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Kriminellen ist nicht einmal Weihnachten heilig! Mit vergifteten Weihnachtskeksen kommen drei Burschen zu Tode. Noch dazu irrtümlich, da sie das toxische Gebäck gestohlen haben. Ein Fall für Jonas Jericho, der zur Lösung des kniffligen Falles wieder die nötige Hilfe von Agatha Christie aus dem Geisterreich erhält und selbst in Verdacht gerät. Daneben gibt dieser Who-done-it-Krimi noch heitere Einblicke in die feine englische Gesellschaft, den Journalismus und das Musicbiz...
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Seitenzahl: 245
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S. Pomej
Weihnachtsgift
"Das Geheimnis des Vorankommens ist der Anfang." - Agatha Christie
1. Kapitel:Der Fremde im Zug
Drei Grad Celsius konnten sich viel kälter anfühlen, vor allem wenn sich Wind und Nebel hinzu gesellten. Die Daunenjacke durfte man nicht vergessen, sonst kroch einem die Kälte bis in die Knochen. Der zugige Bahnhof Yeoford erweckte bei Jonas den Eindruck, gerade für Pinguine zum Verweilen geeignet zu sein. Der Blick auf die idyllische Ortschaft entschädigte ihn dafür einigermaßen, nachdem sie vom Nebel freigegeben worden war. Aus den Schornsteinen einiger Häuser stiegen Rauchsäulen auf und kündeten von sich am Kamin aufwärmenden Einheimischen, die wahrscheinlich schon die ersten Päckchen für das fröhliche Fest verschnürten. Die Wartezeit auf seinen Zug vertrieb er sich mit Zeitunglesen, da er Neuigkeiten schon berufsmäßig konsumieren musste. Zur angeblich stillsten Zeit im Jahr schockte 'The Sun' mit einer Headline: 3 Jugendliche vergiftet aufgefunden! Plymouth: Eddy Pogby, Roddy Cochran und Larry Evans (17) wurden tot in der Nähe einer Bahnstation aufgefunden. Zwischen ihnen lag eine leere Weihnachtskeks-Schachtel. Es liegt nahe, dass sie einem Giftanschlag zum Opfer fielen. [ ... ] Zweckdienliche Hinweise an jede Polizeistation erbeten.
Obwohl im Zug noch viele Sitzplätze frei waren, setzte sich ein Herr mit einem kantigen Gesicht und grauen Schläfen, dessen kräftiger Körper in einem Maßanzug steckte, neben Jonas. Diesem fiel zuerst dessen penetrantes After Shave auf, dann dessen ungeputzte Schuhe. Entweder hatte der Gentleman einen staubigen Weg bis zur Station hinter sich, oder sein Butler hatte seinen freien Tag, denn der feine Herr sah gut betucht aus. Oder war das nur eine Fassade, überlegte Jonas, konnte es sein, dass er eine Leiche verscharrt hatte und nun so mirnichtsdirnichts einfach wieder seinen Tagesgeschäften nachging? Indigniert schüttelte er den Kopf, er hatte zu viele Agatha Christie-Krimis gelesen, in welchen solche finsteren Existenzen immer wieder zwischen den Seiten herausragen.
Der Fremde im Zug begann ein unverfängliches Gespräch mit ihm. An und für sich liebte es Jonas, eine Unterhaltung mit anderen Leuten zu führen, um Neuigkeiten zu erfahren oder einfach nur Details aus ihrem Leben. Doch im Gedanken hoffte er, Agatha Christies Geist würde ihn wieder einmal mit seinem Erscheinen erfreuen, wie es schon mehrmals der Fall war, wenn er, so wie jetzt, in England oder, so wie voriges Jahr, in Ägypten weilte.
"Ich fahre diese Strecke regelmäßig, dochSiehabe ich noch nie zuvor gesehen."
"Stimmt, ich war zwar schon mehrmals in Ihrem schönen Land, doch nie zuvor in Devon. Als freier Journalist komme ich ja viel herum."
"Freier Journalist? Bedeutet das, Sie sind arbeitslos?"
Wie ärgerlich, durchzuckte ein Gedanke Jonas' Gehirn, hat mich der Alte doch tatsächlich durchschaut.
"NEIN! Ich bin momentan Ghostwriter und habe daher meine Tätigkeit bei der Zeitung zurückgestellt." Das stimmte natürlich nicht, denn er war sich mit Chefredakteur Riasek, einem wahren Giftzwerg, in die Haare geraten, wegen einer nichtigen Kleinigkeit, die allerdings zu seinem Hinauswurf geführt hatte. Und das Anfang Dezember, mit der Aussicht auf eine saftige Weihnachtsremuneration...
"Soso, und wer ist der Glückliche, dem Sie die Schreibarbeit abnehmen?", erkundigte sich der Fremde mit hochgezogenen Brauen.
"Aber ich bitte Sie! Das darf ich doch niemandem verraten."
"Verstehe."
Der Fremde blickte von Jonas zum Fenster hinaus und ließ offen, ob er verstanden hatte, dass sich Jonas auf die Diskretion seinem angeblichen Auftraggeber gegenüber berief, oder ob er doch nur eine Ausrede gebraucht hatte, seine Arbeitslosigkeit mit einer interessanten, nicht nachprüfbaren Tätigkeit zu verschleiern. Auf einmal wandte er ihm wieder sein Gesicht zu und lächelte milde.
