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Kroatien, vor allem die Küstenregion, gilt seit Jahren als eines der beliebtesten Urlaubsziele der Deutschen. Nicht nur Sonne, Strand und Meer, köstlicher Wein und üppige Grillteller bringen Urlauber ins Schwärmen. Auch die liebenswerten, heiteren Bewohner muss man einfach mögen – oder auch nicht. Da sind die Kroaten gerade noch so wunderbar gesellig, und schon im nächsten Atemzug verfluchen sie ihre eigene Mutter. Nicht nur die Stimmung sondern die gesamte Lage der Nation hängt von ein paar Fußballtoren ab: Diese genügen, und schon lösen die Kroaten ein echtes Erdbeben aus! Sie leben weit über ihre Verhältnisse und sind zutiefst beleidigt, wenn mal Gemüse auf ihrem Grill landet. Zebrastreifen halten sie für schnöden Straßenschmuck, der Kruzifix am Rückspiegel legitimiert den Bleifuß, und überhaupt gehört der Asphalt ihnen. Jeder Deutsche, ob in Hamburg oder München, ist für die Kroaten per se ein Schwabe. Und ob man im "Land der 1000 Inseln" nun ein paar mehr oder weniger zählt, wer nimmt das schon so genau? Warum die Kroaten der Rakija mehr als ihrem Hausarzt vertrauen, erfahren Sie ebenfalls in diesem Buch. In 55 Kapiteln verrät Ihnen Veronika Wengert die ganze Wahrheit über Kroatien – vorausgesetzt, Sie sind bereit dafür.
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Seitenzahl: 202
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Veronika Wengert, M.A., ist als Reisebuchautorin, Journalistin und beeidigte Übersetzerin auf den europäischen Südosten und Osten spezialisiert. Sie hat kroatische Wurzeln und ist zweisprachig aufgewachsen. Gut elf Jahre hat sie in Moskau und Zagreb studiert, gearbeitet und recherchiert, mehrere Monate auch in Ljubljana und Sofia. Über ihre Lieblingsländer Kroatien, Slowenien und Russland schreibt und aktualisiert sie regelmäßig Reiseführer und interkulturelle Ratgeber. Mit ihrer Familie lebt sie zwar in Bayern, doch so oft es geht, zieht es sie in den (Süd-)osten Europas.
www.veronika-wengert.de
VERONIKA WENGERT
Was Sie dachten
NIEMALS
über
KROATIEN
wissen zu wollen
55 ungetrübte Einblickein ein sonniges Adrialand
© Conbook Medien GmbH, Neuss, 2022
Alle Rechte vorbehalten.
www.conbook-verlag.de
Textredaktion: Meike Key, Rueil-Malmaison, Frankreich Einbandgestaltung: Weiß-Freiburg GmbH, Grafik und Buchgestaltung unter Verwendung der Motive von balounm/Shutterstock.com und Melinda Nagy/Shutterstock.com
Satz: Röser MEDIA, Karlsruhe
Druck und Verarbeitung: Multiprint, Bulgarien
ISBN: 9783958893566
893368 01 22 66
Die in diesem Buch dargestellten Zusammenhänge, Erlebnisse und Thesen entstammen den Erfahrungen und/oder der Fantasie der Autorin und/oder geben ihre Sicht der Ereignisse wieder. Etwaige Ähnlichkeiten mit lebenden Personen, Unternehmen oder Institutionen sowie deren Handlungen und Ansichten sind rein zufällig. Die genannten Fakten wurden mit größtmöglicher Sorgfalt recherchiert, eine Garantie für Richtigkeit und Vollständigkeit können aber weder der Verlag noch die Autorin übernehmen. Lesermeinungen gerne an [email protected].
