WerkZeuge - Martin Schleske - E-Book

WerkZeuge E-Book

Martin Schleske

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Beschreibung

Geigenbaumeister Martin Schleske – ein moderner Mystiker und Bestsellerautor – hat 366 Texte voller Weisheit über die Resonanzerfahrungen des Glaubens und die Stimmigkeit unseres Daseins geschrieben. Martin Schleske ist Geigenbaumeister und Physiker. Viele sagen, dass seine Instrumente zu den besten der Welt gehören. Und das ist sein Anspruch: in allem, was er tut, die Tiefe der Möglichkeiten bis an die Grenzen des Machbaren auszuloten. Manche Werkzeuge, mit denen er arbeitet, hat er selbst entwickelt. Und er fährt Hunderte von Kilometern, um irgendwo an einem abgelegenen Ort in den Alpen das Holz auszuwählen, aus dem er eine Geige bauen möchte. Martin Schleske ist aber nicht nur ein hervorragender Handwerker, Wissenschaftler, Schriftsteller, Künstler und Vortragsredner, sondern vor allem auch ein Hörender. In seiner Werkstatt in der Altstadt von Landsberg am Lech hat er in der obersten Etage eine Kapelle eingerichtet. Hier werden von ihm die fertigen Geigen ausprobiert. Aber er zieht sich auch mehrmals täglich zum Meditieren und zum Gebet in diesen Raum zurück. Dort hat er auch sein neues Buch geschrieben. In seinen Texten geht es um die Freude an einem intensiv erlebten Glauben, um Resonanzerfahrungen mit dem Geheimnis Gottes. Zwölf Werkzeuge aus seiner Werkstatt symbolisieren unterschiedliche Themenfelder, denen der Autor nachspürt. Wie entsteht durch ein betendes Leben innere Weisheit, Lebensfreude und Lebenskraft? Wie können wir in schwierigen Zeiten, in Einsamkeit und im Leid bestehen? Diesen und vielen anderen Fragen geht Martin Schleske nach. Er schreibt dabei nicht in der Sprache des Theologen, sondern aus der Werkstatt und in der Sprache des Künstlers, des Klangforschers, des Geigenbauers. Ein haltbarer Einband und ein edles Dünndruckpapier machen dieses Buch zu einem Kleinod, das man gerne und oft zur Hand nimmt. Einem Lebensbegleiter im besten Sinne.

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Seitenzahl: 734

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Martin Schleske

WerkZeuge

In Resonanz mit Gott

Knaur eBooks

Über dieses Buch

»Unser Herz ist wie ein Resonanzboden. Wie ­jedes Instrument, so hat auch unser inneres Leben – das Herz – seinen eigenen, unverwechselbaren Klang. Viel mehr als durch unsere Überzeugungen erlauben wir durch unsere Liebe, was in uns auf Resonanz stoßen kann.«

Martin Schleske

 

Martin Schleske ist Geigenbaumeister und Physiker. Seine Instrumente werden auf den großen Bühnen dieser Welt gespielt. Doch sein Forscherdrang und sein Handwerk spiegeln sich auch in seinen Texten. In ihnen geht es um die Freude an einem intensiv gelebten Glauben, um Resonanzerfahrungen mit dem Geheimnis Gottes.

Inhaltsübersicht

Für Jesus

VORWORT

EINLEITUNG

DER WÖLBUNGSHOBEL

AMEN

DER GERUCH DES LEBENS

SCHREIB, WAS DU SIEHST

DIE FRAGE

OHNE SATTEL

DIE WÜRDE DES TAGES

DIE WAHRHEIT LÄCHELT ÜBER DIE AUGEN

DER KOSTBARE AUGENBLICK

DIE STILLE DES WILLENS

URSACHE UND GRUND

URFORM UND EWIGKEIT

INSPIRATION

NOTWENDIGE ÜBERFORDERUNG

SCHMERZHAFTER SEGEN

SEIT DER ZEIT DER ERSTEN LIEDER

SICH KLÄREN

HÖREN

LASS DICH SPIELEN

SINNESORGANE DES HERZENS

ERKENNTNISPFLICHT

VERWANDLUNG

VERBUNDENHEIT

MUT ZUR ENTTÄUSCHUNG

VERSÄUMNIS

ZEIT

GEGENWART

ERLAUBEN UND ERMÖGLICHEN

DIE SPÄTGEBORNEN

MATERIE DANKT NICHT

ILLUSION UND UTOPIE

ZEITGEIST

DER SCHNITZER

EHRE

ANBETUNG

FLÜGEL DER MORGENRÖTE

LIEBENDE ABSICHTSLOSIGKEIT

ARBEIT

BEKEHRUNG

INNIGKEIT UND WEITE

SPIRITUELLE SUCHE

MEISTER

LEHRER

VATER

MENSCHENSOHN

RELIGION

RELIGARE

AUFRICHTIGKEIT

GEISTIGE REIFE

GOLGATHA

SEIN

NICHT DEINE KRAFT

VERSTOCKT

SELBSTVERSUCH

DAS WERTVOLLSTE

DIE ZUKUNFT VERLEUGNEN

DIE WIRKLICHKEIT PROVOZIEREN

BRUTALER GLAUBE

WIDER DIE BLOSSE INNERLICHKEIT

EHRFURCHT

DER GESPANNTE BOGEN

DER SCHREI DES RABEN

DAS ABSTECHEISEN

ES REICHT!

PNEUMASOMATISCHE WIRKUNGEN

DIE WESENTLICHEN FRAGEN

REALISIERUNG

WIE IM HIMMEL

SPRICH ZU IHM!

DER KÖRPER

DUMME GANS

DIE TÜR

KREATIVE IGNORANZ

AUF KROKODILEN

DER GEFÜHLSMÄCHTIGE MENSCH

ICH HAB MICH!

DIE SEELE ERMUTIGEN

FRIEDEN

GEISTIGES FASTEN

FREMDHERRSCHAFT

DAS GESPRÄCH DES GEISTES MIT DER SEELE

SELBSTWIRKSAMKEIT

UMKEHRUNG

DANKBARKEIT

DAS ENZYM DER DANKBARKEIT

HABGIER UND GLÜCK

WEGE BAHNEN

SELBSTRELATIVIERUNG

SANFTMUT

MAGDALA

SICH NICHT BEGRÜNDEN MÜSSEN

DAS WORT

MENSCHENFÜHRUNG

WAHRHEITSANSPRÜCHE

DER GLASLÄUFER

FLÜGEL DEINER AUTORITÄT

FEIERN

SICH BEHÜTEN

DAS WESENTLICHE

DIE MEISTERSCHAFT DES AUGENBLICKS

SPIRITUELLE DRÜCKEBERGEREI

BESTÄNDIGKEIT

AUS SICH HERAUSFÜHLEN

IM FLUSS DER VERÄNDERUNG

WAHRHAFTIGKEIT

GESCHÜTZT SEIN

DER SINN UND DER WEG

DAS GUTE UND DIE GÜTE

DER SPIEGEL

JENSEITS VON GUT UND BÖSE

DER SEGEN DER SCHMERZEN

DU DARFST GEHEN

IN RESONANZ

AUFERSTEHUNG

RESONANZFELDER

KÜHNHEIT

DER ANGRIFF AUF DAS EGO

RESONANZEN ERFORSCHEN

GLAUBE ALS RESONANZERFAHRUNG

DÄMPFUNG

WEITE DICH

AUF ALLES EINE ANTWORT

RESONANZBODEN SEIN

LEBENSLAUTE

INTONATION

DIE BANDSÄGE

EINGEBUNG

IST GOTT EINE »PERSON«?

GLÄUBIGE ÜBERGRIFFIGKEIT

DIE RESONANZ DES GEISTES

DIR ZULIEBE

SICH EINFÜHLEN IN GOTT

DAS MINDESTE

»ABBA«

»DER NAME«

DIE SCHÖNHEIT DES GEISTES

»DAS SEIN«

NICHT GEGEN DEN STROM

ANTEIL HABEN

DIE SEELE FÜHREN

GEHEILIGTE VERLETZUNGEN

DER KITSCHIGE ZWEIFEL

VERANTWORTUNG UND VERLETZLICHKEIT

DAS GEWEBE DES LEBENS

SELBSTKRÄNKUNG

DIE ARROGANZ DER SELBSTÜBERFORDERUNG

FALSCHE SELBSTERZIEHUNG

DIE RECHTEN VERHÄLTNISSE

GEBET EINES UNSCHULDIG VERFOLGTEN

KRÄNKUNGEN

DIE WÜRDE DES GELIEBTEN

SELBSTFREUNDSCHAFT

IM ZWEIFELSFALL

RACHE

HEILSAME ENTTÄUSCHUNG

VERSUCHUNG

EINANDER LEIDEN KÖNNEN

DIE HALSEISEN

DER UMFASSENDE BLICK

BESCHEIDENHEIT

DIE TIEFE DER HEILUNG

WIR SCHULDEN GOTT NICHTS

GABE UND AUFGABE

DIALOG MIT DER WAHRHEIT

VERGEBUNG

STEIG HERAUS

RAUSCHEN

FREIHEIT UND VERANTWORTUNG

MIT RUHIGEM HERZEN

SCHWERMUT

DAS HERZ

DIE SEELENLÜGE

KLAR UND EINFACH WERDEN

SANFTE HEILUNG

HEILSAME KRAFTLOSIGKEIT

DIE GEGENWARTSKUNST DER SEELE

VERZIEHEN

TREUE

DER MENSCH ALS GEFÄSS

GESUNDE KAPITULATION

HEILIGER GEIST, GELIEBTE

DER TATSÄCHLICHE GLAUBE

SINN UND BESINNUNG

BERUFLICH VERUNGLÜCKT

DIE UNNÜTZE STILLE

NEIN

DENKEN REICHT NICHT AUS

KEINE GLEICHUNGEN

DAS BIEGEEISEN

DAS MESSER DER WAHRHEIT

MÄRCHEN

WUNDER ERMÖGLICHEN

DIE EINFACHHEIT DES UNMÖGLICHEN

BOLLWERK DER ERWARTUNGSLOSIGKEIT

DIE PFERDEHERDE

SELBSTVERSTÄNDNIS

NACHKLINGEN

DAS UNNÖTIGE

GOTTESÜBUNGEN LEBEN

DAS ZIEL

ERGÄNZUNGSPFLEGER

ÜBER ARTGRENZEN VERBUNDEN

ENERGIE

GEGLÜCKTE NORMALITÄT

LIEBENDES BETEN

FREUDE DES HIMMELS

DEN TAG BEGINNEN

VERWEILEN

GEBET ZUM TAGESANBRUCH

DIE GABE DER FREUDE

SEUFZEN

OHNMACHT UND STÄRKE

BETENDES NICHTBETEN

SEI KEIN IRRTUM

DAS WECHSELSPIEL DER LIEBE

WENN GOTT REDEN SOLL

DER SEGNENDE SCHMERZ

SPIELVERDERBER

LIEBENDES SCHWEIGEN

DER SINN DER ÜBUNG

DER POLIERLAPPEN

HERZENSGEBET

WAS IST GEBET?