"Ich kannte einen Mann, dessen Autobiografie ein Ghostwriter schrieb."
"Und nachher kannten Sie ihn viel besser, stimmt's?", schmunzelte Jonas.
"Nein, nachher dachte ich, dass ich ihn überhaupt nicht kannte."
"Sie haben ihn wahrscheinlichverkannt!"
Wieder entstand eine kurze Pause, in welcher beide aus dem Zugfenster auf Englands Winterlandschaft starrten, ehe der Fremde erneut das Gespräch in Gang brachte.
"Da fällt mir Lord Ravenough ein."
"Wie bitte?", fragte Jonas, dessen Gedanken schon weiter gewandert waren.
"Ich sagte, da fällt mir Lord Ravenough ein. Ein Freund von mir, der mir auch erst vor kurzem anvertraute, dass er für seine Reiseabenteuer einen Ghostwriter sucht. Er war voriges Jahr in Ägypten und hat dort jede Menge wilde Abenteuer erlebt. Da meinte er, seine Memoiren wären fällig."
"Ach? Welch ein Zufall. Auch ich war voriges Jahr in Ägypten. Dort traf ich einen reizenden Engländer namens Professor Desmond - ups - jetzt hätte ich fast den Namen verraten, denn er war ebenfalls ein Kunde von mir."
Das stimmte nun wirklich, denn Jonas hatte dem Professor, mit dem er in Ägypten beinahe zu Tode gekommen wäre, sein Leben für ein Buch getextet. Und zwar zu dessen vollster Zufriedenheit, wie es auch auf seinem Konto pekuniär zufriedenstellend ausfiel.
"Sollte es sich einrichten lassen, suchen Sie doch den guten Lord Ravenough auf und bieten ihm Ihre Dienste an. Sie können sich auf mich berufen."
"Das ist sehr liebenswürdig. Wissen Sie, dass ich schon einmal einen Gentleman in einem englischen Zug kennengelernt habe, der mit mir ein anregendes Gespräch begann?"
"Nein, das wusste ich nicht."
"Ich kann Ihnen verraten, dass man auf Reisen immer jemanden trifft, der einem zu neuen Einsichten verhilft", redete Jonas begeistert weiter. "Das Wichtigste ist, sich die richtige Denkweise anzutrainieren und ein Umfeld zu finden, in welchem man sich gegenseitig mit Wissen unterstützt, dann ist so gut wie alles machbar."
"Sie sagen es, mein Bester. So ging es mir auch unzählige Male", bekannte der Fremde.
"Verraten Sie mir ein Beispiel, das Ihnen noch erinnerlich ist?"
"Gerne, lassen Sie mich überlegen..." Nun kratzte er sich mit einem Zeigefinger an der Schläfe, ehe er erfreut mit den Fingern schnippte. "Ja, die Story ist gut. Passen Sie auf!"
"Ich bin ganz Ohr!"
"Vor Jahren fuhr ich durch Schottland. Ich saß an einem Fensterplatz und starrte nach draußen, es dämmerte bereits. An einer Seite ragte der Berg empor, auf der anderen klaffte eine Schlucht und wir durchquerten einen Tunnel, fuhren auf eine Brücke zu. Seltsame Schatten bewegten sich plötzlich die hohe Felswand entlang. Ein nächtlicher Gespensterreigen, von mir mit Herzklopfen beobachtet. Es waren nur die Bäume unten am Fluss, die für kurze Momente ihrem ortsgebundenen Dasein entkamen, um am gegenüberliegenden Ufer im flimmernden Scheinwerferlicht der Autos zu tanzen."
"Wow, Sie können spannend erzählen."
"Das will ich meinen, aber der Clou kommt noch. Die Strecke mäanderte mit dem Fluss dahin. Hinter jeder Kurve konnte eine Überraschung warten. Im besten Fall eine Gruppe Kühe, die stoisch wiederkäuend ein Treffen abhalten, aber im letzten Moment den Weg freigeben. Doch diesmal lag quer über den Schienen eine künstlich errichtete Barrikade, gegen welche die Diesellokomotive krachend prallte. Mich warf es glatt vom Sitz!"
"Um Gottes Willen", fürchtete Jonas schon Schlimmes.
"Finstere Gesellen enterten den Zug, marodierten durch die Wagons und erleichterten alle um ihre Wertgegenstände. Ich war empört und weigerte mich, diesen Verbrechern auch nur einen Penny zu überlassen."
"Wow, Sie haben Mut", ereiferte sich Jonas.
"Und meine Tapferkeit brachte diese Spießgesellen so aus der Fassung, dass sie sich gar nicht lange bei mir aufhielten, sondern gleich zu den anderen Fahrgästen kassieren gingen", berichtete er stolz.
"Sie können einen Zuhörer wirklich fesseln! Meine Oma war auch immer so erzählfreudig. Sogar beim Einkaufen. Die Kauffrau schaffte an Waren herbei, was sie von dem behielt, das ihr meine Oma angesagt hatte, produzierte dann ihrerseits einen langen Erzählschwall. So ging es immer hin und her. Ein Abschnitt aus der Bestellliste, die Kauffrau drehte sich dahin und dorthin, und der Berg auf dem Tresen wuchs. Dabei erzählte sie mal mit Bezug auf das, was sie von ihrer Kundin gehört hatte, mal schien ihre Erzählung von etwas ganz anderem zu handeln. Dann legte wieder meine Oma los und so weiter. Unglaublich."
