Wenn das die Grimms wüssten! - Peter Hellinger - E-Book

Wenn das die Grimms wüssten! E-Book

Peter Hellinger

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Beschreibung

Am 20. Dezember 1812 erschien der erste Band der „Kinder- und Hausmärchen“ von Jacob und Wilhelm Grimm mit 86 Märchen, darunter die Klassiker „Der Froschkönig oder der eiserne Heinrich“, „Der Wolf und die sieben Geißlein“, „Rapunzel“, „Hänsel und Gretel“ oder „Dornröschen“. Grund genug für den Verlag art&words zum zweihundertsten Jubiläum der Erstausgabe der „Kinder- und Hausmärchen“ deutschsprachige Autoren aufzurufen, es den Grimms gleich zu tun und die alten Märchen neu zu erzählen oder neue Märchen zu erfinden. 176 Autoren aus Deutschland, Österreich, der Schweiz, Frankreich und Italien folgten dem Aufruf und sandten insgesamt 296 Märchen und Geschichten ein. Schließlich wurden – ganz wie bei den Grimms – 86 Märchen für dieses Buch ausgewählt, von denen der Herausgeber überzeugt ist, dass es die Besten der Besten sind. Lehnen Sie sich also zurück und genießen Sie diese Märchen, auch wenn Sie nicht immer mit jenen magischen Worten beginnen: Es war einmal … Märchen von: Carolin Arden, Julia Bardag, Sabine Barnickel, Irene Beddies, Christa Bellanova, Stephan Binder, Susanne Blümlein, Susanne Böckle, Chenila Booker, Angelika Brox, Annika Dick, Natalie Elblein, Bettina Ferbus, Bettina Forbrich, Doris Fürk-Hochradl, Ursula Gressmann, Johanna Gruner, Thomas Häbe, Eva Heinhold, Jeanette Holdinghausen, Judith Holle, Bernhard Horwatitsch, Béla Jancso, Yvonne Kaeding, Alice Karen, Johanna Kastberger, Christine Kästner, Michaela Keller, Bente Klindt, Bellis Klunkerfisch, Sabine Kohlert, Rita Krippendorf, Margit Kröll, Sabine Kühorn, Olaf Lahayne, Elena Lidenbrock, Oliver Machander, Elevtheria Marinaki, Philip Militz, Lothar Mischke, Sylvia Mitter-Pilotek, Dörte Müller, Verena Nagel, Jana Oltersdorff, Birgit Otten, Karoline Pauluhn, Karoline Pauluhn, Ute Petkelis, Sonja Rabaza, Tanja Rathjen, Anne Reinéry, Vera Richter, Friedhelm Rudolph, Petra S. Rosé, Gabriele S. Schlegel, Jeannine Schäfer, Regina Schleheck, Armin Schmidt, Petra Schmidt, Sissy Schrei, Simone Schwarze, Udo Seelhofer, Johannes Siegl, Annegret Sommer, Martina Sprenger, Reinhard Staubach, Ronja Storck, Lisanne Surborg, Isabel Terhaag, Sabine Tetzner, Helen Trepling, Kerstin Tümmel, Sigrid Varduhn, Vincent von Ableben, Renate Walter, Uwe Wartha, Silke Wiest, Andreas Wöhl, Verena Wolf, Ulla Worringer

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Seitenzahl: 834

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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek.Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in derDeutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind imInternet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

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Umschlaggestaltung: Peter R. Hellinger

ISBN 978-3-943140-18-7 (epub)

Auch als Printausgabe erhältlich.

Vorwort

Es waren einmal zwei Brüder namens Jacob und Wilhelm. Die beschlossen eines schönen Tages, dass es doch eine gar vornehme Aufgabe sei, durch die Lande zu ziehen und sich allerlei Geschichten erzählen zu lassen. Geschichten von weisen Königen, schönen Prinzessinnen, mutigen Prinzen, garstigen Hexen, freundlichen Feen und allerlei anderen mehr oder weniger magischen Wesen und Dingen. Und so hatten sie bald eine große Sammlung an solcherlei Geschichten zusammengetragen. „Ei,“, sprach da Jacob, der ältere der beiden, „lass uns doch daraus ein Märchenbuch machen, auf dass die Nachwelt für immer diese wunderbaren Geschichten lesen kann!“ Und sein Bruder Wilhelm pflichtete ihm sogleich bei: „Aber ja, werter Bruder, denn wer außer uns beiden wäre dazu besser geeignet?“

Nun, vielleicht hat es sich so zugetragen, wahrscheinlich aber nicht. Schließlich waren die Brüder Jacob und Wilhelm Grimm zwei Gelehrte der Rechtswissenschaften, die nach ihrem Studium die geschichtliche Entwicklung der deutschen Literatur anhand von Sagen, Urkunden und Dichtungen untersuchten und damit maßgeblich die wissenschaftlichen Grundlagen der heutigen Germanistik legten.

Im Dezember 1812 veröffentlichten sie ihren ersten Band der berühmten „Kinder- und Hausmärchen“ mit sechsundachtzig ausgewählten Märchen, von denen einige heute zu den berühmtesten Märchen der Welt gehören. Dabei entstanden die Märchen nicht aus ihrer eigenen Fantasie, sondern wurden von den Brüdern nach mündlich überlieferten Geschichten zusammengetragen und mehr oder minder stark überarbeitet.

Die Faszination, die diese Märchen auf Groß und Klein ausüben, ist selbst nach 200 Jahren ungebrochen: Kaum jemand, dem nicht in seiner Kindheit von den Eltern Hänsel und Gretel, Dornröschen, Schneewittchen oder Der Froschkönig vorgelesen wurde. Auch viele Künstler wurden davon inspiriert, man denke nur an die zahlreichen Verfilmungen des Märchens Hänsel und Gretel oder die berühmte Opernfassung von Engelbert Humperdinck. Und jedes Jahr an Weihnachten erfreuen wir uns aufs Neue an der wunderschönen Aschenbrödel-Version Drei Nüsse für Aschenbrödel des tschechischen Fernsehens. Selbst bis nach Amerika haben es einige der Märchen gebracht, so basieren zum Beispiel Walt Disneys Trickfilmklassiker Cinderella und Schneewittchen und die sieben Zwerge auf den Märchen der Gebrüder Grimm. Der Einfluss der Gebrüder Grimm und ihres Märchenbuches auf unsere Kultur ist also nach wie vor ungebrochen – gar nicht so schlecht für jemand, der schon 200 Jahre auf dem Buckel hat.

Grund genug für den Verlag art&words zum zweihundertsten Jubiläum der Erstausgabe der „Kinder- und Hausmärchen“ deutschsprachige Autoren aufzurufen, es den Grimms gleich zu tun und die alten Märchen neu zu erzählen oder neue Märchen zu erfinden.

176 Autoren aus Deutschland, Österreich, der Schweiz, Frankreich und Italien folgten dem Aufruf und sandten insgesamt 296 Märchen und Geschichten ein. Ein Echo, mit dem der Verlag nicht gerechnet hatte und das es dem Herausgeber doch sehr schwer gemacht hat, zu entscheiden, welche Märchen ins Buch kommen.

Schließlich wurden – ganz wie bei den Grimms – 86 Märchen für dieses Buch ausgewählt, von denen der Herausgeber überzeugt ist, dass es die Besten der Besten sind. Lehnen Sie sich also zurück und genießen Sie diese Märchen, auch wenn sie nicht immer mit jenen magischen Worten beginnen: Es war einmal …

Peter Hellinger

Verleger und Herausgeber

März 2012

Carolin Arden

Das Wasser der Weisheit

Über ein großes Reich herrschte einmal ein gütiger König. Als er fühlte, dass er alt geworden war, übergab er die Krone an Prinz Wilhelm, seinen Erstgeborenen.

„Und was ist mit mir?“, fragte Willibald, sein zweiter Sohn. „Bekomme ich keine Krone?“

Der alte König lächelte und sagte: „Viele Königreiche grenzen an unser Land und in so manchem davon wartet eine Prinzessin auf einen so schmucken Prinzen wie dich. Sei ohne Sorge, mein Name wird dir jede Tür öffnen.“

Da packte Willibald seinen Ranzen, sattelte sein Pferd und machte sich auf die Reise. Von einem Reich zum nächsten ritt er, immer auf der Suche nach einer besonders hübschen Prinzessin. Wohin er auch kam, er wurde freundlich aufgenommen, denn die Könige hätten ihn gerne als Schwiegersohn gesehen. Doch nach einem kurzen Blick auf die Tochter reiste Willibald immer schnell weiter. Die eine war zu hässlich, die andere zu dick und die nächste hatte eine zu große Nase. Kurzum, an jeder hatte er etwas auszusetzen.

