Werkzeuge des Philosophierens - Jonas Pfister - E-Book

Werkzeuge des Philosophierens E-Book

Jonas Pfister

0,0
8,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Was macht Philosophie eigentlich? Jonas Pfister lässt den Leser in den philosophischen Werkzeugkasten schauen: Wie argumentiert man überzeugend? Wie analysiert man Begriffe? Was für verschiedene Argumentationsmuster (etwa transzendentale Argumente oder Gedankenexperimente) oder auch fehlerhafte Muster (wie den infiniten Regress) gibt es? Wie argumentiert man in der Ethik (etwa mit Analogie-Argumenten unter Vermeidung des Sein-Sollen-Fehlschlusses)? Wie funktioniert Logik? Und wie liest man überhaupt einen philosophischen Text?

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB

Seitenzahl: 314

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Jonas Pfister

Werkzeuge des Philosophierens

Reclam

Meinen drei BrüdernAlle Rechte vorbehalten© 2013 Philipp Reclam jun. GmbH & Co. KG, StuttgartGesamtherstellung: Reclam, DitzingenMade in Germany 2013RECLAM, UNIVERSAL-BIBLIOTHEK und RECLAMS UNIVERSAL-BIBLIOTHEK sind eingetragene Marken der Philipp Reclam jun. GmbH & Co. KG, StuttgartISBN 978-3-15-960377-3ISBN der Buchausgabe 978-3-15-019138-5

www.reclam.de

Inhalt

Vorwort

1. Argumentieren

1.1. Die philosophische Diskussion

1.2. Aussage, Widerspruch und Konsistenz

1.3. Widerlegung durch Gegenbeispiele

1.4. Argument, Prämisse, Konklusion

1.5. Gültige und ungültige Argumente

1.6. Kritik von Argumenten

1.7. Argumentform

1.8. Fehlschlüsse

Übungsaufgaben

Diskussionsfragen

2. Analysieren

2.1. Begriffe differenzieren und definieren

2.2. Form und Inhalt von Begriffen

2.3. Begriffliche Beziehungen

2.4. Notwendige und hinreichende Bedingungen

2.5. Klassische Form der Definition

2.6. Begriffsanalyse

2.7. Explikation

2.8. Grenzen der Analyse

Übungsaufgaben

Diskussionsfragen

3. Argumentationsmuster

3.1. Dilemma

3.2. Reductio ad absurdum

3.3. Infiniter Regress

3.4. Transzendentales Argument

3.5. Analogieschluss

3.6. Gedankenexperiment

3.7. Schluss auf die beste Erklärung

3.8. Kausaler Schluss

Übungsaufgaben

Diskussionsfragen

4. Argumentieren in der Ethik

4.1. Entscheidungen

4.2. Normen und Werte

4.3. Fehlschlüsse

4.4. Argumentationsmuster

4.5. Verallgemeinerbarkeit

4.6. Mittel und Zweck

4.7. Moralisches Dilemma

4.8. Rechte

Übungsaufgaben

Diskussionsfragen

5. Logik

5.1. Aussagenlogische Operatoren

5.2. Aussagenlogische Schlussregeln

5.3. Widerspruch und Tautologie

5.4. Gültigkeit

5.5. Urteile und Gegensätze

5.6. Quantoren und Identität

5.7. Prädikatenlogische Schlussregeln

5.8. Operatoren der modalen Logik

Übungsaufgaben

Diskussionsfragen

6. Logische Analyse eines Satzes

6.1. Was ist logische Analyse?

6.2. Einige Analysen

6.3. Scheinsätze und Kategorienfehler

6.4. Analytische und synthetische Aussagen

6.5. Möglichkeit, Notwendigkeit und Kontingenz

6.6. De re und de dicto

6.7. Präsupposition

6.8. Implikatur

Übungsaufgaben

Diskussionsfragen

7. Lesen

7.1. Sechs Stufen des Lesens

7.2. Den Text gliedern

7.3. Das Wesentliche erfassen

7.4. Genauer lesen und interpretieren

7.5. Sprachliche Unklarheiten erkennen

7.6. Argumente rekonstruieren

7.7. Gezielt umformulieren

7.8. Ein Fallbeispiel

Übungsaufgaben

Diskussionsfragen

8. Schreiben

8.1. Drei Phasen des Schreibens

8.2. Textsorten

8.3. Vorbereitung

8.4. Schreiben

8.5. Überarbeiten

8.6. Der Kommentar

8.7. Der Essay

8.8. Die Seminararbeit

Übungsaufgaben

Diskussionsfragen

Lösungen der Übungsaufgaben

Anmerkungen

Literatur

Register

Vorwort

Der Philosoph ist in seiner praktischen Arbeit ein Begriffshandwerker.

Jay F. Rosenberg (1942–2008)

Dieses Buch stellt eine Einführung in das Handwerk des Philosophierens dar. Es richtet sich somit in erster Linie an Interessierte und Anfänger, insbesondere an all jene, die gerne wissen möchten, wie man mit einer philosophischen Frage umgehen und eine Antwort auf sie suchen kann. Die zwei wichtigsten Werkzeuge oder Methoden der Philosophie sind das Argumentieren und das Analysieren. Beides benötigt man für das Philosophieren von Beginn an. Zugleich gibt es für beide Methoden spezielle Werkzeuge, die man nicht gleich zu Beginn einsetzen muss. Eine besondere Rolle beim Philosophieren spielen Texte. Zwar kann man auch ohne Texte philosophieren, sehr gut sogar, aber derjenige, der tiefer in die Sache vordringen will, kommt um das Lesen und Schreiben von Texten nicht herum.

Das Buch ist wie folgt aufgebaut: In den ersten zwei Kapiteln wird grundlegend in das Argumentieren und Analysieren eingeführt. Im dritten Kapitel werden einige wiederkehrende Argumentationsmuster vorgestellt. Im vierten Kapitel wird auf Eigenheiten des Argumentierens in der Ethik eingegangen. Das fünfte stellt logische Grundbegriffe und Schlussregeln zusammen. Im sechsten Kapitel wird das logische Analysieren von Sätzen erläutert. Im siebten und achten Kapitel wird schließlich in das philosophische Lesen und Schreiben eingeführt.

