Wayan II - Benjamin Vogt - E-Book

Wayan II E-Book

Benjamin Vogt

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Beschreibung

"Einst schufen die Götter aus dem Feuer der Sonne die Dragori. Nachdem ihnen gewahr wurde, welche Ungeheuer sie erschaffen hatten, versuchten sie, ihren Fehler zu korrigieren. Newosoresch kreierte einen ebenbürtigen Feind, die Menschen des Volkes der Pedanas; Matagesch einen Verbündeten, der die Dragori zähmen sollte, die Vorfahren der Sahmuelen. Bald mussten sowohl Matagesch als auch Newosoresch einsehen, dass das Gleichgewicht der Welt erneut bedroht war..." Die Heimat des jungen Magiers Wayans liegt in Schutt in Asche. Auf der Flucht vor Krieg und Zerstörung macht er sich gemeinsam mit seinem Ziehvater Martin und dessen Tochter Remiko auf eine Reise voller Ungewissheiten. Ihr Weg zum Orakel auf dem Gipfel des Gugung Batur führt sie nach Lokontora, der legendären Brutstätte, nach Linber, der prächtigen Hauptstadt Lombokiens, und schließlich bis an das Ende der bekannten Welt. Wayan begegnet fremden Völkern und urzeitlichen Wesen, aber vor allem begegnet er sich selbst, denn seine Reise ist der steinige Pfad des Erwachsenwerdens. Ein packender Roman über die Liebe, die Welt der Magie und den Mut, sich seinem Schicksal zu stellen

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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie. Detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Für Fragen und Anregungen:

[email protected]

1. Auflage 2017

© 2017 by riva (powered by 100 FANS), ein Imprint der Münchner Verlagsgruppe GmbH

Nymphenburger Straße 86

D- 80636 München

Tel.: 089 651285-0

Fax: 089 652096

Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme gespeichert, verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

Umschlaggestaltung: Laura Osswald, München

Umschlagabbildung: arctic ice/Shutterstock.com, fortuna777/Shutterstock.com,

Benjamin Vogt

ePub by Konvertus

ISBN Print 978-3-95705-019-9

ISBN E-Book (PDF) 978-3-95708-030-1

ISBN E-Book (EPUB, Mobi) 978-3-95708-031-8

Weitere Informationen zum Verlag finden sie unter

www.100FANS.de

Beachten Sie auch unsere weiteren Verlage unter www.m-vg.de

INHALT

Wirren des Krieges

Lokontora

Getrennte Wege

Linber

Politische Umwälzungen

Lady Innin

Das Auge erwacht

Die Mönche des Gunung Batur

Das Orakel

Kulgarische Gastfreundschaft

Brut

Schlupf

Das Gut Rothsenburg

Die Ehre der Lupoden

Verrat

Die große Wanderung

Lektionen

Die letzte Schlacht

Zerschmetterte Träume

Allmacht

Glossar

Danksagung

WIRREN DES KRIEGES

Sacht plätscherten die sich kräuselnden Wellen der Rhonech am Bug unserer behaglichen Fähre. Wir kreuzten bereits tagelang mit dem mürrischen und einsilbigen Kapitän Hernandos stromaufwärts. Er war unsere einzige Gesellschaft! Martin und Remiko lagen im Dauerclinch, denn der hübschen jungen Frau war es ein Gräuel, wie der gealterte Feldherr jeden, den er dachte gebrauchen zu können, sang- und klanglos durch fragwürdige magische Methoden unterwarf. Auf unserer ausgedehnten Reise hatten wir weder für Kost noch für Logis ein einziges Mal etwas bezahlt. Damit war Martins Geldbeutel noch so prall gefüllt wie zum Zeitpunkt unserer Flucht aus Grubschgau. Allzu lebhaft waren meine Erinnerungen daran. Immer wieder beobachtete ich in meinen Träumen, wie der Alte unsere Heimat in Schutt und Asche legte. Sein magisches Feuer kannte einfach kein Erbarmen. Zumindest blieb Remiko dieses Schicksal erspart, denn durch eine Hinterlist ihres Erzeugers war jedwede Erinnerung daran verblasst.

Als sich die übrigen Kapitäne im heruntergekommenen Binnenhafen Grebrüns weigerten, uns mitsamt Briario, meinem beinahe ausgewachsenen Braunbären, zu befördern, unterwarf mein Meister kurzerhand den armen Hernandos mit einem mächtigen Bann, was die redliche Remiko Ishtri störte.

»Gib ihm wenigstens sein Gold, das er sich verdient hat! Außerdem löst du den Unterwerfungszauber von ihm, sobald wir am Ziel sind! Wo auch immer das sein mag.«

Er hatte uns bisher nicht mitgeteilt, wohin die Reise ging. Das sei eine Überraschung, deswegen sollten wir ihn doch bitte nicht weiter mit lästigen Fragen löchern. Kommentarlos ignorierte er das meiner Meinung nach berechtigte Nörgeln Remikos. Es war eine Kunst, flussaufwärts gegen Stromschnellen zu segeln, durch die berüchtigten Untiefen der Rhonech zu navigieren, nur um dann ohne einen müden Heller dazustehen. Auch ich fand das gegenüber unserem Kapitän ungerecht. Auf meine vorsichtigen Andeutungen hin, dass das nicht fair sei, bekam ich ein »Halt den Rand! Wenn du lernen willst, dann machst du, was man dir sagt« serviert. »Wir sind ja bald da!«

In der ewigen Eintönigkeit der Flussauen boten einzig die verlassenen Fischerdörfer ein wenig Abwechslung. Warum wohl keiner mehr darin wohnte? Zerbrochene Ruderboote lagen zerschellt am Kai, vom Wind zerrissene Netze wehten, von den ehemaligen Bewohnern säuberlich aufgehängt, an langen Gestellen im Wind. Keine Menschenseele war zu entdecken. Grübelnd gesellte ich mich zu Remiko, zu der ich eine immer innigere Bindung entwickelte, in der Sorge um meinen Meister und ihren leiblichen Vater vereint.

»Wohin es wohl geht?«, murmelte ich mehr zu mir selbst, als dass ich zu Remiko sprach.

»Wenn ich raten müsste, nach Lokontora oder Linber«, antwortete sie wie aus der Armbrust geschossen. Im hintersten Winkel meines Langzeitgedächtnisses regte sich etwas. Den Namen Lokontora hatte ich schon einmal gehört, doch wollte mir einfach nichts Sinnvolles dazu einfallen. Da erspähten meine jungen Augen zwei über Kreuz gespannte Ketten in der Ferne des nebligen Flusses. Lautstark schellte es.

»Zollkontrolle! Legen Sie alle Waffen ab und begeben Sie sich an Deck.«

Taktisch geschickt war das Zollhäuschen an einer Engstelle der Rhonech positioniert. Das Wasser floss einem so reißend entgegen, dass man nur ellenweise vorankam. Leicht ließ sich ein Haken auswerfen, damit die Opfer der Kaisertreuen nach Strich und Faden ausgenommen werden konnten. Es waren raue Burschen, die uns in eine kaum zwanzig Schritt messende künstlich gegrabene Bucht am Ufer zogen.

»Mit wem haben wir die Ehre?«, schnarrte ein dicklicher Beamter flankiert von zwei Bewaffneten.

»Mit Meister Martin, Abt des Klosters Grubschgau. Um Eure nächste Frage vorwegzunehmen: Wir sind auf dem Weg nach Linber, um meinen Attaché, Wayan«, er deutete dabei auf mich, »in den Dienst der kaiserlichen Garde zu überführen.«

Man sah, wie der niedere Beamte sich den Kopf zerbrach. Wie vom Blitz getroffen leuchtete die Erkenntnis, wen er da vor sich hatte, in seinem fetten Gesicht auf und er fiel auf die Knie.

