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Immer wenn Hunter den Duft von Nachtjasmin riecht, erinnert er sich an Aimée. Einst hatte er eine wilde Affäre mit ihr. Getrieben von Neugier, was aus ihr geworden ist, reist Hunter zu Aimée - und erlebt eine Überraschung!
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Seitenzahl: 221
Erica Spindler
Wenn die Liebe erblüht…: Jasminduft in der Nacht
Aus dem Englischen von Patrick Hansen
MIRA® TASCHENBUCH
MIRA® TASCHENBÜCHER
erscheinen in der Harlequin Enterprises GmbH,
Valentinskamp 24, 20354 Hamburg
Geschäftsführer: Thomas Beckmann
Copyright dieser Ausgabe © 2014 by MIRA Taschenbuch
in der Harlequin Enterprises GmbH
Titel der englischen Originalausgabe:
Night Jasmine
Copyright © 1993 by Erica Spindler
erschienen bei: Silhouette Books, Toronto
Published by arrangement with
Harlequin Enterprises II B.V./S.àr.l
Konzeption/Reihengestaltung: fredebold&partner gmbh, Köln
Umschlaggestaltung: pecher und soiron, Köln
Redaktion: Maya Gause
Titelabbildung: Thinkstock/Getty Images, Köln
ISBN eBook 978-3-86278-955-9
www.mira-taschenbuch.de
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eBook-Herstellung und Auslieferung:
readbox publishing, Dortmund
www.readbox.net
Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.
Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.
Der Preis dieses Bandes versteht sich einschließlich
Die Aprilsonne brannte warm vom Himmel und wurde grell und gleißend vom Pflaster zurückgeworfen. Hunter Powell ärgerte sich, dass er seine Sonnenbrille im Kongresszentrum gelassen hatte. Er drängte sich zusammen mit seinen Arztkollegen zwischen den Touristen hindurch, die die Bürgersteige des French Quarter von New Orleans bevölkerten, und fragte sich, warum er sich das hier zumutete. Hochprozentige Drinks hinunterzukippen und durch T-Shirt-Läden zu hetzen war nicht gerade das, was er sich unter Erholung vorstellte.
Aber genau das tat er jetzt.
Die Gruppe bahnte sich ihren Weg durch die schickere und nicht ganz so stark besuchte Royal Street. Hier war selbst der Lärm weniger intensiv – die klappernden Absätze eines Straßentänzers, das Wispern der Brise, vermischt mit dem verlockenden Duft von gegrillten Meeresfrüchten, hin und wieder ein belustigtes Auflachen.
Alles hier erinnerte ihn an Aimée.
Hunter hielt den Atem an, als ihr Bild in seiner Erinnerung auftauchte. Aimée – mit ihren großen, dunklen Augen und der tiefen, erotischen Stimme. Aimée, die so gern und viel lachte und ihn mit ihrer ansteckenden Fröhlichkeit aus seiner Zurückhaltung holte. Aimée in seinen Armen, seinem Bett, seinem Leben.
Die Erinnerung war so deutlich, dass er unwillkürlich die Hände zu Fäusten ballte. Seit sein Flugzeug vor zwei Tagen auf dem Internationalen Flughafen von New Orleans gelandet war, hatte er nicht mehr aufhören können, an sie zu denken. Immer wieder hatte er sich dabei ertappt, wie er nach ihr Ausschau hielt, nach ihrer Stimme suchte.
Er schüttelte den Kopf. Warum konnte er sie nicht mehr vergessen? Weil sie aus einem Cajun-Fischerdorf nicht weit von hier stammte? Nur weil sie oft über den Namen des Dorfs gelacht hatte – La Fin, „das Ende“, auf Französisch?
Hunter zog die Augenbrauen zusammen. Es war jetzt dreieinhalb Jahre her, dass sie aus seinem Leben verschwunden war. Genauer gesagt, dass er sie aus seinem Leben vertrieben hatte. Und in der ganzen Zeit hatte er nie daran gezweifelt, das Richtige getan zu haben. Sicher, er hatte oft an sie gedacht, sie vermisst. Aber er hatte nie daran gedacht, sie zurückzuholen.
Er hatte ihr nichts geben können. Er konnte ihr noch immer nichts geben.
