DICKE EIER IN UNTERFILZBACH - Eva Adam - E-Book
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DICKE EIER IN UNTERFILZBACH E-Book

Eva Adam

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Beschreibung

Der Vergaser-Kubi ist tot! Hansi Scharnagl und Sepp Müller sind entsetzt, als sie seine Leiche auf der Huberbauernwiese finden. Natürlich beginnen sie sofort mit den inoffiziellen Ermittlungen. Aber wie soll man einen Mörder finden, wenn praktisch niemand auch nur annähernd ein Mordmotiv für den allseits beliebten Automechaniker hat? Die beiden Freunde betrauern zudem auch die Abtrünnigkeit ihres besten Spezls: Der Huberbauer verbringt nämlich seit kurzem seine Zeit lieber mit den seltsamen Bestattern - den Sedlmeier-Brüdern, Aushilfspfarrer Anderl Garhammer und dem braungebrannten Möchtegern-Promi-Wirt Sigi Zaglauer. Sofort spürt Hansi, dass bei dieser neuen "Freundschaft" der ungleichen Fünf etwas nicht stimmen kann. Außerdem nervt es den Bauhofdetektiv gewaltig, dass ihm sein gesamtes Umfeld eine Midlife-Crisis wegen seines anstehenden fünfzigsten Geburtstags einreden will. Dabei fühlt er sich trotz wachsendem Wamperl pudelwohl in seiner Haut, vor allem, seitdem er sich seinem neuen Hobby, der Hühnerzucht, mit Leidenschaft widmet. Er verbringt viel Zeit auf seiner Hühnerfarm - der "Chickeria" - in deren unmittelbarer Umgebung sich jedoch ganz dubiose Dinge abspielen, denen die niederbayerische Spürnase natürlich auf den Grund gehen muss. Warum ein romantisches Wochenende in München eine Kehrtwende für die Scharnagl-Ehe bringt, der Dorfweiher in Unterfilzbach abgelassen werden muss, die frisch verwitwete Erna Zaglauer das Polizeirevier besetzt und was Luise Vuitton mit all dem zu tun hat, klärt sich im siebten Teil der niederbayerischen Krimikomödien. Band Siebender erfolgreichen niederbayrischen Krimikomödie um "Hobby-Detektiv" Hansi Scharnagl und die ebenso schrulligen wie liebenswürdigen Bewohner des beschaulichen Dorfes Unterfilzbach – für Fans der Regionalkrimis von Rita Falk, Jörg Maurer und Volker Klüpfel.

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Seitenzahl: 515

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Inhaltsverzeichnis
Dicke Eier in Unterfilzbach
Impressum
Kapitel 1 – Xaverl
Kapitel 2 – Vinyasa
Kapitel 3 – Piña Colada
Kapitel 4 – Brathering of Love
Kapitel 5 – Jean-Luc
Kapitel 6 – Date Night
Kapitel 7 – Goldfinger
Kapitel 8 – Goaßmaß
Kapitel 9 – O.J. Simpson
Kapitel 10 – Minga
Kapitel 11 – Blubberwandl
Kapitel 12 – Brotzeit-Rogl
Kapitel 13 – Happy Birthday!
Goaßmaß und ihre Spezln Unterfilzbacher Klassiker
DANKESCHÖN …
Über die Autorin

Dicke Eier in Unterfilzbach

 

der siebte Fall für Hansi und seine Bauhof-Männer

 

Krimikomödie

 

Eva Adam

 

Für meinen wunderbaren Mann Volker zum 50. Geburtstag,

und für alle, die gut zu Tieren sind.

 

Impressum

 

Deutsche Erstausgabe Copyright Gesamtausgabe © 2025 LUZIFER Verlag Cyprus Ltd. Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

 

Cover: Michael Schubert

 

Dieses Buch wurde nach Dudenempfehlung (Stand 2025) lektoriert.

 

ISBN E-Book: 978-3-95835-927-7

 

Kontaktinformation:

[email protected]

 

LUZIFER Verlag Cyprus Ltd.

House U10, Toscana Hills

Poumboulinas Street

8873 Argaka, Polis, Cyprus

 

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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Kapitel 1 – Xaverl

 

»Herrschaftszeiten, XAVERL! Himmel, Herrgott noch a mal! Du bist so ein riesengroßer Depp! Schau halt her, wie schön sich die Gertrud schon vor dich hinlegt. Du bist wirklich sogar zum Vögeln zu blöd«, empörte sich Hansi Scharnagl lautstark.

Quer über die große Wiese konnte man sein Stöhnen hören. Der stellvertretende Bauhofchef im niederbayerischen Dorf Unterfilzbach schimpfte, was das Zeug hielt, und konnte nicht glauben, wie deppert sich sein Schützling bei der natürlichsten Sache der Welt anstellte. Wie oft hatte er Xaverls Männlichkeit bewundert? Vor allem, wenn er majestätisch und mit herausgestreckter Brust über das Gelände stolzierte und lüstern seinen Mädels entgegengurgelte, nachdem seine Hormone langsam erwacht waren. Xaverls gesamtem Harem gefiel seine Darbietung offenbar ebenfalls sehr gut, denn auch die Damen scharwenzelten schon seit geraumer Zeit um ihn herum und signalisierten ihm sehr deutlich, dass sie zur Paarung bereit wären.

Das wird a mal a ganz a Wilder!, hatte Hansi damals gedacht, als Xaverls Pubertät so richtig in Fahrt kam. Sichtlich stolz war er auf ihn gewesen und hatte sich eine wunderbare Zucht versprochen. Aber seit er nun geschlechtsreif war und endlich hätte zeigen können, was in ihm steckte, stellte Xaverl sich dermaßen saudumm an, dass Scharnagl fast verzweifelte.

»Mei oh mei! Jetzt geh a mal her da!«, versuchte Hansi es nochmal im Guten und winkte den Truthahn zu sich.

»Ich zeig dir, wo du auf die Trudi rauf musst. A so wie du das jetzt gemacht hast, triffst sie ja ned a mal. Du musst ja nicht in den Flügel rein, Xaverl. Hinten! Hinten musst‘ rein, daaaaa ist der Eingang. Sonst geht ja alles daneben, schau dir doch a mal die Sauerei an … Wie soll ich denn da die Eier ausbrüten können, wenn die nicht befruchtet sind. Ha?«, versuchte Scharnagl den prächtigen Puter zu belehren. Das ließ seinen gefiederten Freund jedoch relativ kalt. Xaverl stakste unbeeindruckt und mit tiefrotem, federlosem Kopf an seinem Herrchen vorbei. Bei Menschen wäre ja diese leuchtende Gesichtsfarbe ziemlich alarmierend gewesen. Da hätte man wahrscheinlich das Gefühl gehabt, der Gegenüber würde gleich tot vom Stangerl fallen, wenn die Wangen und der Rest des Hauptes dermaßen purpurn gewesen wären. Denn dies war bekanntermaßen ein sicheres Zeichen für einen Turbo-Blutdruck, der bei einem Homo sapiens mit Sicherheit alles andere als gesund wäre. Bei einem Truthahn verhielt sich dies aber eben genau umgekehrt. Die dunkelrote Farbe war ein Merkmal für seinen sehr entspannten Zustand, ebenso wie der hängende Hautlappen, der Karunkel, wenn dieser weit über den Schnabel herunterhing.

Xaverl sah gerade maximal befriedigt aus und sein Karunkel hing sogar überdurchschnittlich lang und wie ein nasser Sack über seinen Schnabel. Für ihn war sein sexuelles Soll für heute wohl erfüllt. Seiner Meinung nach hatte er offenbar gerade die Truthenne Gertrud, auch Trudi genannt, nach allen Regeln der Geflügelerotik beglückt. Leider eben in den Flügel und nicht in das eigentlich dafür vorgesehene Körperteil, was für den motivierten Züchter wiederum sehr unbefriedigend war.

Hansi sah gerade seinen makellosen Ruf als strahlender Shootingstar am Geflügelzuchthimmel im Bayerischen Wald gefährdet. Das konnte er nicht stehen lassen! Also half es jetzt alles nichts, er musste den Vogel einfangen.

Der flinke Puter hatte jedoch eindeutig etwas dagegen, sich von dem rundlichen Niederbayern in kommunaloranger Latzhose zum erneuten Geschlechtsakt zwingen zu lassen. Schnell wie der Wind huschte das Federtier über die idyllische Weide am Unterfilzbacher Ortsrand.

Vielleicht war der Truthahn aber auch gar nicht so schnell und es lag doch eher an Hansis Unbeweglichkeit und der fehlenden Kondition des fast Fünfzigjährigen. Gut, dass den beiden gerade keiner dabei zusah, wie sie sich eine wilde Jagd über die Huberbauernwiese lieferten, die der Neu-Züchter Scharnagl vor einem dreiviertel Jahr von seinem guten Spezl Michl Huber gepachtet hatte.

»Such dir halt endlich a mal ein sinnvolles Hobby! Bitte, Hansi, du bekommst jetzt bald a Depression. Ich seh‘s schon kommen und dann haben wir den Dreck im Schachterl, weil zu einem Psychologen wirst du ja dann wahrscheinlich nicht gehen, dafür kenn ich dich lange genug. Also brauchst du was als Prophylaxe!«, hatte seine Frau Bettina damals mahnend zu ihm gesagt.

Rückblickend war er seinem Zuckerschoasal inzwischen dankbar, denn Hansi hatte nach Dienstschluss im örtlichen Bauhof wirklich nicht mehr viel zu tun und verbrachte die meiste Freizeit überwiegend gelangweilt auf seiner Hausbank oder am Kanapee. Abgesehen von Bettinas To-do-Listen, die gefühlt täglich länger wurden, und seinem Ehrenamt als zweiter Kommandant der Freiwilligen Feuerwehr war nicht mehr viel los in seinem Leben. Auch seinem zweitliebsten Hobby, der Detektiverei, konnte er aktuell nicht nachgehen, weil es leider schon eine Zeit lang keinerlei Leichen mehr im Dorf gegeben hatte. Also widmete er sich aus mangelnden Alternativen mit großer Leidenschaft seiner anderen Lieblingsbeschäftigung, dem deftigen Essen. Das war aber Frau Scharnagl so gar nicht recht, denn Hansi tunte damit natürlich hauptsächlich sein Wamperl, was in diesem kritischen Lebensalter von fast einem halben Jahrhundert für Bettina geradezu eine Kamikaze-Aktion darstellte. Die gesundheitsbewusste Ehefrau drohte daraufhin wieder einmal mit wochenlanger, ausschließlich ayurvedischer Verpflegung im Hause Scharnagl.