»Vergebt mir, Herr der Drachen! Meist ist es Pöbel, der hier durchkommt. Fischer, Händler, Vagabunden.«

Aus der Dunkelheit des Zollhäuschens trat eine wild aussehende Gestalt. Ihr Haupthaar war so lang, wie ich es bei einem Mann noch nie zuvor gesehen hatte. Von seinem Antlitz waren aufgrund eines buschigen Bartes nur zwei kalte Augen und eine gewaltige gebogene Nase zu erkennen. Mit einem ungewöhnlichen Akzent raunte er den Knienden an.

»Gibt es hier Probleme?«

Der Angesprochene zuckte zusammen.

»Nein, keinesfalls. Wir haben hohen Besuch.«

Mit einem strengen Blick gebot der Vollbärtige dem untersetzten Beamten zu schweigen. Es war Martin, der das Wort ergriff.

»Was wollen die Kulgaren in diesem Teil des Landes? Seit wann gilt das Karog Patti nicht mehr?« Was bei Newosoreschs Schöpfung war das denn? »Karog Patti« hatte ich noch nie gehört! Der Vollbärtige selbst lieferte die Antwort.

»Dieser Vertrag wurde aufgeweicht. Seit der Kaiser dem sinisteren Kreis nicht mehr traut, sind dessen Klauseln kaum gültig. Wir Kulgaren gestehen dem magischen Zirkel Lombokiens außergewöhnliche Arbeit in der Wahrung des Friedens im südlichen Teil des Staates zu. Aber mit der Besteigung des Thrones durch Rachul hat sich das Machtgefüge gewandelt. Der magische Zirkel Lombokiens, dem auch ihr einst angehört habt, wenn ich mich recht entsinne, wurde dem jungen Herrscher zu einflussreich, sodass er Lord Ignatius mit seinen Kombattanten jegliche Privilegien und Sonderrechte entzogen hat. Nun übernehmen wir, die treu ergebene, kulgarische Reiterschaar, diese Aufgaben!«

Ungläubig zischte Martin durch die Zähne.

»Ihr wollt mir damit mitteilen, dass alle Zollstationen, Polizeidienststellen, Gerichte und Militäreinrichtungen von den Kulgaren übernommen wurden?«

Der wild aussehende Vollbärtige klatschte in die Hände.

»Genau, ihr seid weise. Deswegen werdet ihr auch anstandslos die fünf Golddukaten Wegzoll berappen. Falls nicht …« Er holte unter seinem Fuchswams eine Halskette hervor, an der ein kaum fingernagelgroßer rubinroter Stein hing. »… ergeht es Euch wie diesen Fischern, die sich weigerten, uns die Kontrolle über die Rhonech zu geben. Diejenigen, die überlebt haben, schuften nun in den Erzminen Kasiriens.«

Ohne es zu ahnen, hatte mir der Kulgare verraten, warum viele Fischerdörfer am Ufer verlassen waren. Dieser Schuft hatte deren Bewohner in die Knechtschaft gezwungen. Etwas war seltsam an diesem unnatürlich blutrot schimmernden Stein. Ich hatte das schon einmal gesehen und es fiel mir wie Schuppen von den Augen. Der Edelstein des schlimmsten aller Artefakte, das Innere des Auges der Wiederauferstehung, welches meinen Meister langsam aufzehrte, sah genauso aus. Nur war dieses Überbleibsel dunklerer Zeiten um einiges größer als das des Kulgaren. Umgehend lenkte Meister Martin ein.

»Wie ich sehe, seid Ihr Träger eines Dragolithen. So wollen wir Euch nicht länger behelligen. Hier sind Eure fünf Dukaten.«

Der derbe Kulgare grinste breit und offenbarte eine Reihe gelber, karieszerfressener Zähne.

»Fünf Goldstücke pro Person!«, setzte er süffisant hinzu. Ohne mit der Wimper zu zucken, kramte Martin weitere glänzende Münzen hervor. Das war Erpressung. Wie konnte mein Ziehvater sich das gefallen lassen? Meine Unruhe bemerkend, drückte mir der ehemalige Heerführer einige Silberlinge in die Hand.

»Lauf flussaufwärts und besorg uns etwas zu essen. Einen Krug Wein würde ich auch nicht verachten! Wir lesen dich dann später wieder auf!«

Glücklich darüber, dem engen Boot zu entkommen, sprang ich über die Rehling. Da erklang Remikos weiche Stimme.

»Nimm bitte Briario mit! Seine Ausdünstungen sind kaum mehr zu ertragen. Der viele Fisch tut ihm nicht gut.« Wie aufs Stichwort entfuhr dem jungen Bären eine mächtig stinkende Flatulenz. Wir genossen es, vorübergehend tun und lassen zu können, auf was wir Lust hatten. So tollten wir zusammen unter den argwöhnischen Augen des Kulgaren in die von Weiden gesäumten Flussauen. Der Steuerbeamte kniete noch immer zu Füßen meines Meisters. Nicht nur als früherer Abt des Klosters Grubschgau repräsentierte mein Adoptivvater ein einflussreiches Amt, sondern auch als ehemaliger Heeresmeister des Kaisers.

Es war herrlich, mal wieder festen Boden unter den Füßen zu haben. Auch der Bär freute sich seines Lebens, wetzte seine Krallen an einem morschen Baum, der unter dem Gewicht des Fleischfressers zusammenkrachte und ihn beinahe erschlug. Auch das Jagdglück war uns hold. Briario gelang es, unter wildem Prusten und Schnauben einige Kaninchen aus ihren Bauten zu treiben, die ich mit Newosoresch, meinem edlen Schwert, erlegte. Ich hatte es nach dem noch von vielen Lombokiern und Larutanern verehrten antiken Wettergott benannt. Wir waren ein gutes Team. Der Spaß dauerte so lange an, bis wir das erste Dorf erreichten. Ich fühlte mich an die Heimstätte Cabinas erinnert. Menschenleere, offenbar fluchtartig verlassene Straßen, eingetretene Türen, überall lagen Alltagsgegenstände wahllos verstreut. In der Ferne brüllte markerschütternd eine Kuh, die wohl nicht mehr gemolken wurde und deswegen unsägliche Schmerzen erlitt. Ich beschloss, das arme Tier suchen zu gehen und von seinen Qualen zu befreien. Da entdeckte ich sie. Kreuz und quer lagen aufgedunsene Leichen auf dem Dorfplatz. Neben ihnen wohl die nächstbesten Verteidigungswaffen in Griffweite. Harpunen, Knüppel, Mistgabeln, Haken zum Einholen der Netze. Mit einem lauten Schrei und wild gestikulierend vertrieb ich die Krähen, welche sich auf den armen Seelen niedergelassen hatten und fröhlich auf die Toten einhackten. Als ich näher trat, loderte eine Vision der schrecklichen Ereignisse, die hier stattgefunden hatten, vor meinem inneren Auge auf. Meine Meister hatten es mir prophezeit. »Mit wachsender magischer Kraft steigert sich auch deine Empfänglichkeit für die Verwerfungen im Geflecht der göttlichen Ordnung.«

Ich wusste: Magie hinterlässt immer Spuren! Doch der gewaltsame Tot dieser unschuldigen Gruppe prägte sich tief in das ewige Geflecht Matageschs und Newosoreschs ein. Das Letzte, was ich sehen wollte, war, wie diese Menschen ihrem gewaltsamen Tod entgegengetreten und niedergemetzelt worden waren. Doch ich konnte mich dem nicht erwehren. Ich hatte bisher nur gelernt, meinen Geist zu öffnen, aber nicht, ihn zu verschließen. Die Erkenntnis überkam mich wie ein Raubtier aus dem Hinterhalt.