Hunter rief sich zur Ordnung. Hör auf, befahl er sich. Es bringt nichts, dich damit zu quälen. Es ist reine Zeitverschwendung und grenzt an Selbstmitleid.
Er würde ins Hotel zurückkehren und noch einmal den Vortrag durchgehen, den er morgen halten sollte. Er hatte Aimée vor dreieinhalb Jahren aus seinem Leben verdrängt, er würde es auch jetzt schaffen.
Hunter kehrte in die Gegenwart und damit zu den anderen Teilnehmern des Ärztekongresses zurück. „Ich sehe euch beim Abendessen“, sagte er. „Ich gehe jetzt ins Hotel.“
„Ach, kommen Sie, Hunter“. Jack, ein Orthopäde aus Des Moines, der schon ein paar exotische Drinks zu viel genossen hatte, meinte: „Nur Arbeit und kein Vergnügen, wie langweilig.“
„Genau“, stimmte ein anderer Kollege zu, an dessen Namen Hunter sich nicht erinnern konnte.
„Lasst ihn in Ruhe, Leute“, rief Sheila, eine Internistin aus Hunters Klinik in Kalifornien. „Hunter hat recht. Ich kann kaum noch laufen.“ Sie sah ihn an. „Ich schaue noch mal kurz in dieses Geschäft, dann komme ich mit.“
Hunter warf einen Blick auf das Geschäft, vor dem sie standen. „Kleine Wunder“ stand auf dem Schild. „Antiquitäten und Krimskrams.“ Er nickte Sheila zu und ging mit ihr hinein.
Im Inneren war es kühl, es roch ein wenig muffig und nach Mottenkugeln. Hunter lehnte sich gegen den Verkaufstresen, um zu warten, während Sheila sich umsah. Dabei stieß er mit dem Ellenbogen gegen etwas, das am Rand des Tresens stand. Hastig drehte er sich um und fing es auf, bevor es zu Boden fallen konnte.
Es war eine Spieluhr. Hunter betrachtete sie. Antiquitäten interessierten ihn nicht. Er hatte sein Zuhause sachlich und modern eingerichtet. Schlicht. Kein Schnickschnack.
Die Spieluhr, die er in den Händen hielt, war mit ihren Goldverzierungen und der Porzellanfigur eindeutig Schnickschnack. Eigentlich sollte er sie zurückstellen und in Zukunft besser aufpassen, stattdessen hielt er die Uhr hoch und sah sie sich genauer an.
Die zarte Porzellanfigur stellte eine Südstaatenschönheit mit Reifrock und prächtigem Hut dar. Ihre Miene war kokett, und in den Händen hielt sie einen Strauß weißer, sternförmiger Blüten. Vorsichtig drehte Hunter den Schlüssel. Eine romantische Melodie von Brahms ertönte, und die Figur kreiste auf dem Sockel der Spieluhr mit ausgestreckten Händen, als wollte sie ihm ihre Blumen überreichen.
Hunter starrte auf die zarte Gestalt und musste wieder an Aimée denken. So lebendig, so sinnlich war die Erinnerung, dass er glaubte, ihr verführerisches Lachen hören und ihre Lippen an seiner Haut spüren zu können. Er packte den glänzenden Holzsockel der Spieluhr noch fester. Aimée hatte nach Sonnenschein und exotischen Blüten geduftet. So süß wie …
„Nachtjasmin“, sagte eine Frau hinter ihm. Ihre Stimme klang heiser und ein wenig belustigt.
Hunter fuhr herum. Für einen Moment hatte er geglaubt, Aimée zu hören, und nicht die kleine Frau mit dem flammend roten Haar und dem leicht spöttischen Lächeln, die hinter ihm stand. Nachtjasmin. Sprachlos starrte Hunter die Geschäftsinhaberin an, in Gedanken noch immer bei Aimée. Aimée hatte ihm oft vom Nachtjasmin erzählt, der wild in der Nähe ihres Zuhauses wuchs, und von seinem berauschenden Duft an den warmen Frühlingsabenden in den Sümpfen.
„Wie bitte?“, brachte er nach einem Moment heraus.
