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Eigentlich möchte der Sanktus das Eröffnungswochenende im Bier-Wellnesshotel „Holledauer Hof“ mit seiner Familie genießen, doch dann taucht eine Leiche im Pool auf - um kurz darauf wieder spurlos zu verschwinden. Alfred Sanktjohanser, der den Toten entdeckt hat, macht sich gemeinsam mit seinem Freund Graffiti auf die Suche nach Leiche und Mörder. Alle geladenen Ehrengäste scheinen ein Motiv zu haben und das Weißbier, das der Sanktus als Eröffnungssud in der hauseigenen Brauerei brauen muss, wird zum Totensud …
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Seitenzahl: 347
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Andreas Schröfl
Weißbier-Requiem
Der »Sanktus« muss ermitteln
Ein Sud zum Mord »Schuld an der ganzen Misere war eigentlich sein Schwager, der Hannes, der mit dieser hirnrissigen Idee dahergekommen ist, seinem Bekannten, dem Haslinger Konrad, mit dem ersten Sud an diesem Eröffnungswochenende zu helfen.« Alfred Sanktjohanser, der Sanktus, lässt sich überreden im Bier-Wellnesshotel »Holledauer Hof« zu brauen. Doch als der Sanktus früh am Morgen seinem Freund, dem Drengler, zum Hotelpool folgt, da er vermutet, dass dieser nach deutscher Manier Liegen mit Handtüchern besetzt, entdeckt er die Leiche des Hotelbesitzers Haslinger, die im Wasser treibt und kurz darauf, als die örtliche Polizei eintrifft, wieder verschwunden ist. Um zu beweisen, dass er nicht verrückt ist, macht sich der Sanktus mit seinem Freund Graffiti auf die Suche nach dem Toten und dem Mörder. Die Auswahl an Verdächtigen ist erdrückend, da sich herausstellt, dass eigentlich alle Ehrengäste eine Rechnung mit Haslinger offen hatten. Die Spuren führen Jahre zurück auf das Oktoberfest, ins Münchner Erotikmilieu und bis zum Balkankrieg. Niedertracht, Hass und Missgunst lassen den Sanktus verzweifeln.
Andreas Schröfl, 1975 in München geboren und aufgewachsen, erlernte das Handwerk des Brauers und Mälzers in einer Münchner Großbrauerei. Anschließend studierte er an der Universität Weihenstephan und arbeitete fünf Jahre als Braumeister in einer bayerischen Brauerei. Andreas Schröfl lebt mit seiner Familie in einem Dorf am Rande der Hallertau. Die Sanktus-Bier- und München-Krimis vereinigen seine Liebe zum Beruf, die Verbundenheit mit München und der bayerischen Tradition sowie seine langjährige Leidenschaft für Kriminalromane.
Bisherige Veröffentlichungen im Gmeiner-Verlag:
Hopfenkiller (2018)
Schlachtsaison (2017)
Altherrenjagd (2016)
Brauerehre (2015)
Personen und Handlung sind frei erfunden.
Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen
sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.
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© 2020 – Gmeiner-Verlag GmbH
Im Ehnried 5, 88605 Meßkirch
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Alle Rechte vorbehalten
1. Auflage 2020
Lektorat: Claudia Senghaas, Kirchardt
Herstellung/E-Book: Mirjam Hecht
Umschlaggestaltung: U.O.R.G. Lutz Eberle, Stuttgart
unter Verwendung eines Fotos von: © b-fruchten / photocase.de
und © MarkusL / stock.adobe.com
ISBN 978-3-8392-6326-6
Der Mensch ist eine Sau!
Aber niemand hat jemals eine Sau gesehen,
die die hinterfotzigen Charaktereigenschaften des Menschen besitzt.
Alfred Sanktjohanser, der »Sanktus«, Bierbrauer und Hobbydetektiv
Familie:
Kathi, seine Frau, Programmiererin, ruhender Gegenpol zu ihrem Mann
Martina, Kathis Tochter, schwierig, da in der Pubertät
Schorschi, Sanktus’ und Kathis Sohn, der einzig Vernünftige
Anna, Sanktus’ große Schwester und Mutterersatz
Jean-Pierre, »Hannes«, ihr Lebensgefährte, Autohändler, zünftig, trinkfreudig
Der alte Sanktjohanser, Sanktus’ Vater, Familienoberhaupt, oft anstrengend
Sanktus’ Freunde und Ermittler:
Quirin Himsl, der »Graffiti«, Sanktus’ Jugendfreund und zwielichtiger Geschäftsmann, sehr gutaussehend, Bazi
Dr. Jens Engler, der »Drengler«, Steuerberater und Bekannter, Preuße, Schicki-Micki und Gschaftlhuber
Ulrike, seine Frau, muss viel mit Jens aushalten
Betty-Lou, deren Tochter, Fan von Rita Koslowski
Bhuphinder Singh, Inder, Wirt und Koch im Stammlokal »Neue Kirche«, katastrophaler Autofahrer
Ashwini, seine Nichte, Bedienung in der »Neuen Kirche«, trägt Sari, Schönheit
Im Bier-Wellnesshotel:
Oskar »Sipp« Haslinger, Hotelbesitzer, typisch bayerische Erscheinung
Annette, seine Frau, gutaussehend, durchtrieben
Jessica, deren Tochter, Kopie der Mutter
Tom, deren Sohn, nervös, Kokser
Theres, Haslingers Tante, rigoros
Daniela Meierhofer, Reporterin bei der »Müncher Morgenpost«, quirlig, hübsch
Thumann, der »Thupsi«, Wirt des Bärenbräuzelts, nervös, sieht aus wie ein Walross
Marion und Hartl Altenberger, Wiesnwirte, Spitznamen: Marianne und Michael
Anneliese Grünmandl, Wiesnchefin, für ihr Alter gutaussehend und dynamisch
Cecilia »Cilli« Meier, ihre Begleitung, altmodisch
Amadeus Hoffmann, Mitarbeiter beimFinanzier des Hotels, blasse Erscheinung
Anja Hoffmann, seine Frau, sehr anziehend, sieht aus wie Barbara Carrera
Sebastian Jordan, Schankkellner bei Haslinger, mürrisch
Olivia Rubenbauer, Tochter des Vorbesitzers von Haslingers Wurstbraterei auf dem Oktoberfest, alternativ angehaucht
Pater Josephus, alter Freund der Familie Haslinger, sympathisch
Die Polizei:
Bine Schranner, amtierende Kommissarin, hat alles im Griff
Hans Bichlmaier, der »Bichä«, Kommissar im Krankenstand, mag nicht mehr
Rudi Bergmann, Franke, alter Freund von Sanktus, Pfundskerl
Weitere:
Rita Koslowski, Moderatorin, bekannt aus Funk und Fernsehen
Helga von Dorn, Bekannte von Olivia Rubenbauer, dürr, ausgemergelt
Pater Božidar, Jugendfreund von Sanktus, verhinderter Advokat
Die südländisch aussehende Frau blickte dem Mann stoisch in seine lüstern funkelnden Augen. Ihre Worte erinnerten an das Zischen einer Schlange.