Einzig und allein der bärtige Kulgare trug die Verantwortung für das grausige Schicksal der Fischer. Mutterseelenallein kam er die Dorfstraße herabgeritten und begann ohne Vorwarnung, mit vernichtenden Blitzen um sich zu werfen. Die stolzen Fischer ergriffen nicht die Flucht, wie es jeder Vernunftbegabte getan hätte, sondern gingen zum Gegenangriff über, um ihre Frauen und Kinder zu schützen. Wie die Fliegen sanken die Chancenlosen zu Boden, nachdem der fremde Magier eine vernichtende Schockwelle blaugrüner Energie in die Reihen seiner Opfer geschickt hatte. Drei der tapferen Recken zwang er, sich gegen ihre Kameraden zu stellen. Er übernahm irgendwie ihren Geist und brach ihren Willen. Wie von Sinnen schlugen diese dann ohne Rücksicht auf ihr eigenes Leben erbarmungslos auf Brüder, Väter und Freunde ein. Mühsam zog ich mich aus diesem blutigen Spektakel in die Realität zurück. Trauer überkam mich beim Anblick der von dem vom Wahnsinn getriebenen Kulgaren sinnlos Niedergestreckten. Rachegelüste lösten beinahe umgehend mein tiefes Bedauern um diese verlorenen Seelen ab, obwohl ich die entstellten, verwesenden Körper zu meinen Füßen nicht kannte. So schnell mich meine Beine trugen, flüchtete ich. Es war das erste Mal, dass ich Auge in Auge derartigen Gräueln begegnet bin. Wenn die ganze Welt so sein sollte, wäre ich in einem Kloster definitiv besser aufgehoben gewesen, huschte es mir mit einem bitteren Unterton durch den Kopf. Bemüht, die furchtbaren Bilder aus meinem Bewusstsein zu vertreiben, machte ich an einer Gerberhütte außerhalb des Dorfes Rast. Ich grübelte über meine Zukunft. In der Annahme, auch hier sei niemand zugegen, durchsuchte ich bei dieser Gelegenheit die Vorratsräume nach Wein für meinen Meister. Ich fuhr herum und zuckte erschrocken zusammen. Eine tiefe Stimme fragte aus dem Nichts.

»Was machsch du da, Bua?«

Der Gerber, deutlich an seiner blutverschmierten Schürze zu erkennen, hatte mich am Kragen gepackt.

»Ich komme aus dem Dorf und suche etwas zu essen«, winselte ich kleinlaut.

»Und dann suchsch du dir die einzige bewohnte Hütte weit und breit, um zu klauen? Du bisch wirklich ganz schön blöd.«

Er entließ mich aus seinem von der harten Arbeit gestählten Griff.

»Ich kann bezahlen«, entgegnete ich trotzig.

»Na, wenn das so isch. Was brauchsch denn?«, erkundigte sich der Handwerker merklich freundlicher.

»Etwas Brot und einen Humpen Wein für meinen Meister.«

Er runzelte die Stirn.

»Sehe i so aus, als hätte i das Gold für Wein? Das musch du dir schon im Dorf besorgen!«

Wenn ich an das furchtbare Leid dachte, das ich gesehen hatte, stäubte sich jede Faser in mir dorthin zurückzukehren.

»Da will ich nicht hin«, antwortete ich, alleine von dem Gedanken schockiert.

»Verschtändlich. I auch net. Dann wird dein Meister wohl ohne Wein auskommen müssen.«

Er befingerte ungefragt meine Kleidung. »Das isch ein schöner Mantel, den du trägsch. Bärenfell, wenn I mi net irr? Brauchsch du noch passende Handschuhe? Zwei Silberlinge, dazu gibt es noch einen Laib Brot. I brauch des dringend. Das alte Lied, Schteuern, Schteuern, Schteuern.«

Nicht einmal hier draußen war der arme Kerl vor dem Zugriff der kaiserlichen Steuereintreiber sicher. Martin hatte mir zehn Silberlinge gegeben und es würde nicht schaden, wenn ich Remiko eine Freude machte und ihr eine kleine Überraschung schenkte. Auf einmal rumpelte und schepperte es im Nebenraum. Siedend heiß fiel mir ein, dass Briario noch um die Hütte schlich. Der Gerber packte einen Schürhaken.

»I schau, was da los isch! Vielleicht erwische i diese verdammten Diebe dieses Mal?«

Gehetzt hielt ich ihn zurück.

»Halte ein! Das ist mein Haustier auf der Suche nach etwas Fressbarem. Lass mich ihn rufen!«

Im Geiste bat ich Briario, sich vor die Hütte zu setzen. Der Raby, hatte mittlerweile seine volle Wirkung entfaltet. Endlich war der Zauber der ewigen Verbindung komplett. Ich sah durch seine Augen eine prall gefüllte Räucherkammer, in der neben etlichen Fellstücken auch massig Fisch hing. Er labte sich gerade an einem besonders fetten Exemplar.

»Na, dann leg los! Hol dein Hündchen her!«

Beinahe hatte ich vergessen, dass der Gerber nicht um die tiefe Verbindung des Raby wusste. Bisher hatte ich noch keinen Mucks verlauten lassen.

»Ähm, mein Haustier ist kein Hund. Sieh ihn dir an!«

Als er die Tür öffnete, stolperte er beim Anblick des jugendlichen Braunbären eingeschüchtert zurück in seine Hütte.

»Du bisch ein sonderbares Kind. Eigentlich sollte man dich melden. Für diesen bärbeißigen Kulgaren wärsch du gewiss ein gefundenes Fressen. Dein Glück! Ich hasse diese Bastarde.«

Ich schmunzelte und konnte es nicht bleiben lassen, ein wenig anzugeben.

»Da wäre ich mir nicht so sicher. Mit diesem elenden Mörder hatte ich schon das Vergnügen. Außerdem ist unsere Magie bei Weitem stärker.«

Man konnte beinahe sehen, wie der Gerber hellhörig wurde.

»Magie? Isch das dein Ernscht? An solchen Firlefanz glaub I net. Beweise mir, dass du der Magie mächtig bisch, so will I dir die Handschuhe, Brot und etwas Fisch schenken.«

Unschlüssig, wie ich das anstellen sollte, ohne mich durch die Erschütterungen im Geflecht der göttlichen Ordnung dem grausamen Reiter am Fluss zu verraten, setzte ich mich auf einen der hölzernen Stühle. Er knarzte unter meinem Gewicht. Wie sollte ich zaubern, ohne das Geflecht der göttlichen Ordnung zu erschüttern? Na klar, ich wusste die Lösung! Ich streifte den Bärenfellmantel und die Mönchsrobe darunter ab.

»Schlagt mich mit dem Schürhaken! Das dürfte Beweis genug sein.«

Verdattert blickte der grobschlächtige Handwerker an mir herab. Ich hob die Arme, entblößte meinen nackten Bauch und forderte ihn auf: »Schlagt zu! Mir wird nichts geschehen.«

Als er keine Anstalten machte, sich zu bewegen, provozierte ich ihn ein wenig: »Seid ihr nicht Manns genug?«

Zaghaft holte er aus und stupste gegen meinen Bauch.

»Fester! Ich will euch nicht als Waschlappen in Erinnerung behalten.«

Er verzog sorgenvoll sein Gesicht. »Verdammt noch mal! Du bisch ein Balg. Mamma hat mir mal beigebracht, dass man Frauen und Kinder nicht schlägt. Wer soll denn das ganze Blut wegputzen?«

Ich winkte ab. »Traut euch! Noch mal sag ich es nicht!«

Beinahe brachte mich der darauffolgende Hieb aus dem Gleichgewicht. Der Schürhaken sirrte durch die Luft und schlug vibrierend auf mich ein. Die heilige Rüstung hielt anstandslos dem harten Angriff stand. Mit weit aufgerissenen Augen, baff vom gerade eben Gesehenen, ließ sich der Gerber zurück auf seinen Stuhl fallen.