„Die Blumen“, sagte die Frau und zeigte auf die Figur. „Es ist Nachtjasmin. Schon mal davon gehört?“
„Ja. Jemand, den ich mal kannte …“ Hunter verstummte, sah wieder auf die Spieluhr. „Es ist ein wunderschönes Stück. Aber ich interessiere mich nicht für Antiquitäten.“
„Nein?“ Mit einem tiefen Lachen nahm die Frau ihm die Spieluhr ab und zog sie wieder auf. „Aber dies ist keine gewöhnliche Antiquität. Dies ist etwas ganz Besonderes. Diese Spieluhr stammt von Ashland, einer der bekanntesten Plantagen im Mündungsgebiet des Mississippi. Schon mal davon gehört?“
Hunter schüttelte den Kopf. „Nein, ich komme aus Kalifornien und interessiere mich wirklich nicht für …“
„Es ist eine traurige Geschichte. Die Plantage und das Herrenhaus haben den Bürgerkrieg überstanden, aber nicht die Zeiten. Wie auch immer, dieses Stück wurde für Annabelle Carter gearbeitet, als sie sich mit Beauregard Ames, dem Herrn von Ashland, verlobte.“ Die Geschäftsinhaberin strich sich über die roten Locken, und ihre silbernen Armbänder klirrten. „Es ist der Familie sehr schwergefallen, die Spieluhr wegzugeben … aber Sie wissen ja, wie es ist. Manches lässt sich nicht ändern.“
Sheila berührte seinen Arm. „Können wir gehen, Hunter?“
Er sah sie an, als hätte er sie vollkommen vergessen. „Ja … nein. In einer Minute. Ich komme … in einer Minute.“ Er wandte sich wieder der Frau zu. Er brauchte das Ding nicht. Er wollte es nicht einmal. Wirklich nicht. Und trotzdem konnte er sich nicht davon losreißen. „Wie viel kostet es?“
„Wie können wir der Geschichte einen Preis geben?“ Die kleine Frau seufzte dramatisch. „Aber natürlich müssen wir es tun. Für achthundert ist diese Spieluhr so gut wie geschenkt.“
„Achthundert?“, wiederholte Hunter und schüttelte den Kopf. „Danke für Ihre Mühe, aber ich glaube nicht …“
„Sie werden es immer bereuen, wenn Sie sie nicht nehmen.“ Sie sah ihm tief in die Augen. „Sie ist etwas sehr Besonderes.“
Hunter wich ihrem Blick aus und dachte an all die Dinge, die er in seinem Leben schon bereut hatte. Und an Aimée und ihr kleines Fischerdorf. Nicht zum ersten Mal, seit er in New Orleans angekommen war, fragte er sich, wie weit das Dorf von der Stadt entfernt lag und ob Aimée dort war.
„Sie haben noch Fragen, cher?“
Cher. Das bedeutete „mein Lieber“. So hatte Aimée ihn immer genannt. Nur Aimée. Hunter zog die Augenbrauen zusammen und sah die Frau wieder an. „Haben Sie je von einem Dorf namens La Fin gehört?“
„Aber natürlich.“ Die kleine Frau strich über den Sockel der Spieluhr, und ein Lächeln umspielte ihren Mund. „Es ist etwa eine Stunde von hier entfernt. Eine schöne Fahrt. Ich werde Ihnen den Weg beschreiben.“
Hunter sah auf die Spieluhr und gestand sich ein, dass das, was ihm gerade durch den Kopf ging, überhaupt nicht zu ihm passte. Es war absolut unvernünftig. Dachte er wirklich daran, Aimée zu besuchen? Nach all dieser Zeit? Selbst wenn sie tatsächlich in La Fin war, würde sie ihn auf der Stelle hinauswerfen.