Wie erwähnt gab es in letzter Zeit praktisch keine spektakulären Einsätze der FFW Unterfilzbach mehr, was zumindest noch einen Hauch an Aktivität mit sich gebracht hätte. Wenn Hansis Piepser doch einmal Alarm schlug, dann war sein bester Freund Sepp Müller, der das Amt des ersten Kommandanten innehatte, sowieso immer viel schneller und dermaßen engagiert, dass Scharnagl nur blöd danebenstehen konnte und nicht so recht wusste, was er tun sollte.

Bettina war das glatte Gegenteil ihres Mannes. Sie ging regelmäßig zum Yoga, unternahm mit dem Familienhund Gerti schweißtreibende Wanderungen (vor denen Hansi sich fast immer gekonnt drückte) oder engagierte sich leidenschaftlich im hiesigen Gartenbauverein. Die KaufGut-Supermarkt-Kassiererin wirkte die meiste Zeit ziemlich ausgeglichen und war überaus fit für ihr Alter, was man von Johann Manfred Scharnagl nicht unbedingt behaupten konnte.

Und weil das Zuckerschoasal immer nur das Beste für ihr Bärle wollte und offenbar meinte, sie müsste ihn zu einer neuen und sinnvollen Beschäftigung zwingen, befand sich die Scharnagl-Ehe ein paar Wochen lang in einem kritischen Stadium, bevor die große Wende kam. Die drei Kinder Isabelle, Hansi Junior und Indira waren erwachsen und brauchten ihre Eltern nicht mehr wirklich. Somit hatte Papa Scharnagl auch hier keine Ausrede mehr, ständig daheim herumhängen zu müssen. Es wäre also absolut an der Zeit, seinem Leben neue Inhalte zu geben, die sinnvoll, nachhaltig und natürlich gesund wären, predigte die Ehefrau damals mehrmals täglich. Bettina hatte ihre eigene kleine Krise nach dem Auszug des Nesthäkchens Indira mit allerhand Aktivitäten überwunden und meinte nun, ihren Gatten ebenfalls in diese Richtung stupsen zu müssen. Jedoch war das Ehepaar Scharnagl, trotz ihrer gegenseitigen unerschütterlichen Zuneigung, grundverschieden. Bei Freizeitaktivitäten, die Bettina für Hansi geradezu perfekt hielt, stellte es ihm jedoch regelrecht die Zehennägel auf. Deshalb wehrte er sich mit Händen und Füßen gegen den Männer-Yogakurs, zu dem sie ihn angemeldet hatte. Auch die Tango-Tanzschule war absolut nichts für ihn gewesen und für die Bergwacht war er sowieso zu unsportlich und vor allem zu bequem. Der Druck lastete tonnenschwer auf seinen Schultern. Er hatte so schnell wie möglich eine adäquate Alternative zu Bettinas Vorschlägen finden müssen.

Es war wie ein Wink des Schicksals, als Hansi eines Abends zur Abwechslung einmal auf der Hausbank seines Spezls saß, dem Huberbauer Michl, und dessen Frau, die Huber Traudl, voller Wehmut verkündete, ihre Hühnerhaltung wohl oder übel aufgeben zu müssen. Man konnte es glauben oder nicht, die leidenschaftliche Landwirtin hatte tatsächlich eine Vogelallergie entwickelt und darum hatte sie schweren Herzens beschlossen, ihre geliebten Hühner, samt Brutapparat und sonstigem Equipment zu verkaufen beziehungsweise zu schlachten. Die Eier für ihren Hofladen würde sie dann halt zukaufen müssen, aber so konnte es einfach nicht weitergehen.

Hansi Scharnagl war bis dato auf dem Gebiet der Hühnerhaltung und auch der Zucht völlig ahnungslos gewesen. Jedoch hatte er nach der dritten Halbe Filzer-Hell eine erleuchtende Vision und war sich absolut sicher, dass dies fortan seine Bestimmung sein würde. Er sah sich ganz klar als den neuen Hühnerbaron von Unterfilzbach! Nach der vierten Halbe bewarb er sich dann mit all seinem Charme bei der Huber Traudl als vertrauenswürdiger Nachfolger für ihr Hühner-Business.

Die Bäuerin machte einen spontanen Luftsprung auf der Gred, also dem Vorplatz zum Haus und Standort der Huber-Hausbank, und weihte den künftigen Chef ihrer Federdamen und -herren noch am selben Abend in sämtliche geheimen Geheimnisse dieser Zunft ein. Sie war ihm unendlich dankbar, denn nun würden ihre liebgewonnenen Hühnermädels Eileen, Eleila, Mareike und all die anderen, samt dazugehörigen Gockeln zumindest nicht so bald als knuspriges Grillgiggerl am Filzer Goldfest oder beim Dorfwirt enden. Und für den Hofladen wäre auch sofort ein neuer/alter Lieferant gefunden.

Allerdings wollte Hansi seine neue Berufung nicht direkt unter den strengen Augen der Huberbäuerin ausführen. Denn eines wusste er mit Sicherheit: die Traudl konnte manchmal ganz schön hantig werden. Da tat ihm sein Spezl der Huberbauer ab und zu direkt ein bisserl leid, wenn dieser wieder von seinem »Drachen« daheim berichtete. In solchen Situationen war Scharnagl wiederum dankbar für sein penetrantes, aber gutmütiges Zuckerschoasal.

Hansi kam mit den Hubers überein, den Hühnerstallstandort auf eine kleine nahegelegene Wiese – ebenfalls im Besitz des Huberbauern – an den Ortsrand zu verlagern.

Innerhalb von zwei Wochen baute Scharnagl mit Sepps Unterstützung dort einen neuen 1a-Hühnerstall samt Wirtschafts- und Futterhütte und zäunte eine großzügige Wiesenfläche ein. Der Hühner-Gang sollte es an nichts fehlen. Alle Annehmlichkeiten, die sich ein Federtier nur wünschen konnte, schleppte er an und bereitete alles für den Umzug seiner zwanzig Hennen und fünf Giggerl vor. Sogar einen kleinen Teich legte er mit schweißtreibenden Schaufelarbeiten an, stellte dann aber kurz darauf fest, dass dies die Hennen und Gockel gar nicht interessierte.

Aber seitdem hatte er viel dazugelernt, sich weitergebildet und war inzwischen fast schon genauso wissend wie die Huber Traudl selbst. Der gesamte Scharnagl-Clan staunte nicht schlecht, als das Familienoberhaupt in den Anfängen seiner Hühnerzeit tatsächlich mit einem Fachbuch nach Hause kam und dies dann auch wissbegierig Seite für Seite studierte. Es war das erste Buch, das Hansi je gelesen hatte, vom Lesebuch in der Grundschule einmal abgesehen.

Seitdem hatte sich viel getan in seinem Leben, er liebte seine neue Aufgabe heiß und innig. Bettina, seine Kinder Isabelle, Hansi Junior und das Nesthäkchen Indira freuten sich ebenfalls für ihren Ehemann/Vater. Denn dieser war nun endlich ausgelastet, gut gelaunt, bewegte sich an der frischen Luft und blühte förmlich auf. Obendrauf gab es sogar noch erstklassige Bio-Eier von wirklich verwöhnten, glücklichen Luxushühnern, mit den aller gelbesten, dicksten Dottern, die man sich überhaupt nur vorstellen konnte und die man im Supermarkt in dieser Form gar nicht kaufen konnte. Hansis »Chickeria«, wie die Dorfbewohner das Areal am Ortsrand liebevoll nannten, war inzwischen sogar zu einem gut frequentierten Treffpunkt geworden, vor allem zu Frühschoppen- und Feierabendhalbezeiten.

Es war aber auch eine perfekte Idylle. Bei leisem Gegacker den Ausblick in ein wunderbares Bayerwaldtal zu genießen und den romantischen Sonnenuntergang mit einer kühlen Halben in der Hand zu beobachten. Der Müller Sepp, der Huberbauer und viele andere Unterfilzbacher schlenderten immer öfter rein »zufällig« an Hansis Federfarm vorbei und blieben auf einen Ratsch. Die Frequenz nahm gerade an Samstagvormittagen nochmals deutlich zu, wenn Scharnagl seine Mistarbeiten erledigte und viele Dorfbewohner offenbar Zeit hatten und Zerstreuung suchten.

Neuerdings verlängerte sich die Verweildauer noch um eine Frühschoppenhalbe, seitdem Hansi die Wirtschaftshütte mit einem Bierkühlschrank aufgerüstet hatte. Sepp hatte ihm dafür extra einen kleinen Solargenerator vom Recyclinghof repariert und angeschlossen. Die Besucher quetschten sich dann auf die einzige Bierbank, die vor dem Hühnerstall in der Sonne stand, tauschten sich über den neuesten Dorftratsch aus, sahen Scharnagl beim Ausmisten zu und wurden anschließend daheim sogar noch freudig von ihren Ehefrauen erwartet, wenn sie die wunderbar schmeckenden Scharnagl-Bio-Eier mitbrachten.

Das Brüten ging Hansi inzwischen ganz gut von der Hand und die »Scharnagl-Chickeria« war bereits auf gut 40 Hennen herangewachsen. Aus dem leicht deprimierten, antriebslosen Bauhofangestellten war ein engagierter Chef über dutzende prächtige Hühner verschiedenster Rassen geworden. Offenbar war dies das versteckte Talent, welches laut Statistiken jeder hatte und nun in der »geflügelten« Form endlich aus Hansi herauskam.

Die Samstags-Frühschoppenrunde war manchmal regelrecht gerührt, wenn sie beobachteten, wie liebevoll sich Scharnagl um seine gefiederten Schützlinge kümmerte. Er kannte tatsächlich alle seine gackernden Damen und Herren mit Namen. Auch Bettina verliebte sich direkt neu in ihren Mann, der seitdem eine ganz sensible Seite von sich zeigte.

