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Als Teenager hat Gracie heiß für Sebastian Wingate geschwärmt! Ohne Hoffnung, dass sich ihre Träume jemals erfüllen, denn sie war arm, und er kam aus einer reichen texanischen Familie. Doch nun hat sich das Blatt gewendet: Gracie ist Lottomillionärin – und die Wingates stehen vor dem Ruin. Als sie bei einem Maskenball im Texas Cattlemanʼs Club ausgerechnet in Sebastians Armen landet, möchte Gracie so gern glauben, dass er ihre sinnlichen Gefühle endlich erwidert! Aber was, wenn er sie nur verführt, weil sie nun vermögend ist?
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Seitenzahl: 190
IMPRESSUM
BACCARA erscheint in der Verlagsgruppe HarperCollins Deutschland GmbH, Hamburg
© 2021 by Harlequin Books S. A. Originaltitel: „One Night in Texas“ erschienen bei: Harlequin Enterprises Ltd., Toronto in der Reihe: DESIRE Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.
© Deutsche Erstausgabe in der Reihe BACCARA, Band 2204 09/2021 Übersetzung: Susann Rauhaus
Abbildungen: Harlequin Books S. A., alle Rechte vorbehalten
Veröffentlicht im ePub Format in 09/2021 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.
E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck
ISBN 9783751503853
Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten. CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.
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Gracie Diaz betrachtete sich im Spiegel und sah die Frau, die sie immer gewesen war: eine Frau, deren Vater aus Mexiko in die USA eingewandert war und auf der Ranch der Wingates gearbeitet hatte und deren Mutter zu kellnern angefangen hatte, nachdem Gracies Vater gestorben war. Sie sah dieselbe junge Frau mit rauchbraunen Augen, olivfarbener Haut und dunklem Haar, die immer noch hoffnungslos verliebt in Sebastian war, den ernsthafteren der beiden unverschämt attraktiven Wingate-Zwillinge. Dieselbe naive Träumerin mit den hochfliegenden Plänen, eine Eventfirma aufzubauen und eines Tages eine Familie zu gründen.
Aber sie war nicht nur diese junge Frau, sondern auch eine Frau, die viel mehr zu bieten hatte. Denn mit ihren achtundzwanzig Jahren hatte sie sechzig Millionen Dollar im Lotto gewonnen und konnte daher tun und lassen, was sie wollte.
„Genau das hast du getan, Gracie“, sagte sie zu ihrem Spiegelbild. „Du hast getan, was du wolltest.“
Es war auf dem Maskenball des Texas Cattleman’s Club passiert. Vor knapp drei Monaten hatte sie sich dort in einen hochgewachsenen, maskierten Fremden verknallt und war seinem unwiderstehlichen Charme verfallen. Die Art, wie er sie in seinen Armen gehalten, wie er mit ihr getanzt und sie schließlich geküsst hatte, hatte sie in seinen Bann gezogen. In dieser Nacht hatte sie all ihre Zurückhaltung über Bord geworfen und sich ganz den Bedürfnissen ihres Körpers hingegeben. Der Duft des Mannes, seine tiefe Stimme, die Art, wie er sich bewegte – eine solche Chemie hatte sie noch nie erlebt. In einer versteckten Nische hatten sie sich geliebt, wo sie nicht gesehen werden konnten. Aber wenige Minuten danach hatten Geräusche aus dem Flur ihr romantisches Intermezzo gestört, und Gracie war geflohen, ohne dass sie den Namen des Fremden erfahren hatte.
Dieses Rätsel beschäftigte sie jetzt schon seit Monaten.
Denn Gracie hatte keine Ahnung gehabt, wer er war.
Bis jetzt.
Ihr Handy klingelte, und sie nahm ab. „Hi, Beth!“
Bevor sie im Lotto gewonnen hatte, war sie Beth Wingates Assistentin gewesen, und auch jetzt arbeiteten sie bei besonderen Events noch zusammen. Aber vor allem war Beth ihre allerbeste Freundin, und sie war auch die Einzige, die Gracies Geheimnis kannte.