„Manchmal, cher, müssen wir unserem Herzen folgen.“ Die Frau legte den Kopf zur Seite. „Finden Sie nicht auch?“
Hunter zog die Stirn kraus. Das Gefühl, das die Frau seine Gedanken lesen konnte, beunruhigte ihn. Am liebsten hätte er ihr widersprochen. Aber er tat es nicht, denn sie hatte recht. „Ich gebe Ihnen siebenhundertfünfzig dafür.“
Die kleine Frau lächelte zufrieden. „Sie sind ein harter Mann, cher. Aber ich bin einverstanden.“
„Dieses kleine Schweinchen ging zum French Market“, summte Aimée Bodreaux, während sie mit dem großen Zeh ihres dreijährigen Sohns Oliver spielte. Oliver quietschte vergnügt und versuchte, seinen Fuß wegzuziehen. Lachend hielt Aimée ihn fest und griff nach dem nächsten Zeh. „Dieses kleine Schweinchen blieb zu Hause am Bayou.“
Oliver kicherte und wand sich, dann legte er den Kopf auf die Seite und schob mitfühlend die Unterlippe vor. „Armes, kleines Schweinchen“, sagte er traurig.“ Ganz allein.“
Aimée küsste ihn auf den großen Zeh. „Maman würde Oliver nie allein am Bayou lassen.“
„Nein.“ Oliver schüttelte ernst den Kopf. „Und ich gehe nie ohne dich oder pépère dorthin.“
„Das ist richtig.“ Sie kitzelte ihn an der Fußsohle, dann nahm sie den dritten Zeh. „Dieses kleine Schweinchen aß Roastbeef auf Weißbrot …“
„Batard! Fornicateur!“
Erstaunt sah Aimée in die Richtung, aus der die Schimpfwörter kamen. Sie kamen aus dem Geschäft, in dem ihre Familie Angelzubehör und Köder verkaufte. Sie zog die Augenbrauen zusammen. Ihr Vater war temperamentvoll, und es kam schon mal vor, dass er und ein Freund heftig aneinandergerieten. Jedenfalls war es früher vorgekommen. Vor der Krankheit. Aber seitdem …
Ein weiterer wütender Ausbruch folgte, und Aimée sprang auf. Sie streckte die Hand nach Oliver aus. „Komm, Baby. Wir sehen besser mal nach deinem pépère. Wir essen und spielen nachher weiter.“
Oliver folgte ihr mit besorgter Miene. „Warum schreit pépère so?“
„Ich weiß es nicht, Liebling“, sagte sie, schon unterwegs zum Laden. „Wir sehen einfach …“
„Aimée!“, rief ihr Vater von innen. „Bring mir meine Schrotflinte! Beeil dich!“
Schrotflinte! Das Herz schlug ihr bis zum Hals, als sie Oliver auf den Arm nahm und losrannte. Statt der Treppe nahm sie die Rampe, die für ihren Vater gebaut worden war, und riss die Fliegentür auf. Dann stellte sie Oliver ab, schob ihn behutsam zur Seite und rannte hinein. „Papa! Was ist los? Was ist …“ Wie angewurzelt blieb sie stehen und verstummte.
Hunter. Sie traute ihren Augen nicht.
Aber er war es wirklich. Er stand im Laden, und seine Miene war eisig.
Aimée holte tief Luft, um sich zu beruhigen. Hunter hatte ihr das Herz und den letzten Rest ihrer jugendlichen Naivität gestohlen. Er hatte ihr die schönste Zeit ihres Lebens geschenkt, aber er hatte ihr auch gezeigt, dass das Leben einem nur selten das gab, was man sich erhoffte. Sie hatte ihn einmal so leidenschaftlich geliebt, wie sie ihn später hasste.
Sie hatte geglaubt, sie würde ihn nie wiedersehen.
Sie atmete noch einmal durch. So wie er aussah, wirkte er noch immer wie eine Mischung aus kalifornischem Surfer und ernstem Akademiker. Er war schlank, muskulös, gebräunt, hellblond, wie jemand, der sich oft am Strand aufhielt. Wie gern hatte sie in seinem Haar gewühlt und es wie goldene Seide durch die Finger gleiten lassen.
Aber seine Miene und seine Augen verrieten, dass er kein so einfacher Mensch war. Wie oft hatte er sie aus diesen blauen Augen angesehen, nachdenklich, verschlossen und durchdringend. Immer hatte er ein wenig Abstand von ihr und ihrer Welt gehalten.
Anstatt sich durch diese Zurückhaltung abschrecken zu lassen, hatte sie sich angezogen gefühlt. Auch von dem Schmerz, den er dahinter versteckte.
Sie war noch so jung gewesen, so unglaublich naiv. Sie hatte geglaubt, ihn aus der Reserve locken, ihn und sein Leben ändern zu können. Aber sie hatte auch geglaubt, alle ihre Träume verwirklichen zu können, allein durch ihre Willenskraft.
Sie war so dumm gewesen.