Dieses Gesamtpaket machte die Scharnagl-Eier bei den Unterfilzbachern absolut begehrt. Der Dorftratsch und die glorreichen Geschichten, die sich zusätzlich um Hansi als »Hühnerflüsterer« rankten, taten ihr Übriges. Aber selbst die 40 Hühnerdamen konnten die immense Nachfrage der Dorfbewohner nach diesem hundertprozentigen Bioprodukt nicht mehr stillen. Trotzdem verzichtete Hansi auf Legekorn oder Ähnliches, was die Legeleistung zwar erhöhen würde, aber nicht gut für seine »Chicks« wäre. Der konsequente Hühnerbaron wollte seine Mädels keinesfalls unter Druck setzen. Darum musste Hansi gezwungenermaßen bei seinen Kunden eine Auswahl treffen. Inzwischen gab es sogar schon eine Warteliste. Anfangs plagte ihn dabei noch das schlechte Gewissen, langsam aber wandelte sich dieses Gefühl zu einem gewissen Machtbewusstsein. Vor allem dann, wenn seine Lieblingsfeindin und »Queen of Dorftratsch« Berta Hinkhofer wieder auf der Hühnerwiese angetippelt kam und ihn dermaßen anschleimte, dass er sich innerlich vor Lachen schütteln musste. Die ansonsten recht bissige Berta machte es schier wahnsinnig, dass ausgerechnet SIE nicht zu diesem erlesenen Eier-Kundenkreis gehörte, wo sie doch ansonsten stets eine absolute Trendsetterin im niederbayerischen Dorf war. Sie wollte immer überall dabei sein, allein schon um mitreden und über andere herziehen zu können. Scharnagl genoss diese Situation in vollen Zügen und tischte der Hinkhoferin jedes Mal eine neue Geschichte auf, warum er heute wieder keine Eier für sie hatte. Berta wusste natürlich ganz genau, dass dies alles erstunken und erlogen war, aber sie zwang sich unter höchsten Anstrengungen und zusammengebissenen Zähnen, trotzdem freundlich zu bleiben. Hansi wusste aber, dass es sie innerlich fast zerriss vor Zorn.

Da es mit der Hühnerhaltung dermaßen flutschte, war Scharnagl nun bereit für eine Expansion und hatte sich vor ein paar Wochen den Truthahn Xaverl und drei Puten angeschafft. Er hatte nämlich gelesen, dass er in seinem Brutapparat sowohl Hühner- als auch Puteneier ausbrüten konnte. Natürlich fühlte er sich dieser Herausforderung gewachsen, denn immerhin kam inzwischen sogar der Vorstand vom Unterfilzbacher Geflügelzuchtverein zu ihm, um sich Ratschläge abzuholen. Allerdings lief die ganze Sache mit den »Truderern«, wie man in Bayern zu dieser Spezies sagte, aufgrund Xaverls Unfähigkeit sich zu paaren, nicht ganz so reibungslos, wie bei Hansis Hühnern und Gockeln.

»Also zuschauen darf euch keiner! Obwohl, das schon recht amüsant ist, wie du dem Truderer nachhechelst, Scharnagl«, hörte Hansi es vom Feldweg herübertönen. Begleitet wurde dieser Ruf von schallendem Gelächter.

Der Berndl Rudi stand am Zaun, beobachtete die wilde Jagd offenbar schon eine ganze Weile und amüsierte sich köstlich darüber. Peinlich berührt stoppte Hansi sofort die Xaverl-Verfolgung und wischte sich die Schweißperlenbäche von seiner Stirn.

»Ah, ähm, ja … Servus Rudi! Mei, mein Xaverl … weißt es ja eh. Der kann‘s halt einfach nicht und … ich muss ihn halt a wenig anleiten …«, ächzte der Hühnerbaron völlig außer Atem und schlenderte, so gelassen es mit seinem überhöhten Puls möglich war, in Rudis Richtung.

»Ich will halt endlich zum Brüten anfangen. So viel Zeit ist ja nicht mehr. Sonst legen die Puten nimmer, es ist ja schon April und dann wird’s dieses Jahr nix mehr mit den Truderer Singerl …«, rechtfertigte sich der ruhmreiche Newcomer der Geflügelzucht.

Erst jetzt bemerkte Hansi, dass sein Zaungast etwas Rotbraunes unter seinem Arm trug. Er musste die Augen zusammenkneifen, um zu erkennen, dass es etwas Flauschiges war. Als Scharnagl kurz darauf direkt vor Rudi stand, erschrak er sich furchtbar, denn es war tatsächlich ein toter Fuchs, den der Berndl unter seinen Arm geklemmt hielt. Mit offenem Mund und wahrscheinlich fragendem Gesichtsausdruck stand Scharnagl ihm nun gegenüber und erwartete natürlich eine Erklärung.

»Da hast ihn! Das ist der Übeltäter!«, grinste Berndl stolz und schwang die fellige Tierleiche über den Maschendrahtzaun.

»RUDIIIII!«, schrie der zartbesaitete Hansi entsetzt und machte einen großen Satz nach hinten.

»Was denn? Das ist höchstwahrscheinlich DER Fuchs, der vor zwei Wochen das Blutbad bei deinen Hühnern angerichtet hat. Du hast ja gesagt, ich soll was unternehmen. Könntst mir schon ruhig a bisserl dankbar sein.«

»Ach ja … ähm … ehrlich? Na dann … dann hat er‘s wahrscheinlich auch verdient«, stotterte der Chickeria-Chef und versuchte angestrengt, nicht auf das tote Tier zu sehen.

Vor gut zwei Wochen hatte Hansi nämlich fast einen Nervenzusammenbruch erlitten, als er morgens vor Dienstbeginn seine Damen und Herren aus dem Stall auf die Wiese lassen wollte und dabei entsetzt feststellen musste, dass einige seiner geliebten Federtiere offenbar die Nacht zuvor nicht im Stall verbracht hatten. Das war dann leider auch ihr Todesurteil gewesen, denn am nächsten Morgen sah der sensible Hühnerpapa die Sauerei, die ihm schier die Tränen in die Augen trieb. Blutlachen und Millionen von Federn lagen über die ganze Wiese verteilt. Hinter Hansis Hühnerfarm erstreckten sich die weiten Felder vom Huberbauern, und obwohl der Hühnerstall nicht weit entfernt von der nächsten bewohnten Straße war, war die gesamte Scharnagl-Chickeria nachts den wilden Bayerwaldtieren ausgeliefert. Darum trieb Hansi seine Feder-Gang natürlich nachts auch immer in den sicheren Hühnerstall und verriegelte die Hühnerklappe. Am Vorabend des Blutbades hatte es ihm aber tragischerweise pressiert, weil er noch zum Schafkopfen beim Dorfwirt verabredet war, und da hatte der Fuchs dann glatt die Gloria, die Janette, die Angelina und den prächtigen Gockel Donald erwischt. Das schlechte Gewissen, welches ihn seitdem plagte, kann man sich vorstellen. Seit diesem grauenvollen Morgen hatte er sich dann angewöhnt, seine Geflügelschar durchzuzählen, denn so einen Morgen wollte der sensible Niederbayer ganz bestimmt niemals wieder erleben. Er hatte regelrecht ein Trauma davongetragen.

Der Berndl Rudi, seines Zeichens passionierter, erfahrener Jäger, sagte Scharnagl daraufhin natürlich gleich seine Unterstützung zu. Passenderweise befand sich das Berndl-Jagdrevier direkt im Bereich der Felder vom Huberbauern. Der Rudi war ein ganz patenter Typ. Gesellig, hilfsbereit und eben ein leidenschaftlicher Jäger. Das war in der Familie Berndl schon seit Generationen so weitergegeben worden. Eigentlich war Hansi ja recht dankbar für diese Unterstützung, auch wenn er selber nicht gedacht hatte, dass ihm der Anblick eines toten Fuchses so in die Glieder fahren würde. Aber dennoch fand er die Tatsache sehr beruhigend, dass der Berndl so auf die Hühner in seinem Revier aufpasst und seine Lieblinge gut beschützt wären.

 

An diesem Samstagnachmittag musste Hansi leider seine entspannenden Ausmistarbeiten abkürzen und konnte aufgrund Zeitmangels mit dem Berndl keine Dankes-Halbe mehr trinken, weil beide noch einen Termin hatten.

Der frühere, langjährige Bauhofchef, namens Zaglauer Walter, war vor ein paar Tagen im Alter von 89 Jahren friedlich entschlafen, und da war es nur selbstverständlich, dass ihn auch die aktuelle Bauhoftruppe auf seinem letzten Weg begleiten würde. Und weil der Walter ein recht beliebter Zeitgenosse war, wurde eine volle Kirche mit vielen Dorfbewohnern erwartet. Der alte Zaglauer – Gott selig – war ein ruhiger, besonnener Mann gewesen. Hansi hatte ihn in seinen ersten Bauhofjahren noch als Vorgesetzten erlebt. Bis dann Ludwig Hackl, alias Wiggerl, das kommunalorange Ruder am Unterfilzbacher Bauhof übernommen und den Walter in den wohlverdienten Ruhestand verabschiedet hatte. Wiggerl war im Prinzip auch ganz in Ordnung, wenn er nicht gar so furchtbar neurotisch, paranoid und dauernervös wäre. Hansi war seit einiger Zeit sogar zu seinem Stellvertreter befördert worden, und nach einem kurzzeitigen beruflichen Gastspiel beim Filzer-Bräu als Bierfahrer, wusste Wiggerl anscheinend auch endlich, was er an Scharnagl als loyalem Mitarbeiter hatte. Dieser war aber eh überglücklich, endlich wieder in seinem geliebten Bauhof arbeiten zu dürfen. Das gab Hansi aber vor Wiggerl natürlich so nicht zu, schließlich sollte der sich nicht allzu sicher fühlen. Der Bauhofkapo bemühte sich seitdem sehr um Kollegialität und Teamgeist, sofern es sein zartes Nervenkostüm zuließ. Es gefiel Scharnagl natürlich unbändig gut, wenn sich die Herrschaften rund um Wiggerl, dem Bürgermeister und dem gesamten Gemeinderat nun endlich bewusst waren, welch ein exquisites Schneeräum- und Rasenmäher-Genie er war.

Die Zaglauer Beerdigung war dann im Prinzip nichts Außergewöhnliches – klassischer niederbayerischer Standard halt.