Am Ende jedes Kapitels werden Übungsaufgaben und Diskussionsfragen gestellt. Die Übungsaufgaben, zu denen am Ende des Buches Lösungen präsentiert werden, dienen in erster Linie der Überprüfung des Gelernten. Die Diskussionsfragen bieten Ausgangspunkte für eigene philosophische Überlegungen und Gespräche.

Wer gut philosophieren können will, der muss die wichtigsten Werkzeuge beherrschen. Philosophieren besteht jedoch nicht nur in der Anwendung von Werkzeugen. In entscheidender Hinsicht ist Philosophieren das gerade nicht: Denn Philosophieren bedeutet unter anderem auch, neue Ideen zu haben oder etwas aus einem neuen Blickwinkel zu sehen. Das kann man nicht lernen. Man kann sich höchstens darauf vorbereiten, Gelegenheiten für so etwas zu erkennen und nicht ungenutzt an einem vorbeiziehen zu lassen.

Herzlich bedanken möchte ich mich bei folgenden Personen: Verena Thaler, die mich während des Schreibprozesses aushalten musste und mir hilfreiche Kommentare zur vorletzten Version gab, Thomas Ruprecht, der die allererste Version schriftlich kommentierte, Georg Brun, der mir ein ausführliches Feedback in drei Teilen gab und mit mir diskutierte, Klaus Petrus, der mir eine wichtige Rückmeldung zum zweiten Kapitel gab, Eva Ming, die mich auf schwerverständliche Stellen hinwies, Andreas Pfister, Maximilian Huber sowie den Schülerinnen und Schülern am Gymnasium Neufeld und den Studierenden an den Universitäten Bern und Luzern.

1. Argumentieren

Das Argumentieren stellt eines der wichtigsten Werkzeuge des Philosophierens dar. Zwar ist nicht jedes Philosophieren auch ein Argumentieren, und nicht jedes Argumentieren ist ein Philosophieren. Argumentieren ist für die Philosophie jedoch besonders wichtig. Der Grund dafür wird schnell ersichtlich, sobald man sich philosophischen Fragen zuwendet.

1.1. Die philosophische Diskussion

Betrachten wir den Beginn eines Dialogs zwischen Anne und Ben.

Anne: Was war am Anfang von allem? Und was kommt nach dem Tod?

Ben: Das weiß ich nicht, aber es gibt Menschen, die sagen: Am Anfang schuf Gott die Welt.

Anne: Aber wer oder was ist Gott?

Ben: Man sagt, Gott sei das Wesen, das allmächtig ist.

Anne: Ich glaube nicht, dass es ein solches Wesen gibt. Doch vielleicht ist meine Überzeugung falsch. Wie kann man denn wissen, dass es ein solches Wesen gibt?

Die Fragen, die Anne stellt, sind nicht alltäglich, und dennoch hat fast jeder von uns sich solche Fragen schon einmal gestellt. Es sind philosophische Fragen in einem allgemeinen Sinn. Es sind Fragen, die das, was wir glauben, hinterfragen, Fragen, die nach dem Grund der Dinge suchen.

Solche Fragen können uns verunsichern. Was wir zuvor als wahr vorausgesetzt haben, wird plötzlich zweifelhaft. Wir müssen uns überlegen, ob das, was wir für wahr halten, auch tatsächlich wahr ist. Somit müssen wir uns mit unseren eigenen Überzeugungen und damit auch mit uns selbst auseinandersetzen. Das kann anstrengend und auch unangenehm sein. Aber der Aufwand lohnt sich. Denn auf diese Weise lernen wir unsere Überzeugungen und damit auch uns selbst besser kennen. Damit lernen wir indirekt auch die Welt besser kennen, die wir mit unseren Begriffen beschreiben. Und noch etwas lernen wir, was wir nicht unterschätzen dürfen: Wir lernen, wie wir mit philosophischen Fragen umgehen können.

Kehren wir zum Dialog zurück.

Ben: Es gibt verschiedene Begründungen dafür, dass es Gott gibt. Eine davon lautet, dass dies in der Bibel steht.

Anne: Dies setzt aber voraus, dass alles, was in der Bibel steht, wahr ist. Das stimmt wohl nicht.

Ben: Eine andere Begründung lautet, dass es uns nicht geben könnte, wenn uns Gott nicht geschaffen hätte.

Anne: Damit bin ich nicht einverstanden. Es kann uns doch auch geben, wenn am Anfang von allem explodierende Materie stand, der sogenannte Urknall.

Ben: Wie begründet man aber, dass der Urknall am Anfang von allem war?

Anne: Es ist eine Hypothese, die von Physikern aufgestellt und mit physikalischen Theorien begründet wurde.

Ben: Was wäre aber, wenn wir die Hypothese aufstellen würden, dass es Gott gibt? Welche Konsequenzen würden sich daraus ergeben?

Der Dialog veranschaulicht, wie man grundsätzlich mit philosophischen Fragen umgehen kann. Man versucht zunächst, die Frage zu verstehen. Im Anschluss versucht man, mögliche Antworten auf die Frage zu finden, diese Antworten zu verstehen und zu prüfen, mögliche Begründungen dafür zu finden, diese Begründungen zu beurteilen, unausgesprochene Annahmen aufzudecken und zu überlegen, welche Konsequenzen daraus folgen, falls die Antwort wahr ist. Man muss also die folgenden Fragen voneinander unterscheiden:

– Was ist mit einer Frage genau gemeint?

– Was ist eine mögliche Antwort auf diese Frage?

– Ist diese Antwort wahr?

– Welche Konsequenzen ergeben sich aus der Antwort?

– Was ist eine mögliche Begründung für diese Antwort?

– Auf welchen Annahmen beruht die Begründung?

– Ist diese Begründung gut?

