LAS VEGAS IN UNTERFILZBACH - Eva Adam - E-Book + Hörbuch

LAS VEGAS IN UNTERFILZBACH E-Book und Hörbuch

Eva Adam

5,0

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Beschreibung

Amerikanisches Flair im beschaulichen Unterfilzbach: Hansi goes to Las Vegas – wenn auch nur unfreiwillig. Trotz seiner anfänglichen Ablehnung gegenüber der ihm aufgezwungenen USA-Reise freut er sich dort über die Begegnung mit dem gebürtigen Unterfilzbacher Charly Woodforth. Diese bleibt nicht ohne Folgen, denn Charly wird von Heimweh gepackt und kehrt nach 40 Jahren mit seiner Lebensgefährtin Scarlett wieder in seine Heimat zurück. Dort ist die Damenwelt in Aufruhr, denn Charly hinterließ viele gebrochene Herzen … Bald darauf kommt Scarlett aber bei einem mysteriösen Autounfall ums Leben. Sofort ist der Bauhof-Sherlock wieder in seinem Element und begibt sich auf eine Ermittlungsreise in die Vergangenheit. Was führte vor 40 Jahren zu Charlys übereilter Abreise? Was hatte Scarlett damit zu tun? Und kann er seiner Familie die geplante Kur in Bad Füssing ausreden und außerdem den in Not geratenen örtlichen Fußballverein retten? Band Fünf der erfolgreichen niederbayrischen Krimikomödie um "Hobby-Detektiv" Hansi Scharnagl und die ebenso schrulligen wie liebenswürdigen Bewohner des beschaulichen Dorfes Unterfilzbach – für Fans der Regionalkrimis von Rita Falk, Jörg Maurer und Volker Klüpfel.

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Zeit:11 Std. 29 min

Sprecher:Günter Schoßböck
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bilbo129

Man kann sich nicht von der Lektüre losreißen

Wieder ein sehr netter Roman aus Hinterfilzbach. Hab in ner Woche alle fünf gelesen und konnte nicht mehr aufhören.
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Wercj

Man kann sich nicht von der Lektüre losreißen

Super wie alle anderen Bücher auch
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Las Vegas in Unterfilzbach

Krimikomödie

Dieses Buch wurde vermittelt von der Literaturagentur erzähl:perspektive, München (www.erzaehlperspektive.de)

Für alle »Ehrenamtlichen«, die sich in unzähligen Stunden um Vereinsarbeit und Nachwuchsförderung kümmern, egal ob im sportlichen, kulturellen oder sozialen Bereich.

Stellvertretend dafür im Besonderen:TSV Bodenmais 1905SpVgg Schweinhütt-BettmannsägeTSV Böbrach 1980

Impressum

überarbeitete Ausgabe Copyright Gesamtausgabe © 2024 LUZIFER Verlag Cyprus Ltd. Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Cover: Michael Schubert

Dieses Buch wurde nach Dudenempfehlung (Stand 2024) lektoriert.

ISBN E-Book: 978-3-95835-680-1

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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über

Inhaltsverzeichnis

Las Vegas in Unterfilzbach
Impressum
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
DANKE …
Über die Autorin

Kapitel 1

Amerika

»Kannst du jetzt endlich a mal aufhören, Hansi, ich werd echt bald narrisch mit dir! Ich hätte gute Lust und frag den Captain, ob er dich aussteigen lässt. Schad, dass wir schon in der Luft sind, oder vielleicht sollte ich das trotzdem tun!«, zischte Bettina Scharnagl hinüber zu ihrem Mann am Nebensitz.

Der Flug LH0815 vom Franz-Josef-Strauß-Flughafen München zum Chicago O’Hare International Airport hatte heute eine ganz besondere Reisegruppe an Bord. Hansi und Bettina Scharnagl mit ihren besten Freunden Maria Aschenbrenner-Müller und deren frisch angetrautem Gatten Sepp Müller hatten sich auf den weiten Weg aus dem niederbayerischen Dörfchen Unterfilzbach in das entfernte amerikanische Chicago gemacht. Eigentlich war diese Odyssee sogar Hansis Idee gewesen, aber daran konnte – beziehungsweise wollte – er sich irgendwann nicht mehr erinnern, je näher das Datum der Abreise rückte. Sein Zuckerschoasal Bettina hatte jedoch in derartigen Dingen ein Elefantengedächtnis und rief ihm den Moment, als er ihr den Amerika-Trip zu ihrem Nesthäkchen Indira versprochen hatte, in jeder vergesslichen Minute wieder ins Gedächtnis zurück.

Das einzige Scharnagl-Familienmitglied mit Abitur hatte sogar ein Stipendium an der University of Chicago erhalten, worauf die Eltern durchaus stolz waren. Hansi konnte es allerdings nicht so richtig zeigen, denn diese ganze hochtrabende Bildung war dem eingefleischten, bodenständigen Handwerker nicht geheuer. Seit diesem Sommer studierte Indira nun in Chicago Umwelt- und Klimatechnik. Bettina wäre es zwar lieber gewesen, sie wäre zum Studium nach Regensburg gegangen und hätte Grundschullehrerin als Beruf gewählt, aber das jüngste ihrer drei Kinder hatte schon immer einen Sturschädel gehabt. Die Herkunft dieser eigensinnigen Gene sah die Mutter eindeutig beim Vater des Kindes, schließlich war sie nun bald 25 Jahre mit ihrem Bärle verheiratet und konnte so manches Liedchen von Hansis Beratungsresistenz singen.

Die Zeit vor und nach Indiras Abreise war die reinste Hölle für Bettina gewesen, aber noch mehr für Hansi. Der sensible Unterfilzbacher Bauhofangestellte mit dem weichen Herzen konnte einfach keine Frau weinen sehen und schon gar nicht seine eigene. Die Sorge um ihr kleines Scheißerl in der entfernten amerikanischen Großstadt machte aus Mama Scharnagl ein wandelndes unerschöpfliches Reservoir an Tränenbächen. Man musste nur die Worte »Amerika«, »Studium«, »Indira« oder auch ganz banal »weit weg« erwähnen und schon ging es wieder los mit der Heulerei. Da musste das Gesprochene nicht mal in Zusammenhang mit der studierenden Tochter stehen.

Irgendwann wusste sich Hansi nicht mehr anders zu helfen und sagte genervt und ohne zu überlegen: »Mei, dann besuchen wir sie halt a mal, da in dem Chicago drüben, wenn‘s passt!« Bettina versprach ihm im Gegenzug, ihre Heulerei auf das Minimum zu reduzieren, und schon war die Abmachung der Eheleute per Handschlag besiegelt gewesen.

Euphorisch machte Frau Scharnagl gleich am nächsten Tag Nägel mit Köpfen und buchte vier Flüge nach Chicago sowie eine anschließende Kalifornien-Rundreise ab San Francisco über Los Angeles und Las Vegas. Die Reisepläne hatte sie mit ihrer besten Freundin Maria ausgeheckt. Beide waren neugierig auf diese unbekannte Kultur und wurden regelrecht vom Fernweh gepackt. Wer weiß, wann sich wieder die Gelegenheit ergeben würde, aus Unterfilzbach wegzukommen, dachten sie. Endlich einmal raus aus Niederbayern!

Den Reisezeitraum hatten sie für Anfang Dezember geplant. Dies war jedoch eigentlich Hansis stressigste Zeit im Jahr am Unterfilzbacher Bauhof, sofern der Winter schon früh über den Bayerischen Wald hereinbrach. Der Räum- und Streudienst war ihm fast das Wichtigste und Liebste an seinem Job, die Brotzeit einmal ausgenommen. Schließlich war Hansi der allerbeste niederbayerische Schneepflugfahrer auf der ganzen Welt. Sein stets nervöser Chef, Bauhofkapo Wiggerl Hackl, hatte natürlich getobt, als er ihm kleinlaut seinen Urlaubsantrag zur Genehmigung vorgelegt hatte. Das strikte »Nein!« aus Wiggerls Mund kam Hansi eigentlich ganz gelegen, denn dadurch hatte er eine 1a-Ausrede für seine Frau und müsste Gott sei Dank doch nicht in das depperte Amerika fliegen.

Aber da hatte er seine Frau eindeutig unterschätzt. So schnell gab sie sich nicht geschlagen. Bettina war von jeher eine große Diplomatin, darum hatte sie kurzerhand, mit einem riesigen Reindl selbst gebackenem Apfelstrudel im Gepäck, bei Wiggerl daheim vorgesprochen und ihn mit schlagkräftigen, unwiderlegbaren Argumenten überzeugt.

Der Klimawandel machte sich natürlich auch in Unterfilzbach bemerkbar und das clevere Zuckerschoasal hatte darum eine Reihe von Statistiken und meteorologischen Berichten über die Niederschläge der letzten fünf Winter im Bayerischen Wald eingepackt, sodass ihr der Bauhofchef nicht mehr widersprechen konnte.

