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33 Alternativen zur Welt, wie wir sie kennen - Was wäre, wenn es kein Bargeld mehr gäbe? - Was wäre, wenn niemand mehr Fleisch äße? - Was wäre, wenn in Deutschland einen Monat lang der Strom ausfiele? - Was wäre, wenn alle Grenzen offen wären? - Was wäre, wenn es nur noch Elektroautos gäbe? - Was wäre, wenn Bayern sich von Deutschland abspaltete? - Was wäre, wenn wir alle nur noch 20 Stunden arbeiteten? - ... 33 Szenarien. 33 Entwürfe einer alternativen Welt. Christoph Koch hat Expertinnen und Experten befragt und zahllose wissenschaftliche Studien zu Rate gezogen, um Antworten auf Fragen zu finden, die Sie garantiert noch nie zu Ende gedacht haben. Und dabei fördert er Erstaunliches zutage: Oder hätten Sie gewusst, dass in einer Welt voller Elektroautos weniger Zigaretten verkauft würden? Dass Kopfsalat eine schlechtere Klimabilanz hat als Schweinebauch? Oder dass der weltweite Wohlstand massiv ansteigen würde, wenn alle Grenzen offen wären? Was wäre, wenn … lädt Sie ein, die Welt neu zu denken. Ohne ins wilde Spekulieren zu geraten, gibt Christoph Koch verblüffende Antworten auf 33 hypothetische Fragen. Ein kurzweiliges Lesevergnügen voller origineller Einfälle!
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Seitenzahl: 156
Christoph Koch
Was wäre, wenn ...
33 Szenarien, die unsere Welt neu denken
Tropen Sachbuch
Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Speicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.
Tropen
www.tropen.de
© 2021 by Christoph Koch
Dieses Werk wurde vermittelt durch die Literarische Agentur Michael Gaeb
© 2021 by J. G. Cotta’sche Buchhandlung
Nachfolger GmbH, gegr. 1659, Stuttgart
Alle Rechte vorbehalten
Cover: Klett-Cotta-Design
unter Verwendung einer Illustration von © shutterstock/DG-Studio
Datenkonvertierung: C.H.Beck.Media.Solutions, Nördlingen
Printausgabe: ISBN 978-3-608-50493-4
E-Book: ISBN 978-3-608-12107-0
Dieses E-Book basiert auf der aktuellen Auflage der Printausgabe.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
Vorwort
Was wäre, wenn ...
es nur noch Elektroautos gäbe?
Probleme für die
OPEC
Ohne Tankstellen weniger Zigarettenverkäufe?
Autobatterien als Stromspeicher
Die Luft wird besser
Was wäre, wenn ...
es kein Bargeld mehr gäbe?
Schulterzucken bei den Banken
Weg mit den Kassen
Das Ende der Anonymität?
Schutz vor Negativzinsen
Was wäre, wenn ...
niemand mehr Fleisch äße?
Kopfsalat vs. Schweinebauch
Ein Ende des Hungers?
Gut für die Reicheren, schlecht für die Ärmeren
Wer Milch sagt, muss auch Fleisch sagen
Sieben Millionen weniger Todesfälle
Was wäre, wenn ...
wir alle nur noch 20 Stunden arbeiteten?
Mehr Gerechtigkeit zwischen den Geschlechtern
Von Spitzensportlern und Schachprofis lernen
Sind zwei Hälften mehr als ein Ganzes?
Die Sache mit dem Lohnausgleich
Was wäre, wenn ...
Bayern sich von Deutschland abspaltete?
Zukunft als Firmenstandort unsicher
Scheiden tut weh
Neue Gesetze, neue Währung
Bundesliga ohne die Bayern?
Was wäre, wenn ...
der öffentlich-rechtliche Rundfunk abgeschafft würde?
In der Hand der Landesregierungen
19 Jahre Fernsehen pro Jahr
Abwanderung zu den Privaten nicht sicher
Rundfunkorchester und Kinoprogramm
Was wäre, wenn ...
alle Drogen legal wären?
Neugier und der Reiz des Verbotenen
Hohe Margen auf einem ineffizienten Markt
Jobwunder Drogenmarkt
Qualitätssicherung und bessere Forschung
Was wäre, wenn ...
in den
USA
alle privaten Schusswaffen verboten würden?
Statistisch pro Amerikaner eine Waffe
Verfassungsänderung nicht zwingend nötig
Gewollte Forschungslücke
Waffen also nur für Kriminelle?
