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Es gibt jetzt Radler alkoholfrei. Das ist das Ende der Menschheit! Das Leben ist schon schwierig genug, da haben diese ganzen unsäglichen Trends gerade noch gefehlt. Von Hygge, Slim-fit-Jeans über Modenamen und Flashmobs bis hin zu Online Gaming: Volker Keidel probiert alles aus. Dabei ist er keiner, der oberlehrerhaft oder typischdeutschunzufrieden daherkommt. Ganz im Gegenteil: Er will diesem ganzen Trend-Wahn ja ein Chance geben! Keidel spiel Golf, geht zum Yoga und versucht mit seinem Sohn in der Boulder-Halle mitzuhalten. Wir lachen und weinen mit ihm. Am Ende ist er sich sicher: »Wahres Glück findest Du nicht, wenn du eine Bucket List abarbeitest oder Wert auf Achtsamkeit legst. Geh lieber mit guten Freunden aus! Trink genügend Bier! Schlag über die Stränge! Lebe!« »Immer, wenn ich eine von Keidels Geschichten lese, bekomme ich Lust, Bier zu trinken und Freunde zu treffen. Dann lese ich noch eine und noch eine … bis es zu spät ist, noch mit dem Biertrinken anzufangen.« Simon Pearce; Schauspieler, Comedian, Kabarettist und Autor von »So viel Weißbier kannst gar ned trinken«
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Seitenzahl: 203
Volker Keidel
Wer alkoholfreies Radler trinkt, hat sich schon aufgegeben
Einer gegen alle Trends
Knaur e-books
»Es gibt jetzt Radler alkoholfrei. Das ist das Ende der Menschheit!«
Das Leben als 48-jähriger gestaltet sich schon schwierig genug, da haben Volker Keidel die überall hochgelobten Trends der Jugend und der Junggeblieben gerade noch gefehlt. Von Hygge, Handlettering und Hypersensibilität, über Low Carb, Detox und Dating-Portalen bis zu Influencern, Online Gaming und Gangsta-Rap: In herrlich schnoddrigem Ton regt sich Volker Keidel über alle und alles auf.
Dabei ist Keidel keiner, der oberlehrerhaft oder typischdeutschunzufrieden daherkommt. Ganz im Gegenteil: Er will diesem ganzen Trend-Wahn ja ein Chance geben! Keidel geht auf Hygge-Partys (»Irgendwas mit gestrickten Socken, heißem Tee und tollen Gesprächen unter Freunden vor dem Kaminofen. Also mit allem, was mir zutiefst zuwider ist.«), setzt sich mit Influencern auseinander (»Die beiden YouTuber sind vielleicht 15, aber verdienen mehr Geld als ich. Viel mehr Geld. Ich bin 48. Ein 48-jähriger Verlierer.«) und versucht, bei den Trendsportarten seines Sohnes mitzuhalten (»Schon vorher hegte ich leise Zweifel, ob Bouldern für einen 90-Kilo-Mops ohne nennenswerte Muskeln und ohne jede Beweglichkeit der ideale Sport wäre.«).
Am Ende ist Keidel sich sicher: »Wahres Glück findest Du nicht, wenn Du Smoothies trinkst, intervallfastest oder Wert auf Achtsamkeit legst. Geh lieber mit guten Freunden aus! Trink genügend Bier! Schlag über die Stränge! Lebe!«
Ein wahres Vergnügen für alle Trend-Verweigerer und Überzeugungs-Faulpelze.
Liebe Freunde!
Tut mir leid, aber ich konnte keinen Witz verschenken.
Als ich anfing, Kurzgeschichten zu schreiben, riet mir ein Freund, mich auf die Themen zu konzentrieren, die mir selbst Spaß machen.
Folgerichtig entstanden vier Bücher, die sich hauptsächlich um Fußball und Bier drehen. Das ist der Grund, weshalb die Menschen in meinem Umfeld entweder mit mir über Fußball reden oder Bier trinken wollen.