AUSATMEN

BETENDE LIEBE – LIEBENDES BETEN

WORT UND ANTWORT

NICHT-WOLLEN

SELBSTVERWIRKLICHUNG

LEERWERDEN

PFLAUME UND PAPRIKA

MIT GOTT ALLEIN

DAS BITTGEBET

EINE TÜR ZUR GNADE

DIE LUNGE DES GEISTES

DER VOLLMÄCHTIGE KNECHT

SICH LASSEN

SYNERGIE

TROTZDEM

LEHRSTÜCK

DAS LEBEN LESEN

HERMENEUTIK DES INSTRUMENTES

LEBEN AUS ERSTER HAND

SELBST ERWÄHLTE HÖLLE

DER ATHEIST

SORGEN

DIE SEELE ANSPRECHEN

GENUG VON MIR SELBST

DEN GLAUBEN VERLIEREN

HABEN

ENERGETISCHE ZUSAMMENHÄNGE

DIE REINE LEHRE

EINSAM WERDEN

DER BOGEN

DIE PANISCHE ANGST VOR DER SCHÖNHEIT

GOTT UND KUNST

DEMENT GEWORDENE ERKENNTNIS

SCHÖNHEIT

HARMONIE DER GEGENSÄTZE

DIE SCHÖNHEIT DER FEHLER

HÖRENDE LIEBE

SICH UNTERBRECHEN

DAS UNERKLÄRLICHE LIEBEN

NICHT-HANDELN

SCHWÄCHE

SACHZWÄNGE

DAS POTENZIALFELD DER MÖGLICHKEITEN

NICHTS

GEFUNDEN WERDEN

AUF FLÜGELN DER GNADE

IN DEN ÄNGSTEN DES HERZENS

VERLASSEN

DAS SPIEL

LOB DER GNADE

BEDINGUNGSLOSIGKEIT

DAS GLÜCK DER EINHEIT

ZURÜCKGEBLIEBEN

MEINE ARMSELIGKEIT LIEBEN

DAS SPIEL DER WEISHEIT

SELBSTUNTERBRECHUNG

AUFTANKEN

GOTT BERÜHREN

GOTTESGEWISSHEIT

DIE SCHÖNHEIT DER BEGRENZUNG

DIE ZIEHKLINGEN

FRAGWÜRDIGE ALLMACHT

RATSCHLÜSSE – KEIN PLAN

THEOLOGIE DER VERWUNDBARKEIT

TRANSZENDENZ UND IMMANENZ

ICH-BIN

GOTT DURCHLEBEN

NICHT VON DIESER WELT

BERUFUNG UND BEDÜRFTIGKEIT

DIE GNADE DES LIEBENDEN

SELBSTRÜCKNAHME (ECHO)

ZUSAMMEN GEHEN

NACHWEHEN

WELTBEKENNTNIS (CREDO)

DIE WUNDE

SELBSTPREISGABE GOTTES

EXISTENZTRAUMA

FESSELN LÖSEN

LEBENSLÄNGLICH

SICH SELBST ERMÖGLICHEN

VERTRAUEN

VERÄNDERUNGEN

VON HERZ ZU HERZ

HERZENSWEGE GEHEN

HEUCHELEI

KIND SEIN

KEIN FALSCHES GEBOT

DAS KLEINE KIND IN MIR

DER GEBENDE

SINN

ZEITRAUMVERGESSENHEIT

DER TEMPEL DES LEBENS

DIE FEINSÄGE

ZORN GOTTES

WACHSTUM

LEBENSWELT

DIE VERKEHRTE SELBSTLIEBE

EIN LIEBESGEBET

VERBORGENHEIT

FORMBARKEIT

MASSLOSIGKEIT

DAS DIALOGISCHE GLÜCK

DER DRITTE MODUS

LERNFÄHIGKEIT

DER FRUCHTBARE BODEN

LAGERDENKEN

GIB NICHT DICH SELBST

NOTENSCHLÜSSEL IM SAND

FREIHEIT

UNGETEILT SEIN

REALISMUS

WELTAUFGANG

GOTTESERFAHRUNG

DER CHARISMATISCHE GÖTZE

ERKENNTNIS

GEISTIGE KEUSCHHEIT

BETENDES DENKEN

DER VERSTAND

DIE VIER WEGE DER ERKENNTNIS

SUBJEKTIVITÄT

FANATISMUS

SEHNSUCHT UND WAHRHAFTIGKEIT

MISSION

DER LACKIERPINSEL

RELATIVITÄT

TOLERANZ UND WAHRHEIT

ENTTÄUSCHUNGEN WAGEN

AUTHENTIZITÄT

DAS EINFACHE

DIE ZUNGE

IN RELATION

DIE GOTTESGLUT

LEBENSMUT

ERKENNTNISPRAXIS

DESILLUSIONIERUNG

WARUM GEGEN DIE SONNE KÄMPFEN?

HOFFNUNG

ZUKUNFT

SEGEN

DIE ZUMUTUNG DES SEGENS

SPRICH MIT DIR

WIE SOLL ICH DICH FINDEN?

AUF DEM WEG

SCHNEEKRISTALLE

FASERN DER WIRKLICHKEIT

DER GOTTESWILLE

DIE GNADE (CHARIS)

OBDACHLOS

ERWÄHLUNG

FLÜGEL DER GERECHTIGKEIT

SCHÜTZE DICH DURCH DIE LIEBE

DAS JÜNGSTE GERICHT

ZORN DER LIEBE

OPTIMISMUS

TROTZ DES LEBENS

QUELLENNACHWEISE

DANK

Verzeichnis der Bibelstellen

Stichwortverzeichnis

Für Jesus

VORWORT

Man kann an der Bibel zweifeln. Aber man wird ihr unzweifelhaft die Würde zugestehen, eine der großen Weisheitsschriften der Menschheit zu sein. Ihre Worte werden auf ihre eigene Art auf Resonanz in uns stoßen, wenn wir sie lesen. Sie haben eine formende Kraft. Sie sind Werkzeuge des inneren Lebens.

Unser Herz ist wie ein Resonanzboden. Wie jedes Instrument, so hat auch unser inneres Leben – das Herz – seinen eigenen, unverwechselbaren Klang. Viel mehr als durch unsere Überzeugungen erlauben wir durch unsere Liebe, was in uns auf Resonanz stoßen kann. Wir werden durch unsere Liebe gelesen.

Über keine meiner Betrachtungen sage ich, dass die Texte der Bibel so und nicht anders zu verstehen seien. Ich schreibe in einer von Ehrfurcht getragenen Subjektivität, was in mir anklingt, wenn ich sie als Weisheitsquelle mit einem betenden Herzen lese.

Was mein persönliches Verhältnis zur Bibel bestimmt, ist sicher treffend mit einem Wort aus dem alttestamentlichen Lied der Lieder gesagt:

»Du hast mir das Herz genommen mit einem einzigen Blick deiner Augen.« (Hohelied4,9)

EINLEITUNG

Das Hauptaugenmerk der Texte liegt auf dem Thema der Seelenführung. Es ist das, was die antike Philosophie so treffend die Psychagogikdes Lebens nannte – man könnte sagen: die Pädagogik im Umgang mit uns selbst.

Besonders dort, wo es um die Seele geht, referiere ich nicht über das, was ich dazu gelesen habe, sondern was ich auf beglückende Weise selbst durchlebt, gehört, gesehen, berührt – und in gewisser Weise auch durchlitten – habe.

Lehrstunden. Ich habe versucht, Worte für das zu finden, was sich zwischen Gott und mir abspielt – nicht zwischen mir und dem Leser, denn sonst werden die Texte gestört und klingen auf einmal belehrend oder appellierend.

Sollten die Texte dennoch einmal diesen Klang haben, dann nur deshalb, weil ich hier in mein eigenes Leben hineinspreche. Das Du der Texte ist das Wort, das ich gewissermaßen zu mir gesprochen höre, als einer Weisheit, die man nicht ausdenken oder generieren, sondern der man nur zuhören kann.

Ich trete also nicht in einen Dialog mit dem Leser ein, sondern in den betenden Dialog mit Christus – und lade mit den Texten ein, bei diesen inneren Lehrstunden dabei zu sein.

Hören. Sicher hat mich die jahrzehntelange Leidenschaft des Geigenbauers in der Werkstatt und des Physikers im Akustiklabor eine Liebe zum Hören gelehrt. Die äußeren Ohren sind nicht nur ein Gleichnis, sondern auch eine seelische Erfahrung und Übung des inneren Hörens. Wir haben Ohren der Liebe, denen gesagt wird: Denke die Dinge nicht kaputt, sondern höre dich in sie ein. So werden dir die Dinge, die du wahrnimmst, hilfreich und heilsam sein. Die Bibel kennt diese liebende Bereitschaft und nennt jene Gabe die »Ohren des Herzens«. Es ist die Würde des liebenden und reflektierenden Bewusstseins, die wir als geistige Wesen haben.