Was wäre, wenn ...
Facebook zerschlagen würde?
Eine Monopolstellung wie einst Standard Oil
Zerschlagung könnte den Mehrwert für die Nutzer zerstören
Mehr Konkurrenz um die Nutzer
Was wäre, wenn ...
es keine Privatsphäre mehr gäbe?
Kunstprojekt eines Dotcom-Millionärs
Das Recht, in Ruhe gelassen zu werden
Veränderung durch Städte und Wohlstand
Was wird erlaubt, was bleibt verboten?
Eine Welt mit perfekter Information
Neue Regeln und Gesetze nötig
Was wäre, wenn ...
alle Grenzen offen wären?
Mehr Produktivität und zirkuläre Mirgration
Kaum jemand spricht Griechisch
Der Arbeitsmarkt ist keine Fußballmannschaft
Je schwieriger der Weg, desto weniger Frauen
Was wäre, wenn ...
Nord- und Südkorea wieder ein Land wären?
Gigantische Unterschiede
Bodenschätze für die hohen Kosten
Ein neuer Superstaat?
Was wäre, wenn ...
auf deutschen Autobahnen ein generelles Tempolimit von 120 km/h gälte?
Knappe Mehrheit dafür
Weniger Tote und Schwerverletzte
Nicht die einzige Stellschraube
Was wäre, wenn ...
die Menschheit nicht mehr existierte?
Nur eine Frage der Zeit
Vollgelaufene U-Bahn-Schächte, überhitzte Atomkraftwerke
Schlechte Zeiten für Stubenfliegen und Kopfläuse
Was wäre, wenn ...
die Europäische Union sich auflöste?
Zwei Wege zum Ende
Zerstörtes Netzwerk des Handels und der Produktion
Keine
EU
-Beiträge mehr
Was wäre, wenn ...
der öffentliche Nahverkehr gratis wäre?
Preis oft nicht entscheidend
Höhere Taktung, bessere Verbindungen
Eher soziale Vorteile als Umweltschutz
Weniger Personal, weniger Unfälle
Was wäre, wenn ...
es kein Verbrechen mehr gäbe?
Das Ende des freien Willens
Preisschilder für Mord und Totschlag
Fiktive Kriminalität und True-Crime-Formate
Was wäre, wenn ...
es in Deutschland keine private Krankenversicherung mehr gäbe?
Sonderfall Deutschland
Klischee der Ineffizienz
Frage nach den Rücklagen
Gesundheitskosten steigen auch nach Abschaffung
Was wäre, wenn ...
es keine Subventionen mehr gäbe?
Von Wohnungsbau bis Brennholz
Rechtlich verpflichtende Altlasten
Weltweiter Schaden durch Kraftstoffsubventionen
1 Euro mehr für den Zoo, 100 Euro mehr fürs Konzert
Was wäre, wenn ...
ganz Afrika nur noch eine Währung hätte?
Ein optimaler Wirtschaftsraum?
Beweis politischer Einheit
Zusatz- statt Gemeinschaftswährung?
Auch der Euro verlangte Geduld
Was wäre, wenn ...
sich die Erde nicht mehr drehte?
Vollbremsung im All?
Vom Medizinball zurück zur Kugel
Zwei Riesenozeane und ein Landgürtel
Vier Zonen des Lebens
Zum Glück dreht sie sich weiter
Was wäre, wenn ...
wir ewig lebten?
Kein Platz mehr für Neues
Bestatter und Todesanzeigen nicht komplett überflüssig
Sinn entsteht durch Endlichkeit
Fortschritt durch Generationenwechsel
Was wäre, wenn ...
auf der ganzen Welt Frieden herrschte?
Weniger Kriege, mehr Militärausgaben
Frieden rechnet sich
Ein Gewehrlauf, neun Autokotflügel
Beilegung grundlegender Konflikte nötig
Militärischer Erfindungsgeist
Was wäre, wenn ...
es nur noch selbstfahrende Autos gäbe?
Robotaxis trinken nicht
Nicht automatisch das Ende des eigenen Autos
Wartungskräfte statt Taxifahrer
Vom Einsitzer bis zum fahrenden Fitnessraum
Das Ende des öffentlichen Nahverkehrs?
Was wäre, wenn ...
in Deutschland einen Monat lang der Strom ausfiele?