Das ist ein Skandal, weil ich mich weiterentwickelt habe. Ich würde mich selbst als offenen, vielseitig interessierten und neugierigen Kosmopoliten bezeichnen.
Auch wenn ich diese Meinung recht exklusiv vertrete.
Natürlich schimpfe ich gerne über andere Menschen, über ihre Angewohnheiten und ihre Einstellung, noch lieber schimpfe ich allerdings über all die beknackten Trends, die Einzug in unser Leben gehalten haben. Es muss nicht sein, dass wir das alles als gegeben hinnehmen. Ich möchte mit diesem Buch wachrütteln, ein Fanal setzen. Auch weil ich schon immer mal »ein Fanal setzen« schreiben wollte.
Jetzt, wo ich es geschrieben habe, würde ich gerne wissen, was Fanal heißt.
Aha, Google sagt, es käme aus dem Italienischen und bedeute Fackel.
Eine Fackel setzen! Noch besser! Ich bin ein großer Liebhaber von Pyrotechnik in Fußballstadien, werde diesen Ausdruck also in Zukunft des Öfteren verwenden.
Aber ich schweife ab.
Für mich als mittlerweile extrem toleranten Typen war es eine Selbstverständlichkeit, einige Trends auszuprobieren, bevor ich mich über sie lustig mache. Keidel, du Ehrenmann!
Ich habe Golf und Yoga ausprobiert, bin nach Köln zur Gamescom gefahren und war bouldern.
Dass mit jeder lässigen Kneipe, die schließen muss, auch ein Stück von mir stirbt, wusste ich schon vor diesem Buch. Auch dass alkoholfreies Radler widerlich ist. Ohne es jemals zu trinken. Irgendwo gibt es Grenzen.
Ich war beim Jeanskauf und habe mich gewundert. Ich habe Menschen genau beobachtet und mich noch mehr gewundert. Ich habe mich mit Modenamen auseinandergesetzt und dabei Erschreckendes über mich erfahren. Bei einer Massage wäre ich beinahe gestorben, mein Tag mit einem Gangsta-Rapper dagegen war unerwartet witzig.
Insgesamt aber ist alles etwas trauriger geworden in dieser modernen Welt. Trotz meiner großartigen Entwicklung hin zum mehrdimensionalen Mann von Welt musste ich deshalb beim Schreiben ab und zu an früher denken und habe einige Schwänke aus meiner Jugend eingebaut. Und gelegentlich etwas über Fußball und Bier. Als Fackel quasi.
Vielen Dank an alle, die mich auf Trends aufmerksam gemacht haben, die ich noch gar nicht kannte. Vielleicht auch niemals kennen wollte.
Hätte ich alle in Geschichten gepackt, wäre ein Buch in Brockhaus-Stärke entstanden. Aber seien wir ehrlich, über Dinge wie WhatsApp-Gruppen muss ich nicht herziehen, die findet hoffentlich jeder von sich aus zum Kotzen. Sorry, zum Sichübergeben. Schluss mit diesem schnoddrigen Schreibstil, auch literarisch hat sich bei mir was getan, so Richtung hochfeuilletonmäßige Fackel, oder wie man da sagt.
Aber lest selbst.
Ich sehe Leena an, dass sie Schmerzen hat, das Gespräch zu eröffnen.
»Was ist los?«, frage ich nach. »Hast du eines meiner Trikots verwaschen?«
»Nein«, sagt sie unsicher. »Du hast mir verboten, deine Trikots zu waschen. Aber es ist schlimmer. Wir sind bei Emma zu einem Hygge-Fest eingeladen. Sagt dir das was?«
Mir wird ein wenig schlecht. Ich bin Buchhändler, natürlich weiß ich, was Hygge ist.
Hygge ist ein Trend aus Dänemark und hat irgendwas mit dänischer Gemütlichkeit zu tun. Irgendwas mit Lebensgefühl, mit gestrickten Socken und heißem Tee. Irgendwas mit tollen Gesprächen unter Freunden vor dem Kaminofen. Mit allem, was mir zutiefst zuwider ist.