Hansi und seine Kollegen wunderten sich nur wieder einmal über die seltsamen Sedlmeier-Brüder. Das waren schon wirklich zwei komische Gestalten und einfach anders als die anderen Dorfleute. Schon auf dem Fußweg zum Friedhof, den Scharnagl aufgrund des sonnigen Frühlingswetters und des zu erwartenden Parkplatzmangels vor der Kirche einer Fahrt in seinem Opel Astra vorzog, musste er wieder einmal den Kopf schütteln, als er am Bestattungsinstitut der Sedlmeiers vorbeikam. Seit der Stoiber August, alias der Friedhofs-Gustl, aufgrund eines mehrjährigen Gefängnisaufenthaltes sein Beerdigungsunternehmen aufgeben musste, blühte natürlich das Geschäft bei den Sedlmeiers. Schließlich hatten sie ja jetzt sogar eine Monopolstellung im Dorf. Sie waren nicht unbedingt allseits beliebt, denn ihr eigenartiger Humor und ihre besondere Erscheinung waren halt auch nicht jedermanns Sache.

Beispielsweise stand auf der Motorhaube ihres überdimensionierten, tiefschwarzen Luxusleichenwagens in großen, neonbunten Lettern »Sedlmeier Bestattungen«. Das wäre noch gar nicht einmal so spektakulär, aber einige Unterfilzbacher schüttelten den Kopf über den provokanten Satz, der auf der Wagenrückseite an der Heckscheibe klebte: Früher oder später fahrt‘s ihr alle a mal mit!

Ein recht progressiver Werbeslogan für den Bayerischen Wald, das musste man schon sagen. So manch älterer Mitbürger, allen voran die rüstige Siebzigerin Berta Hinkhofer, regte sich beim mittwöchigem Seniorenclub-Kaffeekränzchen im Dorfwirt-Stüberl regelmäßig furchtbar darüber auf. Das störte Helmut und Herbert Sedlmeier jedoch absolut nicht. Sie wussten natürlich ganz genau, dass sie so ziemlich jeder Unterfilzbacher einmal brauchen würde, weil gestorben wird ja schließlich immer. Und wenn nicht selber, dann vielleicht ein naher Angehöriger.

Ihr Institut war gleich neben dem Friedhof angesiedelt, was logistisch schon einmal genial war. Das in die Jahre gekommene Wohnhaus mit stückweise erweiterten Geschäftsräumen war in tristem dunkelgrau gestrichen und sollte wohl die zu erwartende Pietät dieser Branche signalisieren. Allerdings verschwand der Eindruck auch gleich wieder, sobald die Dunkelheit über Niederbayern hereinbrach. Denn dann flackerte vordergründig das seit Jahren defekte Leuchttransparent in Rosarot und erinnerte eher an die Münchner Hansastraße, als an einen andächtigen Ort der Stille und Vergänglichkeit.

Die Sedlmeiers lebten sich in Sachen Marketing vollends aus, auch wenn die Dorfbewohner die Kreativität der Brüder manchmal wohl nicht verstanden. Vor zwei Jahren mussten sie einen herben Rückschlag verkraften, als sie die bereits in großer Stückzahl gekauften und auch verteilten Eiskratzer, die sie als Weihnachtsgeschenk für ihre Kunden vorgesehen hatten, wieder einsammeln und in den Keller verbannen mussten. Das war sogar gerichtlich angeordnet worden! Auf diesem in elegantem Schwarz gehaltenen Autofahrer-Utensil stand in fetten Lettern geduckt: »Sedlmeier Bestattungen – mit uns kratzen sie besser ab«. Jedoch hatte ein Wiener Bestattungsinstitut dieselbe Idee gehabt und das blöderweise schon einige Zeit vorher. Helmut und Herbert, die mit ihrem wahrscheinlich reichlich vorhandenen Vermögen schon immer recht sparsam umgingen, hätten sich in den Allerwertesten beißen können, warum sie das nicht vorher abgecheckt hatten. Damals hatten sie knapp 2.000 € in den Sand gesetzt. Das tat ihrem Geldbeutel wahrscheinlich nicht wirklich weh, denn keiner wusste, wofür sie die horrenden Einnahmen aus ihren Dienstleistungen eigentlich ausgaben. In großartigem Luxus schwelgten sie schon einmal nicht, zumindest konnte der gemeine Unterfilzbacher dies so nicht erkennen. Beide trugen stets die gleichen verschlissenen altbackenen Zweireiheranzüge, hatten weder Frauen noch Kinder, was aber wohl eher an ihrer speziellen Art und mehr oder weniger auch an der mangelnden Körperhygiene liegen könnte.

Aber auch nach dem heiklen Rechtsstreit mit den österreichischen Totengräbern, wurden sie nicht müde, ihre geistreichen Marketingideen weiter umzusetzen.

Hansi schlenderte am Pfeilschild an der Sedlmeier-Einfahrt vorbei, welches in den Innenhof und somit zur Anlieferung zeigte und worauf zu lesen war: »Hier legen wir euch das letzte Mal rein.«

Ein kleines Lächeln huschte über seine Lippen, als er den Schriftzug wieder einmal sah.

Zahlreiche Dorfleute rümpften darüber jedoch pikiert ihre Nasen. Helmut und Herbert ging dies aber ihrerseits ganz klar am Arsch vorbei. Die beiden ewigen Junggesellen waren einfach grundsätzlich ziemlich skurril. Darum wirkte es auf die heutige Trauergemeinde auch wieder einmal etwas befremdlich, dass die Sedlmeiers während des Requiems und auch bei der tatsächlichen Beerdigung am Friedhof ein permanentes, fast beseelt wirkendes Grinsen im Gesicht trugen. Die sonstigen Trauernden bemühten sich nämlich in der Regel allesamt, eine entsprechende Mimik anzunehmen, zumindest bis es dann beim Dorfwirt in den zünftigen Teil überging. Wenigstens in der Kirche und am Friedhof riss man sich in Bayern zusammen und trauerte sichtbar oder spielte es den anderen zumindest vor.

Der Berndl Rudi saß zufälligerweise auch während des Gottesdienstes neben Hansi und sprach aus, was sich wohl viele dachten: »Wahrscheinlich grinsen die Sedlmeiers deswegen so deppert, weil sie sich jetzt schon über die Rechnung freuen, die sie der alten Zaglauerin morgen schicken werden. Die Erna hat mir nämlich selber erzählt, dass sie tatsächlich das Rundum-Sorglos-Paket für ihren Walter gebucht hat. Vorgestern hab ich ihren Kamin gekehrt und da trinken wir immer a Tasserl Kaffee miteinander. Sie war sogar dankbar, dass ihr die Sedlmeiern alles abgenommen haben, weil sie eh nimmer so mobil ist. Und furchtbar schlecht sehen tut sie ja auch noch. Da haben ihr die Bestatter bestimmt eine Auftragsbestätigung zum Unterschreiben untergeschoben, die sich gewaschen hat. Also ob die weiß, was da jetzt auf sie und ihren Geldbeutel zukommt?«, flüsterte der Berndl in die Reihen der Bauhofler, was diese allesamt mit missbilligendem Kopfschütteln kommentierten.

Als Raufangkirer, also als Schornsteinfeger, kam er im Dorf zu jedem einmal, der eine Heizung und einen Kamin hatte, und wusste deshalb solche Insiderinfos meist aus erster Hand.

Bauhofkapo Wiggerl Hackl erinnerte sich bei dieser Gelegenheit spontan an ein kürzliches Erlebnis beim Dorfwirt. »Da hast recht, Rudi, die arme Witwe. Die werden sie jetzt rupfen wie eine Weihnachtsgans. Letztens hat nämlich der Helmut am Stammtisch damit geprotzt, dass er seine Prüfung zum Bestattungsmeister mit Auszeichnung und sogar als Bayerns Bester bestanden hat. Deshalb darf er ab sofort auch einen ganz anderen Gebührensatz abrechnen, hat er angegeben. Und, dass die Firma Sedlmeier Bestattungen jetzt ein Meisterbetrieb und kein billiger Schuppen mehr wär‘, der nur von ordinären Bestattungsfachkräften oder gar ungelerntem Personal betrieben würde. So redet der! Das müsst‘s euch a mal vorstellen. Aber es gibt halt sonst keine Totengräber mehr in Unterfilzbach. Da ist man denen quasi ausgeliefert, tot oder lebendig«, schimpfte Hackl.

Ganz andere Worte fand die Besatzung der ersten Reihe, hoch droben auf der Kirchen-Empore, während des Gottesdienstes für den Aushilfspfarrer Andreas Garhammer, der von allen nur Anderl genannt wurde. Der eigentlich in Unterfilzbach stationierte Pfarrer Birnböck war nach einem unglücklichen Sturz mit seinem E-Bike schon seit längerem außer Gefecht gesetzt. Er hatte sich bei diesem Unfall, der sich direkt auf dem Kopfsteinpflaster vor der Sakristei ereignete, einige Knochenbrüche zugezogen und lies dann gleich auch noch seine Hüfte erneuern, aber diese war schon länger fällig gewesen. Aktuell verweilte er deshalb gerade auf Reha an der Ostsee. Der Oberfilzbacher Pfarrer Garhammer sprang spontan für seinen Kollegen ein und hatte die Nachbargemeinde seelsorgerisch interimsmäßig mitübernommen. Inzwischen war das ja auch nicht mehr ganz so stressig wie in der guten alten Zeit, der katholischen Hochkonjunktur. Denn auch in Unter- und Oberfilzbach gingen die »Kundenzahlen« in dieser Branche deutlich zurück, sodass sich der Garhammer locker zutraute, zwei Gemeinden zu managen.

So wirklich zugeben konnten es die Unterfilzbacher ja nicht, aber im ewigen Wettkampf mit ihrem Nachbardorf, mussten sie sich wirklich eingestehen, dass die Oberfilzbacher tatsächlich den cooleren Pfarrer hatten. Nicht, dass sie den Birnböck nicht mochten, nein, das absolut nicht. Aber der Garhammer war zum einen um gut 25 Jahre jünger und eben auch attraktiver, was vor allem für die weiblichen Gläubigen ein wichtiger Punkt war. Er entsprang halt einfach einer anderen Generation und war darum auch um einiges lockerer als der diensthabende Geistliche Birnböck. Der war nämlich durchaus recht oldschool in seiner Profession. Garhammers Predigten hatten außerdem einen größeren Unterhaltungswert, was sich in der Gesamtsumme dann auch auf die aktuellen Besucherzahlen bei den Gottesdiensten auswirkte. Zudem war er deutlich volksnäher. Beispielsweise ließ er sich des Öfteren beim dienstäglichen Dorfwirt-Fuchzgerl-Schafkopf blicken, um seinen »Schäfchen« auch in ihrer natürlichen Umgebung zu begegnen.