Aimée hob das Kinn. Das war noch keine vier Jahre her, aber es kam ihr vor wie ein ganzes Leben. Falls er erwartete, das fröhliche, zuversichtliche Mädchen zu finden, dessen Herz er so mühelos erobert und gebrochen hatte, so würde er sich gewaltig wundern.
Hunter drehte sich zu ihr um, langsam, vorsichtig, als hätte er Angst, ihren Vater aus den Augen zu lassen. Als er sie ansah, war es, als würde die Zeit stillstehen, als gäbe es auf der Welt nur noch ihren Blickkontakt. Wie aus weiter Ferne hörte sie, dass ihr Vater in seiner Wut etwas murmelte, wie sein Rollstuhl leise quietschte, als er zum Lagerraum rollte.
Hunter hatte sich in den dreieinhalb Jahren nicht verändert. Seltsam. Wenn sie in den Spiegel sah, sah sie, wie sehr sie selbst sich verändert hatte.
„Hallo, Aimée.“
„Hunter.“
„Wie geht es dir?“
„Gut.“
„Maman?“ Oliver streckte den Kopf durch die Tür. „Kann ich jetzt hereinkommen?“
Aimée drehte sich zu ihrem Sohn um und rang sich ein gelassenes Lächeln ab. „Natürlich, Baby. Komm herein.“ Sie streckte den Arm aus, und Oliver kam angerannt, um sich an ihr Bein zu klammern. Sie strich ihm beruhigend über den Kopf, bevor sie Hunter mit hochgezogenen Augenbrauen musterte. „Was kann ich für dich tun?“
„Kein Hallo für einen alten Freund?“
Für einen alten Freund? dachte Aimée. Sie hatte ihn einmal so sehr geliebt, dass sie geglaubt hatte, nicht mehr ohne ihn leben zu können. Aber er hatte ihre Liebe nie erwidert. „Nein“, sagte sie nur. „Nicht mehr. Nicht nach all dieser Zeit.“
„Es tut mir leid. Ich weiß, dass ich dir wehgetan habe.“
Sie straffte die Schultern. Er war immer direkt auf den Punkt gekommen. Es hatte Zeiten geben, in denen sie das an ihm gehasst hatte. „Wirklich?“
„Ja.“
Ungläubig sah sie ihn an, und er ließ seinen Blick kurz zu Oliver hinüberwandern. „Hübscher Junge.“
„Danke.“ Aimée zog Oliver noch fester an sich. Was sah Hunter, wenn er ihren Sohn betrachtete? Sah er in dem kräftigen Jungen etwas von sich selbst? Sicher nicht in der schokoladenbraunen Farbe seiner Augen und Haare, und auch nicht in der Haut, die von der Sonne Louisianas tief gebräunt war. Aber sah Hunter die Ähnlichkeit in den Gesichtern von Vater und Sohn? In den großen, nachdenklich blickenden Augen? In der kleinen Furche am Kinn? In der hohen, breiten Stirn?
Hunter betrachtete Oliver. „Wie alt ist er?“
Aimée erstarrte. Die Frage machte ihr angst. Unnötigerweise, sagte sie sich rasch. Hunter hatte kein Interesse, den Vater zu spielen.
Sie ignorierte seine Frage und stellte eine eigene. „Warum bist du gekommen, Hunter?“
Er zögerte, und zum ersten Mal erkannte Aimée, wie nervös er war. „Ich war in der letzten Woche auf einem Ärztekongress in New Orleans und ich … dachte an dich. Ich wollte dich sehen.“ Er sah kurz zur Seite. „Ich wollte mich davon überzeugen, dass es dir … gut geht.“
Er hatte an sie gedacht? Nach drei Jahren wollte er sich davon überzeugen, dass es ihr gut ging? „Nun ja“, sagte sie kühl, „wie du siehst, geht es mir gut. Wenn das alles war, werden Oliver und ich wieder zu unserem Picknick gehen.“
„Geht es dir gut, Aimée?“ Er machte einen Schritt auf sie zu. „Wirklich?“
Seine Stimme war leise, fast intim. Voll der Besorgnis, die man nur um jemanden empfand, mit dem man die persönlichste und intensivste aller Beziehungen gehabt hatte. Und diese besorgte Stimme ging ihr so ans Herz, wie sie es nach all dieser Zeit nie erwartet hätte. „Warum fragst du? Sehe ich krank aus, Doktor?“
„Nein.“ Er schüttelte den Kopf. „Du siehst gut aus. Schön, genauer gesagt. Aber du … hast dich verändert.“
Sie straffte die Schultern. „Es ist lange her.“
„Ja, das ist es. Dreieinhalb Jahre.“
Aimée legte die Hand auf Olivers Schulter. „Nun ja, jetzt hast du mich gesehen. Du kannst wieder gehen.“
„Ich kann verstehen, dass du wütend bist.“
Plötzlich begriff sie. Sein schlechtes Gewissen hatte ihn hergebracht.