Fass mich nicht an!
Warst doch früher ned so. Komm her und zier dich ned, Mausi.
Einen Schritt näher und ich bring dich um, du Arschloch.
Tu das Messer weg. Du schneidst dich bloß aus Versehen. Schöner Zufall, dich hier wiederzutreffen. Wie lange ist das jetzt wohl her?
Fast 25 Jahre. Ich hätte drauf verzichten können.
Was willst denn dann von mir?
Die Adresse!
Welche Adresse?
Du weißt genau, welche Adresse ich meine. Stell dich nicht dümmer, als du bist. Ich will ihre Adresse.
Ja, sie schau an! Das kannst vergessen.
Dann muss ich wohl der Presse etwas von deinen Machenschaften erzählen. Deinen sexuellen Vorlieben. Deinen Geschäften. Deinen dunklen Seiten. Was denkst du?
Da redet die Richtige. Du kannst mich nicht erpressen. Du nicht. Wer im Glashaus sitzt, der muss im Keller scheißen, ned wahr?
Was verlangst du?
Das weißt du ganz genau.
Er näherte sich der Frau und begann, ihre Brüste zu massieren. Sie hatte verstanden. Sie öffnete seine Hose, zog sein Glied heraus und begann, es zu liebkosen. Kurz bevor er kam, hielt sie seinen Penis fest in ihrer Hand, zückte ihr Messer erneut und hielt es gegen die Peniswurzel. Der Mann nannte nun der Frau schwitzend und stotternd die gewünschte Adresse. Lächelnd kniete sie sich vor ihn hin und vollendete ihr Werk mit dem Mund. Jedoch nicht, ohne das Messer zu entfernen.
Die gutaussehende blonde Frau war dermaßen erregt, dass sie es vor Zittern kaum noch schaffte, den Schlüssel in das Haustürschloss zu stecken. Maria, ihre schlanke, südländisch wirkende Begleitung, schien ihr etwas zu schüchtern, doch sie hoffte, in ihr heute noch ein Feuerwerk entfachen zu können. Ihr Herz raste, ihr Schritt brannte vor Verlangen, und ihr Slip war bereits völlig durchnässt. Während sie mit einer Hand versuchte, das Schloss zu öffnen, drückte sie ihre Errungenschaft mit der anderen gegen die Haustür und küsste sie leidenschaftlich. Maria erwiderte den Kuss noch zögerlich.
Endlich war die Tür offen und sie schob ihre Partnerin die Treppe hinauf ins Schlafzimmer. Sie warf sich, vor sexueller Vorfreude jauchzend, auf das japanische Futonbett. Schnell zog sie sich aus, wobei sie Maria keine Sekunde aus den Augen ließ. Auf diesen Typ Frau hatte sie seit Jahren gewartet. Diese sexuelle Ausstrahlung, dieser Körper, diese Naivität. Sie war so unverdorben. Ein Rohdiamant. Maria musste ungefähr genauso alt wie sie selbst sein, doch sie würde sie formen, sie zu ihrer Sexsklavin ausbilden, ihre Mentorin, ihre Herrin sein. Jetzt zog sie auch Maria die Kleidung aus und betrachtete sie. Ein Schauer der Begierde überkam sie erneut. Lachend lehnte sie sich zurück und fuhr der erschrockenen Frau mit ihren nackten Füßen über die Brust. Das Bild ihrer eigenen schlanken, muskulösen Beine, der bordeauxfarben lackierten Nägel ihrer Zehen, die die dunklen Brustwarzen massierten, turnte sie noch mehr an. Maria sah ihr nun fest in die Augen, fing zögerlich an, ihre Beine, von den Unterschenkeln an aufwärts, zu küssen. Ihr Herz begann zu rasen, als sich Maria auf sie legte und ihre Brüste und die etwas zu üppig geratenen Lippen zärtlich mit den ihren liebkoste. Sie sah Maria in ihre fast schwarzen Augen und glaubte, unendliches Verlangen darin entdecken zu können. Sie konnte ihre Nippel auf den eigenen fühlen. Endlich spürte sie, wie sie Marias feingliedrige Finger an ihrer intimsten Stelle streichelten. Das würde den ersten Orgasmus des Abends auslösen und weitere würden folgen. Ganz sicher. Sie wollte die junge Frau mit ihren Armen umschlingen, doch die band nun ihre Hände mit einem Seidentuch zusammen an das Bettgestell. So eine bist du, dachte sie. Wohl doch nicht so roh, dieser Diamant. Bis zum Äußersten erregt, lag sie nun mit gefesselten Händen über ihrem Kopf da und ließ sich mit den Fingern liebkosen, wobei Maria mit dem Mund an ihren Brustwarzen sog. Sie spürte, wie sich der Druck des Orgasmus immer stärker aufbaute, und genoss, das Becken kreisend, das aufkommende Zittern. Endlich durchfuhren sie kurze Blitze der Erleichterung, und sie fühlte sich unendlich frei.
Umso härter traf es sie, aus heiterem Himmel ein Kissen auf ihrem Gesicht zu spüren. Sie rang nach Luft, versuchte, ihre Hände freizubekommen. Die Atemnot wurde immer stärker, bunte Lichter tanzten vor ihren Augen. Sie versuchte, Maria mit Tritten ihrer Beine und Zuckungen ihres ganzen Körpers von sich wegzuschlagen. Ihr Kopf drohte zu zerspringen. Kurz darauf verlor sie das Bewusstsein.
Sau tot!
Jetzt wenn du meinst, der Sanktus ist nur in den Kurzurlaub gefahren, um zu beweisen, dass er auch außerhalb Münchens eine Leiche finden kann, bist du falsch unterwegs. Weil erstens hat er ja seinerzeit den toten Kübrich in Berg am Starnberger See, also außerhalb der Landeshauptstadt, entdeckt, und zweitens hat er es seit all dem Tod und Mordswahnsinn des Hopfenkillers eigentlich nicht mehr darauf angelegt. Wäre er ja auch fast dabei draufgegangen, der Sanktus, wie du weißt.