»Nimm dir, was du brauchsch, Kleiner. Wein schteht oben im Dachgiebel verschteckt.«

Nachdem ich mich angezogen hatte, alles zusammengepackt war und ich mich auf dem Rücken Briarios niedergelassen hatte, weil ich das viele Essen nicht alleine zu tragen vermochte, traute sich auch der Handwerker aus seiner Hütte. Da ich ihn einiger seiner Vorräte beraubt hatte, warf ich ihm den Beutel mit den zehn Silberlingen zu. Auch als Gegenleistung für die meisterlich gefertigten Handschuhe, die er mir geschenkt hatte. Mit großen Augen musterte er das halb volle Säckchen.

»Habt Dank für diese Großzügigkeit. Wie heißt Ihr denn, junger Lord?«

Es war erstaunlich, wie ein Beutelchen voller klimpernder Münzen das Verhalten eines Menschen ändern konnte. Auf mich hatte der schnöde Mammon keinerlei Anziehungskraft. Ich wusste schlicht nicht, was man damit alles anstellen konnte.

»Ich bin kein Lord sondern ein mittelloser Klosterschüler aus Grubschgau. Und ich heiße Wayan«, rief ich ihm bereits im Weggehen begriffen zu.

»Gehabt Euch wohl, Wayan. Kommt mich wieder besuchen!«

In jenen jungen Jahren war Gold für mich ohne jede Bedeutung. Die Natur gab uns alles zum Leben, was wir benötigten. Wir jagten sogar selbst. Was ich nicht wusste war, dass mich das Kopf und Kragen hätte kosten können, denn das Jagdrecht lag alleine beim Adel.

Kaum war ich zurückgekehrt, musste ich mir von Martin eine gehörige Standpauke anhören. Ohne einen müden Heller, nur mit etwas Brot, Wein, Fisch und – nicht zu vergessen – dem kleinen Geschenk für Remiko anzutanzen, war ihm für zehn Silberlinge zu wenig. In diesem Punkt waren sich Vater und Tochter ausnahmsweise einmal einig. Die junge Frau verzieh mir jedoch umgehend, als ich ihr die heimlich mit einem Kebus-Zauber belegten Handschuhe überreichte. Den Trick hatte ich mir von Torvic – möge er in Frieden ruhen – abgeschaut. Sobald man seine Hände hineinsteckte, entwickelte das Innere ganz von selbst eine wohlige Wärme.

Die Tage auf dem Fluss zogen sich dahin. Langsam, aber sicher wurde ich ungeduldig. Nach meinem Empfinden waren wir bereits seit einer Ewigkeit unterwegs und ich wollte endlich wissen, wohin uns diese Odyssee führte.

»Meister, wenn Ihr wollt, dass wir weiter bedingungslos folgen, könntet Ihr uns wenigstens den Zweck unserer Reise erklären?«

In Erwartung einer weiteren Schimpftirade hatte ich mir bereits einige Argumente zurechtgelegt, mit welchen ich Martin überzeugen wollte. Da ich auf die Schilderungen meiner Erlebnisse im Fischerdorf nur ein müdes Achselzucken geerntet hatte, legte sich ein dunkler Schatten auf mein Gemüt. Einzig Remiko hatte ein offenes Ohr für mich. Geduldig ließ sie es über sich ergehen, dass ich ihr mein Leid klagte. Zu unserer Überraschung hielt Martin mit dem Ziel unserer Reise nicht mehr hinter dem Berg.

»Wie du mit Remiko bereits richtig gemutmaßt hast, geht es nach Lokontora und nicht nach Linber.«

Was war dieses Lokontora? Ich wusste, dass ich den Namen schon öfter gehört hatte, konnte ihn aber einfach nicht zuordnen. Als er meinen ratlosen Blick sah, musste er grinsen.

»Ich vergesse immer, wie jung du bist. Lokontora ist die Brutstätte. Verflucht seit Anbeginn des lombokischen Reiches. Dort war der wichtigste Stützpunkt Larutans im Kampf gegen die Stämme der dunklen Zeit. Nun liegt er verlassen, doch ich bin fest davon überzeugt, dass sich das eine oder andere Mitglied des sinisteren Kreises dort befindet. Die Neuigkeit, dass die einzige Konstante der kaiserlichen Herrschaft zerschlagen worden ist, bereitet mir massives Unbehagen. Wir müssen uns neu formieren. Außerdem würde ich euch gerne Xaratos vorstellen. Er war derjenige, der mich unterwies, mein Meister.«

Auf diese Nachricht musste ich erst einmal schlucken. Der Meister meines Meisters war noch am Leben? Ich stellte mir eine vertrocknete Mumie vor, die kaum noch in der Lage war, mit den Armen zu wackeln.

LOKONTORA

Als wir endlich das Boot verlassen konnten, wurden wir schon in Empfang genommen. Alleine die Wahl der Behausung Xaratos’ für seinen Lebensabend hätte martialischer nicht sein können: ein zwischen gigantischen Ketten und tödlichen Eisenspitzen eingezwängtes Loch, das eindeutig niemals als Wohnraum gedacht gewesen war. Die Glieder der im massiven Fels mannshoch verankerten Geschirre waren dicker als der Bauchumfang Martins, was einiges heißen sollte. Mir schwante schon, für welche Kreaturen diese riesengroßen Gerätschaften geschmiedet worden waren. In der Geschichte Lombokiens verbreitet dieser Ort eine außergewöhnlich schlechte Aura. Lokontora war als eines der fünf Tore zur Unterwelt bekannt. Bevor man die Festung erreichte, lief man zunächst über einen offenen Friedhof, gepflastert mit den Knochen unzähliger Generationen von Lebewesen. Lägen nicht immer wieder auch Überbleibsel menschlicher Gebeine zwischen den Tierkadavern, hätte ich das Szenario einigermaßen akzeptieren können. Als ich aber über den ersten Schädel definitiv humanen Ursprungs stolperte, packte mich das blanke Entsetzen. Mir war es ein Rätsel, wie hier jemand freiwillig leben wollte. Der schlechte Ruf dieser gruseligen Festung war definitiv begründet. In dem Moment, als wir mitten in diesem Niemandsland ein trotz seiner Größe ausgezeichnet getarntes Versteck betraten, schallte uns Applaus entgegen. In der geräumigen Höhle befanden sich die wichtigsten Berühmtheiten der Magiergilde versammelt, in deren Mitte eindeutig Xaratos stand. Sie waren allesamt definitiv nicht mehr die Jüngsten, aber der Meister meines Meisters setzte dem Ganzen die Krone auf. Ganz im Gegensatz zu meinen Erwartungen war Xaratos ein rüstiger Greis mit außergewöhnlichen Fähigkeiten. Ein wenig erinnerte er mich an Torvic, nur waren weder der Habitus der Magier noch ihr Auftreten im Mindesten vergleichbar mit ihm. Einzig ein Gefühl für minimale Schwankungen im Geflecht der göttlichen Ordnung war beiden zu eigen. Xaratos machte auf mich von Anfang an einen weniger grausamen und mit dem Rest der mächtigen Magier verglichen nur oberflächlich patriarchischen Eindruck. Dies war wohl seinem fortgeschrittenen Alter geschuldet. Martin stellte uns der Reihe vor. Von Lord Ignatius angefangen über den berühmten Drachenschlächter, Großmarschall Lichtenstätt bis zum legendären Todfeind Rachuls, dem larutanischen Großwesir Achmadel Dibad. Es war Xaratos, der Martin überschwänglich um den Hals fiel.