Endlich kam der Prinz in ein ganz kleines Königreich. König Friedrich stellte ihm seine Frau und auch sein einziges Kind, Prinzessin Karina, vor. Sofort verliebte sich Willibald in die junge Frau. Sie war hübsch, voller Lebensfreude und lächelte ganz allerliebst. Und so zögerte Willibald auch gar nicht lange und bat König Friedrich um die Hand seiner Tochter.

„Oh!“, sagte der König und geriet ins Schwitzen. „Ich schätze Euch und Euren Vater sehr, Prinz Willibald. Leider ist meine Tochter bereits vergeben. Sie liebt Peter, meinen Verwalter, und ich habe ihm Karina schon vor einem halben Jahr versprochen. Ihr versteht doch sicher, dass ich von meinem Wort nicht zurücktreten kann.“

„Heißt das, Ihr zieht mir, dem Sohn des mächtigsten Königs weit und breit, einen Habenichts vor? Das kann nicht Euer Ernst sein!“, brauste Willibald auf und wollte sich gar nicht mehr beruhigen.

Da bekam es König Friedrich mit der Angst zu tun. Es war gefährlich, sich den Prinzen und seinen Vater zum Feind zu machen. Er hatte nur eine kleine Armee und würde in einem Krieg schnell unterliegen. Schweren Herzens willigte er also ein, Karina und Willibald zu vermählen.

Karina war mit der Entscheidung ihres Vaters gar nicht einverstanden. Sie liebte nur ihren Peter und klagte ihm ihr Leid. „Ich mag den Prinzen nicht. Er ist so hitzig und das macht mir Angst. Ich will ihn nicht heiraten!“

Der Verwalter war ein heller Kopf und schlug vor, dass sie dem Prinzen, um seine Liebe zu prüfen, schwierige Aufgaben stellen solle. Dann würde er gewiss auf eine Heirat verzichten. Karina grübelte die ganze Nacht. Nach dem Frühstück sprach sie zu Willibald: „Es ist mir eine große Ehre, dass Ihr mich zur Frau nehmen wollt. Doch ich möchte nur den Klügsten und Besten heiraten, deshalb müsst Ihr Euch vor unserer Hochzeit erst bewähren. In einem fernen Land im Osten, mitten in einer riesigen Wüste, steht ein besonderer Brunnen. Wer von seinem Wasser trinkt, wird weise wie sonst nur Männer nach jahrzehntelangem Studium. Bringt mir von diesem Wasser. Vor unserer Hochzeit werden wir es gemeinsam trinken und dieses Land gut und gerecht regieren. Ihr habt ein Jahr Zeit für diese Aufgabe.“

Willibald seufzte. Ein ganzes Jahr noch, bis er seine Braut in die Arme nehmen durfte! Und doch schien ihm die Zeit beinahe zu knapp bemessen, das Wasser aus der fernen Wüste zu holen. Da durfte er nicht lange zögern. Es kam nicht infrage, seine Karina diesem Taugenichts kampflos zu überlassen. Er packte seinen Ranzen und eilte dann zum Gärtnerburschen. Er gab ihm einen Batzen Geld, damit er Karina täglich eine rote Rose zum Frühstück brachte. Wenn sie ihn schon nicht sehen konnte, sollte sie wenigstens freudig an ihn denken. Hoffnungsvoll ritt Willibald fort, immer in Richtung der aufgehenden Sonne.

Viele Monate war der Prinz unterwegs. Er durchquerte weite Ebenen und hohe Gebirge. Sogar ein Meer musste er an Bord eines Schiffes überwinden. Doch wohin er auch kam, bei der Frage nach dem Wasser der Weisheit zuckten alle nur mit den Schultern. Oft lag er nachts wach und überlegte, ob er nicht umkehren solle. Dann rief er sich das hübsche Gesicht seiner Karina in Erinnerung und schob den Gedanken ans Aufgeben schnell wieder beiseite.

Je weiter nach Osten er ritt, desto wunderlicher kamen ihm die Menschen vor. Ihre Kleidung wurde bunter, ihr Verhalten lebhafter und ihre Unterhaltung gestenreicher. Bald merkte er, dass seine adelige Herkunft hier nichts galt, und war eifrig bemüht, sich den fremden Sitten anzupassen. In einer orientalischen Stadt schloss er sich einer Handelskarawane an, die im fernen China Seide einkaufen wollte. Während der langen Reise lernte er, sich auf Chinesisch zu verständigen, doch auch die Bewohner der Städte an der Seidenstraße konnten ihm keine Auskunft über das Wasser der Weisheit geben. Und so ritt er mit der Karawane immer weiter.

Eines Abends machten sie in einem Ort am Rande einer großen Wüste Halt, um ihre Wasserschläuche für die Durchquerung zu füllen. Erst, als auch die Tiere ihren Durst gestillt hatten, schöpfte Willibald Wasser für sich. Er setzte gerade zum Trinken an, als eine verschleierte Frau an den Brunnen kam. Nur ihre schwarzen Augen waren unverhüllt und blickten ihn ängstlich an. Galant reichte er ihr den Becher.

Scheu sagte sie: „Ihr müsst ein Fremder sein. Bei uns gelten Frauen weniger als das Vieh.“

„Ich komme aus einem Land im fernen Westen. Bei uns ist das Land immer grün und Frauen gelten genauso viel wie Männer.“

„Und was trieb Euch fort aus diesem glücklichen Land?“

„Ich bin auf der Suche nach einem geheimnisvollen Brunnen. Er soll Wasser spenden, das dem, der es trinkt, zu vollkommener Weisheit verhilft.“

„Oh, nur wir Frauen kennen diesen Brunnen. Sein Wasser schmeckt äußerst bitter. Und Ihr seid schon welterfahren, Ihr braucht es gar nicht. Bleibt bei uns in der Stadt. Mein Vater wäre höchst erfreut, einen Mann bei sich zu haben, der mit den Händlern aus dem fernen Westen Verhandlungen führen kann.“

„Ich danke Euch sehr, aber ich habe einer Prinzessin versprochen, ihr von dem Wasser zu bringen. Und ich möchte sie nicht enttäuschen.“

Die Frau schwieg und sah ihn mit seltsam traurigen Augen an. „Es ehrt Euch, Fremder, wie sehr Euch das Wohlergehen dieser Frau am Herzen liegt. Deshalb erkläre ich Euch den Weg zum Brunnen der Weisheit. Reitet von hier aus nach Norden. Am siebten Tag werdet Ihr den Brunnen erreichen. Bringt dieser Frau das Wasser. Und vielleicht möchtet Ihr dann eines Tages hierher zurückkommen. Wir würden Euch gerne in unsere Sippe aufnehmen.“

Prinz Willibald bedankte sich für die freundliche Auskunft, die ihm neue Zuversicht gab, die Prüfung zu bestehen. Am nächsten Morgen ritt er geradewegs nach Norden, wo in der Ferne unerreichbar hohe Gipfel weiß in der Sonne glänzten. Wie weit er auch ritt, er schien ihnen niemals näher zu kommen.

Am siebten Tag gelangte der Prinz tatsächlich an einen Brunnen. Als er für sein Pferd Wasser daraus schöpfte, weigerte es sich beharrlich, davon zu trinken. Willibald jubelte innerlich! Das musste das Wasser der Weisheit sein! Sorgfältig füllte er einen der leeren Wasserschläuche und machte sich unverzüglich auf den Heimweg. Wie würde Karina sich freuen, wenn er endlich heimkehrte und die Aufgabe gemeistert hatte!

Zum Glück ging die Heimreise sehr viel schneller vonstatten. Er kannte die Strecke jetzt ja und wusste genau, wohin er wollte. Er ritt zügig bis ans Meer, überquerte es auf einem Schiff, überwand Gebirge und weite Ebenen. Am letzten Tag, bevor die Jahresfrist verstrichen war, erreichte Willibald das Schloss. König Friedrich und die Bewohner empfingen ihn mit Begeisterung. Sie freuten sich auf die Heirat der Prinzessin mit einem Mann, der keine Mühen gescheut hatte, für eine glückliche Zukunft des Landes zu sorgen.

Auch Karina war froh über seine Ankunft. Peter, der Verwalter, war nämlich inzwischen mit der Staatskasse durchgebrannt und die Aussichten für eine mittellose Prinzessin eines ganz kleinen Königreiches waren nicht besonders rosig. Besser einen mutigen, ausdauernden und vor allem reichen Prinzen als Ehemann als gar keinen, dachte sie sich. Und hatte er nicht sogar aus Verliebtheit immer für frische Blumen im Schloss gesorgt? Etwas Besseres als ihn würde sie wohl kaum finden. Willibald füllte zwei Gläser mit dem Wasser der Weisheit und reichte Karina eines davon. Angewidert rümpfte sie die Nase, denn es war trübe und roch sehr unangenehm.