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1. Kroatien ist anziehend wie ein Hosenrock
2. In Kroatien zählen nur Autos mit Stern
3. Kroatien gehört nur manchmal zum Balkan
4. Die Kroaten trinken Pipi
5. In Kroatien lauert der Weiße Hai auf Opfer
6. Die Kroaten bitten halbnackte Touristen zur Kasse
7. Die Kroaten und die Münchner verbindet der Wind
8. Plastik bringt die Kroaten ans Grab
9. Die Kroaten trinken kurzen Kaffee gerne lang
10. Serben und Kroaten – »Beziehungsstatus: Es ist kompliziert«
11. In Kroatien ist kein Fisch in der Fischsuppe
12. In Kroatien nimmt die Zahl der Urlauber Überhand
13. Der propuh bringt die Kroaten ins Grab
14. Die Kroaten verfluchen so ziemlich alles
15. Kroatien kann nur Millionenautos
16. Jedem Kroaten seine Pistole
17. Die Kroaten lassen die Erde beben
18. Die Kroaten haben sich verzählt
19. In Kroatien gibt es keine Meister
20. Kroatien ist schuld am Mord im Orient-Express
21. Die Kroaten haben merkwürdige Denkmäler
22. Die Kroaten leben auf der Überholspur
23. Die Kroaten brauchen kein Hygge, um glücklich zu sein
24. Die Kroaten parken ihr Auto dauerhaft im Wald
25. Die Kroaten sind echte Sprachtalente
26. Manche Kroaten sind verkappte Österreicher
27. Kroaten lassen nur ungern die Hosen runter
– Warum Sie immer wieder nach Kroatien reisen sollten
28. Kroatiens Zukunft liegt in der Mokkatasse
29. Die Kroaten schlafen auf roten Zwiebeln
30. In Kroatien geht es der Arena an den Kragen
31. Ohne Vitamin B geht in Kroatien gar nichts
32. Die Kroatien kaufen Pumps auf Pump
33. In Kroatien hat Licht viele Schattenseiten
34. Eine Frau ohne Mann wirft in Kroatien viele Fragen auf
35. Jugoslawiens Übervater hielt die Völker zusammen
36. Kroaten liken ihre Priester
37. Königsmund liegt in Kroatien
38. In Kroatien kann man mit einem Maiglöckchen ausgehen
39. Die Kroaten mögen ihre Freiheit
40. Ein »richtiger« Kroate kann nur eine Frau heiraten
41. Nichtstun ist eine große Kunst in Dalmatien
42. Wer in Kroatien Bahn fährt, muss Zeit mitbringen
43. Die Kroaten hören heimlich Turbo-Folk
44. In Kroatien hat der Schulbus einen Anker
45. Kroatische Männer haben lange … Nasen
46. Kroatischer Schnaps ersetzt eine Drogerie
47. Die Kroaten machen Mist zu Gold
48. Für die Kroaten bedeutet bald sofort
49. Kroatischer Boden kann gefährlich sein
50. Kroaten haben ihre ganz eigene Definition von Helden
51. Für Kroaten dauert ein Jahr ein ganzes Arbeitsleben
52. In Kroatien sind Spanferkel Männersache
53. In Kroatien wohnen alle unter einem Dach
54. In Kroatien geht nichts ohne Vegeta
55. Die Kroaten drehen sich im Kreis
Kroatien ist zum Anbeißen! Ein herrlich fluffiges Vanillekipferl, dessen gebogener Rücken sich an das Nachbarland Slowenien schmiegt. Und während das östliche Ende in Richtung Serbien ganz behäbig und weit ausläuft, eher wie eine Bockwurst, verjüngt sich das andere Ende nach Süden hin, entlang der Adriaküste. Den hohlen Bauch des Kipferls füllt Bosnien und Herzegowina aus. Ein Vanillekipferl? Eine Bockwurst? Solche Bilder im Kopf entstehen, wenn man mit knurrendem Magen schreibt …
Die Kroaten lieben Genuss und gutes Essen. Und die Autorin hat kroatische Wurzeln, also scheint dieser Einstieg naheliegend. Um Low-Carb-Foodies und Vegetariern gerecht zu werden, ist der Vergleich mit einem neutralen Kleidungsstück vielleicht besser: Kroatien sieht nämlich aus wie eine liegende Hose mit einem XL-Gesäßteil, das sich von der Kvarner Bucht über die Hauptstadt Zagreb bis zur ungarischen Grenze hinaufzieht. Istrien, die größte kroatische Halbinsel und Lieblingsbadewanne deutscher und österreichischer Urlauber, wäre in diesem Fall eine weit herausstehende Hosentasche (das klingt ziemlich unromantisch, denn eigentlich ist Kroatiens größte Halbinsel ja herzförmig!). Das Schnittmuster wäre asymmetrisch: Das obere Bein, das über Slawonien, die »Kornkammer« Kroatiens verläuft, erstreckt sich zwischen Drau, Donau und Save. Es wirkt wie die Hälfte eines Hosenrocks. Das linke Bein erinnert hingegen an eine Steghose. Sie wissen schon, diese Hosen aus den 1980er-Jahren, die sich nach unten hin verengen und mit einem Gummizug über den Fuß gespannt werden (wie Kleinkinder-Matschhosen). Bis die Steghose Montenegro im Süden erreicht, wird sie auf Wadenhöhe von der Küstenstadt Neum durchbrochen, die zu Bosnien und Herzegowina gehört. Die Hose könnte ein paar Nieten zum Aufpeppen vertragen? Denken Sie sich diese in Form von mehr als 1.000 Inseln hinzu, die sich entlang der Adria verteilen.