„Ich freue mich, dass du mich zurückrufst.“
„Ich weiß, warum du dir Sorgen machst“, erwiderte Beth. „Aber bitte glaube mir, Gracie, wenn du das Wingate-Anwesen kaufst, ist das gut für alle, auch für mich. Denn meine Familie braucht Geld, um Wingate Enterprises wieder profitabel zu machen. Und wenn wir den Besitz verkaufen, können wir endlich die neue Wingate-Hotelkette aufbauen.“
Gracie war Beth wirklich dankbar dafür, dass diese ihr Vorhaben unterstützte. Obwohl sie als Kind immer davon geträumt hatte, in dem großen Haupthaus der Wingates zu wohnen, hatte sie nicht daran geglaubt. Schließlich war sie nur die Tochter eines Rancharbeiters, und ihr Vater hatte sein Leben lang für die Wingates geschuftet. Deshalb hatte sie sich immer noch nicht an den Gedanken gewöhnt, dass sie finanziell dazu in der Lage war, das Anwesen zu kaufen. Doch ihre Mentorin hatte ihr geholfen, ihre Selbstzweifel zu überwinden.
„Danke, dass du mich so unterstützt, Beth.“
Aber es war nicht nur die Meinung ihrer Freundin, die zählte. Bald würde sie sich auch Beths Bruder Sebastian stellen müssen, und das löste gemischte Gefühle in ihr aus.
„Ich freue mich sehr, dass du und das Kind in unserem Haus wohnen werdet. Wie geht es dir in letzter Zeit?“
„Also, die Morgenübelkeit hat sich gelegt, mir geht’s jetzt ganz gut. Der Arzt sagt, dass alles in Ordnung ist.“
„Das ist schön zu hören. Du wünschst dir doch schon so lange eine Familie, und jetzt passiert es endlich!“
Gracie schloss die Augen, überwältigt von ihren Gefühlen. Nachdem sie im Lotto gewonnen hatte, hatte sie mehrere Männer gedatet, doch nie gewusst, ob es ihnen um sie selbst oder nur ihr Geld ging. Deshalb hatte sie vor ein paar Monaten ihren Gynäkologen Dr. Everett aufgesucht, um mit ihm über eine künstliche Befruchtung zu sprechen. Doch dann hatte sich das Problem durch einen bemerkenswerten One-Night-Stand während des Maskenballs gelöst. Jetzt war sie im vierten Monat schwanger von einem Mann, in den sie während ihrer Jugendzeit verliebt gewesen war und der nie das geringste Interesse an ihr gezeigt hatte. Es hatte sie einige Zeit gekostet, es herauszufinden, aber nun wusste sie, wer es war.
„Ja, du hast recht.“
Gracie legte die Hände auf ihren Bauch und dachte an das neue Leben, das in ihr heranwuchs. Was für ein Wunder es doch war. Sie liebte ihr Kind schon jetzt, wenn es auch einige Schwierigkeiten mit sich brachte.
Aber darüber konnte sie sich erst morgen Gedanken machen, denn heute musste sie ein Anwesen kaufen.
Sie verabschiedete sich von Beth, denn in einer Stunde hatte sie ein wichtiges Meeting.
Mit ihrem Makler, ihrem Anwalt … und dem Vater ihres Kindes.
Es war verdammt kalt im Haus, die Januarkälte kroch durch die Mauern des verlassenen Gebäudes. Sebastian fröstelte. Ob wegen der Kälte oder wegen des drohenden Verlusts, vermochte er nicht zu sagen. Wahrscheinlich hing es damit zusammen, dass alle Möbel aus dem Haus verschwunden waren und mit ihnen auch alle Erinnerungen an das Familienleben, das sich hier abgespielt hatte.