Über Gott zu sprechen, soll in ebendieser Würde geschehen, es soll gehört, erfahren, inspiriert, durchlitten und empfangen sein – kein Ergebnis eigenmächtigen Denkens, sondern Zeugnis des hörenden Lebens und der Erkenntnisse des liebenden Herzens.

Akustik und Klang. Das Verhältnis zwischen Akustik und Klang ist wohl vergleichbar mit dem Verhältnis zwischen Theologie und Glaube oder dem zwischen Gehirn und Geist. Wir können durch akustische Analysen die Schwingungsformen einer Geige beobachten und im Gehirn Neuronen feuern sehen. Aber das Wesen des Instrumentes werden wir nur erfahren, wenn wir uns darauf einlassen, seinen Klang zu hören. Es wäre traurig, wenn wir uns damit begnügten, zu verstehen, wie die Dinge des Lebens funktionieren, aber deren Bedeutung und Sinn nie erfahren. Es wäre wie ein Akustikforscher, der sein Leben lang eifrig im Labor war, aber nie im Konzert.

Wenn ich nach vielen Hundert Stunden Werkstattarbeit in der kleinen Dachkapelle meiner Werkstatt einen Musiker mit seinem Instrument erlebe und die Augen schließe, spüre, höre, sehe und empfinde ich den Klang. Manchmal kann der Musiker, die Musikerin, wenn sie zum ersten Mal ihr gerade fertig gewordenes Instrument erleben, sich nicht gegen die Tränen wehren. Denn sie spüren die Wirkung des Klanges, eine Autorität, die sie konfrontiert, ergreift, erschüttert, tröstet und belebt. Das sind die Glücksmomente im Geigenbau. Der Klang berührt die Seele, und der Mensch beginnt auf seinem Instrument zu singen. Diese Art der Erfahrung ist letztlich mit dem Begriff glauben gemeint. Es ist der Moment, in dem wir uns vergessen, da wir beginnen, eine Vollmacht, einen Trost, eine Schönheit, eine Erschütterung und beglückende Gegenwart zu erfahren.

So ist dieses Buch ein Zeugnis des Gehörten. Ich lade nicht in mein Labor, sondern in den Konzertsaal des Lebens ein.

 

Hinweise:

In der Regel steht jeder Text, als ein Fragment, für sich allein. An einigen Stellen aber sind aufeinanderfolgende Textserien entstanden. Dies trifft besonders auf meine »Theologie der Verwundbarkeit« (Seite 453 bis 490) zu, die so etwas wie eine innere Herzensschau des Gottesgeheimnisses ist. Sie greift manchen religiösen Vorstellungen ähnlich ans Herz wie die Textserie »Ist Gott eine Person?« (Seite 214 bis 229). Diese beiden Serien sind unter den 366 Texten wohl Herzstücke des Buches geworden. Ebenso die Textserie über Heilung (Seite 114 bis 129).

Da die Texte kein geschlossenes Gedankengebäude bilden, sondern fragmentarische Bausteine sind, habe ich auf ein Inhaltsverzeichnis verzichtet. Auf den Seiten 621 bis 633 finden sich aber ein ausführliches Stichwortverzeichnis und ab Seite 616 eine Liste der zugrunde liegenden Bibelstellen.

Aus Gründen der sprachlichen Schönheit und des Flusses verwende ich i.d.R. das generische Maskulinum. Es sind aber in jedem Fall die weibliche und die männliche Form gleichermaßen gemeint und gedacht.

DER WÖLBUNGSHOBEL

Unter allen Geigenbauwerkzeugen ist der Wölbungshobel mein Lieblingswerkzeug. Summiere ich die Zeit auf, die ich diesen (lediglich 38 Millimeter langen) Messinghobel zwischen Daumen und Zeigefinger gehalten habe, so werden es am Ende meines Lebens mehrere Jahre gewesen sein. Ich kenne die Krümmung seiner Sohle besser als alles, was ich je berührt habe. Diese Vertrautheit ist wichtig, denn nur so ist das Werkzeug wie ein selbstverständlicher Teil der eigenen Hand.

Mit dem Wölbungshobel arbeite ich den Klangcharakter der Geige heraus, denn mit ihm forme ich die Wölbung und die Plattenausarbeitung von Decke und Boden. Am Hobelrücken liegt der Mittelfinger an. Mit ihm lässt sich der Hobel hinten leicht anheben oder niederdrücken, je nachdem, wie viel Holz ich abtragen will. So bestimme ich mit jedem Hobelstoß die Feinheit der Spandicke im Hobelmaul.

Ich liebe das helle Zischen, wenn ich mit dem Faserverlauf des Holzes gehe, und die typische Rauigkeit, wenn ich gegen die Faser gehe. Man spürt die Vibrationen des Hobels und hört über Stunden in der Stille der Werkstatt auf sein Geräusch, denn darin geben sich die Resonanzen der Geigendecke und des Bodens zu erkennen. So formt der Hobel den Klang.

 

1. Januar

AMEN

Markus8,29: Ihr aber, wer, sagt ihr, dass ich sei?

In den beglückenden Phasen der Gottesgewissheit höre ich mich sagen: »Es gibt nichts Besseres, es ist wahr.« In den schmerzhaften Phasen der Zweifel und der Niedergeschlagenheit sage ich: »Es gibt nichts Besseres, als wäre es wahr.« Dieses Gespür für das Gute ist die Würde des Zweifels.

Die Zeiten der Gewissheit lassen mich meine Wahrheit und das Glück des Lebens spüren. Die Zeiten der Zweifel aber lassen mich meine Sehnsucht nach der Wahrheit des Lebens spüren. Diese Sehnsucht hat eine formende Kraft, sie bildet den Menschen. Und es ist mehr als das. Denn die Zweifel erregen einen heilsamen Ekel vor der Sinnlosigkeit, sie erschüttern jene geistlose Gedämpftheit, in die wir fallen, wenn wir uns vor lauter Antwort nichts mehr zeigen, nichts mehr sagen lassen. Darum will ich besonders in Phasen der Zweifel an der Sehnsucht festhalten.

 

Der Zweifel sagt dem Glauben: »Das weißt du nicht!« Der Glaube antwortet: »Ja, nicht im Sinne des Beweisbaren. Du hast recht. Aber die Sehnsucht ist unsere große Wahrheit, denn sie zeigt uns, was wir unwissentlich wissen. Wenn sie erlischt, sind wir erloschen; wenn wir sie verlieren, sind wir verloren.« Vielleicht geht unser Recht, die Welt zu formen, sogar so weit, dass wir ihren Sinn nicht nur erkennen, sondern ihn sogar setzen dürfen, dass wir also gerade in Phasen der Zweifel in besonderer Weise ermächtigt werden, das Leben zu deuten. Denn Zweifel sind ein Modus, der uns von den zu klein gewordenen Antworten befreit.

Der wahre Zweifel widersetzt sich unseren kümmerlichen Argumenten, aber er achtet den Mut, unserem fragwürdigen und fragilen Leben mit dem Trotz unseres Glaubens und unserer Liebe eine Deutung zu geben. Was wir dann sagen, ist nicht: »So könnte es sein«, sondern – viel mächtiger! –: »So soll es sein!« Ebenjenes »So soll es sein« ist die Urbedeutung des Wortes Amen.

 

Das Wort Amen ist vermutlich das einzige Wort der Menschheit, das niemals übersetzt, sondern unverändert in alle Sprachen übernommen wurde. So ist es zu einem universellen Wort der Menschheit geworden. Es geht hervor aus dem Hebräischen – aus dem Wort für glauben (amam), was auch treu, anhänglich oder vertrauenswürdig bedeutet.

Dem Wort Amen wurde also die Würde zuteil, die Überzeugungen und Gewissheiten des Menschen zu bekräftigen und auszusprechen, welcher Wahrheit sein Leben treu bleiben soll: »Amen! So sei es!«

Die Zeiten der Gottesgewissheit sind unbeschwert und leicht; die Zeiten der Zweifel aber fragen uns, wozu unser Leben Amen! sagt.

2. Januar

DERGERUCH DES LEBENS

Buch Hiob 15,2: Antwortet denn ein Weiser nur mit windigem Wissen? Füllt er sein Inneres mit Ostwind an?

Ich schreibe viel vom Suchen, vom Forschen und Fragen. Es ist der Herzschlag des forschenden und betenden Menschen.

Die Schönheit des Lebens offenbart sich, wenn wir aufhören, danach zu suchen; sie offenbart sich, wenn es uns nicht um Erkenntnis, sondern um die Wertschätzung des Augenblickes geht. Es ist eine heilsame Erfahrung: Alles fühlt sich in diesem Augenblick richtig an, alles wird zum Geschenk. Der Augenblick ist unverhofft und unerwartet, alles wird eingenommen von Dankbarkeit.

 

Ich rieche den würzigen Geruch meines Pferdes, stehe neben ihm, mit ihm, wir atmen gemeinsam, ich spüre, wie weich er im Innern durch das Einssein geworden ist, spüre und sehe in seinen Augen, wie glücklich er darüber ist, dass ich so stolz auf ihn, dankbar über ihn bin. Es war eine große Zuwendung, eine unmittelbare und innige Verständigung im gemeinsamen Trab, wie ein müheloser gemeinsamer Tanz.

Ich bin noch Anfänger – das hat etwas Gutes: Ich muss nicht gut darin sein! Aber er beschenkt mich, ich spüre ihn und seine besondere Art.