"Bitte produzieren Sie keinen unnötigen Erzählschwall, sondern kommen Sie gleich zu Ihrer spannenden Reisegeschichte", forderte ihn der Fremde auf, welcher scheinbar auch von ihm eine Heldentat hören wollte.
"Es ist einige Jahre her, dass ich Urlaub in einer Almhütte machte. Wahrscheinlich war die Tatsache, dass ich alleine in dieser Hütte saß, eine gute Voraussetzung dafür, Ordnung in meinem Kopf zu schaffen. Andererseits war es eine einmalige Gelegenheit für mein Gehirn, einfach alles hervorzuholen, worüber ich während des normalen, stressigen Alltags als Reporter keine Zeit hatte nachzudenken. Jedenfalls brach ein Gewitter los. Ein Gewitter in den Bergen ist so elementar, nicht mit einem Gewitter in der Stadt vergleichbar."
"Das kann ich mir denken."
"Mir ging der Allerwerteste auf Grundeis, da ich auch nicht wusste, ob diese armselige Hütte einen Blitzableiter eingebaut hatte. Jedenfalls hörte ich einen Einschlag und beschloss ins Freie zu flüchten. Ohne mich umzusehen, rannte ich durch strömenden Regen den Berg hinab, wobei ich mehr stolperte als kontrolliert meine Beine einsetzte."
"Kann ich mir lebhaft vorstellen."
"Im Tal unten suchte ich Schutz im ersten Haus, das auf dem Weg lag. Wie ein Verrückter klopfte ich an die Haustür, rief dabei etwas wie 'Hilfe, der Blitz hat mich getroffen'. Ich frage mich noch heute, wie ich den steilen Weg ohne Absturz geschafft habe."
"Die Angst verleiht Flügel", wusste der Fremde.
"Jedenfalls öffnete mir eine Frau in einem schönen Dirndlkleid, bat mich herein und führte mich in die gemütliche Stube, wo an einem Tisch ihr Mann scheinbar schlief. Ich setzte mich ihm gegenüber und sie kredenzte mir eine Flasche Rotwein, die ich mit dem von ihr gereichten Stoppelzieher entkorkte. Sie brachte zwei Gläser, ich schenkte erst ihr, dann mir ein und wir prosteten uns zu."
"Während der Mann weiter schlief?"
"Jetzt kommt der Clou: ich fragte sie, ob ihr Mann immer so tief schläft, da sagte sie 'Mein Mann ist gerade gestorben'. Und just in dem Moment lugte die Sonne hinter den Gewitterwolken hervor und blendete mich durch das Fenster hindurch."
"Wie bizarr!"
"Mir kam es verdächtig vor, also fragte ich, woran er denn gestorben sei, und die frischgebackene Witwe eröffnete mir 'An seiner Zigarettensucht'. Sie beschwerte sich bei mir, dass er den ganzen Tag über geraucht habe, da wären die Gardinen ganz gelb von geworden, dann hätte er sogar noch im Bett geraucht und nun endlich, hätte er die letzte Zigarette seines Lebens geraucht. Dabei deutete sie auf den vollen Aschenbecher zwischen uns. Es stank in dem Haus wirklich ausgesprochen unangenehm nach Nikotin."
"Verstehe, der arme Mann hatte eine Nikotinvergiftung."
"Mit den letzten Sonnenstrahlen, die hinter dem Wilden Kaiser verschwanden, schwand auch der letzte Tropfen aus meiner Rotweinflasche", beendete Jonas seine Erzählung, die zwar keine Heldentat beinhaltete, immerhin jedoch für den fremden Zuhörer sehr ergötzlich schien.
"Wussten Sie, dass jeder Zigarettenstummel zirka 4.000 Chemikalien enthält, die ein Baum über seine Wurzeln aufnimmt und die ihn krank machen können?", prüfte ihn Jonas nun.
"Sehr interessant! Entschuldigen Sie mich, ich muss an der nächsten Station aussteigen."
"Danke, äh- wie war doch gleich Ihr werter Name?"
"Den hätte ich fast vergessen zu nennen, man kennt mich hier. Ich heiße Fountainberry, Gregory Fountainberry."
"Dann wünsche ich Ihnen noch einen schönen Tag, Mr. Fountainberry!", verabschiedete ihn Jonas und überlegte sich, den genannten Lord Ravenough sogleich aufzusuchen. Er würde ihm erzählen, im Zug seinen Freund getroffen zu haben und - wie der Zufall es wollte - eine überraschende Absage seines Kunden bekommen zu haben. In Anbetracht seiner pfiffigen Idee überkam ein Lächeln sein Antlitz, ehe ihm einfiel, dass Fountainberry ihm nicht die Adresse des Lords genannt hatte...
2. Kapitel:Abenteuer im Schloss
Aus den Lautsprechern des Einkaufszentrums tönte der neue Hit einer hierzulande prominenten Sängerin. Kein Zweifel, erkannte Jonas, dieses Weihnachtslied hatte das Zeug zu einem Evergreen, der es jedes Jahr in die Hitparade schaffen würde, immer zur Weihnachtszeit.