»Du Prachtkerl. Wir haben verfolgt, was du in Grubschgau angerichtet hast. Endlich lehnst auch du dich gegen die gegebene Ordnung auf. Wie ich sehe, hast du dich des Auges der Wiederauferstehung bemächtigt. Erzähl! Wie kam es dazu?«

Nachdem der ehemalige Heeresleiter die farbenfroh ausgemalte und trotz aller Gräuel geschönte Geschichte unseres Abgangs aus Grubschgau dargelegt hatte, widmeten sich die von Rachul aus Amt und Würden verstoßenen Machtpolitiker meiner Wenigkeit. Fahrig betasteten sie meinen Kopf, zapften mir ein wenig Blut ab und führten unter lautem Gejohle den Rahiket aus. Wieder einmal durften wir nicht zuschauen, obwohl mich doch die Neugier auf diese Prozedur verzehrte. Der sinistere Kreis wollte die Aussagen Martins über meine magischen Kräfte bestätigt sehen. Er sprach die vollkommene Wahrheit, wie mir Lichtenstätt später bestätigte. Es hätte ein Freudenfest werden können, doch die aktuelle politische Lage ließ die hohen Herren in hitzige Diskussionen verfallen. Die einen meinten, mit dem Volk des Staates Kulgurs sei vernünftig zu reden, die anderen waren für einen offenen Aufstand gegen die Herrschaft Rachuls. Da ich mich vollkommen fehl am Platz fühlte, gesellte ich mich zu Remiko, die den verängstigten Briario bemutterte. Ich spürte den Schrecken, der ihm in den Gliedern saß. An diesem Ort waren furchtbare Dinge geschehen. Seine Instinkte schrien danach zu fliehen. Unbedarft setzte ich mich mit dem Rücken zu der hitzig debattierenden Männerrunde. Was war das Geheimnis Lokontoras?

Dann, als sich eine knochige Hand auf meine Schulter legte und mich ungefragt durch einen durchdringenden Zauber in den Zustand der geistigen Empfängnisbereitschaft versetzte, offenbarte sich mir das wahre Ausmaß der grausamen Ereignisse, die hier stattgefunden hatten. Ich versank im Strudel der Vergangenheit.

Ein mächtiges bis an die Zähne bewaffnetes Heer brandete an die Tore Lokontoras. Im Inneren der damals fürstlich ausgebauten Festung brüllten junge Drachen, angestachelt vom Lärm der kämpfenden Heerscharen. In die mannshohen Eisenketten stemmten sich ausgewachsene Drachen, danach bestrebt, ihre Jungen zu schützen und notfalls mit einzugreifen. Befremdlich hochgeschossene Wesen rissen an ihren Fesseln, zwängten einem der wütenden Biester einen Maulkorb über, um die Drachendame gefahrlos satteln zu können. Da brach mir nichts, dir nichts, die Hölle los. Die dicken Eichentore hielten dem Ansturm der Kriegselefanten nicht mehr stand. Welle um Welle drückte durch das gesplitterte Holz. Gepanzerte Soldaten überrumpelten mit gezückten Waffen die Verteidiger und metzelten die verlorenen Seelen unbarmherzig nieder. Das Schlachten nahm nun seinen Anfang. Gewaltige Explosionen rissen eine breite Lücke in die Reihen der Angreifer. Der Drache hatte einen Feuerball, durch den er seinen Maulkorb bersten ließ, mitten in die Menschenmenge geschossen. Ein wahrer Regen aus Pfeilen, Speeren und zu meiner Überraschung auch magischen Geschossen war die Antwort. Mit infernalem Gekreische ging die wunderschöne blau schimmernde Panzerechse zu Boden. Ihre Kinder waren unrettbar verloren. Durchbohrt, aufgespießt oder versteinert lagen viele bereits darnieder. Mit letzter Kraft richtete sich die Drachendame auf. Jetzt erst fiel mir auf, welche Ausmaße die Höhle, in der ich mich gegenwärtig befand, einst hatte. Mindestens doppelt so lang war sie gewesen. Was nun geschah, erklärte vieles. Mit einer Gewalt, die dem sterbenden Tier gar nicht zuzutrauen war, riss sie sich von ihren Fesseln los, streckte ihren Kopf in die Höhle, an deren Ende lodernde Feuer brannten, und spie einen Ring von ungeheuren Mengen einer ätzender Flüssigkeit, die das Gestein zu schmelzen schien. Mit einem letzten Aufbäumen versenkte sie die so präparierten Höhlenwände zu einer massiven Wand lupenreinen Drachenglases, die noch heute das Bild der Höhle beherrschte. Mir entzog sich der Sinn, warum sie auf ihren letzten Atemzug Lokontora versiegelte. Da riss mich Xaratos zurück ins Hier und Jetzt. Schwer atmend stand er hinter mir.

»Verstehst du, warum wir uns hier versammeln, Wayan?«, fragte er nur unterbrochen von tiefen Atemzügen. Verständnislos starrte ich dem Greis ins tief gefurchte Gesicht.

»Mit der geballten magischen Kraft des sinisteren Kreises werden wir versuchen, das Siegel des Drachen zu brechen. Hinter diesem Hindernis liegt das Wertvollste, das man sich vorstellen kann.«

Ich war um keinen Deut schlauer.

»Und was soll das sein?«

Er gab mir einen Klaps auf den Hinterkopf.

»Dies hier war eine Brutstätte. Wenn irgendwo im lombokischen Reich noch Dracheneier existieren, dann hier.«

Darauf hatten sie es also abgesehen. Das Gelege des jetzt nur noch als Gerippe existenten Drachenweibchens.

»Wirst du uns helfen, Wayan? Ich verspreche dir, falls es uns gelingt, den Schatz des Dragori zu bergen, diesen nur zum Guten zu verwenden.« In mir kamen Zweifel auf. So wirklich, das sagte mir jedenfalls mein Bauchgefühl, war hier nur wenigen zu trauen.

Trotzdem stand für mich die Antwort außer Frage.

»Ja, selbstverständlich!«, frohlockte ich bei der Aussicht, mit den Mächtigsten des Reiches einen uralten Bann zu brechen. So gesellte sich Xaratos zu Martin, woraufhin sie sich gemeinschaftlich einen Schluck des von mir ergatterten Weines genehmigten. Und nun stellte Remiko mir die Frage, vor deren Beantwortung ich mich insgeheim schon länger fürchtete. Sie stellte mich zur Rede.

»Was meinte Xaratos damit, dass Martin sich gegen die gegebene Ordnung auflehnt? Was genau hat er angerichtet?«

Am liebsten hätte ich mich gedrückt und wäre schreiend davongelaufen. Sollte ich sie belügen um unser friedliches Zusammensein nicht zu gefährden? Letztendlich entschied ich mich, wenigstens einen Teil der Wahrheit zu erzählen.

»Also das war so: Der Religionslehrer Schulla hatte dich gefangen nehmen lassen. Da ist uns bei deiner Befreiung ein Missgeschick passiert.«

Argwöhnisch musterte sie mich.

»Aha. Und was für eines?«

»Ich habe ihn verbrannt. Genii, du weißt schon. Irgendwie hat dadurch die Bibliothek des Klosters Feuer gefangen.«

Ihr Blick verfinsterte sich.

»Raus mit der Sprache! Die schlimmste aller Lügen sind Halbwahrheiten und ungesagte Dinge.«

»Ist ja schon gut, Remiko. Es war nicht nur die Büchersammlung, sondern auch das eine oder andere Haus in der Stadt.«

Man sah ihr an, wie sie immer misstrauischer wurde.