Nach dem Zaglauer-Requiem machten sich die hungrige Bauhoftruppe und natürlich auch die restlichen Trauergäste auf zum obligatorischen Leichentrunk – für manche der Höhepunkt einer Beerdigung. Hansi lief schon das Wasser im Munde zusammen, als ihm voller Vorfreude das Beerdigungs-Schnitzel durch die Gedanken huschte, bis diese Vorfreude von einer unschönen Situation getrübt wurde.

Scharnagl und seine Kollegen standen noch bei einem kurzen Ratsch vor der Kirche zusammen, als der Neffe des Verstorbenen, Siegfried Zaglauer, an ihm vorbeiging und ihn ganz offensichtlich absichtlich recht grob anrempelte. Als eine durchaus angebrachte Entschuldigung ausblieb, musste Hansi seinem Unmut Luft machen, sonst hätte es ihn wahrscheinlich zerrissen. So ein grober Lackl, so ein grober, dachte er empört und überlegte, ob er nicht ein paar missbilligende Worte aussprechen sollte.

Scharnagl raunzte ihm aber dann doch nur ein aussagekräftiges und nach hinten raus streng betontes »Heeeee!« entgegen und blickte Siegfried, alias Sigi, finster an.

Dessen Reaktion war dann eine ganz andere, als die erwartete: »Scharnagl! Was willst denn? Ha?«, pöbelte ihm der Zaglauer entgegen.

Hansi hatte mit so einem groben Verhalten nicht gerechnet und das konnte man ihm auch ansehen. Aber Sigi erklärte dann sogar den Grund für seinen Missmut: »Wer den kleinen Bars das Geschäft wegnimmt, braucht sich nicht wundern, wenn man ihn a mal über den Haufen rennt oder vielleicht sogar … fährt. Bleib du bei deinem Rasenmäher im Bauhof und lass uns Wirte unsere Gäste! Hast‘ mich?! Weil deine Frühshoppen auf deiner stinkenden Hühnerwiese, die nehmen mir MEIN Hauptgeschäft weg. Meinst‘ ich betreib meine Bar zur Gaudi? Stell dir a mal vor. Ich mach das, weil ich davon lebe! Also, so was will ich nimmer sehen, damit hörst jetzt auf! Hamma uns verstanden?«, schnaubte der Kneipenwirt, gerade einmal so laut, dass es keine weiteren Ohrenzeugen gab. Dabei plusterte er sich mit seinem unförmigen, braungebrannten, Anabolika-gepushtem Oberkörper auf, fast genauso wie der Xaverl, wenn er wieder in den Balzmodus überging. Zaglauer stand so unangenehm nah vor Hansis Gesicht, dass dem fast schlecht wurde, als er das aufdringliche und viel zu übertrieben aufgetragene Eau de Toilette schnüffelte.

Ein wenig dauerte es, bis Scharnagl diese Situation realisieren konnte und nur langsam verstand, was ihm der Kneipenwirt mit dem extravaganten Äußeren eigentlich sagen wollte.

Siegfried Zaglauer war Betreiber und Wirt der zweiten Gaststätte im Dorf. Neben dem florierenden, gut bürgerlichen Dorfwirtshaus gab es nämlich noch eine Bar in Unterfilzbach. Eigentlich war es zwar eher ein Pils-Pub, aber der Wirt beharrte vehement auf dem Status »Bar«. Zaglauer betrieb sein Etablissement unter dem viel zu ambitionierten Namen »Chez Sigi«, was vor allem wegen des exzentrischen Wirts bis über die Landkreisgrenzen hinaus bekannt war und weniger wegen der deliziösen Cocktails. Obwohl die »Möchtegern-Schicki-Micki-Bar« eigentlich eher die niederbayerischen Nachtschwärmer als Zielgruppe hatte, war auch der unorthodoxe, samstägliche Frühshoppen recht gut besucht, zumindest anfangs. Über ein paar Wochen hinweg mauserte sich dieses Get-together im »Chez Sigi« sogar zum richtigen Kult-Event unter den Unterfilzbacher Männern. Einige der Herren nutzten diese Gelegenheit nämlich, um sich vor den üblicherweise von weiblicher Seite angeordneten Wochenendaufgaben rund um Haus, Hof oder Wohnung zu drücken. Eine Zeit lang war den Unterfilzbacherinnen überhaupt nicht bekannt, dass das Pils-Pub zu dieser unüblichen Zeit am Samstagvormittag geöffnet hatte. Es war sozusagen eine Art konspirativer Treff der hiesigen Herren. Über den Pils-Pub-Geheimbund konnten die Männer ganz wunderbar solidarisch vor ihren jeweiligen Partnerinnen schweigen. Plötzlich hatten sie am frühen Samstag ganz wichtige Dinge beim Nachbarn, Spezl oder Kollegen zu erledigen. Die Mannerleid lachten sich ins Fäustchen und genossen ihre freien Vormittage, bei einer oder zwei Frühschoppenhalbe(n)und einem gepflegten Schafkopf in der schummrigen Kneipe. Diese diskreten Treffen flauten aber vor ein paar Wochen abrupt wieder ab. Nämlich genau ab dem Zeitpunkt, als Berta Hinkhofer dem verdächtigen Treiben auf die Schliche kam und dies natürlich brühwarm an ihre Geschlechtsgenossinnen weitertratschte.

Die Frauen waren darüber erwartungsgemäß nicht amüsiert und lasen ihren jeweiligen Lebensgefährten gehörig die Leviten. Dem Dorftratsch zufolge waren ab da samstags vormittags nur noch ein paar vereinzelte Junggesellen im »Chez Sigi« zu Gast, was logischerweise größere wirtschaftliche Einbußen für den Wirt bedeutete. Das tat Hansi zwar leid, aber er konnte dafür halt rein gar nix.

Und nun wurde ausgerechnet der unschuldige Hühnerbaron zu Sigis Ventil. Der Rüpel-Wirt dachte offenbar, der Treffpunkt auf der Hühnerfarm wäre der Grund für das Fernbleiben seiner Frühschoppengäste. Anscheinend wusste er nicht, dass die gute Berta diese Treffen »geleakt« hatte. Doch ehe Scharnagl irgendetwas entgegnen konnte, war der Kneipier auch schon entschwunden. Kurz ärgerte sich Hansi noch darüber, fälschlicherweise angepöbelt worden zu sein, aber dann kam ihm das Schnitzel wieder in den Sinn und er schob seinen Ärger für den Moment beiseite.

Beim Dorfwirt wechselte die allgemeine Stimmung der Beerdigungsgäste recht schnell vom Trauermodus zum geselligen Beisammensein und steigerte sich proportional zur ausgeschenkten Menge Freibier.

Hansi hockte mit seinen Kollegen, dem Berndl Rudi und noch ein paar Unterfilzbacher Trauergästen beim Dorfwirt zusammen und unterhielt sich angeregt über die aktuellen Ereignisse in Niederbayern und dem Rest der Welt. Auch der »Vergaser-Kubi« saß mit am Stammtisch, was Scharnagl sehr freute. Den 72-jährigen Gerhard Kubitschek kannten alle Dorfbewohner schon von jeher unter seinem »Künstlernamen« Vergaser-Kubi. Die Herkunft dieses merkwürdig anmutenden Pseudonyms war aber recht einfach zu erklären. Gerhard war Betreiber einer Ein-Mann-Kfz-Werkstatt und 24 Stunden zur Stelle, wenn ein Unterfilzbacher irgendwo im Umkreis von 100 Kilometern eine Autopanne hatte, abgeschleppt werden musste oder diesbezüglich Starthilfe brauchte. Inzwischen müsste der Kubi zwar längst nicht mehr arbeiten, obwohl es zeitweise gar nicht so rosig um seine Finanzen und somit auch um seine Rente aussah. Als aber der vermutlich einzige Selfmade-Millionär – den Unterfilzbach je hervorgebracht hatte und hervorbringen wird –, der allseits bekannte Las Vegas Charly, vor einiger Zeit verstarb, vererbte er dem Kubi eine beachtliche Stange Geld. Wie viel genau, das wusste jedoch keiner. Aber da der Charly an Gerhards finanzieller Schieflage große Schuld getragen und ein recht schlechtes Gewissen hatte, zeigte er sich post mortem offenbar überaus großzügig. Die Kubitscheks renovierten bald nach der Testamentseröffnung ihre Bruchbude zu einer ansehnlichen Landhausvilla. Kubis Frau Paula musste fortan nicht mehr im Bauhof putzen und der alte Autofreak gönnte sich ein paar begehrte Raritäten in Form von Mercedes-Oldtimern. Es war dann recht bald klar, dass sich keiner im Dorf Sorgen um die Kubitscheks mehr machen musste und sie sicher ihr gutes Auskommen hätten. Trotzdem gab Gerhard seine Kfz-Werkstatt nicht auf und sah seine Tätigkeit nun eher als Hobby.

Auch heute zeigte sich der Vergaser-Kubi wieder einmal recht spendabel, denn inzwischen stand schon die vierte Runde Bärwurz vor den Stammtischgästen, zu der er eingeladen hatte. Es war logisch, dass deshalb auch dieser Leichentrunk zum Finale hin bei weitem mehr zünftige Geselligkeit als Traurigkeit beinhaltete. Der Samstag war für Hansi somit gelaufen. Sämtliche Arbeiten, die er sich für heute auf seiner Hühnerfarm eigentlich noch vorgenommen hatte, verschob er kurzerhand auf das nächste Wochenende. Denn so ein angenehmer Abend beim Dorfwirt, der musste schließlich genossen werden.

Das war seit kurzem zu Hansis neuem Credo geworden. In wenigen Wochen würde Johann Manfred Scharnagl nämlich seinen fünfzigsten Geburtstag begehen, ob er wollte oder nicht. Eigentlich war ihm sein Geburtstag bisher immer recht wurscht gewesen, aber seit kurzem machten alle Personen in seinem Umfeld mords ein Geschiss um diesen Tag. Was zur Folge hatte, dass er tatsächlich auch anfing, darüber nachzudenken und der Respekt davor stetig wuchs. In manch einer schwachen Minute hatte Hansi sogar ein wenig Angst vor diesem Ereignis und wusste nicht einmal warum.