Von sanften Hügeln über dichte Wälder bis hin zu kargem Hinterland und blühenden Küstenstädten vereint Kroatien viele Regionen in sich. So vielfältig die Landschaften sind, so bunt sind auch die Mentalität und Mundarten der Bewohner: Im Nordwesten wird das Erbe Österreich-Ungarns mit kremšnite (Cremeschnitten), palčinke (Pfannkuchen) und deutschen Lehnwörtern in der Umgangssprache noch gepflegt, während die Adriaregion von südländischer Leichtigkeit und mediterraner Fjaka geprägt ist. Eine Spur temperamentvolles Balkanerbe darf nicht fehlen und hat durchaus seinen Reiz. Kurzum: Ein Kroate aus dem Međimurje hat mehr mit einem Slowenen aus dem angrenzenden Prekmurje-Gebiet gemeinsam als mit einem Inselbewohner auf Korčula in Süddalmatien. Das wäre ungefähr so, als würden Sie einen Oberbayern auf die Insel Fehmarn schicken – sprachlich und kulturell gesehen. Aber: Wenn die Fußballnationalmannschaft aus dem Ausland in die Hauptstadt Zagreb zurückkehrt, sind alle einmütig Kroaten und schwenken die rot-weiß-blaue Flagge. Dann zählt nur Kroatien, das Land der Vielfalt – Vanillekipferl, Bockwurst oder Hosenrock, ganz wie Sie mögen.
Imotski ist eine beschauliche Kleinstadt im dalmatinischen Hinterland. Kaum jemand würde hier einen Weltrekord vermuten, mit dem nicht mal Moskau oder Dubai mithalten können: In Imotski gibt es nämlich, gemessen an der Einwohnerzahl, so viele Mercedes-Benz-Automobile wie nirgendwo sonst auf der Welt! Ob Sie es glauben oder nicht: Von rund 16.000 registrierten Fahrzeugen hat die Hälfte einen Stern auf der Kühlerhaube. Nicht nur Privatleute, sondern auch die Feuerwehr oder Fahrschulen setzen auf die schwäbische Automarke. Da gibt es den örtlichen Pfarrer, der mit fast 80 Jahren noch einen 280 SL Roadster Baujahr 1969 fuhr. Oder den Präsidenten des Oldtimer Club Imotski, dessen Familie allein 13 Karossen mit Stern besitzt. Die übrigen 160 Clubmitglieder kommen gemeinsam auf gut 500 Autos!
Doch warum ausgerechnet Imotski? Das interessierte auch den schwäbischen Autobauer, der eine Delegation nach Dalmatien schickte, um sich von der hohen Mercedes-Dichte vor Ort zu überzeugen. Ein deutscher Fernsehsender recherchierte ebenfalls, weshalb »der Benz« dort so überproportional häufig anzutreffen war.
Ein Autobesitzer mit einem 40 Jahre alten, knallgelben Mercedes klärte das deutsche Fernsehteam auf: Sehr viele Männer aus Imotski, auch er, seien früher Gastarbeiter in Deutschland gewesen. Der Mercedes galt damals als das Statussymbol schlechthin. Er war ein Zeichen dafür, dass man es in der Ferne zu etwas gebracht hatte, und stand für den persönlichen Erfolg. Wer ohne Mercedes zurückkehrte, hatte es nicht geschafft – so dachte man damals. Noch heute pflegen die Kinder der Gastarbeiter, von denen viele nach Imotski zurückgekehrt sind, den Mercedes-Kult. Oft besitzen sie sogar noch die unverwüstlichen Oldtimer ihrer Väter. Die Liebe zum Mercedes ist in Imotski eben unerschütterlich – und hält nun schon über ein halbes Jahrhundert an.