»Lass es bleiben! Ich sehe schon, dass du mir weder verraten wirst, warum ich mich an nichts erinnere, noch was aus meinen Tieren geworden ist. Niemals hätte ich meine Lieblinge alleine gelassen. Da werde ich mir wohl meinen Vater zur Brust nehmen müssen, wenn du nicht mit der Sprache herausrücken willst.«

Entschlossen stapfte sie auf die Männerrunde zu, zog ihren Erzeuger zur Seite und flüsterte eindringlich auf ihn ein. Er schien einen verhängnisvollen Fehler gemacht zu haben, denn sie schrie ihn in Grund und Boden.

»Was? Ein bisschen gezündelt? Alle tot? Keine Minute länger bleibe ich hier!«

Sie schlug ihm klatschend ins Gesicht. Eine Ohrfeige, die sich ordentlich gewaschen hatte.

»Wayan, wir gehen!«

Resolut stapfte sie in das rege Schneetreiben, das zwischenzeitlich eingesetzt hatte. Von Verlustangst getrieben, rannte ich ihr nach.

»Remiko, so warte doch! An all dem ist Meister Schulla schuld. Dein Vater kann nur bedingt etwas dafür. Bitte warte!«

Mit Zornestränen in den Augen drehte sie sich um. Mir war klar, dass mein Mentor durchaus sein Scherflein bei der Zerstörung unserer Heimat beigetragen hatte, doch wollte ich sie beruhigen und nicht weiter verärgern.

»Warum erinnere ich mich an nichts? Ich glaube euch kein Wort! Ein Stein auf den Kopf gefallen? Dass ich nicht lache. Ich habe weder Kopfschmerzen noch eine Beule. ER hat mein Gedächtnis gelöscht.« Sie deutete auf Martin. »Ich gehe und damit basta!«

Ich war der Verzweiflung nahe. Für wen sollte ich mich entscheiden? Für meinen Meister, der mich durch mein bisheriges Leben begleitet hatte, oder für Remiko, mit der ich mich mehr verbunden fühlte als mit jedem anderen Menschen auf Matageschs Schöpfung? Außerdem machte ich mir große Sorgen, sollte sie bei dieser beißenden Kälte ohne Schutz in die aufkeimende Dunkelheit verschwinden. Mein Entschluss stand fest: Ich würde sie begleiten. Ein letzter Anlauf, sie zurückzuhalten, hatte dann den Göttern sei Dank doch noch Erfolg. Man kann sich gar nicht vorstellen, wie erleichtert ich war, dass sie sich für mein Argument zugänglich zeigte, bis zum nächsten Morgen gemeinsam zu warten, um den Gefahren der Nacht in unbekanntem Terrain zu entgehen. Dies bedeute leider, eine gefühlte Ewigkeit mit ihr in der Eiseskälte zu verbringen. Ich zitterte am ganzen Körper, als wir endlich zurückkehrten. Bis dahin hatte sie die volle Wahrheit aus mir herausgekitzelt. Ich dachte mir, würde ich ihr die Vorkommnisse, die den Untergang Grubschgaus befeuerten, nicht erzählen, hätte sie uns für immer den Rücken gekehrt. Ganz im Gegenteil zu ihrer Ankündigung, uns zu verlassen, war Remiko nun bereit zu bleiben, als sie eingesehen hatte, dass es in Grubschgau nichts mehr gab, was auf sie wartete. Die Trauer um ihre Tierchen und der Hass auf ihren Vater knüpfte das Band, das uns zusammenhielt, noch enger – obwohl unser Vertrauensverhältnis für kurze Zeit ein wenig angeknackst war. Als wir die Höhle betraten, waren die Vorbereitungen, das Drachensiegel zu brechen, in vollem Gange. Xaratos klopfte das vom Feuerodem verglaste Gestein ab, wie er es bestimmt schon Hunderte Male getan hatte, um die dünnste Stelle zu ermitteln. Mit magisch verstärkter Stimme rief er sowohl den sinisteren Kreis als auch Remiko und mich zusammen.

»Hier werden wir den Kilat anwenden. Gebt alles, was ihr habt!«

Er deutete auf eine besonders helle Stelle, die funkelnd schimmerte.

»Auf drei! Eins, zwei …«

Die Drei ging in einem krachenden Paukenschlag und den knisternden Blitzen, die von den Magiern ausgingen, unter. Eine Explosion geballter magischer Energien erschütterte die gesamte Gesteinsstruktur. Feiner Sand rieselte danach unentwegt von der Decke. Der Einschlag war dermaßen hell, dass ich mehrere Herzschläge lang nichts außer weißen und gelben Punkten vor meinen Augen tanzen sah. Als ich wieder etwas sehen konnte, war die Enttäuschung groß. Nicht einmal eine Nagelbreite war von dem massiven Fels abgesprengt worden. Xaratos fluchte.

»So ein Drachenmist! Hat jemand eine Idee?«

Da meldete sich ein hochgewachsener, spindeldürrer Magier zu Wort. Er machte trotz seiner Größe einen zurückhaltenden, unscheinbaren Eindruck.

»Wir könnten den Ampokang versuchen. Vielleicht gelingt es uns, hindurchzuschreiten.«

Die Umstehenden nickten. Xaratos lachte gellend auf.

»Glaubt ihr denn, mir wäre das nicht eingefallen? Versuch es doch, Lantos! Vielleicht hast du mehr Erfolg als ich.«

Nachdem der blond gelockte Lantos den ätherischen Zustand des Ampokang heraufbeschworen hatte, wagte er den Versuch. Den Schrei, den er bei der bloßen Berührung des verwunschenen Materials ausstieß, ging durch Mark und Bein. Er krümmte sich mit schmerzentstellten Gesichtszügen zwischen den Knochenresten der legendären Schlacht um Lokontora.

‚So ein Widerling!‘, dachte ich mir. Wenn Xaratos das bereits am eigenen Leib erfahren musste, hätte er Lantos ruhig warnen können. Bis nach Mitternacht taten wir alles Menschenmögliche, um durch diese Wand zu gelangen, doch es half nichts. Völlig entkräftet mussten wir nach Lingsir, Genii und vielen weiteren Zaubern entmutigt aufgeben. In trauter Runde saßen wir anschließend zusammen, um uns zu beratschlagen. Remiko weigerte sich weiterhin standhaft, auch nur ein Wort mit Martin oder Xaratos zu wechseln, so bestritt ich mit den in die Jahre gekommenen Magiern das Gespräch alleine. Neugierig, wie ich zu dieser Zeit war, erkundigte ich mich über die Vision, die mir Xaratos verschafft hatte.

»Wer hat hier eigentlich gegen wen gekämpft und vor allem wann?« Xaratos kam Martin zuvor.

»In Lokontora endete die Vorherrschaft der Larutaner über das von ihnen eroberte Lombokien. Angeführt vom ersten Kaiser, Marquart dem Großen, Verräter am eigenen Volk, besiegelte der Verlust Lokontoras den schleichenden Niedergang des larutanischen Volkes. Der Stammesführer wurde abgesetzt, da Marquart die Sklaverei eingeführt hatte, was mit dem Glauben an Matagesch und Newosoresch unvereinbar ist.«

Die Mitglieder des sinisteren Kreises murmelten zustimmend. Unbedarft fragte ich weiter.

»Was waren das für Wesen, die den Drachen satteln wollten? Groß und kräftig.« Unverfroren packte ich einen überdimensionalen Oberschenkelknochen, der genau neben mir lag, und hielt ihn Xaratos unter die Nase.

»Das kann ich beantworten«, schaltete sich Lantos ein.