„Ach, ich glaube, es ist gar nicht nötig, davon zu trinken. Ich bin mir auch ohne das ganz sicher, Ihr seid der richtige Gemahl für mich!“

Willibald schüttelte energisch den Kopf. „Ich war ein ganzes Jahr unterwegs, nahm viele Entbehrungen auf mich und lernte sogar Chinesisch, um den Brunnen der Weisheit zu finden, und jetzt sagt Ihr, es sei unnötig? Ich trinke dieses Wasser, wie scheußlich es auch schmecken mag, denn erst dann ist die Aufgabe erfüllt, die Ihr mir gestellt habt!“

Er überwand seinen Ekel und trank die bittere Flüssigkeit in einem Zug, bis das Glas leer war. Dreimal setzte er an, etwas zu sagen, doch er brachte kein Wort heraus. Verwirrt musterte er die Prinzessin und es kam ihm vor, als seien ihm mit einem Male die Augen geöffnet worden. Endlich fasste er sich wieder und sagte entschieden: „Verzeiht, ich kann Euch nicht heiraten! Euer Land hat anderes verdient als einen Prinzen, dem äußere Schönheit wichtiger ist als die Reinheit der Seele. Ich bin mir sicher, Ihr findet einen Gatten, der besser zu Euch und diesem Land passt als ich.“

Wie von einer schweren Last befreit, schwang Willibald sich auf sein Pferd und ritt davon. Er wusste jetzt, er brauchte kein Königreich, um glücklich zu sein. Die aufrichtige Liebe einer Frau, die ihn schätzte, wie er war, reichte vollkommen für ein zufriedenes Leben aus. Zielstrebig lenkte er sein Pferd nach Osten, wo ein Paar dunkler, mandelförmiger Augen auf ihn wartete.

Julia Bardag

Ein Tag wie im Märchen

Es war ein Tag wie jeder andere. Die Vögel zwitscherten vergnügt in den neuen Morgen und die Sonne strahlte freundlich vom Himmel herab. Das kleine Mädchen erwachte und rieb sich verwundert den Schlaf aus den Augen. Etwas war anders als sonst. Es sah sich im Zimmer um. Ein Bett, ein Schrank, ein Regal mit Büchern und Spielsachen, ein Tisch …

Während es seinen Blick durchs Zimmer schweifen ließ, ging die Tür auf. Die Mutter kam hereingestürmt. „Guten Morgen, mein Schatz“, rief sie fröhlich und schob mit Schwung die bunt gemusterten Vorhänge zur Seite. Dann kam sie zum Bett hinüber, drückte dem Mädchen einen dicken Schmatz auf die Wange und scheuchte es aus dem Bett. Sie schob das Kind vor sich her bis zum Badezimmer. „Du musst dich beeilen, wir haben verschlafen“, erklärte sie und wirbelte davon. Das Mädchen öffnete die Tür und trat in das weiß gekachelte Bad.

Das seltsame Gefühl, mit dem es heute aufgewacht war, verstärkte sich. Das Geräusch von plätscherndem Wasser erregte seine Aufmerksamkeit. Es wandte den Blick nach rechts, wo die Badewanne stand. Fast hätte es laut aufgeschrien, denn in der Wanne lag - eine Meerjungfrau. Ihr schuppiger, silberglänzender Fischschwanz hing über den Wannenrand. Die Meerjungfrau war gerade dabei, ihr grünes Haar zu kämmen, und hielt erschrocken inne.

Beherzt trat das Mädchen einen Schritt auf sie zu. „Wie bist du hierher gekommen?“, wollte es fragen, doch ehe es seinen Satz beenden konnte, ließ sich die Nixe ins Wasser gleiten. Luftblasen stiegen aus ihrer Nase an die Wasseroberfläche, dann bildete ihr grünes Haar einen Teppich wie aus Seerosenblättern. Der Fischschwanz schlug hin und her, sodass das Mädchen ganz nass gespritzt wurde. Das Wasser brodelte, als würde es kochen, und im nächsten Moment war die Meerjungfrau verschwunden.

Nein, das war doch kein Tag wie jeder andere. Bevor das Mädchen auch nur einen klaren Gedanken fassen konnte, hörte es die Mutter rufen: „Schatz, du kannst jetzt nicht baden. Zieh dich an und komm zum Frühstück.“ Schnell zog das Mädchen die Kleider an, die auf einem Hocker bereitlagen.

In der Küche angekommen, bemerkte es, dass sich sein Magen anfühlte wie ein großes Loch. Wortlos und mit Heißhunger machte es sich über die Schüssel mit Cornflakes her. Noch nie hatte ihm etwas so gut geschmeckt. Die Schüssel war noch nicht ganz leer, da klingelte es. „Das wird Grete sein“, rief die Mutter und sprang auf. Das Mädchen folgte ihr zur Tür. Vor der Tür stand Grete mit Schulranzen auf dem Rücken und einem breiten Grinsen im Gesicht. „Du wirst nicht glauben, was mir passiert ist“, plapperte Grete drauflos. Hattest du auch eine Nixe in der Badewanne?, wollte das Mädchen sie fragen, kam aber nicht dazu.

„Das errätst du nie, jede Wette!“ Grete war nicht zu bremsen. Die Mutter drückte dem Mädchen den Schulranzen in die Hand und schob es zur Tür hinaus. „Seid vorsichtig auf dem Schulweg“, rief sie den Kindern nach. Und hütet euch vor dem bösen Wolf, dachte das Mädchen und musste schmunzeln. Grete verstand das als Aufforderung endlich ihre Geschichte loszuwerden. Sie erzählte voller Begeisterung von dem Hund, der ihr gestern zugelaufen war. Sie schwärmte von seinen seidig weichen Schlappohren und den treuen braunen Augen. Das Mädchen trottete neben seiner Freundin her und hörte nur mit halbem Ohr zu. In Gedanken war es bei dem seltsamen Erlebnis vom Morgen.

„Und das Tollste ist“, sagte Grete und stupste das Mädchen in die Seite, „ich darf ihn behalten, wenn sich niemand meldet, dem er gehört.“

„Ja, das ist toll“, erwiderte das Mädchen lahm. „Aber sag mal …“, setzte es an und brach dann ab. Wie sollte es am besten anfangen? Hilfe suchend blickte es sich um und riss plötzlich die Augen auf. Am Ende der Straße bog soeben ein Einhorn um die Ecke. Es war weiß und wunderschön. Sein Horn war wie aus poliertem Marmor gedrechselt. Dem Mädchen blieb der Mund offen stehen. Was ging hier vor? „Warte, sag mir doch …“ Das Einhorn verschwand hinter einem Baum und kam nicht mehr hervor.

„Was soll ich sagen?“, fragte Grete ungeduldig. Das Mädchen gab keine Antwort und rannte zu dem Baum hinüber. Es umrundete ihn einmal, zweimal, doch von dem Einhorn keine Spur.

Grete beobachtete das seltsame Schauspiel. „Du bist heute aber komisch!“, wunderte sie sich. Dann lachte sie. „Ach, ich weiß. Du spielst Hund. Du kannst ja mal mitkommen zum Gassi gehen.“ Mit diesen Worten hängte sie sich bei dem Mädchen ein und zog es mit sich bis zur Schule.

Die Unterrichtsstunden rauschten an dem Mädchen vorbei, wie ein Film im Zeitraffer. Es sah die Menschen um sich herum, ohne zu verstehen, was sie sagten oder taten. Glücklicherweise wurde es von den Lehrern in Ruhe gelassen und musste keine Fragen beantworten. Ja, es war fast so als wäre es unsichtbar.

In der großen Pause scharrte sich die Klasse um Grete. Jeder wollte von dem Hund hören. Jeder hatte einen Vorschlag, wie der Hund heißen sollte.

Das Mädchen hielt sich abseits. Es war kaum mehr verwundert, als es am Rand der Wiese einen winzig kleinen Mann auftauchen sah. Er trug schwarze Stiefel, grüne Hosen, eine braune Weste und eine Zipfelmütze. Er war einer der sieben Zwerge, das wusste das Mädchen. Der fünfte Zwerg, um genau zu sein. Seinen Namen wusste es nicht mehr. Und natürlich verschwand er im hohen Gras, bevor das Mädchen ihn fragen konnte.

Der Heimweg verlief ohne weitere Zwischenfälle. Zuhause angekommen rannte das Mädchen in sein Zimmer und ließ sich auf das Bett fallen. Endlich Ruhe, endlich Zeit zum Nachdenken. Mit geschlossenen Augen ließ es den Tag noch einmal ablaufen. Seltsam, sehr seltsam.

