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Das Gedicht lebt. Es bringt Gefühle und Eindrücke auf kleinstem Raum zum Ausdruck und stiftet Gemeinschaft zwischen Schreibenden und Lesenden. Ob es neckisch mit Klang und Bedeutung der Worte spielt, um die ewigen Themen des Lebens ringt oder die Tiefen der Seele ergründet - immer lässt es den ganz individuellen Blick seines Schöpfers oder seiner Schöpferin auf die Welt aufblitzen und knüpft enge Bande über Zeit und Raum hinweg. Die Welt der Poesie erkundet die lyrischen Landschaften unserer Zeit. Vom scheinbar schlichten Haiku bis zum vielgliedrigen Gedichtzyklus, von der klassischen Form des Sonetts bis zum freien Spiel mit der Sprache präsentiert dieser Band die Werke zeitgenössischer Dichterinnen und Dichter. Hier wird die Schönheit der Natur besungen, in zarten Versen an geliebte Menschen erinnert, das Wunderbare im Alltag entdeckt und in humorvollen wie schmerzhaften Zeilen das Zeitgeschehen kommentiert. Ein Dokument der Kreativität und Vielseitigkeit heutiger Poesie.
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Seitenzahl: 92
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VORWORT DES HERAUSGEBERS
CHRISTIAN BARSCH
HEXE KRET
ERNST BÜHLER
Lebensklang
Lebensabend
Johannisnacht
KLAUS BUTENSCHÖN
Aus meinem Zettel.Kasten
FRANK DELONIE
Bombenhagel
Der Literat
SONJA DWORZAK
Lyrischer Jahreskreis
CHRISTIAN ENGELKEN
Werkstattbericht
REGINA FRANZISKA FISCHER
Expressis Verbis
DIE LIEBE GOTTES WIRKT WUNDER
HAIKU
ERKENNTNISSE – TAGEBUCH
WERNER HAUKE
Bioprodukte
MARTINA HELLER
Zuhause
LENA JÖRK
Was bleibt
PETER KLEINE
Was bleibt?
RITA KOCHER
Seelen–Freund
Junge Liebe
Gartenkinder
Blick zurück
Aus der Mitte
HILDE MAI
Sagen und Träume von morgen und vieles mehr
JOANNA MASSELI
Auf dem Weg
GÜNTHER MELCHERT
Neunzehn Elfchen
Wessen Geistes Kind ist das Universum?
Gottes Kreativität
Eine Laune der Natur
Lauras trauriges Lied
Es werde Licht, bis es erlischt
Nachhall vom Urknall
Die Krux zwischen Stolz und morschem Holz
Ein Mädchen tief im Schneckenhaus
Gott von Afrika nach Europa – danach zum schönen Rheine und zurück bis zur Ukraine
EMILY MÜLLER
Entfremdung und unwirkliche Realität
MARIA QUINIUS
Zeitlupe
KLAUS J. ROTHBARTH
FARBEN.
FLUT.
CHRISTOPH SCHMASSMANN
Kaffeekranz
Lehrstunde
Nachtgedanken
ROSWITHA CHARLOTTE SCHWENK
Metabasis
SIGRID STEINKE
Vom Eichhörnchen
Der Krieg gegen die Ukraine
Die Völker als Spielball der Mächtigen
Die Ukraine und Russland
STEFFEN TEICHMANN
Winterlich
t 1
Winterliche 2
Wiesenstimmen 3
Hitze
Hitzliebwiese
Im Sommergarten
Wilde Wiese
Der Käfer Kunibert 5
WellenwasserLiebeslied
Liebesschmerzen
Zwiesprache
Wind
Spätsommer 1
Wiesenstille
Die Schnecke Anette 11
Hitze 2
Böse Nachbarn
Klassenkampf
Pandemischer Herbst
Sturm
Russisches Roulette
In memoriam N.R.
Was bleibt
Freunde der Natur
Herbert Hose
Mumuh die Kuh
Das Stuhlbein
Die Käsevollmondnacht
Die Maus
Märzwiese
Spätsommer 2
träumende Stille
Die Stille und ich
Herbstnieselnass
JASMIN TREYSSE
Einzig die Erinnerung
WOLFGANG A. WINDECKER
Fußballgott
INNA ZAGRAJEWSKI
Sehend werden
Autorenspiegel
Begegnen wir dem Ausdruck „Poesie“, so denken wir vornehmlich an fantasievolle Darstellungen, mit denen unsere Lebenswirklichkeit literarisch oft wiedergegeben wird. Vornehmlich sind es Texte in Versen, wodurch sie sich äußerlich abheben von anderen Darstellungsarten. Hinzu kommen weitgehend akzeptierte Regeln für die Struktur in den einzelnen Versen. Dies alles lässt uns von einer Dichtkunst sprechen, die in den Sprachwissenschaften „Poetik“ genannt wird.