Schuld an der ganzen Misere war eigentlich sein Schwager, der Hannes, der mit dieser hirnrissigen Idee dahergekommen ist, seinem Bekannten, dem Haslinger Konrad, mit dem ersten Sud an diesem Eröffnungswochenende zu helfen. Der Haslinger hat nämlich ein großes Wirtshaus in München und eine Wurstbraterei auf der Wiesn gehabt, musst du wissen. War ihm aber noch nicht genug, diesem Ruach, also macht er jetzt ein Bier- und Wellnesshotel mitten im Hopfenanbaugebiet, also in der Holledau, auf. So mit Hopfenaromatherapie und so weiter. Dazu zukünftig Bier aus der hauseigenen Brauerei und Bio-Hopfengarten. Aber was hilft dir die schönste Brauerei, wenn dir der Braumeister vor dem ersten Sud auf und davon läuft? Richtig! Gar nix. Und da ist der Hannes auf den Sanktus gekommen, weil der sich mit so etwas auskennt, wegen gelernter Brauer und Bierwerkel. Belohnung quasi ein verlängertes Wochenende für die ganze Familie, all inclusive, samt Wellnessanwendungen für die Damen.
Die eine der Damen, also die Kathi, war natürlich gleich Feuer und Flamme, weil erster Urlaub seit Ewigkeiten, und sie und die Kinder wären eh mehr als urlaubsreif. Und so hat der Sanktus widerwillig klein beigeben müssen. Selbst ein Auto hat ihnen der Hannes, da ja Besitzer des Autohauses Meierhofer, zur Verfügung stellen wollen, und so war dann wirklich kein Ausweg mehr für den Sanktus offen.
Er hat eigentlich überhaupt keinen Bock gehabt, in dieses Bier-Wellnesshotel zu fahren, denn A hat er sich nichts drunter vorstellen können, und B hat er sich gedacht, dass der Schickimicki-Faktor bei so einer Eröffnung immens sein würde. Und Schickis für den Sanktus rotes Tuch, weißt ja eh. Der Hannes ist ihm zwar inzwischen sympathisch gewesen, aber er und die Anna haben da so Bekanntschaften unter den Münchner Promis gehabt, die es dem Sanktus die Zehennägel aufstehen haben lassen. Und der Haslinger hat definitiv dazugehört.
Selbst seine Angst, dass der Hanspeter alleine in der Bierwerkel, ihrem gemeinsamen Craft-Bier-Laden mit hauseigener Mikrobrauerei, im Sommer untergehen werde, hatte die Kathi mit der Sommerflaute während der Urlaubszeit abgetan, und der Sanktus hatte somit endgültig verloren.
Wo der Sanktus dann seine Schwester, die Anna, fast umgebracht hätte, war, als sie den Vorschlag gemacht hat, ihren Vater, also den alten Sanktjohanser, den Sanktä, auch mitzunehmen. Die Kinder jedoch happy, die Kathi großzügige Zustimmung, und der Sanktus Verzweiflung praktisch kein Ausdruck.
Aber das war alles nichts gegen den Tag der Abreise. Klassiker. Wart’s ab!
Schon am Vortag hat der Sanktus schwarzgesehen, denn er und der Schorschi hatten ihr Gepäck bereits seit langem hergerichtet, da war von der Kathi und der Martina noch nicht die leiseste Spur einer Aktion in Richtung »Ich packe meinen Koffer« erkennbar. Nur herumgewuselt sind sie, dass du meinen kannst, ein Bienenschwarm ist in der Wohnung. Aber dass einmal irgendwo ein Wäschestapel oder Ähnliches am Entstehen gewesen wäre, praktisch totale Fehlanzeige.
Der Sanktus hat den Schorschi um acht Uhr ins Bett gebracht, hat seine Sachen und die des Buben in eine Sporttasche geworfen und sie der Kathi demonstrativ vor die Nase gestellt.
»Also, wir sind fertig. Wie schaut’s bei euch aus?«, hat er sich noch zu fragen getraut, und dann hat er bei dem verschnupften Gesicht von der Kathi schon grinsen müssen.
»Weißt du eigentlich, was ich noch alles erledigen hab müssen?«, hat die Kathi ihn angeschnauzt.
»Nein«, hat der Sanktus abgewinkt. »Weiß ich ned. Und will ich auch gar ned wissen. Morgen um zehn ist auf jeden Fall Abfahrt. Ob du alles erledigt hast oder nicht. Guad Nacht, Frau Sanktjohanser.«
Dann hat er ihr ein Bussi auf den Mund gedrückt, ihr einen Klaps auf den Hintern gegeben und ist ins Bett.
Frau Sanktjohanser? Ja, da hast du richtig gehört. Der Sanktus hatte sich dann doch irgendwann durchgerungen und der Kathi einen Antrag gemacht. Mister Romantik quasi in Person, kannst du dir ja wahrscheinlich vorstellen, aber die Kathi hatte angenommen, und somit war der Sanktus ein verheirateter Mann. Die Geschichte vom Antrag und der Hochzeitsfeier an sich ist schon ein eigener Kriminalroman, würde jetzt aber zu weit führen. Nur so viel sei gesagt: Die Flitterwochen waren für den Herbst geplant, und so war der jetzige Kurztrip ein prima Testballon.
Wie der Sanktus so entspannt in seinem Kissen gedöst hat, hat er die beiden Damen in der Wohnung rumoren und ab und zu streiten hören können. Die würden sicherlich noch bis Mitternacht brauchen, bis sie ihre Kosmetiktaschen, Sportutensilien und ihren gesamten Weiber-Krimskrams gepackt haben würden. Gott sei Dank waren er und der Bub schon fertig.
Der Sanktus jetzt ein Lächeln auf den Lippen.
Er ist kurz darauf in tiefen Schlaf gefallen, weil total ausgelaugt von den ausufernden Vorbereitungen, also der der weiblichen Familienmitglieder. Jedoch für einen Mann zusehenderweise trotzdem anstrengend. Logisch, weil emotionale Belastung.
Als die Kathi ein paar Minuten nach eins ins Bett gekommen ist, ist der Sanktus kurz aufgewacht.
»So! Endlich ist die gnä’ Frau auch fertig«, hat sie geschimpft und sich deutlich erschöpft in das gemeinsame Bett fallen lassen.
Der Sanktus hat wieder gegrinst, hat sich umgedreht und zu schnarchen begonnen. Dass die Kathi ihn mit einem mörderischen Blick bedacht hat, hat er nicht mehr bemerkt und zu träumen angefangen.
Ferien! Und endlich einmal wegfahren. Das erste Mal in seinem Leben. Jugoslawien. Der kleine Fredi ist aufgeregt, dass es der Sau graust. Noch nie war er für länger als einen Tag von München weg gewesen, weil der Vater war schon lang nicht mehr da, und die Mama hat nicht genug Geld gehabt, um mit ihm und seiner Schwester für längere Zeit zu verreisen. Doch dann hat die Loipeldinger Evi so lang in ihre Eltern hineingebenzt, bis diese eingewilligt hatten, ihren Kindergartenfreund, den Fredi, also den kleinen Sanktus, mitzunehmen. Die Evi und der Fredi sind nämlich unzertrennbar, ein Duo-Infernale und somit der Schrecken des ganzen Kindergartens in der Kirchenstraße.