»Wiggerl, wir sind ja am 15. Dezember wieder da und vorher schneit‘s sowieso nicht. Das war die letzten Jahre auch nicht anders. Außerdem kann der Hansi dabei super seinen Resturlaub abbauen und du hast dann im Frühjahr noch einen Mann zur Verfügung, der für den letzten Schnee einsatzbereit ist. Das ist ja jedes Jahr ein Mordsg‘schiß, wenn du dann im März und April keine Leute mehr hast, weil eben alle dringend den alten Urlaub abbauen müssen. Den Zirkus deswegen kenn ich nur zu gut.«

»Bettina, die Idee könnte von mir sein, so in etwa hätte ich den Dienstplan dieses Jahr sowieso eingeteilt. Ich muss das Personal da a bisserl verteilen, dann ist‘s im Frühjahr entspannter …«

Wiggerl war im Bauhof der mit der Logik, behauptete er zumindest selbst. Es fiel ihm nur nicht so leicht, Fehler einzugestehen. Schlussendlich beglückwünschte ihn Bettina zu seiner grandiosen Idee und alle waren zufrieden. Alle … außer Hansi.

Aber Hansi hatte nun absolut keine Ausreden mehr und musste tatsächlich mit in die USA. Was hatte er nur getan?!

Weil ich einfach immer red, bevor ich nachdenk, ich Depp!, ärgerte er sich über sich selbst fast schwarz.

Zum Glück war das Ehepaar Aschenbrenner-Müller auch Teil der Reisegruppe, denn die englische Sprache sah Hansi als ganz großes Problem. Er sprach ausnahmslos und ausschließlich NUR Niederbayerisch, schon aus Prinzip. Die angefangenen VHS-Kurse »Urlaubs-Englisch für blutige Anfänger« und »Überlebens-Englisch« hatte er jeweils nach der ersten Stunde wieder abgebrochen, sehr zum Ärger seiner Frau. Zwar hatte ihm Indira die für ihn wichtigsten Wörter wie zum Beispiel hungry oder thirsty auf einem Zettel zusammengestellt, aber mit der Aussprache haperte es noch gewaltig.

Sepp hingegen sprach fließend Englisch. Allein schon, weil er ein paar Jahre in Amerika gelebt hatte und früher sogar Professor an Indiras jetziger Universität gewesen war, aber das war eine andere Geschichte. Jedenfalls war Hansis bester Freund sehr schlau und diese Tatsache beruhigte ihn ungemein, weil dann die größten Katastrophen im amerikanischen Ausland dank Sepp sicher abgewendet werden konnten, wenn er selbst einmal nicht mehr weiterwissen sollte.

Denn auch wenn Hansi es nicht zugab, die wachsende Ablehnung gegen diese Reise war einzig und allein darauf begründet, weil er einfach nicht wusste, was ihn dort in der Ferne erwartete. Vor Unbekanntem hatte er sehr große Angst, er war immer schon ein Mann, der seine vertraute Umgebung und seine Rituale brauchte. Zudem kam die unglaubliche Angst, dass ihn keiner verstehen würde.

In so mancher Nacht vor der Abreise quälten ihn die schlimmsten Albträume. Darin musste er plagenden Hunger und beinahe tödlichen Durst erleiden, denn er konnte sich im Traum in einer amerikanischen Metzgerei nicht einmal eine Wurstsemmel oder eine Breze auf Englisch bestellen. Seine Angst und Abneigung gegen dieses Land wuchs täglich. Außerdem würde er seine kleine Gerti ganz furchtbar vermissen. Gerti war ein kleiner Straßenhund, den Bettina letzten Sommer ins Haus geholt hatte, damit der Feinschmecker Hansi zumindest einen Hauch an Bewegung beim Gassigehen bekommen würde. Zuerst konnten sich die beiden gar nicht leiden, bis sie die gemeinsame Leidenschaft für weißen Presssack entdeckt hatten und schließlich zu einem Dream-Team wurden. Seitdem war Gerti da, wo Hansi war, und umgekehrt. Die kleine Hundedame wich ihm praktisch nicht von der Seite. Gerti-Herzi, wie er sie liebevoll nannte, wurde während der Reise nun in Obhut seiner Kinder Isabelle und Hansi junior gegeben. Aber auch da hatte der Senior Scharnagl große Sorge, ob sein Nachwuchs die liebgewonnene tierische Mitbewohnerin zu seiner Zufriedenheit versorgen würde.

Seit das Quartett heute Nacht zum Flughafen nach München aufgebrochen war, hatte Hansi schlechte Laune, sauschlechte sogar. Erst war er todmüde und hungrig (was er aber eigentlich immer war), es war eiskalt, am Check-in-Schalter war die aufgetakelte Schnepfe zu unfreundlich, um ein Klo zu finden, musste er mit seiner Notdurft gefühlt zehn Kilometer durch den gesamten Flughafen rennen, und alle alleinstehenden Koffer sah er als potenzielle Bomben an. Diese ganzen Hansi-Unannehmlichkeiten kommentiere er fortlaufend wild fluchend und trieb damit seine Entourage schier in den Wahnsinn.

Hansi war in seinem Leben noch nie geflogen, eigentlich kam er bisher überhaupt noch nicht weiter aus Unterfilzbach heraus als zum Urlaub nach Südtirol oder einmal zum Vereinsausflug mit der Freiwilligen Feuerwehr in den Schwarzwald. Darum war er auch regelrecht geschockt, als er den gefühlt winzigen, engen Flugzeuginnenraum betrat. Wie sollte er in dieser Sardinenbüchse ohne Beinfreiheit sage und schreibe zehn Stunden durchstehen? Sogar der Reisebus vom Unterfilzbacher Busunternehmen Sallinger war dreimal so geräumig. Zudem blies ihm die Klimaanlage direkt in sein Gesicht und nun hörte er zu allem Überfluss auch noch seit geraumer Zeit dieses mysteriöse Klopfen unbekannter Herkunft.

»Bettina, ich sag‘s dir, das ist der Motor. Da stimmt was nicht. Meinst nicht, wir sollen der Stewardess sagen, dass wir sofort notlanden müssen? Vielleicht ist sie schwerhörig. Wir stürzen ab! Ich seh‘s schon kommen und dann schaut‘s alle blöd, weil ich recht gehabt hab. Wart nur, wenn wir alle auf einer Eisscholle herumschwimmen …«, sprach er und konnte gar nicht verstehen, wieso seine Frau diese offensichtliche Todesgefahr nicht beunruhigte.

Sepp, der unter anderem auch ein paar Semester Maschinenbau studiert hatte, saß blöderweise einige Reihen entfernt, somit konnte Hansi ihn nicht nach seiner fachmännischen Meinung zu dem Klopfgeräusch fragen. Hoffentlich konnte er bald seinen Sicherheitsgurt ablegen und mit Sepp einen Notfallplan entwickeln.

»Hansi, jetzt gibst du aber gleich a Ruh! Die Stewardessen fliegen jeden Tag und die würden es schon wissen, wenn das Geräusch nicht richtig wäre. Da brauchen sie sicher keinen Scharnagl Hansi aus Unterfilzbach, der ihnen das sagt. Ich red jetzt kein Wort mehr mit dir und dann kannst schauen, wo du bleibst in Amerika. Nicht einmal werde ich dir irgendwas übersetzen, wenn du jetzt nicht gleich aufhörst mit deiner ständigen Lamentiererei!«

Diese hundsgemeine Drohung war das Schlimmste, was seine Frau in diesem Moment zu ihm sagen konnte, darum blieb er doch lieber still, auch wenn es ihm unglaubliche Disziplin abverlangte. Riskieren wollte er die Dolmetscherdienste seines Zuckerschoasals auf keinen Fall. Denn er wusste ganz genau, dass sie bei derartigen Dingen sehr konsequent sein konnte.

Der Gourmet Hansi Scharnagl versuchte sich stattdessen mit dem angekündigten Drei-Gänge-Menü zu trösten, das jetzt dann hoffentlich bald serviert werden würde. Bettina hatte ihm immer wieder aus den Reiseunterlagen vorgelesen, was ihn heute im Flugzeug kulinarisch erwarten würde. Damit hatte sie ihn stets motiviert, wenn Hansis Heimweh schon vor der Abreise zu stark wurde. Inzwischen kannte er den Speiseplan bereits auswendig: gemischter Salat mit Senf-Vinaigrette als Vorspeise, als Hauptgang gegrilltes Rinderfilet in Pfefferjus an grünen Bohnen, dazu Annakartoffeln und als Dessert Bayerisch Creme. So etwas Feines hatte er noch nie gegessen, denn der Unterfilzbacher Dorfwirt machte zwar das wohl beste Schweinerne weit und breit, aber eine Pfefferjus konnte er wahrscheinlich nicht zubereiten. Die Vorfreude tröstete ihn etwas über die restlichen Misslichkeiten dieses Fluges hinweg. Essen tröstete Hansi eigentlich immer.

Allerdings wurde auch dieser letzte positive Lichtblick just in dem Moment zerstört, als die schnippische Stewardess ein sehr kleines Tablett lieblos vor ihn auf sein Tischchen knallte. Die Dorfwirtbedienung Gerda zwinkerte ihm zumindest immer lächelnd zu, wenn sie ihm eine Halbe am Stammtisch servierte. In einem wirklich kleinen Porzellanschüsserl wie aus einer minderwertigen Kantine, in der bei den Scharnagls daheim höchstens der Nachtisch portioniert wurde, lag das winzige Stück Fleisch und war lediglich mit ein paar Tropfen Pfefferjus beträufelt. Außerdem waren ganze vier Bohnen und ein matschiger Haufen dabei. Der Haufen mussten die Annakartoffeln sein. Hansi hätte heulen können. Genauso wie es aussah, schmeckte der scheußliche Flugzeugfraß dann auch. Bei der Bayerisch Creme hatte er das Gefühl, als würde er die Anti-Falten-Gesichtscreme von Bettina probieren. In diesem Moment hätte er alles für ein saures Lüngerl vom Aschenbrenner Metzger gegeben. Hansi wollte nach Hause, heim nach Unterfilzbach.