Verdammt, dachte sie zornig. Sie wollte sein schlechtes Gewissen nicht. Sie wollte seine Reue nicht. Sie hatte selbst genug von beidem.
„Dafür kommst du etwas zu spät“, sagte sie leise. „Ich bin nicht wütend. Nicht mehr. Wenn du Vergebung suchst, musst du sie dir woanders holen.“
Ihr Vater kam aus dem Lager gerollt, die Schrotflinte über den Beinen. „Geh zur Seite, Aimée“, befahl er. „Bring meinen Enkel zu seinem Picknick zurück.“
„Papa?“ Ungläubig schüttelte sie den Kopf. „Was tust du?“
„Das hier ist Männersache.“ Er legte die großen Hände um die Waffe. „Geh jetzt.“
Sie hob die Hände, versuchte ihn zu beruhigen. „Leg die Waffe weg. Das ist nicht …“
„Genug!“ Ihr Vater hob die Flinte und richtete sie auf Hunters Brust. „Was haben Sie mit meiner Aimée vor?“, fragte er und spannte den Hahn.
Aimée machte einen Schritt auf ihren Vater zu. „Das ist doch lächerlich, Papa. Leg das Gewehr weg. Du verstehst es nicht.“
Er warf ihr einen Blick zu. „Ich bin vielleicht alt, chère, aber manche Dinge ändern sich nie.“ Mit zusammengekniffenen Augen musterte er Hunter. „Was wollen Sie denn nun für meine Aimée und ihren Sohn tun?“
Für einem Moment herrschte Stille. Dann sah Hunter von Aimée zu Oliver und wieder zu ihr zurück. Ungläubiges Staunen glitt über sein Gesicht. „Aimée?“
Sie räusperte sich. „Hunter, ich …“
„Wie alt ist er, Aimée?“
Mit heftig klopfendem Herzen drehte Aimée sich wieder zu ihrem Vater um. „Papa, überlass das bitte mir. Bitte nimm Oliver mit nach draußen.“
Hunter griff nach ihrem Arm. Ihr Vater hob die Schrotflinte ein Stück an, und Hunter ließ den Arm wieder los. „Wie konntest du … es mir nur verschweigen?“
Aimée begann zu zittern und fuhr zu Hunter herum. Vor diesem Moment hatte sie Angst gehabt. Sie hatte von ihm geträumt. Sie hatte nie wirklich geglaubt, dass er kommen würde. Jetzt war er da, und sie hatte nicht die leiseste Ahnung, was sie ihm sagen sollte.
„Oliver“, befahl sie, „nimm deinen pépère mit zum Picknick. Beeil dich, bevor die Eichhörnchen alles wegessen.“
Verängstigt klammerte er sich an ihre Beine. „Du musst auch mitkommen.“
Sein Flehen war wie ein Stich ins Herz. Er spürte, was in ihr vorging. Sie hätte ihn längst auf sein Zimmer schicken sollen.
Sie zwang sich, ihn aufmunternd anzulächeln und strich ihm über den Kopf. „Ich komme gleich, Baby. Es ist alles gut.“
Widerwillig ging Oliver zu seinem Großvater, der sich von seinem Enkel nach draußen bringen ließ, aber nicht ohne Aimée vorher noch einen zornigen Blick zugeworfen zu haben.
Aimée sah den beiden nach und seufzte. Wenn sie mit Hunter fertig war, würde sie sich der Verwirrung ihres Sohnes und dem Zorn ihres Vaters stellen müssen – und seiner Enttäuschung.
Als die Fliegentür hinter ihnen zuknallte, drehte sie sich zu Hunter um. In seiner Miene spiegelte sich keine Überraschung mehr, sondern nur noch Wut.
„Der Junge ist von mir?“, fragte er scharf.