Unten auf der Straße steht schon der zitronengelbe Audi 80 der Loipeldingers. Auf dem Gehsteig, was Anfang der 80er-Jahre Gott sei Dank niemanden stört. Der kleine Fredi ist nervös, und seine Schwester, die Anna, liegt seit dem vorigen Abend weinend im Bett vor lauter Neid und Wut, weil sie nicht mitkommen kann und die Ferien bei der Mutter verbringen muss. Der Fredi hat angeboten, ihr einen Sand vom Strand mitzubringen, aber das hat alles nichts geholfen. Dass es in Istrien nur felsige Strände gibt und der Sand Mangelware ist, weiß der kleine Sanktus nicht. Er malt sich alles aus, wie er es aus den Illustrierten kennt. Er und die Evi am Strand, mit einem Eis in der Hand, im Liegestuhl unter einem rot-weiß gestreiften Sonnenschirm. Natürlich mit Sonnenbrille auf der Nase. Er wird mit ihr weit ins Meer hinausschwimmen und Muscheln herauftauchen. Am Abend gibt es Pizza und Cola.
Der Sanktus ist schon gespannt, wie schnell der neue Wagen der Loipeldingers fährt. Ist ja ein Audi! Muss ein schnelles Gefährt sein, weil der Walter Röhrl mit dieser Marke alle Rallyes gewinnt.
Die Mama bringt ihn jetzt zur Straße hinunter. Sie trägt ihm den Koffer. Ein kleiner Kinderkoffer mit Schottenmuster. Heutzutage würdest du Augenkrebs kriegen, aber der kleine Sanktus ist mächtig glücklich, einen eigenen zu besitzen. Er hat ein ärmelloses T-Shirt und eine rote Shorthose mit weißen Streifen an. Keine von der Firma mit den drei Streifen, weil die Marke kann sich die Sanktjohanser-Mama nicht leisten. Die Klapperl an den Füßen sind auch schon recht ramponiert vom vielen Fußballspielen auf dem steinigen Hinterhof. Die weiße Kappe hat einen Werbeschriftzug und war umsonst. Aber der kleine Sanktus ist stolz wie Oskar.
Unten angekommen, umarmt ihn die Evi. Sie ist ein Einzelkind und froh, dass sie endlich einen Spielgefährten für den Urlaub hat. Evis Papa wuchtet gleich den Schottenkoffer in den winzigen Kofferraum des Audis. Die Klappe geht jetzt leider nicht mehr zu.
»Weil du immer so viel mitnimmst. Jetzt bringen wir nicht einmal mehr den Koffer von dem Buben rein«, mosert Evis Papa.
Er drückt den Koffer mit Gewalt in den Rest des Gepäcks. Das Auto wackelt. Frau Loipeldinger sieht zu Sanktus’ Mama, und beide Frauen schütteln den Kopf. Evis Vater knallt den Kofferraum jetzt mit Schwung zu, aber der Deckel will nicht einschnappen. Herr Loipeldinger legt nun sein ganzes Gewicht in die Waagschale und der Kofferraum schließt endlich. Leider erhebt sich in der Mitte des Blechs eine Dulle. Anscheinend eine Ecke von Sanktus’ Koffer.
Die beiden Frauen sagen nichts, der kleine Sanktus und die Evi prusten hinter vorgehaltener Hand. Herr Loipeldinger hat einen hochroten Kopf und zischt: »Kein Wort! Ich will nix hören. Habts mich? Steigts ein, bevor ich mir es anders überleg und wir bleiben daheim.«
Der kleine Sanktus kriegt noch ein Abschiedsbussi. Seine Mama weint und will die Umarmung gar nicht lösen. Ihm ist das saupeinlich. Evis Vater dreht sich um und drückt ihm einen gelben Kübel in die Hand.
»Fallst speiben musst!«, sagt er.
Der Sanktus schaut in den Eimer und verspürt sofort ein Grummeln im Magen.
Der Himmel war in Schwarz getüncht, und es hatte leicht zu regnen begonnen, als Ivana mit ihren Schwestern Marija und Anela, dem Nesthäkchen, von der Schule nach Hause kam. Die Mädchen waren hungrig und freuten sich auf den deftigen Bohneneintopf, den ihre Mutter am Vortag schon vorbereitet hatte. Der Unterricht war interessant gewesen, und die drei kümmerten sich wenig um die politische Situation in ihrem Land und um die wachsende Angst, die sich täglich mehr im Gesicht ihres Vaters widerspiegelte.
Es ging an diesem Tag alles sehr schnell. Kurz nachdem die Mädchen am Tisch der Küche des kleinen Hauses Platz nehmen wollten, waren laute Motorengeräusche, Schüsse und durchdringende Männerstimmen von der Hauptstraße her zu vernehmen. Durch die Vorhänge mussten sie mit Entsetzen beobachten, wie ihr Vater unter lautem Protest von fremden Soldaten aus seiner Autowerkstatt gezogen und auf einen Lastwagen verfrachtet wurde. Panik zeichnete sich auf dem Gesicht ihrer Mutter ab, sie fasste sich jedoch gleich wieder.
»Schnell, nach unten!«, wies sie ihre Töchter an, mit ihr in den Keller hinabzusteigen.
Dort angekommen, verrutschte sie ein halbgefülltes Regal, und ein Alkoven kam zum Vorschein, in den sie ihre Töchter bugsierte. Sie küsste und umarmte ihre Kinder.
»Wenn Papa und mir etwas zustößt, versucht, zu Pater Josip nach Zadar zu kommen. Er ist ein guter Freund von mir. Habt ihr gehört. Ihr müsst es versuchen. Er bringt euch weg aus dieser Hölle«, waren die letzten Worte ihrer Mutter, bevor sie nach oben, zurück in die Küche, verschwand.
Nach einiger Zeit wurde auch sie von den serbischen Soldaten abtransportiert. Die Geräusche des Kampfes zuvor, das Stöhnen der Soldaten und die verzweifelten Schreie ihrer Mutter, die sie von ihrem Kellerversteck aus anhören mussten, würden die drei Mädchen nie mehr vergessen.
Die Sonne war inzwischen aufgegangen, als der Kommissar Bichlmaier mit mürrischer Miene auf dem Beifahrersitz des Polizeiwagens die Teerstraße in Richtung Feringasee chauffiert worden ist. Seine Fahrerin, die Schranner Bine, ebenfalls Kommissarin, war genauso wortkarg und motivationslos wie ihr Chef auf dem Nebensitz. Er, da raus aus dem warmen Bett und weg von seiner Stillkrauth Brigitte, und sie, weil gestern Party und nur zwei Stunden geschlafen. Außerdem war sie immer noch in Gedanken bei dem gutaussehenden Flirt des letzten Abends. Gott sei Dank hatte sie keinen Alkohol getrunken und war so einigermaßen für den Dienst zu gebrauchen.