Ich hatte im Hugendubel bestimmt schon fünfzig Kunden an der Kasse, die ein Hygge-Buch gekauft haben. Mit keinem – oder besser gesagt: keiner – hätte ich mehr reden wollen als »19,99 Euro bitte, danke, tschüss«.
Jetzt sollen wir einen Abend mit zwei anderen Hygge-Pärchen verbringen.
Leena schreibt sich mit zwei »e«, hat also einen finnischen Namen, und mag gestrickte Socken. Sie würde da ihren Platz finden. Sie trinkt ab und zu Tee und isst ihre Schinkennudeln mit Apfelmus. Sie liebt schmusige Katzen und hat eine Patchworkdecke genäht. Sie findet es voll in Ordnung, mit Schal und Kaffee in so einem Isolierbecher aus dem Haus zu gehen. Und sich an der Bushaltestelle an dem Becher beide Hände zu wärmen. Mit fingerspitzenfreien Handschuhen.
Ich versuche, noch mehr schlimme Vorlieben von Leena zu finden. Eventuell mag ich dann nicht mehr mit ihr zusammen sein, kann Schluss machen und muss nicht auf das Fest.
Andererseits geht sie mit mir auf die Nordtribüne, hat mir hyggelige HSV-Topflappen gehäkelt und ist ein Feierbiest. Voll nett ist sie auch.
Ach, was soll’s. Ich bleibe bei ihr, und wir gehen da hin. Vielleicht springt ja eine Geschichte dabei raus. In meinem Alter erlebt man nicht mehr so viel.
Emma mag ich auch gern. Also ich mochte sie vor der Einladung. Sie hat esoterische Züge, aber sympathische. Und sie ist lustig.
Nun stellt sie unsere Freundschaft auf eine harte Probe.
Egal, ich sehe es auch als Chance. Oft werde ich auf Fußball und Bier reduziert. Dabei bin ich doch viel mehr! Ich kaufe mir selbst Blumen für zu Hause, zünde mir ab und zu alleine eine Kerze mit Feigenduft an und trinke dazu Tee mit Zitrone, Ingwer und Manuka-Honig.
Manchmal bin ich also echt ein Gefühlsmensch, da werde ich wohl einen Hygge-Abend überstehen.
In meiner Mittagspause bereite ich mich vor. Kaum habe ich das Buch aufgeschlagen, muss ich auch schon lachen.
Ich sehe ein Bild mit zwei Händen an einer Tasse. Ohne Handschuhe. Weil die brauchst du nicht, wenn du dir ’nen schönen Tassenwärmer gestrickt hast!
Neben den schrumpeligen Händen, der Tasse und dem Tassenwärmer steht folgender Text:
Dein Tassenwärmer wird noch hyggeliger, wenn du ihn mit Knöpfen, Filz oder allem, was dir sonst noch einfällt, verzierst. Und wo du schon dabei bist, könntest du auch für deine Trinkflasche einen Wärmer stricken, damit sie sich nicht übergangen fühlt.
Ich bin jetzt nicht so der Fan von Anglizismen, aber WHAT THE FUCK? Meiner Meinung nach, und das meine ich ernst, müsste der Verfasser des zweiten Satzes für selbigen ins Gefängnis. Ohne Verhandlung. Einfach mal zwei, drei Jahre wegsperren und den Satz an die Zellenwand schreiben lassen:
Und wo du schon dabei bist, könntest du auch für deine Trinkflasche einen Wärmer stricken, damit sie sich nicht übergangen fühlt.
Ich habe so viel Spaß, dass ich mich fast schon auf den Abend freue. Vielleicht geht ja sogar was auf dem hyggeligen Bärenfell vor Emmas Kamin.
Diesen Gedanken verwerfe ich, als wir später bei Emma ankommen, und ich kicke das Bärenfell sofort unter das Sofa.