Vorzugsweise erfassen die Inhalte jener Gedichte die angenehmen Seiten unseres Daseins, nebenbei aber auch die Schönheiten der Natur, die uns nah oder fern umgeben. Die deutsche Klassik und auch die Romantik haben hierin die ersten Höhepunkte hervorgebracht, und dies mit einer Vorbildwirkung bis in die Jetztzeit. Die in den Gedichten beispielhaft geordnete Sprache war geeignet für ein zeitweiliges Bündnis mit musikalischen Formen. Kirchenlieder, Volkslieder und auch eine große Zahl Kunstlieder verdanken ihre Entstehung und weitere Entwicklung diesem innigen Bündnis.
Gesichertes Wissen ist freilich auch, dass zurückliegende Menschheitsepochen weit davon entfernt waren, durchgehend erfreulich zu sein. Bedrückende Ereignisse aller Art und mit ihnen verknüpfte Notzeiten kennzeichneten diese Epochen. Auch etliche Ereignisse der Gegenwart reihen sich hier ein und zwingen der Kunst immer wieder neue Themen und Darstellungsweisen auf.
Besonders zugespitzt zeigen sich diese Phänomene in Zeiten von Großkriegen wie dem gegenwärtigen zwischen Russland und der Ukraine. Man mag hier wohl fragen, wo die Dichtkunst gegenwärtig ihre Themen findet, die sie sich meistens im Sozialen erschlossen hatte. Denn inzwischen ertappen wir uns alle bei einem Vokabular, das viele Jahre zuvor nicht über unsere Lippen gekommen war. Wer redete bislang über Defensivwaffen, über Haubitzen, über bewaffnete Drohnen?
Doch wir halten mal an. Wir sollten uns nicht scheuen, uns die Poetik auch in rauen Zeiten dienstbar zu machen. Ihre Virtuosität, ihr Formenrepertoire, ihre Gelenkigkeit, ihre Routine und auch ihre Fähigkeit, entlegene Begriffe heranzuzitieren und mit ihnen zu überraschen, kann uns dabei helfen.
Hierbei wird jedermann wohl ein bekanntes Lied anführen können, dessen Melodie mit den Zeilen „Sag mir, wo die Blumen sind“ die Welt umrundet hat.
In seinem Windschatten lässt sich reimen:
Sagt uns, wo der Frieden ist!
Wo ist er geblieben?
Lange war er unter uns:
Wer hat ihn vertrieben?
Habt ihr ihn nicht mehr gemocht?
Ging er euch auf alle Nerven,
dass es euch nur noch gefiel,
ihn mit Steinen zu bewerfen?
Doch er sollte nicht verlieren,
Darum lasst uns täglich beten:
Großer Gott, gib diesen Leuten
einen eigenen Planeten.
Werner Hauke
Berlin 2022
67.
Vor hellen Häusern fröhliches Gequake
und über breiten Straßen bunte Wimpel;
dahinter aber rinnt üble Kloake,
und in den Wäldern wimmelts von Gerümpel.
(Obwohl die Wälder mächtig abmagern,
muß jeder seinen Müll wild ablagern.)
Der Fortlaufmann schluckt schnell. Ob zwecks Erheitrung?
So lange her ists, daß er nicht zum Spiel aß,
sondern aus Hunger? Ach! Magenerweitrung
kennzeichnet den notorischen Viel-Vielfraß.
Schlingt Un-Unmassen von Ia-Produkten
genußlos, unzerkaut durch Hydra-Schlünde –
nur Angewohnheit ist solch Riesenschluck, denn
in Wahrheit fehlen alle triftigen Gründe.
Der ganze Apparat verabscheut Stauung:
Gesteigerte Ration wünscht ohne Ende
noch schneller funktionierende Verdauung,
ergibt noch größre Mengen Exkremente.
(Und dieser Fortlauf-Exkremente-Berg
wird Vielheit einst begraben als ihr Werk.)