Eine Hand schüttelte es sacht an der Schulter. „Aufwachen, Schlafmütze.“ Es musste wohl eingeschlafen sein. Das Mädchen setzte sich auf. Ein Blick genügte, um zu wissen, wo es war. Der Tisch aus grob behauenem Holz, Kanne und Waschschüssel darauf. Hier war das Mädchen daheim.

„Mama, ich hatte einen ganz seltsamen Traum.“

Die Mutter lächelte.

„Komm zum Essen, der Brei steht schon auf dem Tisch.“

Vergnügt schwang das Mädchen die Beine aus dem Bett. Flink setzte es seine Lieblingsmütze aus rotem Samt auf, die immer am Bettpfosten hing. Dann hüpfte es zum Tisch hinüber.

„Mama, ich muss dir unbedingt erzählen …“

„Gleich, Schatz, aber vergiss nicht, der Großmutter später Kuchen und Wein zu bringen. Und hüte dich vor dem bösen Wolf!“, mahnte die Mutter.

„Ja, Mama“, antwortete Rotkäppchen und verdrehte die Augen. Endlich war alles wieder normal.

Sabine Barnickel

Die Wahrheitüber Witta Winter

Georg saß allein am Küchentisch und betrachtete das Corpus Delicti, einen ehemals perfekten Apfel. Sie hatte ein Faible für perfektes Obst gehabt: Immer hatte sie nur sonnengelbe Bananen ohne einen einzigen braunen Fleck gekauft, Ananas, die auch nach Ananas rochen, die rötesten Kirschen und die Äpfel ohne eine einzige Druckstelle, nie war auch nur eine einziger mit Runzeln dabei. Dieser war es nicht mehr, perfekt. Der Abdruck ihres ebenmäßigen Gebisses – ja, aber das Fleisch der Bisswunde war schon hässlich braun verfärbt.

Georg seufzte. Wer hatte eigentlich diese verflixte Idee gehabt? „Haushälterin gesucht – Familienbetrieb, sechs Junggesellen, eine Jungfer, gut gehendes Erzbergwerk mit Besucherstollen, sucht fleißiges Fräulein, das den Haushalt auf Vordermann bringt und das leibliche Wohl sicherstellt.“ Hätte Josefine nicht einfach über ihren Schatten springen können? Schließlich war sie die Frau im Haus. Aber nein, sie hatte gesagt: „Warum soll ich mich mit Weiberarbeit abgeben, wenn ich Männerarbeit besser kann als mancher von euch?“ Dabei hatte sie den jüngsten Bruder, Nick, vielsagend angesehen …

Da saßen sie also zu siebt – sechs Kerle im Alter von zwanzig bis fünfunddreißig und eine junge Frau, die sich lieber einen Damenbart stehen ließ, als sich die Beine zu rasieren und von Männern im Allgemeinen nicht viel hielt – am großen Esstisch und interviewten die potenziellen Kandidatinnen. Dann kam der Moment, in dem sie hereinschneite: Witta Winter, fünfundzwanzig Jahre alt, Haut wie poliertes Elfenbein, Haare schwarz wie ein unbeleuchteter Erzstollen und Augen wie tiefe Gletscherseen.

Die Brüder starrten sie sekundenlang mit offenen Mündern an, die Schwester nicht weniger. Bis sich Georg, der Älteste, schließlich am Riemen riss und sich räusperte. Wie sich im Verlauf des Gespräches herausstellte, waren nicht nur Fräulein Winters Äußerlichkeiten tadellos, sondern auch ihre Referenzen. Zudem hatte sie nur bescheidene Gehaltswünsche und man kam schnell überein, Kost und Logis auch noch zur Verfügung zu stellen. So zog Witta Winter eine Woche später bei Georg und seinen Geschwistern ein.

Wittchen, wie Witta bald liebevoll genannt wurde, war eine echte Perle: Sie putzte und wienerte alle Räumlichkeiten, wusch und bügelte die Wäsche fein säuberlich, bekochte die Geschwister, versorgte sie täglich mit frischem Obst – kurz um, die Geschwister konnten sich endlich in aller Ruhe ums Geschäft kümmern. Bei den gemeinsamen Abendessen war die Stimmung endlich wieder entspannt, ohne Streitereien, wer sich im Haushalt endlich um dieses oder jenes kümmern sollte. Es wurde endlich wieder gescherzt und gelacht, so wie in den Zeiten, als die Mutter noch für alles gesorgt hatte.

Georg genoss die neue Harmonie, aber noch mehr genoss er es, wenn sich Wittchen sonntagabends in sein Bett schlich.

„Ich fühle mich so einsam, so allein in meinem Zimmer. Ich fürchte mich fast ein bisschen“, sagte sie und blinkerte ihn treuherzig mit ihren blauen Augen an.

„Du brauchst dich doch nicht zu fürchten“, antwortete er und nahm sie in die Arme.

„In deinen starken Armen fühle ich mich so geborgen.“

Dann schliefen sie aneinander gekuschelt ein. Georg wünschte sich, dass es immer so sein könnte.

Doch bald bemerkte er, dass sie bei den gemeinsamen Abendessen nicht nur mit ihm flirtete, nein, sie kokettierte auch mit seinen Geschwistern. Josefine rief sie sogar manchmal „Schnee-Wittchen“. Eifersucht keimte in ihm auf.

„Du könntest jede Nacht bei mir verbringen, du bräuchtest nie mehr alleine schlafen“, schlug er ihr eines Sonntags vor.

„Oooch“, antwortete Witta, „so schlimm ist das gar nicht, das mit dem Alleinsein. Nur manchmal.“

Noch redete er sich ein, er wäre ein Dummkopf. Sie wäre ein anständiges Mädchen, so etwas würde sie nicht tun. Trotzdem begann er, jeden ihrer Schritte zu beobachten und schließlich legte er sich abends auf die Lauer. Er wollte es nicht glauben, aber nach einem Monat blieb ihm nichts anderes übrig, als der Tatsache ins Auge zu sehen: Sie schlief jede Nacht woanders, nur nicht in ihrem eigenen Zimmer.

Montags fing sie bei Nick, dem jüngsten Bruder an, dienstags folgte Josefine als Zweitjüngste, dann Jakob, Malte, Frank und Hans, bis sie schließlich sonntags bei Georg landete. Woche für Woche das gleiche Spiel. Seine Enttäuschung war groß und doch konnte er nicht von ihr lassen, so ging alles weiter seinen Gang.

Sie fanden Witta am Abend auf dem Küchenfußboden liegend, den Apfel noch in der Hand. Hans stellte als Erster fest: „Ich glaube, die ist tot.“ Nick brach in Tränen aus.

„Sieht aus, als wäre sie vergiftet worden“, sagte Frank.

„Also, die böse Stiefmutter war es wohl nicht“, bemerkte Josefine. „Sie hatte ja keine … Nick, hör auf zu heulen, du Weichei.“

„Schlampe.“ Sechs Augenpaare richteten sich abrupt auf Jakob. „Stimmt doch. Als wenn ihr nicht alle genau wüsstet, dass sie’s mit uns allen getrieben hat.“

„Wir sollten die Polizei rufen. Georg, das ist deine Aufgabe als Ältester“, sagte Malte.

„Spinnst du?“, fragte Hans. „Die denken doch gleich, das war einer von uns … oder eine?“

Josefine zeigte ihm einen Vogel, Nick heulte immer noch.

„Hans hat recht“, sagte Frank. „Also, was sollen wir stattdessen tun? Georg, sag doch auch mal was dazu.“

Georg hatte sich zurückgehalten, viel zu sehr stand er noch unter Schock. Aber jetzt forderten die anderen eine Entscheidung von ihrem Familienoberhaupt. Er versuchte seine Gedanken zu sortieren. Einer von ihnen hatte ihr geliebtes Wittchen auf dem Gewissen, so viel war allen klar. Genauso sicher war aber auch, dass keiner der anderen ein Interesse daran hatte, die Familie auseinander zu reißen. In schwierigen Situationen hatten sie immer zusammengehalten. Und so war es jetzt auch.

Sie kamen überein, die Polizei außen vor zu lassen. Wittas Körper betteten sie in einem alten, unbenutzten Stollen zur Ruhe. Josefine erklärte sich bereit, einen detaillierten Haushaltsplan auszuarbeiten, in dem jeder zu gerechten Anteilen Aufgaben zugeteilt bekam.

„Wir lassen uns doch nicht wieder von irgendeinem dahergelaufenen Weibsstück so durcheinanderbringen“, war ihr Kommentar.

‚Letztendlich ist Blut wohl doch dicker als Wasser und es ist besser, dass es so gekommen ist‘, dachte Georg bei sich. Er nahm den angebissenen Apfel und warf ihn in den Biomüll-Behälter, fünf weitere folgten. Alle hatten ihre Perfektion eingebüßt, sie alle hatten eine kleine, braune Stelle. Die Stelle, wo er das Gift injiziert hatte.