Harte Fakten
Wer sein Auto liebt, der schiebt: Den Weltrekord in dieser Disziplin hält der Kroate Tomislav Lubenjak. Er schaffte es 2019, ein Fahrzeug in 24 Stunden exakt 106,9 Kilometer weit vor sich herzuschieben. Warum das ausgerechnet im Mercedes-Kapitel steht? Nun ja, es war ein Smart …
Einem Ereignis fiebern die Einwohner von Imotski schon seit Jahren ganz besonders entgegen: der Einweihung eines Mercedes-Denkmals in der Stadt. Die 36 Tonnen schwere »Hommage« ist aus Steinen der Region erbaut und bildet das legendäre 115er-Modell ab. Zudem ist ein neues Automuseum geplant. Und nun raten Sie mal, um welche Marke sich dort alles drehen wird?
Wo liegt Kroatien eigentlich genau? In Südosteuropa? An der Adria? In Mittel- oder Zentraleuropa? Das ist alles sicherlich nicht verkehrt, doch was ist mit dem Balkan? Ja, aber nur manchmal. Wenn eine Straße proportional mehr Schlaglöcher als Asphalt hat oder ein ranghoher Politiker gerade mehrere Wohnungen – die er sich finanziell eigentlich nie leisten könnte – an die liebe Verwandtschaft überschrieben hat, dann sagen die Kroaten gerne: »Ach, das ist der Balkan!« Der Begriff ist negativ behaftet und umfasst alles, was primitiv oder unkultiviert erscheint – darunter Korruption, Vetternwirtschaft und eine marode Infrastruktur. Kroatien gehört geografisch nicht zum Balkan, außer – siehe oben.
Praxistipp
Wenn die Kroaten schimpfen, in ihrem Land herrschten Zustände »wie auf dem Balkan«, ist das eine Sache. Wenn Sie als Ausländer jedoch sagen, Kroatien sei »auf dem oder am Balkan«, kommt das mit Sicherheit nicht so gut an. Wie wäre es ganz einfach und diplomatisch mit der Bezeichnung »Kroatien«, um geopolitische Diskussionen zu vermeiden? Wikipedia ordnet Kroatien übrigens in die »Übergangszone zwischen Mittel- und Südosteuropa« ein.
Eine echte Grenze, wo nun der Balkan tatsächlich beginnt, gibt es nicht. Die Trennlinie ist imaginär und verläuft für jeden anders. Dabei hängt es natürlich immer davon ab, wen Sie fragen: Schon der österreichische Politiker und Diplomat Fürst Metternich (1773–1859) verlegte den Beginn des Balkans auf den Rennweg in Wien, da dort viele Intellektuelle mit südslawischer Muttersprache lebten. Für die Slowenen beginnt der Balkan in Kroatien, für die Kroaten jenseits des Flusses Save, also in Bosnien und Herzegowina. Manchmal fängt der Balkan aber auch erst in Belgrad an. Und so geht es munter weiter. Nach einer umfangreichen Befragung werden Sie feststellen: Der Balkan beginnt immer südlicher, immer bei den anderen! Das gilt vor allem für die Übergangsregionen, zu denen Kroatien gehört. Auf dem »Kernbalkan« selbst, etwa in Bulgarien oder Nordmazedonien, geht man weitaus lockerer mit dem Begriff um.
Theorien gibt es viele. Je nachdem, für welche man sich entscheidet, verläuft die Nordgrenze an der Donau oder entlang der Save. Im Südwesten bilden der slowenisch-kroatische Grenzfluss Kupa oder die Una die ungeschriebene »Balkangrenze«. Seit einigen Jahren wird der Dachbegriff »Westbalkan« genutzt, der zunächst das ehemalige Jugoslawien plus Albanien umfasst, heute zählen die EU-Länder Slowenien und Kroatien allerdings nicht mehr dazu. Mit diesem geopolitischen Sammelbegriff waren nicht alle Kroaten glücklich, da Serbien genau in der Mitte dieses imaginären Konstrukts läge – und das erinnert an alte Machtstrukturen. Manche Kroaten würden Kroatien auch gerne in der Visegrád-Gruppe sehen, gemeinsam mit Polen, Tschechien, der Slowakei und Ungarn.