Tatsächlich haben alle außer Leena und mir Norwegerpullis an. Alle, das sind Emmas neuer Freund Thorsten, dazu Inge und Peer. Thorsten massiert Inge gerade die Schläfen. Sie scheint es sehr zu genießen und öffnet nur kurz die Augen, um uns Hallo zu sagen. Emma und Peer – ich frage kurz nach, ob er jetzt echt Peer heißt – backen Plätzchen. Klar, mit Zimt.
Leena grinst mich an, als wir unsere Gästesocken anziehen.
»Ihr verarscht mich doch?«, frage ich.
»Chill mal«, sagt sie. »Gelassenheit ist die Basis von Hygge.«
Ich finde eher, dass Hygge die Basis von Amoklauf ist.
Aber ich bleibe ruhig, bis die Plätzchen im Ofen sind und Inge vom Schläfenmassieren fast gekommen ist.
Dann schlägt Emma vor, dass wir alle zusammen Die fabelhafte Welt der Amélie anschauen. Sogar die Jungs sind begeistert.
»Nein«, sage ich energisch. »Jetzt ist mal gut! Ich hasse diesen Film! Lasst uns doch pokern oder wenigstens etwas trinken.«
»Au ja, Glühwein!«, sagen alle im Chor.
Ich muss lachen, war ja abzusehen. Dabei hatte ich schon einen Cola-Asbach-Stiefel visualisiert … und wo du schon dabei bist, könntest du auch gleich einen Wärmer für deinen Cola-Asbach-Stiefel stricken, damit er sich nicht übergangen fühlt.
Meinen ersten Glühwein exe ich. Es tut sehr weh, aber manchmal muss man ein Zeichen setzen.
Die anderen schauen mich entsetzt an, dann ziehen sie nach. Schließlich ist Hygge auch so ein Gemeinschaftsding.
Zugegeben, es wird immer lustiger. Ich trinke acht Glühwein, wobei ich darauf achte, die Tasse immer mit beiden Händen zu halten.
Mir ist bewusst, dass ich mit diesem Gesöff im Schädel den nächsten Tag wahrscheinlich nicht überleben werde, aber nur so werde ich jemals den Abend vergessen können.
In meiner Trinklaune lasse ich mich dazu hinreißen, Hygge infrage zu stellen.
Im Buch habe ich gelesen, dass die Lieblingsbeschäftigung von Hygge-Menschen ist, mit den Kindern zu spielen. Noch weit vor Partys und Stadionbesuchen.
Was sagen diese Leute dann zu ihren Freunden?
»Ach ne, geh du mal alleine zum HSV, wir wollen heute Nachmittag Monopoly spielen«?
Entweder haben sie keine Freunde, oder das Ganze ist einfach eine gewaltige Lüge.
Im Buch steht außerdem, dass sie es schöner finden, sich um ihr Haustier zu kümmern, als Freunde zu besuchen.
»Das ist doch Bullshit!«, schreie ich und schenke Glühwein nach. »Erklärt mir das!«
»Ach, Volker«, sagt Leena, »warum bist du nur immer so eindimensional? Ich gehe gerne mit dir ins Stadion und mit dir feiern. Aber alles, was nicht mit Fußball und Trinken zu tun hat, langweilt dich.«
»Sex?«, werfe ich ein, merke aber, dass ich einfach die Klappe halten sollte.
»Du bist echt ganz nett«, legt sie nach, »doch im Prinzip bist du oberflächlich. Ist es dein Lebensziel, möglichst viel Spaß zu haben und wenig an dich heranzulassen?«
Ja, denke ich, ist das falsch?
»Das ist falsch«, meint Leena. »Man muss sich auch öffnen und Dinge tun, die man nicht lässig findet. Sonst bleibst du immer nur ein Typ, den alle auf Fußball und Bier reduzieren. Willst du das?«
Ich überlege, und ich überlege wirklich. Will ich das?
Ich glaube schon. Ich glaube, dass die Tiefe meines Charakters in meiner Oberflächlichkeit zu suchen ist. Ich bin fast jeden Tag glücklich, warum sollte ich alles hinterfragen?