Ich liebe den Widerstand des Bogens auf der Saite, spüre, wie die mächtigen Resonanzen des Instrumentes den Bogenstrich im Fortissimo herunterbremsen, wie der Corpus der Geige um die Vorherrschaft über die Seitenschwingung kämpft. Aber ich erliege nicht, ich tauche ein in die Dunkelheit des Klanges und genieße diesen unendlich dichten und fast bedrohlichen Ton. In diesen Augenblicken stirbt jeder Gedanke und alles ist Schönheit. Die Geige, die ich gerade noch mit dem über Jahre gereiften Polierlappen poliert und massiert habe, erfüllt mit ihrem Klang die Dachkapelle. Die Geige duftet nach Benzoe und ihrem feinen goldfarbenen Bernsteinlack.

 

Wir müssen lang und tränenausgelassen lachen, als meine Frau von einer Begebenheit des heutigen Schultags erzählt. Wieder (trotz all des Schweren) solch eine rührende und besondere Situation mit einem Schüler. Claudia wird zur Schauspielerin in diesem Moment, mimt jenen besonderen Augenblick nach, hält es aber nicht durch, und wir brechen wieder in Lachen aus.

Es gibt so viele wunderbare Momente gemeinsamer Lebendigkeit. All dies – die Schönheit unseres Daseins – darf man nicht suchen. Nicht als die Suchenden, sondern als die Liebenden werden wir gesegnet. Nicht als die Wollenden, sondern als die Empfangenden.

Es ist, als hätte das Heilige bisweilen eine insgeheime Freude daran, uns durch das Leben zu sagen: Frage nicht, hab Mut und lebe. Denn die Schönheit dessen, der ich bin, kannst du nur durchleben. Ich will mit dir auch in die Zeit der Fragen gehen, ich liebe den Klang deiner Fragen, dein Suchen, dein Forschen in deinem Gebet. Aber ersetze durch all das nicht dein Leben! Was fliegst du in einem Geist über die Worte hinweg, ohne sie in deinem Herzen zu formen?

Das Wichtigste kannst und darfst du nicht suchen. Es muss dich finden. Wie aber soll es dich finden, wenn es dich nicht in der Wertschätzung gegenüber dem Geschenk des Augenblicks vorfinden kann? Lass nicht die Sinnlosigkeit dich weiden. Sinniere nicht, sondern fahre hinaus und wirf die Netze aus. Worüber willst du nachdenken, ohne darin zu leben?

Nicht deine Gedanken und nicht deine Gebete, sondern einzig das Leben, das du lebst, kann dir seinen Sinn erzählen. Darum mache dir die Finger schmutzig, und liebe die Augen, den Klang und den Geruch deiner Welt.

 

3. Januar

SCHREIB, WAS DU SIEHST

1. Korintherbrief 14,14: Mein Geist (pneuma) betet, aber mein Verstand (nous) bleibt fruchtlos.

Und auf einmal ist mir der Text weggestorben. Es war immer dann, wenn ich meinem Geist nicht getraut habe und geglaubt habe, der Verstand müsse eigenmächtig nachbessern, was der Geist zuvor wie ein Kind mit Freude angenommen hat.

Unser Geist (pneuma) hat weder Scharfsinn noch das Vermögen des Verstandes (nous), aber er ist in Beziehung. Er ist wie ein Kind zu einem Vater, einer Mutter, die ihm der Geist Gottes sind.

Ich habe mir die Texte dieses Buches während der vergangene 21 Monate nicht ausgedacht, jeder begann mit einem Gedanken oder einem Satz, wie ich ihn im verweilenden Gebet gespürt oder gehört, oft auch gesehen habe. Und dann floss es weiter, noch bevor der Satz zu Ende war. So sind die Texte, die eher Zeugnisse eines inneren Lebens sind, an der Werkbank, in der Stille am Morgen, im Lackierraum, im Wald oder nach dem Reiten entstanden.

 

Der Geist hat nichts. Aber ihm werden die Sinne geöffnet; er kann nichts »machen«, aber er wird von Schwingen der Gottesfreude getragen und geführt. Ich wollte dies dritte Buch ja erst Jahre später schreiben, aber es war, als würde Jesus – fast entschuldigend – sagen: »Ich weiß. Aber ich brauche es jetzt. Ich brauche Nahrung für mein Volk.« Und als könnte ich es, um beruhigt zu sein, auch sehen: Damit ich noch ausreichend Zeit für meine Geigen hatte, würden die Texte in einer altehrwürdigen Burgbibliothek im Himmel geschrieben. Manch jüngere standen an ihren Stehpulten, die älteren saßen an ihren schweren Tischen. So habe ich aufgeschrieben – meist nur in mein Sprachnotizprogramm hineingesprochen –, was ich gesehen habe.

 

Ich kannte die Themen und Gedanken nicht im Vorhinein, manchmal waren es drei an einem Tag. Die Texte sind nicht geschrieben, sie sind aus Freude (und manchmal unter Tränen) gesprochen und im Nachgang wenig korrigiert.

Diese Art ist nur möglich, wenn der Verstand nicht viel macht, nicht eingreift in das, was Sache des Geistes ist, der eine hörende Pflanze im Garten des Größeren ist. Der Geist nährt sich aus einer Form der Liebe, die am treffendsten Vertrauen heißt.

 

4. Januar

DIE FRAGE

1. Korintherbrief 2,10: Der Geist Gottes erforscht alle Dinge, auch die Tiefen Gottes.

Der Geist erwacht durch die Frage. Denn wir können die Dinge nur erforschen, weil wir Fragende sind. Fragen werden beruhigt durch Antworten, aber sie bleiben lebendig durch Zweifel. Darum sollen Zweifel uns daran erinnern, dass unsere Wahrheit keine Antwort, sondern nur ein Weg sein kann. Die Wahrheit des Glaubens darf nur den Weg der fragenden Liebe gehen, sie muss die Erforschung des Lebens durch die liebende Seele sein. Anders wäre sie nur eine Behauptung. Wer Wahrheit erforschen will, muss selbst ein Liebender sein. Eine Antwort würde das Leben beruhigen, aber sie würde nicht unsere forschende Liebe beleben.

Hätte Gott keine Fragen, so gäbe es wohl kein Leben. Denn eine jede Schöpfung gibt ihre Antwort darauf, dass Gott – wie es im Buch Hiob heißt – »das Leben ergründet«. Ist dies nicht der Grund dafür, dass es uns gibt? Ob die Dinge nur eine Ursache oder aber einen Grund haben, das ist die Frage, die der Geist uns stellt. Der Verstand kann Aspekte der Ursachen erforschen, einzig der liebende Geist aber ihren Grund. Die Liebe ermahnt uns: Lebe nicht unbegründet! In ihr erwacht Gott in der Welt, die er erschuf.

5. Januar

OHNE SATTEL

Jesaja 44,20: Wer Asche hütet, den hat sein Herz getäuscht.

Gestern bin ich das erste Mal ohne Sattel und ohne Steigbügel geritten. Ich spüre die erstaunliche Beweglichkeit meines Pferdes, seinen Rücken, seine starke Muskulatur. Meine Beine hängen entspannt herunter, der Kontakt im Becken reicht völlig aus. Ich weiß nicht, warum ich solch eine Verbundenheit habe. Vermutlich, weil ich ihm ganz vertrauen kann. Der einzige Halt ist, dass ich seinen Bewegungen folge. Es ist mühelos. Der erste Schnee. Ich reite nicht auf ihm, sondern mit ihm. Ich spüre seine Geschmeidigkeit, seine Hingabe, seine Wärme. So intensiv habe ich seine Kraft noch nie gespürt.

Tags drauf merke ich, was für ein wertvolles Gleichnis diese Erfahrung war. Das Reiten ohne Sattel ist wie die Verbundenheit mit Gott. Kein Sattel dazwischen, keine religiösen Steigbügel, die mich halten sollen. Der einzige Halt ist, dass ich den Bewegungen seines Willens folge. Es ist ein großes Glück, die Hingabe des Heiligen Geistes zu erleben, der uns diese Verbindung schenkt, der uns trägt und es genießt, wenn wir vertrauen. Ich klammere nicht. Mein Pferd hat dieses tiefe, löwenartige Grollen, wenn es entspannt und glücklich ist. So war es am Ende beim Traben ohne Sattel im ersten Schnee.

 

6. Januar

DIE WÜRDEDES TAGES

Matthäus 25,21: Da sprach sein Herr zu ihm: Recht so, du guter und treuer Knecht, du bist über wenigem treu gewesen, ich will dich über viel setzen; geh hinein zu deines Herrn Freude!

Als Geigenbauer bringe ich nur das gewachsene Holz zum Klingen. Ich mache es nicht. Es ist alles schon da. Ich höre das Rauschen der Fasern unter dem Hobel und sehe deren Glanz unter der Ziehklinge, und wenn ich unter dem Mikroskop auch nur eine einzige Tracheide erforsche, muss ich unwillkürlich erschaudern. Was für eine Schönheit! Was für eine Architektur. Ich putze die Außenwölbung eines Cellobodens, man muss ihn fast küssen: Sein Holz ist 50000 Jahre alt, es stammt aus einem Hochmoor Neuseelands. Vor Kurzem wurde es entdeckt.

Auf eine heilsame Weise wird angesichts solch eines Schatzes im Acker das eigene Leben klein. Wir stellen uns zur Verfügung. Es soll etwas Gutes daraus entstehen. Das heißt Leben.

 

Die Instrumente werden mich überdauern, und es werden einmal Menschen diesen Text lesen und Generationen noch dieses jetzt werdende Cello spielen, wenn mein Weg seine nötige Zäsur genommen hat, um in anderen Welten weiter zu gehen.

Was hier geschieht, ist wie eine vom Himmel begabte, unerlässliche Übung der Liebe auf das hin, was nach und nach noch kommen wird. Wie es im Lukasevangelium heißt: »Du bist im Geringen treu gewesen, geh nun ein, mein treuer Knecht, in meine Freude, ich will dich über Größeres setzen.«

 

Eine über die Jahre gewiss gewordene Ahnung in mir sagt: Ich durchlebe und leide auch in meiner Arbeit den Klang, damit ich einmal an den himmlischen Werkbänken an Instrumenten der (von Welt zu Welt zunehmenden) Gottesherrlichkeit arbeiten kann. Gewiss werde ich Zeit für die Musik in den Sälen eines größeren Lobpreises haben. Darum liebe ich das Kleine. Es ist in jedem Arbeitsgang ein Werdegang der Vorfreude auf das Große und Eine zu spüren. Was für ein Wunder, Holzfasern mit einem derart urgewaltigen Alter in Händen zu spüren!