»Ich selbst trage sowohl das Blut als auch das Erbe des Volkes der Sahmuelen in mir. Wenige Hüter der Drachen haben das Pogrom der ersten kaiserlichen Dynastie überlebt, doch wir, die verbliebenen Sahmuelen Lombokiens, leben weiterhin getarnt unter euch.«

Bei genauerem Hinsehen sah man ihm das Fremde, das er repräsentierte, an. Mindestens zwei Meter war er groß, dabei hatte er für seinen dünnen Körperbau ausgesprochen starke Gliedmaßen. Deutlich zeichnete sich seine Muskulatur unter seinem eng anliegenden Mantel ab.

»Wir wissen um die Geheimnisse der Feuerechsenzucht. Wie man sie gefahrlos vom Ei bis zum ausgewachsenen Tier begleitet. Ganz ohne Raby. Ohne ihre Sahmuelen wäre Larutan längst gefallen. Alles, was wir wissen, wird hierzulande seit jeher von Generation zu Generation weitergegeben, und zwar mündlich, um zu verhindern, dass Despoten wie Rachul oder einst Marquart an das Geheimnis wahrer Macht gelangen.«

Ehrlich interessiert rückten die Zuhörenden näher. Offenbar waren das auch für viele des sinisteren Kreises Neuigkeiten. Ausgenommen Xaratos und Martin, die einhellig nickten. Es war wohl mein Meister, der Lantos in den magischen Zirkel berufen hatte. Wahrscheinlich, da er aus seiner Zeit der Gefangenschaft in Larutan um die Bedeutung der Sahmuelen bei der Drachenzucht wusste. Obwohl mir todmüde und ausgelaugt von den Anstrengungen, das Drachensiegel zu durchbrechen, die Augen zufielen, zwang ich mich, weiter den Sahmelen zu löchern. So eine Gelegenheit bietet sich kein zweites Mal im Leben, insbesondere da ich von den Sahmuelen und ihrem Wissen noch nie gehört hatte. Auch nicht während meines ausgedehnten Studiums alter Schriften in der klösterlichen Bibliothek Grubschgaus.

»Wie brütet man denn einen Drachen aus und wie schafft ihr es, dass sie euch nicht zerfleischen?«

Lantos grinste wissend.

»Wenn ich dir das verrate, müsste ich dich auf der Stelle exekutieren.«

Enttäuscht wendete ich mich ab, legte mich zu Briario und Remiko, die längst schliefen, nur um mitten in der Nacht von Lantos ruppig geweckt zu werden. Er hielt mir den Mund zu, damit ich die Übrigen nicht aufweckte. So beraubte mich der Sahmuele unverfroren meiner dringend benötigten Ruhe.

»Sei ja still! Folge mir!«, flüsterte er verschwörerisch.

Schlaftrunken wackelte ich dem Riesen, der selbst Lord Hagen um eine halbe Haupteslänge überragte, hinterher. Er führte mich in das von Eisstürmen umtoste verfallene Haupttor. Wortlos drehte er sich um, packte mich an den Schultern, blickte mir tief in die Augen und beschwor mit rollender Nigidich: »Melach!«, was in der Sprache des alten Larutans »gut« bedeutet. Ich wurde auf Herz und Nieren geprüft.

Wie bereits einst durch Martin fühlte ich mich bis in den letzten Winkel meiner Seele durchleuchtet. Der Sahmuele atmete tief ein und schnaubte kurz, bevor er endlich anfing zu sprechen.

»Dein Herz ist wirklich rein. Zur Abwechslung hat Martin nicht gelogen. Die Fäden der göttlichen Ordnung haben uns hier und heute zusammengeführt.« Der Klang seiner Stimme veränderte sich merkwürdig. »Ist das Böse vereint, wird dem Träger der heiligen Rüstung die höchste Ehre zuteil. Der Eine wird das Siegel der Siegel brechen. Die ganze Welt erzittert im Antlitz seiner Herrlichkeit. Darum will ich dir die Geheimnisse der Drachenzucht erläutern, damit der Prophezeiung des Gunung Batur genüge getan wird.«

Erstaunt blickte ich auf. War es nicht das Orakel des Gunung Batur, das den ersten Kaiser gewarnt hatte und dessen Prophezeiung jetzt Rachul veranlasste, alles Magische an sich zu raffen oder zu unterdrücken? Unbeirrt redete Lantos weiter.

»Was ist das beherrschende Element der Dragori?«

Völlig aus dem Konzept meiner Überlegungen gebracht, überrumpelte mich seine plötzliche Frage.

»Ääähm, Feuer, denke ich. Was mich gerade aber mehr interessiert, ist dieser Orakelspruch.«

Unfreundlich unterbrach er mich.

»Dafür haben wir jetzt keine Zeit. Da du sowieso nach Linber gehst, frage Innin! Sie lebt am Hofe Rachuls. Du wirst sie erkennen, sobald du sie siehst. Nun aber zurück zum Wesentlichen. Ja, Feuer ist deren Element. Zu Anfang reicht normale Glut aus Holzkohle, dann verlangt der ungeborene Fötus aber nach dem heißeren magischen Feuer, das normalerweise die Mütter den Eiern zuführen. Es macht die Schalen spröde. Erst dann können die Welpen schlüpfen.«

Ist ja einfach, dachte ich mir im Stillen, doch das sollte längst nicht alles gewesen sein.

»Das Erste, was ein Dragoriwelpe sehen darf, muss die Bezugsperson sein, der es für die nächsten Monate dank einem tief verwurzelten Prägungsverhalten folgen wird. Bis zur Pubertät …«

Geraume Zeit später, der Vollmond war bereits über den halben Horizont gewandert, schwirrte mir der Kopf vom geballten Wissen eines beinahe ausgestorbenen Volkes. Ich erfuhr, wie man erwachsenen Drachen mit Kältezaubern Paroli bieten konnte, da die wechselwarmen Tiere steif wurden, sobald sie froren, wie empfindlich Jungtiere gegen das Geheul der Lupoden, einer mächtigen Wolfsrasse, reagierten, was ganze Clans in Raserei verfallen lassen konnte. Ausgesprochen interessant war das komplexe Miteinander, das junge Feuerechsen mit ihren Sahmuelen verband. Die schiere Fülle von Lantos’ Wissensschatz ließ mich klein und ungebildet erscheinen. Während des hereinbrechenden Sonnenaufgangs entließ er mich mit einem ungeahnten Reichtum eines im Falle des Falles anwendbaren Wissens, der geballten Weisheit der Sahmuelen. Zum Abschied gab er mir noch eine Warnung mit auf den Weg.

»Verrate niemandem, was du von mir erfahren hast! Rachul, Xaratos, Martin, Lichtenstätt und wie sie alle heißen, würden dich bei lebendigem Leibe häuten oder noch schlimmer unter deinen Augen diejenigen foltern, die du liebst, nur um das Geheimnis, eine Brutstätte betreiben zu können, aus dir herauszupressen. Ich werde nun gehen, denn hier fühle ich mich nicht mehr sicher. Traue keinem aus dem sinisteren Kreis. Jeder für sich ist ein Verräter, Machtpolitiker und Despot, die ganze Völker in die Sklaverei getrieben haben. Das Schicksal eines Waisenjungen aus der Provinz interessiert die einen Dreck, solange sie bekommen, wonach sie begehren. Gehab dich wohl, Wayan.«

Er entschwand in großen Schritten, kehrte aber keine zwanzig Herzschläge später zurück.