In einer philosophischen Diskussion hat jeder grundsätzlich das Recht, etwas zu behaupten oder in Frage zu stellen. Dies ist eine Grundregel des vernünftigen Argumentierens. Es gibt keinen guten Grund dafür, diese Regel einzuschränken – es sei denn, es gäbe auch einen guten Grund, überhaupt nicht zu argumentieren. Dass eine Aussage von einer Autorität gemacht wurde, dass sie Teil einer religiösen Glaubenslehre ist oder dass sie dem entspricht, was man gemeinhin annimmt, sind keine guten Gründe, die Aussage nicht in Frage stellen zu dürfen. Das bedeutet freilich nicht, dass die Aussage wahr ist. Man kann in einer Diskussion jedoch niemandem verbieten, etwas falsches zu behaupten. Wer aber etwas behauptet, der muss bereit sein, das, was er behauptet, bei Bedarf zu begründen. Dies ist eine zweite Regel des vernünftigen Argumentierens: Bei Bedarf ist eine Aussage zu begründen. Diese Regel ist nicht so eindeutig wie die erste. Was bedeutet es, dass eine Aussage »bei Bedarf« zu begründen ist? Es ist wohl nicht möglich, allgemein zu bestimmen, wann genau Bedarf nach einer Begründung besteht und wann nicht. Bedarf besteht jedenfalls immer dann, wenn jemand ernsthafte Zweifel an der Wahrheit einer Aussage hat.

Eine weitere Regel gilt es zu beachten: Ein Diskussionsbeitrag muss für den Zweck, auf den die Diskussion zielt, relevant sein. Ist der Beitrag nicht relevant, so soll er gar nicht erst geleistet werden. Die Zwecke einer philosophischen Diskussion sind vielfältig: etwa die Stützung einer bestimmten Aussage mit einem Argument oder die Suche nach möglichen Antworten auf eine Frage oder die Untersuchung der Gründe, die für eine Aussage sprechen.

1.2. Aussage, Widerspruch und Konsistenz

Wer etwas behauptet, der stellt sich als jemanden dar, der das, was er sagt, für wahr hält. Nicht jeder sprachliche Ausdruck kann wahr oder falsch sein. Ein einzelnes Wort, zum Beispiel »Sokrates« oder »Mensch«, kann nicht wahr oder falsch sein, es sei denn, es ist eine Abkürzung für einen ganzen Satz, zum Beispiel »Sokrates ist ein Mensch«. Nicht jeder ganze Satz ist wahr oder falsch, wie etwa der Satz »Ist Sokrates ein Mensch?« zeigt. Es wird damit nichts behauptet, sondern nach etwas gefragt, es ist eine Frage. Auch Befehle, Bitten und Warnungen sind nicht wahr oder falsch. Einen Satz, der entweder wahr oder falsch ist, bezeichnet man als Aussage.

Aussage

Eine Aussage ist ein Satz, der entweder wahr oder falsch ist.

Dabei ist der folgende Punkt zu beachten: Damit ein Satz eine Aussage ist, muss es nicht der Fall sein, dass wir tatsächlich wissen, dass er wahr ist. So weiß ich nicht, ob Sokrates Kinder hat, aber der entsprechende Satz, dass Sokrates Kinder hat, ist wahr oder falsch und somit eine Aussage. Auch Sätze, von denen wir nicht einmal wissen können, ob sie wahr sind, können Aussagen sein. Wir können beispielsweise heute nicht wissen, ob der Satz »Am übernächsten Montag scheint die Sonne« wahr ist, und dennoch wird die Sonne entweder scheinen oder nicht scheinen, und also ist der Satz entweder wahr oder falsch, auch wenn wir heute nicht beurteilen können, ob er wahr ist.

Nun könnte aber jemand behaupten, dass es tatsächlich überhaupt gar keine Wahrheit gibt. Doch was ist damit gemeint? Wenn damit gemeint ist, dass wir letztlich nicht wissen, welche Aussagen wahr sind, so betrifft die Behauptung das Wissen und nicht die Wahrheit. Und nur deshalb, weil wir etwas nicht wissen, muss es nicht wahr sein. Außerdem setzt man mit der Behauptung, dass wir nicht wissen, ob etwas wahr ist, gerade voraus, dass ein Satz wahr sein kann, denn sonst könnte man diese Behauptung gar nicht aufstellen. Mit der Aussage, dass es keine Wahrheit gebe, könnte aber auch gemeint sein, dass es keine objektive Wahrheit gibt, sondern nur eine subjektive Wahrheit. Man drückt dies manchmal damit aus, dass man sagt: »Das ist wahr für mich.« Doch was meint man damit? Meint man damit lediglich, dass man es für wahr hält, davon überzeugt ist oder daran glaubt, so ist damit nicht gezeigt, dass Wahrheit subjektiv ist. Denn das, was ich für wahr halte, kann auch falsch sein. Also setzt dies wiederum einen Begriff von objektiver Wahrheit voraus. Meint man damit jedoch eine Eigenschaft von Sätzen innerhalb einer Sprache, so gerät man in Schwierigkeiten. Dies kann man an einem Beispiel aufzeigen. Behaupte ich gleichzeitig, dass es wahr (für mich) ist, dass die Erde sich um die Sonne dreht, und eine andere Person, dass es wahr (für sie) ist, dass die Erde sich nicht um die Sonne dreht, so ist es wahr, dass sich die Erde um die Sonne dreht, und zugleich wahr, dass sie sich nicht um die Sonne dreht. Das bedeutet: Die Erde dreht sich um die Sonne und sie dreht sich nicht um die Sonne. Das ist aber ein Widerspruch!

Widerspruch

Ein Widerspruch zwischen zwei Aussagen besteht dann, wenn die eine aussagt, dass etwas der Fall ist, und die andere aussagt, dass dies gerade nicht der Fall ist.

Ein Widerspruch kann nicht wahr sein. Ein Widerspruch ist immer falsch. Aus diesem Grund muss man darum bemüht sein, Widersprüche zu vermeiden. Es kann auch sein, dass man einen Widerspruch so lange aushalten muss, bis man erkennen kann, wie er sich auflösen lässt. Können zwei oder mehr Aussagen zugleich wahr sein, so nennt man sie konsistent. Können sie nicht zugleich wahr sein, so nennt man sie inkonsistent.

Konsistent/inkonsistent

Zwei (oder mehr) Aussagen sind dann konsistent, wenn sie zusammen wahr sein können. Sie sind inkonsistent, wenn sie nicht konsistent sind.

