WEIBERHELDENTOD IN UNTERFILZBACH - Eva Adam - E-Book + Hörbuch

WEIBERHELDENTOD IN UNTERFILZBACH E-Book und Hörbuch

Eva Adam

4,3

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Beschreibung

Sodom und Gomorra im beschaulichen Unterfilzbach: Hansi steckt in einer Lebenskrise. Schuld daran ist nur sein neuer, fauler, aber äußerst attraktiver Bauhofkollege Monaco, den alle Damen und Männer des Dorfes anhimmeln. Als Monaco plötzlich ums Leben kommt, fällt der Verdacht sofort auf Hansi und er muss in U-Haft. Mithilfe seines greisen, aber erfahrenen Rechtsbeistandes Poldi kommt er zum Glück bald frei und die beiden Herren ermitteln nun auf eigene Faust. Doch schnell verlieren sie die Übersicht über die Vielzahl der Affären des potenten Weiberhelden. Beinahe das ganze Dorf ist jetzt verdächtig, und es gibt noch weitere Geheimnisse, die gelüftet werden müssen. Was haben eigentlich die Bauhofmänner mit dem "Bürgermeister-Gate"-Skandal im Dorf zu tun? Wird es Hansi schaffen, sein Rasenmäher-Comeback zu feiern? Und findet die bissige Dorfratschen Berta Hinkhofer endlich einen Mann fürs Leben? Band Sechs der erfolgreichen niederbayrischen Krimikomödie um "Hobby-Detektiv" Hansi Scharnagl und die ebenso schrulligen wie liebenswürdigen Bewohner des beschaulichen Dorfes Unterfilzbach – für Fans der Regionalkrimis von Rita Falk, Jörg Maurer und Volker Klüpfel.

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Seitenzahl: 547

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Zeit:13 Std. 5 min

Sprecher:Günter Schoßböck
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Weiberheldentod in Unterfilzbach

der sechste Fall für Hansi und seine Bauhof-Männer

Krimikomödie

Dieses Buch wurde vermittelt von der Literaturagentur erzähl:perspektive, München (www.erzaehlperspektive.de)

 

Impressum

Deutsche Erstausgabe Copyright Gesamtausgabe © 2023 LUZIFER Verlag Cyprus Ltd. Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Cover: Michael Schubert

Dieses Buch wurde nach Dudenempfehlung (Stand 2023) lektoriert.

ISBN E-Book: 978-3-95835-820-1

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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über

Inhaltsverzeichnis

Weiberheldentod in Unterfilzbach
Impressum
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Über die Autorin

Kapitel 1

Lebenskrise

Die Knie schlotterten unter seiner Wohlfühl-Engelbert-Strauß-Hose, als Hansi Scharnagl vor dem Briefkasten am Dorfplatz stand. Er hatte für sein Vorhaben die Dunkelheit der Abend-Gassi-Runde abgewartet, als würde er selber nicht sehen wollen, was er im Begriff war zu tun. Seine kleine Hundedame Gerti blickte ihn mit wedelndem Schwänzchen und großen Augen verständnisvoll an. Bestimmt konnte sie seine inneren Konflikte mitfühlen. Wenigstens sie stand noch treu an seiner Seite, wenn schon alle anderen seine Verzweiflung nicht verstehen konnten. In seiner schweißnassen Hand hielt Hansi zwei braune DIN-A4-Briefumschläge und wusste nicht, ob er sie nun wirklich in den Schlitz werfen oder lieber einfach weiterhin alles ertragen sollte. Seine Gedanken drehten sich schneller als das Kettenkarussell am Filzer Goldgräberfest, der größten Dult in Hansis geliebtem 3000-Seelen-Heimatdorf Unterfilzbach.

Und genau darin lag auch schon die ganze Tragik. Eigentlich hätte er gar nicht zufriedener sein können. Mit seiner Frau Bettina und seinen drei inzwischen so gut wie erwachsenen Kindern lebte er ein wunderbares Leben. Denn zu seinem Familienglück arbeitete er in seinem absoluten Traumjob. NOCH!

Im örtlichen Bauhof von Unterfilzbach war er inzwischen sogar die Karriereleiter hinaufgeklettert und zum stellvertretenden Kapo befördert worden. Zwar bedeutete dies nun auch, dass er noch enger mit Wiggerl Hackl – seinem neurotischen, sich selbst überschätzenden und dauernervösen Chef – zusammenarbeiten musste, aber was nahm man für die Karriere nicht alles in Kauf.

Johann Scharnagl stellvertretender Bauhofleiter Unterfilzbach /Niederbayern

… stand auf seinen Visitenkarten.

Ja tatsächlich, er hatte jetzt sogar eigene Visitenkarten.

Zwar wusste Hansi nicht, wozu er diese überhaupt jemals brauchen könnte, schließlich kannte ihn sowieso jeder im Dorf und auch ihm waren alle Unterfilzbacher bestens vertraut. Aber als Wiggerl für sich selbst die ganz wichtigen und furchtbar dringend benötigten Visitenkarten beim Bürgermeister bestellt hatte, wollte Hansi ebenfalls welche haben. Da ging es einfach ums Prinzip.

Ansonsten wäre der Bauhof sein ganz persönliches Paradies gewesen, rein arbeitstechnisch zumindest. An Wiggerl hatte er sich in den letzten 20 Jahren auch schon zu sehr gewöhnt, wahrscheinlich würde ihm seine penetrante Dauerhysterie sogar mächtig fehlen, wäre er nicht mehr sein Arbeitskollege.Hansi liebte es einfach, im Sommer den gemeindlichen Rasenflächen auf seinem Aufsitzrasenmäher »Gras Killer 4.0« einen perfekten englischen »Green Cottage Cut« zu verpassen, dass selbst die englische Queen – Gott selig – mit den Ohren (oder mit einem ihrer Krönchen) geschlackert hätte. Da machte ihm so schnell keiner etwas vor. Der Scharnagl war ein wahrer »Mäh-Mozart«, regelrecht virtuos auf dem Gebiet der Mulch- und Schnittkantentechnik. Sogar Bürgermeister Matthias Brunner prahlte einmal in der Kreistagssitzung mit den tipptopp gepflegten Grünanlagen in seiner Gemeinde, das hatte Hansi aus verschiedenen Quellen erfahren. Damals grinste er fast eine Woche durchgehend vor Stolz.

Der Sommer im Bauhof war schon wunderbar, aber den Winter liebte er beinahe noch mehr. Wenn er in verschneiten, eiskalten Winternächten mit seinem geliebten Baby, dem großen Räum- und Streufahrzeug »Snow Magic Hero 1000«, durch die dunklen Straßen im Ort cruiste, verspürte er wahre Glücksgefühle. Dann war es, als wäre er der »König der Welt«. Erhaben, stark und unbesiegbar kämpfte er gegen Straßenglätte und die mächtigen Schneemassen des Bayerischen Waldes.

Hansi hätte sich wirklich kein besseres Leben vorstellen können. Aber seitdem ER da war, machte Scharnagl sogar die schönste Arbeit keinen Spaß mehr und das zog sich inzwischen bis in sein Privatleben hinein. Wahrscheinlich hatte Hansi sogar schon eine kleine Depression. So konnte es auf keinen Fall weitergehen! Es musste etwas passieren!

ER! Das war sein neuer junger Kollege Moritz Heidecker.

Sechsundzwanzig Jahre, dunkelhaarig, durchtrainiert, breite Schultern, Wespentaille, nusserlbraun (wie man in Bayern zu einem sexy Teint zu sagen pflegt), stahlblaue Augen und ein Gesicht wie der junge Brad Pitt. Des Weiteren trug er stets ein seltsames Grinsen im Gesicht, als hätte er ungefähr 2,5 Promille Alkohol im Blut und wäre ansonsten geistig auch nicht unbedingt auf der Höhe der Zeit. Dieses »depperte Gschau«, wie Hansi es nannte, nahm die Unterfilzbacher Damenwelt offenbar völlig anders wahr. Man konnte regelrecht dabei zusehen, wie die Ladys dahinschmolzen, wenn der Heidecker nur kurz grinste und das jeweilige Objekt der Begierde anblinzelte. Furchtbar!

Fast vier Monate war er nun schon sein Kollege.

Wiggerl Hackl war schwer begeistert von diesem jungen Typen mit dem »depperten Gschau«. Dies hatte allerdings auch einen ganz besonderen Grund. Heidecker war nämlich Wiggerls Großneffe oder sonst irgendwie entfernt verwandt, und der Bauhofkapo bildete sich nun ein, diesen Schlag bei Frauen hätte er nur von ihm geerbt. Er sah ihn sozusagen als seinen direkten Charme-Nachfolger an. Ausgerechnet der 1,68m große Ludwig Hackl, der ein Mords-Wamperl mit sich herumtrug, kaum mehr Haare auf dem Kopf hatte, ein prächtiges Doppelkinn sein Eigen nannte und bei dem vermutlich keine einzige Frau jemals dahingeschmolzen war, außer vielleicht irgendwann einmal seine Hilde. Aber auch die schmolz inzwischen sicher nicht mehr, wenn Wiggerl sie mit seinem abgebrochenen Schneidezahn angrinste. Schließlich hatten die ganze Bauhoftruppe und alle sonstigen Unterfilzbacher schon sehr oft miterlebt, wie der Bauhofchef vor seiner Angetrauten kuschte. Turtelnd war der Umgangston zwischen den Hackls ganz sicher nicht mehr, man könnte die eheliche Kommunikation eher mit der Befehlserteilung einer Truppenübung im Bundeswehrjargon verwechseln, und es war hier mehr als klar, dass Hilde der Feldwebel war.

Wiggerl hatte ausgerechnet Moritz als Hansis Partner auserkoren, denn die Bauhofmänner arbeiteten seit jeher traditionell meistens in Zweier-Teams zusammen. Seitdem Sepp Müller, Hansis allerbester Freund, vom örtlichen Bauhof zur Brandls-Brandbekämpfung GmbH gewechselt war, hatte er keinen festen Team-Partner mehr gehabt. Er war sozusagen Bauhof-Swinger, wie seine Kollegen ihn manchmal liebevoll frotzelnd titulierten. Er wäre auch ganz prima alleine klargekommen, als Bauhof-Single quasi, aber nun hatte er halt diesen Moritz an der Backe und das war für ihn gefühlt schlimmer als eine Zwangsehe.