»Mei, jetzt wirst dann schon ein halbes Jahrhundert, Papa! Wie fühlst dich denn da?«, zog ihn seine Erstgeborene Isabelle immer öfter auf. Dies aber auch erst, seitdem sie bemerkt hatte, dass ihm derartige Sprüche gehörig gegen den Strich gingen und er wohl oder übel in eine kleine Krise hineinschlittern würde.

Bald würde er also offiziell alt sein. Sein Sinnieren zu diesem Thema hatte auch bereits einen ersten Entschluss zur Folge: Hansi nahm sich vor, das Leben ab sofort in vollen Zügen zu genießen, die Feste zu feiern, wie sie fielen, und sei es, wie im heutigen Falle, bei einem zünftigen Leichentrunk.

Auf dem Heimweg, der deutlich später als vorgesehen stattfand, dachte er wieder einmal über das Leben an sich, sowie seine körperliche und seelische Verfassung mit fast 50 Jahren nach.

Was sie nur immer alle haben mit dem depperten Fuchzger? Ist ja auch nix anderes wie Neunundvierzig, nur halt noch eins mehr. Außerdem bin ich ja wirklich geistig absolut jung geblieben, an meiner jugendhaften Art könnten sich einige andere aus unserem Dorf noch eine Scheibe abschneiden. Und überhaupt, ich schau ja eh noch aus wie knapp vierzig, wenn überhaupt …oder? Sieht man mir die 50 vielleicht doch am Ende schon an? Hm …, grübelte er und strich sich gedankenverloren über seine Halbglatze und seinRundum-Wamperl, das in den letzten Jahren noch einmal ziemlich gefruchtet hatte.

Als er daheim ankam, freute er sich schon auf die Brotzeit, die seine liebende Ehefrau Bettina sicher für ihn vorbereitet hatte. Ganz bestimmt ging sie davon aus, dass ihr fleißiger Gatte auf der Hühnerfarm kräftezehrende Arbeiten verrichtet hatte und nun ganz furchtbaren Hunger verspürte. Zumindest dachte er das, während er die Haustüre in der Birkenstraße aufsperrte.

»Servus Zuckerschoasaaaal! Ich bin daaheiheeiim! Was hast denn deinem Bärle Schönes zum Essen hergerichtet?«, flötete er süßlich im Flur, während er seine Schuhe mit elastischen Schuhbändern abstreifte und in die Ecke pfefferte. Eine Antwort blieb jedoch aus. Was recht untypisch war, denn die Scharnagls lebten in diesem Haus zu fünft und schon rein statistisch war eigentlich immer jemand daheim. Aber es war Samstagabend und seine Erstgeborene und Dorfschönheit Isabelle, die die Einliegerwohnung im Untergeschoss bewohnte, würde vermutlich gerade in irgendeinem niederbayerischen Club den Männern den Kopf verdrehen. Ihr Bruder Hansi Junior tat ihr dies vermutlich bei den schmachtenden Damen gleich. Seitdem er einen regelrechten Glow-Up erlebt hatte und nun tatsächlich zu einem Frauenschwarm im Dorf geworden war, genoss er seinen neuen Status als umschwärmter Ladykiller. Ganz der Vater halt, dachte Hansi jedes Mal, wenn er seinen Sohn und dessen durchtrainierten Fußballerkörper betrachtete.

Das Nesthäkchen der Familie, Indira, studierte zwar eigentlich in Chicago Umwelttechnik, jedoch war sie gerade für ein paar Wochen auf Heimaturlaub und verbrachte die Zeit gerne mit ihren Friends in good old Bavaria.

Sollen‘s nur ihre Jugend genießen, die haben schon recht. Irgendwann werden sie auch a mal 50 und dann sagen alle, sie sind alt. Wenn es nach den anderen geht, ist jetzt dann mein Leben anscheinend vorbei …, schoss es ihm durch den Kopf, den er bei diesen Gedanken automatisch schüttelte.

Die Frage nach dem Verbleib seiner Frau konnte Hansi jedoch nicht beantworten. Zumindest hatte sie ihn nicht über einen ihrer üblichen Termine, wie eine Versammlung des Gartenbauvereins oder eine Yogastunde, informiert. Oder hatte er es vielleicht wieder einmal vergessen? So, wie es in letzter Zeit öfter vorkam.

Es war wie ein Reflex, dass Hansi jedes Mal ein großes Hungergefühl verspürte, wenn er von irgendwoher nach Hause kam. Daran änderten auch das riesige Schnitzel mit Pommes und die deftige Brotzeitplatte nichts, die der Vergaser-Kubi vor anderthalb Stunden am Stammtisch nach den Bärwurz-Runden noch spendiert hatte. Hansi fühlte sich, als hätte er seit Tagen nichts gegessen. Zum Glück waren noch eine halbe Stange seines geliebten weißen Presssacks und ein paar Zwiebeln daheim. Die würden ihn zum Glück vor einem großen Hungerleiden bewahren. Da könnte er sich ja direkt noch schnell sein wunderbares Presssack-Carpaccio als kleinen Abendsnack zubereiten. Auch Hundedame Gerti schien regelrecht ausgehungert, so wild wie sie sich über den Abschnitt des Presssackzipfels hermachte. Als er und Gerti mit vollen Wamperln und satt am (beziehungsweise unterm) Küchentisch saßen, kam Frau Scharnagl nach Hause. Ein wenig beleidigt war Hansi schon, weil sie ihn nicht, wie erwartet, empfangen hatte. Aber sie war ja schon groß und konnte machen, was sie wollte, dachte er selbst beruhigend.

»Servus Bettina. Wo kommst denn her? Ich hab mir schon selber was zum Essen gemacht«, begrüßte er sie mit leicht vorwurfsvollem Unterton.

»Na davon geh ich aus, dass du dir selber was machen kannst. Du bist ja schon groß … und breit. Außerdem hätte ich das bestimmt eh gleich an der verwüsteten Küche gesehen«, antwortete Bettina. Die Bemerkung über seine Körperfülle konnte sie sich nicht verkneifen.

»Hat‘s denn bei der Zaglauer-Leich nix zum Essen gegeben? Das kann ich mir jetzt gar nicht vorstellen. Aber langsam würd ich an deiner Stelle wirklich ein wenig aufpassen. Schließlich bist du nicht mehr der Jüngste. Du wirst fünfzig! Wenn DU keinen Bluthochdruck hast, dann fress ich einen Besen, Hansi.«

»Jetzt fängst du auch noch an! Was habt ihr nur alle? Ich bin topfit, und außerdem ist das ja auch nur eine Zahl. Geistig, seelisch UND körperlich bin ich höchstens 40«, entgegnete Scharnagl aus voller Überzeugung.

Die Antwort kam dann in Form eines Lachanfalls, der Bettina sogar die Tränen in die Augen trieb. Nachdem sie sich wieder beruhigt hatte, fand sie erneut strenge Worte für ihren Angetrauten.

»Also, ich weiß ja nicht, in was für einer Welt du lebst oder ob du in der letzten Zeit vielleicht nicht in den Spiegel geschaut hast … ich würde dir wirklich raten, dass du langsam einmal etwas für dich tust. Denn gerade Männer um die fünfzig haben ein 60 Prozent höheres Sterberisiko als Frauen im gleichen Alter. Da rächt sich jetzt dein ungesunder Lebensstil. Das hab ich dir immer schon gesagt. Deswegen hast du auch einen Check-up-Termin bei Dr. Fuchs. Den hab ich dir schon ausgemacht. Nächsten Donnerstag um Fünf. Da gehst hin, dass das klar ist! Der wird dir dann schon sagen, was dein echtes biologisches Alter ist. Vierzig! Pfffff …«

»Ja, Himmel … ist ja schon gut. Herrschaftszeiten, wenn du in zwei Jahren fünfzig wirst, dann mach ich aber auch so ein Drama draus. Das wirst‘ dann schon sehen!«

»Is recht, Hansi. Im Gegensatz zu dir, pass ich auf mich und meine Gesundheit auf, so was nennt man Eigenverantwortung. Oder wie man ja jetzt immer sagt: Achtsamkeit. Aber lassen wir das … du wirst schon wissen, was dir gut tut. Ich reg mich da nicht mehr auf. Und weil wir grad davon reden, ich hab mir gedacht, dass wir dann langsam a mal alles regeln könnten. Irgendwann müssen wir es ja machen. Es kann ja alles auch ganz schnell gehen, was wir natürlich nicht hoffen. Aber man weiß ja nie, was morgen passiert.«

»Was sollen wir denn regeln, Zuckerschoasal?«

»Na … Patientenverfügung, Testament und alles, was man halt regeln sollte, wenn man in ein gewisses Alter kommt. Du könntest mir ja auch a mal sagen, wie du dir deine Beerdigung vorstellst, wenn‘s soweit ist«, plapperte Bettina so nebensächlich, als würde sie über ihren Arbeitsalltag im Supermarkt berichten. Dabei räumte sie gleichzeitig die Küche auf.

»Jetzt glangt‘s mir aber! Spinnst komplett? Glaubst du wirklich, nur weil ich jetzt fünfzig werde, beiße ich gleich ins Gras?«, empörte sich Scharnagl.

»Um das geht‘s doch gar nicht. Aber weiß ich vielleicht, ob du künstlich ernährt werden willst, wenn du im Koma liegst? Oder wann ich die Geräte abstellen lassen kann? Ob du verbrannt werden willst oder doch lieber eingegraben? Welche Musik soll ich dann für die Beerdigung bestellen? Woher soll ich das bitte wissen? Frag mal deinen Sepp! Maria und er haben das alles schon längst geregelt …«

»Was? Ehrlich?«, flüsterte Hansi kleinlaut und bekam spontan ein unangenehmes Magendrücken, was entweder an diesem saublöden Thema oder aber auch an den zwei ganzen Zwiebeln lag, die er gerade mitsamt seinem sauren Presssack verzehrt hatte.