Er war nicht sentimental, sondern ein Realist, der wusste, dass der Verkauf des Anwesens eine gute Sache war. Und doch … Plötzlich erfasste ihn eine unbestimmte Nostalgie, schließlich war er zusammen mit seinen Geschwistern hier aufgewachsen. Er dachte an den Spaß, den sie immer gehabt hatten, an ihre Streiche … Oh ja, das Leben im Haus der Wingates war nie langweilig gewesen.
Doch durch einen Sabotageakt war ihr guter Name fast zerstört worden. Alles, wofür sie jahrzehntelang gearbeitet hatten, wäre um ein Haar den Bach hinuntergegangen.
Aber sobald das Haus verkauft war, konnte er den Schaden beheben und endlich die Hotelkette aufbauen, die sie schon so lange geplant hatten. Eine Hotelkette für romantische Kurztrips, Hochzeiten und Familienfeiern.
Bis jetzt waren die Hotels, die der Familie weltweit gehörten, vor allem für Geschäftsleute gedacht. Sachlich, funktional, nichts Besonderes. Aber jetzt, wo sie bald sehr viel mehr Geld haben würden, konnten sie die Konferenzräume in Ballsäle verwandeln, aus den Cafeterias würden Gourmetrestaurants werden, und sie würden Sterneköche einstellen. Es musste einfach funktionieren! Die Zukunft der Familie hing davon ab.
In diesem Moment wurde die Tür geöffnet, und Gracie Diaz trat ein. Verdammt noch mal, sie sah fantastisch aus – das dunkle Haar fiel ihr offen auf die Schultern, und sie trug ein Kleid, das jede ihrer Kurven betonte. Mit ihren großen, immer etwas verträumt wirkenden Augen zog sie jeden Mann in ihren Bann. Sebastian atmete tief durch, denn er hatte sich zwar schon immer zu ihr hingezogen gefühlt, wusste jedoch, dass sie tabu für ihn war. Schließlich war sie die Tochter eines Angestellten und außerdem noch die beste Freundin seiner Schwester Beth.
Trotzdem …
Sobald sie Sebastian erblickt hatte, blieb Gracie stehen. Er hatte den Eindruck, als würde sie sich ein bisschen unbehaglich fühlen. Kein Wunder, denn plötzlich waren ihre Rollen vertauscht: Sie war diejenige, die das Geld hatte, und er war von ihr abhängig.
Na gut, die ganze Sache mit dem Verkauf war ein bisschen unangenehm. Aber absolut notwendig … und äußerst willkommen.
„Komm ruhig rein. Gracie. Ich beiße nicht.“
Er lächelte, doch sie erwiderte sein Lächeln nicht.
Langsam ging er auf sie zu. „Was auch immer dir gerade durch den Kopf geht, vergiss es, okay? Ich versichere dir, niemand ist sauer auf dich, weil du unseren Besitz kaufst.“
Sie nickte. „Ja, das hat Beth auch gesagt.“
„Gut, dann komm rein. Das Meeting findet im Esszimmer statt. Dein Anwalt war der Ansicht, es sei das Beste, wenn wir all deine Bedenken durchgehen, damit wir uns dazu äußern können.“
Sie schüttelte den Kopf. „Ich habe keine Bedenken.“
„Nur für den Fall, dass du doch welche hast.“ Vielleicht war er es ja, der Bedenken hatte. Als CEO von Wingate Enterprises war es ihm ein Bedürfnis, dafür zu sorgen, dass der Verkauf ordentlich über die Bühne ging. Schließlich musste er die Interessen seiner Familie wahren, das war schon immer sein Job gewesen.
Gemeinsam gingen sie ins Esszimmer, wo Gracie ihre Aktentasche auf dem Stuhl neben sich ablegte. Sie war eine richtige Geschäftsfrau geworden, das wusste er von Beth. Die beiden veranstalteten nicht nur Events zusammen, sondern Gracie hatte auch ein neues Lokal in der Stadt aufgemacht und sah sich nach weiteren Investitionsmöglichkeiten um.
Und doch wirkte sie ziemlich nervös in seiner Gegenwart. Der Grund dafür waren entweder der Verkauf oder ihre Schwangerschaft. Obwohl sie überhaupt nicht schwanger aussah. Nein, sie sah fantastisch aus und wirklich heiß.