Dieser faule Taugenichts machte Hansis ehemals so geliebten Arbeitsalltag inzwischen schier unerträglich. Allein die Tatsache, dass er das ganze Tagwerk fast immer allein erledigen musste, brachte Hansi auf 180. Von wegen Teamwork!

Dazu kam aber noch dieses unglaublich arrogante und provozierende Auftreten des eingebildeten Schönlings. Jedes Mal, wenn ihn Hansi als erfahrener Bauhofexperte in eine neue Tätigkeit einweisen wollte, erhielt er vom Jungspund Antworten wie: »Geh Scharnagl, das brauchst' mir doch nicht zu erklären. Diese Gullideckel kann doch der größte Depp in die Einfassung anpassen« oder »Rasenmähen kann doch wirklich jeder, was faselst denn da umeinander mit deiner Schnittkannte und dem ganzen Glump. Da fahren wir mit dem Mäher drüber und fertig!«

Überhaupt keinen Respekt vor der erfahrenen Generation, diese Jugend! Immer wollen sie die Arbeit nur schnell und gschlampert erledigen, keine Qualität mehr abliefern. Aber Hochmut kommt hoffentlich vor dem Fall. Wo soll das denn irgendwann noch hinführen? Armes Unterfilzbach, armes Bayern, ärgerte sich Hansi täglich.

Erschwerend hinzu kam nun auch noch, dass, egal, was sie gerade taten und wo auch immer sie gerade zugange waren, Moritz stets mit absolut jeder Frau, ganz gleich wie schiach (also wie greislig) sie war, auf Teufel komm raus flirtete. Da blieb für die Arbeit natürlich nicht mehr viel Zeit. Er säuselte und kicherte mit den Weibern, dass es Hansi jedes Mal direkt schlecht wurde, wenn er dabei zusah und gleichzeitig im Schweiße seines Angesichts ihre Team-Aufträge allein erledigen musste. Irgendwann hatte Hansi ihm sogar spontan und unüberlegt den Spitznamen Monaco verpasst, auch wenn dies im Nachhinein eigentlich viel zu nett gewesen war, schließlich zählte der kultige »Monaco Franze« zu Scharnagls absoluten Lieblingsserien. Insgeheim sah er nämlich sich selber als den Frauenschwarm und Charmeur, den Helmut Fischer darin verkörperte. Im Gegensatz zum »Fernseh-Monaco« war Hansi seinem »Spatzl«, beziehungsweise seinem Zuckerschoasal Bettina, aber absolut treu. Moritz, also Monaco 2.0 hingegen, hatte beim Thema Treue offenbar ganz andere Ansichten. Zwar war bisher keine feste Partnerin an Monacos Seite in Erscheinung getreten, aber den jüngsten Gerüchten zufolge war er in etlichen Unterfilzbacher Betten zu Gast. Ein vermeintlicher Single konnte natürlich tun und lassen, wozu er Lust hatte, aber unter seinen angeblich vielzähligen Gspusis aus dem ganzen Landkreis in jeder Alters- und Gesellschaftsschicht, waren gut und gerne 90 Prozent verheiratet oder in festen Händen.

So wie es aussah, war der Monaco ein richtiger »Weiberer«, wie er im Buche steht. Ein Frauenheld, den es in diesem Kaliber wohl in Unterfilzbach noch nicht gegeben hatte, sollten alle Affären stimmen, die in der Gerüchteküche im Umlauf waren. Da konnte sogar der legendäre Las Vegas Charly – Gott selig – nicht mithalten.

Was den armen Hansi aber wirklich rasend machte und langsam aber sicher eine Gefahr für seinen Blutdruck darstellte, war die Tatsache, dass anscheinend restlos alle außer ihm selber, diesen Aufreißer und gstinkert faulen Hund tatsächlich sympathisch, lustig, ja sogar charmant fanden. Die Gründe dafür waren vielfältig: Wiggerl aus bekannter selbstbeweihräuchernder Egomanie, seine Kollegen, weil der »lustige Moritz« während der Bauhofbrotzeiten immer (zugegebenermaßen sogar recht unterhaltsam) mit seinen schlüpfrigen Frauengeschichten prahlte und dadurch den alternden Männern in Kommunalorange wohl das Gefühl vermittelte, ebenfalls attraktiv, sexy und anziehend zu wirken. Der Bürgermeister fand den Neuen vom Bauhof sogar äußerst kompetent, wie er einmal am Stammtisch beim Dorfwirt erwähnt hatte. Hansi traute zuerst seinen Ohren kaum, als er dieses völlig unpassende Attribut aus dem Mund von Matthias Brunner hörte, fand aber bald darauf heraus, woher diese fragwürdige Begeisterung kam.

Moritz hatte nämlich eines Nachts das vermutlich stark »überhopfte« Gemeindeoberhaupt am Straßenrand aufgelesen, als dieser nach einem politischen Außentermin wohl ein kleines Bäumchen übersehen hatte und mit seinem BMW frontal dagegen gefahren war. Matthias Brunner wollte dies aus bisher offiziell unbekannten – aber sicher zwielichtigen – Gründen nicht der Polizei melden. Wie es dann der Zufall wollte, kam ausgerechnet der Heidecker mitten in der Nacht am Unfallort vorbei, brachte den völlig verängstigten Bürgermeister nach Hause und dessen stark beschädigten BMW mit Hilfe seines neuen Spezls, dem Huberbauer Vinzenz und einem landwirtschaftlichen, zugkräftigen Gefährt gleich zum »Vergaser-Kubi« in dessen Kfz-Werkstatt.

»Wenn er in der Arbeit auch a mal so fleißig wäre, dann müsste ich nicht immer allein schuften«, ärgerte sich Scharnagl sofort, als er diese Geschichte vom Huberbauern Senior erzählt bekommen hatte. Und ja, sogar sein zweitbester Freund, der Huber Michl verstand Hansis Antipathie gegen diesen »zünftigen jungen Burschen« überhaupt nicht.

Inzwischen hatte sich sogar der nicht unbedingt lieb gemeinte Spitzname im Dorf eingebürgert und die meisten Unterfilzbacher fanden wohl, dass »Monaco« wie die Faust aufs Auge zu Moritz passte, allein schon wegen der Gspusi-Gerüchte. Was dann wiederum durchaus nett und wohlwollend von der Dorfbevölkerung gemeint war, aber ursprünglich keinesfalls von Hansi.

»Mei Scharnagl, was hast denn gegen den Monaco? Der ist doch ganz lustig. Und dass der jetzt wirklich so faul sein soll, glaub ich dir sowieso nicht. Du tust ja grad so, als würdet ihr euch beim Bauhof alle jeden Tag einen Haxen ausreißen. Letzte Woche hat der Monaco mit meinem Vinzenz sogar unseren kaputten Fendt repariert. Der ist ein 1a-Schlosser und hat die Antriebswelle wirklich perfekt zusammengeschweißt. Erstklassige Arbeit, die er da abgeliefert hat. Bist am End' nur eifersüchtig?«, lachte ihn der Huberbauer aus.

Für Hansi war diese ganze Situation schier unglaublich, aber so wie es aussah trotzdem wirklich wahr. Sein engstes Umfeld verschwor sich inzwischen schon gegen ihn. Scharnagls sensibles Herz blutete, er brauchte doch die Harmonie. Nicht einmal fünf Monate waren vergangen, seit dieser depperte Heidecker wie aus dem Nichts im KaufGut-Supermarkt aufgetaucht war und nach dem Marktleiter Horst Aulinger fragte. Bettina Scharnagl saß an diesem, wie an allen anderen ihrer Arbeitstage, an der Kasse und berichtete nach Feierabend ihrem Gatten vom aufsehenerregenden Erscheinen eines attraktiven jungen Mannes. Damals konnte Hansi noch nicht einmal ahnen, welch tiefgreifenden Folgen dieser Tag für ihn haben würde.

Der Supermarkt-Chef dachte zuerst, der junge Mann wollte sich auf die ausgeschriebene Stelle an der Käsetheke bewerben, jedoch hatte er sich dabei gewaltig geirrt. Bei einem längeren Gespräch in Aulingers Büro, welches rein »zufällig« und völlig »unbeabsichtigt« von zwei Supermarktmitarbeiterinnen an der Tür zum Personalraum mit angehört wurde, platzte dann die Bombe.

Horst Aulinger hatte einen außerehelichen Sohn gezeugt und dieser stand nun leibhaftig in Unterfilzbach. Der Supermarkt-Chef musste wohl vor etwas mehr als 26 Jahren im Raum Nürnberg bei einer Verkaufsschulung für »KaufGut«-Nachwuchsführungskräfte etwas über die Stränge geschlagen haben. Das Resultat dieser Firmenweiterbildung stand nun direkt vor ihm. Dermaßen intensiv hatte sich die Konzernführung die sogenannte »Netzwerkveranstaltung« für ausgewählte Mitarbeiter damals wahrscheinlich nicht vorgestellt.

Die Gerüchteküche im Dorf kochte sich natürlich recht schnell bis zum Siedepunkt empor. Als dann Frau Aulinger zwischenzeitlich sogar in eines der drei Gästezimmer beim Dorfwirt gezogen und damit indirekt die bis dato reinen Vermutungen bestätigt hatte, war für die Teilnehmer der investigativen Aufklärungsgruppe »SOKO Horsts Gspusi« klar, dass an den ganzen Spekulationen wohl etwas Wahres dran sein musste.

Berta Hinkhofer, ihres Zeichens »Queen of Dorftratsch« verbreitete den jeweils aktuellen Wissensstand der »Affäre« gewohnt engagiert an den üblichen Umschlagplätzen.

Als sie schließlich nach einer feuchtfröhlichen Frauenbundausschusssitzung sogar aus erster Hand, nämlich von Margret Aulinger persönlich erfahren hatte, dass auch der Vaterschaftstest ein eindeutiges Ergebnis zutage gebracht hatte, verebbte das Thema langsam wieder – sehr zum Leidwesen der Hinkhoferin. Die Aulingers hatten sich wohl mit dieser pikanten Situation arrangiert, auch wenn es für die betrogene Ehefrau sicher nicht einfach gewesen war. Ab sofort war alles offiziell gewesen und darum musste man nun nicht mehr hinter vorgehaltener Hand mutmaßen und spekulieren, wie denn die Umstände des »Falles« genau wären.