»Denkst halt a mal drüber nach, wie es Erwachsene tun. Was anderes Hansi … der Wiggerl hat mich gefragt, was du dir zum Geburtstag wünschst. Anscheinend wollen dir deine Kollegen aus dem Bauhof auch was kaufen«, wechselte Bettina das Thema.

»Ahhhh … mei, das ist aber schön, wenn die an mich denken. Schließlich bin ich ja auch eine tragende Säule beim Bauhof, da können sie schon a mal was springen lassen. Ohne mich waren sie ja eh aufgeschmissen. Wie ich beim Filzer-Bräu gearbeitet hab, da hat man‘s deutlich gemerkt, wie der Bauhof nachgelassen hat. Hm, was könnt ich mir denn wünschen …? Da muss ich erst a mal überlegen …«, sprach Hansi nun nachdenklich und war froh, dass er sich gerade keine Gedanken mehr über seine künstliche Ernährung im Koma machen musste. Ein zartes, erleichtertes Lächeln schlich sich um seine rosigen, runden Wangen.

»Ja, das machst, und dann reden wir noch a mal. Übrigens, wie war eigentlich die Beerdigung?«, wollte Bettina nun wissen und gesellte sich mit einer Tasse Kräutertee zu ihrem Mann an den Küchentisch. Sie lächelte ihn versöhnlich an, denn es war ihr dann doch bewusst geworden, dass sie ihren sensiblen Mann mit diesem schweren Thema wohl etwas überrumpelt hatte. Er hatte zwar in den letzten Jahren so einige Todesfälle im Dorf aufgeklärt und die Täter oder Täterinnen teilweise mit heroischen Aktionen gefasst. Wenn es jedoch um sein eigenes Wohlergehen oder das seiner Familie ging, dann war er doch sehr zartbesaitet, der tapfere Meisterdetektiv.

»Ja mei. Eine Beerdigung halt. Schnitzel oder Schweinernes hat es gegeben und dann noch a Brotzeitplatte. Die hat der Kubi spendiert«, plapperte Hansi gedankenlos und nahm einen kräftigen Schluck aus seiner Bierflasche. Als er diesen Satz ausgesprochen hatte, wurde ihm gleichzeitig bewusst, dass er das Beerdigungs-Speisenangebot lieber nicht hätte erwähnen sollen. Die Beweise für seinen zweiten Abendsnack lagen süß-sauer duftend auf dem Küchentisch und vermutlich würde jetzt wieder eine Belehrung über ungesundes Essen folgen. Deswegen startete er ein sofortiges Ablenkungsmanöver.

»Ach ja, stell dir vor, was mir da passiert ist …«, stammelte er. Der Zwischenfall mit dem Zaglauer Sigi passte für den abrupten Themenwechsel ganz hervorragend und er berichtete seiner Frau theatralisch davon.

»Ach was!«, grinste Frau Scharnagl nach dem Ende der Erzählungen und man könnte meinen, ein wenig Schadenfreude in ihrer Stimme gehört zu haben.

»Das habt‘s jetzt davon, weil ihr Schlaumeier gemeint habt, ihr könnt euch den Samstagvormittag versüßen und wir Frauen hätten das nicht gemerkt. So was nenne ich Karma. Das ist halt jetzt der Rattenschwanz, den diese männliche Verschwörung nach sich zieht. Ist ja eh klar, dass dem Sigi der zusätzliche Umsatz am Samstag ganz recht gekommen wäre. Bei seinem Lebensstil ist es sowieso ein Wunder, dass er nicht ständig knapp bei Kasse ist. Aber vielleicht ist er das ja auch … hm … ich frage mich wirklich wie der mit dieser Spelunke überleben kann, wer weiß, was der sonst noch für Gschäfterl macht. Dass er die Schuld jetzt bei dir sucht, ist natürlich blöd. Aber der beruhigt sich schnell wieder, wirst sehen«, sprach Bettina und blätterte dabei nachdenklich im Unterfilzbacher Gemeindeblatt. »Meinst, der hat sonst auch noch irgendwas, womit der sein Geld verdient?«, schob sie hinterher.

Die Frage, wie der extravagante Siegfried Zaglauer seinen luxuriösen Lebensstil finanzieren konnte, stellte sich nicht nur Frau Scharnagl. Viele Unterfilzbacher rätselten, welche Einnahmequellen er neben seinem Pils-Pub noch hatte.

Sigi, der eigentlich gelernter Heizungsinstallateur war, sich aber seit dem Megaerfolg des Kinoblockbusters »Cocktail« für die Reinkarnation der Hauptfigur Brian Flanagan hielt, schmiss anno 1990 kurzerhand seinen Handwerkerjob hin und machte überraschend eine Bar beziehungsweise das Pils-Pup auf. Zwar war Unterfilzbach nicht New York und Sigi hatte auch absolut keine Ähnlichkeit mit Tom Cruise, aber der von sich überzeugte Barbesitzer ignorierte diese beiden Fakten schon seit Jahrzehnten konsequent. Hansi bezweifelte auch, dass Sigis angeblich total angesagter In-Cocktail, der »Grashüpfer«, wirklich in den nobelsten Bars des Landes getrunken wurde, so wie er es seinen Gästen stets weismachen wollte. Aber so war er eben. Siegfried schwebte in deutlich zu hohen Sphären und hatte einfach eine recht große Goschn, also eine große Klappe. Er war auf seine ganz besondere Art eine sehr schillernde Person. Und das mochte etwas heißen, mitten im Bayerischen Wald, wo der hiesige, besondere Menschenschlag ab und an äußerst skurrile Persönlichkeiten hervorbrachte. Wenn man den Zaglauer zum ersten Mal sah, musste man gezwungenermaßen einfach ein zweites Mal hinsehen. Der inzwischen knapp 60-Jährige besuchte regelmäßig und meistens viel zu lange das Solarium. Deshalb wurde er auch schon des Öfteren gefragt, ob er denn einen Migrationshintergrund hätte, obwohl er ein waschechter Unterfilzbacher war. Seine Augenbrauen ließ er sich viel zu dick tätowieren, seine Lippen bekamen regelmäßig mehr Volumen und seine braune Haut zog sich straff und faltenfrei über sein Gesicht, dass ihm das Grinsen manchmal recht schwerfiel. Laut eigener Aussage war der Grund für all diese körperlichen Veränderungen lediglich seine Vitamintabletten, die er regelmäßig konsumierte. Er konnte unglaublich unglaubwürdig – wenn auch sehr unterhaltsam – sein. Beispielsweise dann, wenn er mit seinen Verbindungen zur High Society prahlte. In seinen lebhaften Erzählungen zog er meist mit Promis wie Dieter Bohlen, Oliver Pocher oder Robert Geiss um die Häuser und verbrachte mit diversen A-bis-Z-Promis rauschende Partynächte. Ob dies alles wirklich der Wahrheit entsprach, wusste keiner so ganz genau, jedoch hatte der überwiegende Teil seiner Gäste ihre berechtigten Zweifel daran. Im Laufe der Jahre wurden seine V.I.P.-Storys immer abenteuerlicher, was sich vermutlich auch auf seine eigene Wahrnehmung schlug, denn er fühlte sich mehr und mehr selbst wie ein Promi. Zumindest ließ sein extravaganter Kleidungsstil, samt auffälligem Äußerem, und sein gesamtes Auftreten darauf schließen. Ohne riesige schwarze Sonnenbrille mit funkelndem oder gülden glänzendem »D&G«-Logo, sah man ihn praktisch überhaupt nicht mehr an der frischen Luft. Wirklich stören tat dies allerdings keinen, alle akzeptierten es schmunzelnd und betrachteten einen Besuch im »Chez Sigi« eher als Unterhaltungsprogramm, ähnlich einem Kino- oder Theaterabend. Deswegen war das »Chez Sigi« auch nicht schlecht besucht, aber ob die kleine Kneipe mit angrenzendem Billard- und Spielautomatenzimmer so viel abwarf, um die Designergarderobe vom Zaglauer zu finanzieren, darüber wurde unter der Dorfbevölkerung heftig spekuliert.

»Hast denn heute keine Eier mitgebracht?«, fragte Bettina und sah sich suchend nach der obligatorischen, täglichen Eierschachtel um, nachdem das Thema Sigi ausdiskutiert war.

»Ach du liebe ZEIT!«, schrie Hansi, sprang auf und rannte zur Haustür. »Ich hab die Hühner vergessen!«, hörte ihn Frau Scharnagl noch aus der Ferne, während er schon dabei war, sich auf das Fahrrad zu schwingen. Wegen seiner Leichentrunk-Getränke ließ er vernünftigerweise den Opel stehen, denn seinen Führerschein wollte er dann doch lieber behalten. Vor allem jetzt, wo der Unterfilzbacher Bauhof einen nigelnagelneuen Unimog mit allen Schikanen angeschafft hatte.

Leicht panisch radelte er zu seiner Chickeria auf die Huberbauern-Wiese und hoffte, dass seine Schützlinge nicht wieder einem Fuchs zum Opfer gefallen waren. Während der Fahrt beschimpfte er sich selber lautstark und hatte die furchtbaren Bilder vom vergangenen Federn-Massaker im Kopf. Wie konnte ihm das schon wieder passieren? Die letzten Tage hatte er sein Geflügel immer pünktlich zur Dämmerung ins Bett beziehungsweise in den Stall gebracht.

Wie ein geölter Blitz sprang er vom Rad, lehnte es gegen den Zaun und eilte über die nachtdunkle Wiese in den Stall, wo er von wildem Gegacker empfangen wurde. Augenblicklich begann er mit Hilfe seiner Handytaschenlampe das Federvieh auf Anwesenheit zu kontrollieren. Blöd, dass der Solarstromgenerator wieder einmal ausgefallen war. Das musste er morgen dringend gleich dem Sepp sagen. Denn eigentlich sollte der Bewegungsmelder das kleine Hoflicht automatisch einschalten, sonst würde er sich irgendwann nochmal was brechen. Es herrschte wirklich absolute Dunkelheit, denn die nächste Straßenlaterne war viel zu weit entfernt. Hansi war unglaublich erleichtert, als er im Hühnerstall seine Mädels und Jungs durchgezählt hatte, alle wohl behütet auf ihrem Stangerl saßen und sich mit gurrenden Zwitschergeräuschen zu unterhalten schienen. Das liebte Hansi, dann hatte er das Gefühl, er war ein guter Hühnerpapa und sein Geflügel fühlte sich wohl bei ihm.