Dem Bichlmaier war schlecht. Richtig schlecht. Also magentechnisch. Er ist seiner Meinung nach schön langsam zu alt für solche Aktionen geworden. Sein 50. Geburtstag war erst vor kurzem, aber heute eher Gefühl wie ein 70-jähriger Opa. Bauchweh, Atemnot und ein Schädeldröhnen, das seinesgleichen sucht. Der Anblick von Leichen hat ihm mit jedem Jahr mehr zugesetzt, aber leider sind Leichen halt deine Kernkompetenz, wenn du bei der Mordkommission arbeitest. Da beißt die Maus keinen Faden ab. Seit langem hatte der Kommissar jeden Tag in der Früh beim Aufstehen das Gefühl, krank zu sein und den Dienst nicht antreten zu können. Dazu hat es ihn beim Zähneputzen immer gehoben, dass er eigentlich täglich in sein Wachbecken hätte kotzen können. Er war sich nicht sicher, ob er auf ein Burnout zusteuern würde. Eine Internetrecherche hatte jedoch ergeben, dass seine Symptome Gott sei Dank nicht zutreffend waren. Nichtsdestotrotz hat sich was ändern müssen, weil so hat es nicht weitergehen können.
»Halten S’ bitte kurz an, Frau Schranner«, hat der Bichlmaier gerade noch rausgebracht und nachdem das Fahrzeug gestoppt hatte, die Autotür aufgerissen und sich in das seitliche Feld übergeben. Ein einziges Röhren. Viel ist nicht gekommen. Nur Schleim und galliger Kaffee. Gefrühstückt hatte er ja nicht, um fünf in der Früh.
»Geht’s Ihnen ned gut?«, hat die Bine den Kommissar gefragt, nachdem er wieder im Auto gesessen ist.
»Naa, naa. Passt scho wieder. Hab da so einen Schleim, der würgt mich allerweil dermaßen. Muss mal zum Doktor und mir was dagegen geben lassen. Ist irgendeine Allergie«, hat der Kommissar geschwindelt.
In Wirklichkeit war es der Gedanke an die jetzt auf ihn zukommende Brandleiche, die am Feringasee gefunden worden war, der seinen Zustand verursacht beziehungsweise verschlimmert hatte. Einen verbrannten Menschen hatte er schon lange nicht mehr vor Augen gehabt. Kurz nachdem er in den Polizeidienst eingetreten war, hatte er einmal mit seinen Kollegen einen solchen Fall bearbeiten müssen. Anschließend hatte er durch den Anblick des verkohlten Leichnams wochenlang Albträume gehabt.
Die Kriminaltechniker sowie Notarzt und ein Einsatzfahrzeug der Feuerwehr waren bereits auf dem grasbewachsenen Parkplatz anwesend. Die Kollegen in ihren weißen Anzügen hatten sich um ein kleines Areal am Rand gesammelt. Auf der hinteren Stiege des geöffneten Notarztwagens ist eine blasse Joggerin, in eine Wärmedecke gehüllt, gesessen.
Der Bichlmaier hat sich mit der Schranner Bine gleich zu der Joggerin begeben. Die junge Frau hat noch immer gezittert, was für den Kommissar bedeutet hat, dass höchstwahrscheinlich sie die verbrannte Leiche entdeckt hatte. Der Anblick würde auch ihm gleich nicht erspart bleiben. Aber ein bisserl hat er’s noch hinauszögern können. Die Joggerin hat fast keine klaren Worte finden können, so ist sie unter Schock gestanden. Ihr Name war Simone Seibold, und sie war zu Sonnenaufgang hier am Feringasee zum Laufen gewesen. Zu dieser Zeit war es noch angenehm kühl und sie musste sich nicht durch unendliche Badegäste schlängeln, die später das Ufer dieses beliebten Sees bevölkern würden. Ihren Wagen hatte sie vorne am Parkplatz nahe des FKK-Geländes abgestellt. Auf ihrer Runde sei sie hier vorbeigekommen und habe den Rauch bemerkt. Nachdem sie den Anblick der Leiche verwunden hatte, hatte sie mit dem Handy den Notruf gewählt. Es waren weder Personen anwesend noch Autos am Parkplatz vorhanden.
Der Bichlmaier ist nun langsam in Richtung der weißen Anzüge geschlichen. Schnecke jetzt großes Vorbild. Sofort ist ihm ein leichter Geruch von verbranntem Fleisch in die Nase geweht, und er hätte sich jetzt schon fast vor seinem ganzen Publikum übergeben müssen. Tränen sind ihm in den Augen gestanden, so hat es ihn gewürgt. Die Spurensicherer haben sich zu ihm umgedreht und sind zu Seite getreten, so dass der Kommissar freie Bahn zur Brandleiche im Gras gehabt hat. Rettungsgasse sozusagen zentrales Vorbild. Den Bichlmaier hat es noch einmal gehoben, aber da hat er jetzt durchmüssen.
Der schwarz verkohlte Leichnam ist inmitten eines Brandflecks im Gras gelegen. Die Arme und Beine waren durch die Kontraktion der Muskeln und Sehnen, ausgelöst von der Hitze, in einem komischen Winkel angezogen. Fast so, wie wenn ein Baby schläft. »Fechterstellung«, ist es dem Bichlmaier durch den Kopf gegangen. Typisch für Brandleichen. Komischerweise keine Spuren von eingebrannten Kleidungsstücken. Der Bichlmaier hat langsam zum Kopf emporgeschaut. Aus dem Augenwinkel hat er noch ein paar lange Haare erkennen können. Der Figur nach hätte es sich um eine Frau handeln können. Nun hat er doch einen Blick ins Gesicht riskiert. Die Augenhöhlen waren wie verschmort, die Nase größtenteils weggebrannt und die Zähne haben weiß aus einem gefletschten Mund herausgeleuchtet.
Dann ist es schwarz um den Kommissar geworden.
Der Sanktus ist schon um halb acht aufgestanden, weil er das Auto vom Hannes hat abholen müssen. Eigentlich wäre es besser gewesen, das schon am Vorabend zu tun, wegen morgendlichem Stress und so, aber aufgrund der Parkplatzsituation in Haidhausen ein Ding der Unmöglichkeit, und die Damen wären ja eh nicht fertig gewesen. Somit hätte ein frühes Einladen wirklich keinen Sinn gemacht.
Also raus aus den Federn, in die Dusche und aufs Radl in Richtung Autohaus Meierhofer.