7. Januar

DIEWAHRHEIT LÄCHELT ÜBER DIE AUGEN

Hebräerbrief 11,1: Der Glaube ist ein Überführtwerden von Dingen, die man nicht sieht.

Das Kreuz auf dem Dachfirst unserer Stadtpfarrkirche ist aus Eisen geschmiedet und mit Gold überzogen. Es gibt Tage, da ist das Licht so diffus, dass man nur den Querbalken sehen kann. Die Vertikale, die in den Himmel ragt, sieht man an diesen Tagen nicht. Es leuchtet ein, was für ein Gleichnis das diffuse Licht mir sagt: »Vergiss nicht, was du weißt! Auch wenn du es im Augenblick nicht siehst – erinnere dich!« Es gibt diese diffusen Zeiten und Krisen im Leben, da muss ich mich auf das berufen, was ich auf einmal nicht mehr sehen kann.

Der tausendfach dahergespöttelte Satz: »Glauben heißt nicht wissen« ist in seiner Banalität falsch und verkehrt. Denn es ist umgekehrt: »Glauben heißt wissen, was du nicht siehst.« Es ist die Demut der realistischen Wahrnehmung, die weiß, wie oft die äußeren Augen die wahre Welt nicht sehen.

Inmitten der verhangenen Morgenstimmung setzt sich in diesem Augenblick eine Krähe auf das Ende des senkrechten Kreuzbalkens. Schwebend sitzt sie da, als würde sie sich im Himmel niederlassen, als Zeugin, dass es diese vertikale Verbindung gibt, wie sehr sie dem Augenblick auch verborgen ist.

Die Wahrheit lächelt über unsere Augen, die das Eigentliche so schwer sehen, denn Minuten später zieht die Sonne auf. Alles erscheint nun unter einem anderen Licht. Nun leuchtet das Kreuz als Ganzes auf, und ich sehe wieder, was wirklich ist.

Es ist ein gewaltiges Schauspiel, vor allem aber ist es eine Erinnerung an ebendiese vertikale Lebenskunst, die glauben heißt. Es ist die Kunst, nicht kitschig und banal zu werden – die Kunst, nicht nur das Offensichtliche zu sehen.

8. Januar

DER KOSTBARE AUGENBLICK

Matthäus 6,26: Seht die Vögel unter dem Himmel an: Sie sähen nicht, sie ernten nicht, sie sammeln nicht in die Scheunen.

Ohne Dankbarkeit geht das Öl in unseren Lampen aus.

Ein unglaubliches Cello ist fertig geworden. Der Kommentar des japanischen Cellisten: »So etwas gibt es eigentlich nicht!« Sofort kommt in mir die Sorge auf, ob ich das nächste Mal daran werde anknüpfen können und ob mir so etwas je wieder gelingen kann.

Was mich von dieser Sorge befreit und unwillkürlich Dankbarkeit aufkommen lässt, ist der Gedanke: Wir müssen nicht immerzu einen Weg gehen. Unser Dasein besteht auch aus wunderbaren singulären Einzelereignissen, wie Perlen, die für sich selbst wertvoll sind. Es muss nicht alles eine Entwicklung, ein Weg, schon gar nicht immer eine Steigerung sein. Es dürfen Segensmomente des Lebens für sich alleine stehen. Ich würdige das Gute, das geschah, und sage, was es ist: ein Geschenk. Nicht alles ist das Verdienst harter Arbeit. Ich bin nicht für jeden Erfolg verantwortlich, darf mich beschenken lassen mit diesem Instrument – und auch mit manch einem künftigen. Es darf ein unverhofftes Ereignis sein, die Schönheit einer frei und frech zugefallenen Gunst. Atme auf, Seele – und erlaube dir die Option, zu feiern.

9. Januar

DIE STILLEDES WILLENS

Markus 8,36: Was hilft es dem Menschen, die ganze Welt zu gewinnen und Schaden zu nehmen an seiner Seele?

Ich arbeite mit meinem Wölbungshobel die jüngste Geigendecke aus. Wenn alles perfekt sein muss, entsteht am Ende kein guter Klang. Ich muss Störstellen zulassen und an einigen Bereichen vermeintliche Fehler provozieren. Das hilft der Schönheit, der Ambivalenz, den Klangfarben. Ich muss achtgeben, was entsteht, denn nicht das Überkonstruierte, sondern das Unerwartete formt den guten Klang. Ich darf es nicht als Bedrohung erleben, sondern muss bereit sein, meine Absichten stören zu lassen, sonst kann nichts Geniales entstehen. Es bedeutet, einzuwilligen und einzusehen, dass in allem eine bessere Weisheit wirksam werden kann, die uns lehren und darum auch stören darf. Das bedeutet, sich führen zu lassen.

Eine gute Geige entsteht nicht durch Wissen, sondern durch Vertrauen. Sie entsteht in der Stille des Willens, wo ausreichend Raum ist, dass Dinge auch schiefgehen dürfen. Es bedeutet, in der Weisheit eines größeren Willens zu ruhen, durchzuatmen – und zu wagen, dass es auf eine andere Art gut werden darf, als ich dachte. Am sichersten bin ich darum in der Unsicherheit, denn da kann ich jener besseren Weisheit nicht ständig dazwischenpfuschen.

10. Januar

URSACHE UND GRUND

Römerbrief 11,34: Wer hat den Sinn erkannt?

Wie häufig trivialisieren wir das Leben, weil wir nicht unterscheiden zwischen Ursache und Grund.

Hirnprozesse etwa verursachen geistige Vorgänge, aber sie begründen diese nicht. Es ist nicht aus sich selbst zu begründen, warum bloße Materie ein Universum aus Geist und Bewusstsein erschafft.

Ein Forscher kann mithilfe der Modalanalyse die faszinierenden Schwingungsformen einer Geige sichtbar machen. Sie sind akustische Vorgänge. Aber sie begründen nicht, was eine Geige ist. Ihren Grund erfasst nicht, wer sie akustisch erforscht, sondern, wer »Ohren hat, zu hören«. Denn sie ist für die klangliche Empfindung erschaffen. Mit anderen Worten: Ein Mensch, der nur nach Ursachen fragt, nicht aber den Grund erfährt, geht völlig am Leben vorbei.

Auch die intelligenteste Forschung wäre geistlos, wenn wir nicht fragten: Hat das Dasein – haben die Dinge – nur eine Ursache oder auch einen Grund?

Schall existiert auch ohne uns, Klang aber nur, wenn er gehört wird. Er ist eine Empfindung. Dafür ist wohl eine schöpferische Liebe nötig. »Da machte der Geigenbauer die Geige aus Holz der Höhen und blies ihr den Odem des Klanges in ihr Wesen.« (nach 1. Mo2,7).

11. Januar

URFORM UND EWIGKEIT

2. Korintherbrief 4,18: Wir sehen nicht auf das Sichtbare, sondern auf das Unsichtbare. Denn was sichtbar ist, das ist zeitlich; was aber unsichtbar ist, das ist ewig.

Buch Kohelet 3,11: Er hat die Ewigkeit in ihr Herz gelegt.

Ihrem Wesen nach dient die sichtbare Form der Geige ganz und gar ihrem unsichtbaren Klang. Diese Urform der Geige hat fast etwas Heiliges. Denn hätte man sie nur um ihrer Form willen erfunden, so wäre sie längst verschwunden, sie hätte keine bis heute währende 500-jährige Geschichte gehabt. Da ihre Form – durch Ausarbeitung, Umriss und Wölbung – aber eine derartige Fülle akustisch wirksamer Resonanzen erschafft, dient sie mit jeder Faser dem unsichtbaren Klang. Einzig darum überdauerte die Form die Zeit. Sie hat jene Würde, die einzig aus der Demut kommt. Denn sie stellt sich nicht dar, sie unterstellt sich ihrem Sinn. Das Verheißungsvolle ist ihre Bedeutung: Ihre Form dient dem Klang. »Das Wort Er hat die Ewigkeit in ihr Herz gelegt« ist ein Zeugnis, das besagt: Demut heißt Verwirklichung.

Wir dürfen nicht das Vordergründige sehen. Denn wirkliche Demut bedeutet, zu spüren, was durch uns geschehen soll. So erfüllen wir unseren Klang. Einzig das Unsichtbare, dem wir uns unterstellen, trägt in sich diesen Keim der Ewigkeit.

12. Januar

INSPIRATION

Jakobusbrief 1,5: Wenn es jemandem unter euch an Weisheit mangelt …

Das meiste an Inspiration und Innovation wird nicht im Überfluss, sondern in der Not geboren. Vor Jahren fuhr ich enttäuscht aus Norditalien zurück. Ich hatte dort Holz für meine Geigen gesucht. Die Jahre zuvor hatte ich Glück gehabt, diesmal aber nichts gefunden – nicht ein einziges Stück Klangholz, das die notwendigen Eigenschaften für meine Arbeit hatte. »Wie soll ich gute Geigen bauen, wenn ich kein gutes Holz dafür habe?« Dieser Gedanke wurde unwillkürlich zum Gebet. Es lässt sich nicht verhindern, dass die Dinge, die mich beschäftigen, sich in einen Dialog mit Gott verwandeln. Da sah ich vor meinem inneren Auge ein anderes System, ein Prinzip, wie es doch gelingen kann, mit einem Holz, das nicht die höchste Qualität hat, eine klangmächtige akustische Abstrahlung zu erzielen – eine andere Behandlung und einen anderen Aufbau. Diesem inneren Bild folgte dann – als eine Leitlinie – ein Jahr lang Arbeit im Labor. Am Ende aber entstand dadurch mein neues Bratschenmodell, Instrumente mit einer Klangkraft und Tiefe, die es anders nicht hätte geben können. Die Erkenntnis kam nicht aus der Fülle, sondern aus der Not. Was Gott uns zeigt, ist immer hilfreich und bisweilen bitter nötig. Wir versäumen den Segen, wenn wir nicht fragen.