Die restliche Zeit bis zur Landung war für den armen Hansi dann noch mal die reinste Tortur, zumal er seinem Zuckerschoasal nicht einmal sein Leid klagen durfte. Denn Bettina schlief seelenruhig ganze sechs Stunden neben ihm und ließ sich partout nicht wecken. Vielleicht tat sie aber auch nur so, als würde sie schlafen, um einfach ihre Ruhe zu haben.

Ein paar Stunden vor der Landung wurde es dann richtig schlimm. Zuerst verstand Hansi die Durchsage des Captains gar nicht, als dieser von leichten Turbulenzen sprach. Jedoch wusste er dann recht schnell, was der gute Mann damit gemeint hatte. Hansi fühlte sich schlagartig um 34 Jahre zurückversetzt. Damals hatte er als 14-Jähriger am Filzer-Goldfest aus dem Kettenkarussell-Luftraum seine vorher verspeiste Fischsemmel und die getrunkene Maß Bier quer über den ganzen Volksfestplatz aus der Tiefe seines Magens heraus verteilt. Seit dieser Zeit mied er bewusst Fahrgeschäfte aller Art. Dem armen Niederbayern war über Stunden hinweg so furchtbar schlecht, dass er nicht einmal mehr jammern wollte.

Wie sollte er nun ganze zwei Wochen in der Ferne überleben, wenn das alles schon mit so einer traumatischen Anreise begann?

Nachdem die Maschine endlich gelandet war, bekreuzigte sich Hansi erst einmal und betete ein Vaterunser. Eigentlich war er nicht besonders gläubig, aber wie viele niederbayerischen Dorfbewohner seiner Generation war er streng katholisch erzogen und darum war es wohl ein Reflex.

Den Münchner Flughafen hatte Hansi schon als riesig empfunden, aber hier am Flughafen Chicago O‘Hare war er nun hoffnungslos überfordert. Überall liefen Menschen hektisch durch die Gegend, das laute Stimmengewirr dröhnte in seinem Kopf, alles war gigantisch groß und unglaublich betriebsam. Zudem verstand er kein einziges Wort, weder von hastig vorbeieilenden Passanten noch von den undeutlichen Durchsagen, die schrill in seinen Ohren klangen. Er fühlte sich wie auf einem anderen Planeten.

Bettina nahm ihren Hansi lieber an die Hand, denn schon an seinem Gesichtsausdruck mit weit aufgerissenen Augen und offenem Mund konnte sie sehen, dass er ansonsten wahrscheinlich verloren gehen würde. Die fürsorgliche Ehefrau konnte ihn unmöglich sich selbst überlassen.

Indira erwartete ihren Besuch aus der Heimat bereits hinter der Gepäckausgabe. Hansi war allerdings noch immer wie in Trance, darum nahm er seine Tochter zuerst gar nicht wahr.

»Servus, Papa. Wie schaust denn du aus? Geht’s dir nicht gut?«, sprach sie sorgenvoll.

»Scheißerl! Mei oh mei, wie hältst du das nur aus? So was tust du dir freiwillig an? Schau, die ganzen Leut! So eine Hektik! Willst du nicht wieder mit heimfahren? In Unterfilzbach ist‘s doch so schön! Ich wäre im Flugzeug fast gestorben, das überleb ich sicher kein zweites Mal, ich glaub, ich muss mit dem Schiff heimfahren«, waren die ersten Worte, die Papa Scharnagl nach der Landung von sich gab.

»Ach geh, jetzt stell dich nicht so an. Du bist schlimmer als ein Kindergartenkind«, machte die fürsorgliche, aber genervte Ehefrau ihrem Ärger Luft.

Nun verstand er noch weniger, wieso sein eigen Fleisch und Blut freiwillig in dieses Land und dazu noch in eine Großstadt gezogen war.

Für die gut 30 Kilometer bis in die Chicagoer City brauchten die zwei Taxis, die die Reisegruppe am Flughafen bestiegen hatte, weit über eine Stunde. Hansi traute seinen Augen nicht, wie viele Fahrspuren eine einzige Straße haben konnte und dass trotzdem ständige Stauphasen auf der gesamten Fahrstrecke entstanden. Alles voller Autos! Unglaublich! Unterfilzbach hat nicht einmal eine Ampel.

Aber alles, was er bisher gesehen hatte, war sofort vergessen, als die atemberaubende Skyline von Chicago vor ihm auftauchte.

»Geh, leck mich doch am Arsch!«, schrie er erstaunt in seiner kräftigen niederbayerischen Baritonstimme, als die unzähligen Wolkenkratzer immer näher kamen.

Der Taxifahrer mit indischem Turban auf seinem Kopf zuckte dabei zusammen. Bettina vermutete, dass der Taxler ab diesem Zeitpunkt Angst vor Hansi hatte. Ganz bestimmt hatte er nicht verstanden, was sein Fahrgast inhaltlich von sich gegeben hatte, lediglich die bajuwarischen Urlaute hatte er wahrgenommen, und diese Art der Artikulation konnte auf fremde Kulturen sicherlich verstörend wirken.

»Gell, da schaust, Papa. Chicago hat die größten Wolkenkratzer, nur in Dubai gibt‘s noch höhere«, sprach seine Tochter nicht ohne Stolz vom Beifahrersitz aus in den Fond des Wagens.

»In Unterfilzbach hat das größte Haus gerade mal drei Etagen und das ist das Rathaus. Wobei unser Kirchturm ist auch gar nicht a mal so klein … aber diese Amerikaner sind schon ausgefuchste Hund! Das sind ja bestimmt 20 Stockwerk, wenn nicht sogar mehr …«

»Geh, Papa, das da vorn sind die Willis Towers, vielleicht kennst du sie auch unter Sears Towers, die haben sogar 108 Etagen. Das war bis vor ein paar Jahren sogar das höchste Gebäude der Welt«, gab Indira ihr Wissen über ihre neue Heimatstadt zum Besten.

»Ähm, ja freilich, sagt mir was … Sears Towers, eh klar. Geh leck, 108 Stockwerke! Ja Kruzifix. Die brauchen bestimmt mehr als einen Hausmeister da drin. Da würd der Weber Franz ins Schnaufen kommen. Das muss ich ihm daheim gleich erzählen, der schimpft ja schon immer, weil er mit dem Rathaus so viel zu tun hat«, schmunzelte Hansi beeindruckt.

Auf den Straßen und Gehwegen war das Gewusel noch schlimmer als am Flughafen und nicht nur Hansi, auch Bettina und Maria waren damit beschäftigt, diese Menschenmassen und die Hektik erst einmal zu verdauen. Sepp kannte das alles nur zu gut, er fühlte sich sogar gleich wieder ein wenig heimelig, auch wenn er sicher nicht mehr aus Unterfilzbach wegwollte – und von seiner Maria schon gar nicht.

Indira hatte für das niederbayrische Quartett Zimmer in einem Hotel nahe ihrem Studentenwohnheim gebucht. Nach dem Check-in, bei dem Hansi natürlich kein Wort verstanden hatte, bezogen die Ehepaare Scharnagl und Müller-Aschenbrenner ihre Quartiere. Sie wohnten im Hilton Inn und Hansi freute sich insgeheim schon darauf, wenn er daheim mit seiner Drei-Sterne-Unterkunft angeben konnte. Dass aber drei Sterne in dieser Beziehung nicht unbedingt viel waren, wusste Hansi bisher nicht.

»Ich hab gemeint, ein Hilton ist ein Luxushotel. Ich weiß ja auch nicht, was die Amerikaner unter Luxus verstehen, aber da kann der Dorfwirt bei uns daheim auf jeden Fall mithalten, würd ich sagen. Vielleicht ist das ein anderer Hilton, dem der Laden hier gehört? Bestimmt ist das der Stiefbruder und der nimmt einfach den gleichen Namen her, weil sie sich furchtbar zerstritten haben …«, mutmaßte Hansi über die Hintergründe der wenig luxuriösen Beherbergung.

Sauberkeitsfanatikerin Bettina kontrollierte als Erstes die Hygienestandards, die für ihr Empfinden absolut nicht zufriedenstellend waren, und ergänzte Hansis Urteil sogar noch: »Da hast du recht, und sauberer ist es beim Herbert und der Barbara in ihren vier Zimmern auf jeden Fall auch noch. Na, vielleicht kommen wir heute bei einem Supermarkt vorbei und ich kann einen Essigreiniger besorgen.«

Bettinas Kinder Isabelle, Hansi junior und Indira belächelten ihre Mutter immer, wenn sie wieder einmal wie ein Derwisch mit Putzlappen und Mopp bestückt durch das Einfamilienhaus in der Birkenstraße wirbelte. Es konnte ihr nie sauber genug sein. Die restliche Familie war dagegen eher Laissez-faire im Umgang mit der Reinlichkeit, konnte man sagen. Bettina fand es dann wiederum peinlich, wenn sie von ihren Kindern als uncool hingestellt wurde. Aber schließlich konnte sie den Saustall doch wieder nicht mitansehen. Darum war es ein ewiger Teufelskreis in der Casa Scharnagl, was die Ordnung betraf.