Schon ertappte er sich, den Text mit zu singen: "Someone will wait for me - nearby the Christmas tree! To give me all I need -nearby the Christmas tree!I seem to be forgotten, but now it's clear to see: Somebody is waiting for me - nearby the Christmas treee! Let's see what's there for me - nearby the Christmas tree! Nothing else is bothering me - nearby the Christmas tree! I always had so much heartache but now it's time to feel free - nearby the Christmas tree! I guess Mr. Right soon is next to me - nearby the Christmas tree! I don't need expensive presents or other mystery - I only need somebody who takes good care of me - nearby the Christmas tree! So let's see what's Santa's Gift for me! Last year it wasn't what I need but this year it's fun to see - you my Darling, nearby the Christmas tree! A long time nobody watched over me but now on christmas eve the right one's here for me - nearby the Christmas treeee!"
Wahrlich, mit diesem Happy Sound konnte man den größten Griesgram hinter dem Ofen hervorlocken.
Seine momentane Situation sah - vor allem finanziell - leider nicht so enthusiastisch, sondern eher trist aus, da er seine ganzen Ersparnisse in einen Schrebergarten mit Rohbau für seine Oma investiert hatte. Ihre Ersparnisse wiederum reichten gerade für den Verputz, die Einrichtung und den Umzug. Nun residierte sie zwar im Grünen, doch er lebte nun mehr ins Blaue hinein.
Das erste, was er als Journalist lernte, war, sich von der Planbarkeit des Lebens zu verabschieden. Dauernd umdisponieren und neue reißerische Themen auftun müssen, wurde ihm zur Gewohnheit.
Der Song endete und ein Werbesprecher verkündete: "Das war Penny Plenty mit ihrem neuen Hit 'Nearby the Christmas tree'. Wir möchten unsere werten Besucher darauf hinweisen, dass sich im ersten Stock ein Süßigkeiten-Shop befindet, der heute alles um zehn Prozent günstiger anbietet. Wir wünschen guten Appetit!"
Mit einer Tüte gebrannter Mandeln in der Hand verließ Jonas gegen Ende des nächsten Songs das Geschäft, wanderte wieder zum Ausgang in die kühle Luft der schönen Landschaft der englischen Stadt hinaus. Ostentative Ziellosigkeit bewog ihn dazu, ein wenig in der pittoresken Ortschaft am Hafen nahe des Marinestützpunktes Devonport herum zu schlendern. Seinen Trolley, den er bei Müdigkeit auch als Sitzgelegenheit nutzte, hinter sich her ziehend, überlegte er sich dabei, dass es wohl besser wäre, sich schnellstens bei diesem Lord einzuschleimen, anstatt sich hier ein billiges Zimmer zu suchen.
So beschloss er also, sich nach des Lords Adresse bei seiner lieben Kollegin Lisa Plochl in Wien via iPhone kundig zu machen, da diese voriges Jahr zufällig über englischen Adel berichtete. Nach kurzer Recherche konnte sie ihm Highgrove 66, South Harris als Ziel nennen. Zuvor kehrte er noch in einer Druckerei ein, wo er sich zehn exquisite Visitenkarten drucken ließ. Die 13 Pfund, die man ihm dort abverlangte, schienen ihm hervorragend investiert zu sein. Nur nicht am falschen Platz sparen, sagte er sich, da er wusste, dass der erste Eindruck zählte. Und für diesen gab es leider keine zweite Chance.
Nach kurzer Zugfahrt kam er an seinem Ziel an. Zu seinem Erstaunen lag vor ihm ein hochherrschaftliches Anwesen, wie er es nur aus den englischen Filmen kannte. Der Butler - ein stämmiger Kerl in Livree, welcher auch als Rauswerfer in einem Nachtclub hätte arbeiten können - empfing ihn mit überheblichen Blicken und nahm seine frisch gedruckte Visitenkarte eher widerwillig entgegen. Man schien hier Fremden gegenüber ein gerüttelt Maß an Misstrauen zu hegen.
"Bitte melden Sie mich seiner Lordschaft. Ich habe ihm ein wichtiges Angebot zu machen."
Der Butler entfernte sich, es war nur das leise Ticken des Pendels einer Standuhr in der Halle zu vernehmen. Es dauerte eine halbe Stunde, Jonas stellte seinen Trolley neben die breite Eingangstür, an deren anderer Seite bereits ein ungeschmückter Weihnachtsbaum auf seinen späteren Einsatz zu warten schien, und stand noch immer an derselben Stelle, an der ihn der Diener verlassen hatte, bewunderte den Kristalllüster, der wie ein Damoklesschwert über ihm schwebte.
Naja, dachte er sich, der dicke Butler ist nicht mehr der Jüngste und wird wohl erst ein passendes Tableau suchen müssen, auf dem er meine Karte dem Lord standesgemäß servieren kann.
Die Zeit schien sich zu dehnen, das Ticken der Uhr erfolgte scheinbar in längerem Intervall.
Ach ja, dachte er sich wehmütig in einer Art innerer Einkehr, Weihnachten: Ein besonderer Tag der Völlerei, der Trunksucht, Gefühlsduselei, Annahme von Geschenken, öffentlichem Stumpfsinn und häuslichem Protzen gewidmet, sagte schon Ambrose Bierce, ein amerikanischer Schriftsteller, der von 1842 bis 1914 lebte.