Der Hannes hat schon am Tresen des Ausstellungsraums auf ihn gewartet und geschmunzelt. Einen ganz neuen Testwagen habe er ihm hergerichtet. Ein Traum von einem Auto, mit einem Raumangebot, das seinesgleichen suche, praktisch genügend Kofferraum für die Kathi und die Martina. Automatik wegen dem Komfort und Sonder-Pipapo und Trallala, von dem der Sanktus nichts verstanden hat.
»Passt das, dass euer Vater bei euch mitfährt?«, hat der Hannes gefragt. »Ich weiß wirklich ned, wann wir loskommen. Und du kennst ihn ja. Da wird er nervös, wenn er herwarten muss. Es wird auch ned eng. Ich hab dir extra den größeren Wagen hergerichtet.«
Er hat ihm den Schlüssel und die Dokumente in die Hand gedrückt und ihn zu einem schwarzen Leichenwagen geführt. Also, es war natürlich kein wirklicher Leichenwagen, nur ein Kombi, aber dem Sanktus ist er so vorgekommen. Hat einfach so ähnlich ausgeschaut wie der vom Leichen-Seppi und seinem wahnsinnigen Vater, also dem Bestattungsdienst Hingerl. Dem Sanktus ist ein Schauder über den Rücken gelaufen, denn jedes Mal, wenn er den Seppi getroffen hat, hat der eine von Sanktus’ gefundenen Leichen wegfahren müssen.
Er hat sich in das Auto auf den Fahrersitz, der Hannes auf den Beifahrersitz gesetzt. Nachdem der Sanktus sehr ungern gefahren ist und auch schon länger kein Auto mehr bedient hatte, war er mit den Hannes-Erklärungen schlicht und ergreifend überfordert. Allein der Schlüssel war schon komisch, und der Sanktus hat nicht wirklich gewusst, was er damit tun sollte. Der Hannes hatte nichts anderes erwartet und gegrinst. Jetzt Suche nach der Gangschaltung, aber auch nicht da. Nirgends ist so ein blöder Knüppel zu sehen gewesen, nur ein Drehknopf an der Mittelkonsole. Der Hannes hat wieder gelacht und ihn auf den Hebel hinter dem Lenkrad hingewiesen. Wenn du in einem normalen Auto auf das Armaturenbrett schaust, siehst du zwei Anzeigen, den Tacho und den Drehzahlmesser, mit je einer Anzeigenadel, aber hier?
»Alles virtuell«, hat der Hannes gemeint und wie er das schwitzende Sanktus-Gesicht angeschaut hat, ein erneutes Lachen nur schwer unterdrücken können.
Jetzt hat Autohausbesitzer mit höllischer Geschwindigkeit an dem Knopf der Mittelkonsole gedreht und dem überforderten Sanktus alle »Features« wie Navigation, Klimaautomatik, Bluetooth-Telefonie und so weiter erklärt. Zentrum des Ganzen – das Display in der Mitte. Dem Sanktus jetzt komplett schwindlig und Schweißausbruch Scheißdreck dagegen. Nur Flimmern vor den Augen, und er ist sich vorgekommen wie eine Flasche, die randvoll ist und bei der jemand versucht, weiter mit einem großen Trichter etwas hineinzukippen, und alles rinnt über. Der Hannes hat gerade zu einer neuen Instruktion ansetzen wollen, da hat ihn der Sanktus unterbrochen und auf einen alten olivgrünen Mercedes E-Klasse-Kombi auf dem Nachbarparkplatz gedeutet.
»Gehört der auch dir?«, hat der Sanktus gekeucht.
»Ja, warum?«
»Nur so«, hat der Sanktus gestöhnt.
»Möchtest lieber den haben?«, hat der Hannes mit Tränen vor Lachen in den Augen gefragt.
»Ehrlich gsagt, ja. Der hier ist mir zu kompliziert.«
Der Hannes, der den Sanktus gekannt hat, hat jetzt schallend losgelacht und die Hände über dem Kopf zusammengeschlagen.
Der Sanktus ist jetzt geschmeidig und pomade wie ein Kutscher auf dem Bock aus beigem Leder in seinem 24 Jahre alten olivgrünen Gefährt gesessen und majestätisch über die Straßen des Münchner Ostens gefahren. Immer den Stern vor sich im Visier. Die Instrumente waren dort, wo sie sein haben sollen, der Knüppel der Handschaltung war auffindbar und alles war gut so. Ein bisserl ausgenackelt war sie schon, die Schaltung, und wenn der Sanktus richtig Gas gegeben hat, hat es ein bisserl gequietscht. Aber das war ihm völlig wurscht, weil gute Musik von Bayern 1, heruntergelassene Fenster und Sonnenbrille auf. Was willst du mehr. Kein Navi, das dich gestört hat, und keine Klimaanlage, von der du Schnupfen kriegst. Einfach eine »gmahte Wiesn«! Sein Radl würde er bei der Abgabe nach dem Wochenende wieder abholen.
Der Sanktus hat sich mit seinem neu organisierten Auto eine Lücke zwischen den Stempen am Rand des Gehsteigs vor seinem Haus am Johannisplatz gesucht und hat das Gefährt mit schleifender Kupplung und heulendem Motor in Millimeterarbeit vor die Haustür chauffiert. Hier hast du nicht parken dürfen, aber das hat der Sanktus in Kauf genommen, weil, schlepp du mal die Ausrüstung von zwei Frauen für ein verlängertes Wochenende mehr als 300 Meter durch die Hitze. Also! Er hat vorsichtshalber die Warnblinkanlage eingeschaltet, weil, das schaut aus, wie ich bin gleich wieder da. Außerdem sollten die Damen ja schon fertig sein, weil es bereits kurz vor halb zehn war.
Der Sanktus also mit vollem Elan die Treppen hinauf, die Wohnungstür auf und … und? Nichts! Kein einziger Koffer im Gang, aber du hast Teller klimpern gehört.
Er ist rein in die Küche und sofort strafender Blick von der Kathi. Die Kinder und der alte Sanktjohanser am Tisch beim Frühstücken.
»Du wolltest doch Semmeln holen?«
»Ich?«, seitens Sanktus.
»Klar!«, die Kathi. »Haben wir doch gestern ausgemacht. Für uns alle und den Opa.«
Tatsächlich! Da war was gewesen. Irgendwas hatte ihn die Kathi angeschafft, aber der Sanktus hat diese Anweisung irgendwie verdrängt gehabt. Peinlich, peinlich, aber noch war nichts verloren, weil ja nichts zugeben.
»A geh! Gar nichts hast gsagt. Jetzt wär ich wieder schuld. Ich hab ja schließlich das Auto abholen müssen. Wär halt die Martina schnell zum Bäcker gegangen, echt wahr, oder?«, hat sich der Sanktus echauffiert.