Die nächsten Tage hatte Indira bis ins Detail komplett durchgeplant und schleppte ihre Eltern, Maria und Sepp zu allen wichtigen Sehenswürdigkeiten der Stadt. Auf den Jetlag der vier nahm sie dabei keinerlei Rücksicht. Wobei Hansi am wenigsten damit zu kämpfen hatte. Als Bauhofmitarbeiter im Winterdienst war er es seit Jahren gewohnt, plötzlich nachts rauszumüssen. Er hatte wenigstens von Dezember bis Anfang April einen unregelmäßigen Schlafrhythmus. Winterdienstfahrer sind einfach doch wahre Männer, dachte er stolzerfüllt.

Für Sepp war das alles natürlich bekanntes Terrain, aber er genoss es sichtlich, wieder einmal durch alte Gefilde zu streifen. Indira war zwar erst ein halbes Jahr hier, aber offensichtlich hatte sie sich schon bestens eingelebt. Sie erklärte ihnen, dass die weltbekannte »Route 66« in Chicago beginnt, und zeigte ihnen natürlich auch, wo das war. Die angehende Umwelttechnikerin blühte förmlich auf, als sie ihre Eltern durch das Adler-Planetarium samt Astronomie-Museum führte, allerdings fanden Hansi und ebenso seine Frau das alles gähnend langweilig. Er verstand überhaupt nicht, was Sepp und seine Tochter daran so faszinierte, lieber hätte er dem Bauhof Chicago einen Besuch abgestattet und dort ein wenig gefachsimpelt, wenn er nur diese Sprache hätte sprechen können.

Bedingt durch seine Höhenangst war der Ausflug ins 360 Hancock Observatory auf der 94. Etage am darauffolgenden Tag alles andere als langweilig für Herrn Scharnagl. Jedoch musste die gesamte Reisegruppe inklusive Hansi zugeben, dass sie dort einen unvergleichlichen Blick über die ganze Stadt hatten, vom berühmten Millennium Park bis zum Soldier Field. Sofern der Bauhofler nach unten sehen konnte.

In diesen besagten 94. Stock fuhr der schnellste Aufzug der Stadt. Dies wusste Hansi zum Glück vorher nicht, denn sonst wäre er niemals eingestiegen. Er erwartete in etwa dasselbe Aufzugerlebnis, wie er es aus dem Unterfilzbacher Rathaus von der Tiefgarage bis ins Dachgeschoss kannte. Allerdings hatte er dann dabei fast wieder ein schlimmes Flugzeug Déjà-vu.

Den Rückweg trat er deshalb vorsichtshalber lieber über das Treppenhaus an. Seine Begleiter aßen in der Zwischenzeit im Erdgeschoss ausgiebig zu Mittag, denn Hansi ließ ihnen mit seinem Abstieg, der fast zwei Stunden dauerte, ausreichend Zeit dafür. Welche Laune aber nun ein Scharnagl haben konnte, wenn er auf sein Mittagessen verzichten musste, konnte man sich als Außenstehender gar nicht vorstellen. Den ganzen Tag über sprach er kein Wort mehr mit seiner Reisegruppe, sondern stapfte stumm, mit verschränkten Armen und mit grimmiger Miene hinter ihnen her. Erst beim All-you-can-eat-BBQ am Abend besserte sich seine Laune schlagartig wieder.

Wer hätte gedacht, dass es in Amerika so viele Buffets gab. Seine ganzen Ängste und Albträume, in denen er verhungern musste, weil er sich in der Landessprache nicht artikulieren konnte, waren alle umsonst gewesen. Auch wenn er bereits die Stunden zählte, bis er wieder niederbayerischen Boden unter den Füßen hatte, so gab es doch etwas, was er an diesem Land von Herzen lieben gelernt hatte: amerikanisches Essen!

Beim täglichen Frühstücksbuffet im Hotel fühlte er sich wie die Made im Speck, trotz der mickrigen drei Sterne. Er stand sogar jeden Tag eine ganze Stunde vor den anderen auf, um dieses umfangreiche, köstliche Buffet vollends auszukosten. Außerdem musste er dabei mit keinem reden, er konnte sich einfach holen, was er wollte, und sich vollkommen auf sein Morgenmahl konzentrieren. Gab es etwas Schöneres?

Schon am ersten Morgen war er schockverliebt. Es gab Eier in allen möglichen Variationen, kleine Würstl in Hülle und Fülle, himmlisch knusprigen Frühstücksspeck, Baked Beans – die hatte ihm Bettina allerdings ab dem zweiten Tag verboten –, Bratkartoffeln, Arme Ritter oder French Toast, wie die Amis dazu sagen, fluffige Pfannkuchen, die aber nur halb so groß wie die niederbayerischen waren, Hash Browns – Hansi hätte sie zwar eher als Kartoffelpuffer beziehungsweise auf gut Niederbayerisch Ritsche bezeichnet – und noch weitere Snacks, die keine Wünsche offenließen. Dazwischen aß er sogar ein wenig Obstsalat und trank Orangensaft, damit seine gesundheitsbewusste Ehefrau nicht meckern konnte. Es war einfach göttlich und Hansis täglicher Höhepunkt. Jedoch waren die kleinen Hot Dogs, die es an jeder Straßenecke gab, auch nicht zu verachten.

Vielleicht wurde aber das Drei-Sterne-Frühstücksbuffet sogar vom heutigen All-you-can-eat-BBQ noch getoppt. Diesen Begriff konnte er inzwischen sogar fehlerfrei aussprechen. Er machte faszinierende Bekanntschaften mit Spare Rips, Pulled Pork, Chicken-Wings, Bacon Nachos und noch vielen weiteren, vor Fett triefenden Fleischspeisen. Bettina hatte langsam große Sorge, dass er bald platzen würde. Zumindest konnte keiner der Augenzeugen verstehen, wie ein einzelner Mensch nur so viel essen konnte.

Abends mussten sie unbedingt noch in einen Jazz-Club, darauf bestand Indira. Schließlich war Chicago eine der Musikhauptstädte der USA, schwärmte die Studentin. Auch wenn Hansi die Musik von Helene Fischer oder der Unterfilzbacher Blaskapelle »Die MUMUS« (ausgesprochen hieß das »Musikverein und Marschkapelle Unterfilzbach«, was für einen introvertierten Niederbayern aber schier endlos lang war, weshalb der Kapellenname im gängigen Sprachgebrauch meist abgekürzt wurde) lieber hörte, so fand er doch Gefallen an den kleinen Zwei- oder Drei-Mann-Kapellen auf den kleinen Bühnen in den Clubs. Für Hansi waren diese sogenannten Clubs allerdings eindeutig Stüberl, denn das war genau das, was man in Bayern darunter verstand. Ein Club war für ihn ein Verein, Fußball, Handball oder wegen ihm auch Schnupfer-Club, aber eben kein Stüberl. Da dies immer für Verwirrung in seinem Kopf sorgte, blieb er also bei Stüberl. Das amerikanische Bier schmeckte zwar grauslich, dafür hatte er etwas anderes als Ausgleich entdeckt: Whiskey. Die drei bis sechs Gläser waren seiner guten Laune ebenfalls zuträglich.

Nachdem auch noch die University of Chicago und Indiras Wohnheim besichtigt worden waren, Sepp mit alten Professorenkollegen ratschen konnte und sich Mama Scharnagl vom soliden Lebensstil ihrer Tochter im Ausland überzeugt hatte, waren die Tage in der Stadt im Bundesstaat Illinois auch schon wieder vorbei. Wider Erwarten verging diese Zeit sogar noch schneller, als Hansi ursprünglich gedacht hatte.

Das schönste und entzückendste Erlebnis in Chicago hatte er allerdings am Tag der Abreise. Als er frühmorgens vor dem Hotel stand und auf den Rest des Quartetts wartete, blickte er zum Himmel hinauf und roch förmlich die Schneeluft. Es war einfach eine Gabe. So etwas hat man im Gefühl oder nicht, Hansi hatte es definitiv. Auch in Unterfilzbach roch er die Schneeflocken schon immer am Vorabend, da konnte selbst Wiggerl mit seinen ganzen zahlreichen Wetter-Apps am Handy einpacken.

Während der letzten Tage hatte Hansi Sepp immer wieder ausführlich darüber befragt, wie der Winterdienst in dieser Stadt organisiert würde und wie viel es in einem durchschnittlichen Winter eigentlich schneite. Leider wusste sein Spezl über den kommunalen Winterdienst hierzulande nicht so im Detail Bescheid, wie Hansi es sich erhofft hatte, sein Interesse dafür hielt sich auch in Grenzen. Zumindest wusste er aber, dass es durchaus auch mal kräftig schneien konnte, und heute Morgen lag es eben in der Luft, wie Hansi fand.

Diese Vorahnung ließ es förmlich in seinen Zehen kribbeln. Nur zu gern wäre er jetzt in seinen Räum- und Streuwagen mit dem klangvollen Namen »Snow Magic Hero 1000« gestiegen und bei dichtem, romantischem Schneegestöber durch SEIN Revier in Unterfilzbach gecruist. Die Wehmut überkam ihn gerade vollends, als er ein sehr vertrautes Geräusch aus der Ferne wahrnahm.

