5.

(schwarzer Balken)

Kennengelernt September ’73 in Leipzig. Ist 45 und verheiratet, drei Kinder. Arbeitet von März bis Oktober in Fraureuth. Kennt 1, 2, 3 und 4.

Maurer hat Gefallen gefunden an den Treffen mit der jungen Frau. Alle drei Wochen treffen sie sich, nach Möglichkeit, am frühen Abend im Café Schwarz, unterhalten sich kurz, trinken gemeinsam ein Glas Wein und gehen erst dann in den Horst. Maurer kann diese öffentlichen Treffen dienstlich kaum legitimieren und vermerkt daher fälschlicherweise im Protokoll einzig TQu Horst als Treffpunkt, wovon Uta wenig mitbekommt, Maurer weist sie lediglich an, ihm ihre Berichte erst im Horst auszuhändigen, womit ihr Gespräch dort dem Verlauf des abgehefteten Protokolls entspricht und weniger ausartet als im Café Schwarz. Auch Uta hat Gefallen gefunden an diesem Termin, der sie regelmäßig in die Verlegenheit bringt, Erklärungen für ihre Abwesenheit bei der Arbeitsstelle zu finden. Maurer schätzt ihre Tätigkeit, entlohnt jeden angefertigten Bericht und zahlt auch mal für ein Treffen ohne verschriftlichte Informationen 50,— Mark. Dabei ist Zwickau klein, nicht selten kommt es vor, dass Uta Maurer unvorbereitet trifft, sie erkennt den Oberleutnant auch in Zivil schon von weitem an seiner Art, sich zu bewegen, aus Vorsicht prägt sie sich schnell die Orte ein, an denen er seine Feierabende verbringt, in der Regel nicht allein, sondern in der Gesellschaft anderer fester Mitarbeiter, und sie entschließt sich, diese Bars langfristig zu meiden, obwohl Maurer bei ihren zufälligen Begegnungen nie Reaktion zeigt. Dabei steht er seit Januar 1974 unter Druck, hat Balke doch nach erneuter Durchsicht der Berichte Utas die weitere Zusammenarbeit in Frage gestellt, da er keine für sein Kommissariat nützliche Informationen entdecken kann, zugleich sieht er aber die Notwendigkeit, die Frau weiterhin unter der Obhut einer regulierenden Instanz zu halten. In ihm aber sträubt sich etwas dagegen, eine seiner wenigen Fachkräfte an die Aufgabe zu binden, und so unterweist er Maurer, die Zusammenarbeit mit Frau Lohtner zu prüfen. Maurer spricht mit Uta, erkundigt sich, wie sie die Feiertage verbracht hat, welche Vorkommnisse es gegeben hat und welche Personen sie vielleicht kennengelernt hat. Viele von diesen kennt Maurer bereits, hat an anderer Stelle, mal hier, mal dort, eine Notiz zu den entsprechenden Figuren gelesen, hört von Uta aber auch, dass sich in den Bars und Cafés von Zwickau zwischen den Jahren wenig zugetragen hat, dass die für sie als Kommissariat relevante Klientel sich nicht in den genannten Etablissements herumtreibt und eher an anderen Orten aufzustöbern ist, dass den Jahreswechsel überhaupt viele Gäste aus dem NSW in ihren Herkunftsländern verbracht haben. Für die lokale Kriminalstatistik ist ihr Wissen wenig hilfreich, die Männer, die sie kennenlernt, prahlen in der Bar nicht damit, ein Auto gestohlen oder die Statistiken ihrer Sollerfüllung verfälscht zu haben, sie schreiben ihr Postkarten aus Paris und von Schloss Neuschwanstein, schenken ihr Schmuck oder schicken für ihr Kind eine Jeans.

Am Freitag, den 16.12.73 traf ich in Zwickau mit (schwarzer Balken) zusammen, wohnhaft in Zwickau (schwarzer Balken). Es war gegen 22:30 Uhr. Er tanzte des öfteren mit mir und lud mich dann zu einer Flasche Wein an seinen Tisch ein. Anschließend lud er mich in seine Wohnung ein. Er ist geschieden und hat einen 9jährigen Sohn. Seine Wohnung ist nicht besonders eingerichtet. Die gesamte Einrichtung beläuft sich nach meiner Schätzung auf ca. 2000,— M. Allerdings habe ich nur die Küche und die Wohnstube gesehen. Außerdem besitzt er noch ein Schlafzimmer, was eine Etage tiefer liegt, wovon ich aber nicht genau weiß, ob es eingerichtet ist.

An diesem Abend brachte er das Gespräch noch einmal auf diese Sache, die er mir vorgeschlagen hatte, wo ich mir etwas nebenbei verdienen sollte. Dann ist er gar nicht mehr auf das Thema eingegangen und hat einfach weitergesprochen. Außerdem brachte er das Gespräch auf einen Bekannten von mir, (schwarzer Balken), wohnhaft in Zwickau (schwarzer Balken). Er interessierte sich sehr für ihn, vor allem über berufliches, seine genaue Tätigkeit usw. Ich hatte auch zu (schwarzer Balken) intime Beziehungen aufgenommen, die ganz normal verliefen.

Nach einer Lichtbildvorlage kann ich über diese Person folgendes sagen: Er verkehrt viel in der Astro-Bar, vor allem wenn Diskothek ist; außerdem in der Bar Goldener Hahn. Er tanzte auch schon mit mir und ich habe mich des öfteren mit ihm unterhalten. Er hat viele Bekannte in diesen Gaststätten, vor allem Jungen und Mädchen, die bedeutend jünger sind als er und einen zweifelhaften Eindruck auf mich machten. Ich wäre zu jeder Zeit in der Lage, wenn von seiner Seite aus ein kleiner Anstoß gegeben wird, zu ihm Verbindung aufzunehmen. Er kennt auch gut den Einlasser von der Astro-Bar und den ehemaligen Diskjockey der Astro-Bar.

Maurer sieht die Akten nochmals durch, findet nicht das, was er sucht, trifft sich jetzt aber noch häufiger mit Uta, die ihm bei ihrem Treffen im Januar eine Weihnachtskarte aus Westdeutschland zeigt, eine schneebedeckte Stadtlandschaft mit weihnachtlicher Beleuchtung und der geschwungenen Beschriftung Fröhliche Weihnachten und einen guten Rutsch ins Neue Jahr