Betrachten wir die Aussagen »A ist der Vater von B« und »B ist älter als A«. Die beiden Sätze stehen nicht im direkten Widerspruch zueinander. Der Widerspruch zeigt sich erst dann, wenn man sich anschaut, was aus den Sätzen folgt. Falls A der Vater von B ist, muss A älter als B sein, das heißt, B ist jünger als A, und dies steht im Widerspruch dazu, dass B älter als A ist. Die beiden Aussagen können somit nicht zugleich wahr sein, sie sind also inkonsistent. Zu beachten ist dabei, dass Konsistenz nicht dasselbe wie Wahrheit ist. Mehrere Aussagen können konsistent und dennoch falsch sein. Wenn aber mehrere Aussagen inkonsistent sind, dann können nicht alle wahr sein.

Folgt ein Widerspruch oder eine unhaltbare Aussage aus angeblich unbestreitbaren Aussagen, so nennt man dies ein Paradox.1

Widersprüche können in unserem Gedankensystem durchaus vorkommen. Sie können sich auch im Gespräch ergeben. Der eine behauptet, dass etwas der Fall sei, der andere, dass dies gerade nicht so sei. Das Recht auf Redefreiheit verlangt, dass wir respektieren, dass andere Menschen eine Meinung haben, die wir nicht teilen. Wir tun gut daran, dieses Recht gegen die Versuchungen der Macht zu verteidigen. Derjenige, der respektiert, dass jemand eine Meinung äußert, die er nicht teilt, ist tolerant. Über die Duldung hinaus sollten wir daran interessiert sein, die Meinung auch zu kennen bzw. zu verstehen. Doch Duldung ist sicherlich der erste Schritt. Toleranz bedeutet freilich nicht, dass wir den Inhalt der Meinung akzeptieren, das heißt für wahr halten. Das würde gerade bedeuten, dass wir unsere eigene Meinung aufgeben würden. Toleranz bedeutet auch nicht, dass wir in jedem Fall zugestehen, dass die Meinung des anderen wahr sein könnte. Ein Widerspruch kann nicht wahr sein. Wahr ist allenfalls, dass der angebliche Widerspruch nicht besteht.

1.3. Widerlegung durch Gegenbeispiele

Wie können wir wissen, ob eine Aussage tatsächlich wahr ist? Die Antwort auf diese Frage hängt von der Art und dem Inhalt der Aussage ab. Manchmal ist es leichter zu zeigen, dass eine Aussage falsch ist. Eines der einfachsten und zugleich eines der wichtigsten Werkzeuge des Philosophierens ist die Widerlegung durch ein Gegenbeispiel. Mit einem Gegenbeispiel zeigt man, dass eine Allaussage falsch ist. Eine Allaussage (oder ein universelles Urteil) ist eine Aussage über alle Dinge aus einem bestimmten Bereich, etwa »Alle Schwäne sind weiß«, »Kein Mensch kann sich alle Städtenamen merken« und »Jeder hat schon einmal geweint«. Um zu zeigen, dass eine Allaussage falsch ist, reicht es aus, ein einziges Ding aus dem Bereich zu nennen, auf das die Aussage nicht zutrifft. Das wissen bereits Kinder. Sagt eine Mutter zu ihrem Kind: »Du räumst nie dein Zimmer auf!«, so widerlegt das Kind die Aussage, indem es sagt: »Das stimmt nicht. Gestern habe ich das Zimmer aufgeräumt.« Die Aussage, dass alle Schwäne weiß sind, kann man mit dem Gegenbeispiel widerlegen, dass dieser Schwan hier schwarz und nicht weiß ist.

Wir neigen dazu, das, was wir in einzelnen Fällen beobachten, auf alle Fälle aus einem bestimmten Bereich zu verallgemeinern. Dies hat eine evolutionäre Funktion. Es erhöht unsere Überlebenschancen, denn nur derjenige, der verallgemeinert, kann planen und dementsprechend handeln. Aber Verallgemeinerungen können auch falsch sein. Nur weil die hundert Schwäne, die ich bisher gesehen habe, weiß waren, sind nicht alle Schwäne weiß. Das Gegenbeispiel eines schwarzen Schwanes zeigt, dass es nicht so ist. Die Methode der Widerlegung durch Gegenbeispiele kann uns also davor schützen, falsche Verallgemeinerungen anzustellen.

Man kann ein Gegenbeispiel zurückweisen, indem man entweder zeigt, dass das Ding nicht von der Art ist, von der man behauptet, dass es das ist, oder indem man zeigt, dass es die Eigenschaft nicht hat. Das Gegenbeispiel des schwarzen Schwanes kann man also zurückweisen, indem man entweder zeigt, dass das Tier gar kein Schwan ist – sondern vielleicht eine Gans –, oder dass man zeigt, dass es gar nicht schwarz ist – sondern vielleicht nur gerade jetzt aufgrund der Lichtverhältnisse so aussieht. Kann man aber weder das eine noch das andere zeigen, so ist es ein Gegenbeispiel, und die Allaussage ist widerlegt.

Als Reaktion auf ein Gegenbeispiel kann man versuchen, die Allaussage abzuschwächen, und etwa sagen, dass nur fast alle Schwäne oder nur eine Mehrheit oder nur einige Schwäne weiß sind. Eine Aussage ist schwächer als eine andere, wenn sie aus dieser logisch folgt, nicht aber umgekehrt. Was das genau bedeutet, wird in diesem Kapitel erläutert. Vorerst reicht es aus zu erkennen, dass die folgende Behauptung wahr ist: Wenn alle Schwäne weiß sind, dann sind auch fast alle Schwäne weiß, aber wenn fast alle Schwäne weiß sind, dann muss es nicht der Fall sein, dass alle Schwäne weiß sind. Also ist die Aussage, dass fast alle Schwäne weiß sind, schwächer als die Aussage, dass alle Schwäne weiß sind. Und die Aussage, dass nur einige Schwäne weiß sind, ist noch schwächer. Zwei Bemerkungen dazu sind wichtig: Schwächt man (1) eine Allaussage auf diese Weise ab, so kann es sein, dass man von einer falschen zu einer wahren Aussage gelangt, doch muss dies nicht unbedingt so sein. Die Aussage, dass fast alle gedruckten Bücher Romane sind, ist zwar keine Allaussage, aber dennoch falsch (denn es gibt sehr viele Fachbücher, Ratgeber und Kochbücher). Falls die Aussage (2) keine Allaussage mehr ist, kann man sie auch nicht mehr mit einem Gegenbeispiel widerlegen. Dieses Buch, das ein Fachbuch und kein Roman ist, zeigt nicht, dass die Aussage falsch ist, dass fast alle Bücher Romane sind.