Das war doch exakt dasselbe Motorengeräusch wie … konnte das sein?

Tatsächlich bog in diesem Moment das baugleiche Fahrzeug um die Ecke, wie er es auch daheim in Unterfilzbach fahren durfte. Es war SEIN »Snow Magic Hero« in amerikanischer Ausführung, aber in gleichem frischen Kommunalorange. Hansis Herz begann zu pochen, fast war es, als spürte er ein paar Schmetterlinge in seiner Magengegend. Das war also der Chicago-Hansi vom Winterdienst, dachte er bei sich selbst und grinste über beide Ohrwascheln. Zum Räumen gab es an diesem eiskalten 8. Dezember zwar noch nichts, jedoch war das Streuen sicher nötig. Auch er hätte eine Runde mit Streusalz an diesem nasskalten Tag angeordnet, wäre er der Kapo vom hiesigen Bauhof gewesen. Der Fahrer fuhr langsam am Straßenrand vorbei und beobachtete Hansi dabei, wie er wild winkend neben dem Fahrzeug auf und ab sprang.

Auch die kommunalen Angestellten in dieser Stadt schienen sehr hilfsbereit zu sein, denn der Fahrzeugführer hielt an und ließ das Fenster nach unten. Offensichtlich benötigte dieser Passant dringend Hilfe, dachte der Chicago-Hansi wohl.

»Good morning, Sir. Can I help you?«, fragte der freundliche Bauhofler.

Zwar hatte der Unterfilzbach-Hansi nicht verstanden, was der gute Mann gerade gesagt hatte, aber er fühlte sofort eine tiefe Verbundenheit zu diesem Kollegen. Der Niederbayer strahlte ihn an und artikulierte sich sehr langsam und in gebrochenem Englisch: »You?! Snow Magic Hero? I a.«

Das »I a«, war als das Bayerische »Ich auch« zu verstehen. Den amerikanischen Schneepflugfahrer erinnerten diese unverständlichen Laute aber an einen Esel, denn höchstwahrscheinlich konnte er kein Bayerisch, genauso wenig wie Hansi Englisch.

Das vermeintliche amerikanische Pendant zum niederbayerischen Scharnagl im großen orangefarbenen Nutzfahrzeug freute sich augenscheinlich über den netten Herren am Wegesrand, denn er grinste zurück. Mit einem ausgestreckten Daumen nach oben signalisierte er Zustimmung und schloss das Fenster wieder, bevor er seine Fahrt fortsetzte.

In Wahrheit ging Chicago-Hansi aber etwas völlig anderes durch seinen Kopf: »Oh, Jesus! Again a poor, drunk man. For sure, he can’t find the way back to his hotel. Why do tourists always get so drunk in Chicago?«

Hansi konnte natürlich keine Gedanken lesen, und hätte er es gekonnt, wäre die Sprachbarriere wieder einmal unüberwindbar gewesen. Aber er sah eine deutliche Freude im Gesicht dieses Mannes vom Bauhof Chicago und diese überaus freundliche Begegnung beflügelte Hansi während des ganzen Tages hinweg.

Zwar wusste er, dass er nun gleich in ein Flugzeug steigen musste und das schon wieder für ganze fünf Stunden, aber nach diesem Erlebnis war es ihm egal. Er hatte schließlich den Chicago-Hansi kennengelernt und außerdem wunderbar gefrühstückt.

Auf dem Flug nach San Francisco gab es heute Gott sei Dank keine Turbulenzen und das Essen war auch ohne Beanstandungen. Bettina hatte einen Billigflug gebucht, da war das Schinken-Sandwich als Mittagsmahl wie erwartet und schürte nicht schon vorab große Erwartungen bei Hansi, die dann enttäuscht werden könnten.

Am San Francisco International Airport wurden sie von einem großen quietschenden Reisebus abgeholt und die gebuchte Sightseeing-Tour durch Kalifornien »7Days-3Citys-All.inc« startete augenblicklich. Innerhalb der nächsten Woche würden die vier Niederbayern mit 46 anderen Touristen von einem »Place-to-be« zum nächsten gekarrt werden.

Hoffentlich packt das die oide Kist‘n, dachte Hansi etwas besorgt, als er einige füllige mitreisende amerikanische Damen in den rostigen alten Reisebus einsteigen sah.

Der Zeitunterschied betrug diesmal nur läppische zwei Stunden, also war er praktisch nicht der Rede wert.

Die Scharnagls und Aschenbrenner-Müllers staunten über die Golden Gate Bridge, den AT&T Park – das Baseballstadion der San Francisco Giants – und über das Walt Disney Family Museum. Hansi war immer schon ein heimlicher Fan von Goofy gewesen, auch wenn alle anderen Kinder aus seiner Klasse Donald Duck lieber mochten. Goofy passte auch irgendwie besser zu ihm und war außerdem nicht so ein G‘scheidhaferl wie Donald, fand er.

Bei den berühmten Cable Cars in San Francisco City musste Hansi sofort wehmütig an die Waldbahn denken, die ihm nur zu vertraut war und die im Prinzip 99 Prozent des gesamten Nahverkehrs im Bayerischen Wald ausmachte. Wieder ein kleiner Moment mit sehnsüchtigem Heimatgefühl.

Absolut fasziniert war Hansi aber vom berühmt-berüchtigten Hochsicherheitsgefängnis auf der Insel Alcatraz in der Bucht von San Francisco. Schließlich hatte er höchstselbst schon sage und schreibe drei Mörder und eine Mörderin hinter Gitter gebracht. Gut, Sepp und Bettina hatten auch ein wenig mitgeholfen, aber im Grunde seines Herzens sah er sich selbst als den größten Bauhof-Meisterdetektiv aller Zeiten. Da war ein Besuch im berühmtesten Gefängnis der Welt natürlich unglaublich faszinierend für Sherlock Scharnagl.

Als nächstes Ziel stand Los Angeles auf ihrem Plan. Der Reisebus schlug sich noch immer tapfer, auch wenn er schon aus den letzten Löchern pfiff. Knapp sechs Stunden in diesem Vehikel waren beileibe kein Spaß, jedoch war es Hansi noch immer lieber, als wieder leichte Turbulenzen mit Kettenkarussell-Erinnerungen durchstehen zu müssen. Normalerweise fuhr er nur bei Vereinsausflügen mit der Freiwilligen Feuerwehr oder einem anderen Unterfilzbacher Verein, dessen Mitglied er war, mit einem Reisebus. Ansonsten war er lieber selbst Fahrer seines geliebten Opel Astra. Wenn schon Busreisen, dann nur mit einem Deluxe-Omnibus vom Unterfilzbacher Busunternehmer Sallinger, diese waren zumindest recht komfortabel im Gegensatz zu diesem Schrotthaufen auf vier Rädern. Vereinsausflüge waren schon eine feine Sache, erinnerte sich Hansi im Halbschlaf, während er im miefigen Sitz versuchte, ein wenig zu schlummern. Bei derartigen Ausflügen waren auch immer ein paar Musiker dabei, die während der Fahrt für zünftige Stimmung sorgten, da war die Fahrt schon Teil des Reiseerlebnisses. Dies gehörte eigentlich zur bayerischen Reisekultur wie das Amen in der Kirche. Der Weg ist das Ziel, sozusagen. Ebenso wie das süffige Filzer-Bräu, das unbedingt in ausreichender Menge für die Reisegesellschaft vorhanden sein musste.

Das bayerische Bier vermisste Hansi in diesem Moment auch gerade schmerzlich. Immer nur Whiskey war langfristig auch kein ebenbürtiger Ersatz mehr für bayerische Braukunst. Aber bald hatte er es geschafft, nur noch fünf Tage und er würde wieder in seinem geliebten Unterfilzbach sein. Schon über die Hälfte dieser Reise war überstanden und er hatte sich gar nicht mal so schlecht geschlagen. Weder war er bisher verhungert noch verdurstet noch verloren gegangen, überlegte er stolz, als er mit geschlossenen Augen im unangenehm riechenden Reisebus neben Bettina wackelnd durch die Fernstraßen Kaliforniens tuckerte.

In Los Angeles angekommen, ging die Hast gleich weiter. Sie besuchten die Hollywood Hills und die Universal Studios, was Bettina und Maria unglaublich beeindruckend fanden. Die Herren konnten sich dafür nicht allzu sehr begeistern.

Am Abend vor der Weiterreise zum letzten Ziel Las Vegas durften natürlich der Hollywood-Boulevard und der »Walk of Fame« nicht fehlen. Noch immer war Hansis Trost das amerikanische Frühstücksbuffet, was Gott sei Dank auch die letzten Tage in der Pauschalreise zum festen Bestandteil gehörte, sowie die ausgiebigen Abendbuffets.

Weiter ging's zum letzten Ziel. Endlich. Das große Reisefinale würde in Las Vegas stattfinden. Stadt der Sünde hatte Sepp diesen Ort theatralisch bezeichnet. Dabei dachte Hansi noch, dass ihn jetzt nicht mehr viel schockieren könnte. Eigentlich hatte er ja schon alles in Amerika gesehen, so viel konnte da nicht mehr kommen.