Aber
Das Zugehörigkeitsgefühl der Kroaten hängt mit der Geschichte des Landes zusammen: Aus der k.u.k.-Zeit stammen viele kulturelle Gepflogenheiten, aber auch kulinarische Besonderheiten wie üppige kremšnite oder die Jugendstil-Kaffeehäuser in Zagreb. Sie zeugen bis heute von einer tief verwurzelten, mitteleuropäischen Identität in Binnenkroatien. Die Küstenregion unterstand mehrere Jahrhunderte lang der Republik Venedig, später zeitweise auch Italien – und gibt sich insgesamt eher mediterran: Viele Kirchtürme in Istrien wurden dem Campanile der Markuskirche von Venedig nachempfunden, der italienische Wortschatz ist groß (auch wenn die italienische Minderheit die Halbinsel mehrheitlich unter Tito verlassen hat), ebenso wie die gemeinsame Küche (Eis, Pizza, Pasta, Polenta oder Jota-Eintopf). Bleibt noch Slawonien, dessen langgestreckte Straßendörfer und üppige Gulaschgerichte an das benachbarte Ungarn oder die zu Serbien gehörende Provinz Vojvodina erinnern, mit denen es zu Habsburger Zeiten verschmolzen war. Was die Krajina an der Grenze zu Bosnien betrifft: Hier wurden damals serbische Militärbauern angesiedelt, um die Osmanen (da haben wir ihn ja, den »Balkaneinfluss«) auf ihrem Weg nach Wien aufzuhalten. Das erklärt auch die serbische Minderheit in Kroatien, die in dieser Grenzregion (wörtlich: krajina) seit Jahrhunderten lebte – und im jüngsten Krieg (1991–1995) vertrieben wurde.
Das vielbeachtete Buch Die Erfindung des Balkans von Maria Todorova setzte sich um die Jahrtausendwende mit dem weit verbreiteten Vorurteil auseinander, dass der Balkan ein »unzivilisierter Ort der Konflikte« sei. Überhaupt wurde der Balkanbegriff in der Geschichte lange mit Negativbildern wie dem »Pulverfass Balkan« assoziiert. Fakt ist: Auf der Balkanhalbinsel mit ihren unterschiedlichen Ländern und Bevölkerungsgruppen gab es schon immer Konflikte, ethnische Spannungen und Kriege – und zwar auf engstem Raum. Das lässt sich anhand einer starken »kulturellen und sprachlichen Gliederung« erklären. Andererseits gibt es in der Region ein tolerantes Miteinander – auch das gehört dazu. Kurzum: Im Kern umfasst der Balkan »jene europäischen Staaten, die von der Zugehörigkeit zu Byzanz, später zum Osmanischen Reich geprägt wurden«, so Wikipedia. Und dazu gehört Kroatien nicht – Ende des Kapitels.
Wer seine Freundschaft zu einem Kroaten auf die Probe stellen möchte, muss eigentlich nur eines tun: dessen Grill mit etwas Fleischlosem »beleidigen«. Zucchinischiffchen, Auberginenscheiben und Maiskolben dürfen zwar mit auf den Rost, aber nur, solange sie dort lediglich als Beilage brutzeln. Verbannen Sie hingegen das Fleisch, verstehen die (meisten) Kroaten keinen Spaß mehr. Vegane Tofuwürstchen? Versuchen Sie es lieber gar nicht erst! Die Autorin hat es sich mit einem kroatischen Bekannten ernsthaft verscherzt: Seine Gastfreundschaft wollte er mit einem mächtigen Berg an Grillfleisch demonstrieren – und dann so etwas! Noch Monate später kam er über das mitgebrachte Veggie-Grillgut nicht hinweg (»Stellt euch vor, so etwas auf meinem Grill …!«). Kurzum: Fleisch ist das Gemüse der Kroaten!
Was ist jedoch mit den wenigen vegetarischen Restaurants und Snackbars, die dann doch hier und dort in Kroatien zu finden sind? Die werden hauptsächlich von ausländischen Urlaubern besucht. Nein, das stimmt natürlich nicht ganz, denn auch immer mehr Kroaten essen zunehmend fleischlos – aus ethischen, aber auch aus gesundheitlichen Gründen. Sogar in bodenständigen Restaurants finden sich frittierter Käse oder Grillgemüse als Standard-Veggie-Alternative. In Pizzerien ist die Auswahl dank Pasta, Gnocchi und Pizza für Vegetarier noch ein wenig größer. Wobei, liebe Leserschaft mit italienischen Wurzeln: Überspringen Sie die nächste Satzhälfte bitte lieber, denn Sie möchten vermutlich gar nicht wissen, wie manche Kroaten ihre Pizza im Restaurant noch zusätzlich aufpeppen: nämlich mit einer gehörigen Portion Ketchup oder einem Klacks Sauerrahm. Mamma mia!