Vor hellen Häusern fröhliches Gequake
und über breiten Straßen bunte Wimpel;
dahinter aber rinnt üble Kloake
und in den Wäldern wimmelts von Gerümpel.
Armer Fortlaufmann!
Bist so böse dran,
daß vom Fresserwahn,
der nie gutgetan,
dich selbst Hexenbann
nicht mehr heilen kann.
Nein, du bist verhext
weil du schlau versteckst,
wenn groß in dir wächst,
daß du kochst und bäckst
und dabei nicht schmeckst,
was du schluckst und leckst.
(Der Zauberer Simsalabim
spricht traurig: „Ach, das ist zu schlimm.“)
68.
Farbenlichtgequält wechselt Hexe Kret endlich das Logis. (Wie der Wald ihr fehlt.)
(Halt, denn eine sah sie bei sich, sie sich bei ihr pflichttreu um: Venemedica.)
Kann noch nicht nach Haus; Fachbesuch bei der, dem und denen stehn leider bisher aus.
Zieht nun in die Vorstadt, wohnt still, privat: Bungalow; ihn ziert Astern-, Dahlienflor.
Daß sie Stadtgewühl herkömmlich, doch schnell finde, zaubert Sim ein Hexomobil.
(Nur des Nachts darf er aus dem Notquartier.) Hier sieht sie nicht rot, doch sie denkt noch mehr:
Unters Bett getan hat sie den, der Schreck für die Wirtsleut wär: treuen Skopaelan. ,
Stadt des Fortlaufs? Oh! Statt des Fortlaufs tat dir Bescheidenheit gut. Fortlauf macht roh. ‘
69.
Murmelspruch auf Zauberblatt und -strunk.
Durch die schattenschwere Dämmerung
sieht man glühwurmhaft Lichtpünktchen wackeln,
näherkommen – Viele sinds mit Fackeln.
Spruch und Blatt und Strunk drehn Töricht klug,
denn es wandert dankbar-still der Zug
abendfroh zu Ehren eines Großen,
der einst Welt ein Stück zum Licht gestoßen.
Gut und klug tut Spruch-Blatt-Strunks Bannbahn,
Hexe Kret auf freiem Skopaelan
überhuscht schweigende Fackelreise
wie die Fürstin aller Fledermäuse.
Als Versonnenheitsnachtkönigin
fährt sie dicht über den Köpfen hin,
da die Funkelschlange – ungegängelt
von Doktrin – vorbei am Turm sich schlängelt.
Dank sei Spruchblattstrunks Zusammenkunft.
Ihm, der heitre Schönheit und Vernunft
schenkte, schart man feiernd sich zusammen,
trägt gedenkend man die goldnen Flammen.
Besser wird es mit kranker Viel-Welt,
wenn sich spruchblattstrunkbrav Nacht erhellt:
Pflichtbewußt siegt über Teufelshohn
ernste, zukunftskluge Tradition.
Großmutter von ihrem Fensterplatz
aber sagt zum Kind den alten Satz:
„Immer, wenn du denkst, es geht nicht mehr,
kommt ... – diesmal ists gar ein Lichtleinheer.“
70. FUTUROLOGISCHES
Quid vesper ferat,
incertum est.
Livius
Sie paddeln hin, ausdrücklich sorglos,
in kleinem leichtgebautem Boot:
ein halbes Dutzend junge Männer
von allererstem Korn und Schrot.
Inmitten hoher Felsenwände
sprudelt das Wildwasser hell-schnell;
die sechs sind unbekümmert fröhlich,
vielleicht ein wenig krampfig, grell.
Unweit von ihnen stürzt der breite,
scharfe, immer gemiedne Fall;
er warnt durch fern tosendes Donnern –
sie überspielens mit Krawall.
Stolz paddeln sie auf muntren Wellen
mit „He“ und „Ho“ und mit „Hallo“;
zumindest einer von den sechsen
ist, wie es scheint, nicht wahrhaft froh.
Dem Großen, Alten, der von oben
das Buben-Wagestück beschaut
– sie nähern sich dem wilden Schaumsturz –,
es immer mehr zuinnerst graut.
Kurz vor dem Todesbogenschwung gibt
es links noch einen Seitenarm.
Sie kennen ihn. Bläst klares Fürchten
prahlendem Übermut Alarm?
Der Große, Alte klagt nicht, aber
betet wohl zu verschollnen Göttern.