Sie fuhren knapp fünf Stunden auf schnurgeraden, schier endlosen Straßen durch die Wüste Nevadas, bis urplötzlich dieses sagenumwobene Las Vegas vor ihnen auftauchte. Chicago, San Francisco und Los Angeles war für den bodenständigen Dorfbewohner Scharnagl schon recht beeindruckend gewesen, ebenso natürlich auch für Bettina und Maria. Sepp hingegen zeigte seine Begeisterung eher gedämpft. Zum einen war es für den ehemaligen Einwohner Chicagos sicher nicht so unglaublich aufregend und neu wie für die restlichen Niederbayern, zum anderen war er schon immer ein zurückhaltender Typ gewesen. Aber was sich dem Quartett hier in Las Vegas bot, das toppte tatsächlich noch einmal alles, was sie bisher auf ihrem USA-Trip erlebt und gesehen hatten. Alles war laut, schrill, blinkend, künstlich, grell und hemmungslos.

Da stand einfach mal so der Eiffelturm in der Gegend herum und Hansi musste zur Sicherheit seine Frau fragen, ob er nur irrtümlich immer gedacht hatte, der wäre in Frankreich. Ein Nachbau von Venedig samt Gondoliere fehlte ebenfalls nicht. Die Besucher wurden sogar durch einen italo-amerikanischen künstlichen Canal Grande geschippert. Auch die Freiheitsstatue entdeckte er dort drüben an der Ecke, aber die gehörte vermutlich auch hierher. Denn das wusste Hansi ganz bestimmt, dass diese Figur in Amerika zu Hause war. Bei der Pyramide ein wenig weiter vorn war er sich dann aber wieder nicht mehr so sicher. Fragen wollte er Bettina allerdings auch nicht mehr, denn als er beim Eiffelturm nachfragte, hatten ihn die anderen drei ausgelacht. Gigantische Hotels, Strip-Clubs, Casinos, Riesenräder und Achterbahnen standen eng an eng und das alles mitten in der Wüste. Es war einfach der Wahnsinn!

Hansi hatte während der ganzen Zeit, als das Quartett über diese Straße schlenderte, die alle nur den Strip nannten, wieder seine Trance-Phase. Genau wie bei der Ankunft in Chicago vor ein paar Tagen stolperte er an Bettinas Hand mit aufgerissenen Augen und offenem Mund durch die Gegend und war mit der Reizüberflutung, die noch greller und lauter war als in den drei bereits besuchten Großstädten vorher, völlig überfordert.

Außerdem musste er fast jeder Passantin, die seinen Weg kreuzte, ungläubig nachsehen, denn die Las Vegaserinnen liefen hier nahezu nackt durch die Gegend. Hansi stellte sich dabei bildhaft die Unterfilzbacher Dorfratschen Berta Hinkhofer vor, wie sie sich über diese nicht-katholische Freizügigkeit furchtbar aufregen würde.

Wenn das die Berta, unser Pfarrer oder unser erzkatholischer Mesner Valentin sehen würden, mei, da wär was los im Dorf. Sodom und Gomorra – ich hör sie schon schimpfen! So a bisserl »Las Vegas« wäre bei uns daheim aber vielleicht auch nicht schlecht. Da gäb‘s zumindest wieder mal was zum Reden, schmunzelte er in sich hinein.

Bei einem Aufenthalt in »Sin City« durfte natürlich ein Besuch in einem Casino nicht fehlen. Heute war der Abend zur freien Verfügung. Ohne die restlichen Touristen der Reisegruppe im Schlepptau hatte dies etwas von früheren Schulausflügen ohne Lehrer. Also beschlossen sie, im »Gold-Digger-Casino« ihr Glück herauszufordern. Der Name war ihnen sofort sympathisch, denn der Sage nach waren auch die Ureinwohner und Gründer von Unterfilzbach Goldgräber gewesen. Aber wirklich aussagekräftige historische Belege wurden dafür nie gefunden. Zumindest glaubten die Einheimischen fest daran, schließlich war das doch eine vorzeigbare Geschichte ihres Dorfes.

Schon von außen, direkt am Strip gelegen, machte das »Gold-Digger-Casino« mit wild blinkenden und blitzenden Lichtbögen auf sich aufmerksam. Die vier Dorfbewohner aus Niederbayern traten durch die großen goldenen Türen ins Innere und fanden sich in einer riesigen Halle wieder, deren Ende sie vom Eingang aus gar nicht sehen konnten. Im Raum selbst waren überall abwechselnd Spielautomaten und Spieltische für Roulette oder Blackjack aufgestellt. Hier drinnen schien es endlos hoch und unendlich weit zu sein, aber das Licht war leicht schummrig, deshalb war die Wahrnehmung eher wie in einer Traumwelt. Auf dem Fußboden war ein dicker Hochflor-Teppich mit scheußlichem buntem Muster verlegt. Seine besten Jahre hatte diese Auslegware auch schon hinter sich. Der Geruch, der von unten in Hansis Nase strömte, deutete zumindest darauf hin.

An den bestimmt zehn Meter hohen Wänden ragten Marmorsäulen in barockem Stil mit einem geschätzten halben Meter Durchmesser in die Höhe. Unzählige weiße und goldene Ornamente, geschwungene Bögen, Blätterranken, antik wirkende Figuren und üppige Putten mit goldenen Flügeln waren an den Wänden verbaut worden. Bunte, mannshohe Glaselemente, die fast wie Glaskunst aus dem Bayerwald anmuteten, wurden von Scheinwerfern angestrahlt und hatten etwas sehr Sakrales an sich. Mit offenen Mündern gingen sie weiter in dieses unfassbare Bauwerk hinein und entdeckten eine Kuppel, die in etwa dieselbe Größe wie die des Petersdoms hatte. Von diesem beeindruckenden Gewölbe herab prangte ein buntes Deckengemälde mit zahlreichen nackten Menschen, die sich leidenschaftlich, lüstern und windend in Gruppen verschiedenster Geschlechtervarianten amüsierten und sich in allen erdenklichen Stellungen sexuell auslebten. Gemalter Porno, sozusagen.

Nun stand nicht nur Hansi, sondern auch die restlichen drei Mitreisenden mit aufgerissenen Augen inmitten des »Gold-Digger-Casinos« und starrten zur Decke. Sie mussten diese Eindrücke erst auf sich wirken lassen, bevor sie etwas dazu sagen konnten. Maria war die erste, die ungefähr eine Minute später ihre Sprache wiederfand.

»Also irgendwie schaut das fast ein bisserl aus wie in unserer Kirche in Unterfilzbach. Findet ihr nicht? Von den Bildern an der Decke einmal abgesehen. Aber sonst? Es ist, als hätte ich das alles schon a mal gesehen. Unserem Pfarrer und noch mehr dem Mesner Valentin würde sicher die Schamesröte ins Gesicht steigen«, sagte sie und sprach das aus, was sich sowohl Bettina als auch Sepp und Hansi gerade dachten.

»Ja, stimmt. Das ist wirklich wie bei uns in der Kirch. Aber vielleicht ist das auch einfach nur der pure Zufall. Solche Säulen stehen ja fast in jedem Gotteshaus herum. Das ist halt der barocke Baustil«, entgegnete Sepp.

»Also, spielen wir jetzt? Schon, oder?«, fragte Bettina aufgeregt und lenkte damit zu einem anderen Thema. Die beiden Damen hatten sich schon während der ganzen Reise auf ihren Einsatz am Roulette-Tisch gefreut und konnten es nun kaum mehr abwarten, das Glück herauszufordern.

»Wir gehen dort vorn an den Tisch und schauen erst a mal a bisserl zu, bevor wir selber spielen. Ich hab gelesen, man muss keine Chips wechseln, man kann einfach beim Croupier tauschen. Maria und ich haben gemeint, wir setzen uns ein Limit von 100 Dollar und wenn das weg ist, dann hören wir auf. Ausgemacht? Wenn wir was gewinnen, kann‘s uns ja nur recht sein. Hansi, da hast du 100 Dollar, darfst auch a bisserl spielen«, sprach Bettina großmütig und drückte ihrem Mann ein paar Geldscheine in die Hand.

»So machen wir‘s! Aber ich probier mein Glück erst a mal bei den einarmigen Banditen da drüben. Was magst du machen, Hansi?«, fragte Sepp und sah seinen Spezl erwartungsvoll an.

»Ähm, ich schau dir da vielleicht erst a mal zu«, antwortete dieser zögernd.

Noch immer hatte Hansi große Bedenken wegen seiner fehlenden Sprachkenntnisse. Maria und Bettina konnten sich zumindest einigermaßen verständigen, die hatten ja leicht reden. Wenn er selbst jedoch von einem Eingeborenen angesprochen worden wäre und keiner seiner Freunde in der Nähe wäre, wüsste er absolut nicht, was er tun sollte. Das war für ihn die reinste Horrorvorstellung. In den letzten Tagen achtete er immer penibel darauf, nicht mit einem amerikanischen Einwohner reden zu müssen. Aufgrund dieser inzwischen manifestierten Angst wollte er lieber nicht von Sepps Seite weichen. Außerdem war er ohnehin nicht so scharf auf diese Casinospiele, denn sogar an den Automaten stand ja alles in Englisch, was er natürlich auch nicht lesen konnte. Viel lieber würde er daheim beim Dorfwirt eine Runde Schafkopfen, dachte er sehnsüchtig.

Gut und gern eine halbe Stunde sah Hansi Sepp stumm dabei zu, wie er einen Dollar nach dem anderen in dieses wild fiepende Gerät steckte und den Hebel immer wieder nach unten drückte, ohne auch nur einmal einen Cent zurückzubekommen. Hansi lehnte am Spielautomaten nebenan und langweilte sich langsam, aber sicher zu Tode.