Warum sollte ich Dinge, die mir wehtun, an mich ranlassen? Heute hat der HSV3:1 gewonnen, das bringt mich durch die nächste Woche. Warum sollte ich einen Flaschenwärmer stricken?
Warum sollte ich meine Kinder nicht nur mehr lieben als alles andere auf der Welt, sondern auch am allerliebsten mit ihnen spielen? Wenn ich sie nicht merken lasse, dass es mir keinen Spaß macht, können sie es gar nicht würdigen, sollte ich wirklich mal mit ihnen spielen. Wer mit Kindern Fußball spielt, hat den Fußball nie geliebt. Warum sollte ich sie womöglich noch beim Tischtennis gewinnen lassen, wenn das eines der wenigen Dinge ist, die ich kann?
Warum sollte ich die Vergangenheit verarbeiten, wenn ich mich doch schon so sehr auf morgen freue?
Warum kann Oberflächlichkeit nicht glücklich machen? Ich sehe sie doch alle, die sich mit sich selbst auseinandersetzen und bei uns in der Buchhandlung Lebens- und Gesundheitsratgeber kaufen. Sie wirken weder gesund noch glücklich.
Immer in sich reinhören, immer diskutieren, immer Probleme lösen, die sich eh von alleine lösen, wenn man sie nicht beachtet.
Kleine Probleme braucht man nicht zu diskutieren und große erst recht nicht, weil einem dabei keiner helfen kann.
Vielleicht schreibe ich einen Ratgeber über dieses Thema. Da belüge ich wenigstens nicht andere (wie bei Hygge), sondern allenfalls mich selbst.
Ja, vielleicht müsste auch ich eingesperrt werden.
Vielleicht hab ich gar nichts kapiert im Leben, aber wir haben 3:1 gewonnen, Digga!
Emma reißt mich aus meinen Gedanken. Sie lacht.
»Hygge, was muss das für ein Humbug sein, wenn sogar Volker sich plötzlich ernsthafte Gedanken macht?«
Dann holt sie ihren Norwegerpulli aus, zieht das Bärenfell unter dem Sofa hervor und legt es vor den Kamin.
Ich habe immer gesagt, dass ich lieber ein oder zwei Kinder gebären würde, als mich alle drei Tage zu rasieren. Keiner und vor allem keine hat mich damals verstanden, aber ich habe jede Rasur gehasst.
Seit es die ganzen Hipster gibt, geht es mir gut. Plötzlich kann ich Bart tragen, und keiner und kaum eine findet das doof. Ich rasiere mich alle zehn Tage rudimentär, und alle sind zufrieden.
Dafür macht mir etwas anderes immer mehr zu schaffen.
Als Kind war es mir sowieso egal, aber auch mit zwanzig hat es mir noch nichts ausgemacht, eine Jeans zu kaufen.
In den ersten Jahren kaufte ich mir jedes Mal eine Edwin-Jeans, weil mir das blau-gelbe Logo gefiel, dann kam die Levi’s-Werbung, in der die Jeans in den Kühlschrank gelegt wurde, und es war um mich geschehen.
Fortan gab es für mich keine andere Jeans als die 501. Und beinahe eine Dekade lang musste ich nur in den Laden gehen und sie kaufen. Das lästige Anprobieren war nicht nötig, die Größe änderte sich einfach nicht. Weite: 28, Länge: 34.
Hinzu kam, dass ich mir damals die 501 noch leisten konnte. Weil mein Vater sie zahlte.
Seit ich einen Beruf habe, habe ich nur noch wenig Geld und kaufe meine Jeans weniger nach der Marke, sondern mehr nach dem Preis. Weil sich die Größe je nach Marke etwas unterscheidet, muss ich meine Hosen anprobieren.