1.4. Argument, Prämisse, Konklusion

Wie begründet man eine Aussage? Kehren wir zum Dialog zwischen Anne und Ben zurück. Eine Begründung für die These, dass es Gott gibt, könnte lauten, dass in der Bibel stehe, dass Gott die Welt erschaffen habe. Wir haben somit zwei Aussagen, von denen die eine Aussage den Grund für die andere liefern soll. Damit haben wir eine Antwort auf die gestellte Frage oder zumindest einen Teil der Antwort gefunden: Aussagen werden mit Aussagen begründet. Wir können diesen Zusammenhang anzeigen, indem wir Formulierungen wie »aus diesem Grund«, »deshalb«, »folglich« oder »also« benutzen. Man kann dies so darstellen:

1. In der Bibel steht, dass Gott die Welt erschaffen habe.Deshalb:

2. Es gibt Gott.

Die Aussage, die man begründen will, nennt man »Konklusion«. Die Aussagen, auf die man sich in der Begründung stützt, nennt man »Prämissen«. Das Ganze, das heißt die Prämissen, die Konklusion und ihre Verbindung, nennt man »Argument«. Man nennt ein Argument auch »Schluss«. Dabei muss man jedoch beachten, dass oftmals auch die Konklusion so bezeichnet wird, etwa wenn man sagt: »Daraus ziehe ich den Schluss, dass …« Warum es wichtig ist, Konklusion und Argument auseinanderzuhalten, wird später erklärt.

Argument

Ein Argument ist eine Verknüpfung von Aussagen derart, dass die einen Aussagen (die Prämissen) eine andere (die Konklusion) begründen.

Die Verbindung von Prämissen und Konklusion wird auch mit einem horizontalen Strich ausgedrückt. Die allgemeine Form eines Arguments kann man demnach so darstellen.

1. Prämisse 1

2. Prämisse 2

3. …

4. Konklusion

Es ist wichtig zu beachten, dass die Ausdrücke »Prämisse« und »Konklusion« bestimmte Funktionen bezeichnen, die eine Aussage in einem Argument ausübt. Eine Aussage ist nicht an und für sich eine Prämisse oder eine Konklusion, sie ist dies nur als Teil eines Arguments. Somit kann die Konklusion aus einem Argument auch die Prämisse in einem anderen sein.

Eine Prämisse ist eine Aussage, das heißt ein Satz, der wahr oder falsch sein kann. Damit wir eine Aussage als Prämisse verwenden können, ist es nicht notwendig, dass wir wissen, ob sie wahr oder falsch ist. Das oben genannte Beispiel ist ein Argument für die Existenz Gottes, auch wenn wir nicht wissen, ob es stimmt, dass in der Bibel steht, Gott habe die Welt erschaffen.

Es ist auch nicht notwendig, dass wir die Aussage behaupten, um sie als Prämisse zu verwenden. Wir können eine Aussage auch lediglich als Annahme in ein Argument einführen. Eine Aussage, die man als Annahme aufstellt, nennt man auch eine Hypothese. Man kann eine Hypothese formulieren, um diese zu prüfen oder zu diskutieren, und sie später als wahr anerkennen oder als falsch zurückweisen.

Im obigen Dialog sagt Anne über die Begründung, dass diese voraussetze, dass das, was in der Bibel steht, wahr sei. Eine vollständige Begründung müsste dies auch erwähnen. Etwa so:

1. In der Bibel steht, dass Gott die Welt erschaffen habe.

2. Was in der Bibel steht, ist wahr.

3. Es gibt Gott.

Man mag einwenden, dass die zweite Prämisse falsch ist, aber das ändert nichts daran, dass diese Aussage hier als Prämisse dient und das Ganze ein Argument ist. Ein Argument kann falsche Prämissen enthalten. Und ein Argument kann auch eine falsche Konklusion haben. Dass eine Konklusion falsch ist, bedeutet jedoch nicht, dass die Überlegung schlecht ist, die zu dieser Konklusion führt. Der Grund für die Falschheit der Konklusion kann einfach darin liegen, dass man von falschen Prämissen ausgegangen ist. Ein Argument kann auch schlecht, die Konklusion aber dennoch wahr sein. Deshalb ist es so wichtig, Konklusion und Argument nicht miteinander zu verwechseln. Man muss somit die folgenden Fragen strikt auseinanderhalten:

1. Sind die Prämissen wahr?

2. Ist die Konklusion wahr?

3. Ist der Übergang von den Prämissen zur Konklusion gut?

Was aber ist ein gutes Argument? Um diese Frage zu beantworten, müssen wir zunächst einige Unterscheidungen treffen.

1.5. Gültige und ungültige Argumente

Betrachten wir das folgende Argument:

1. Alle Menschen sind Lebewesen.

2. Sokrates ist ein Mensch.

3. Sokrates ist ein Lebewesen.

Dieses Argument hat eine spezielle Eigenschaft: Wir können in diesem Argument nicht von wahren Prämissen zu einer falschen Konklusion gelangen. Die Wahrheit der Prämissen garantiert die Wahrheit der Konklusion. Oder anders gesagt: Es kann nicht sein, dass die Konklusion falsch ist, sofern die Prämissen wahr sind. Dies ist eine konditionale Aussage: Unter der Bedingung, dass die Prämissen wahr sind, ist auch die Konklusion wahr. Das heißt: Wenn die Prämissen wahr sind, dann ist auch die Konklusion wahr. Oder: Wenn die Prämissen wahr wären, dann wäre auch die Konklusion wahr. Ist dies der Fall, so sagt man auch: die Konklusion folgt logisch aus den Prämissen, oder: die Prämissen implizieren die Konklusion, oder auch: das Argument ist gültig. Im Alltag verwenden wir den Ausdruck »gültig« auch in anderer Bedeutung, etwa wenn wir sagen, dass eine Sichtweise oder eine Behauptung gültig sei. Hier soll mit »Gültigkeit« jedoch ausschließlich eine Eigenschaft von Argumenten bezeichnet werden.

Gültigkeit von Argumenten

Ein Argument ist gültig, wenn folgendes erfüllt ist: Wenn die Prämissen wahr sind, dann ist die Konklusion wahr.