Eigentlich war das eine ganz geniale Strategie von Margret und Horst gewesen. Sie spielten einfach mit offenen Karten, bevor der Dorftratsch wieder die abstrusesten Theorien hervorbrachte.

Den abrupten Rückgang des Interesses bedauerte Berta sehr, denn sie war gerade zur Hochform aufgelaufen. Außerdem nahm sie dafür sogar größere finanzielle Einbußen in Kauf. Die »fürsorgliche« Berta hatte nämlich dem »unehelichen Bangert« Moritz, wie man früher im konservativen Bayern solch eine derartige Familienherkunft bezeichnete, ihre kleine, frisch renovierte Einliegerwohnung in ihrem Haus zu einem sehr günstigen Mietzins angeboten. Natürlich nahm der Neu-Unterfilzbacher dieses überaus großzügige Angebot umgehend an und zog mit seinen Siebensachen im Hause Hinkhofer ein. Durch die unmittelbare Nähe zum top-aktuellen »Tratsch-Brennpunkt« erhoffte sich Berta logischerweise viele Interna in der pikanten Angelegenheit und wünschte sich, dass sie dadurch wieder einmal eine gefragte Person im Dorf werden würde.

Fräulein Hinkhofer genoss es nämlich in vollen Zügen, wenn sie zu allen möglichen gesellschaftlichen Themen befragt wurde. Das gab ihr ein berauschendes Gefühl der Macht, denn sie konnte dann, je nach Sympathie für den wissbegierigen Fragenden, wohl dosiert Auskunft geben oder eben auch nicht. Aber leider blieb der erwartete große Wissensdurst der Dorfgemeinschaft nach der offiziellen Legitimation des heimgekehrten Sohnes fast gänzlich aus und Berta ärgerte sich schwarz über ihre Gutherzigkeit.

Denn, wie fast überall im schönen Bayern, war die Nachfrage nach Wohnraum enorm, so auch in Unterfilzbach. Frau Hinkhofer hätte locker das doppelte an Miete kassieren können, wenn sie nicht so furchtbar selbstlos gewesen wäre. Aber sie ließ den armen Monaco quasi für »ein Budderbraoud« (was übersetzt »für ein Butterbrot« hieß und gleichbedeutend mit der hochdeutschen Redewendung »für n' Ap'l und n' Ei« war, diese aber ein Bayer aus Prinzip nicht verwenden würde) bei sich wohnen. Allerdings wandelte sich ihr Ärgernis über sich selber schlagartig wieder, als Moritz bald darauf zu Monaco wurde und sich die Gerüchte über seine mannigfaltigen Eroberungen häuften, die sogar über das Unterfilzbacher Gemeindegebiet hinausreichten.

Damit war sie quasi wieder im Spiel und folglich abermals eine begehrte Gesprächspartnerin am Friedhof, Supermarkt, Recyclinghof oder wo man eben sonst noch über seine Mitbürger herzog.

Außerdem war Berta halt auch nur eine Frau aus Fleisch und Blut, selbst wenn das der ein oder andere Unterfilzbacher manchmal anzweifelte. Jedenfalls erlag auch sie recht bald der Charmeoffensive des gutaussehenden Monacos. Inzwischen hatte er sie sogar so weit gebracht, dass sie seine Wäsche für ihn erledigte und das auch noch umsonst. Lediglich zwei Stücke Käsesahne, fünf Minuten Verführerlächeln und ein paar seiner abgestandenen Standard-Anmachsprüche hatte es ihn gekostet und Berta war Wachs in seinen Händen. Seitdem kümmerte sie sich rührend um seine dreckigen Unterhosen, erledigte ab und an seine Einkäufe, kochte gelegentlich für ihn und sprach nur in den höchsten Tönen von »ihrem Monaco«. Allein diese Tatsache war schon eine Sensation, wenn man Berta und ihre sonstigen zwischenmenschlichen Beziehungen kannte. Hansi konnte über den neuen Wesenszug seiner Lieblingsfeindin nur noch den Kopf schütteln.

Bettina hatte die Hinkhoferin einmal gefragt, ob sie nun mit Monaco ihre bisher nicht entwickelten Muttergefühle ausleben konnte, was Berta absolut empörte. Schließlich wäre es nicht ungewöhnlich, wenn ein 44 Jahre jüngerer Mann seine Zeit gern mit einer attraktiven, unterhaltsamen fast 70-Jährigen verbringen würde. Und überhaupt waren sie schließlich »NUR Freunde« und Bettina sollte hier ja keine falschen Gerüchte in Umlauf bringen, sonst würde sie sie kennenlernen. Frau Scharnagl brach daraufhin in ungebremstes Gelächter aus, was sie jedoch umgehend bereute.

Eine der berühmt-berüchtigten Schimpftiraden a la Hinkhofer folgte auf dem Fuß. Die Frage, ob Bettina bei »NUR Freunde« einen bedauernden Unterton gehört hatte, wollte sie ihr nicht mehr stellen. Eigentlich gönnte sie Dauersingle Berta wirklich einmal einen Mann. Allerdings sah sie Monaco nicht unbedingt als die Idealbesetzung für diesen Posten. Ein Mann an Bertas Seite müsste schon »hoglbuachan« sein, wie man in Niederbayern so schön sagt, also wirklich hartgesotten und keinesfalls zart besaitetet. Bettina verkniff sich seit diesem denkwürdigen Gespräch vor ein paar Wochen jeglichen Kommentar über den neuen Mitbewohner im Hause Hinkhofer, zumindest vor Berta selbst.

Aber so wie es aussah, war der »Zuagroaste« Moritz Heidecker – alias Monaco allseits beliebt, nur eben bei Hansi nicht.

Der arme Scharnagl schleppte sich inzwischen täglich mit Bauchschmerzen zur Arbeit. So was hatte es in seiner 20-jährigen Karriere beim Bauhof vorher noch an keinem einzigen Tag gegeben. Er war ratlos, deprimiert und sah keinen anderen Ausweg mehr, als seine geliebte kommunalorange Latzhose wohl oder übel an den Nagel zu hängen. Ansonsten würde er sich sicher bald ein Magengeschwür einhandeln.

Schon des Öfteren hatte er versucht mit seiner Frau und auch mit seinen besten Freunden Sepp Müller und dem Huberbauern über seinen tieftraurigen Seelenzustand zu reden, den der verhasste Monaco bei ihm ausgelöst hatte. Sepp fand, dass Hansi wieder einmal absolut überreagierte, und wollte dann nicht weiter darauf eingehen.

Bettina fand sogar noch drastischere Worte: »Hansi! Du bist doch ein erwachsener Mann, was stellst dich denn an wie ein Kindergartenkind? Was tut er dir denn? Ha? Nur weil der Monaco Erfolg bei den Frauen hat und im Dorf beliebt ist? Hast Angst, dass er dir deinen Status als Everybodys Darling streitig macht? Reiß dich gefälligst zusammen!«

Seit dieser brutalen Ansage vor einer Woche hatte Scharnagl kein Wort mehr über seine Sorgen in Gegenwart seiner Frau verloren. Es war wie eine kräftige Watschen, die ihm Bettina damit verpasste. Was war nur mit seinem Zuckerschoasal passiert? Sie stand doch seit über 25 Jahren treu an seiner Seite, zumindest bisher.

Hansi war nicht einmal beleidigt, was er ansonsten üblicherweise nach ehelichen Diskrepanzen war. Dieses Thema ging viel tiefer. Zum ersten Mal musste er seine Sorgen und Probleme mit sich selber ausmachen, und das, obwohl er eigentlich immer über restlos alles reden musste. Hansi brauchte einfach das Zwiegespräch. Am liebsten natürlich mit Bettina oder Sepp, dann wurde einfach immer alles klarer für ihn. Nun aber fühlte er sich völlig allein gelassen und sah keinen anderen Ausweg mehr.

Er musste weg von diesem neuen Kollegen, da half alles nichts. Ob es die richtige Entscheidung war, wusste er nicht, denn seine Ratgeber waren in seiner größten Krise verständnislos …

Die Einzige, mit der er vorgestern dann doch über seine geheimen Pläne gesprochen hatte, war seine jüngste Tochter Indira. Vor drei Tagen war sie aus dem entfernten Chicago angereist, wo sie normalerweise ihrem Studium der Umwelttechnik nachging. Allerdings wollte die Gebildetste aller Scharnagls ihr Praktikumssemester lieber in der Heimat absolvieren und würde ab nächster Woche in der Kreisstadt bei einem innovativen Ingenieurbüro Erfahrungen sammeln.

Niederbayern ist halt doch schöner als das depperte Amerika, dachte Papa Scharnagl insgeheim und freute sich über ihre Anreise. Hansi ging das Herz auf, als sie ihre Pläne vor ein paar Wochen angekündigt hatte und nun wieder in den Schoß der Familie zurückgekehrt war. Zwar nur für ein halbes Jahr, aber immerhin hatte Hansi sein Scheißerl für kurze Zeit wieder.

Indira war immer schon sein letzter Rettungsanker gewesen, wenn er sich verzettelt hatte. Dies betraf meistens eher intellektuelle Themen. Wie beispielsweise damals, als sie seine erste Rede vor dem Gemeinderat für ihn geschrieben hatte, nachdem er dem Nervenzusammenbruch nahe war. Ohne Indira hätte er vor lauter Nervosität keine einzige Zeile zu Papier gebracht. Oder als er den Familiencomputer fast aus dem Fenster geworfen hatte, nach der mehrmaligen Eingabe eines falschen Passwortes. Immer war Indira diejenige gewesen, die ihn in letzter Sekunde gerettet hatte. Zwar war sie knallhart und ehrlich wie ihre Mutter, aber letztendlich hatte sie doch ein gutes Herz und half ihrem Vater jedes Mal aus der Patsche. Und auch diesmal unterstützte sie ihn.