»Xaverl, Elvis, Pricilla … Gott sei Dank! Alle da! Langsam lernt ihr‘s ja«, sagte er erleichtert zu seinem Federvieh und hörte direkt selber den Stein plumpsen, der ihm vom Herzen fiel. Oder war es doch etwas anderes, was er gehört hatte?

Vorsichtig und leise verschloss er die Hühnerstalltür und wollte dem noch nicht definierten Geräusch auf den Grund gehen. Nicht, dass am Ende schon wieder ein Fuchs auf der Suche nach einer Scharnagl-Henne war. Hansi stand hinter dem Hühnerstall und beobachtete, wie ein sehr großes, schwarzes Auto vorsichtig über den geschotterten Weg tuckerte.

War das jetzt nicht der Sedlmeier-Leichenwagen?Da hinten kommen doch nur Wiesen und Felder. Wo wird jetzt der hinfahren? Zum Standln werden der Herbert oder der Helmut ja wohl kaum fahren … obwohl … der Kofferraum wär schon groß … da hätte man wenigstens Platz, sinnierte Hansi amüsiert underinnerte sich wehmütig an vergangene Zeiten in seiner Jugend. Wie oft hatte er selbst in jungen Jahren mit seiner Bettina an den romantischsten Plätzen rund um Unterfilzbach gestandlt.Standln war in Bayern ein Ausdruck für eine kleine ungestörte Auszeit zu zweit, meistens in einem Fahrzeug, vorzugsweise im Dunkeln, bei der es durchweg gefühlvoll bis leidenschaftlich hergehen konnte. Gestandlt hatte wohl jeder Bayer und jede Bayerin in jungen Jahren schon ein- oder mehrmals, so natürlich auch Hansi.

»AUWEH! Scheiße!«, rief Hansi, als er auf dem Weg zum Auto über die Mistgabel stolperte. Genau das war auch einer der Gründe, warum es wirklich super wäre, wenn zumindest die kleine Solarlampe brennen würde, so wie er das eigentlich vorgesehen hatte. Sicherheitshalber verräumte er sein landwirtschaftliches Werkzeug gleich noch, nicht, dass er morgen früh darüber fiele.

Während er die Mistgabel in der Wirtschaftshütte verstaute, war erneut ein Motorengeräusch zu hören – ebenfalls langsam, tuckernd, und ebenfalls Richtung Huberbauern-Felder. Leider war Hansi zu spät und konnte den Wagen nicht mehr erkennen.

Kapitel 2 – Vinyasa

 

Der Sonntag wäre so wunderbar gestartet, wenn ihn der Kubitschek dann nicht so dermaßen versaut hätte. Die Sonnenstrahlen schienen durch das Küchenfenster in der Birkenstraße und weckten Hansis Lust auf den kommenden Frühling. Nach einem, wie üblich, schneereichen Winter und vielen Überstunden für Unterfilzbachs besten Schneepflugfahrer, war Scharnagls zweitliebste Jahreszeit früher als sonst angebrochen. Es war ein trockener, sonniger April und sämtliche Schneereste waren heuer tatsächlich längst verschwunden. Die Eingeborenen sagen »es wird Aper«, wenn der Schnee geht. Und wenn es Aper war, dann brach eine Zeit an, in der der Bayerische Wald seine Kraft vollends zeigen konnte. Das düstere Grau verschwand und die Kraft des Urwaldes brach darunter hervor. Dieses unverwechselbare Hellgrün, das Hansi seit seiner Kindheit so liebte, legte jeden Tag mehr strahlende Flecken über die dunkle Waldlandschaft. Die Schneeglöckchen waren schon verblüht, Himmelschlüssel zeigten ihre gelben Köpfchen und verbreiteten ihren einzigartigen Duft. Um diese Jahreszeit war die Waldluft so gut wie das ganze Jahr nicht.

Mit diesem heimatromantischem Gefühl saß Hansi am Frühstückstisch und startete vergnügt in einen Sonntag, der absolut nach seinem Geschmack war. Der heutige kulinarische Gusto oder auch Gammara auf gut Bayerisch, war weiß, fett, süßlich scharf und traditionell altbayerisch. Die ganze Woche über hatte er sich schon auf die frischen Weißwürschtl vom Aschenbrenner gefreut, die er gestern in aller Herrgottsfrüh direkt aus dem Kessel von Metzgermeister Rainer persönlich aus der Wurstkuchl mitgenommen hatte.

Hansis »Weiße« siedeten bereits im Kochtopf, die Brezen lagen im Backofen und färbten sich langsam hellbraun und aus dem Radio dudelte die Spider Murphy Gang ihren Gassenhauer »Schickeria«, zu dem der Hühnerbaron lautstark »Tschikeria« mitgrölte, die er zu seiner persönlichen Hühner-Hymne deklariert hatte. Hansi hatte gerade die gehörige Portion Wasser, die ihm schon im Mund zusammengelaufen war, heruntergeschluckt, sonst hätte er wahrscheinlich gesabbert. KNACKS machte der rote Drehverschluss auf dem Glas mit dem typischen süß-scharfem Weißwurstsenf, welchen er soeben aufgedreht hatte. Es war die perfekte altbayerische Idylle im Hause Scharnagl, die jedoch vor dem wirklichen Höhepunkt mit einem einzigen Satz zerstört wurde.

»Das ist jetzt nicht dein Ernst, oder?«, kreischte es aus dem Flur in die Küche herein. Hansis Glückseligkeit war damit sofort dahin. Eigentlich hatte Bettina noch schnarchend im Bett gelegen, als sich der Hausherr auf Zehenspitzen aus dem Schlafzimmer schlich, um mit seinen Weißen ungestört sein zu können.

Mei oh mei, es wär auch zu schön gewesen. Kann die nicht einmal genauso lang schlafen wie unsere Kinder. Himmel noch a mal, ärgerte sich Scharnagl und wusste ganz genau, dass jetzt entweder ein Vortrag über sein ungesundes Essverhalten oder ein Arbeitsauftrag folgen würde.

»Du sitzt wirklich seelenruhig in der Küche und machst dir deine fetten Würschtl warm? Ich glaub‘s ja nimmer …«, polterte Frau Scharnagl sichtlich erregt. Inzwischen stand sie barfuß im Türrahmen, ihre Yogamatte unter den Arm geklemmt, trug wieder einmal eine dieser unförmigen Schlabberhosen und ihr »Namaste«-Shirt. Auf ihre strubbelige Kurzhaarfrisur hatte sie ein breites Stirnband gestülpt, was ein sicheres Zeichen für eine anstehende Yoga-Einheit im heimischen Wohnzimmer war. Hansi nannte dieses Outfit immer ihren »Buddha-Kampfanzug«. Überflüssig zu erwähnen, dass er das so gar nicht an ihr mochte. Wenn sie sich zuhause yogatechnisch alle ihre Körperteile verbog, hatten die restlichen Scharnagls das Gefühl, Bettina verwandelte sich in den Dalai Lama persönlich. Der unsportliche Scharnagl bekam dann immer sofort ein schlechtes Gewissen. Darum stotterte er schuldbewusst und absolut reflexartig: »Ähm ja … also … magst auch eine Weiße?«

Natürlich wusste er nur zu gut, dass Bettina schon seit Jahren eingefleischte Vegetarierin war. Aber er wollte ihr halt ein spontanes Friedensangebot machen. Dafür hätte er sogar eine seiner geliebten Weißwürste geopfert.

»Tssss! Bestimmt nicht. Heute ist Sonntag, gell?«

»Ja, mein Zuckerschoasal.«

»Und wer ist Montag, Dienstag, Mittwoch, Donnerstag, Freitag und gestern mit der Gerti in der Früh Gassi gegangen?«

»Hm … du?«, stammelte er verlegen. Dabei blickte er in die Augen des hinterfotzig grinsenden Buddhas auf Bettinas T-Shirt und fühlte sich sofort doppelt verurteilt.

»Ich hab gemeint, du bist schon längst unterwegs? Es wäre wirklich schön gewesen, wenn du mir auch einmal einen ungestörten Morgen gegönnt hättest. Außerdem schadet es dir ganz bestimmt nicht, wenn du deinen Luxuskörper in der Früh … ach was sag ich … überhaupt a mal bewegen würdest. Das bisserl Ausmisten kannst ja nicht wirklich zählen. Geh weiter jetzt! Die Hühner musst schließlich auch rauslassen. Die armen Viecher sind um diese Zeit immer noch in ihrem Stall eingesperrt, es ist ja schon halb neun. Ich freu mich die ganze Woche schon auf mein Vinyasa-Yoga, das hab ich mir übrigens verdient und deshalb bist du heute für die Gerti zuständig. Basta!«, predigte Frau Scharnagl, warf ihre Matte schwungvoll auf den Küchentisch, ging in die Speis und kramte darin recht geschäftig.

»Ja, aber Zuckerschoasal! Die Weißen sind ja gleich fertig … und die guten Brezen, schau … die verbrennen doch dann. Wär ja schad drum!«

»Die Brezen sind später auch noch gut. Ich tu sie dann aus dem Ofen. Und heiße Brezen sind sowieso nicht gut für deinen Magen, dann jammerst wieder den ganzen Tag, weil‘s dich drückt und so bläht. Die Gerti muss raus, sonst pieselt sie wieder auf den Teppich. Also, geh weiter jetzt …«

Mit diesen Worten drückte sie ihrem Mann Gertis Leine und einen riesigen Eimer voller hühnertauglicher Küchenabfälle aller vegetarischen Kochexperimente der ganzen Woche in die Hand. Mit der Spider-Murphy-Gang machte sie ebenfalls kurzen Prozess und schaltete einfach eiskalt das Radio aus. Anstatt der »Schickeria« tönte jetzt das »Best of« ihrer indischen Yoga-Playlist aus der Musikanlage im Wohnzimmer.

Nach einem wehmütigen Blick in den Backofen ergab sich Hansi seinem Schicksal und brach in Gottes Namen zu einer morgendlichen Gassi-Runde auf.

Mei, dann kann ich meine Buam und Deandla schon a mal füttern. Wenigstens sie haben dann ein schönes Frühstück, wenn mir nicht a mal eine einzige kleine Brezen am Sonntagmorgen vergönnt ist, dachte er wehleidig auf seinem Weg Richtung Huberbauerniesen.