13. Januar

NOTWENDIGE ÜBERFORDERUNG

Hiob 38,4: Wo warst du, als ich die Erde gründete? Sage mir’s, wenn du so klug bist!

Zum Glück spüre ich an der Werkbank und beim Schreiben immer wieder Phasen der Überforderung, denn sie zeigen: Du kannst es nicht einfach machen! Du kannst es nicht! – Aus diesem Holz einen Klang zu erschaffen, der einmal zum Gesang einer Seele wird? Was für ein vermessener Anspruch! Einen Text zu schreiben, der Gott aus dem Herzen gesprochen ist, bist du noch zu retten?

 

Dass wir überfordert werden, ist notwendig, denn es zeigt, dass der verheißene Weg einzig darin bestehen kann, sich in Anspruch nehmen zu lassen. Ich beanspruche nicht, dass ich es kann oder richtig mache.

Aber ich erlaube meinen Händen den Glauben, an der Werkbank zu anderen Händen zu werden; und ich erlaube meinem Geist, zu glauben, dass der Geist Gottes auf ihn einwirken kann. Durch die Überforderung bin ich geschützt. Denn sie zeigt, dass ich über nichts verfüge. Die Überforderung sagt nüchtern: »Stell dich zur Verfügung! Das heißt glauben.«

Alles berufene Geschehen ist ein Kunstwerk. Ginge es nicht über den Künstler hinaus, wäre es eine Konstruktion. Die einzigen Kräfte, die es zerstören können, sind Stolz und Angst.

14. Januar

SCHMERZHAFTER SEGEN

Psalm 42,8: Und eine Tiefe ruft die andere.

Durch eine Krise ist der Gedanke in eine größere Tiefe gekommen, als ich es je für möglich gehalten hätte. Er hat eine Wahrheit erlitten, die kein Mensch erdenken kann. Es sind jene Räume, Grotten, Höhlen und Himmelssäle im Innersten der seelischen Welt, die nur der Fallende erreichen kann. Ihr einziger Zugang ist oben: Ein Mensch fällt in Schmerz, Enttäuschung, Lebensmüdigkeit, in Angst, Versagen und Schuld hinein – und erlebt eine Herrlichkeit, die der Denkende nie betreten kann. Es bedeutet ja nur das eine: Lass zu, dass das Leben dich lehrt.

Wie oft erkennt eine Weisheit, dass wir nur auf schmerzhafte Weise gesegnet werden können. Wie borniert reagiert da manch ein Menschenglaube, der jeden Schmerz für böse und jeden Angriff für eine Anfechtung hält. Reflexartig will er das Unangenehme wegbeten, anstatt hinzuhören und zu fragen.

Lieber will ich mich fallen lassen und im Fallen noch gespannt sein, was daraus wird, als mich an das zu klammern, was mir recht geben soll, während ich es würge und schüttle: »Bestätige mich!« Wir sollen durch Verunsicherung Lernende sein und keine Gemeinschaften kollektiver Selbstbeschwörung und verstockter Selbstvergewisserung.

15. Januar

SEIT DER ZEIT DER ERSTEN LIEDER

Psalm 108,1–2: Ein Lied. Ein Psalm Davids. Gott, mein Herz ist bereit, ich will singen und spielen. Wach auf, meine Seele!

Seit der Zeit der ersten Lieder ist in den Herzen der Menschen eine Ahnung davon erwacht, dass die wesentlichen Dinge des Lebens um ihrer selbst willen geschehen. Sie offenbaren ihren Sinn, weil sie sich verschenken, ihre Sprache verlangt Ohren der Liebe. Das ist es, was in ihren Liedern erklang. Es ist die gemeinsame Lobpreisung des Lebens.

Und so erwachte die Schönheit des Menschen inmitten der Ängste um das nackte Überleben. Nicht im Schrei des Gejagten, nicht in Kampf und Flucht, sondern in Tanz und Gesang erhob sich aus unserer Natur das Selbstwissen unserer Würde, dass wir mehr als Knechte des Zweckhaften sind: Die Menschwerdung des Geistes in der Entdeckung von Anbetung, Schönheit und Klang. Es war der Anfang unserer Kultur. Ihr Herz begann im Gesang zu beten: an jenem inneren Ort, an dem die Gebete gesprochen und gesungen werden, die der Himmel hören kann. Es ist der Ort, der unser Gebet in Liebe verwandelt. Dort wird die Verheißung wahr, dass die Seele nicht verwaist: Bete oder meditiere nicht, weil es dir irgendetwas nützt! Falle nicht hinter das erste Lied zurück! Sondern bete, weil es eine Sprache deiner Liebe ist.

16. Januar

SICH KLÄREN

Hebräerbrief 4,1: So lasst uns darauf achten, dass wir in die Gottesruhe eingehen!

Durch eine äußerlich aufregende Situation wurde mir gesagt: Wenn dich die sichtbaren Dinge unruhig machen, hast du dich zu wenig um die unsichtbaren Dinge gekümmert. Uns daran zu erinnern, ist der Grund, warum wir bisweilen beunruhigt werden. Der gleiche Hinweis steht in einem Brief des Neuen Testaments geschrieben: Erschütterungen geschehen, damit sich das Unerschütterliche in uns klären und stärken kann (s. Hebr 12,27). Diese innere Klärung ist die einzige Erklärung, die Krisen uns geben. Je mehr wir von außen bedrängt werden, desto nötiger ist es, dass wir gelernt haben, ein Seelsorger unseres inneren Lebens zu sein. Es ist spät, damit erst dann zu beginnen, wenn es »bitter nötig« ist. In guten Zeiten soll es unsere Angewohnheit werden, uns in dieser inneren Kultur zu üben. Am besten am Morgen. Da versammeln wir Befürchtungen, Wünsche, Sorgen, Planungen, Freuden und Gedanken, um sie der Weisheit und den Wegen des göttlichen Trösters auszusetzen. Es ist eine Zeit der Stille, in der wir uns ansehen lassen. Das Zappelige vergeht und weicht einem überraschenden Vertrauen. Wir erleben das Geschenk der Gottesgegenwart, diesen ruhigen Dialog mit dem inneren Lehrer und Tröster.

17. Januar

HÖREN

Jesaja55,3: Neigt eure Ohren und kommt her zu mir! Hört, so werdet ihr leben!

Man könnte meinen, eine Geige sei ein Körper aus Holz. Tatsächlich aber ist das Augenscheinliche, das wir sehen, nicht die Geige, sondern nur eine hölzerne Skulptur. Zum Instrument wird die Geige erst, wenn sie erklingt. Man könnte sagen: Der Geist der Geige ist ihr Klang. Strenggenommen ist sie kein Gegenstand, sondern ein Geschehen: Wir hören sie und sie geschieht. Sie ist kein Ding, sondern ein schwingender Modus. Sie ist Wirkung. Sie ist durch Anregungsspektren feuernde Schwingungsform. Und sie ist das Erleben von Schönheit im Medium der Zeit. Ihr Corpus stellt sich dem Geschehen zur Verfügung, er stellt mit seiner Masse-Steifigkeits-Verteilung Resonanzen bereit, und so entsteht Klang.

Genauso ist es wohl auch mit unserem Geist. Unser Gehirn ist ein Körper aus Nervenzellen. Das Wesentliche aber – der Grund für das Gehirn – ist kein Körper, den man sehen oder neurobiologisch erfassen kann, sondern ein Modus, ein Geschehen: der Geist. Der Geist kommt nicht als ein Extra zum Gehirn hinzu, sondern er geschieht im Gehirn als ein Bewusstsein erschaffendes Schwingen. Das Gehirn stellt sich mit seinen Verknüpfungen dem Geist zur Verfügung wie das in Resonanzen schwingende Geigenholz dem Klang. Man könnte sagen: Der Geist ist der Klang des Gehirns.

Wenn ich also durch meinen Beruf des Geigenbauers erfahren habe, dass eine Geige erst dann zur Geige wird, wenn sie erklingt – zuvor ist sie nur ein Holzkörper, aber kein Instrument –, dann ist dies wie ein Gleichnis für alles geistige Geschehen.

 

In den großen Begriffen der Bibel zeigt sich so etwas wie die Spannung zwischen Körper und Klang. Das Wort Gottes etwa ist nicht der geschriebene Textkörper, der sich auf Papier drucken lässt. Das Wort ist vielmehr die Wirkung, die geistig geschieht. Es ist nicht bloße Information, sondern ein geistiges Recht: es ist wirksame Kraft. Das hebräische Denken spitzt dies zu: Ein Wort, das seine berufene Wirkung verfehlt, ist ein Lügenwort. Ihm fehlt der Klang. Darum heißt es über vierzig Mal bei den Propheten: »Das Wort Gottes geschah zu mir.« Dass Gott in uns wirkt, redet und geschieht, das ist der geistige Vorgang, den die Bibel Heiliger Geist nennt. Dieses geistige Geschehen nehmen wir durch geistige Sinne wahr – die Ohren und Augen des Herzens (Jes50,4; Eph 1,18 u.v.m.). Das Herz – einer der großen Begriffe der Bibel – beschreibt die geistige Potenzialität des Menschen, die darin besteht, Gott zu erhören. Es ist ein Resonanzgeschehen. Es ist keine Kunst, dies für möglich zu halten. Die Kunst des Glaubens bedeutet, es zu ermöglichen, es zu erlauben.

18. Januar

LASS DICH SPIELEN

Lukas 8,8: Da Jesus das sagte, rief er: Wer Ohren hat zu hören, der höre.