Mehr über die Autorin unter www.isilife-art.de

Irene Beddies

Die singende Prinzessin

Im Reich am Krokodilfluss lebte Prinzessin Lilabo, die einzige Tochter des Königs. Sie besaß eine außergewöhnliche Gabe: Sie sang so verführerisch, dass jeder, der sie singen hörte, stehen bleiben musste, um ihr zu lauschen. Wenn sie am Flussufer spazieren ging, kamen sogar die Krokodile ans Ufer, um sich von ihrem Gesang betören zu lassen. Sie legten sich dann auf den Sand und schlossen ihre tückischen Augen. Und die Vögel, die auf ihren Rücken Futter suchten, blieben auf einem Bein stehen, spreizten die Flügel und rissen ihre Schnäbel auf.

Eines Tages kam eine Gesandtschaft aus dem Nachbarreich an den Königshof. Ein junger Prinz führte sie an, denn es ging um Krieg und Frieden.

Der Prinz stieg gegen Mittag im Hof vom Pferd und hörte aus dem obersten Stockwerk des Palastes das lieblichste Singen. Sogleich schlug sein Herz schneller. Er erkundigte sich bei dem Minister, der gerade neben ihm stand, wer dort oben so himmlischen Gesang erklingen ließ. Als er erfuhr, dass es die Königstochter sei, vergaß er seine Mission und dachte nur noch an die singende Prinzessin. In der Stunde der Audienz hielt er beim König um ihre Hand an. Der alte König versicherte ihm, dass seine Tochter noch zu jung sei, um zu heiraten. Außerdem hätte sie ein Wörtchen mitzureden, denn es ginge ja um ihr Glück.

Am Abend saßen der fremde Prinz und Prinzessin Lilabo beim Festmahl nebeneinander. Der Prinz sah, dass sie sehr schön war. Er neigte sich zu ihr und gestand ihr seine Liebe, fragte sie, ob sie später seine Frau werden wollte.

Lilabo besann sich einen Augenblick, musterte den Prinzen und gab eine seltsame Antwort: „Wenn du so singen kannst wie ich, dann will ich dir meine Hand reichen. Ich will nur jemanden zum Mann, mit dem ich ein Leben lang im Duett singen kann.“ Der Prinz erbleichte, denn er konnte nicht singen. Er beschloss, es in seiner Heimat zu lernen.

„Bitte warte auf mich, Lilabo. Bis du so alt bist, dass du dich vermählen kannst, habe ich es sicherlich gelernt“, bat er sie zum Abschied.

Es geschah aber, dass die Prinzessin am Strand des Flusses einmal einen Fischer singen hörte, der mit seinem Boot dem Ufer zu ruderte. Sie war von der Reinheit seiner Stimme so beeindruckt, dass es ihr keine Ruhe ließ, bis sie von einer Dienerin erfahren hatte, wer der Sänger war. Es war der arme Fischer Arkano, der in einer kleinen Hütte bei seiner Mutter wohnte.

Die Prinzessin ließ ihm ein prächtiges Gewand bringen und befahl ihn zu sich in den Palast. Der Fischer Arkano aber kam in seinen alten Kleidern. Er machte eine stumme Verbeugung vor Lilabo und wartete, was sie ihm zu befehlen hatte. Dabei schaute er ihr ins Gesicht. Obwohl er von ihrer Schönheit beeindruckt war, konnte er sie ohne Herzklopfen ansehen, denn sie war unerreichbar für einen armen Mann.

„Sing mir etwas vor“, verlangte Lilabo, „ich habe dich singen gehört und Gefallen an deiner Stimme gefunden.“

Arkano tat, wie ihm befohlen wurde. Er sang ein trauriges Liebeslied, das er von seiner Mutter gelernt hatte.

Lilabo kannte das Lied und fiel mit ihrer glockenreinen Stimme ein. All die Hofbeamten und Dienstleute, die sich gerade in der Nähe aufhielten, blieben stehen und lauschten. Es kam ihnen vor, als ob Engel des Himmels den Gesang angestimmt hätten.

Lilabo war zufrieden. „Du sollst mein Gemahl werden. Wir werden unser Leben lang gemeinsam singen und glücklich sein“, sagte sie.

„Du kennst mich nicht und nichts von meinem Leben als Fischer“, gab Arkano zur Antwort. „Ich kenne die Welt der Mächtigen nicht. Ich weiß nichts von dir, nur dass du schön bist und herrlich singst. Das ist zu wenig für ein gemeinsames Leben.“

Erstaunt und fragend blickte ihn die Königstochter an.

„Für ein Leben zu zweit bedarf es mehr als nur einer auserlesenen Stimme“, fuhr Arkano fort, „es gehören Liebe, Vertrauen und gegenseitiges Verstehen dazu. Das zu erlangen, braucht seine Zeit.“

Lilabo erschrak, davon hatte ihr niemand gesprochen. „Es wird sich finden“, sagte sie hoffnungsvoll, „wir wollen uns näher kennenlernen.“

Von nun an trafen sich die Prinzessin und der Fischer oftmals im Palast oder am Flussufer. Arkano hatte darauf bestanden, dass sie nicht singen durften, wenn sie sich trafen. Sie sollten nicht abgelenkt werden, denn beiden war die Welt des anderen so fremd wie ein Märchen. Nur zum Abschied war es auf ihre Bitte erlaubt, ein gemeinsames Lied anzustimmen. Es wurde jedes Mal ein längeres.

Eines Nachts träumte Lilabo, dass sie eine Brücke baute über ein tiefes grünes Tal, auf dessen anderer Seite Arkano stand. Sie war im Traum sehr glücklich.

Der König war zunächst beunruhigt, als er von den Zusammenkünften erfuhr, hielt sie aber nur für eine vorübergehende Laune seiner Tochter. Dennoch unterhielt er sich gern mit dem jungen Fischer; von ihm erfuhr er über das Leben seiner Untertanen mehr als ihm die Höflinge berichteten. Manch guten Rat nahm er aus den Gesprächen mit. Arkano schien sehr klug.

Eines Tages saß Lilabo am Flussufer und sah zu, wie Arkano in seinem Boot stand und das Netz auswarf. Er merkte nicht, wie Krokodile sich dem Boot näherten. Lilabo aber erkannte die Gefahr. Sie wagte nicht, Arkano durch einen Zuruf zu warnen. Eine plötzliche Bewegung hätte das Boot zum Kentern bringen können. Soviel hatte sie inzwischen gelernt.

In ihrer Angst um den Fischer ließ sie das sich selbst auferlegte Gebot, nicht zu singen, außer Acht und stimmte ein Lied an. Die Krokodile hielten im Schwimmen inne und ließen sich zum Ufer treiben.

Arkano blickte ärgerlich auf, als er den Gesang Lilabos hörte. Da bemerkte er die Bewegung im Wasser, sah, wie die Bestien umkehrten und zum Ufer trieben. Er ließ sein Netz fahren und ruderte kräftig hinter den Krokodilen her, um Lilabo zu retten. Wie, das wusste er nicht, hatte er doch nur die Ruder als Waffen. Vielleicht würden die Krokodile ihn als Beute nehmen und Lilabo verschonen.

Wie aber staunte er, als er sah, dass die mordlustigen Ungeheuer sich friedlich in den Sand legten und gebannt dem Singen zu lauschen schienen.

Lilabo sang unbeirrt weiter, bis Arkano sein Boot auf den Strand gezogen und – auf einen Wink der Prinzessin hin – sich weiter vom Fluss entfernt hatte. Lilabo folgte ihm singend, bis sie gewiss sein konnte, dass sie beide in Sicherheit waren.

Arkano sah sie an. „Du hast mich gerettet!“, rief er erstaunt.

Lilabo sah ihm tief in die Augen. „Ich liebe dich“, war alles, was sie zu sagen wusste. Arkano nahm sie in die Arme. „Alles ist leichter jetzt. Wir haben eine Brücke gebaut.“

Die Umarmung am Fluss hatte ein Diener beobachtet, er berichtete sogleich dem König. Der ließ seine Tochter zu sich kommen und fragte sie, was zu der Umarmung geführt habe.

Lilabo antwortete: „Die Krokodile wollten Arkano fressen, da habe ich sie mit meinen Liedern beruhigt. Arkano wollte mich retten und sein Leben für mich hingeben. Da habe ich erkannt, dass ich ihn liebe. Ich möchte ihn und keinen anderen zum Gemahl.“

Der König war sehr gerührt, und da er seiner Tochter ungern etwas abschlug und zudem an Arkano selbst Gefallen gefunden hatte, stimmte er zu.