Die Sorgen trieben den armen Hansi so sehr umher, dass er seit kurzem nachts nicht mehr durchschlafen konnte. Auch Indira machte der Jetlag zu schaffen und so begab es sich, dass sich Vater und Tochter vorgestern Nacht auf der Hausbank trafen. Bei frühlingshaften Temperaturen und romantischem Mondlicht führten sie tiefgründige Gespräche über Hansis seelische Verfassung.

»Das ist ja direkt Mobbing!«, sprach das Nesthäkchen sorgenvoll, nachdem ihr Vater ausführlich seine Qualen, die von diesem depperten Monaco verursacht wurden, berichtet hatte.

»Gell! Das hab ich mir auch schon gedacht, der mobbt mich! Wenigstens ein Mensch, der mich versteht …«, seufzte Hansi tieftraurig. Schluchzend erzählte er frei von der Leber weg, wie sehr er den neuen Kollegen verabscheute und wie schlimm die Zusammenarbeit mit ihm sei. Dass es ihm außerdem zu schaffen machte, dass alle seine Freunde und eigentlich ganz Unterfilzbach von diesem Kerl schwärmten, verschwieg er lieber. Schließlich war er ein vorbildlicher Familienvater und vor seinen Kindern wollte er derartig niedrige Beweggründe wie Neid und Eifersucht dann doch nicht zugeben.

»Ja, was ist denn das für ein Depp, Papa? Ha? Sag a mal. Hast du da schon mit deinem Chef gesprochen? Das geht ja nicht …«, entrüstete sich die Studentin.

»Mit Wiggerl? Geh Indira, der ist ja sogar auch noch mit dem Hirschen verwandt. Kennst ja die Hackls, wie die immer zusammenhalten. Da zählen zwanzig arbeitsreiche, loyale und fachkundige Jahre nicht … Blut ist da dicker als Wasser.«

»Na dann gibt's wirklich nur eine Möglichkeit, du musst dir eine andere Arbeit suchen, Papa.«

Als dieser schreckliche, aber wohl einzige Ausweg nun von einer anderen Person ausgesprochen wurde und nicht nur in seinem Kopf umhergeisterte, war ihm erst richtig bewusst geworden, wie ernst die Lage wirklich war. Hansis Augen füllten sich mit Tränen und seine Hände fingen an zu zittern. Aber es half wohl alles nichts, er musste nun beruflich andere Wege einschlagen.

»Wahrscheinlich hast du recht, Indira. Wenn mich im Bauhof keiner mehr zu schätzen weiß, dann wird's wohl Zeit zu gehen. Aber mit meinen Fähigkeiten nimmt mich eh jeder mit Kusshand. Die werden blöd schauen, wenn ich weg bin«, entgegnete er trotzig.

»Was willst' denn machen? Hast du dich schon wo beworben?«, wollte das jüngste Scharnagl-Kind wissen.

»Ähm, nein. Ich hab am Samstag kurz in der Zeitung geblättert, aber deine Mutter wollte unbedingt das Kreuzworträtsel auf der anderen Seite machen. Und weil sie mich sowieso nicht versteht, werde ich ihr ganz sicher nicht auf die Nase binden, dass ich mir jetzt eine andere Arbeit suche. Außerdem … du weißt ja …«, stotterte Hansi leicht beschämt.

»Ja, Papa, ich weiß schon. Du brauchst eine Bewerbung. Das kriegen wir schon hin, ich bin ja jetzt da.«

Hansis Herz setzte einen ganzen Steinbruch frei, denn nun war er nicht mehr allein mit seinem Problem. Außerdem hatte er jemanden, der eine Bewerbung schreiben konnte. Leider war Herr Scharnagl mit jeglicher Digitaltechnik sowie förmlicher Ausdrucksweise hoffnungslos überfordert.

Indira zückte ihr Handy und wischte wild darauf herum.

»Da! Schau, da suchen sie einen Gärtner. Beim Baron von Bieberstein drüben in Fichtenberg. Das wäre doch perfekt für dich. Das macht dir doch Spaß, und so schöne Grünanlagen wie in Unterfilzbach muss man lange suchen. Damit hast du ja dann quasi schon eine Referenz.«

»Gärtner? Mei, ja, des wär wirklich was für mich. Und Fichtenberg ist ja jetzt auch nicht so weit, das sind nicht a mal zehn Kilometer …«

Ein Licht am Ende des Tunnels tauchte in Hansis Gedanken auf. Vor seinem geistigen Auge sah er sich bereits auf dem prachtvollen Gutshof Bieberstein mit einem nigelnagelneuen Hightech-Aufsitzrasenmäher durch die herrschaftlichen Gartenanlagen düsen. Sicher war der Baron nur mit dem besten und teuersten Werkzeug ausgestattet, wenn er sich schon einen eigenen Gärtner leisten konnte.

Hubertus Baron Freiherr von Bieberstein entstammte einer alten Glasmacher-Dynastie, von denen es früher einige im Bayerischen Wald gegeben hatte. Nach und nach verschwanden jedoch die Glashütten und mit ihnen wurden auch die angesiedelten noblen von und zu Herrschaftsfamilien weniger.

Die »von Bieberstein Glasmanufaktur« war ein Familienunternehmen, das bis heute überlebt hatte. Seit dem 16. Jahrhundert wurde der Besitz vom Vater an den Sohn weitergegeben. Mit der Glasmanufaktur, zahlreichen Immobilien und üppigen Forst- und Landwirtschaften verdienten die Biebersteins sicher nicht wenig Geld. Eh klar, dass die da auch einen Gärtner brauchen, und bestimmt suchen sie einen, der einen richtigen »Green Cottage Cut« hinbekommt, so wie bei den englischen Königs halt auch, dachte Hansi stolz und fühlte sich direkt selbst gleich ein wenig adelig. Eigentlich bekam man in Unterfilzbach nicht viel von den Biebersteins mit, denn sie lebten recht zurückgezogen und halt weite zehn Kilometer entfernt im Nachbardorf. Hansi erinnerte sich dunkel daran, dass es vor ein paar Jahren einmal Mords-Getratsche gab, weil sich der Baron eine 20 Jahre jüngere Gemahlin genommen hatte, nachdem seine erste Frau an Krebs gestorben war.

Ella von Bieberstein hieß damals noch Ella Stirzinger und war wohl ein recht heißer Feger gewesen. Der Freiherr hatte sie der Legende nach in einer noblen Disco in München aufgegabelt und recht schnell geehelicht. Außerdem wusste Hansi, dass der Baron als stiller Teilhaber in die Unterfilzbacher Brauerei Filzer-Bräu investiert hatte, nachdem diese kürzlich ein wenig in wirtschaftliche Bredouille gekommen war. Aber ansonsten war Hansi nichts Aufregendes von der adeligen Gesellschaft zu Ohren gekommen.

»Da, schau. Da wird noch ein Kapo bei einer Baufirma gesucht, Papa. Da könnten wir auch eine Bewerbung hinschicken, das hast du doch gelernt. Und als Kapo bist du ja der Chef, da verdienst' sicher auch nicht schlecht …«, gab Indira eine weitere entdeckte Stellenanzeige euphorisch preis.

Jedoch war Hansi gar nicht so erpicht darauf, in seinen erlernten Beruf als Maurer zurückzukehren. Nur ungern erinnerte er sich an die Schinderei auf den Baustellen. Schließlich war er auch nicht mehr der Jüngste und inzwischen den eher stressfreien Arbeitsalltag in einem kommunalen Bauhof gewohnt. Das wäre sicher eine viel zu große Umstellung für seinen Biorhythmus, war Hansi überzeugt. Aber anschauen könnte er sich die Gegebenheiten in der Baufirma dennoch einmal. Vielleicht könnten ihn der Baustellen-Fuhrpark und die Bezahlung doch überzeugen.

PONG!

Hansi erschauderte regelrecht, als er das Plumpsen im Inneren des Briefkastens hörte. Tatsächlich hatte er seine beiden Bewerbungen nun eingeworfen. War das wirklich die richtige Entscheidung? Am liebsten wäre er natürlich in seinem geliebten Bauhof geblieben, das fühlte er in seinem stechenden Herzen in diesem Moment mit aller Deutlichkeit. Aber was sollte er denn tun, um das Problem anderweitig zu lösen? Den depperten Monaco um die Ecke bringen?

Er, der inzwischen legendäre Bauhofdetektiv, der schon einer ganzen Reihe von Mördern und Mörderinnen auf die Schliche gekommen war? Sogar Kommissar Bernhard Dietl musste ihm nach seinem letzten gelösten Fall öffentlich gratulieren, auch wenn sich die beiden ansonsten absolut nicht ausstehen konnten. Aber schließlich hatte Sherlock Scharnagl den kniffligen Fall um den ermordeten Las Vegas Charly und sein Gspusi Scarlett vor kurzem gelöst und eben nicht der zuständige Polizist. So weit war es nun also schon mit ihm gekommen, dass ihn sogar selber Mordgedanken umtrieben. Wenn auch nur für den Bruchteil einer Sekunde. Im Grunde war er ein viel zu zart besaiteter Mensch, nicht mal einer Fliege könnte er etwas zuleide tun. Aber ein wenig erschrak sich Hansi dennoch über seinen kurz aufgeblitzten Gedanken an Monacos Ermordung.

Es ist höchste Eisenbahn, dass ich was ändere, sonst passiert wirklich noch ein Unglück. Nicht, dass ich tatsächlich mal im Affekt zufällig über ihn drüberfahre, dachte der nervlich angeschlagene Scharnagl schockiert. Außerdem weiß man ja nicht, für was es gut ist. Am Ende ist eine neue Arbeit sogar noch besser, als die am Bauhof samt Snow Magic Hero!, versuchte er sichauf dem Heimweg von seiner Gassirunde selbst zu motivieren.

Zudem gefiel ihm die Vorstellung vom royalen Gärtner-Hansi immer besser, sogar noch besser als seine ersten Überlegungen in Sachen berufliche Umorientierung.