Deshalb ist es am schlimmsten, alleine zum Shoppen loszuziehen. Natürlich schätze ich mich schlanker ein, als ich bin, und die ersten Jeans passen somit überhaupt nicht. Wenn ich dann wieder meine eigene Jeans anziehen muss, um andere Größen zu holen, möchte ich eigentlich schon nach Hause gehen.
Das mache ich auch meistens.
Heute habe ich Leena gebeten, mich moralisch zu unterstützen. Mir die passenden Größen zu holen und mir zu sagen, die Hose passe mir sehr gut und ich sei gar nicht so schwabbelig.
Sie holt mich von der Arbeit ab. Schnell verstecke ich mich hinter einem Bücherregal, aber sie hat mich schon gesehen und scheint motiviert.
»Wollen wir lieber essen gehen? Ich lade dich ein«, sage ich.
»Ach Volker, sei nicht albern. Wir kaufen ganz schnell eine Hose, und wenn du brav bist, lade ich dich hinterher ein.«
Ich durchschaue den psychologischen Ansatz für Kleinkinder und stelle mich quer.
»Lade mich vorher ein, sonst gehe ich nicht mit. Ich überstehe das nur nach einem Feierabendbier. Außerdem muss ich die Hose vollgefressen anprobieren, sonst kann ich ja in den Tagen nach dem Hosenkauf kaum was essen.«
Sie verdreht die Augen, willigt aber ein.
Schon nach einer Currywurst und einem schönen Weißbier drängt Leena zum Aufbruch. Ich bräuchte eine neue Jeans dringender als ein weiteres Bier. Darüber ließe sich durchaus streiten, aber ich gebe klein bei.
Mir wird schlecht, als wir den H&M betreten. Erst recht, als ich das Plakat in der Hosenabteilung erblicke.
Es gibt anscheinend drei Hauptschnitte: Slim straight, skinny und slim. Klassische straight Jeans soll es auch geben, nur finden kann ich keine.
Ich sehe mich um. Hier braucht auch keiner der Typen eine normale Jeans. Das Durchschnittsgewicht dieser Bübchen mag bei 48 Kilo liegen, der Zweitälteste nach mir ist ungefähr 30 Jahre jünger als ich. Selbstverständlich will ich sofort gehen, aber Leena hat schon drei Modelle in der Hand. Sie strahlt Vorfreude aus.
»Schau her, ich habe sogar eine Straight gefunden. Und hier, ’ne schöne Skinny. Besonders freue ich mich aber auf die Slim coupe étroite. Hört sich an, als wäre das was für dich.«
Jetzt lacht sie richtig laut. Das nächste Mal gehe ich wieder alleine, so ist es irgendwie würdelos.
»Coupe étroite heißt übrigens gerader Schnitt«, sage ich besserwisserisch, um mir etwas Achtung zurückzuholen, aber niemand beachtet mich.
Hier rund um die Umkleidekabinen riecht es nach Pubertät. Können die kein Deo benutzen, die Säue?
In der Kabine zahlt es sich doch aus, dass Leena dabei ist, weil ich schon Schwierigkeiten habe, nach dem Bier und der Currywurst meine jetzige Hose überhaupt aufzuknöpfen.
Ich probiere zuerst die Straight an. Und siehe da, sie passt super.
»Die nehme ich!«, sage ich glücklich.
»Das glaube ich nicht. Schau die Hose im Spiegel mal von hinten an.«
Tatsächlich hängt der Arsch dermaßen in der Kniekehle, dass selbst ich lachen muss. Junge, Junge, schaut das kacke aus. In Rekordzeit hängt sie wieder am Bügel.
Weiter geht’s mit der Slim coupe étroite. Ui, denke ich wieder, die passt ja auch.
Dann sehe ich an mir runter und merke, dass ich sie nur bis zum Knie hochgezogen habe. Bis dahin passt sie super, leider kriege ich sie keinen Zentimeter höher. Würde eventuell komisch aussehen, so auf die Straße zu gehen. Coupe étroite ja, slim nein.
Den Vogel schießt die gute alte Skinny ab. Ich kann sie zwar hochziehen und zumachen, aber sie klebt an mir wie eine zweite Haut. Sehr skinny!