Als nach drei Monaten die prächtige Hochzeit angekündigt wurde, war auch der Prinz aus dem Nachbarland eingeladen.

Als er im Reich am Krokodilfluss eintraf, fragte er den König, warum seine Tochter nicht auf ihn gewartet hatte. Er hätte das Singen inzwischen erlernt. Der König sah ihn ernst an und sprach:

„Ihr beide wart töricht damals. Es gehört mehr zu einem gemeinsamen Singen als nur die schöne Stimme. Du wirst es erkennen, wenn am Hochzeitstag beide ihr Dankeslied anstimmen.“

Christa Bellanova

Die Mitte des Lebens

Die Mitte des Lebens ist ein Begriff, den man eigentlich nicht genau beschreiben oder definieren kann. Man weiß nicht, wer ihn wann oder wo erdacht hat. Wahrscheinlich war es der Mensch, weil dieser bestrebt ist, alles zu benennen und zu bezeichnen und genau aufzulisten, um so die Dinge beherrschbar zu machen. Die Menschen sprechen vor allem von dieser Mitte des Lebens, wenn sie in den Vierziger- bis Fünfzigerjahren sind und auf ihr bisheriges Leben zurückblicken. Weiß man denn, wann die Mitte des Lebens erreicht ist, weiß man denn, wie lange man leben wird? So gesehen könnte man doch nur in seiner letzten Stunde genau sagen, wann denn die Mitte des Lebens war.

Im Reich der Elfen und Feen ist das etwas ganz anderes. Feen wissen genau wie lange sie leben werden und können so ziemlich genau ihre persönliche Mitte des Lebens benennen.

Die kleine Blumenfee, von der ich hier berichten will, war aber eine Ausnahme. Natürlich hatte auch dieses Feenleben, wie alle anderen auch, in einer Blume begonnen. Wie ein Samenkorn öffnete sich die Fee, wurde größer und schöner und lebte in ihrer Blume auf einer großen Blumenwiese im Feenland, wo die Sonne immer schien, wo Schmetterlinge flogen und im Gras Schnecken, Käfer und Grashüpfer sich Guten Tag sagten, und wo viele kleine Blumenfeen genau wussten, dass sie 242 Tage leben werden, bevor sie in die große Helligkeit, die wir Menschen den Himmel nennen, zurückkehren werden.

So auch diese kleine Fee, die ihre Tage genoss, von Blume zu Blume schwebte, ihre anderen Feenschwestern und -brüder in anderen Blumen besuchte, bevor sie des Nachts wieder in ihre eigene Blume zurückkehrte, sich ein Blütenblatt über den Kopf legte, bevor sie einschlief und ihre Feenträume träumte, die von noch größeren und bunteren Blumenwiesen und noch eindrucksvolleren Schmetterlingen und Grashüpfern und Käfern handelten. Ihr einziges Bestreben war, glücklich zu sein und sich ihres Lebens zu erfreuen.

Als sie 121 Tage alt war, wusste sie instinktiv, dass sie ihre Mitte des Lebens erreicht hatte und ließ es von nun an etwas langsamer angehen. Sie flog nicht mehr so schnell, machte öfters Pausen und überlegte, wie es wohl in der großen Helligkeit sein würde. Was sie nicht wusste, war, dass das Universum andere Pläne mit ihr hatte.

Eines Nachmittags hatte sie etwas zu lange gespielt und geplaudert und mit den anderen den Feenreigen getanzt und so hatte sie sich verspätet. Auch hatte sie in der beginnenden Dämmerung ihre Blume verpasst. So flatterte sie nun umher, verlor die Orientierung und überlegte, wo sie die Nacht verbringen sollte. Und nun verspürte sie etwas, was sie noch nie gekannt hatte, ein Ziehen in der Mitte ihres kleinen Leibes, ein unbestimmtes Gefühl, das Gegenteil von Unbeschwertheit, die Vorahnung von etwas Dunklem.

Die kleine Fee konnte ihre Blume nicht mehr finden und so setzte sie sich auf einen Baumstamm, kuschelte sich zusammen und legte ein großes Baumblatt über sich. Es war ihr ganz sonderbar zumute und sie fühlte sich unbeschützt und wünschte sich etwas, was sie nicht benennen konnte und so schlief sie endlich ein. Im Gegensatz zu den anderen Nächten träumte sie schlecht und fühlte sich irgendwie unbeweglich und unfrei. Auch spürte sie im Traum eine beginnende Traurigkeit, die sie aber nicht als solche bestimmen konnte, weil Feen keine Traurigkeit kennen, sondern nur als seltsames Ziehen in der Mitte ihres kleinen Feenleibes empfinden.

Als sie des Morgens die Augen öffnete, sah sie zuerst nichts. Eine große helle Fläche, aber ohne Blumen und Sträucher und Gras, nur eine helle Fläche. Dann fühlte sie sich emporgehoben und sah Dinge, die sie noch nie zuvor gesehen hatte und auch nicht benennen konnte und eine räumliche Begrenzung, die sie so nie erlebt hatte. Auch konnte sie sich nicht bewegen. Sie wurde bewegt und gedreht und doch gleichzeitig festgehalten, als ob ihr Rücken auf einer Fläche aufgeklebt wäre und sie so am Fortfliegen hinderte. So sehr sie sich auch bemühte, konnte sie doch nicht den kleinsten Finger mehr rühren.

Sie schaukelte hin und her oder genauer: Es schaukelte hin und her und die kleine Fee mit. Und plötzlich sah sie sich selbst. Sie schwebte ohne ihr Zutun vor einem Spiegel, erkannte sich selbst, aber nicht in Farbe, wie sie es gewohnt war, sondern in grau und schwarz.

Und dann vernahm sie eine Stimme, etwas über ihr, das wie ein Dröhnen ihre kleinen spitzen Ohren erreichte und sie hörte: „Schau, das hab ich mir gegönnt zu meinem vierzigsten Geburtstag, sozusagen in meiner Mitte des Lebens. Etwas, was ich mir schon so lange gewünscht habe, ein Tattoo, ein Tattoo von einer Fee auf meinem Unterarm. Ist es nicht wunderschön? Ich bin so stolz darauf, aber leider ist es nur in schwarz; in Farbe wäre es viel zu teuer geworden.“

Und so relativiert sich alles. Die Mitte des Lebens bei der kleinen Blumenfee, die mit der Zeit auch innerlich grau und schwarz geworden war, wie ihr Äußeres, und die nun nicht mehr wusste, wie lange sie auf dem Menschenarm bleiben musste, bis sie in die große Helligkeit eingehen würde und die Mitte des Lebens der Frau, die einer kleinen Blumenfee die Farben und das bewegte Leben genommen hatte, nur durch ihren übermächtigen Wunsch dauerhaft etwas Schönes zu gewinnen und zu besitzen.

Und wir? Wann werden wir unsere Mitte des Lebens erkennen?

Stephan Binder

Anders als die anderen

Es lebte einmal ein König, der hatte zwei Kinder, einen Jungen und ein Mädchen. Beide erzog er auf dieselbe Art ohne einen Unterschied zu machen zwischen dem erstgeborenen Jungen und dem jüngeren Mädchen, schließlich war der König ein moderner Mann und wollte, dass seine Kinder so normal wie möglich aufwachsen.

Sein Sohn aber war von solch natürlicher Anmut und Schönheit, dass alle Bürger ihn ins Herz geschlossen hatten. Wann immer er das Schloss verließ, drehten sich die Menschen nach ihm um und beobachteten, wie er sich gab, welche Kleidung er trug und mit wem er redete.

Wenn ihnen gefiel, was der Prinz tat, dann klatschten die Bürger Beifall oder fotografierten ihn und redeten lange noch darüber, was der Prinz gesagt hatte. Viele wünschten sich aber, dass dies für immer so bleiben sollte, dass der Prinz immer bei ihnen bleiben sollte und dass er sie stets glücklich machen sollte.

Auch wenn jeder wusste, dass dies nicht möglich war, so sagten alle, dass sie dereinst den Prinzen vermissen würden, den verspielten Jungen, der sich vor nichts fürchtete, und der sie mit seinen Späßen erfreute.

Nahe dem Schloss des Königs aber lag ein großer dunkler Wald, und sehr oft ging der junge Prinz dorthin zum Spielen. Dann setzte er sich an den Rand eines kühlen Brunnens und beobachtete, was in der Umgebung alles geschah. Da er ein echter Prinz war, fürchteten sich die anderen Jungen ein wenig mit ihm zu spielen. Sie wollten nichts Falsches tun und auch nichts Falsches sagen und deshalb musste der junge Prinz auch heute wieder ganz alleine mit dem goldenen Ball spielen.