Wie recht der doch damit hatte, fand Jonas und ließ einige Weihnachtsfeste Revue passieren: 1997: Papa poliert die Weingläser, poliert dabei so heftig, dass er den Stiel abbricht, ihn sich in die Hand rammt, wie ein Schwein blutet und im AKH genäht werden muss. 1998: Katze Miezilein frisst wieder mal Lametta und speit es hemmungslos in Mamas neue High Heels. 1999: Der Adventskranz begeht Selbstmord durch Kerzenbrand und verraucht die gesamte 3-Zimmer-Wohnung. 2000: Oma torkelt mit Eierlikör und Blutdrucksenkern intus in den Christbaum und reißt ihn samt den teuren mundgeblasenen Kugeln aus Murano ins Verderben. 2001 fiel ins Wasser: Vater und Mutter machten aus ihm ein Scheidungskind, bzw. einen Scheidungs-Twen.
Endlich tauchte der Diener wieder auf und unterbrach Jonas' depressiven Gedankengang.
"Seine Lordschaft lässt bitten!"
Verhaltenen Schrittes folgte Jonas dem Butler die breiten Marmorstufen hinauf in den ersten Stock, weiter durch einen langen Gang - sogar ein Speisenaufzug war hier eingebaut und flitzte leise summend, wohl mit exotischen Köstlichkeiten bestückt, auf und ab - weiter durch ein getäfeltes Vorzimmer über teure Teppiche in den Salon, wo ein soignierter Herr in einem Tweed Anzug auf einem wuchtigen Lederfauteuil thronte. Der Butler blieb an der Tür stehen, während Jonas ein gewinnendes Lächeln aufsetzte und in den ungefähr 80 m2großen Raum eintrat, an dessen Wänden Gemälde der Ahnen des Schlossherrn prangten und zahllose Kunstgegenstände herumstanden. Das Sonnenlicht fiel durch große Fenster, an denen Brokatvorhänge den exzellent stilsicheren Geschmack eines Innenarchitekten verrieten. Neben dem Lederfauteuil stand ein Tischchen, auf dem sich ein Schachspiel mit grünen Jadefiguren befand. Der Schlossherr schien hier alles gesammelt zu haben, was gut und teuer war.
Hier und jetzt, in diesem altertümlichen Ambiente eines Feudalschlosses im neugotischen Stil, kam er sich wie ein verarmter Verwandter aus der sowjetischen Tundra vor. Vor allem als er in das strenge faltendurchfurchte Gesicht des Lords blickte, dessen buschige weiße Augenbrauen sich leicht zu senken schienen.
"Schönen guten Tag, eure Lordschaft, mein Name ist Jonas Jericho", stellte er sich mit leichter Verbeugung vor, "Journalist und Ghostwriter, wie Sie schon meiner Karte entnehmen konnten, empfohlen von Ihrem Freund Mr. Fountainbleu."
"Fountainbleu?" Der Lord machte ein ratloses Gesicht. Das folgende Schweigen schien ohrenbetäubend, ehe er endlich aufklärte: "Sie meinen wohl Fountainberry."
"Ja, natürlich! Mr. Gregory Fountainberry", stimmte er schnell zu, wischte sich automatisch über die Stirn, "den ich per Zufall im Zug kennenlernte und ihm von meiner Tätigkeit erzählte."
"Der alte Gregory, gibt immer jovial-überheblich für viel Geld vor, ein Adliger zu sein."
"Das hat er mir gegenüber nicht getan. Wir sprachen ganz zwanglos miteinander. Da empfahl er mir Sie, werter Lord Ravenough, wofür ich ihm dankbar bin, denn leider kam der Deal mit meinem ursprünglichen Kunden für sein Buch nicht zustande."
"Das bedaure ich zu hören. Liegt es daran, dass Sie eventuell zu teuer sind?"
"Naja", druckste Jonas herum und hoffte inständig nun keine zu hohe Summe zu nennen. "30.000 Euro finde ich durchaus angemessen für meine Zeit."
"Ich werde mir das in Pfund umrechnen. Nehmen Sie inzwischen Platz und erzählen Sie mir von sich." Aus der Jackentasche seines Sakkos zog er sein Mobiltelefon und nutzte augenscheinlich dessen Rechner.
"Danke!" So elegant wie möglich ließ sich Jonas auf den Fauteuil gegenüber dem Lord nieder und versuchte mit sprachlicher Brillanz zu punkten. "Ich entstamme einem Wiener Gemeindebau, dem man die Notwendigkeit darin Menschen unterzubringen deutlich ansah, anstatt die Begeisterung, einem aufstrebendem Autor Quartier zu bieten. Meine frühe Jugend verbrachte ich jedoch im feinen Landhäuschen meiner Großmutter, was einen vorteilhaften Kontrapunkt zum üblichen Vroom-Vroom-Rhythmus der Großstadt darstellte. Nach der mittleren Reife studierte ich Journalistik, Medientechnik und Englisch, fand einen interessanten Job bei der 'Kleinen Zeitung' und konnte erst kürzlich einem Ihrer Landsleute, einem sehr angesehenen Professor, seine Lebenserinnerungen zu seiner vollsten Zufriedenheit in spannende Form bringen."
"Das hört sich ja sehr vielversprechend an. Da haben Sie schon etwas geleistet. Und das in noch jungen Jahren", bemerkte der Lord.
"Ja, Disziplin und Selbstkontrolle, das sind bei mir stets wache und hochaktive Zellhaufen!", scherzte Jonas.
"Was halten Sie von meinem bescheidenen Heim?" Prüfend blickte ihm der Lord ins Gesicht und steckte sein Mobiltelefon wieder ein.