Und wenn wir schon bei besonderen kulinarischen Vorlieben sind: Die Kroaten essen gerne zu allem Brot. Zu allem! Kaum serviert der Kellner im Asiarestaurant ein Gemüse-Fleisch-Chop-Suey mit Reis oder Nudeln als Beilage, streift der Blick vieler kroatischer Gäste schon suchend über den Tisch: »Wo ist eigentlich der Brotkorb?«
Noch etwas eint die Kroaten: Sie lieben Ćevapčići, ein Relikt aus Zeiten der jugoslawischen »Brüderlichkeit und Einigkeit«. Eigentlich sind die würzigen Hackfleischröllchen, die mit scharfem oder mildem Ajvar, einer Paprikapaste und frischen Zwiebeln serviert werden, ein osmanisch-türkisches Erbe (die besten Ćevapčići gibt es ohnehin in Bosnien und Herzegowina, konkret in Sarajevo und Banja Luka, aber auch im südserbischen Leskovac). Von dort aus haben sich die ćevapi, wie man sie in Kroatien liebevoll nennt, in ganz Jugoslawien verbreitet. Als sich Kroatien in den 1990er-Jahren von den übrigen sozialistischen Brüderstaaten abgrenzen wollte, verschwanden die vermeintlich »nicht kroatischen« Ćevapčići von manch nationaler Speisekarte – glücklicherweise nicht dauerhaft.
Wenn wir schon bei Grillfleisch sind: In Istrien ist ein Tier auf die Speisekarte zurückgekehrt, das vor wenigen Jahrzehnten als fast ausgestorben galt: das istrische Ur-Rind Boškarin. Tierschützer engagierten sich für den Fortbestand der Rasse, heute kann man das Fleisch als Salami oder Steak genießen – allerdings nur in ausgewählten Restaurants mit entsprechender Lizenz, also alles regelkonform und kontrolliert.
Eine weitere Fleischspezialität ist heute passé: der Siebenschläfer, der – früher zumindest – gerne mal im Kochtopf landete. Alte Rezepte aus Großmutters Kochbüchern zeugen davon, dass der putzige puh gerne mal »im halben Dutzend« gehäutet und gebraten wurde.
Die Fleischlust der Kroaten ist so groß, dass ein Unternehmen sogar salziges Eis mit entsprechendem Geschmack auf den Markt gebracht hat: Lamm mit Zwiebelgeschmack oder sarma, gefüllte Krautwickel mit Kartoffelpüree, sowie der nordkroatische Weihnachtsklassiker Truthahn mit Plinsen (puran s mlincima) sind als Eissorte erhältlich. Ob sich das ungewöhnliche Dessert durchsetzen wird, bleibt abzuwarten.
Dann gibt es da noch eine Sache, die Sie über die kulinarischen Vorlieben der Kroaten wissen sollten: Sie trinken gerne orangefarbenes Pipi. Nicht aus dem Nachttopf, sondern aus einer ansprechenden Flasche mit buntem Etikett. Die beliebte Limonade mit dem ungewöhnlichen Namen stammt noch aus Jugo-Zeiten und war vor allem in den 1980er-Jahren ein echtes Kultgetränk. Nicht, dass es damals keinen Zucker gegeben hätte und man deshalb auf andere, körpereigene Zutaten zurückgreifen musste. Ach wo! Der Name ist eine Hommage an Pipi Duga Čarapa, Pippi Langstrumpf, die man in Kroatien nur mit einem p schreibt. Pipi eben.
Harte Fakten
Die Kroaten mögen Kochrekorde: Der längste Apfelstrudel der Welt mit einer Länge von 1.479,38 Metern wurde 2015 in Jaškovo gebacken, ein Kinocenter in Osijek feierte seinen Rekord mit einer rund 53 Quadratmeter großen, prall gefüllten Popcorn-Box, und in Valpovo wurde der schwerste Speck – slanina – mit einem Gesamtgewicht von 194 Kilogramm getrocknet.