Das große Chaos
Das Internet ist noch da, aber niemand kommt rein
Tote Tiere, fehlendes Geld
Wasser und Hilfsbereitschaft bleiben
Was wäre, wenn ...
sich die Erdtemperatur um zwei Grad Celsius erhöhte?
Deutschland hat es gut
Überschwemmungen, Hitzewellen, tote Korallen
Manche Regionen profitieren
Was wäre, wenn ...
deutsche Supermärkte keine Lebensmittel mehr wegwerfen dürften?
Haushalte werden deutlich mehr weg
Mehr Spenden für die Tafeln, aber schlechtere
Zusätzlicher Anreiz, Überproduktion zu vermeiden
Was wäre, wenn ...
die Buchpreisbindung abgeschafft würde?
Wirtschaftliche Sonderstellung fürs Kulturgut Buch
Bestseller würden billiger, der Rest teurer
Ein Verstoß gegen
EU
-Recht?
Mehr Titel, weniger kleine Buchläden
Was wäre, wenn ...
es in Deutschland eine Zuckersteuer gäbe?
Steuer kann schon vor der Einführung wirken
Der Konsum sinkt tatsächlich, wenn auch moderat
Kennzeichnung und Werberegulierung ebenfalls wichtig
Und was ist mit Salz und Fett?
Was wäre, wenn ...
es keine Schwarzarbeit gäbe?
Schmierstoff der Wirtschaft?
Früher Rasenmähen, heute Großbaustelle
Ein Ende des Preiskampfs?
Mehr Geld für Pflege nötig
Was wäre, wenn ...
es nur noch biologische Landwirtschaft gäbe?
Ein Drittel mehr Fläche nötig
Mehr Emissionen durch weitere Transportwege
Besserer Boden, weniger Rückstände
Vorzeigebeispiel Sikkim
Was wäre, wenn ...
es keine digitale Verschlüsselung gäbe?
In wichtigen Bereichen schon lange selbstverständlich
Übertragungs- und Spreicherverschlüsselung
Schlüssel unter Fußmatten
Verschlüsselung funktioniert nur ohne Hintertür
Was wäre, wenn ...
es ein verpflichtendes soziales Jahr gäbe?
Juristisch problematisch
Unterschiedliche Kostenschätzungen
Indirekte Kosten und direkter Nutzen
Der wirkliche Bedarf liegt woanders
Auch Bundeswehr sucht Spezialisten statt Rekruten
Danksagung
»Prognosen sind äußerst schwierig – vor allem wenn sie die Zukunft betreffen.« Dieser Satz wird von Mark Twain über Karl Valentin bis Kurt Tucholsky so gut wie jedem großen Denker zugeschrieben, der über eine Prise Humor verfügte. Egal, von wem er letztlich stammt: Er trifft den Kern der Sache sehr gut. Seit 2017 versuche ich dennoch jeden Monat im Wirtschaftsmagazin brand eins in die Zukunft zu denken. In meiner Kolumne »Was wäre, wenn …?« nehme ich mir in jeder Ausgabe ein ungewöhnliches Szenario vor, das ich dann versuche durchzuspielen. Wie sähe eine Welt ohne Bargeld aus? Eine Welt ohne Verbrechen? Was würde passieren, wenn sich Bayern von Deutschland abspaltete oder Nord- und Südkorea wieder ein Land wären?
Ich versuche dabei, so wenig wie möglich ins wilde Spekulieren zu geraten oder es bei reinen Vermutungen zu belassen. Stattdessen hole ich mir Hilfe von Expertinnen und Experten aus den jeweiligen Fachgebieten. Ich führe Interviews mit ihnen und denke zusammen mit ihnen über die verschiedenen Möglichkeiten und Auswirkungen nach. Oft weisen diese mich auf Aspekte hin, die ich vorher gar nicht bedacht hatte oder sie rücken meine Annahmen zurecht. Ergänzend ziehe ich wissenschaftliche Studien zu Rate oder versuche, vergleichbare Fälle in der Vergangenheit oder in anderen Ländern zu finden. Was kann man von Mexiko über die Einführung einer Zuckersteuer lernen? Oder vom Zerfall der Sowjetunion über eine Auflösung der Europäischen Union?