Wir brauchen geöffnete Ohren des Herzens, dass Gott in uns geschehen kann. Immer wieder sagte Jesus: »Wer Ohren hat, der höre.«

Was kann ein Mensch von Gott wissen, wenn er immer nur über ihn nachgedacht und debattiert hat, aber nie sein inneres Reden gehört, nie darauf geachtet hat? Ist er nicht wie ein tauber Akustikforscher, der über eine Geige spricht?

 

Ich erinnere mich noch gut, was mir auffiel, als ich damals mit 19 Jahren sämtliche knapp 300 Bibelstellen des Neuen Testaments studierte, an denen vom Heiligen Geist die Rede ist. Es war während einer Glaubenskrise. Da setzte ich mich dem Klang dieser Worte aus. Ich stellte fest: Etwa die Hälfte der Stellen beschreibt Wirkungen einer Kraft, die andere Hälfte Wirkungen, die man einer Person zuschreiben würde: Er erinnert dich, er tröstet, er richte dich auf, er führt dich, er ermahnt dich, er ermutigt dich, er stärkt dich, er erfüllt dich, er lehrt dich, er bezeugt dir, wer du bist, er weckt in dir neue Hoffnung und neue Liebe. Wir sind berufen, es zuzulassen, uns dem auszusetzen, und ebendas heißt glauben.

Und wie in der Musik – im Dialog zwischen Musiker und Instrument –, so kommt es auch hier zu einem dialogischen Geschehen. Die Geige spielt sich ja nicht selbst. Alles spielt sich zwischen den formgebenden Resonanzen und dem Musiker ab. Die Geige wird gespielt. Auch das ist das Wesentliche des Glaubens, dass es letztlich bedeutet: Lass dich spielen. Erlerne dein Leben als ein lebendiges Spiel mit Gott. Erlerne dein Gottesspiel. Es ist ein dialogisches Geschehen, das uns zu dem macht, was wir sind. Darum heißt das höchste Gebot Israels und des Messias: Höre!

19. Januar

SINNESORGANE DES HERZENS

2. Korintherbrief 4,6: Er hat einen hellen Schein in unsre Herzen gegeben.

Es wird gemeinhin angenommen, Gottes Wirklichkeit könne nicht sinnlich wahrgenommen werden, es sei schlicht eine Sache, die man glauben müsse. Dem widerspricht der Gesamtklang der Bibel, und dieser Widerspruch deckt sich mit meiner subjektiven Erfahrung. Denn ich erlebe das, was die Bibel die Augen und Ohren des Herzens nennt. Wenn sie durch eine Bekehrung erleuchtet werden, wachen und reifen in uns jene Sinnesorgane des Geistes. Wir wären arm, könnten wir Gott nur denken und hätten keine Wahrnehmung durch geistige Sinne. Darum segnet Paulus eine der frühen Gemeinden mit den Worten: »Gott gebe euch erleuchtete Augen des Herzens, damit ihr erkennt« (Eph 1,18). Der Gott liebende Geist weiß: Besser ein sehendes Herz als ein blinder Verstand. Denn die Wahrheit Gottes ist keine intellektuelle, sondern eine existenzielle Erkenntnis: Dein Zustand bestimmt, was du erkennen kannst. Darum achte auf dein Herz, denn dort ist deine Wahrnehmung für Gott, es ist deine Erkenntnispflicht. Wer Gott ist, kann nur Gott uns zeigen, und dieser Vorgang geht uns durchs Herz. Wir können das Wesentliche nur auf die Weise erkennen, wie es der Bekehrung unseres Herzens entspricht (Mt 5,8).

20. Januar

ERKENNTNISPFLICHT

Jeremia 29,13f.: So spricht der EWIGE: Ihr werdet mich suchen und finden; denn wenn ihr mich von ganzem Herzen suchen werdet, so will ich mich von euch finden lassen.

Das Prophetenwort Jeremias sagt: »Wenn ihr mich von ganzem Herzen suchen werdet, werde ich mich von euch finden lassen.« Der Mensch hat also nicht nur eine Erkenntnisnot, sondern auch eine Erkenntnispflicht, und diese Pflicht heißt: »Du sollst ein Herzensmensch sein.« Beiläufigkeit ist frevelhaft. Wenn ein Mensch nicht bereit zur Gottessuche ist, hat er seine Erkenntnispflicht nicht erfüllt. Es gibt eine Sünde der Ungewissheit, die daher rührt, dass wir wissen: Die Gewissheit würde uns in die Pflicht nehmen. Gott beiläufig oder hastig gesucht zu haben, wird am Ende ein Akt der gelebten Gotteslästerung gewesen sein. Denn unsere Erkenntnispflicht einzulösen, bedeutet: Ich befrage das Wichtigste nicht aus Interesse, sondern unter Einsatz meines Lebens.

Ob meine Suche zur Erkenntnis wird, hängt davon ab, wie ich hinsehe. Wenn ich in der Liebe bin, werde ich dem Geliebten nicht so in die Augen sehen, als nähme ich ihn in Augenschein. Ich sehe ihn an. Ansehen geben heißt lieben. Auch Gott nehme ich nicht in Augenschein. Uns ist ein Herz gegeben, damit wir Gott ansehen können. Darum sagt das Wort Jeremias: Wenn es euer Herz ist, werdet ihr mich finden.

21. Januar

VERWANDLUNG

Psalm 13,3: Wie lange soll ich sorgen in meiner Seele?

Manchmal muss ich den Sorgengeistern sagen: »Ihr habt eure Zeit, und wenn ihr mir etwas zu sagen habt, will ich es hören. Aber jetzt habt ihr kein Recht.« Wir sind dem Hintergrundrauschen der Sorgen nicht ausgeliefert. Der innere Mensch hat ein Recht des Glaubens: Wir dürfen den Dingen ihren Platz zuweisen und ihnen das Nötige sagen.

 

Ob das Cello gut gelingen wird? Dein Platz ist an der Werkbank! – Ob der Kontostand am Ende des Monats reicht? Ich tue das Meine und vertraue mich der Versorgung des Himmels an. – Ob die Schmerzen ein böses Signal sind? Ich spreche meinem Körper Dank für seine Treue zu und vertraue seiner heilenden und wunderbaren Kraft. – Ob unser Sohn nach dem Vorstellungsgespräch eine Zusage bekommt? Gott, du kennst seinen Weg. – Ob die Probleme uns als Menschheit über den Kopf wachsen? Ich halte unsere Not in den Himmel und sage: Wir brauchen dich.

So wird mir gesagt, lebe mutig in die Unsicherheiten hinein, so wenig du weißt, was kommen mag. Erlaube dir, ein göttlicher Grund der Fürsorge zu sein. Gewähre den Sorgen das einzige Recht, das ihnen zusteht: dass sie zu Gebeten werden, die in der Weisheit des Himmels ruhen.

22. Januar

VERBUNDENHEIT

Lukas 9,3: Und er sprach zu ihnen: Nehmt nichts mit auf den Weg: weder Stab noch Tasche noch Brot noch Geld.

Warum sagt Jesus zu seinen Gottesschülern: »Nehmt nichts mit auf eure Reise, weder Vorrat noch Tasche!«? Weil er weiß, die Reise ist so lang, dass wir verhungern, wenn wir unterwegs nicht versorgt werden. Die Last des Vorrats sind die Sorgen.

Im Wahren Buch vom Südlichen Blütenland steht in einem Abschnitt (XX,5) über die Erlösung vom Leid von einem Mann geschrieben, der sein Zepter, das tausend Lot Goldes wert war, im Stich ließ und einen Säugling auf den Rücken nahm. Jemand fragte ihn: Warum wirfst du dein goldenes Zepter weg und eilst mit dem Säugling auf dem Rücken davon? Da antwortete der Mann: »An das Zepter bindet mich nur Gewinn. An dieses Kind aber himmlische Bande. Was durch Gewinn vereint ist, lässt einander im Stich, wenn Bedrängnis, Leid und Unglück drohen. Was durch himmlische Bande verbunden ist, wird einander erst recht zu eigen, wenn Bedrängnis, Leid und Unglück drohen. Jene, die ohne Grund sich zusammentun, trennen sich auch wieder ohne Grund.«

Vertrauen und Verantwortung – Ursache und Wirkung: Weil wir vertrauen, dass wir versorgt werden, tragen wir Sorge für das, was das Leben uns anvertraut.

23. Januar

MUT ZUR ENTTÄUSCHUNG

Jesaja49,4: Umsonst habe ich mich abgemüht, vergeblich und für nichts meine Kraft verbraucht.

Wir können nur in der Gottesliebe bleiben – und das heißt unwillkürlich auch: in der Treue zu uns selbst –, wenn wir den Mut haben, enttäuscht zu werden. Wie oft enttäuscht es mich, wenn meine Arbeit, in die ich viel Leidenschaft, Lebenszeit, Gedanken und Gefühle, Forschung und Mühe gegeben habe, nicht auf Gegenliebe stößt und der Musiker sich unerwartet gegen ein Instrument aus meiner Werkstatt entscheidet.

Aber deshalb mit abgedämpfter Seele zu leben, das wäre ein Verrat an den Gaben und Verheißungen, in denen ich die kurzen Lebensjahre leben soll. So schwer es mir fällt, ich muss bereit sein, mich enttäuschen zu lassen. Eine enttäuschungsresistente Abwehrhülle führt zur seelischen Stumpfheit.

Denn ich weiß, die seelische Intonation verstimmt sich, der innere Mensch wird schwerhörig, schwerfällig und blind, wenn ich mir schwöre, mich nicht mehr durch andere verletzen zu lassen. Solch ein Schwören wäre ein Selbstfluch, es würde bedeuten, den Schutz vor der Enttäuschung durch Abstumpfung zu erkaufen. Denn ein Mensch, der beschlossen hat, nicht mehr verletzt oder enttäuscht zu werden, hat auf eine erschütternde Weise beschlossen, nicht mehr zu lieben.