Da erblickte er aus der Ferne eine leicht bekleidete Bedienung mit langer platinblonder Mähne in seine Richtung tippeln. Vor ihrer gigantischen Oberweite schleppte sie ein großes Tablett voller Getränke her.

Ja, das ist ja wunderbar. Ich hab eh schon so einen furchtbaren Durst, dachte er glückselig und fühlte jetzt erst, wie trocken seine Kehle bereits war. Auch wenn das amerikanische Bier sicher nicht an ein gutes Filzer-Bräu herankam, Durst war schließlich Durst und ausländisches Bier war immer noch besser als dieses pappsüße Limo- und Cola-Glump.

Als die sexy Bedienung vor ihm stand, bemerkte er erst, dass sie wohl gar nicht mehr so jung war, wie sie aus der Ferne auf ihn gewirkt hatte. Ihr Gesicht war glatt wie ein Babyhintern und ihre Lippen waren riesig und prall wie zwei Bulldogreifen, nur am Hals konnte man ziemlich viel schlaffe Haut herumhängen sehen. Die Blondine trug eine rotkarierte Bluse mit kleinen Puffärmeln, die jedoch zum Bersten eng war und tiefe Einblicke in ihr überaus üppiges, teilweise faltiges Dekolleté preisgab. Die Knöpfe hielten tapfer mit aller Kraft den gespannten Stoff über diesen kolossalen Brüsten zusammen. Ihre knappen Hotpants erinnerten ein wenig an eine Lederhose, aber auch nur mit ganz viel Fantasie. In der Rückansicht konnte man gut die Ansätze ihrer beiden Pobacken sehen, die nicht vom Stoff der Hose bedeckt wurden und darum fast zur Hälfte heraushingen. Am lustigsten waren allerdings ihre weißen Kniestrümpfe, die wohl als stylishes Accessoire diese Berufskleidung abrunden sollten. Im Gesamtbild war es wohl in etwa die Vorstellung eines bayerischen Outfits, wenn man einen Amerikaner dazu befragte. Ungefähr in diesem Stil kleideten sich auch die ganzen ausländischen Touristen aus Australien und so auf dem Münchner Oktoberfest, wenn sie jedes Jahr in Horden auf der Theresienwiese einfielen. Hansi regte sich darüber immer furchtbar auf, denn schließlich war er seit Jahren im Trachtenverein aktiv, und wenn man schon Tracht trug, dann auf jeden Fall eine authentische. Diese preußischen Plastiklederhosen und Dirndlkostüme konnte er gar nicht leiden.

Aber auch wenn die Kleidung dieser alternden, offensichtlich aufs Maximum gelifteten Kellnerin nicht sein Geschmack war, sie hatte etwas zu trinken dabei und das war sehr sympathisch.

Die verkleidete US-Trachtlerin lächelte Sepp an und fragte mit süßlicher Stimme: »Beer, Cocktail or Softdrink, Sir?«

Sepp hatte sie jetzt erst bemerkt, er nickte ihr zu und sagte knapp: »Beer, thank you.«

Sie grinste wieder retour, soweit das mit ihrer verbliebenen Gesichtshaut noch möglich war, und stellte einen Plastikbecher Bier vor ihm ab. Im Gegenzug legte ihr Sepp einen Dollar als Trinkgeld auf ihr Tablett.

Hansi übte schon in Gedanken, den gleichen Satz, den Sepp gerade ausgesprochen hatte: Beer, thank you. Beer, thank you, wiederholte er innerlich konzentriert. Er setzte zu einem Lächeln an und wollte sich schon räuspern, als er entsetzt dabei zusehen musste, wie das Tablett mit SEINEM Bier darauf vom Riesenbusen wieder weggetragen wurde.

»Was soll jetzt das?«, sprach er schockiert.

Sepp drehte sich um und beobachtete die Kellnerin ebenfalls dabei, wie sie wieder von dannen zog, dann lachte er lauthals. »Mei, Hansi, du musst schon spielen, wenn du was zu trinken haben willst. Hier bekommen nur die Spieler was, nicht die Zuschauer. Das hat doch der Reiseleiter gestern im Bus ausführlich erklärt.«

Na super, der Reiseleiter hat auch nur Englisch gesprochen, wie sollte er davon etwas mitbekommen, wenn ihm das keiner übersetzt?

Ihr seid‘s mir vielleicht Freunde! Richtig hinterfotzig!, beschimpfte er seine Reisebegleitung in Gedanken.

»Was ist denn das für ein blödes Wirtshaus? Das ist ja die reinste Diskriminierung. Ich zahl ja mein Bier auch, Zefix!«

Sepp war ebenfalls durstig und trank seinen Plastikbecher in einem Zug zur Hälfte leer. Genüsslich schleckte er über seine Lippen und rief voller Freude: »Mei! Das ist ja ein Augustiner!«

»Ja, ja. Jetzt ärger du mich nicht auch noch. Das glaub ich dir sowieso nicht. Bisher hat‘s hier nirgendswo a gescheites Bier gegeben«, entgegnete Hansi bockig und verschränkte beleidigt seine Arme.

»Nein, ohne Schmarrn, Hansi! Das ist wirklich ein Augustiner, das schmeck ich aus Hunderten Bieren heraus«, bekräftigte Sepp Müller seine Feststellung nochmals.

»Ja, Kruzifix, ich will auch ein Augustiner! Herrgottsakra! Die soll jetzt sofort noch mal herkommen, die blöde Schnepfe. Sepp, schrei ihr gefälligst, dass sie kommen soll!«

Jetzt war also der Moment gekommen, vor dem er sich so lange gefürchtet hatte: Der Durst, den er nun erst in vollem Umfang bemerkte, quälte ihn gerade fürchterlich. Ehe er sich‘s versah und Sepp fragen konnte, ob er bitte von seinem Bier zumindest einmal nippen durfte, hatte sein Freund den Plastikbecher mit dem guten Münchner Augustiner auch schon vollständig ausgetrunken. Ein Kopperl – beziehungsweise Rülpser – unterdrückte der Müller dezent.

»Hansi, die Bettina hat dir ja Geld gegeben, spiel halt du auch an einem Automaten. Dann kommt die Bedienung bestimmt wieder und bringt dir auch ein Bier. So läuft das nun einmal in einem Casino. Wir sind halt nicht beim Dorfwirt«, versuchte Sepp ihn zu beruhigen.

»Also, da ist mir ja jede Mark … ähm … jeder Dollar zu schade, wenn die mich so diskriminieren. Gar nix bekommen die von mir, keinen Cent! Wo kommen wir denn da hin …«, schimpfte Scharnagl.

»Na, dann wirst du auch bei der nächsten Runde leer ausgehen. Die haben überall Kameras und sehen genau, wer hier Umsatz macht und wer nur zum Schauen da ist. Auch das hat der Reiseleiter gesagt. Brauchst dich nur umsehen, die beobachten uns.«

Sepp wendete sich wieder seiner 1-Dollar-Slot-Maschine zu und versuchte noch immer, seinen Einsatz zurückzugewinnen.

Hansi war ein ziemlich großer Sturkopf und dieser kam nun wieder einmal in vollem Ausmaß zum Vorschein. Er sah sich um und visierte die nächstgelegene Kamera an. Genau hinter ihm war ein blinkendes Kästchen angebracht.

Wenn die mir nur was zu trinken bringen, wenn ich spiele, dann tu ich halt einfach jetzt so. Ha! Da ist der Scharnagl schon schlauer als diese Casino-Deppen, dachte er siegessicher.

Sein Plan war, auffällig einen Dollarschein in den Schlitz zu stecken, ihn aber dann gleich wieder herauszuholen und nur so zu tun, als ob er spielen würde. Das konnte die Kamera sicher nicht erkennen, dachte er, denn sie war bestimmt acht Meter entfernt an der Wand angebracht. Absolut theatralisch hob er immer wieder seinen Geldschein in die Luft, wirbelte damit herum und tat dann so, als steckte er ihn in den Einwurf. Ein wunderbarer Plan, freute sich Scharnagl wie ein neues Fuchzgerl.

Tatsächlich kam auch Busen-Blondie kurz darauf wieder des Weges und stellte Sepp ungefragt erneut einen Becher Bier vor die Nase. Er legte wiederum brav sein Trinkgeld aufs Tablett und nickte der gelifteten Kellnerin freundlich zu. Hansi holte schon Luft, um seinen eingeübten englischen Satz auszusprechen, er fühlte sich seinem Ziel zum Greifen nah. Aber sein genialer Plan ging leider nicht auf. Wieder machte die Hotpants-Lady auf dem Absatz kehrt, ignorierte ihn vollkommen und entfernte sich samt Bier wieder vom durstigen Scharnagl.

»Ja Himmelherrgottsakra Kruzifix noch a mal! Jetzt schlagt‘s aber gleich 13. Was ist denn das für ein Schuppen da? Ich beschwer mich jetzt! Sepp, geh weiter, wir suchen den Geschäftsführer«, schrie der fast Verdurstende und war vollkommen außer sich.

Die Menschen ringsum drehten sich in Hansis Richtung, tuschelten Unverständliches auf Englisch und schüttelten missbilligend ihre Köpfe. Sepp war diese Situation äußerst unangenehm.