„Der Junge hat einen Namen“, entgegnete sie ebenso scharf. „Oliver.“
„Ist er … wirklich … von mir?“
Aimée verschränkte die Arme vor dem Körper. „Ja.“
Hunter murmelte etwas Unverständliches und kehrte ihr abrupt den Rücken zu. Lange starrte er auf die Tür. Sie starrte auf seinen Rücken, die gestrafften Schultern, und das Schweigen zwischen ihnen schien kein Ende zu nehmen.
Schließlich fuhr er wieder herum. „Wie konntest du es wagen, Aimée?“
„Was?“, fragte sie. „Schwanger zu werden? So etwas passiert eben, Hunter. Wusstest du das nicht?“ Sie lachte verbittert. „Vor allem naiven Mädchen.“
„Augenblick mal!“ Er machte einen schnellen, fast drohenden Schritt auf sie zu. „Du warst kein Teenager mehr. Du warst nicht mal unberührt.“
Noch nie hatte sie ihn richtig wütend erlebt. In all der Zeit, die sie zusammen gewesen waren, war er höchstens verärgert gewesen. Sie atmete tief durch und blieb, wo sie war, obwohl sie am liebsten davongerannt wäre. „Wäre es anders zwischen uns gekommen, wenn ich unberührt gewesen wäre?“
„Hör auf. Du warst schon immer gut darin, die Realität so lange zu verdrehen, bis sie in dein Bild passte.“ Er ballte die Hände zu Fäusten. „Wir reden darüber, warum du mir verschwiegen hast, dass du schwanger warst. Versuch nicht, das Thema zu wechseln.“
„Schön.“ Sie sah ihm in die Augen. „Du hattest mir bereits klar gesagt, dass du mich nicht wolltest. Dass du kein Kind wolltest. Warum hätte ich dir sagen sollen, dass ich schwanger war?“ Ihr Blick wurde durchdringend. „Oder hast du etwa gelogen?“
„Du weißt, dass ich nicht gelogen habe.“
Seine deutliche Antwort war keine Überraschung. Trotzdem war sie wie ein Messerstich. „Ich wiederhole, warum hätte ich es dir sagen sollen? Ich wollte dich nicht zu einer Vernunftehe zwingen. Ich wollte dir nicht wehtun oder dir Schuldgefühle einimpfen.“
Hunter stieß ein halb frustriertes, halb zorniges Brummen aus. „Du hättest es mir sagen sollen, weil ich ein Recht hatte, es zu erfahren.“
„So habe ich es nicht gesehen. Ich sehe es noch immer nicht so.“
„Es gehören zwei dazu, schwanger zu werden, Aimée. Das Kind ist halb von mir.“
Sein Ton erschreckte sie so sehr, dass sie zurückwich. Er hatte kein Recht auf Oliver. Nicht dieser Mann, der erklärt hatte, nie wieder ein Kind haben zu wollen.
„Oliver gehört mir“, sagte sie leise, aber bestimmt. „Es hat immer nur ihn und mich gegeben. Er ist glücklich. Es würde ihn verwirren, wenn plötzlich …“ Es war ihr unmöglich, den Gedanken zu Ende zu bringen. „Unter anderen Umständen hätte ich es dir gesagt. Ich hätte es dir gesagt, wenn ich hätte glauben können, dass du jemals wieder Vater werden wolltest. Aber so ist es mir lieber, Oliver hat keinen Vater, als einen, der ihn nicht will. Ich dachte, es wäre besser, wenn er dich nicht kennt. Das denke ich noch immer.“
Hunter schien protestieren zu wollen, ließ es aber. Eine Mischung aus Schmerz und Erleichterung stieg in ihr auf. Erleichterung darüber, dass sie jetzt keine Angst mehr vor Hunters Auftauchen zu haben brauchte. Schmerz darüber, dass er ihren gemeinsamen Sohn gesehen hatte und ihn nicht liebte.
Aimée rieb sich müde den Nacken. „Mit dem hier tun wir uns nichts Gutes. Wir haben uns nie etwas Gutes getan.“
„Aimée, das ist nicht wahr. Ich will nicht, dass du …“
Mit einem Kopfschütteln unterbrach sie ihn. „Ich möchte, dass du jetzt gehst. Was immer wir miteinander hatten, ist schon lange vorbei.“ Sie ging zur Tür. „Ich wünsche dir ein angenehmes Leben, Hunter Powell.“
„Habe ich das getan?“, fragte er leise.