Bevor Indira diese beiden Stellenanzeigen zutage gebracht hatte, hatte er bereits eigenständig erste Grundüberlegungen angestellt, was ihm denn außer Schneeräumen und Rasenmähen sonst noch Spaß machen würde. Als Bademeister im örtlichen Freibad zu arbeiten, hätte er sich durchaus vorstellen können. Den ganzen Tag von knackigen Bikinis und braungebrannter Haut umringt zu sein, wäre nicht das Schlechteste gewesen. Sogar beim Bürgermeister hatte er deswegen seine berufliche Wunschvorstellung schon einmal vorsichtig geäußert und gefragt, wie es denn mit einer Stelle in der Unterfilzbacher Poollandschaft aussähe. Aber das Gemeindeoberhaupt brach darauf in belustigtes Gelächter aus und tätschelte vielsagend Hansis wohlgeformtes Wamperl.

»Mei, Scharnagl, du bist einfach immer für einen Spaß zu haben. Der war wirklich gut …«, kicherte Matthias Brunner amüsiert und ließ ihn einfach stehen.

Daraufhin verwarf Hansi seine Karrierebestrebungen als niederbayerischer David Hasselhoff wieder. Er beschimpfte Bürgermeister Brunner innerlich als gscherte Ruam und tröstete sich damit, nun doch keine enge Badehose anziehen zu müssen, keinen Hautkrebs wegen der ständigen Sonne zu bekommen und auch keine Ertrinkenden aus dem zumeist urinhaltigen Chlorwasser retten zu müssen.

Eine andere Idee war, als Koch beim Dorfwirt anzuheuern, auch das gefiel ihm anfangs ziemlich gut. Denn für seinen Kartoffelsalat hätte er eigentlich einen Nobelpreis verdient, wenn dieser in der Kategorie »Kartoffelsalat« verliehen worden wäre. Das hatte Dorfwirt Herbert Wagner sogar selbst einmal beim Feuerwehrfest beteuert. Kochen war neben dem Rasenmähen und Schneeräumen definitiv seine viertliebste Beschäftigung, gleich nach dem Essen selbst.

Aber auch diesen Gedanken verwarf er relativ schnell wieder, denn er betrachtete seine Kochkünste als äußerst besonders und nicht unbedingt geeignet für die Massenproduktion. Außerdem wusste er als erfahrener Dorfwirtsgast, dass die dortigen Köche ihre Töpfe und Pfannen selbst abspülen mussten, was Hansi schon daheim lieber vermied und seiner Frau überließ.

Hundedame Gerti und Hansi betraten wieder das Casa Scharnagl, wo die restliche Familie in der Küche versammelt war und mit der heimgekehrten Tochter noch immer freudig auf ihre Ankunft anstieß.

»Servus Papa. Und?«, begrüßte ihn sein Nesthäkchen mit einem verschwörerischen Zwinkern.

»Servus miteinander, da geht’s ja lustig zu«, warf der Familienvater lächelnd in die Runde und freute sich, seinen gesamten Scharnagl-Clan wieder vollständig versammelt zu sehen.

Allerdings machte sich der Stammhalter Hansi Junior bereits wieder zum Aufbruch bereit.

»So schee wie's grad ist, es hilft nix. Ich muss mich jetzt fertig machen, ich fahr dann noch zum Moritz rüber.«

Diese Bekanntgabe, die sein Sohn gerade so fröhlich hinausposaunt hatte, versetzte Hansi Senior sogleich einen innerlichen Stich.

»Geh weiter! Was willst denn mit dem Deppen? Das kann doch jetzt nicht dein Ernst sein«, versuchte Hansi seinem einzigen Sohn ins Gewissen zu reden und subtil zu vermitteln, doch gefälligst an seine familiäre Herkunft zu denken. Blut ist schließlich dicker als Wasser …

»Mei, nur weil du ihn nicht leiden kannst, kann ich trotzdem mit ihm befreundet sein. Du bist so kindisch, Papa, echt! Ich kann schon selber entscheiden, mit wem ich Zeit verbringe und mit wem nicht.«

»Wer ist denn der Moritz?«, wollte Indira wissen.

»Der Monaco, so sagt man zu dem eingebildeten Vogel im Dorf. Gell, du findest es auch nicht gut, wenn dein eigener Bruder mit einem Deppen befreundet ist, der seinen Vater mobbt, mein Scheißerl?«, sprach Hansi aufgebracht und erhoffte sich sofortige Schützenhilfe von seinem verbündeten Nesthäkchen.

Allerdings widersprach ihm seine Gattin stöhnend, bevor Indira überhaupt reagieren konnte.

»Hmmpph! Mei, Hansi, bitte nicht schon wieder! Der Monaco ist ein ganz charmanter junger Mann. Ich hab ihn bisher nur als höflichen und äußerst sympathischen Menschen erlebt.«

»Na ja Mama. Das sagst du aber jetzt auch nur, weil er dir immer schöne Augen macht, wenn er bei dir im Supermarkt an der Kasse steht. Das hab ich letztes Mal selber mitbekommen, wie er um dich herumscharwenzelt. Mit den alten Weibern kann er es ja besonders gut …«, warf die Scharnagl-Erstgeborene Isabelle dazwischen.

»ISA! Ja sag a mal. Wie redest du denn mit mir? Alte Weiber! Ich glaub, du spinnst a bisserl!«, rief Bettina voller Entsetzen.

»Stimmt doch! Im Salon gibt es nur noch dieses eine Thema. Monaco hin und Monaco her. Und wie du weißt, sind die meisten meiner Kundinnen einfach alte Weiber, das ist halt Fakt. Letztens haben sie sogar erzählt, dass er des Öfteren im Altenheim zu Besuch ist. Und da sind doch definitiv nur alte Schachteln, ganz alte sogar. Was wird er da wohl machen? Das frag ich mich schon die ganze Zeit. Im Prinzip schleimt er einfach alle Frauen an. Bei mir hätte er es auch schon probiert, aber von so einem Möchtegern-Casanova lass ich mich nicht einlullen. Da kann er noch so einen geilen Körper haben und verführerisch lächeln.«

Isa war eine heiß begehrte Dorfschönheit und von Berufs wegen als Starstylistin in »Karin's Friseurstüberl« mit dem allgemeinen Dorftratsch bestens vertraut. Eigentlich liebte es das Älteste der Scharnagl-Kinder, umgarnt zu werden. Da sie aber seit kurzem frischer Neu-Single war und noch immer Herzschmerz verspürte, hatte sie momentan keinen Bedarf, angeschmachtet zu werden. Nach einer leidenschaftlichen und intensiven Beziehung mit einem Dortmunder Tätowierer war sie gerade überhaupt nicht gut auf die Spezies Männer zu sprechen. Zum ersten Mal litt sie an Liebeskummer, was für die Unterfilzbacher Beauty absolutes Neuland war.

»Wo geht's denn hin?«, richtete nun Indira das Wort an ihren Bruder.

»Wir? In den Club 4. Warum?«

»Na, ich hätte auch Lust wieder mal die niederbayerische Dance-Szene abzuchecken«, flötete die Studentin.

»Gehst mit, Isa? Abwechslung würde dir sicher gut tun, Schwesterherz. Außerdem müssen wir ja schließlich meine Heimkehr gebührend feiern.«

Mit großen Augen blinzelte Indira ihre Schwester an, wie Gerti es beim Betteln um eine saftige Scheibe Presssack gerne tat.

»Hm, ich weiß nicht. Eigentlich hab ich so gar keinen Bock …«, zierte sich die Starstylistin.

»Ach komm, Isa! Das wird doch lustig, wir drei Scharnagls!«, forderte nun auch Hansi Junior seine große Schwester auf, sich ins Nachtleben zu stürzen.

»Also gut, von mir aus. Aber ich werde mich ganz sicher nicht extra aufbrezeln. Zumindest nicht so richtig, vielleicht ein bisserl …«, sprach sie und eilte in ihre kleine Einliegerwohnung in das Untergeschoss.

Auch Indira und Hansi Junior wieselten in ihre Gemächer, um sich für den gemeinsamen Clubabend in Schale zu schmeißen.

Die Eltern lächelten sich dabei selig an und freuten sich, alle ihre Kinder wieder bei sich zu haben. Vor allem Bettina hatte sich schwergetan mit Indiras Abschied in das entfernte Amerika.

»Sie ist zwar erst ein halbes Jahr in Chicago, aber findest du nicht, dass sie in dieser kurzen Zeit ganz schnell erwachsen geworden ist, Bärle?«, seufzte Mama Scharnagl melancholisch.

»Ja absolut, mein Zuckerschoasal. Jetzt schaut sie auf einmal aus wie eine richtige Dame. Gott sei Dank zieht sie auch endlich a mal was anderes an, als ihr schwarzes Gwand, da hat's manchmal ausgeschaut wie der Totengräber-Gustl, wenn er Notdienst gehabt hat. Irgendwie ist sie auch besser gelaunt, das steht ihr gut«, stimmte der stolze Vater seiner Frau zu.

Und tatsächlich, die Zeit in der amerikanischen Großstadt hat dem Scharnagl-Nesthäkchen offenbar gutgetan. Nicht nur äußerlich hatte sich die inzwischen 19-Jährige verändert. War sie früher stets in dunkle Kapuzenpullis gehüllt und scherte sich wenig um Styling oder trendige Outfits, so war sie nun wirklich ansehnlich zurechtgemacht. Hübsch war sie schon immer gewesen, nur hatte man manchmal den Eindruck, sie wollte diese Tatsache vor dem Rest der Welt verbergen. Indira war mehr an Inhalten interessiert. Politik, soziale Themen oder Umweltschutz beschäftigten sie mehr, als Eyeliner und Handtaschen. Dies hatte zur Folge, dass ein Gespräch mit der intelligenten und belesenen Scharnagl-Tochter zuweilen recht anstrengend werden konnte. Sie liebte es, zu diskutieren, am liebsten über die Ungerechtigkeiten in dieser Welt und deren Verursacher. Nun aber schien sie sanfter geworden zu sein. Sie lächelte, war umgänglich und erfreute ihre Umgebung mit guter Laune. Endlich schien sie die Verlängerung ihrer »schwarzen« Pubertätsphase hinter sich gebracht zu haben.

Das Scheißerl war wohl tatsächlich erwachsen geworden!