»Hansi, jetzt schrei halt nicht so umeinander. Die Leut schauen schon. Hättest halt einfach gespielt, dann müsstest du dich jetzt nicht so aufregen. Du immer mit deinem Sturschädel …«, ärgerte sich sein Freund.

Aber wenn der Scharnagl mal in Rage und auf 180 war, dann kam er so schnell nicht wieder herunter.

Bettina und Maria hatten diesen lautstarken Eklat ebenfalls mitbekommen, denn sie kamen nun beschämt mit hochroten Köpfen vom Roulettetisch herübergerannt und wollten diesem blamablen Spektakel sofort ein Ende setzen.

»Hansi, jetzt bist aber gleich still. Immer muss man sich mit dir schämen. Was führst du dich denn so auf?«, zischte Bettina ihren Mann an.

Sepp beobachtete, wie ein älterer Herr in hellblauem Anzug, rosa Rüschenhemd, schulterlangen grauen Haaren, Musketier-Bärtchen, großem Stetson-Cowboyhut und leuchtend roten Cowboystiefeln zielstrebig auf sie zuging. Sofort wusste er, dass dies sicher nichts Gutes bedeutete.

Oh mei, Hansi, dachte er noch mitleidig und wusste instinktiv, dass ihnen nun der Rauswurf aus dem Casino bevorstand.

Mit randalierenden Gästen, die praktisch keinen Umsatz machten, wurde hier kurzer Prozess gemacht. Auch das hatte der Reiseführer ausführlich in seinem Vortrag über die Verhaltensregeln im Casino erklärt.

Der ältere, extravagant gekleidete Herr sah eigentlich gar nicht so unsympathisch aus. Seine Stimme war kräftig, schon allein dadurch strahlte er große Autorität aus.

Er stand nun direkt neben Hansi und sprach: »Sir, I see you are not satisfied in our house. So may I request to leave our casino. The security is on the way.«

Natürlich hatte Hansi keinen blassen Schimmer, was der Cowboy von ihm wollte.

»Ja, sag a mal! Was will jetzt der da?«, schrie er zu Sepp hinüber. Man konnte sehen, dass sich Scharnagl gleich noch mehr ärgerte, denn ein sicheres Anzeichen dafür war die anschwellende Ader an seiner linken Schläfe.

»Bitte! HANSI! Beruhige dich jetzt sofort. Er hat dich gerade rausgeworfen. Verstehst? Also jetzt hör sofort auf zu schreien, das ist alles schon peinlich genug«, zischte nun auch Sepp verärgert, stand auf und packte Hansi fest am Arm.

Bettina und Maria schämten sich ebenfalls in Grund und Boden. Mit gesenkten Köpfen standen sie neben Hansi und wünschten sich nur, dieser Moment würde sofort vorbeigehen.

»Das ist wieder a mal so typisch. Immer das Gleiche mit dir, Hansi. Kaum bist du einmal weg aus Unterfilzbach, schon kommen wir in so eine Situation. Du bist so eine g‘scherte Ruam. Wirklich wahr! Nie wieder fahr ich mit dir in den Urlaub, dass du es nur weißt …«, schimpfte Bettina und hatte Tränen des Zorns in ihren Augen.

»I am very, very sorry, Sir. Please excuse the trouble we caused. I will take care of him. I promise! The security is not needed«, versuchte Sepp nun den Herrn, der wohl der Geschäftsführer hier war, zu beruhigen und die Situation zu beschwichtigen.

Der vermeintliche Casino-Manager hatte inzwischen allerdings einen ganz anderen Gesichtsausdruck angenommen als den, den er noch vor zehn Sekunden gehabt hatte. Sepp wunderte das sehr, denn vorhin blickte er noch mit grimmiger Miene in die Runde. Aber nun lächelte der Cowboy verschmitzt. Auch den Damen fiel diese Wandlung auf und sie starrten den grauhaarigen Mann verblüfft an. Nur Hansi schnaubte noch immer voller Wut. Er fluchte und fuchtelte wild mit seinen Händen vor sich hin, soweit es Sepps Umklammerung zuließ.

»Der fangt jetzt dann gleich a solche Rundumwatsch‘n, der Depp mit seinem komischen Faschingshut. Da geh her da, wenn‘st dich traust, du Kasperlkopf …«

Zum Glück konnte ihn der Müller festhalten, sonst wäre Hansi wahrscheinlich direkt auf den Cowboy draufgesprungen.

»Unterfilzbach?«, fragte der Mann nun breit grinsend.

Die vier Niederbayern erschraken. Gleichzeitig starrten sie den Cowboy ratlos an. Es war, als wenn er ihnen gerade mit dieser Ein-Wort-Frage eine saftige Watsch‘n gegeben hätte. Sogar Hansi hatte dieses Wort aus seinem Mund verstanden.

Der unbekannte Mann begann aus voller Kehle zu lachen und konnte sich kaum mehr beruhigen. Er war mindestens genauso feuerrot im Gesicht wie seine Stiefel, Tränenbäche liefen über seine Wangen und er schlug mit seiner Handfläche erst auf seinen Schenkel und dann so kräftig auf Hansis Rücken, dass man es laut klatschen hörte.

»Unterfilzbach«, wiederholte er und lachte noch lauter und kräftiger.

Erst langsam beruhigte sich der unbekannte Casino-Manager wieder. Das Quartett hatte noch immer keinen blassen Schimmer, was hier eigentlich los war. Sie verstanden die Welt nicht mehr!

»Servus, ich bin der Charly Woodforth, mir gehört der Laden hier«, sprach er nun in tiefstem Niederbayerisch. Dabei streckte er Hansi seine Hand entgegen, in die dieser verblüfft einschlug.

»Ähm, ja, aha … Scharnagl. Hansi. Bauhof Unterfilzbach«, antwortete dieser reflexartig.

»Ja, dass ich das noch erleben darf. This is ja a sakrisch wonderful surprise«, lachte der Cowboy noch immer. »Ihr müsst‘s schon entschuldigen, aber mit so was hab ich jetzt absolut nicht gerechnet. Vielleicht darf ich die Herrschaften einladen in mein bayerisches Restaurant The Stüberl im achten Stock. Be my guest!«

Im The Stüberl wurde das Geheimnis dieser rätselhaften Begegnung dann endlich aufgeklärt. Allerdings erst, nachdem die durstigen Unterfilzbacher jeweils eine ganze Halbe Augustiner auf ex in ihre Kehlen geschüttet und mit einem Bärwurz auf diesen schicksalhaften Abend angestoßen hatten. Auch Charly trank natürlich einen Schnaps mit und begann anschließend mit lockerer Zunge ausschweifend seine Geschichte zu erzählen.

»Ihr werdet es jetzt wahrscheinlich nicht glauben, aber ich bin auch ein Unterfilzbacher. Früher hieß ich Karl Holzfurtner, bis ich vor nunmehr 40 Jahren in die USA ausgewandert bin. Ihr seid jetzt nicht unbedingt mein Jahrgang, aber Hansi, dich kenn ich noch als Bub, mit vielleicht sechs oder sieben Jahren.«

Dabei hielt er seine Handfläche horizontal in die Luft und deutete damit die Größe des kleinen Hansi von damals an.

»Mit deinem Großvater, dem alten Scharnagl, bist du immer auf der Hausbank gesessen, dabei habt ihr beide den Leuten immer zugeschaut. Überhaupt bist du das absolute Ebenbild deines Großvaters, wie runtergerissen.«

»Ja, das macht er heute noch! Auf der Hausbank sitzen und blöd schauen«, sprach Bettina und warf ihrem Gatten einen vielsagenden Blick zu.

»Karl Holzfurtner? Ja bist du dann der Stüberl-Karl?«, fragte sie nach ein paar Sekunden begeistert. Anscheinend hatte Frau Scharnagl gerade eine Erleuchtung.

»Ja, genau der bin ich. Hat man mich also in der Heimat noch nicht ganz vergessen?« Dabei strahlte er stolz und seine Wangen röteten sich.

»Deine Mutter war doch die Rosi. Sie hat damals das kleine Stüberl am Dorfplatz droben gehabt. Ich weiß das noch so gut, weil wir da jeden Samstag immer die frischen Giggerl geholt haben, mein Bruder und ich. Ich bin die Jüngste vom Schlessinger Richard. Den kennst du bestimmt. Aber so gute Giggerl gibt‘s seitdem in ganz Unterfilzbach nimmer«, teilte sie ihre Erinnerungen.

Ein Stüberl war in Bayern eine Art Wirtshaus in Miniaturausgabe und mit überschaubarer Speisekarte, denn eigentlich wurde in so einer bayerischen Kulturgaststätte der Schwerpunkt eher auf alkoholische Getränke gelegt.

Rosis Stüberl hieß die kleine Kneipe, die Charlys Mutter lange am Unterfilzbacher Dorfplatz betrieben hatte und sich dabei immer über zahlreiche Gäste freuen konnte. Für ihre würzigen, knusprigen Giggerl – was nichts anderes als der bayerische Ausdruck für ein halbes Brathähnchen war – war sie bekannt gewesen. Als alleinerziehende Mutter hatte sie es in der damaligen Zeit natürlich nicht gerade leicht gehabt. Vor allem, weil sich Charlys Vater sehr früh aus dem Staub gemacht und sie in keiner Weise unterstützt hatte.