Der Prinz aber hatte sich ein Tor gebaut und schoss nun einmal links unten auf das Tor und dann wieder rechts oben. Das ging meistens gut, aber auf die Dauer machte es alleine keinen Spaß und so wurde ihm das Alleinsein mit der Zeit recht fad. Da kam ihm die Idee seinen Ball in den Brunnen zu werfen und gleichzeitig die Sekunden zu zählen, die es brauchte, bis der Ball ganz unten angekommen war.

Für jede Zahl, die er zählte, würde der Ball ein paar Meter sinken, und wenn er ihn ganz unten am Boden des Brunnens aufprallen hörte, würde er aufhören zu zählen und so wusste er dann, wie tief der Brunnen war.

Sogleich warf er den Ball in den Brunnen und begann zu zählen. Eins, zwei, drei, vier, so zählte er entschlossen weiter, denn er hatte noch keinen Aufprall gehört. Zehn, elf, zwölf, er zählte immer weiter denn noch immer hatte er das Wasser nicht aufspritzen gehört. Als er bis dreißig gezählt hatte, hörte er plötzlich auf zu zählen, schüttelte den Kopf und ärgerte sich über sich selbst. War dies vielleicht ein verwunschener Brunnen, dachte der Prinz. War er unendlich tief oder habe ich mich ablenken lassen?

Der Gedanke beunruhigte den Prinzen und außerdem vermisste er seinen goldenen Ball und so lehnte er sich über den Brunnenrand und versuchte so tief wie möglich nach unten zu schauen, aber da war nur ein schwarzes Dunkel, aus dem es modrig roch. Da begann der Prinz ein wenig zu weinen, er hätte es natürlich sofort bestritten, schließlich war es nicht seine Art zu weinen und er wollte sich wie ein Erwachsener benehmen.

Aber dann dachte er, niemand würde ihn in diesem tiefen, dunklen Wald sehen und dann könne er es sich einmal erlauben, hier unter der Linde am tiefen Brunnen, wo er einsam und alleine spielen musste.

Und wie er so dasaß und mit seinem Taschentuch über Nase und Augen fuhr, da rief ihm eine Stimme zu: „Was hast du verloren, lieber Königssohn, du hast eine Art zu weinen, die mir das Herz rührt.“

Der Prinz erschrak und dachte, jemand sei ihm gefolgt und hätte dieses erbärmliche Bild mit angesehen. Damit wäre er blamiert gewesen und morgen würden die Bürger über ihn reden und sagen er sei nicht bereit um König zu werden.

Aber dann sah er sich noch einmal um und stellte fest, dass niemand außer einem dunkelgrünen Frosch da war, der einen dicken, hässlichen Kopf hatte und offensichtlich sprechen konnte. Aber einen dicken Kopf hatten auch die Minister seines Vaters und so fand der Prinz nichts dabei, dem Frosch in die Augen zu blicken und mit ihm zu reden.

„Deine goldene Kugel ist in den Brunnen gefallen“, sagte der Frosch.

„Ja“, antwortete der Prinz, „und ich bin selbst daran schuld.“

„Sei beruhigt und weine nicht“, sagte der Frosch, „ich kann dir deinen Ball heraufholen, wenn du mir etwas Besonderes dafür gibst.“

„Aber ich habe keinen Geldbeutel bei mir“, sagte der Prinz, „weil ich ein Königssohn bin dem die Menschen alles geben würden wenn ich sie nur darum bitte.“

Der Frosch schaute gelangweilt in die eine Richtung, während der Königssohn dies erzählte, dann in die andere und dann wieder nach oben um den Prinzen nicht zu unterbrechen, denn der Frosch wusste, einen Prinzen sollte man immer ausreden lassen, egal was er sagte und wie uninteressant es auch war.

„Also frage ich dich noch einmal“, sagte der Frosch, „was bekomme ich dafür, wenn ich dir den goldenen Ball vom Grunde des Brunnens heraufhole?“

Der schöne Prinz war versucht zu sagen, alles, was ich dir anbieten kann, meine Kleider, meine Perlen und die goldene Krone, die ich trage. Aber so dumm war der Prinz nicht, schließlich war er nicht nur hübsch, sondern hatte schon in jungen Jahren gelernt, dass ein Prinz gerne ausgenutzt wurde. Das alles hatte ihn sein Vater gelehrt, und der Prinz war dankbar, dass sein Vater ihm so freimütig die Regeln der Königsfamilie erklärt hatte.

Und so sagte er zum Frosch: „Ich kann dir kein Gold und keine Edelsteine versprechen, aber ich sage dir, von heute an werde ich dich lieb haben und du sollst mein Freund sein, an meinem Tisch sitzen, von meinem Teller essen, in meinem Bett schlafen, und wenn du dich daran freust, auch an meinem Computer ein Computerspiel mit mir spielen.“

Da konnte der Königssohn sehen, wie die Augen des Frosches leuchteten und wie er lächelte und ihm am Ende seiner Ausführung ein oder zwei Tränen über die Wange liefen. Jedoch ist der Frosch ein Wasserwesen und Feuchtigkeit ist, so dachte der Prinz, sein natürliches Element, da können ein oder zwei Tränen nicht schaden.

Der Frosch aber ging sofort auf das Angebot des Prinzen ein. Er gab sich damit zufrieden, dass der Prinz keine materiellen Güter, sondern seine innige Freundschaft versprach. Und dann begann der Frosch mit den Vorbereitungen zu seinem ersten Tauchgang. Nachdem ein wenig Zeit vergangen war, machte es plötzlich „Platsch“ und der Frosch war abgetaucht und blieb das auch für längere Zeit. Der Prinz vermutete schon, der Frosch habe ihm leere Versprechungen gemacht aber dann dauerte es noch eine Weile und der Frosch tauchte wieder fröhlich quakend auf.

Und tatsächlich in seinem Maul steckte der vermisste goldene Ball und mit einer äußerst eleganten Bewegung warf der Frosch den Ball neben sich ins Gras. Der Prinz jubelte laut auf, nahm den goldenen Ball in die Hand, drückte ihn ein wenig, um zu sehen, ob er noch so gut war wie zuvor, und begann dann zu spielen.

„Warte, nimm mich mit“, sagte da der Frosch, „ich kann mit dem Ball nicht so gut laufen wie du, mein Prinz, aber lass mich nicht hier zurück.“

Da machte es auch schon „pitsch, platsch“ und der Frosch versuchte dem Prinzen, so gut es ging, hinterher zu rennen. Aber er kam nicht weit, denn der Prinz war zu schnell und nach kurzer Zeit konnte der Frosch den Prinzen mit seinem goldenen Ball nicht mehr sehen.

Der Prinz war voll Freude darüber, dass er seinen Ball wieder hatte, ein wenig übermütig schoss er ihn vor sich her, während er ein Lied sang und jedem, der ihm am Wegesrand begegnete, erklärte, wie glücklich er heute sei. Er übertrieb ein wenig und den Frosch, der mit seiner grünen Farbe und dem großen Kopf im hohen Gras auch leicht zu übersehen war, hatte er längst vergessen. Nach einem übermütig verbrachten Nachmittag kehrte der Prinz am Abend müde und erschöpft ins Schloss zurück.

Am nächsten Tag hielten der König und die königliche Familie ein großes Festmahl ab. Zahlreiche Gäste waren gekommen, da sie vom König mit einem hohen Orden ausgezeichnet wurden. Nun durften sie an der Festtafel im großen Saal zum Abschluss mit dem König speisen.

Plötzlich bemerkten einige der Gäste ein leises Geräusch, das von draußen zu kommen schien. Zunächst dachte sich keiner der Gäste etwas dabei, aber dieses „pitsch, platsch“ drang immer näher zu ihnen ans Ohr, bis jeder von ihnen das Gefühl hatte, es sei direkt im Festsaal angekommen und nähme nun zielstrebig den Weg auf die wunderschöne Festtafel zu, aber es hielt sich nicht bei den Gästen an den äußeren Plätzen auf, es kam immer näher dem Zentrum, dort wo der König und seine Familie saßen.

Als es auch die Ehrengäste rechts neben dem König hörten und unruhig wurden, mit den Stühlen rückten und unter der Festtafel nachzuschauen begannen, da drehte sich plötzlich jedes Gespräch am Tisch nur noch um die Frage, was denn im Festsaal des Königs so deutlich „pitsch, platsch“ machte.

Als der König aber sah, dass seinem Sohn das Herz schwer wurde, sprach er: „Was fürchtest du dich, mein Sohn, heiße unseren Überraschungsgast willkommen!“

Da sah der König, dass es sich nicht um einen Bürger, sondern um einen zwielichtig grünen Frosch handelte und er fragte den Prinzen: „Sohn, was hat der Frosch mit dir zu tun?“

Und der junge Prinz musste die Wahrheit sagen, und da er seinen Vater respektierte, erzählte er die ganze Geschichte. Als der König aber erfuhr, dass sein Sohn dem Frosch ein Versprechen gegeben hatte, ermahnte er ihn, dieses zu halten.