Manchmal können wir nur auf schmerzhafte Weise gesegnet werden. Auch dieses Recht will ich meinem Leben geben. Auch das Scheitern begleitet in seinem heftigen Segen den Weg, den wir gehen. Dann soll die verletzte Seele hören: Bleibe mutig. Bleibe bereit, gerade die Enttäuschung als eine schmerzhafte Form deiner Liebe anzunehmen. Denn in der Enttäuschung zeigt sich, ob du mit deinem inneren Leben den Weg der Seelenführung gehst. Sie sagt: Habe den Mut, deine Liebe durch deinen Glauben zu schützen; und habe die Demut, deinen Glauben durch deine Liebe zu schützen. Du schützt deine Seele nicht dadurch, dass du Mitleid mit dir hast, sondern dadurch, dass du ein Liebender bleibst.

 

Ich brauche auch heute noch einige Zeit, um Enttäuschungen zu überwinden – weniger als in den Anfangsjahren, aber noch immer ist innere Arbeit nötig, um mir seelisch aufzuhelfen. Doch wenn ich weiß, ich habe das Meine getan, war nicht nachlässig, überheblich oder berechnend, sondern bin den Gaben und Aufgaben treu geblieben, dann habe ich auch ein Recht, mir zu sagen: Diese Erfahrung wird ihren Weg mit dir gehen. Auch die Enttäuschung darf dein Lehrer sein. Vertrauen lässt sich nicht in Speichern sammeln. Wir haben keinen Vorrat. Wir lernen es, wenn wir es nötig haben.

24. Januar

VERSÄUMNIS

Sprüche 3,3: Hänge meine Gebote an deinen Hals und schreibe sie auf die Tafel deines Herzens.

Ein guter Jugendfreund liegt nach einem schweren Schlaganfall auf der Intensivstation. Wir haben uns die letzten Jahre sehr selten gesehen, obwohl wir uns mögen. Vor drei Tagen, als es geschah, hatte ich immer wieder an ihn gedacht, wollte sogar zu ihm fahren, die Gitarre mitnehmen, dass wir gemeinsam Musik machten. Ich dachte, es wäre gut, und er bräuchte Stärkung. Dass es ein inneres Anklopfen war, ihn bestimmt zu segnen, merke ich erst jetzt. Da stehe ich nun im Geist an seinem Bett.

Ein sonderbares Gefühl über dem eigenen Leben breitet sich aus. Es ist nichts wert, wenn wir glauben, wir hätten ein Anrecht darauf. Jeder Tag ist ein heiliges Angebot, eine Leinwand, vor der wir mit unserem Pinsel stehen, wir haben unsere Augen auf dem geliebten Menschen, berühren seine Seele mit unserem Bogen und seine Haut. Aus dem Klangholz, das sich hingibt, stechen wir unsere Wölbung heraus.

Wie wird sein Leben weitergehen? Wie das Abendlicht durch den Wald die Freundlichkeit des Spätsommers leuchten lässt, ist unwirklich schön. Die Tage werden kürzer. Unsere Möglichkeiten vergehen. Dann sollten wir diesen Sommer gelebt haben.

25. Januar

ZEIT

Johannes 7,6: Jesus sprach zu ihnen: Meine Zeit ist noch nicht gekommen; eure Zeit aber ist immer da (wörtl.: opportun).

Der Urtext des Neuen Testaments gebraucht zwei ihrem Wesen nach ganz und gar verschiedenartige Zeitbegriffe. Das eine ist chronos: die verstreichende Zeit. Häufiger steht aber dort das andere, kairos: der richtige Moment, der verheißene Augenblick, die erfüllte Zeit. Kairos ist der Schutz der Gnade.

Vielleicht erlauben wir uns zu selten, die Dinge im richtigen Augenblick zu tun, da wir uns gewohnheitsmäßig maßregeln, unsere Pflichten zu tun. Man kann Inspiration durch ein Übermaß an Disziplin zerstören. Gäbe ich umgekehrt jedem Impuls nach, würde ich in Vielfalt zerfließen. Es ist eine Kunst, durch Disziplin jenen Freiraum zu schaffen, in dem man sich kreativ bewegen kann.

 

Achtsamkeit auf den kairos, den verheißenen Augenblick, ist nur möglich in dem Wissen, dass bestimmte Möglichkeiten vertan sind, wenn wir ihnen nicht nachgegeben haben. Die Wirksamkeit (enérgeia) der Gnade erlaubt nicht alles zu jeder Zeit. Ehrfurcht lässt uns sehen, dass wir über die Zeit Gottes nicht verfügen. Wir können uns der Schönheit des Gottesgeschehens mit einem fragenden Herzen zur Verfügung stellen und achtgeben, was uns geboten ist.

26. Januar

GEGENWART

Psalm 95,7: Am heutigen Tag hört seine Stimme!

Wir haben wohl eine falsche Vorstellung vom Wesen der Zeit, wenn wir meinen, das »Jetzt« sei ein Vorgang, der unentwegt all das, was zukünftig ist, in Gewesenes verwandelt. Kein Wunder, dass es uns nicht gelingt, im »Jetzt« zu leben, denn es ist zu kurz, zu schmal, um darin Platz zu finden. In dieser Vorstellung wäre das »Jetzt« ein bloßer Schnitt im Fluss der Zeit. Wir haben keine Gegenwart, wenn wir sie nur als die Umwandlung von Zeit verstehen, als ein schmales Nichts, das sich uns unentwegt entzieht.

Zeit ist ihrem Wesen nach ein Angebot: die Erfahrung von Gegenwart. In einem existenzialen Sinn bedeutet Zeit Begegnung und damit Gleichzeitigkeit. Wenn wir gegenwärtig sind, werden wir uns gegen die Erfahrung Gottes kaum schützen können, denn Gott ist reine Gegenwart. Seine Stimme hören, heißt fragen: Was spricht dieser Augenblick zu mir? Werde ich also der Verheißung gewahr? Was will im Augenblick geschehen?

Irun R. Cohen weist darauf hin, dass das hebräische Wort zur Bezeichnung der Gegenwart (howeh) von derselben Wurzel kommt wie der geheimnisvolle, unvokalisierte Eigenname GottesY-H-W-H, der 6823-mal in der Bibel vorkommt: »Die grammatische Struktur des Hebräischen enthält in sich ein Verständnis von Zeit, das dem existenzialen Augenblick entspricht – dem unmittelbaren Übergang von der Zukunft in die Vergangenheit. Die Gegenwart im Hebräischen ist nicht eine Zeitform, sondern eine Person.«1

 

Nur in einem chronologischen Sinn kann Zeit als eine Art Quantität verstanden werden, die sich zählen und in gequantelten Einheiten messen lässt. Zeit in einem existenzialen Sinn ist eine Qualität. Sie ist Begegnung, sie ist die erlebte Gleichzeitigkeit. Sie kann nicht gezählt, sondern nur erzählt werden, sie will geistesgegenwärtig erlebt sein.

Wie wir Zeit in physikalischen Gleichungen zur Beschreibung der Natur in Sekunden messen, so sollten wir die Zeit unserer Existenz in Begegnungen messen. Darum ist die Gleichzeitigkeit mit Gott Inbegriff der erfüllten Zeit. Ich willige in die Gotteserzählung meines Daseins ein, in dem Entschluss, dass es mich nur noch in der Gleichzeitigkeit mit Gott geben soll. Mein Glaube ist darum nichts anderes als ebenjene Einwilligung.

 

Sei ganz da und probiere, ob du dich dem Glauben an Gott wirklich entziehen kannst! Umgekehrt können wir nur im Zustand des Glaubens sein, wenn wir ungeteilt im Modus der Gegenwart leben. Denn wenn wir die Wahrnehmung und Wertschätzung des Augenblicks zerstäuben und betäuben, verlieren wir alles. »Gebt acht, dass ihr das heilige Geschehen eures Lebens nicht dämpft«, mahnt sinngemäß das Neue Testament (1. Thess 5,19).

Die kleinen Bildschirme lehren uns Virtualität und lassen uns Realität und mehr noch: Präsenz verlernen. So löschen sie häufig die Gegenwart aus. Betend im gegenwärtigen Moment zu sein, bedeutet, ebendieser Versuchung zu widerstehen. Das betende Leben hütet die Alltäglichkeit des Wunders, das wir Gegenwart nennen. Auch darum sind Pferde für mich so große geistliche Lehrer geworden. Nicht dass sie Heilige wären, aber sie sind pure Gegenwart, sie müssen nicht lernen (und können nicht verlernen), aus Glauben – aus Gottespräsenz – zu leben.

Pferde sind niemals nachtragend; sie haben einen sanften umfassenden Blick, sie ruhen in ihrem Wesen und verweilen in einer selbstverständlichen Wachsamkeit des Augenblicks. In ihrer Gegenwart kann man lernen, was man (in der eigenen Versuchungsgeschichte) an Gott verloren hat. Mit ihnen lerne ich, auf eine glückliche, unangestrengte Art, da zu sein; zugeneigt zu sein und zu vertrauen. Mit ihnen lerne ich Gegenwart.

 

Jesus erklärte sogar die Vögel unter dem Himmel und die Lilien auf dem Feld zu unseren Lehrern, wie viel mehr also sollten wir fragen, welche Lehrer des Alltags wir haben, die uns endlich wieder die Gottespräsenz erklären.

27. Januar

ERLAUBEN UND ERMÖGLICHEN

Offenbarung 3,20: Siehe, ich stehe vor der Tür und klopfe an.

Die Bibel zeigt von der ersten bis zur letzten Seite, dass wir in dieser Welt eine Mitverantwortung am Gottesgeschehen haben. Die »göttliche Schönheit und Macht« (megaleiotes) wirbelt nicht willkürlich in unserer Welt herum, und sie ist auch nicht gleichbleibend einfach da. Wie ein Haus Fenster für das Licht hat und Türen, dass man eintreten kann, so hat die Welt des Lebens geistige Türen und Fenster, dass Licht (Erkenntnis