"Überwältigend, auf so ein Schloss muss man eigentlich auf einem stolzen Schimmel zureiten, da darf man nicht mit dem Auto anrollen. Und erst die herrliche Innenarchitektur! Eine gelungene Kollision von Kunst, Geschichte und Tradition. Hier zu leben, wo alles die Kultur Ihrer Vorväter atmet, muss wirklich wie ein Jungbrunnen auf Sie wirken."
"Na, jetzt übertreiben Sie aber, junger Mann, ich besitze keinen Schimmel, für mich tut es auch ein Bentley, aber", hier machte er eine Kunstpause, ehe er fortfuhr, "Sie gefallen mir!"
Jonas war froh, dass der Lord den Lärm des Steins, der ihm eben vom Herzen kollerte, nicht vernehmen konnte. Scheinbar hatte er so etwas wie eine Aufnahmeprüfung bestanden. Noch wusste er wenig von den hohen Ansprüchen seines künftigen Auftraggebers. Obwohl er ohnedies nicht erwartete, dass der betagte Herr vor Freude über sein Angebot einen Rückwärtssalto vollführt.
"Wir machen es am besten so", schlug dieser vor. "Sie ziehen bei mir ins Gästezimmer ein, momentan logiert hier nur eine meiner Urenkelinnen, dann begeben Sie sich ins Büro, wo ein Computer und ein Drucker bereit stehen, schreiben mir ..." Es folgte wieder eine kleine Pause. "Sagen wir, 20 Seiten bis morgen früh, drucken sie aus, ich lese mir Ihr Exposé durch und dann entscheide ich, ob Sie bleiben und die 25.000 Pfund Sterling verdienen werden."
Erfreut erhob sich Jonas. "Ich werde Sie nicht enttäuschen, Lord Ravenough!"
"Byron, bringen Sie Mr. Jericho ins obere Gästezimmer, das grüne Zimmer mit Blick gen Osten."
"Sehr wohl, eure Lordschaft."
Der Butler brachte den neuen Gast auf sein Zimmer und versprach, ihm sein Gepäck, welches in Form des Trolleys noch unten stand, herauf bringen zu lassen. Das Zimmer zeigte sich genauso geschmackvoll eingerichtet wie der Rest des Schlosses. Hier lag ein grüner Perserteppich im Wert eines Jahresgehalts von Jonas herum und er überlegte sich krampfhaft, was er wohl schreiben sollte, um dem alten Herrn die 25.000 Pfund aus der Börse leiern zu können. Am besten etwas über Ägypten, nahm er sich vor, natürlich nicht dasselbe, das er für den Professor geschrieben hatte.
Wenig später, genau genommen um 16.30 Uhr saß er mit einem Teller, auf dem ein Gurken-Sandwich lag, und einem Glas Ale im besagten Büro vor dem Computer und tippte sich die Seele aus dem Leib. 20 Seiten waren nicht wenig. Aber immerhin konnte er selbst den Text bestimmen. So schrieb er einfach alles, was ihm zum Thema Ägypten einfiel, da Fountainberry ja davon sprach. Angefangen von den Erzählungen des Taxifahrers, der ihn damals zum Flughafen gefahren hatte, bis zu seinen eigenen Erlebnissen, die er nicht schon für das Buch des Professors verbraucht hatte. Der Anfang schien ihm schwierig, doch schließlich fielen ihm drei passende Sätze ein:
Manche Städte verkörpern das Gefühl von Freiheit gepaart mit Abenteuer, nach welchem der danach süchtige Reisende sich so sehnt, mehr als andere. Bei Kairo ist das so. Der Atem der Geschichte liegt über der Sphinx und ihren Bewunderern sowie jenen, die in ihrem Dunstkreis arbeiten müssen.
Wunderbar, lobte sich Jonas selbst, ehe er flüssig weiter schrieb.
Da stand also etwas von einem aufdringlichen Kameltreiber, dessen treues Tier Jimi Hendrix hieß. Dass Österreich auf ägyptisch Nemsa hieß und dessen Einwohner in dem Lande der Pyramiden überaus beliebt seien. Vor allem als zahlende Urlauber und abenteuerlustige Ingenieure, die für Bautätigkeiten gern zu rate gezogen wurden. Auch, dass viele eigentlich verbotene Unternehmungen, wie z. B. die ausgiebige Erkundung einer Pyramide oder das Erklimmen einer Säule, mit Bakschisch doch möglich gemacht werden konnten. Er beschrieb genau seine Befindlichkeiten, respektive jene des Lords, in den er sich ja hineindenken musste:
Vor mir surrt ein auf Stufe 3 eingestellter Ventilator, der alle acht Sekunden meine mit Schweißperlen bedeckte Stirn mit kühlem Wind streichelt. Ich fühle die Hitze der vor dem Hotelfenster lauernden Wüste kaum, weiß von den Nöten der Berber nichts und stelle mir vor, wie ich das Abenteuer meines Lebens bewältige, sobald ich einen Fuß aus meiner Komfortzone setze und mich unter die geschäftigen, laut in fremder Sprache schnatternden Einheimischen begebe. Ungeduld kommt in mir hoch. Mein linker Fuß beginnt stark zu wippen, kann es kaum erwarten, mich nach draußen zu tragen, zwischen all diese einfachen Leutchen, die mit so wenig zurechtkommen müssen, während ich doch ein Nutznießer des Überangebots an allem bin. Mit wachen Augen streife ich durch das nach Regen dürstende Land, beobachte seine Bewohner bei ihren Tagesgeschäften, lasse mich in einer Kutsche an den Rand der Wüste bringen, als bereits der Schatten der Nacht gefallen war. Allein im Land der Pharaonen fühle ich mich den Sinnfragen nicht mehr ausgeliefert. Über mir leuchtet der Gürtel des Orion, genau darunter die majestätischen Pyramiden, daneben ich voller Ehrfurcht mit Ringen unter den Augen wie jene Saturns.