»Hab ich gmacht, Bub. Kein Stress. Ich hab alles im Griff«, hat der alte Sanktjohanser lächelnd gesagt. »Hast a gescheites Auto gekriegt vom Hannes?«
»Logisch!«, hat der Sanktus erwidert und war sich nicht so ganz sicher, ob die anderen das auch so sehen würden. »Also, wie schaut’s aus? Kömma’s packen?«
Blitze jetzt aus den Kathi-Augen. Angriff am Anrollen. Die Martina hat ihre verdreht und der kleine Schorschi hat den Sanktus fest im Blick gehabt und über seinen Papa gelacht.
»Sag a mal, hat’s dich, Herr Sanktjohanser? Ich pack gestern mit dem Mädl noch bis tief in die Nacht, und dann kann ich das Frühstück nicht rechtzeitig machen, weil der Herr die Semmeln vergisst. Ich hab noch die Betten gemacht, eine Brotzeit organisiert und euren Männer-Kulturbeutel hab ich auch noch hergerichtet. Das hättest du nämlich vergessen. So schaut’s aus. Und jetzt so eine saudumme Frage?«
»Frühstück war ja wohl früher, weil, wenn ich die Semmeln erst jetzt …«
»Bevor du zum Hannes fährst, haben wir ausgemacht, und wenn du jetzt noch weiter …«
Der Sanktus ist jetzt wortlos ins Wohnzimmer gegangen und hat zum Auto runtergeschaut. Noch war kein Strafzettel unter den Scheibenwischern zu sehen. Die Warnblinkanlage hat weiterhin beruhigend geblinkt.
»Um zehn fahr ich los!«, hat der Sanktus verkündet und hat sich wortlos mit einem Asterix-Comic aufs Klo verzogen.
Natürlich ist um zehn Uhr niemand außer ihm fertig zur Abfahrt gewesen. Wie zu erwarten war, hat sich die Martina noch um fünf Minuten vor geföhnt, und die Kathi ist von einem Zimmer zum anderen gehastet, dass du meinst, sie muss einen Geschwindigkeitsrekord aufstellen. Wenigstens waren alle Koffer inzwischen so weit zum Einladen hergerichtet. Zumindest hat es so ausgesehen. Der Sanktus und sein Vater haben der Kathi noch eine Weile zugesehen, dann haben beide den Kopf geschüttelt und das Gepäck wortlos zum Auto hinuntergetragen.
»Kommts dann runter, wenns fertig seids«, hat der Sanktus in die Wohnung hineingerufen, die Antwort oder Kommentare aber gar nicht abgewartet.
»Wos ist na des?«, hat der alte Sanktjohanser seinen Sohn gefragt und auf das olivgrüne Auto gedeutet. »Hat der Hannes nix Besseres für uns ghabt? So ein knickerter Uhu. Sauber, sag ich!«
»Den hab ich mir rausgesucht. Dieser Zeh hat mir gar ned gfallen. Der hat ausgeschaut wie ein Leichenauto!«
»Zeh?«
»Ja. So hat er gemeint, der Hannes.«
»C-Klasse! Mei, Bub. Mit Autos hast es du halt gar ned, gell«, hat sein Vater schmunzelnd gemeint. »Mir soll’s ja recht sein, aber deine Damen werden was zum aussetzen haben. Da kannst Gift drauf nehmen.«
Inzwischen hat sich eine kleine, ältere Politesse mit wasserstoffblonden Haaren in ihrer Münchner Parkwächteruniform zu den beiden gesellt. Weder der Sanktus noch sein Vater haben die Dame herannahen gesehen. Schließlich hat sie den Sanktus am T-Shirt gezupft.
»Sie! Da dürfen S’ fei ned stehen bleiben, gell«, hat sie ihm ins Gesicht geschrien.
»Mir san glei weiter. Mir laden nur schnell ein. Wissen S’ ja, wie des is, wenn man mit zwei Frauen verreist, … gell!«, hat der Sanktus geflötet.
»Na guad«, hat die Politesse gemeint, mit den Augen gerollt und den Finger warnend erhoben. »Weil Sie’s san. In einer Viertelstund’ komm i wieder, und dann san Sie weg. Versteh’ma uns? Des mein i fei ernst, gell!«
Und weg war sie.
»Also! Drehzahl, würd ich sagen. Ich schau rauf. Viel kann ja nimmer droben stehen. Der Kofferraum ist ja schon fast voll«, hat der Sanktus geschlussfolgert.
Der alte Sanktjohanser hat nur wissend gelächelt und den Kopf geschüttelt.
Nach einer halben Stunde hat der Sanktus schweißgebadet die Kofferraumklappe des alten Mercedes zugeknallt. Hoffentlich fliegt mir die Scheibe nicht raus, hat er sich gedacht und an die Dullackn im Deckel des alten Loipeldingers denken müssen.
Natürlich haben die Mädels länger als die Viertelstunde der Politesse gebraucht, und der Sanktus hatte schon geistig den 15 Euro auf Wiedersehen gesagt, aber bisher Glück. Also mit der Politesse, nicht mit dem Gepäck, wie du dir ja vorstellen kannst. Die Koffer, die bereits im Auto waren, waren natürlich noch nicht das Ende der Fahnenstange, und wie der Sanktus gemeint hatte, dass nun wirklich nichts mehr in den geräumigen Wagen hineingehen würde, ist die Kathi dann final noch mit der Martina heruntergekommen – der kleine Schorschi hatte sich vorher schon zu den Männern gesellt und hat auf dem Fahrersitz Autofahren gespielt – und beide haben ihre Beauty-Cases, die auch noch rein haben müssen, präsentiert.
»Was ist denn das?«, haben die beiden simultan ausgerufen und auf das alte olivgrüne Vehikel gezeigt.
»Ich wünsche keine Kritik. Hamma uns verstanden. Das ist ein 1A Urlaubsauto, und wenn’s euch ned passt, na bleibts daheim, und ich fahr mit dem Papa und dem Schorschi allein«, hat der Sanktus geschimpft und sich gedacht, wahrscheinlich eh ruhiger so.
Die Kathi und die Martina haben ihm wortlos ihre beiden zusätzlichen Gepäckstücke in die Hand gedrückt und sich angegrinst.
Der Sanktus jetzt kurz vor dem Durchdrehen, hat den halben Kofferraum wieder ausgeräumt, die Ladung umorganisiert und irgendwann war dann die Klappe wieder zu und der Sanktus vom Schweiß komplett durchnässt, weil, Stress, körperliche Arbeit und Sonnenschein, das mach mal mit!