Ich wollte keine verdammte Strumpfhose kaufen, aber Leena versichert mir, das Teil nicht in der Damenabteilung geholt zu haben. Mittlerweile laufen ihr Tränen übers Gesicht.
Ich kriege kaum Luft und glaube nicht, dass jemand, der solch eine Hose länger als drei Minuten trägt, noch Kinder zeugen kann. Keine Ahnung, wo meine Hoden sind, aber in dieser Hose sicher nicht mehr. Nun ja, wer den Arsch am Knie hat, bringt auch die Kronjuwelen irgendwo am Bauchnabel unter.
Diese Hose könnte ich jedenfalls nur anziehen, wenn Leena sie mir am Abend wieder ausziehen würde.
»Wäre ich alleine unterwegs«, erkläre ich Leena, »bräuchte ich immer einen One-Night-Stand. Wenn um ein Uhr noch keine angebissen hätte, würde ich wahnsinnig unter Druck stehen, wenn ich nicht in Jeans schlafen will.«
»Wenn du diese Scheißhose anhättest«, antwortet sie gelassen, »wäre spätestens um elf Uhr keine Frau mehr im Club.« Sie hat wirklich Spaß.
Auch als sie ein weiteres Modell anschleppt.
»Hier, eine Slim fit, probier mal.«
»Schau ich irgendwie slim oder fit aus?«
»Eher schlimm und fett«, murmelt sie und bestreitet sofort, das gesagt zu haben. Aber selbst die ganzen stinkenden Kinder hier im Laden lachen.
Ich mache einen auf beleidigt und ziehe Leena Richtung Ausgang. Dabei läuft uns in der Tat ein Verkäufer über den Weg. Ich halte ihn fest und will wissen, warum es nur noch widerliche Hosen gibt. Und ob nicht doch ein Modell für mich dabei wäre.
»Hm«, sagt er und schaut mich abfällig an. »Mein Vater hat ungefähr Ihre Figur. Etwas sportlicher, aber ähnlich. Der kauft sich immer diese Hose ohne Schnitt. 501 oder wie die heißt.«
»Guter Mann«, sage ich, »dann kauf ich mir halt auch wieder eine Levi’s.«
»Sind Sie sicher«, fragt er nach, »dass die von Levi’s ist? Machen die nicht nur diese T-Shirts mit dem Logo drauf.«
Ich ziehe Leena raus aus diesem Laden. Von diesem Trottel muss ich mich nicht schwach anreden lassen.
Alles an mir fühlt sich gequetscht an, sogar meine eigene Jeans kommt mir schon total eng vor. Ängstlich schaue ich nach, ob es überhaupt meine ist oder eine von diesen unsäglichen Leggings.
Glück gehabt. Ich bin so froh, da ohne neue Hose rausgekommen zu sein, das muss gefeiert werden.
Wir setzen uns in die nächste Kneipe und bestellen Bier. Leena will jetzt immer mitkommen, wenn ich eine Hose kaufe. Ich bin einverstanden, weil ich ohne sie wirklich den Verkäufer oder andere Kunden hätte fragen müssen, ob sie mir aus der Hose helfen. Stelle ich mir unangenehm vor.
Ich muss mir eingestehen, dass ich zu alt bin für H&M. Die haben mich das letzte Mal gesehen, sicher macht sie das traurig.
Nach zwei weiteren Bieren fühle ich mich stark genug für den TK Maxx. Das ist viel nachhaltiger. Nur Restposten, die sowieso im Müll gelandet wären. Ich bin ein toller Typ. Auch durch kleine Gesten und Taten kann man mithelfen, die Welt zu retten.
»Du hattest echt mal die Weite 28?«, fragt Leena grinsend beim Durchforsten der Stapel nach Weite 33. »Was ist passiert?«
»Weiß nicht«, antworte ich. »Ich habe ab und zu fettiges Zeug gegessen und seitdem etwa 10000 Liter Bier getrunken.«
Ich überschlage kurz. Gar nicht so schlecht geschätzt … ich tippe auf 250 Liter pro Jahr. Seit circa 32 Jahren. Macht 8000 Liter.