Wenn man es richtig anpackt, sind Szenarios deutlich mehr als nur Gedankenspiele, mit denen man sich die Zeit vertreibt. Der Begriff »Szenario« stammt ursprünglich aus dem Theater, wo er den Bühnenhintergrund, aber auch den groben Handlungsablauf des Stücks bezeichnete. Das Szenario als eine hypothetische Aufeinanderfolge von Ereignissen, die in einem kausalen Zusammenhang stehen, wurde wie so vieles vom Militär erfunden. In den Fünfzigerjahren stellte man bei der US-Luftwaffe fest, dass es sinnvoller sein kann, mehrere verschiedene Möglichkeiten in Betracht zu ziehen und durchzuspielen, als sich auf eine einzige Zukunftsprognose festzulegen. Der Militärstratege, Kybernetiker und Futurologe Herman Kahn (1922–1983) gilt als Vater der Szenarioforschung. Kahn verwendete verschiedene Elemente der Spiel- und Systemtheorie, um Szenarien des »Undenkbaren« systematisch zu durchdenken. Während des Kalten Kriegs bedeutete das vor allem nukleare Kriegsführung und gegenseitige Abschreckung. Kahn definierte Szenarios als »Versuche, eine hypothetische Abfolge von Ereignissen, die plausibel zu einer angenommenen Situation führen können, einigermaßen detailliert zu beschreiben.«
Der französische Manager Pierre Wack (1922–1997) brachte die Szenarioforschung schließlich von den militärischen Planungszentren in die Konferenzräume der Wirtschaft. Wack arbeitete in den Sechziger- und Siebzigerjahren für den Ölkonzern Royal Dutch Shell und half diesem sowohl die Ölkrise von 1973 als auch die von 1979 vorherzusehen und sich besser darauf einzustellen als die Konkurrenz. Auch sinkenden Ölbedarf durch zunehmende Energieeinsparungen, den Zerfall der Sowjetunion und das Aufkommen der Umweltbewegung gehören zu den Szenarios, die Wacks Team bei Shell bereits durchdacht hatte, bevor sie Realität wurden. »Geschichten über die Zukunft erarbeiten, um so bessere Entscheidungen in der Gegenwart treffen zu können«, fasste Shell die Methode zusammen, die bald auch von zahlreichen anderen Unternehmen weltweit angewendet wurde.
Wack selbst verglich das Arbeiten mit Szenarios mit einer Kajakfahrt durch die Stromschnellen eines Flusses: Man wisse grob, wohin die Reise ginge, kenne aber eben nicht den genauen Weg mit all seinen Details. Und je schneller man auf diese unsicheren Details reagieren könne, umso besser. Heute ist die Szenariotechnik eine etablierte Methode, um sich auf die immer schneller verändernde Welt einzustellen und die Zukunft auf eine logische, erklär- und nachvollziehbare Weise zu antizipieren. Bereits Wack war es immer wichtig, dass Szenarioforschung keine Kaffeesatzleserei sein darf, die nur auf Behauptungen und subjektiven Annahmen basiert: »Nehmen wir an, dass ein schwerer Monsunregen den oberen Teil des Ganges-Beckens trifft«, schreibt er in seinem Aufsatz »Uncharted Waters Ahead« (zu Deutsch etwa: Unbekannte Gewässer voraus). »Sie wissen nun, dass innerhalb von zwei Tagen in Rishikesh am Fuße des Himalaya, (…) und in Benares zwei Tage danach etwas Außergewöhnliches geschehen wird. Dieses Wissen entsteht nicht durch den Blick in eine Kristallkugel, sondern einfach durch das Erkennen der zukünftigen Auswirkungen eines bereits eingetretenen Regens.«
Bei manchen der Szenarios in diesem Buch ist es wahrscheinlicher als bei anderen, dass sie eintreten. Bei einigen scheint es nur eine Frage der Zeit, andere wirken aus heutiger Sicht extrem unwahrscheinlich. Doch selbst über solche Szenarios, die womöglich niemals eintreffen, lohnt es sich nachzudenken. Unter anderem, weil dieses Nachdenken den Blick weitet für den gigantischen Möglichkeitsraum, den die Zukunft bietet. Mir war es wichtig, die Frage, ob ein bestimmtes Szenario wünschenswert ist oder nicht, so gut es geht auszuklammern. Wenn man sich der Frage nähert, was eine Legalisierung von Drogen, die Abschaffung digitaler Verschlüsselung oder ein verpflichtendes soziales Jahr bedeuten würde und welche Konsequenzen sich daraus ergäben, ist es sinnvoll, die eigenen Ansichten oder Vorlieben auszuklammern. Denn sie können das Bild verzerren oder einen Details übersehen lassen, die offensichtlich sind, wenn man anderer Meinung ist. Nach manchen der Kolumnen, die in brand eins erschienen sind, erhielt ich Leserbriefe von beiden Seiten, die um ein Thema streiten. Beim Thema Tempolimit schrieben mir beispielsweise die einen, ich habe mich zu sehr für eine Geschwindigkeitsbegrenzung stark gemacht, andere klagten, ich hätte vor allem Argumente dagegen angeführt. Wenn beide Seiten behaupten, ich hätte einseitig argumentiert, halte ich das in den meisten Fällen für einen Beleg, dass es mir gelungen ist, die Neutralität des möglichst objektiven Blicks zu wahren.