Der Passant umrundet die Familie, die mit ihrem alten Auto auf dem Gehsteig steht. Anscheinend wollen sie in den Urlaub fahren, so vollgepackt, wie der Kofferraum ist. Die große Schlanke mit den kastanienfarbenen Haaren sticht ihm sofort ins Auge. Ihre fast grünen Augen und die Brüste, die sich unter dem T-Shirt abzeichnen, fesseln seinen Blick. Natürlich nur kurz, sonst wäre es zu auffällig. Die blonde Tochter ist noch zu jung. Aber sie würde sich später einmal schön auswachsen. Er spürt einen leichten Druck in seinem Schritt und überlegt, wann er das letzte Mal Sex mit seiner Frau gehabt hat. Das ist lange her und seine Alte regt ihn sowieso nur noch auf. Ständig hat sie etwas an ihm auszusetzen. Nichts kann er ihr recht machen. Er dreht sich noch einmal um und riskiert einen Blick auf die Schlanke. Geiler Arsch, muss man anerkennen, denkt er sich, und der Druck in der Jeans nimmt zu. Früher hat er seine Nachbarin gevögelt, wenn die Alte wieder einmal Migräne hatte. Die hat seine Sauereien am Anfang mitgemacht, ließ ihn jetzt aber nicht mehr ran. Er wollte sich aber nicht schon wieder nur einen auf dem Klo runterholen. Für den Puff war er zu geizig. Oder er würde sich nehmen, was sein eheliches Anrecht war. Grinsend verlässt er die Szene.
Gerade als sie einsteigen wollten, ist die Politesse zurückgekommen, hat dem Sanktus einen Strafzettel in die Hand gedrückt und gesagt: »Jetzt sagen S’ ned, i hätt Eahna ned gwarnt, gell. Schönen Urlaub!«
Der Sanktus wollte ihr gerade Worte wie »Mistpritschn«, »Matz« oder Ähnliches nachrufen, da hat ihm die Kathi den Zettel aus der Hand genommen, ihn zärtlich geküsst und gemeint: »Ich bekenn mich schuldig. Komm! Fahr’ma los.«
Der Sanktus hat sich also doch beruhigt und ist über den Gehsteig zur nächsten Einfahrt und von dort auf die Straße gefahren. Sein T-Shirt hat unangenehm zwischen seinem Körper und dem Ledersitz gepickt, aber das war ihm egal, weil endlich Abfahrt. Beim Einfahren in die Straße hätte er vor lauter Elan, weil endlich los, noch fast einen Radler auf die Motorhaube genommen, was ihm einen Schwall an Verwünschungen beschert hat. Die Kathi hat ihn strafend angeschaut, hat aber lieber nichts gesagt.
»Der hat jetzt Glück ghabt!«, hat der Schorschi von hinten gerufen.
Das nächste Unglück hat aber nicht lange auf sich warten lassen, weil, der Sanktus, auf Mercedes und ganz Drengler, ist mit Tempo 80 aus der Wiedenmayer- in die Ifflandstraße geschossen und hat, gerade als die Kathi »langsam« gesagt und er auf den Tacho geschaut hat, schon das Blaulicht im Rückspiegel gesehen.
»Warum haltst du an?«, hat der Schorschi gefragt.
»Boxenstopp«, hat die Kathi gemeint und die Augen verdreht.
Der Sanktus ist rechts rangefahren und war sich nun definitiv sicher, dass der heutige Tag verflucht war. Hat es noch schlimmer kommen können? Logisch, weißt du, weil, aus dem inzwischen blauen Polizeiauto sind der Burgmaier Charlie und der Hofer Lenz ausgestiegen. Beide in neumodischen blauen Uniformen. Trotzdem wie immer, Hochziehen der Gürtel, Zurechtrücken der Mützen, Bewegungen, also Schweben, wie in Zeitlupe und die unvermeidlichen Spiegelbrillen im Gesicht.
»Öha! Der Sanktjohanser. Was grinst denn so deppert?«, hat ihn der Charlie gefragt, nachdem der Sanktus sein Fenster runtergelassen hatte.
»Schön seids beinand, ihr zwei. Also farblich, mein ich. Hat so was Dynamisches«, hat der Sanktus herausgepresst, weil vor Lachen kurz vor dem Explodieren.
»Eher damisch, ned dy-namisch«, hast du es leise vom alten Sanktjohanser im Fond des Mercedes hören können.
»Findst?«, der Hofer Lenz, der den Sanktä-Ausspruch nicht gehört hatte. Jetzt spöttischer Blick und Kopfschütteln seitens Charlie.
»Ja, nett, wie die Schlümpfe«, hat der Sanktus gelacht, und ihm hat es Tränen aus den Augen gerückt.
Der Charlie inzwischen puterrot im Gesicht.
»So, Spezi! Führerschein und Fahrzeugpapiere. Und wieder einmal Beamtenbeleidigung. Kann er halt nicht lassen, der Herr Sanktjohanser, gell!«, hat der Burgmeier konstatiert und den Hofer um Bestätigung heischend angesehen.
»Geh, Charlie«, hat der Hofer Lenz interveniert. »Wir reden doch selber immer von unserem Schlumpfgwand, oder?«
Jetzt hast du merken können, dass der Charlie den Lenz am liebsten ungespitzt in den Boden geschlagen hätte, und der Hofer Lenz, der das ebenfalls gemerkt hat, ist noch käsiger geworden, als er so schon war. Weiße Wand Anfänger.
»Guad«, hat der Charlie durchgeschnauft. »Wie schnell war ma denn unterwegs? Da is Tempo 60.«
Die Kathi vor lauter Fremdschämen stummer Blick in den Fußraum, die Martina und der Schorschi eher gespannt, was nun folgen würde.
»Höchstens 70«, hat der alte Sanktjohanser plötzlich mit tiefem Bass von der hinteren Sitzbank vorgerufen. »Und jetzt lasst uns weiterfahren, Karli. Was meinst?«
»Sa … Sanktä. Servus. Ah so? Ja, ja. Genau. Höchstens 70«, hat der Charlie gestammelt. »Na, dann ist’s ja ned schlimm, gell. Also dann, gute Fahrt!«
»Aber bei 70 kost’s doch auch 15 Euro?«, hat der Hofer naiv gefragt.
»Du, wennst jetz ned glei dei blöde Fotzn haltst, dann …«, hat der Charlie den Hofer Lenz gepackt, aber mehr haben die Fahrzeuginsassen nicht mehr verstanden, weil die beiden Polizisten schon in Richtung Streifenwagen und außer Hörweite waren.
»Jetzt fahr weiter. Auf geht’s«, hat der alte Sanktjohanser seinen Sohn angewiesen. »Bevor er es sich anders überlegt. Brauchst gar ned fragen, ich erzähl’s dir später. Is ned ganz jugendfrei.«
Der Sanktus hat völlig geplättet den Motor angelassen, ist losgefahren und hat wieder an seine Fahrt mit der Evi nach Jugoslawien gedacht.