Klar ist das nichts, worauf man stolz sein sollte, aber ich bin echt stolz drauf.
Leena sieht mein dümmliches Grinsen.
»Bist du da auch noch stolz drauf?«
»Quatsch, das ist doch nichts, worauf man stolz sein könnte«, sage ich mit überkreuzten Fingern.
Die Jeanshosen hier sind auch sehr hässlich. Viele sind knöchelfrei, haben Löcher, sind gefleckt oder mit Nieten besetzt. Hosen, in denen man sogar in den 80ern in der Metal-Disko ausgelacht worden wäre.
Wir nehmen fünf Hosen mit in die Kabine, und ich bin echt überrascht, dass eine davon passt.
Ich juble laut, sogar Leena sagt, ich solle sie in Gottes Namen nehmen. Wahrscheinlich frustriert auch sie das Ganze. Wer hat schon gern einen Freund, der keine Hose von der Stange kaufen kann?
Ein letztes Mal muss ich mich an der Kasse aufregen. Die Jeans kostet 60 Euro! Alle anderen hier kosten maximal 40 …
»Warum ist die so teuer?«, blaffe ich den Kassierer an.
Er schaut sie sich genauer an und sagt lässig: »Wer diese Hose kauft, zahlt jeden Preis, weil ihm keine andere hier passt.«
Ich studiere gerade zum 29. Mal das Kicker-Sonderheft. Nur einmal möchte ich ein Studium zu Ende bringen.
Wahnsinn, wie viele neue Informationen man jedes Mal entdecken kann in diesem schönsten aller Magazine.
Wer der neue Sponsor von Carl Zeiss Jena oder wie groß Rick van Drongelen ist. Er ist 1,85 Meter. Verdammt, ich dachte immer, er sei 1,86 Meter groß. Verrückt!
Gerade präge ich mir die ehemaligen Vereine von Gideon Jung ein, als es an der Tür klingelt.
Meine Ex-Frau bringt die Kinder vorbei und erklärt beiläufig, dass sie für Tom und mich zwei Tickets für Köln gekauft hat.
»In Köln?«, frage ich.
»Natürlich in Köln!«, antwortet sie.
Geil, ich war noch nie im Müngersdorfer Stadion. Der HSV auswärts! Das wird ein wundervolles Vater-Sohn-Wochenende. Im Auto abwechselnd Drei-???-CDs und HSV-Lieder. Mit Stopps am Burger King und Schals, die aus dem Seitenfenster flattern. Endlich kommt Toms Van-Nistelrooy-Trikot zum Einsatz, das ich ihm vor Jahren geschenkt habe. Danke!
»Papa«, sagt Tom, der mein dümmliches Grinsen wohl richtig deutet, »wir fahren auf die Gamescom, nicht ins Stadion!«
»Auf die was?«, hake ich nach. Ich grinse nicht mehr.
»Die Gamescom. Kennst du doch! Computerspiele und so. Ein Spiel Köln gegen HSV würde doch nur dir gefallen, das wäre kein richtiges Vater-Sohn-Wochenende.«
»Hm. Ja, hast recht. Auf die Gamescom. Das wird toll!«
Ich balle halbherzig die Faust.
»Es fällt zufällig auf dein Wochenende«, sagt Anna. »Ich wäre sonst gerne hingefahren.« Sie zwinkert mir zu.
Wenn ich sie frage, ob sie das Wochenende tauschen will, antwortet sie bestimmt, dass sie leider schon etwas vorhabe.
»Tauschen wir das Wochenende?«
»Geht leider nicht. Da hab ich schon was vor.«
So sitze ich drei Wochen später mit Tom im Auto. Er freut sich saumäßig, ich mittelmäßig.
Wenn gerade keine Drei-???-CD