Aber
Die Halbinsel Istrien hat sich in den vergangenen Jahren zu einem Feinschmeckermagneten mit wunderbaren Slow-Food-Restaurants entwickelt. Dort ist auch »Trüffelkönig« Giancarlo Zigante zu Hause: Seine Hündin Diana erschnüffelte 1999 die weltweit größte Trüffelknolle, die 1,3 Kilogramm wog. Zigante verkaufte die schrumpelige Edelknolle trotz einiger verlockender Angebote jedoch nicht, sondern feierte ein großes Fest mit seinen Freunden. Mittlerweile hat sich Zigante ein kleines Trüffelimperium aufgebaut, inklusive eines landesweit bekannten Feinschmeckerrestaurants im Dörfchen Livade, einer Fabrik sowie Feinkostläden für Trüffelprodukte oder eigenes Olivenöl. Überhaupt sind tartufi für jedes gute Gericht in Istrien unerlässlich. Die schwarze Knolle gibt es fast ganzjährig, die teurere, weiße hingegen nur im Herbst. Mehr als 2.000 tartufari besitzen eine Lizenz für die Trüffelsuche mit speziell ausgebildeten Hunden, viele nehmen auch Touristen zur Demonstration mit. Der neueste Trend: Trüffelbier, Trüffelchips und Trüffelgin – die Flasche für umgerechnet 100 Euro. Wer sich Trüffelpesto oder Trüffelöl besorgt, kann zu Hause Pasta und Pizza verfeinern – und so den Urlaub noch ein wenig verlängern.
Mal ehrlich: Wer mag schon dunkle, dicke Spinnen mit haarigen Beinen? Oder den Weißen Hai, der blutrünstig unschuldige Taucher im Meer zerfleischt? Den meisten Menschen genügt er vermutlich als Leinwandheld. Wie wäre es stattdessen mit Giftschlangen, die sich träge durch das Velebit-Gebirge winden und auf ein paar arglose Wanderer in Flip-Flops warten? Oder mit giftigen Seeigeln, Skorpionen und Tausendfüßlern? Braunbären, die Pilzsammler im Wald anfallen?
Keine Sorge: All diese Tiere können Ihnen in Kroatien zwar durchaus begegnen, müssen es jedoch nicht. Aufrichtige Freude darüber, einen Hai in der Adria zu erspähen, dürften vermutlich nur Forscher oder Journalisten empfinden. Letztere vor allem mitten in der Saure-Gurken-Saison: Da wird in der Zeitung aus einem harmlosen Tier schnell mal ein »Killerhai«, der durch potenzielle »Hai-Attacken« für massenhaft stornierte Urlaubsbuchungen sorgt. Das mediale Sommerloch ist dann zwar kurzfristig gestopft, die Touristen sind jedoch zutiefst verunsichert und die Reiseveranstalter um Schadensbegrenzung bemüht. In der allgemeinen Aufregung verpufft dann schon mal der Hinweis, dass es sich um ein harmloses Tier handelt, etwa einen Kurzflossen-Mako. Das desorientierte Einzeltier, das sich einmal zu nahe an einen Badestrand bei Makarska herangetraut hatte – was laut einem Hai-Experten in der Tageszeitung Slobodna Dalmacija nur sehr selten vorkomme –, wurde unfreiwillig zum YouTube-Star.
Praxistipp
Nur keine Panik! Haifische greifen nur an, wenn sie sich – etwa durch hektische Bewegungen – bedroht fühlen. Sollte Ihnen beim Tauchen oder Schwimmen in der Adria zufällig ein Hai begegnen, gilt »Ruhe bewahren« als oberstes Gebot. Entfernen Sie sich behutsam, um den Raubfisch nicht aufzubringen. Das schreibt sich so einfach, wenn man die scharfen Zähne nicht gerade in Schnappweite hat. Kleiner Trost: Von über 30 Arten, die in der Adria vorkommen, gelten nur neun als gefährlich, darunter der Blauhai (Prionace glauca) und der Weiße Hai (Carcharodon carcharias).
Harte Fakten
Weltweit sterben jährlich durchschnittlich sechs Menschen durch einen Hai-Angriff, während im Vergleich 1.000 Personen von einem Krokodil gefressen und 500 Opfer eines Nilpferds werden. In der Adria sind in den vergangenen 150 Jahren etwa ein Dutzend Menschen infolge eines Hai-Angriffs ums Leben gekommen. Je nach Statistik, die man hinzuzieht, wurden zudem 20–60 Menschen angegriffen.