In Gedanken verirrte er sich an einen Ort, der eigentlich tabu für ihn war. Seit Jahren versuchte er zu ignorieren, wie sehr er sich von Gracie Diaz angezogen fühlte.
Glücklicherweise konnte er nicht länger darüber nachdenken, denn in diesem Moment betraten die Anwälte und Tom Riley, Gracies Makler, den Raum. Nachdem sich alle einander vorgestellt hatten, gingen sie direkt zum Geschäftlichen über.
Die Verhandlungen verliefen ziemlich reibungslos, denn Gracie hatte keine besonderen Wünsche in Bezug auf den Verkauf. Im Gegenteil, sie erklärte sich sogar bereit, den größten Teil des Personals zu übernehmen. Schließlich wusste sie, was es bedeutete, hart zu arbeiten, denn nach dem Tod ihres Vaters hatte sie sich ihr Fernstudium mit Kellnern finanziert. Dafür hatte Sebastian sie immer bewundert, obwohl er selbst ein Workaholic war.
„Gut, wenn beide Parteien einverstanden sind, werde ich einen entsprechenden Vertrag aufsetzen“, sagte Tom Riley schließlich und nickte Gracie noch einmal ermutigend zu. Damit war der Verkauf beschlossene Sache.
Gracie lächelte zufrieden, was Sebastian komischerweise irritierte. Warum, wusste er selbst nicht. Denn auch er hätte zufrieden sein müssen. Der Verkauf war genau das, was Wingate Enterprises brauchte: eine fette Finanzspritze.
„Tun Sie das“, sagte er zu Tom. „Ich denke, mit diesem Deal können beide Seiten zufrieden sein.“
Todd Woodbury, sein Anwalt, nickte. „Ja, das denke ich auch.“ Er griff nach den Papieren und stopfte sie in seine Aktentasche.
„Gut, dann können wir das Meeting ja jetzt beenden“, stellte Sebastian fest und sah Gracie auffordernd an. Doch sie schlug die Augen nieder und wich seinem Blick aus.
Was zum Teufel war nur mit ihr los?
„Ich bringe Sie hinaus“, sagte er zu den beiden Männern und setzte hinzu: „Ich möchte gern noch kurz mit Ms. Diaz unter vier Augen sprechen.“
Nach ein paar Minuten kehrte er zurück und erwischte Gracie dabei, wie sie aus dem Raum eilen wollte. Bei seinem Anblick zuckte sie zusammen, und die Papiere, die sie in der Hand hielt, flatterten zu Boden, ihm direkt vor die Füße.
Er beugte sich hinunter. „Warte, ich hebe sie auf!“
„Nein, das geht schon“, sagte sie schnell und kniete sich vor ihn nieder. Im nächsten Moment wären sie fast mit den Köpfen zusammengestoßen, doch dann erstarrte Sebastian, denn ihr Parfüm stieg ihm in die Nase.
Er stutzte. Dieser blumige Duft … er war unglaublich erotisch und erinnerte ihn an etwas. Dieser Duft verfolgte ihn jetzt seit Wochen, denn er hatte nicht aufhören können, an das kurze Intermezzo mit der Frau auf dem Maskenball zu denken. Und sich zu fragen, ob er sie je wiederfinden würde.
Oder ob er in seinem ganzen Leben jemals besseren Sex gehabt hatte. Jede Einzelheit ihrer Begegnung war ihm unauslöschlich ins Gedächtnis geprägt … wie unglaublich weich ihre Haut gewesen war, wie seidig ihr Haar. Gar nicht zu reden von ihrem sanften Stöhnen, als sie in seinen Armen gekommen war und …
Schockiert begriff er, dass er die geheimnisvolle Fremde gefunden hatte: Es handelte sich um niemand anderen als Gracie Diaz.
Er betrachtete ihre geröteten Wangen und die niedergeschlagenen Augen und war ihr nahe genug, um sofort heftig erregt zu werden. Aber das durfte nicht sein. Seine Gedanken überschlugen sich.