Eine halbe Stunde später standen die drei Scharnagl-Sprösslinge wie aus dem Ei gepellt und in drei verschiedene Duftwolken gehüllt im Hausflur und machten sich bereit zum Aufbruch zu einer aufregenden Partynacht.

Isabelles Ankündigung, sich heute nicht allzu sehr zurechtzumachen, war entweder nicht ernst gemeint gewesen oder Bettina verstand unter »sich nicht aufbrezeln« etwas völlig anders.

Mit Smokey Eyes, kirschrotem Lippenstift und einer Lockenmähne wie ein frisch geföhntes, ausgewachsenes Mutterschaf, stöckelte sie in High Heels über den heimischen Fliesenboden, als wäre es ein roter Teppich in Hollywood. Plötzlich wirkte sie durchaus motiviert. Indira war ebenfalls von der Jogginghose in ein Partyoutfit gewechselt, jedoch bei Weitem dezenter als ihre große Schwester. Ihre rehbraunen, schulterlangen Haare schimmerten wie Seide und umrahmten ihre funkelnden großen Augen und ihr bezauberndes Lächeln. Ein schlichtes schwarzes Crop-Top und eine figurbetonende Jeans brachten ihre makellose Figur wunderbar zur Geltung. Stolz bestaunten die Eltern ihr entzückendes Nesthäkchen.

Indiras Metamorphose war an diesem Abend eine erfreuliche Erkenntnis des Ehepaars Scharnagl gewesen. Jedoch sorgte der Stammhalter mit seinem Erscheinen im Hausflur dann sogar für offene Münder bei seinen Eltern.

Hansi Junior präsentierte sich in all seiner männlichen Pracht und Jugend. Auch er hatte sich bereits seit längerem »gemausert«. Jedoch brauchten manche Mütter und Väter erst einen Schlüsselmoment, um solche Entwicklungen zu realisieren.

Das Ergebnis seiner schweißtreibenden Einheiten beim Fußballtraining und im Fitnessstudio setzte der Junior mit seinem Outfit heute gekonnt in Szene. Vor Mama Scharnagls geistigem Auge tauchten Bilder des schüchternen, unsicheren, leicht pummeligen Jugendlichen mit unreiner Haut und ungekämmtem Wuschelkopf auf, der er noch vor einiger Zeit gewesen war. Fast immer trug er früher seine geliebten Engelbert-Strauß-Arbeitshosen in Kombination mit einem seiner zahlreichen Flanellhemden auf. Diese Zeiten gehörten jedoch eindeutig der Vergangenheit an. Inzwischen legte der gelernte Elektriker nach Feierabend weit mehr Wert auf seine Erscheinung. Seit vor circa zwei Jahren das weibliche Geschlecht, in persona Dr. Marion Pauli, zum ersten Mal Notiz von ihm genommen hatte, erlebte der Scharnagl-Stammhalter einen regelrechten »Glow-up«. Die alternde Tierärztin hatte den unscheinbaren Jüngling damals aus seinem Dornröschenschlaf geküsst. Ein paar Wochen genoss der Junior-Hansi seine erste Liebe in vollen Zügen, samt körperlicher Leidenschaft, bis er die Mittfünfzigerin dann von heute auf morgen eiskalt abservierte. Er war auf den Geschmack gekommen und erkundete fortan lieber selbstständig die vielfältige Damenwelt der Region. Das Selbstbewusstsein des 21-Jährigen wuchs ab diesem Zeitpunkt genauso schnell, wie sein kleines Wamperl schrumpfte.

Damals hat seine Veränderung angefangen, eigentlich müsste ich der Pauli doch noch dankbar sein, schmunzelteBettina.

Inzwischen war der junge Scharnagl erfolgreicher Torschützenkönig der ersten Mannschaft des TSV Unterfilzbach und liebte es, im Fitnessstudio seinen Körper zu stählen. Mit einem Lächeln dachte Bettina an die Tage zurück, als sie ihn noch zum Duschen überreden musste. Heute zelebrierte er regelrecht seine Körperpflege, sehr zum Ärger seiner Mitbewohner, die das Badezimmer morgens nur noch unter Diskussionen benutzen konnten. Hansi Junior entwickelte sich zu einem heißbegehrten Junggesellen im Dorf, man könnte sagen, er war das Pendant seiner großen Schwester geworden.

Mit lässiger Jeans, die seinen durchtrainierten Apfel-Po gut zur Geltung brachte, halb geöffnetem waschblauem Slim-fit-Hemd, welches tiefe Blicke auf sein Sixpack preisgab, verwegenem Dreitagesbart und einem top aktuellen Haarschnitt, den ihm Isabelle regelmäßig verpasste, war er wirklich eine Augenweide geworden. Das musste die Mutter ganz klar feststellen. Ob ihr der neue Hansi mit all seiner Eitelkeit besser gefiel als der frühere Bub mit kleinem Bäuchlein, konnte sie für sich selber im Moment aber nicht wirklich beantworten.

Auch Hansi Senior wurde die Verwandlung seines Sohnes in diesem Moment bewusst. Der Anblick seines Stammhalters erfüllte ihn mit großem Stolz. Das waren eindeutig SEINE Gene!

Er ist mein Ebenbild! Genauso hab ich auch a mal ausgeschaut und alle Weiber haben mir hinterhergestarrt! Ganz genau der Vater!, dachte er mit einem breiten Grinsen auf den Lippen und wohlwollender Verklärung seiner Jugendzeit.

Schließlich war er ja sein direkter Nachkomme! Woher sollte er diesen guten Körperbau und das Charisma sonst haben, wenn nicht vom Vater?

Das ist auch etwas völlig anderes, als die depperte Angeberei vom Wiggerl, der mit der entfernten Verwandtschaft zu seinem eingebildeten Großneffen Monaco in einer Tour prahlt, sinnierte Hansi vor sich hin.

Dies hier war ganz eindeutig bestes Scharnagl-Genmaterial, was der stolze Vater in seinem Hausflur bewunderte.

»Jetzt geht's halt weiter, der Monaco wartet schon! Schickt's euch!«, drängte der Junior zum Aufbruch.

»Ach, der geht auch mit?«, fragte Hansi nochmals ungläubig nach.

»Freilich«, kam die genervte Antwort mit tollkühner Augenüberdrehung zurück.

»Nicht, dass der Depp am Ende noch unsere Indira anbaggert! Gell, mein Scheisserl, da lässt du dich auf gar nix ein!«, richtete der Vater besorgt mahnende Worte an seine jüngste Tochter.

»Mei, Papa, glaubst du wirklich, ich lass mich von so einem Macho einlullen? Du weißt doch, dass ich mich auch selber wehren kann. Aber vielleicht könnt' ich ihm ja ins Gewissen reden, dass er dich wenigstens in der Arbeit in Ruhe lässt.«

Mit diesen Worten ließ sich der besorgte Vater allerdings nur teilweise beruhigen. Zwar kannte Hansi seine tiefgründige Tochter gut, sie würde ganz sicher keinen Gefallen an einem oberflächlichen Schönling wie dem Monaco finden. Aber ein Rest Zweifel blieb dennoch ganz hinten in der letzten Gehirnwindung hängen.

Als die Scharnagl-Jugend aus dem Haus war, genossen das Bärle und sein Zuckerschoasal noch eine geruhsame Samstagabendhalbe auf der Hausbank. Die Freude über ihre wohlgeratene Kinderschar ließ die ehelichen Dispute für den Augenblick in den Hintergrund rücken.

»Ach ja, da ist übrigens Post für dich gekommen. Vom Bürgermeister«, sprach Frau Scharnagl, während sie sich ein gekühltes Radler zischend öffnete und in die sternenklare, ungewöhnlich laue Aprilnacht blickte.

»Aha. Und was steht drin?«

»Also Hansi, spinnst jetzt? Ich les doch deine Post nicht!«

»Woher weißt du dann, dass es vom Bürgermeister ist?«

»Weil‘s im Rathaus abgestempelt worden ist. Außerdem ist das eh nur die Einladung zum Siebz'ger von der Hinkhoferin.«

»Und das weißt du alles, weil der Brief im Rathaus abgestempelt worden ist? Du bist ja eine Hellseherin, Bettina«, witzelte Hansi und wusste ganz genau, dass er seine Frau nun auf frischer Tat ertappt hatte.

»Na gut, ich hab den Brief aufgemacht. Aber auch nur, weil ich geglaubt habe, es ist die Abwasserrechnung. Letztes Jahr haben sie uns da ja so beschissen, weil sie ein Komma zu weit rechts gesetzt haben. Weißt' das nicht mehr? Und überhaupt … was bist denn da jetzt so empfindlich. Hast du vielleicht Geheimnisse vor mir?«, war das Zuckerschoasal empört.

»Wie könnt ich denn vor dir Geheimnisse haben? Du kannst ja schließlich hellsehen«, entgegnete Hansi beleidigt, wohl wissend, dass er seit diesem Tag durchaus Geheimnisse vor seiner Frau hatte. Aber so schnell konnten seine potenziellen neuen Arbeitgeber natürlich nicht reagieren. Schließlich hatte er seine Bewerbungen erst vor ein paar Stunden in den Briefkasten geworfen.

Jedoch notierte er gedanklich für sich selber: Merke! Ganz wichtig! In den nächsten Tagen muss ich dringend den Postboten Sven abfangen, bevor er unsere Briefe in den Briefkasten daheim einwirft. Gut, dass es der Sven eh nie wirklich eilig hat. Zum Glück weiß ich ja, wo er auf seiner Runde immer zum Ratsch Halt macht. So ein Dorfleben hat einfach viel mehr Vorteile als die stressige Stadt, sogar bei geheimer Post!

Nach einer kleinen Gesprächspause wollte Bettina wieder zum friedlichen Smalltalk übergehen, anscheinend hatte sie doch ein kleines bisserl ein schlechtes Gewissen wegen ihrer drastischen Worte zum Thema Monaco vor ein paar Tagen.

»Gehst du hin? Aber … du musst ja jetzt quasi. Das ist ein offizieller Auftrag vom Bürgermeister.«

»Wo geh ich hin?«

»Na zum siebzigsten Geburtstag von der Berta. Du bist doch der Seniorenbeauftragte vom Gemeinderat«, säuselte Bettina versöhnlich.