Die letzte Hai-Attacke in Kroatien ist schon über ein Jahrzehnt her, da in der Adria Haie immer seltener werden. Elf Gattungen trifft man im Mittelmeer schon nicht mehr an, berichtete die Fachzeitschrift Scientific Reports. Das hängt mit ihrem Futter zusammen, etwa dem – ebenfalls selten gewordenen – Thunfisch oder dem Schwertfisch. Weit draußen im Meer, rund um die äußeren Kornaten, die unbewohnte Felseninsel Jabuka oder vor der weit vom Festland entfernt gelegenen Insel Vis gibt es diese Fischarten noch – und das mögen die Haie.
Im Wasser finden sich noch weitere Tiere, vor denen man sich besser in Acht nehmen sollte: Meereswürmer können ihre Borsten, die mit der Pinzette entfernt werden müssen, in die menschliche Haut bohren. Der Stich eines Skorpions soll dem einer Wespe sehr ähnlich sein: Die Hautstelle wird rot und brennt, dabei können Allergien ausgelöst werden. Von den 900 Seeigelarten sind zwar nur die wenigsten giftig, die Stachel jedoch unangenehm schmerzhaft. In tieferen Gewässern können Ihnen giftige Fische wie der Rote Drachenkopf oder der Rochen begegnen. Wer mit einer Feuerqualle in Berührung kommt, muss mit brennenden Schmerzen rechnen.
Doch auch an Land gibt es allerlei gefährliche Tiere: Die Schwarze Witwe, eine Kugelspinne, ist in Kroatien keine Seltenheit. Ihr Gift kann insbesondere für Kinder, ältere Menschen und Allergiker gefährlich werden. Zwei Arten von Giftschlangen, darunter die sehr menschenscheue Hornotter, die selten beißt, kann man in Dalmatien antreffen. Ebenso finden sich mehrere Arten von Tausendfüßlern, die, wenn sie sich bedroht fühlen, ein Abwehrsekret produzieren.
Praxistipp
Beim Wandern in unwegsamem Gelände sollte man unbedingt feste Schuhe und eine lange Hose tragen. Wer Schlangen fürchtet, sollte kräftig trampeln, für Bodenbewegungen sorgen und am besten mit einem Stock unterwegs sein. Gegen die unangenehmen Stacheln von Seeigeln helfen Badeschuhe. In der kroatischen Adria werden Sie vermutlich eher von einem Motorboot erfasst, als dass Sie Opfer eines Hai-Angriffs werden. Viele Hobbykapitäne schätzen die Abstände falsch ein und kommen den Badegästen in der Adria zu nahe. So kommt es immer wieder zu Unfällen, gelegentlich sogar mit Todesfolge.
Kroatien wünschte sich Touristen: Ein paar nette, harmlose Urlauber, die im Restaurant klaglos ihr Grillfleisch essen und die Hotelbetten bis in den Herbst hinein belegen. Und wer kam? Halbnackte Engländer und Holländer mit krebsrotem Nacken, die manchmal gar nicht so recht wissen, wo sie überhaupt sind. Die mitteldalmatinische Insel Hvar hat ein Problem mit den Geistern, die sie rief – und nun nicht mehr loswird. Partytouristen! Corona-Pandemie hin oder her.
Fragen Sie doch mal einen jungen Briten, was er mit Hvar verbindet: »Oh, the party island!« Doch eine Feierinsel, auf der die örtlichen Fischer frühmorgens im Hauseingang über Partygänger stolpern und sich der Geruch der Notdurft im antiken Kalksteinpflaster festgesetzt hat – so hatte man sich den Massentourismus in der Inselhauptstadt sicher nicht vorgestellt.
Gab es noch vor einem Jahrzehnt kein einziges Hostel auf der Insel, so sind es heute gleich mehrere Dutzend. Kleine Kunstgalerien und die gemütlichen Cafés der Einheimischen in der Altstadt wurden zu Kneipen umgebaut, aus denen am Abend Elektromusik dröhnt und in denen große Mengen Cocktails gemixt und getrunken werden. Der Alkohol bringt zwar mehr Umsatz, aber auch mehr Ärger.