Zukunftsforscher sprechen oft von »Zukünften« anstatt von einer einzigen. Ich hoffe, ich kann Ihnen in diesem Buch mit seinen 33 Zukünften ein wenig Lust am Denken in Szenarios machen. Kann Sie ermutigen, unsere Welt neu zu denken und öfter mal die Frage zu stellen: Was wäre, wenn …?
PS: Sollten Sie Ideen oder Wünsche haben, welcher Szenarios ich mich einmal annehmen sollte, schreiben Sie mir gerne: [email protected]
es nur noch Elektroautos gäbe?
Etwa 137 000 Elektroautos fuhren 2020 auf Deutschlands Straßen. Das sind rund 0,3 Prozent der mehr als 48 Millionen insgesamt zugelassenen Fahrzeuge. Weltweit hatten 2019 rund 2,2 Millionen Neuwagen einen Elektromotor, etwa die Hälfte ging an Kunden in China. Verbrennungsmotoren sollen dort in den kommenden Jahren nach und nach verboten werden. Das verkündete die Regierung, ohne allerdings einen genauen Zeitpunkt für das komplette Verbot zu nennen. Frankreich und Großbritannien sind da präziser und wollen Autos mit Verbrennungsmotoren ab 2040 nicht mehr zulassen, Indien ab 2030, Norwegen bereits ab 2025.
Doch was wäre, wenn alle derzeit 1,3 Milliarden weltweit fahrenden Autos bereits über leistungsfähige Akkus statt eines Otto- oder Dieselmotors verfügten?
Aktuell wird etwa die Hälfte eines Barrels Öl für die Herstellung von Autokraftstoffen verwendet. Dafür gibt es dann keine Abnehmer mehr. Eine schlechte Nachricht für Erdöl exportierende Länder und eine gute für alle, die weniger von diesen Staaten abhängig sein wollen.
Auch die Ölkonzerne bekommen Probleme: »Ich sehe derzeit nicht, dass die Mineralölindustrie ernsthaft alternative Geschäftsmodelle bereithält«, sagt Jens Schippl vom Institut für Technikfolgenabschätzung und Systemanalyse (ITAS) in Karlsruhe. »Die meisten von ihnen wurden vom Thema Elektromobilität auf dem falschen Fuß erwischt, auch wenn inzwischen Konzerne wie Shell und Total dabei sind, in den Aufbau einer Ladeinfrastruktur einzusteigen. Gleichzeitig wird es in diesem Markt aber sicherlich viele neue Akteure geben.« Zum Beispiel Supermarktketten, die ihren Kunden das Auto aufladen, solange diese bei ihnen einkaufen. Noch ist dieser Service kostenlos. Wenn nur noch Elektroautos fahren, bezahlt man das Laden vielleicht gleich mit seinen Einkäufen an der Kasse.
Tankstellen werden in ihrer ursprünglichen Funktion überflüssig, denn Elektroautos nehmen Strom dort auf, wo sie sowieso regelmäßig längere Zeit stehen: zu Hause, auf dem Firmenparkplatz oder eben vor dem Supermarkt. Hatten sich die Tankstellen aufgrund der niedrigen Margen beim Kraftstoff ohnehin immer mehr zu Mini-Supermärkten entwickelt, setzen sie nun ganz auf das Geschäft mit Getränken, Süßigkeiten oder Tabakwaren. In den USA kommen schon heute deutlich mehr als 50 Prozent aller Zigarettenkäufe in Tankstellen zustande, schreibt der Analyst Benedict Evans vom Risikokapitalgeber Andreessen Horowitz.