In dem Moment hüpfte der Frosch auf und ab und rief: „Du hast es mir versprochen, mein Prinz, du hast versprochen, dass du mich eines Tages an deine Tafel bitten wirst.“

Da sagte der König: „Was versprochen wurde, muss selbst ein Prinz halten.“

Der junge Prinz nickte bereitwillig. Er hatte geahnt, dass der König dies sagen würde. Nun antwortete er freundlich und hieß den Frosch an der Festtafel willkommen.

„Setz dich näher zu mir“, sagte er und der Frosch zögerte, aber da der König wohlgefällig nickte, setzte sich der Frosch auf den Stuhl neben dem Prinzen.

Gleich darauf schob der Prinz dem Frosch seinen Teller hin und der Frosch begann zu essen, etwas zaghaft zu Beginn, da es sich um fremdes Essen handelte, aber dann dachte er, dass er heute an diesem besonderen Tag die Etikette einhalten musste, selbst wenn ihn das für Menschen gemachte Essen viel Überwindung kostete.

Als das Essen zu Ende ging und der König die Tafel aufhob und allen Gästen einen sicheren Weg nach Hause wünschte, bemerkte der Frosch wie selbstverständlich, dass er nun in die Kammer des Prinzen mitgenommen werden wolle, da er müde sei und sich schlafen legen wolle.

Der Prinz klagte ein wenig, aber der König wurde zornig und sprach zu seinem Sohn: „Wer dir geholfen hat in der Not, dem sollst du auch helfen.“

Der Prinz nickte, packte den Frosch mit zwei Fingern, trug ihn in seine Kammer hinauf und setzte ihn vorsichtig auf dem großen Holztisch ab.

Als er nun ins Bett gehen wollte, bemerkte er wie der Frosch mit seinen tapsigen Füßen Anlauf nahm und mit einem hohen Sprung über den Teppich mitten auf seinem Bett landete.

„Wie du willst“, sagte der Prinz, „du kannst gerne heute Nacht hier bleiben, du hast es dir verdient.“

Da bemerkte der Frosch, dass der Prinz Vorbereitungen traf, um auf dem Sofa zu übernachten, und er wurde traurig und klagte: „Jetzt sind wir wirklich Freunde geworden und ich bitte dich, Prinz, dass du die Größe besitzt, über mein unangenehmes Äußeres hinwegzusehen“, sagte der Frosch, „und mich nicht alleine hier schlafen zu lassen.“

Der Prinz dachte einen Moment nach und als er wieder zwei oder drei Tränen über die Wange des Froschs rinnen sah, da sagte er, dass er den Wunsch seines neuen Freundes nicht abschlagen dürfe und auch im Bett übernachten werde.

Kurze Zeit später lagen beide auf dem Bett und der Frosch sprang vor Freude auf und ab. Aber das machte dem Prinzen nichts aus, der Frosch war schließlich klein und sehr leicht, aber die Freude des Frosches brachte schließlich auch den Prinzen zum Lachen, sodass nun auch dem Prinzen Tränen in den Augen standen. Als der Frosch aber sagte: „Ich möchte auch noch einen Gutenachtkuss!“, da setzte sich der Prinz im Bett ruckartig auf und gab dem überraschten Frosch einen Gutenachtkuss.

In dem Moment verwandelte sich der Frosch und der Prinz traute seinen Augen kaum. Er wandte sich kurz ab und schaute dann erneut hin, denn nun lag kein Frosch mehr in seinem Bett, sondern ein ausgewachsener, wohlgestalteter Königssohn, den er zuvor noch nie gesehen hatte und in dessen Augen sich Freude und Dankbarkeit zeigten.

Sofort dachte der Prinz an einen Trick aus einem Computerspiel, aber dann blickte er erneut in die Augen des Königssohns und wusste, dass dies kein Trick war und auch kein Spiel. Da begann der fremde Königssohn zu erzählen, er wäre von einem bösen Menschen verwünscht worden, niemand hätte ihn aber aus dem Brunnen erlösen können, niemand außer einer Person, die aus Mitleid ihn küssen würde.

„So hast du mich nun aus meinem Elend erlöst“, sagte der Königssohn, „und dafür werde ich dir ewig dankbar sein.“

Und dann schliefen beide erschöpft ein, und am anderen Morgen, als die Sonne sie aufweckte, wussten sie, dass sie für den Rest ihres Lebens nicht mehr ohne den anderen leben wollten.

Gleich darauf gab der Königssohn Nachricht an seinen Leibwächter, der die ganze Zeit über treu nach ihm gesucht hatte. Und so kam es, dass noch am selben Abend die Kutsche vom Leibwächter vorgefahren wurde und der Prinz verstand, dass nun die Zeit gekommen war, um für immer Abschied zu nehmen.

Der Wagen sollte noch am selben Abend den Königssohn zurück in seine Heimat bringen und der junge Prinz sagte, er könne den Königssohn nicht alleine fortfahren lassen, und da der Prinz und der junge Königssohn sich längst ineinander verliebt hatten, sagte der Prinz zu seinem Vater, er werde mitgehen, wohin auch immer der Königssohn ihn führen werde.

Der Vater war gerührt und er wollte seinem Sohn nicht im Wege stehen und wünschte ihm ein glückliches und langes Leben.

Als sie aber ein Stück des Wegs gefahren waren, hörten sie eine Eisenkette knacken und dann noch eine und noch eine Dritte, es waren die Eisenketten, die ihren Herzen verwehrt hatten, sich zu bewegen. Und dann sagte der Königssohn, dass das eiserne Band um sein Herz zerrissen sei und er jetzt absolut sicher sei, den Mann seines Lebens gefunden zu haben. Und der Prinz antwortete, auch er habe den Menschen gefunden, den er immer gesucht habe und den er ehren und achten wolle, bis an sein Lebensende.

Der Prinz und der Königssohn lächelten, und der Leibwächter sagte, sein Herz sei ebenso von einer eisernen Kette umspannt gewesen und jetzt, da er beide so glücklich vereint sehe, sei diese Kette aufgesprungen.

Da beschloss Heinrich, das war der Name des Leibwächters, die Pferde mit der Peitsche anzufeuern, damit die Kutsche noch schneller zu Hause ankommen würde und sich die frohe Kunde von der wundersamen Errettung des Königssohns im ganzen Königreich verbreite.

Susanne Blümlein

Von der klugen Prinzessin,die nicht heiraten wollte

Ein König hatte eine Tochter, die war überaus schön und er gedachte, sie gut mit einem der Könige der Nachbarländer zu verheiraten. Deshalb ließ er ein großes Fest veranstalten und lud dazu aus der Nähe und Ferne die heiratslustigen Männer ein. Sie wurden alle in eine Reihe nach Rang und Stand geordnet; erst kamen die Könige, dann die Herzöge, Grafen und Freiherrn, zuletzt die Edelleute.

Die Königstochter aber war nicht nur schön, sondern auch klug. Sie wusste, dass sie sich für den Rest ihres Lebens langweilen würde, wenn sie sich an einen König, Herzog, Graf, Freiherr oder Edelmann verheiraten ließe. Sie hatte schon jetzt den ganzen Tag nichts anderes zu tun, als zu sticken und zu nähen und war dieses Lebens überdrüssig. Doch als manierlich erzogene Prinzessin wusste sie, dass ihr ein solches Ansinnen nicht erlaubt war. Um der gefürchteten Heirat trotzdem zu entgehen, hatte sie sich vorgenommen, so unausstehlich zu sein, dass jeder Freier freiwillig davonlaufen würde.

Und so hatte sie an jedem Mann, an dem sie vorbeigeführt wurde, etwas auszusetzen: Der eine war ihr zu dick: „Das Weinfass!“, sprach sie. Der andere zu lang: „Lang und schwank hat keinen Gang!“ Der Dritte zu kurz: „Kurz und dick hat kein Geschick!“ Der Vierte zu blass: „Der bleiche Tod!“ Der Fünfte zu rot: „Hahnenkamm!“ Der Sechste war nicht gerade genug: „Grünes Holz, hinterm Ofen getrocknet!“ Besonders aber machte sie sich über einen jungen König lustig, der ganz oben stand und dem das Kinn ein wenig krumm gewachsen war. Denn sie hatte ihn ankommen sehen und war empört darüber, wie er sein erschöpftes Pferd einfach im Hof stehen ließ und ins Schloss trat, obwohl das Tier schwer atmete und die Flanken schweißnass waren. Sie hatte nach Minuten des Wartens ihre eigene Magd zu einem der Knechte geschickt, mit der Order, sich um das Tier zu kümmern.

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