»Gültigkeit« bedeutet: Wenn die Prämissen wahr sind, dann ist auch die Konklusion wahr. Um diesen wichtigen Punkt zu verstehen, muss man die bereits genannte Unterscheidung zwischen der Wahrheit von Aussagen in einem Argument einerseits und der Güte des Übergangs von den Prämissen zur Konklusion andererseits beachten. Die Konklusion kann aus den Prämissen auch dann logisch folgen, wenn die Konklusion oder eine der Prämissen falsch ist. Dies mag auf den ersten Blick verwirren, denn ein Argument, das falsche Aussagen enthält, kann uns nicht viel nützen. Doch die Gültigkeit eines Arguments hängt gerade nicht davon ab, dass die Prämissen tatsächlich wahr sind. Betrachten wir zuerst das Beispiel eines gültigen Arguments mit wahren Prämissen.

1. Alle Menschen sind Säugetiere.

2. Alle Säugetiere sind Lebewesen.

3. Alle Menschen sind Lebewesen.

Der Schluss folgt aus den Prämissen. Das Argument ist deshalb gültig. Man kann sich dies auch mit Hilfe von Diagrammen veranschaulichen, in denen jede Menge als Kreis dargestellt wird. In Anlehnung an den Basler Mathematiker Leonhard Euler (1707–1783) werden sie auch »Euler-Diagramme« genannt.2 Dass alle Menschen Säugetiere sind, lässt sich so darstellen:

In demselben Schema kann man auch die Aussage, dass alle Lebewesen Säugetiere sind, darstellen.

Nun sieht man, dass auch die Aussage, dass alle Menschen Lebewesen sind, wahr ist, denn der Kreis der Menschen ist in dem Kreis der Lebewesen eingeschlossen. Die Konklusion muss also wahr sein, wenn die Prämissen wahr sind.

Betrachten wir nun das Beispiel eines Arguments, das ganz analog aufgebaut ist, aber falsche Prämissen enthält:

1. Alle Philosophen sind Männer.

2. Alle Männer sind Griechen.

3. Alle Philosophen sind Griechen.

Weder sind alle Philosophen Männer – denn es gab und gibt zahlreiche philosophierende Frauen –, noch sind alle Männer Griechen – denn es gibt unter anderem auch deutsche und chinesische Männer. Somit sind die beiden Prämissen falsch. Auch die Konklusion ist falsch, denn es gibt Philosophen verschiedenster Nationalitäten. Aber zwischen den Prämissen und der Konklusion besteht ein Zusammenhang, den man wiederum mit Euler-Diagrammen veranschaulichen kann. Das Schema ist genau dasselbe wie oben, nur dass die Kreise anderes bezeichnen. Wir können den Zusammenhang auch so formulieren: Wenn die Prämissen wahr wären, dann wäre auch die Konklusion wahr. Wenn es so wäre, dass alle Philosophen Männer und alle Männer Griechen sind, dann wären auch alle Philosophen Griechen. Somit ist das Argument gültig.

Es lässt sich nun einfach bestimmen, was ein ungültiges Argument ist: Es ist ein Argument, das nicht gültig ist.

Ungültigkeit von Argumenten

Ein Argument ist ungültig, wenn es nicht gültig ist, das heißt, wenn folgendes nicht erfüllt ist: Wenn die Prämissen wahr sind, dann ist die Konklusion wahr.

Gültige Argumente, die nur wahre Prämissen enthalten, sind für uns besonders interessant, denn in diesen Fällen ist auch die Konklusion wahr. Wissen wir also, dass das Argument gültig und die Prämissen wahr sind, so wissen wir auch, dass die Konklusion wahr ist. Selbstverständlich ist es möglich, dass wir tatsächlich gar nicht wissen, ob die Prämissen eines Arguments wahr sind oder ob ein Argument gültig ist. Aber wenn man beides weiß, dann weiß man auch, dass die Konklusion wahr ist. Ein solches Argument, das gültig ist und nur wahre Prämissen enthält, nennt man stichhaltig.

Stichhaltigkeit von Argumenten

Ein Argument ist dann stichhaltig, wenn es gültig ist und nur wahre Prämissen enthält.

Nun kann es durchaus sein, dass uns zur Beantwortung einer Frage keine stichhaltigen Argumente zur Verfügung stehen. Das ist im Alltag sehr oft der Fall. Wir begnügen uns dann mit Argumenten, die uns einen guten Grund liefern, die Konklusion für wahr zu halten. Zum Beispiel könnten wir wie folgt argumentieren: Heute sind am Abendhimmel dunkle Wolken zu sehen, also wird es morgen regnen. Es ist aber möglich, dass die Wolken abziehen und es nicht regnet. Für unsere Entscheidungen kann es irrelevant sein, dass diese Möglichkeit besteht, zum Beispiel dann, wenn wir entscheiden müssen, entweder im Garten zu grillen oder ins Kino zu gehen, wobei wir nicht bei Regen grillen wollen. Dann reicht es für die Entscheidung aus, zu wissen, dass es sehr wahrscheinlich ist, dass es regnet.

Verwenden wir ein solches Argument, so erheben wir damit nicht den Anspruch, dass es gültig sei. Es gibt also Argumente, mit denen der Anspruch erhoben wird, dass sie gültig sind, und Argumente, mit denen dieser Anspruch nicht erhoben wird. Argumente der ersten Art werden deduktiv genannt, die anderen sind nicht-deduktiv (vielfach auch induktiv genannt).3

Deduktiv / nicht-deduktiv

Ein Argument ist dann deduktiv, wenn man damit den Anspruch erhebt, dass es gültig ist.

Ein Argument ist dann nicht-deduktiv, wenn man damit nicht den Anspruch erhebt, dass es gültig ist.

Dass ein nicht-deduktives Argument ungültig ist, stellt somit keinen Einwand gegen das Argument dar, denn mit ihm wird ja dieser Anspruch gar nicht erhoben. Auch ein nicht-deduktives Argument kann ein gutes Argument sein. Wann ist das der Fall? Man kann allgemein folgendes sagen: Ein nicht-deduktives Argument ist gut, wenn es einen guten Grund dafür liefert, dass die Konklusion wahr ist.