»Da hätte ich fast das Wichtigste vergessen. Wir Sahmuelen riechen Drachengift über Kilometer hinweg. Ihr tragt genügend bei euch, um ein Loch in diese verfluchte Wand zu schmelzen. Entledige dich möglichst bald des sinisteren Kreises, denn diese Menschen werden nur Leid über Remiko und dich bringen. Ja, auch dein Meister. Sobald sie merken, dass Xaratos’ Unterfangen zum Scheitern verurteilt ist, werden sie Lokontora verlassen. Du musst alles daransetzen, baldmöglichst alleine hierher zurückzukehren. Ehre sei Matagesch.«

Der Nebel verschluckte ihn während er diese theatralischen Worte sprach. Kaum hatte ich mir meine müden Augen gerieben, hatte sich Lantos in Luft aufgelöst.

Zutiefst beunruhigt schlenderte ich zu den anderen, als ob ich kurz austreten gewesen wäre. Die Meute schlief den Göttern sei Dank noch immer. Meine Abwesenheit war unbemerkt geblieben.

Es stellt sich als äußerst schwierig heraus, auch nur einen kurzen Moment alleine mit Remiko zu sein, der ich unbedingt meine neuesten Erkenntnisse mitteilen wollte. Des Weiteren war es dringend angeraten, mich mit ihr über die von Lantos ausgesprochene Warnung zu unterhalten. Den ganzen Tag hindurch bissen wir uns an dem verwunschenen Drachenglas die Zähne aus, ohne einen Moment der Ruhe. Xaratos wollte einfach nicht lockerlassen. Mir brannte es unter den Nägeln hinauszuposaunen, was ich von dem Sahmuelen erfahren hatte. Erst als Briario merklich ungeduldig wurde, da ihn genauso wie uns der Hunger plagte, erlaubte Xaratos, dass wir die Höhle verließen. Aber auch nur, weil der Bär begonnen hatte, die herumliegenden Knochen zu zerkauen.

Es war herrlich diesem schrecklichen Ort zu entkommen. Unendlich genossen wir die Weite der Karstlandschaft. Überall gab es kleine Löcher zum Verstecken, Bäche, die scheinbar im Nichts versickerten, und lichten Kiefernwald, so weit das Auge reichte. Briario stellte sich als geschickter Jäger heraus. Ganz ohne Remikos oder mein Zutun brachte uns der Jungbär zwei fette, ausgewachsene Biber. An seiner verschmierten Schnauze erkannte ich, nicht einmal den Raby nutzend, dass er sich bereits eines der Wassertiere genehmigt hatte. Das gab uns Zeit, ausgiebig über das Erlebte zu plaudern. Wie sich herausstellte, brannte Remiko mindestens genauso viel auf der Seele wie mir. Die Verachtung gegenüber ihrem Vater schien über Nacht ins Grenzenlose gestiegen zu sein. Sie erzählte Anekdoten aus ihrer Kindheit, wie sie sich vernachlässigt fühlte, er ihr verboten hatte, ins Kloster zu kommen, und wie er sich mehr und mehr in ein Monster verwandelt hatte, seit er dem Auge der Wiederauferstehung verfallen war. Während ich bei Torvic weilte, züchtigte Martin persönlich in Vertretung für Lord Hagen die Strafgefangenen. Wie Remiko zu Ohren gekommen ist, hatte keiner der peinlich Befragten überlebt. Ich konnte mir denken, welches Schicksal den armen Seelen wiederfahren war. Das Gleiche, das die armen Finsterfeen in seinem Grubschgauer Labor erleiden mussten: vom Auge der Wiederauferstehung ausgesaugt. Deshalb steckten wir verschwörerisch die Köpfe zusammen. Wir planten unsere undurchführbare, romantische verklärte Flucht aus Lombokien, damit ich nicht zur kaiserlichen Garde musste und Remiko ihrem Vater entkam. Nun bescherte uns eine glückliche Fügung, dass wir uns keine Sorgen um den Verbleib der altgedienten Mitglieder des sinisteren Kreises machen mussten. Ein kaiserlicher Bote kam nach Lokontora geritten, was ungewöhnlich war. Er stellte sich als Getreuer Lichtenstätts heraus, der in heller Aufregung berichtete, dass die Kulgaren Lichtenstätts Amt übernehmen würden, dabei hätten sie mittlerweile die Heeresleitung an sich gerissen, etliche Generäle getötet und den Großmarschall zu einer Befragung vor dem Eroberer Larutans, der Geisel der Ungläubigen, den Löwen Lombokiens, Rachul dem Großen, vorgeladen. Sollte er nicht erscheinen, würde er für vogelfrei erklärt. Wie ein Mann sprang der sinistere Kreis empört auf.

»Was für eine Frechheit! So kann man die etablierte Elite Lombokiens doch nicht behandeln«, krakeelte es aus aller Munde. Einzig der larutanische Wesir, Achmadel Dibad, schien als klar positionierter Feind Rachuls auf seine Kosten zu kommen.

»Seht ihr jetzt, was dieser Bastard anrichtet? Nicht nur, dass er die Larutaner sowie sein eigenes Volk verhungern lässt, sondern auch euch wird er an den Kragen gehen. Er pflastert seine Wege mit Leichen, doch die Treppe seines Thrones werden eure Köpfe zieren.«

Xaratos gebot mit magisch verstärkter Stimme dem aufgeregten Magier zu schweigen.

»Da mein Plan, die Drachen Lombokiens wiederzuerwecken, gescheitert ist, werden wir auf die althergebrachten Methoden, unsere Macht zu erhalten, zurückgreifen müssen. Lichtenstätt, Ignatius, ihr geht nach Linber und versucht, Rachul dazu zu bewegen, von seinem hirnrissigen Plan abzulassen, obwohl ich kaum glaube, dass eure Bemühungen von Erfolg gekrönt sein werden! Ihr anderen zieht zurück in eure Stammlande und rettet, was zu retten ist! Hiermit löse ich die Versammlung des sinisteren Kreises auf.«

GETRENNTE WEGE

Mit einem Paukenschlag schwoll die Lautstärke an. Alle redeten wild durcheinander, nur hatten sie die Rechnung ohne meinen Meister gemacht. Sein Tidak Bisah war dermaßen überwältigend, dass selbst ich die Wellen im Gefüge der göttlichen Ordnung wahrzunehmen vermochte. Vollkommenem Schweigen unterworfen, starrte ihn jedermann an. Die einen aus Neugier, die anderen in wutgeladener Boshaftigkeit.

»Freunde, wir müssen Ruhe bewahren! Wir dürfen uns jetzt keine Fehler erlauben! Rachul darf unter gar keinen Umständen an unserer Loyalität zweifeln. Er ist nun dermaßen paranoid, dass er die kaiserliche Garde, die Kulgaren und sein gesamtes Heer auf uns hetzt, sollte er einen Verdacht hegen. Lord Ignatius, würdet ihr bitte dafür Sorge tragen, dass mein Attaché Wayan seinen Weg in die kaiserliche Garde findet? Er wird euch begleiten.«

Mit jedem Fitzelchen Energie, das ich aufzubringen imstande war, brach ich seinen Schweigebann.

»Das könnt Ihr nicht tun. Wer kümmert sich um Briario?«, plärrte ich dazwischen. Kaum dass ich zu Atem vom Durchbrechen des Tidak Bisah gekommen war, schaltete sich Remiko ein.

»Ich will hier nicht alleine bleiben. Nehmt mich mit nach Linber! Hier fürchte ich mich ohne Briario und Wayan.«

Mit vor Erstaunen offenen Mündern gaffte der weiterhin dem Schweigen unterworfene sinistere Kreis uns an. Keiner der angeblich mächtigsten Magier Lombokiens war imstande, den Bann zu brechen. Das grenzte schon an eine Schmach, aber Martin zog unerbittlich logisch seine Argumentationskette durch.

»Dann wird es euch freuen zu hören, dass Briario bei Remiko und mir bleiben wird. So leid es mir tut, aber Remiko und Briario müssen hier