Entgeht leichtsinnige Boot-Jugend
dem mitleidlos reißenden Wettern
lustirr johlenden Kataraktes?
Erwacht Vernunft vor drohendem Grab?
Groß-Alter bangt. Die Wasser strömen.
Wir brechen den Bericht hier ab.
– Vier vorangegangenen Stücken folgen vier weitere –
71.
Still ein gutes Glas zu leeren,
sitzen Sim und Konjunktiv
heut im Kleingasthaus „Weinlaube“.
(Überm Tor hängt eine Traube,
Tisch und Bank sind aus Faßdaube.)
Bunte Bilderscheiben färben
Nachmittagsseptembersonne,
kühle goldne Tropfen wärmen
Hirn und Herz, man kommt ins Schwärmen.
„Unsre Hex ist was Besondres“,
läßt sich Konjunktiv vernehmen,
„immer tüchtig und adrett.
Ja, das ist die Hexe Kret.“ –
„Nun“, gibt Sim recht, „sie ist eine
sicherlich bemerkenswerte,
seltene Person, die Base,
mehr wert als die ganze Blase.“ –
„Achtenswert per se“, versichert
intensiv der Doktor. „Prost!“ –
„Prost!“ – „Vom Hexenruch hat sie
nichts, nichts von Nymphomanie.“ –
„Eben Ausnahme, mein lieber
Konj’nktiv.“ – „Wahr, mein lieber Sim.
Der Beruf nur ist ... “ – „Gibt viele
namhafte im gleichen Stile.“ –
„Wahr, sehr wahr.“ (Septembersonne
läßt die Bilderscheiben leuchten.
Ist es Mailicht, das sie kost?
Hexenkraft, die golden glost?)
„Unsre Kret lebe – prost!“ – „Prost!“
72.
Madam Vielheit fühlt sich unwohl
(Ach? Nanu? Schon wieder?):
ziemlich mulmig Kopf und Körper
und wie Blei die Glieder.
Dr. Konjunktiv muß kommen,
Blutdruck, Puls und Fieber
überprüfen und dergleichen;
t#0228;t was andres lieber.
Lange währt die Untersuchung.
Die Madam besteht
auf Genauigkeit. Sein Urteil
(voll Sagazitat):
„Mäßigung der Bedürfnisse und
deren kluge Lenkung.
In-sich-Gehen, Selbstnase fassen,
Ausdehnungsbeschränkung.“ –
„Eine kuriose Dia-
gnose! Dankeschön“,
spottet Madam Vielheit, „bin ge-
heilt. Sie können gehn.“
73. SIE FLIEGT ÜBERS SCHORNSTEINMEER
Skopaelanend macht zu altgewohnter Stunde,
mitternächtlich, unsre Hexe ihre Runde.
Die dann-wann gewählte Inspektionsflugroute
lag, wenn man dem nachgeht, ihr von je im Blute.
Tausend Öfen werden mit Schlechtem gefeuert,
als sie durch im Schwarz ruhenden Luftmüll steuert.
Kummervoll denkt sie: ,Man zollt der Atmosphäre
nicht mehr die speziell ihr angemeßne Ehre.
Schön die Flüge über Berge, Wiesen, Wälder –
zwecks Sanierung weiten Luftreichs fehlen Gelder?
Für nicht wenig Interessen gibt es Essen,
die restspucken, was flammende Mäuler fressen.
Dünn- und dicke Steingetüme, die wie Nocken
auf phantastisch zackigen Dachscheiben hocken.
Blechbehelmt-drehbare, auch mit Tonrohrnasen
manche – alle blasen Qualm, Rußflocken, Wrasen.
Ganz zu schweigen von den Wolkenkratzerschloten,
die die Luft beschmieren mit giftigen Pfoten.
„Nein, es ist durch solche Unratnacht zu fliegen
selbst für ausgepichte Kehlen kein Vergnügen.
Das Konglomerat von ekligen Gerüchen
und von Qualmwust schamrötet selbst Hexenküchen.
Gut wär es, nicht mehr auf Änderung zu lauern,
sondern Fortlaufstadtschlundschlote zuzumauern.
Auf daß die, die Hexvolk gar schmutzdunstbeglücken,
jäh begreifend, hustend, daß die Kehlen knarrten,
Eignes konzentriert genössen und erstarrten.
Sie, die gut die Lüfte kennt,
ist in derlei kompetent.
Unter schlotbehaartem Stadt-des-Fortlaufs-Rücken