»Ahhh … jetzt weiß ich, warum der Bürgermeister gestern so herumgedruckst hat. Den ganzen Tag hat er gemeint, er müsste mir noch was sagen, ist aber dann doch nicht rausgerückt mit der Sprach'. Aha, ihn schau an! Er tät sich vor der Hinkhoferin ihrem Geburtstag drücken, das schaut ihm wieder gleich unserem Meisterbürger. Sonst rennt er auch zu jedem runden Geburtstag ab 50, vor allem, wenn's was Gutes zum Essen gibt. Aber bei der Berta wird das nicht sehr feierlich werden, so knickert wie sie ist. Da wird’s vielleicht a paar Wiener und a Semmel geben und das war's. Mehr wird sie sicher nicht springen lassen. Dann ist das Spektakel wenigstens gleich vorbei. Gott sei Dank«, stimmte sich Hansi schon auf die Festivität der Dorfratschen in ein paar Wochen ein.

»Ha, da täuschst du dich aber gewaltig!«, widersprach Bettina mit einer skeptisch hochgezogenen Augenbraue und zusammengekniffenen Lippen.

»Ah, lässt sie's zum Sieb'zger dann doch krachen? Wo feiert sie denn? Beim Dorfwirt? Dann wird’s ja doch a recht gute Feier werden. Hätt ich ihr jetzt gar nicht zugetraut …«, plapperte Hansi und fühlte, wie sich die anfängliche Abneigung gegen dieses Event in zaghafte Vorfreude verwandelte.

»Von wegen! Gestern Abend war doch diese ominöse außerordentliche Frauenbundsitzung. Wir haben uns schon alle gewundert, was es denn so Wichtiges gibt, weil unsere große Vorsitzende Hinkhofer ums Verrecken vorher nichts zu der Tagesordnung gesagt hat. Jedenfalls hat sie uns dann verkündet, dass sie sich von den Mitgliedern des Frauenbundes, also uns, eine Geburtstagsparty wünscht. Wir sollen kochen, aufbauen, bedienen und dann auch wieder aufräumen und putzen. Für so eine außerordentlich engagierte Vorsitzende, wie sie es ja nun mal war, würden sich die anderen Vereine alle fünf Finger abschlecken, und das wär das Mindeste, was wir für sie tun könnten, meinte sie. Geschenke wünscht sie sich eh nicht, sie verzichtet sogar auf den üblichen 50-Euro-Gutschein vom Dorfwirt aus der Vereinskasse, hat sie großzügig rausposaunt. Anschließend bekam jede von uns einen Zettel in die Hand gedrückt. Darauf stand ganz genau, wer was wann und wo zu tun hatte. Stell dir vor, ich soll sieben Kuchen backen und am Jubeltag die Gäste bedienen. Schwarzwälder, Schokocreme, Mandarinen-Schmandkuchen, Rum-Biskuit-Rolle und Erdbeerkuchen hat unsere große allmächtige Vorsitzende angeordnet, den Rest darf ich mir selber aussuchen. Aber die Eichinger Liesl und die Haller Babette hat's noch schlimmer erwischt. Sie sollen sich um das Schweinerne, die Knödel und das Sauerkraut kümmern. Stell dir vor, Berta hat 80 Gäste eingeladen! Und wahrscheinlich kommen die auch noch alle. Sogar der Baron von Bieberstein hat zugesagt. Vor 40 Jahren hat sie bei seinem Vater a mal als Sekretärin gearbeitet und jetzt lädt sie seinen Sohn gleich zum Geburtstag ein. Nur, weil sie wieder angeben will, dass auf ihrem Geburtstag sogar die High Society kommt. Als wenn sie selber die Baronin von Hinkhofer wäre … Pffff. Weißt du, wie viele Knödel dass die Liesl da wuzeln muss? Das wäre ja noch nicht mal das große Problem, aber wie soll sie denn die kochen? Wo soll sie denn die riesigen Töpfe hernehmen? Wir haben alle nur normale Öfen und keine Großküche für 80 Leute. Die Hinkhoferin spinnt komplett! Die glaubt wirklich, wir sind ihr privater Partyservice!«, schimpfte die Schriftführerin des Unterfilzbacher Frauenbundes und musste gleich einen großen Schluck Radler nehmen, weil sie sich so in Rage geredet hatte.

Nachdem sich Hansis Lachanfall wieder gelegt hatte, konnte er seine Meinung dazu kundtun, ohne halb zu ersticken.

»Das sieht ihr so gleich, der Berta. So kenn ich sie! Das kostet Madame keinen Cent und sie weiß nur zu gut, dass deine Kuchen und der Liesl ihr Schweinernes Spitzenklasse ist. Es würde mich nicht wundern, wenn sie euch noch anschafft, was ihr anziehen müsst. So a Hauberl mit weißer Spitze und gestärkter Schürze, wie es die Dienstmädchen der feinen Herrschaften in der Stadt früher getragen haben, das würde dir gut stehen, Bettina«, sprach Hansi und brach erneut in lautes Gelächter aus.

»Du bist so a Depp, Hansi, wirklich! Lach du nur!«, war seine Frau beleidigt.

»Dann wird’s ja sogar noch schöner als beim Dorfwirt. Mei, wird das dem Bürgermeister stinken, wenn er erfährt, dass das doch eine richtig gute Feier werden wird und keine schnelle Wurschtsemmel zwischendurch. Wo feiert sie denn, die Berta? Bei ihr daheim? So groß ist jetzt ihr Wohnzimmer aber auch wieder nicht.«

»In ihrem Garten. Sie hat den Filzer-Bräu Quirin eingeladen, dafür darf sie sich Biergarnituren ausleihen und er darf das Bier sponsern. Ich möchte wirklich a mal wissen, wie das die Berta immer macht? Die redet alle ganz narrisch und am Ende tun immer alle genau, was sie will.«

»Habt ihr es ihr denn gesagt, dass ihr die Idee mit dem privaten Partyservice gar nicht gut findet? Schließlich ist das ja der Frauenbund und nicht Nordkorea«, wollte Hansi wissen.

»Na ja, man könnte schon manchmal denken, sie wäre am Kim Jong-un seine Zwillingsschwester. Es hat sich wirklich keine mehr etwas dagegen sagen trauen. Erst als wir raus sind vom Dorfwirt-Stüberl, haben alle geschimpft wie die Rohrspatzen und heute Morgen hab ich die Liesl am Bauernmarkt getroffen, die wär fast explodiert.«

»Ha. Das ist wieder a mal typisch. Sonst sagst du auch immer, man muss Probleme ansprechen. Seid's doch feige?«, schmunzelte Hansi mit großer Genugtuung.

»Ja, wahrscheinlich. Da hast du ausnahmsweise einmal recht, mein Bärle«, entgegnete seine Frau beschämt und senkte den Kopf.

Das friedliche Wochenende war eine Wohltat für Hansi. Die kleine Auszeit vom Bauhof und seinem ungeliebten Kollegen Monaco, sowie der Waffenstillstand mit seiner Frau beruhigte sein angeschlagenes Nervenkostüm sichtlich. Zudem waren seine drei Kinder, nach einer offenbar amüsanten Partynacht bestens gelaunt und genossen den gechillten Sonntag in familiärer Runde. Sogar einen Spieleabend veranstaltete der Scharnagl-Clan, so wie sie es in den vergangenen Jahren oft getan hatten. Hansi war im Himmel!

Am meisten freute er sich jedoch über die Wandlung seines Nesthäkchens, denn sie sprühte geradezu vor guter Laune. Was mit großer Wahrscheinlichkeit an ihrem neuen Leben in den USA lag. Oder steckte da noch etwas anderes dahinter?

Man weiß halt erst, wie schön's daheim ist, wenn man a mal weg war, sinnierte Hansi, als er Indira dabei zusah, wie sie ihm lächelnd gegenüber am Küchentisch saß und beim Grasoberln wie üblich gewann. Aber die seelische Ausgeglichenheit währte nicht lange, denn der Montag kam unaufhaltsam auf ihn zu und damit die Pflicht, wieder den Dienst am Bauhof anzutreten.

Der Vormittag war noch recht ruhig. Monaco war heute ungewöhnlich freundlich und hatte bis zur Brotzeit nicht einen einzigen blöden Spruch auf Hansi abgefeuert. Nur sein seltsames Grinsen war heute irgendwie verändert, zwar genauso deppert wie eh und je, aber trotzdem anders.

Da der Bauhofkapo Wiggerl den Winter in Unterfilzbach ab sofort offiziell für beendet erklärt hatte, war die heutige Aufgabe der Einsatz-Truppe Scharnagl/Heidecker, die Schneestangen im ganzen Ort einzusammeln. Dabei packte der ansonsten recht faule Kollege sogar tatkräftig mit an und übernahm freiwillig das Einsammeln der Holzstangen. Diese Straßenmarkierungen sind bei den typischerweise immens hohen Bayerwald-Schneedecken im Winter durchaus vonnöten, aber Mitte April erwartete sogar der übervorsichtige Wiggerl keine zwei Meter Neuschnee mehr. Heidecker zog die Stangen aus dem Boden und warf sie auf die Ladefläche des kommunalorangen alten Unimogs, den Hansi im Schritttempo durch das Dorf steuerte. Fast wirkten sie wie ein harmonisches Gespann, sofern man über die Zwistigkeiten nicht informiert war.

Leider ließ der Bayerwald-Casanova dabei sein Handy versehentlich am Beifahrersitz liegen und dieses Gerät vollbrachte währenddessen wirklich Höchstleistungen. Im Minutentakt piepste oder klingelte das depperte Telefon. So etwas machte Hansi wahnsinnig, denn wenn er eines nicht leiden konnte, dann waren es monotone Fiep-Geräusche.

Zusätzlich war auch noch der Klingelton furchtbar nervtötend, vor allem wenn er in Dauerschleife immer nur drei Takte abspielte. Hansi traute seinen Ohren kaum, als er den Rühmann Heinzi – Gott selig – hörte, wie er immer wieder von Neuem trällerte: »Ich brech' die Herzen der stolzesten Frauen«. An sich kein schlechtes Lied, aber im 60-Sekunden-Turnus und dann auch noch aus dem Handy dieses eingebildeten Hornochsen – das war zu viel für einen deprimierten Hansi an einem Montagmorgen.