„Gracie?“
Sie riss ihm die Papiere aus der Hand und erhob sich schnell.
„Tut mir leid, ich muss los. Ich habe … noch eine Verabredung.“
Bevor Sebastian sie aufhalten konnte, war sie schon aus der Tür. Verblüfft sah er ihr nach, noch immer überwältigt von seiner Erkenntnis. Dieser erotische Duft, ihre sinnliche Aura … dass es sich bei der Fremden um Gracie handelte, hätte er im Leben nicht geglaubt.
Er erhob sich langsam und schluckte. Eins war klar: Er musste sich Gewissheit verschaffen.
Und der einzige Weg, das zu tun, bestand darin, sie zu konfrontieren.
Gracie lief in ihrem Wohnzimmer auf und ab. Es war bald Zeit fürs Abendessen, doch sie hatte keinen Appetit. Aber sie musste etwas essen, um des Kindes willen.
Schließlich bestellte sie sich ihre vegetarische Lieblingspizza. Vielleicht würde ihr Appetit noch kommen. Eigentlich war ihr eher übel. Nicht von der Schwangerschaft, sondern weil sie fest davon ausging, dass Sebastian eins und eins zusammengezählt hatte und inzwischen wusste, dass sie die Frau hinter der Maske war. Die Frau, die er leidenschaftlich geliebt hatte.
Was wusste er noch? Nun, das zu erraten war nicht weiter schwierig. Sie hatten vor drei Monaten Sex gehabt, und jetzt war sie im vierten Monat schwanger.
Immer, wenn sie an ihren geheimnisvollen Lover dachte, machte ihr Herz einen Satz. Vor ein paar Wochen waren Sebastian und sie auf einer Party gewesen. Dort hatten seine Freunde ihn aus Spaß in den Pool geworfen, und da hatte sie die Narbe auf seinem Rücken erblickt. Dieselbe Narbe, die der Mann gehabt hatte, mit dem sie sich in jener Nacht leidenschaftlich geliebt hatte. Es war ein Riesenschock für Gracie gewesen, und noch immer konnte sie kaum glauben, dass Sebastian der Vater ihres ungeborenen Kindes war.
Denn sie wusste, dass sie für ihn immer nur eine Freundin der Familie gewesen war. Jemand, der eben immer da gewesen war, aber über den man ansonsten nicht nachdachte. Von den Klassenschranken, die sie voneinander trennten, gar nicht zu reden. Denn auch wenn die Wingates es nie laut sagen würden, fühlte Gracie es ganz deutlich: Sie war nicht gut genug für sie, und daran würde sich nie etwas ändern.
In diesem Moment klopfte jemand an die Tür, und sie zuckte zusammen. Gott, war sie nervös!
Sie riss die Tür auf und starrte Sebastian an, der mit der Pizza in der Hand vor ihr stand.
„Du kannst deine Kreditkarte wegstecken“, sagte er zu ihr. „Ich habe schon bezahlt.“
„Ich … das verstehe ich nicht“, stammelte sie. „Warum bist du hier?“
„Um dir die Pizza zu bringen.“
Sie schüttelte den Kopf.
„Okay, ich nehme an, du weißt, warum ich gekommen bin. Wir müssen reden.“
„Hier einfach so aufzukreuzen, ist aber nicht gerade höflich.“
„Genauso wenig wie zu lügen“, erwiderte er brüsk. „Also, wie sieht’s aus – lässt du mich jetzt rein?“
Sie zögerte, wusste jedoch, dass sie keine Wahl hatte. „Wenn’s unbedingt sein muss. Aber ich habe keinen Hunger mehr. Von mir aus kannst du die Pizza essen.“ Sie hätte jetzt keinen Bissen mehr heruntergebracht.
Gracie trat zur Seite und ließ ihn in ihr kleines, aber geschmackvoll eingerichtetes Haus eintreten. Seine Anwesenheit füllte den ganzen Raum aus und machte sie noch nervöser.