Einige Autobahnraststätten bleiben als Pausenstationen vielleicht auch ohne die dazugehörigen Tankstellen erhalten. In jedem Fall werden aber die 40 Milliarden Euro an Steuereinnahmen wegfallen, die die Energiesteuer (früher Mineralölsteuer) jedes Jahr einbringt. Der Strombedarf in Deutschland wird sich durch eine vollständige Umstellung auf E-Autos um rund ein Viertel erhöhen.
Eine weitere erhebliche Veränderung: Die Umstellung auf Elektromotoren reduziert die Zahl beweglicher Teile in einem Auto auf einen Bruchteil. Zum Beispiel fällt das Getriebe komplett weg. »Ein Achtzylindermotor hat 1200 Teile, die montiert werden müssen, ein Elektromotor 17«, rechnete der BMW-Gesamtbetriebsratsvorsitzende Manfred Schoch einmal vor. In der Fertigung gibt es also für Menschen und Maschinen deutlich weniger zu tun.
Zugleich wird sich der Verschleiß und somit der Wartungs- und Reparaturaufwand drastisch verringern. Kfz-Werkstätten werden also weniger Arbeitsstunden berechnen können und weniger an Ersatzteilen verdienen. Zwar kann auch bei einem Elektroauto die Achse brechen oder der Kotflügel eine Beule bekommen – Schätzungen zufolge entsteht jedoch die Hälfte aller Pkw-Reparaturkosten derzeit durch den Verbrennungsmotor.
Die Lebensdauer eines Elektromotors gilt – abgesehen vom Akku, der beim gegenwärtigen Stand der Technik nach einer gewissen Zeit ausgetauscht werden muss – als deutlich länger als die eines Benziners. Das hat wiederum zur Folge, dass Elektroautos seltener verschrottet und neu angeschafft werden müssen – sieht man von denjenigen Käufern ab, die ein Auto als Statussymbol erwerben.
Analysten der Schweizer Großbank UBS sagen voraus, dass im kommenden Jahr Elektroautos in Anschaffung plus Unterhalt mit Verbrennern gleichziehen werden. Das liege an steigenden Stückzahlen und drastisch sinkenden Preisen für Batterien: Musste man 2010 noch rund 1000 US-Dollar pro Kilowattstunde bezahlen, sind es inzwischen um die 200 Dollar.
Das führt zu neuen Umweltproblemen: »Batterien haben den Nachteil, dass sie sehr viel Energie bei der Produktion benötigen und schwierig zu entsorgen oder zu recyceln sind«, sagt der ITAS-Experte Schippl. »Außerdem kommt es natürlich darauf an, ob der verwendete Strom aus Kohlekraftwerken oder Windenergie stammt. Aber unter dem Strich und bei einem guten Strom-Mix ist E-Mobilität den mit fossilen Brennstoffen angetriebenen Fahrzeugen weit überlegen.«
Eine Möglichkeit, Batterien weiterzuverwenden, deren Leistungsfähigeit für Autos nicht mehr ausreicht, ist beispielsweise, sie als Notstromspeicher für Firmen oder Krankenhäuser einzusetzen, wo sie für Stromausfälle vorgehaltene Dieselgeneratoren ersetzen können.
Allein in den USA sterben jährlich 53 000 Menschen an den Folgen von Autoabgasen, das sind rund anderthalbmal so viele wie die 34 000 Verkehrstoten. Neben dem CO2-Ausstoß sinkt auch die Feinstaubbelastung. Komplett verschwinden wird Letztere aber auch bei einer reinen Elektroflotte nicht: Denn nur ein Teil des Feinstaubs entsteht durch Abgase. Für den Rest sind Bremsen, Reifen und Straßenabrieb sowie die Aufwirbelung von Staub auf dem Asphalt verantwortlich.
Ähnlich verhält es sich mit dem Verkehrslärm. Auch er nimmt ab, wenn statt brummender Benziner und Diesel nur noch Elektrofahrzeuge durch die Straßen sirren. Doch je schneller ein Auto fährt, desto geringer ist der Anteil, den der Motor an der Geräuschkulisse hat – und umso größer wird der des Fahrtwinds. Gerade an schnell befahrenen Straßen könnte sich der Autolärm also weit weniger verringern als erhofft. »Eine ehemals stark belastete Straße wird nicht auf einmal zum beschaulichen Einkaufsparadies, wenn man auf E-Autos umschwenkt«, sagt Jens Schippl.