Sie blieb stehen und sah ihn an. In seinen Augen lag ein Ausdruck, den sie an ihm nicht kannte. „Was hast du getan?“
„Habe ich dich so verändert? Habe ich dir so sehr weh getan?“
In ihr rangen die unterschiedlichsten Gefühle miteinander. Schmerz. Zorn. Trauer. Verzweiflung. Bis heute hatte sie geglaubt, nichts mehr für Hunter Powell zu empfinden. Nicht einmal Zorn. Warum war er zurückgekommen und hatte Erinnerungen geweckt, die sie nicht haben wollte?
„Habe ich das, Aimée?“, fragte er nach.
Ja, wollte sie schreien. Du hast mir so sehr weh getan, dass ich glaubte, ich würde mich nie davon erholen. Aber sie schüttelte nur den Kopf und sah ihm ruhig in die Augen. „Du überschätzt dich, Hunter. Au revoir.“
Sie drehte sich um und ging davon. Sie wollte ihm keine Gelegenheit zum Antworten geben, denn sie konnte die Tränen kaum noch zurückhalten. Er rief ihren Namen, ganz leise, und sie hielt den Atem an. Würde er ihr folgen? Sie hoffte, dass er es tun würde, und betete, dass er es nicht tun würde.
Er tat es nicht.
Sie zuckte zusammen, als die Ladentür knallte. Ein Motor sprang an, dann knirschten Reifen im Kies der Einfahrt.
Sie schluckte. Hunter war ihr nie nachgelaufen, warum sollte er es jetzt tun? Es war besser so. Es war das, was sie wollte.
Aimées Hand zitterte, als sie sie an den Mund hob. Wie lange hatte sie davon geträumt, dass er kam, ihr seine Liebe gestand, ihr sagte, dass er ohne sie nicht mehr leben konnte? Und als dieser Traum verblasst war, hatte sie einen anderen geträumt. Einen, in dem sie kühl und unnahbar war, unbeeindruckt von seinem Flehen und seinen Versprechungen. Einen, in dem sie ihm so weh tat, wie er ihr wehgetan hatte.
Sie hatte sich ausgemalt, wie sie reagieren würde, wenn er kam. Und wie immer in ihren Träumen, war sie ihm überlegen gewesen.
Aber wie früher, so war auch diesmal Hunter der Kühle und Überlegene gewesen.
Aimée starrte zu ihrem Vater und Oliver hinüber, die im Schatten der riesigen, alten Eiche saßen. Sie sah ihrem Vater an, dass er wütend auf sie war. Er würde nicht verstehen, warum sie ihn angelogen hatte. Genauer gesagt, er würde das, was sie ihm erzählt hatte, als Lüge ansehen. Aber sie hatte nicht gelogen. Sie hatte ihm damals erzählt, dass Hunter verheiratet war und nichts mehr von ihr und Oliver wissen wollte. Und keins von beidem war eine Lüge gewesen, denn obwohl Hunters Frau damals schon tot war, war er im Grunde noch immer mit ihr verheiratet gewesen.
Ungeduldig wischte Aimée sich die Tränen von den Wangen. Also hatte sie ihrem Vater wieder wehgetan. Und ihn wieder enttäuscht. Irgendwie schien das bei ihr zur Regel geworden zu sein.
Besorgt sah Oliver zum Laden herüber. Sie hörte, wie er seinen pépère nach ihr fragte, und atmete tief durch. Für Tränen und Selbstvorwürfe war später noch Zeit. Jetzt brauchte ihr Sohn sie.
Sie eilte nach draußen und über den Rasen. „Habt ihr Mommy etwas übrig gelassen?“, rief sie und setzte ein fröhliches Lächeln auf.
„Maman!“ Oliver sprang auf und rannte ihr entgegen.
Er warf sich in ihre ausgebreiteten Arme, und sie hob ihn hoch. „Hi, Baby. Habt ihr Spaß, du und pépère?“
Oliver nickte und schmiegte sich an sie. Halb war er noch Baby, halb schon Junge, und ihr wurde warm ums Herz. Was sollte sie tun, wenn sie ihn verlor? Sie küsste sein seidiges Haar. „Ich liebe dich.“