„Wo ist die Küche?“, fragte er schließlich, nachdem sie einander eine Weile angestarrt hatten.
Sie führte ihn in ihre moderne, helle Küche und wusste immer noch nicht, wie ihr geschah. Nie im Leben hätte sie gedacht, dass Sebastian so mir nichts, dir nichts bei ihr auftauchen würde. So oft sie auch darüber nachgedacht hatte, was es bedeutete, dass er der Vater ihres Kindes war – wie sie mit ihm darüber reden sollte, wusste sie immer noch nicht. Dass er so umwerfend aussah in der legeren schwarzen Hose und dem weißen Shirt, das über seiner breiten Brust spannte, half auch nicht gerade. Er brachte sie völlig aus dem Konzept.
Er legte den Pizzakarton auf den Tisch und kam gleich zur Sache.
„Du bist die Frau, die ich auf dem Maskenball getroffen habe, richtig?“
„Ja, ich war auf dem Ball.“ Sie öffnete die Schachtel, doch als ihr das Aroma von Tomaten, Oliven und Paprika in die Nase stieg, wurde ihr gleich übel. Schnell klappte sie den Deckel wieder zu.
„Jetzt rede nicht um den heißen Brei herum, Gracie. Schau mich an!“
Sie mochte es nicht, herumkommandiert zu werden, und hatte das ungute Gefühl, sie säße in der Falle. Als sie immer noch nichts sagte, ging er auf sie zu und durchbohrte sie förmlich mit seinem Blick.
Sie hob den Kopf. „Was willst du von mir? Ich habe dir doch schon gesagt, dass ich auf dem Ball war.“
„Ja, und?“
„Was willst du von mir?“
„Verdammt noch mal, ich will, dass du meine Frage beantwortest.“
Sie hatte keine andere Wahl, zögerte aber noch immer.
Er machte einen weiteren Schritt auf sie zu, legte ihr den Finger unters Kinn und zwang sie, ihn anzuschauen. „Gracie, das warst doch du, oder?“
Sie schluckte und nickte endlich.
Er holte tief Luft, trat zurück und schaute sie an – so als würde er jede Einzelheit ihrer Begegnung noch einmal erleben. Auch sie wurde rot, als sie daran dachte, was sie alles miteinander gemacht hatten. Sebastian wirkte schockiert, er konnte es anscheinend immer noch nicht glauben.
„Seit wann weißt du es?“, stieß er schließlich hervor.
„Ist das wichtig?“
„Seit wann?“
„Seit der Party vor ein paar Wochen. Ich habe die Narbe auf deinem Rücken gesehen, als sie dich in den Pool geworfen haben. Da wusste ich Bescheid.“
Sie wusste es, weil sie in der Nacht ihrer Begegnung mit dem Finger über die Narbe gestrichen und sich gefragt hatte, wie er sie wohl bekommen haben mochte.
„Ich habe diese Nacht mit dir nie vergessen, Gracie.“
Sie auch nicht. Denn in jener Nacht hatte sie den besten Sex ihres Lebens gehabt. Und in jener Nacht war ihr Kind gezeugt worden.
„Die Nacht, als man dich in den Pool geworfen hat?“
„Natürlich nicht, und das weißt du. Die Nacht auf dem Maskenball.“
Sie biss sich auf die Unterlippe und nickte. „Natürlich.“
„Und dieses Kind … ist es von mir?“
Sie legte sich die Hand auf den Bauch. Es gehörte ihr, nur ihr allein. Denn Sebastian war schon lange nicht mehr ihr Traummann. Sie brauchte keinen Typen, der sie nicht wollte, und er schenkte ihr seit Jahren keinen zweiten Blick. Außerdem hatte er nie auch nur den geringsten Versuch unternommen, mit ihr zu flirten.