Weiters ließ Jonas sein Fachwissen über die teils doch funktionierende Zusammenarbeit der Polizei mit der Presse glänzen und teilte dem geneigten Leser sein tatkräftiges Mitwirken an der Aufklärung eines Mordfalles sowie der Verhinderung eines ganz groß aufgezogenen Diamantenschmuggels mit. Etwas, das auch in einem seiner letzten Artikel die Bevölkerung beider Länder erfreut hatte. Und immerhin wusste er nun, dass Jimi Hendrix als Kamel wiedergeboren wurde. Manchmal ertappte er sich dabei, wie er sich wunderte, eine dieser abstrakt denkenden Kreaturen mit einem Bewusstsein sein zu dürfen, die auf dieser Erde wandelten.
Zufrieden mit seinem Werk konnte Jonas mit etlichen Absätzen 19 Seiten vorweisen, also schrieb er noch einen Epilog über die Trinkfreude englischer Touristen im Ausland dazu. Diese tranken nämlich so als würden sie dafür bezahlt. Die Damen wurden hemmungslos und die Herren grob, dafür konnten sie später einmal, wenn der Abschied für sie kam, behaupten, jeden Tropfen Leben genossen zu haben.
Ha, das hat Feuer, freute er sich. Dann druckte er alles wie gewünscht aus und zog sich gegen halb zwei Uhr früh in sein Gemach zurück, wo er schlief wie ein Toter. Bis zu dem Zeitpunkt wo ihn jemand am Fuß zupfte, was ihn hochschrecken ließ.
Als sich seine Augen an die langsam zurückweichende Dunkelheit gewöhnt hatten, erkannte er eine wohlbekannte Gestalt mit kokettem Hütchen, fragte aber dennoch perplex: "Mrs. Christie, sindSiees?"
"Ja sicher, oder haben Sie etwa den Geist Kleopatras erwartet, nachdem sie sich vorhin so mit einem Ägypten-Aufsatz geplagt haben?"
Aus ihren Augen blitzte der Schalk. Das konnte Jonas sogar noch in der Dunkelheit erkennen.
"Haha, nein, ich habe sogar gehofft, dass wir uns hier in Ihrem schönen Heimatland wiedersehen. Hatten Sie Sehnsucht nach mir?" Langsam richtete er sich im Bett auf.
"Ehrlich gesagt: Ich habe Journalisten nie gemocht. Ich habe sie alle in meinen Büchern sterben lassen. Aber für SIE mach ich eine Ausnahme und freue mich, wenn ich Ihnen helfen kann."
"Naja, was heißt helfen, ich habe mich doch bisher ganz gut ohne Ihre Hilfe geschlagen, nicht wahr, Mrs. Christie?"
"Stimmt! Sich hier in einem feinen Schloss einzunisten ist Ihnen wirklich gelungen, allerdings warten noch einige Aufgaben auf Sie, mit denen Sie leicht überfordert sein könnten."
"Zum Beispiel?"
"Sie haben doch die Zeitung gelesen, nicht wahr?"
"Sie meinen die vergifteten Jungs?"
"Eben diese!"
"Schlimme Sache!"
Agatha sah ihn mit ihren gütigen Augen an und meinte: "Menschen, die zu Gift greifen, um andere Menschen loszuwerden, haben auch eine vergiftete Seele. Der Vater eines der Toten schlug vor, jemanden mit wenigstens einem halben Hirn mit den Ermittlungen zu beauftragen."
"Da haben Sie gleich an mich gedacht, stimmt's?"
"Nun, ich denke, wir beide könnten der Polizei ein wenig zur Hand gehen, damit der oder die Schuldige zur Rechenschaft gezogen werden kann", behauptete sie im Brustton der Überzeugung.
"Na, glauben Sie nicht, dass es der hiesigen Polizei gelingen kann, ihn oder sie dingfest zu machen?"
"Nicht so schnell, wie es sich gehört!"
"Sie meinen, nicht so schnell wie in Ihren Romanen?"
"Ja, das auch! Seit Lucrezia Borgia bin ich die Frau, die am meisten Menschen umgebracht hat, allerdings mit der Schreibmaschine."
"Sie sind wirklich eine reizende alte Dame!"
"Wer mit siebzig eine reizende alte Dame sein möchte, muss als 17-Jähriges Mädchen damit anfangen. Und das hab ich getan. Ich tue es sogar noch über meinen Tod hinaus."
"Und so erfolgreich", bemerkte Jonas. "Aber Ihre Erwähnung eines Mädchens lässt mich gleich an die kühlen englischen Frauen denken, die kontinentale Männer um den Verstand bringen."
"Sind Sie gar ein Frauenheld, Mr. Jericho?"
"Würde ich nicht sagen, aber ältere Damen schließen mich schnell ins Herz!"
Nun musste sie lächeln.