Bei gelegentlich genervtem Blinzeln auf den Telefonbildschirm neben ihm las Scharnagl aus den Augenwinkeln heraus ein paar der zahlreich eingehenden Textnachrichten und diese weckten spontan sein Interesse. Zwar verschwanden die Nachrichten innerhalb weniger Sekunden wieder und er konnte bei manchen nur die ersten Worte erhaschen, bevor die Meldungen wieder ausgeblendet wurden, zumindest blieben aber dann wenigstens die Absendernamen auf dem Bildschirm sichtbar. Eigentlich waren es eher Pseudonyme, die Monaco in seinem Telefonbuch gespeichert hatte. »Vollbusige Britschen«, »Versaute Matz«, »kleines Flitscherl« (Dabei sollte man wissen, dass alle drei nominalen Bezeichnungen im Bayerischen in etwa gleichbedeutend mit dem klassischen Luder sind.), »Heiße Alte« oder auch »Scharfe Prinzessin« schrieben abwechselnd, an den momentan nicht erreichbaren Moritz. So manches konnte er sogar lesen, wenn er schnell war. Beispielsweise bedankte sich die »Vollbusige Britschen« für die offenbar aufregenden Stunden am Freitag. Die »Versaute Matz« ließ ihren »süßen Fratz« wissen, dass die »Luft heute zur gewohnten Zeit rein wäre« und er doch bitte wieder »pudelnackert« vor ihrer Haustür stehen sollte, so wie beim letzten Mal. Zwischendurch klingelte es auch des Öfteren und der Rühmann Heinzi brach fortlaufend die Herzen sämtlicher »Flitscherl« und »Matzn«, die anriefen und ihr Objekt der Begierde nicht erreichen konnten. Zweimal tauchten auch Nummern auf, die scheinbar noch nicht mit einem Namen oder anderweitiger Betitelung gespeichert waren. Diese wurden leider an die Mailbox weitergeleitet.

Sosehr ihn die Klingelton-Beschallung anfangs auch gestresst hatte, inzwischen war seine Neugierde bedeutend größer als die Nervenreizung. Am liebsten hätte er heimlich, dafür genüsslich, in Monacos Handy sämtliche Nachrichten gelesen und die Mailbox mehrmals abgehört, um auch sicher alle Infos über das stressige Liebesleben seines Kollegen mitzubekommen. Er trug einfach ein ausgeprägtes Detektiv-Gen in sich. Außerdem war der Unterhaltungswert absolut vielversprechend.

Leider war Scharnagl in Sachen Digitalität bekanntermaßen eine absolute Niete. Er wusste nicht einmal, in welche Richtung er auf dem Display hätte »wischen« müssen, um überhaupt zum Postfach zu gelangen. Aber wahrscheinlich war der pikante Inhalt dieses Mobilgerätes ohnehin mit einem PIN-Code gesichert. Diese Überlegung tröstete Scharnagl zumindest ein wenig, nachdem ihm bewusst wurde, dass er jetzt wahrscheinlich nie erfahren würde, ob er die »Versaute Matz« persönlich kannte.

Aber er musste ja ohnehin auch noch den Unimog steuern, ohne einen Baum oder Monaco selbst über den Haufen zu fahren. Dabei war es auf dem Nebensitz gerade so interessant geworden.

Kurz vor der Brotzeit tauchte wieder eine namenlose Nachricht auf, lediglich mit einer Absender-Telefonnummer. Diese weckte seine Aufmerksamkeit noch mehr als sämtliche Schlüpfrigkeiten der Pseudonyme vorher. Dieser Schreiber – respektive Schreiberin – war ganz offensichtlich kein leidenschaftlicher Fan von Monaco.

Du Drecksau! Ich weiß alles! Das wirst du alles büßen, lass meine …, konnte Hansi noch lesen, bevor die Nachricht vom Display in das Innere des Handys abtauchte und verschwand.

Oha! Da ist aber irgendjemand mächtig grantig auf den guten Monaco. Herrschaftszeiten! Weil ich auch absolut keine Ahnung von dem technischen Glump hab. Das würde ich jetzt schon gerne wissen, mit wem es sich der Herr Heidecker verscherzt hat, ärgerte sich Hansi.

Er erschrak fürchterlich, als er aufblickte und bemerkte, dass Moritz im Begriff war, wieder in den Unimog einzusteigen. Schnell legte er das Telefon, dass er, um nichts zu verpassen, inzwischen auf seinem Schoß geparkt hatte, wieder an seinen Platz zurück. Es war halb zehn! Das bedeutete: Abfahrt zur Brotzeit im Brotzeitkammerl.

Puhhhh … Gott sei Dank hat er nix gemerkt, war Hansi erleichtert und atmete die spontan angehaltene Luft wieder aus, als Monaco wortlos einstieg, sein Handy griff und sich der Unimog samt Insassen sogleich auf den Weg in das Headquarter machte.

Die Montagsbrotzeit wurde von der Belegschaft des kommunalen Bauhofs in Unterfilzbach stets mit großer Spannung erwartet – Hansi aufgrund fehlender Monaco-Sympathie ausgenommen. Heideckers Kollegen waren durchschnittlich 44,5 Jahre alt, 80% davon verheiratet und allesamt lebten ein eher von Ritualen geprägtes, monotones Leben. Durch die lebhaften Erzählungen ihres jungen Kollegen über seine vielseitigen amourösen Bekanntschaften, fühlten auch die Bauhofmänner wieder ein wenig prickelnde Aufregung in ihrem teils langweiligen Alltag – zumindest werktags, von 09.30 Uhr bis 10.00 Uhr. Aber die Erzählungen des Niederbayern-Casanovas beflügelten wohl auch außerhalb der Dienstzeiten die Phantasie seiner Kollegen. Eines musste man ihm lassen, er erzählte ausschweifend und anschaulich, ließ dabei kein noch so schmutziges Detail aus, war aber trotzdem äußerst diskret. Nicht ein einziger Name seiner diversen Gespielinnen war ihm jemals über die Lippen gekommen. Anfangs hätten die Männer natürlich darauf gedrängt, mehr hintergründige Infos aus Moritz herauszubekommen. Irgendwann sahen sie aber dann doch ein, dass er einfach nix sagt – der sture Hund. »Ein Gentleman genießt und schweigt«, war seitdem eine viel gebrauchte Floskel unter den Männern am Bauhof.

Hansi graute es jedes Mal vor dieser täglichen, nicht jugendfreien »Märchenstunde«. Bisher hielt er nämlich die Prahlerei für reine Erfindung und blühende Phantasie eines Möchtegern-Machos. Aber nach den heutigen pikanten Entdeckungen auf Monacos Handy war er nun ebenfalls neugierig auf neue Geschichten geworden. Anscheinend legt er die Frauen doch reihenweise flach!

»Und? Jetzt erzähl'! Was hast du am Wochenende so gemacht, Moritz?«, wollte Reinhard gleich wissen, nachdem sich alle um den runden Tisch versammelt hatten.

»Erzählt's halt ihr auch a mal was von eurem Wochenende. Ihr werdet ja auch irgendwas Aufregendes erlebt haben? Ich rede eh immer viel zu viel …«, schmunzelte Monaco vielsagend und wusste ganz genau, dass er damit die Spannung noch weiter anheben würde.

»Sicher nicht annähernd so viel wie du. Geh weiter jetzt! Hast' dich wieder mit deinen Gspusis getroffen?«, kam es fordernd aus Martins Mund. Irgendwie wollte Monaco heute nicht so, wie es seine Kollegen gerne gehabt hätten.

»Ja mei, schon. Aber das ist ja immer das Gleiche. Langweilt euch das nicht langsam a bisserl?«

Hansi ärgerte sich währenddessen. Früher hätte er sicher stolz über seine Indira berichtet, wie fröhlich und hübsch sie geworden ist und wie gut ihr anscheinend Chicago und das Studentenleben taten. Aber seit Monaco da war, verging ihm die Lust, über sein Familienleben oder den allgemeinen Dorftratsch zu plaudern. Er war vom gesprächigen Unterhalter zum stummen Zuhörer geworden, ohne es zu wollen.

»Ach geh, Monaco, nur eine kleine Geschichte!«, bettelte Wiggerl, der offenbar seine Neugierde kaum bremsen konnte. Er hatte noch nicht einmal von seinem Salami-Zöpfl abgebissen, so sehr erwartete der Kapo die Wochenend-Abenteuer seines Großneffen.

»Also am Freitag war ich wieder bei einer. Ihr Mann war nicht daheim, das heißt, wir hatten das ganze Haus für uns. Ihr könnt euch gar nicht vorstellen, wo wir es überall getrieben haben …«, gab sich Monaco gnädig und warf seinen sensationslüsternen Kollegen somit ein paar »Appetithäppchen« zum Warm-up zu.

»Erzähl! Wo?«, platzte es aus Wiggerl heraus. Um alles gut hören zu können, beugte er seinen kurzen Oberkörper samt Wampe noch weiter zur Tischmitte und postierte sein Ohrwaschel in Monacos Richtung.

»Mei, angefangen haben wir im Hausflur, dann in der Küche, dann im Salon, dann im Treppenhaus und schließlich im großen Whirlpool.«

»FÜNFMAL!? HINTEREINANDER?«, rief Wiggerl nun fassungslos und verlor dabei einen angekauten Bissen seines Salami-Zöpfl aus seinem offenen Mund. Monaco beantwortete diese Frage nicht konkret, sondern lächelte nur schelmisch.

Mit anerkennendem Kopfnicken zollte Reinhard dieser Art von Höchstleistung seinen Respekt: »Geh leck! Das nenn ich a mal Kondition!«

Seine Kollegen taten es Reinhard gleich und schickten bewundernde Blicke zum Jüngsten im Team.

»Aber jetzt a mal ehrlich, Moritz. Willst du nicht auch mal eine Frau, mit der du reden kannst? Immer nur umeinander pimpern, das ist ja nicht alles im Leben«, platzte es jetzt aus Hansi heraus. Er erschrak sich regelrecht selbst, seine Gedanken laut in Worte gefasst zu haben.