„Es ist mein Kind, und wir wollen nichts von dir.“
„Wie bitte?“
„Sebastian, in jener Nacht waren wir zwei Fremde, die sich zufällig getroffen haben. Deshalb schuldest du mir nichts.“
Fragend schaute er sie an. „Hör zu, Gracie, vielleicht war das Ganze ja ein großer Fehler. Aber ich bin kein Mann, der sich seinen Verpflichtungen entzieht, und du …“
Doch sie unterbrach ihn heftig. „Dieses Kind ist kein Fehler! Es ist gewollt, und zwar von mir.“
Er seufzte tief. „Ich habe doch gar nicht gesagt, dass das Kind ein Fehler war, Gracie. Aber ich finde schon, dass wir vernünftig miteinander reden sollten.“
„Das sehe ich genauso. Ich will nur das Beste für mein Kind.“
„Für unser Kind.“
Gracie atmete tief durch und fühlte sich plötzlich ganz schwach. Wahrscheinlich, weil sie den ganzen Tag nichts gegessen hatte.
„Warum setzen wir uns nicht hin und sprechen vernünftig über die ganze Sache?“, fragte Sebastian.
„Nein, ich bin müde. Und ich will, dass du jetzt gehst.“
Er sah sie an und zuckte mit den Schultern. „Na gut, aber glaub ja nicht, dass du damit davonkommst. Ich rufe dich morgen an, okay?“
Sie nickte und brachte ihn zur Tür. Jetzt musste sie unbedingt allein sein, um wieder einen klaren Gedanken fassen zu können.
Vor der Tür blieb Sebastian stehen und sah sie mit einer Mischung aus Angst und Reue an. „Gracie, ich … äh, wie ich bereits sagte, ich melde mich morgen bei dir.“
„Na gut.“ Es war alles andere als gut, aber jetzt wollte sie nur noch allein sein.
„Ich hoffe, du kannst dich ein bisschen ausruhen.“ Er warf ihr noch einmal einen brennenden Blick zu, der sie erzittern ließ. Dann war er weg.
Gracie verbrachte den ganzen nächsten Morgen im Schlafanzug und sah sich im Netz die Angebote für Babymöbel an. Inzwischen hatte sie sich ein bisschen von der gestrigen Begegnung mit Sebastian erholt und hatte auch einigermaßen gut schlafen können. Jetzt lag sie im Bett, trank einen Kaffee und aß einen Blaubeermuffin. Sie erwartete, dass er sie jede Minute anrufen würde. Aber es war schon elf Uhr, und das Telefon blieb stumm.
Nachdem sie sich unzählige Wickelkommoden, Hochstühle und Kinderwagen angeschaut hatte, fühlte sie sich ziemlich überwältigt von der Situation. Sie hatte sich immer ein Kind gewünscht, doch nun erkannte Gracie, dass eine Menge Aufgaben vor ihr lagen. Wahrscheinlich würde sie auch Geburtsvorbereitungskurse belegen müssen. Diese Aussicht fand sie einerseits sehr aufregend und andererseits ein wenig beängstigend.
Obwohl Sebastian Wingate immer eine Rolle in ihren jugendlichen Fantasien gespielt hatte, wusste sie inzwischen, dass das nur die albernen Träumereien eines jungen Mädchens gewesen waren. Sie wünschte sich eine starke und unbedingte Liebe, wie ihre Eltern sie füreinander empfunden hatten, und ihr war klar, dass Sebastian nichts dergleichen für sie fühlte.
Ehrlicherweise musste sie zugeben, dass sie ihn gar nicht kannte. Wie viel Realität steckte in der leidenschaftlichen Begegnung, die zu ihrer Schwangerschaft geführt hatte? Im Grunde war es völlig untypisch für sie, dass sie sich überhaupt auf einen Fremden eingelassen hatte. Aber die Anziehung zwischen ihnen war geradezu magisch gewesen. Unkontrollierbar. Er hatte ihr eine Nacht geschenkt, die sie nie vergessen würde.
Und ein Kind.
Jetzt musste sie nur noch herausfinden, was das alles bedeutete.
Mitten in ihre Gedanken hinein klingelte ihr Handy.