Güte von nicht-deduktiven Argumenten

Ein nicht deduktives Argument ist dann gut, wenn es gute Gründe dafür liefert, dass die Konklusion wahr ist.

Die Güte von nicht-deduktiven Argumenten ist eine Sache des Grades – das Argument kann mehr oder weniger gut sein –, und die Güte kann sich durch neue Informationen verändern. Nehmen wir an, ich argumentiere wie folgt: Die meisten Philosophen sind freundlich, also ist der Philosoph Sokrates freundlich. Erfahre ich nun, dass viele Leute darüber klagen, wie unfreundlich Sokrates sei, so ist dies eine zusätzliche Prämisse, welche die Güte meines ursprünglichen Argumentes schrumpfen lässt. Jetzt ist es vielleicht nicht mehr so, dass das Argument einen guten Grund dafür liefert, dass die Konklusion wahr ist. Umgekehrt kann sich die Güte eines Arguments auch erhöhen. Erfahre ich, dass viele Leute Sokrates für seine Freundlichkeit loben, habe ich noch mehr Gründe dafür, dass Sokrates tatsächlich freundlich ist.

Die Gültigkeit eines Arguments ist keine Sache des Grades – entweder das Argument ist gültig oder nicht –, und dass ein Argument gültig ist, kann sich nicht durch neue Informationen verändern. Wenn alle Philosophen freundlich sind und Sokrates ein Philosoph ist, dann ist auch Sokrates freundlich. Dieses Argument bleibt gültig, auch wenn ich erfahre, dass nicht alle Philosophen freundlich sind. Was sich verändert, ist mein Urteil über die zweite Prämisse: Ich halte sie nun für falsch. Aber das Argument bleibt dennoch gültig. Denn das bedeutet lediglich folgendes: Wenn die Prämissen wahr sind, dann ist die Konklusion wahr.

1.6. Kritik von Argumenten

Wie können wir vorgehen, wenn wir der Auffassung sind, dass ein Argument nicht gut ist? Ein Argument besteht aus einer Konklusion, aus einer oder mehreren Prämissen und aus dem Zusammenhang zwischen diesen beiden. Damit ergeben sich drei Möglichkeiten der Kritik. Man widerlegt (1) die Konklusion mit einem eigenen Argument, einem sogenannten Gegenargument. Mit »widerlegen« ist nicht gemeint, dass man definitiv beweisen müsste, dass die Aussage falsch ist, sondern lediglich, dass man dafür argumentiert, dass die Aussage falsch ist. Man widerlegt (2) eine oder mehrere der Prämissen. Oder man argumentiert (3) dafür, dass der Übergang von den Prämissen zur Konklusion nicht gut ist. Im Falle eines deduktiven Arguments versucht man nachzuweisen, dass es ungültig ist, im Falle eines nicht-deduktiven Arguments, dass es keine starken Gründe liefert.

Und noch eine weitere Möglichkeit besteht. Ein Argument kann auch aus dem Grund nicht gut sein, dass es (4) eine Regel des vernünftigen Argumentierens verletzt und somit keinen angemessenen Diskussionsbeitrag leistet. Diese vier Möglichkeiten sollen nun an einem Beispiel erläutert werden. Es sei das folgende Argument gegeben:

1. Wir Menschen sind Wesen, die Gefühle haben.

2. Jedes Wesen, das Gefühle hat, hat eine Seele.

3. Wir Menschen haben eine Seele.

Wie kann man dieses Argument kritisieren?

1. Widerlegen der Konklusion durch ein Gegenargument

Man kann zum einen direkt, ohne auf die Begründung einzugehen, die Konklusion des Arguments mit einem neuen Argument widerlegen, etwa so (und es spielt im Moment keine Rolle, ob das Argument gut ist):

1. Wir Menschen bestehen nur aus Materie.

2. Die Seele ist nicht materiell.

3. Wir Menschen haben keine Seele.

Die Konklusion dieses neuen Arguments ist genau die Verneinung der Konklusion des ursprünglichen Arguments. Deshalb ist es ein Gegenargument zum ersten Argument.

Der Einsatz von Gegenargumenten hat zwei grundsätzliche Schwächen. Ein Gegenargument zeigt (1) nicht, was an dem ursprünglichen Argument nicht gut ist. Ist eine der Prämissen falsch? Sofern das der Fall ist: Ist es die erste oder die zweite, oder sind es gar beide? Ist der Übergang von den Prämissen zur Konklusion nicht gut? Sofern das der Fall ist: In welchem Sinn ist der Übergang nicht gut? Ein Gegenargument führt (2) neue Aussagen und ein neues Argument in die Diskussion ein, die wiederum umstritten sein können. Somit besteht die Gefahr, dass sich die Diskussion auf einen unwichtigen Nebenschauplatz verlagert.

2. Widerlegen einer Prämisse

Man kann zum anderen eine oder mehrere der Prämissen zurückweisen. Gegen die erste Prämisse des eingangs genannten Arguments könnte man wie folgt argumentieren:

1. Eine Kuh ist ein Wesen, das Gefühle hat.

2. Eine Kuh hat keine Seele.

3. Nicht jedes Wesen, das Gefühle hat, hat eine Seele.

Die Konklusion dieses Arguments ist die Verneinung der ersten Prämisse des ursprünglichen Arguments. Damit ist im Unterschied zu einem Gegenargument klar, was an dem ursprünglichen Argument kritisiert wird, nämlich die erste Prämisse (und nicht etwa die zweite oder der Übergang von Prämisse zu Konklusion).

Das oben genannte Gegenargument ebenso wie das genannte Argument zur Widerlegung der ersten Prämisse führen neue Aussagen in die Diskussion ein. Man nennt dies externe Kritik. Im Unterschied dazu greift die sogenannte interne Kritik nur auf Aussagen zurück, die explizit oder implizit bereits im Argument gemacht werden, und weist dann nach, dass diese nicht alle zugleich wahr sein können, das heißt, dass sie inkonsistent sind. Die interne Kritik ist im Vergleich zur externen Kritik stärker, weil sie keine neuen Aussagen in die Diskussion einführt, die ja selbst umstritten sein können. Kann man also interne Kritik üben, so sollte man dies tun.