"Sie haben mich einmal gefragt, ob ich wieder ein Mensch aus Fleisch und Blut sein möchte...", erinnerte sie sich.
"Ja, und Sie verneinten, weil das zu viele Nachteile hätte, die Sie nicht müde wurden, mir aufzuzählen."
"Nun, an Weihnachten wäre ich doch wieder gern ein lebender Mensch und würde meine Nachfahren verwöhnen. Mit vielen Geschenken und den kulinarischen Köstlichkeiten."
"Seien Sie nicht traurig! Sie haben Ihre lieben Verwandten mit den Tantiemen für Ihre Kriminalromane so großzügig versorgt, dass Sie diese nicht mehr beschenken müssen." Insgeheim wünschte sich Jonas, er wäre einer davon.
"Da haben Sie wohl recht", stimmte sie zu, "doch es wäre eine Herzensangelegenheit für mich, unverhofft bei ihnen auf zu tauchen und sie mit meiner Liebe noch aus dem Reich der Toten zu überhäufen."
"Davon würde ich abraten, denn wenn Sie bei denen so einfach herumspuken, riskieren Sie, dass zumindest einer davon einen Herzinfarkt bekommt. Oder alle auf einmal!"
"Na, das will ich auf keinen Fall. Doch wenn sie meine starken Nerven geerbt haben, halten sie es aus."
Auf einmal klopfte es. Verwirrt sah er zur Tür, dann zu Agatha, die auf einmal verschwunden war. Daher machte er seine Nachttischlampe an, schwang sich aus dem Bett und öffnete die schwere Eichenholztür seines Gästezimmers. Doch davor stand niemand. Merkwürdig, dachte er, habe ich den Besuch der alten Dame nur geträumt, oder jetzt das Klopfen?
3. Kapitel:Die kesse Urenkelin
Der reich gedeckte Frühstückstisch im Speisesaal des Schlosses lud Jonas geradezu zum Völlern ein. Bevor er zulangte, offenbarte Jonas noch seine Erkenntnis bezüglich des Status seines Hausherrn und Gastgebers.
"Sie haben sicher viele Bewunderer und auch Neider, Lord Ravenough."
"Ja, völlig zu Recht!"
Diese selbstgefällige Antwort zeigte Jonas deutlich, dass sein präsumtiver Auftraggeber nicht leicht zufriedenstellbar sein wird.
"Sagen Sie, junger Mann, was halten Sie eigentlich von den modernen Medien, Facebook, Twitter, Instagram und wie das Zeugs alles heißt?", schien ihn der Lord nun zu prüfen.
Jonas überlegte kurz und ahnte schon, was der alte Herr hören wollte.
"Furchtbar! Egal, ob einer den Scheren des Krebses entkommen ist, eine Darmspiegelung zeigt oder sich über das neue Spielzeug seines Hundewelpen freut. Alles muss sofort gepostet werden. Und diese ewig gleichen Fotos, die auf allen möglichen Internetportalen veröffentlicht werden. Alle zeigen ihre gebleichten Zähne oder vielmehr die gute Arbeit ihres Dentisten. Das finde ich, gelinde gesagt, stark übertrieben."
"Das ist auch meine bescheidene Meinung", ließ der Lord zufrieden verlauten, während er sein iPhon beiseite legte.
"Nur im Notfall würde ich einen Vermissten-Aufruf teilen", fügte Jonas noch sicherheitshalber hinzu.
"Wie ist Ihr Verhältnis zu Geld?", wollte der Lord nun wissen.
"Geld ist ein Symptom, oder eher ein Hilfsmittel, das wir erfunden haben, um werten zu können und ein funktionierendes Miteinander zu ermöglichen, nachdem die Tauschwirtschaft zu schwierig geworden war", erklärte ihm Jonas.
"Interessante Meinung, hört man viel zu selten." Die buschigen weißen Augenbrauen des Lords hoben sich und ließen auf Respekt gegenüber seinem Gast schließen. "Ihr Elaborat hat mich sehr amüsiert. Vor allem das Kamel mit dem Namen Jimi Hendrix gefiel mir, obwohl ich diesem Künstler nie etwas abgewinnen konnte."
Innerlich jauchzte Jonas, dachte: Juhu, er hat schon alles gelesen - den Job hab ich schon in der Tasche! "Sie können das Kamel in Ihrem Buch selbstverständlich auch Elvis Presley nennen, das gehört zur künstlerischen Freiheit."
Zustimmend nickte der Lord, ehe er mit Blick auf sein Frühstücksei bekanntgab: "Ob Sie die Anstellung erhalten, hängt allerdings noch von jemand anderem ab. Ich lege in dieser Angelegenheit auch Wert auf die Meinung meiner Urenkelin. Da sie eine ausgesprochene Langschläferin ist, kommen Sie daher noch in den seltenen Genuss, unser Gast zu Mittag zu sein."
Verdammt, dachte Jonas, die Kleine hat womöglich einen exzentrischen Einschlag, der mich aus dem Spiel katapultieren kann. Sich nichts von seiner düsteren Vorahnung anmerken lassend sagte er jedoch: "Das ist aber sehr liebenswürdig gegenüber Ihrer Verwandten, denn sie kommt sicher auch in Ihrem Buch vor. Was hat die junge Dame für ein Glück, solch einen Urgroßvater zu ihren Ahnen zählen zu dürfen."
"Ja", stimmte er erneut zu. "Das hat sie zweifelsohne!"