Um interne Kritik zu üben, muss man zeigen, dass die Aussagen inkonsistent sind, dass also Aussagen des Arguments im Widerspruch zueinander stehen oder dass aus diesen Aussagen ein Widerspruch folgt. Dass die Prämissen eines Arguments offensichtlich inkonsistent sind, ist selten der Fall. Nicht selten ist es jedoch der Fall, dass eine Inkonsistenz nach einer genaueren Untersuchung eines Arguments ersichtlich wird.

3. Zurückweisen des Übergangs von Prämissen zur Konklusion

Die Prämissen und die Konklusion können wahr, das Argument aber dennoch schlecht sein. Der Grund kann darin liegen, dass der Übergang von den Prämissen zur Konklusion nicht gut ist. In einem nicht-deduktiven Argument ist der Übergang dann nicht gut, wenn die Prämissen keinen guten Grund dafür liefern, dass die Konklusion wahr ist. In einem deduktiven Argument ist der Übergang dann nicht gut, wenn das Argument ungültig ist. Wie man zeigen kann, dass ein Argument ungültig ist, wird später in diesem Kapitel erläutert.

4. Zurückweisen des Diskussionsbeitrags

Man kann ein Argument auch dafür kritisieren, dass mit ihm eine Regel des vernünftigen Argumentierens verletzt wird. Eine dieser Regeln lautet, dass der Beitrag für den Zweck der Diskussion relevant sein muss. Argumentiert man für etwas, das gar nicht relevant ist, so ist es in der Diskussion kein gutes Argument, selbst dann nicht, wenn es einen guten Grund für die Wahrheit der Konklusion liefert. Geht es in der Diskussion zum Beispiel darum, ob wir wissen können, dass andere Menschen Gefühle haben, liefert das eingangs erwähnte Argument keinen Beitrag, denn mit ihm wird die These gestützt, dass wir Menschen eine Seele haben. Damit allein wird jedoch nicht gezeigt, dass wir wissen oder nicht wissen können, dass andere Menschen Gefühle haben.

Vier Möglichkeiten der Kritik eines Arguments

1. Widerlegen der Konklusion durch ein Gegenargument: Die Konklusion ist falsch.

2. Widerlegen einer Prämisse: Die Prämisse ist falsch.

3. Zurückweisen des Übergangs von Prämissen zur Konklusion: Das deduktive Argument ist ungültig, das nicht-deduktive Argument liefert keine starken Gründe.

4. Zurückweisen des Diskussionsbeitrags: Der Einsatz des Arguments verletzt eine Regel des vernünftigen Argumentierens.

Die genaue Prüfung von Argumenten stellt einen wichtigen Teil der philosophischen Arbeit dar. Kritisiert man ein Argument, so sollte man möglichst genau angeben, wogegen sich die Kritik richtet, also ob sie sich gegen die Konklusion, gegen eine bestimmte Prämisse, gegen den Übergang oder den Diskussionsbeitrag wendet. Eine Kritik an einem Argument muss nicht unbedingt dazu führen, dass man das Argument vollständig aufgibt. Vielfach besteht die richtige Reaktion darin, dass man das Argument verbessert, indem man etwa die Prämissen genauer formuliert oder den Übergang zur Konklusion präzisiert.

1.7. Argumentform

Es gibt Argumente, die aufgrund der Bedeutung der Aussagen gültig sind, etwa das folgende:

1. Max ist eine Katze.

2. Max ist ein Säugetier.

Da der Begriff der Katze so definiert ist, dass eine Katze ein Säugetier ist, folgt aus der Bedeutung der Prämisse die Konklusion.

Es gibt auch Argumente, die bereits aufgrund ihrer Form gültig sind, das heißt aufgrund der Verknüpfung durch logische Zeichen, etwa das folgende:

1. Alle Philosophen sind Menschen.

2. Alle Menschen sind sterblich.

3. Alle Philosophen sind sterblich.

In diesem Argument kommen drei Aussagen vor, die jeweils mit »alle« beginnen und jeweils zwei Begriffe enthalten, die mit »sind« verbunden sind. Insgesamt sind es drei Begriffe, »Philosoph«, »Mensch« und »sterblich« (ein Begriff ist ein sprachlicher Ausdruck, mit dem man von einem Gegenstand etwas aussagen kann). Dass es genau diese drei Begriffe sind, ist für die Gültigkeit des Arguments jedoch nicht relevant. Dies kann man erkennen, indem man für jeden Begriff einen Platzhalter wählt. Es ist in der Philosophie in solchen Fällen üblich, Begriffe mit Großbuchstaben, beginnend mit F, abzukürzen. Kürzen wir also wie folgt ab: F = Philosoph, G = Mensch und H  = sterblich. Wichtig ist, dass man für denselben Begriff innerhalb eines Arguments immer dasselbe Abkürzungszeichen wählt. Damit erhalten wir folgendes Argument:

1. Alle F sind G.

2. Alle G sind H.

3. Alle F sind H.

Dies zeigt an, wie die inhaltlichen Teile der Aussagen (in diesem Fall: die Begriffe, aber es können auch ganze Sätze sein) mit logischen Zeichen (in diesem Fall: das »Alle … sind …«) verknüpft sind. (Was genau ein logisches Zeichen ist und wie man das »Alle … sind …« darstellen kann, wird erst später erläutert, s. Kap. 5.) Man nennt dies auch die logische Formdes Arguments oder kurz: die Argumentform. (Genaugenommen ist es erst eine Teilformalisierung, denn man müsste für das »Alle … sind …« ein logisches Zeichen einführen, das genau definiert ist.) Ersetzt man in der Argumentform einen oder mehrere der Buchstaben durch einen anderen Begriff als im ursprünglichen Argument, so ergibt sich damit ein neues Argument von derselben logischen Form. Man kann sich vorstellen, dass anstelle von »F« nicht »Philosoph«, sondern zum Beispiel »Katze« gesetzt wird. Nun kann man sich überlegen: Ist es möglich, für die Buchstaben »F«, »G« und »H« Begriffe einzusetzen, so dass die Prämissen wahr sind und die Konklusion falsch? Man versuche es! Es wird sich kein solches Argument finden (vgl. dazu auch das Diagramm auf S. 24). Auf diese Weise erhalten wir zugleich eine Definition für den Begriff der formalen Gültigkeit und eine Methode zum Nachweis der formalen Ungültigkeit.

Formale Gültigkeit eines Arguments